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Sprecher 1:<br />

Lässt sich die Wirklichkeit als Text abbilden, oder wenigstens in Teilen als Text erfassen?<br />

Seit es die Schrift gibt, ist dies ein alter Traum der Menschheit, und die Entstehung der<br />

großen Enzyklopädien ist ein Versuch der möglichen Antworten auf diese Frage.<br />

Symbolhaft präsentiert die ‚Editions Larousse‟ eine Frau, die die Samen einer Pusteblume<br />

wegbläst, versehen mit dem Motto „Je sème à tout vent“ – ich säe aus in alle Winde: Das<br />

Erfassen der Welt wird weniger als katalogisierender Vorgang denn als schöpferischer<br />

gesehen.<br />

Perec konfrontiert diese gigantische geistige Unternehmung mit der seltsamen Figur des<br />

Cinoc: Seine Aufgabe ist Symbol dafür, dass auch die umfang- und detailreichste, die<br />

sorgfältigste und liebevollste Herangehensweise niemals auf die Erkenntnis wird verzichten<br />

können, dass die Leerstelle unabdingbar ist. Wichtiges wird von Unwichtigem getrennt,<br />

Veraltetes oder Unrichtiges aussortiert. Aber Cinoc begehrt auf gegen die Stigmatisierung des<br />

vermeintlich Überflüssigen, entwirft seine eigene Welt des angeblich Bedeutungslosen, das<br />

dem Verstummen überantwortet werden sollte.<br />

Sprecher 3:<br />

Cinoc las langsam, notierte sich seltene Wörter und allmählich nahm sein Plan Gestalt an und<br />

er beschloss, ein großes Wörterbuch der vergessenen Wörter zusammenzustellen, nicht um<br />

das Andenken an die Akkas, ein Zwergnegervolk in Zentralafrika, oder an Jean Gigoux, einen<br />

Historienmaler oder an Henri Romagnesi, einen Komponisten von Romanzen, 1781-1851,<br />

fortbestehen zu lassen, auch nicht um den Skolekobrotus, einen Tetramera- oder<br />

Vierzeherkäfer aus der Familie der Bockkäfer, eine Tribus der Cerambyni, zu verewigen,<br />

sondern um einfache Wörter zu retten, die ihm weiterhin noch etwas zu sagen hatten.<br />

Georges Perec, Das Leben - Gebrauchsanweisung<br />

Sprecher 1:<br />

Auf den großflächig exponierten Reichtum der Welt antwortet Cinoc mit dem Blick für<br />

Zwischenräume, für Nischen, in denen das angeblich Unbedeutende zu Hause ist. Er hält der<br />

schier unfassbaren Überfülle quasi ihr Negativ vor: Das Stumme beginnt zu sprechen,<br />

Verdunkeltes wird ausgeleuchtet, das Verblasste blüht auf in neuer Farbigkeit. Seine<br />

eigentliche Tätigkeit, das Eliminieren von Worten, das der ‚Unternehmung Larousse‟ Relief<br />

und Kontur verleihen soll, kehrt er um in ihr Gegenteil. Damit artikuliert er die sich vor ihm<br />

ausbreitende Wirklichkeit – die Fülle des Wissens - auf eine seltsam ähnliche Weise wie ein<br />

Zeichner. Mit der Linie hebt dieser ja auch das hervor, was eigentlich in einem dinghaften<br />

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