27.02.2014 Aufrufe

Manuskript zum Download

Manuskript zum Download

Manuskript zum Download

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

kommt, dass Phrasierung und Artikulation sich auf vielschichtige Weise mit anderen<br />

Parametern verflechten - sowohl solchen der Komposition als auch solchen der darstellenden<br />

Gestaltung; ihre Sinnhaftigkeit entscheidet sich erst im Zusammenspiel vielfältiger Aspekte<br />

und kann in den seltensten Fällen ausschließlich aus sich heraus begründet werden.<br />

Auch hier gründet sich Hermann Kellers Darstellung wieder auf stillschweigende<br />

Voraussetzungen: Selbst wenn man seine Unterscheidung von ihrer theoretischen Systematik<br />

her akzeptiert, so macht sie doch in erster Linie Sinn für Musik, die einen deutlichen Hang zur<br />

Sprache hat. Für die Wiener Klassik, das romantische Lied, mag diese Sichtweise eine<br />

gewisse Stringenz besitzen, trotz ihres wenig praxisnahen Ansatzes. Für sehr viele Musik -<br />

Chopin, Debussy, Skrjabin, zeitgenössische oder gar außereuropäische Musik - hat sie wenig<br />

Erkenntnischarakter. In dem Moment, in dem Aspekte der Bewegung, des Raumes und des<br />

Bildes wichtiger werden als das Formulieren von Themen und musikalischen Gedanken,<br />

greift Kellers Unterscheidung nicht mehr wirklich, obwohl auch hier Artikulation und<br />

Phrasierung eine genauso wichtige Rolle spielen.<br />

Ebenso wie Dichtung weist aber auch jede Musik, die man intuitiv als ‚sprachnah‟ bezeichnen<br />

würde, über ihre sprachliche Struktur hinaus. Die Imagination musikalischer Charaktere lässt<br />

sich nicht auf ihre strukturellen Aspekte reduzieren - sei es im Fall der kompositorischen<br />

Formulierung des Textes, sei es im Fall der Darstellung durch den Interpreten. Das ist der<br />

entscheidende Unterschied zwischen Grammatik, die allgemein formuliert, und Handwerk,<br />

das sich in der Ausarbeitung des Details, angesichts eines vorliegenden Materials entfaltet.<br />

Musikbeispiel 4:<br />

Franz Schubert: Winterreise Nr. 16, Letzte Hoffnung 2‟17“<br />

Christoph Prégardien, Tenor<br />

Andreas Staier, Klavier<br />

Teldec 0630-18824-2<br />

Sprecher 2:<br />

Das Gedicht handelt vom Stehenbleiben in Gedanken, das „oftmals“ stattfindet, immer dann,<br />

wenn der Blick des Wanderers auf Bäume fällt, an denen noch einzelne Blätter hängen. Es<br />

entsteht die Vorstellung einer Bewegung, die immer wieder durch meditative Momente<br />

gebremst oder unterbrochen wird.<br />

…<br />

Dass das Schicksal der Hoffnung dem Zufall des vielleicht fallenden Blattes überlassen wird,<br />

ist der Verzicht, aus der Unsicherheit, in der das Leben suspendiert ist, aus eigener Kraft<br />

herauszukommen. Daher auch der unentschiedene Wechsel von Gehen und Stehen. Die<br />

11

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!