Oktober 2013 - EU-Koordination
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Themen<br />
Abfallpolitik<br />
Schöne Fassade – und dahinter?<br />
Auch beim einstigen Musterland Deutschland muss die Abfall- und Ressourcenpolitik saniert werden<br />
Vermeiden, wiederverwenden, recyceln, entsorgen – diese Abfallhierarchie zu verwirklichen ist Ziel der <strong>EU</strong>-Kommission.<br />
Die deutsche Müllwirtschaft kann dafür aber nicht mehr als Vorbild dienen. Die bestehenden Regelungen hierzulande<br />
sind veraltet und erfüllen nicht mehr die Ansprüche einer umweltfreundlichen und ressourcenschonenden<br />
Entsorgungspolitik. • VON BENJAMIN BONGARDT, NABU<br />
Blau für Papier, gelb für<br />
Metall und Plastik, braun für Küchenabfall<br />
und schwarz für den Rest – dieser Mülltrennungs-Farbcode<br />
ist für 90 Prozent der<br />
Bürgerinnen und Bürger in Deutschland<br />
alltägliches Entscheidungssignal bei der<br />
Abfallentsorgung. Diese Selbstverständlichkeit<br />
bei der Mülltrennung ist aber nicht<br />
überall in der <strong>EU</strong> so verbreitet wie hierzulande.<br />
Und das, obwohl die Abfallwirtschaft<br />
als eine der ersten Branchen <strong>EU</strong>-weit<br />
geregelt und somit zu einem Pionier der<br />
Umweltpolitik wurde. Klimaschutz und<br />
Chemikalienpolitik sind da eher politische<br />
Stiefkinder.<br />
Gute Abfallpolitik als Wirtschaftsmotor<br />
Mit der Abfallpolitik entwickelte sich aber<br />
nicht nur das Bewusstsein der Bevölkerung<br />
für die getrennte Entsorgung, sondern es<br />
wuchs auch ein ganzer Wirtschaftszweig.<br />
Je mehr getrennt, gesammelt, sortiert,<br />
aufbereitet und verwertet wird, desto<br />
mehr Beschäftigte pro Kilogramm Müll<br />
werden eingestellt. ExpertInnen in Brüssel<br />
prognostizieren 400.000 neue Jobs in<br />
der Abfallwirtschaft bis 2020. Ausschlaggebend<br />
für den erwarteten Erfolg ist in<br />
erster Linie der europäische Gedanke:<br />
Gleiche Standards und gleiche Qualität<br />
bei der Müllbehandlung müssen <strong>EU</strong>-weit<br />
gelten und umgesetzt werden. Das bedeutet<br />
auch: Die Abfallentsorgung passiert vor<br />
Ort, von wirtschaftlichen Chancen durch<br />
Wiederverwendung und Recycling können<br />
im Binnenmarkt aber alle profitieren.<br />
Ist diese gesamteuropäische Abfallpolitik<br />
erfolgreich, kann sie auch in der Entwicklungspolitik<br />
eine Blaupause für den<br />
Umgang mit Abfällen sein. Egal ob in Osteuropa<br />
oder Ostasien – die Entwicklung<br />
von Wachstum und Wohlstand erfordert<br />
immer auch das Entstehen einer Entsorgungswirtschaft.<br />
Das Prinzip ist dabei<br />
immer gleich: Der monetäre Wohlstand<br />
in einer Gesellschaft wächst und mit ihm<br />
der Konsum von Handys, Spielzeug, Möbeln<br />
und so weiter. Für die Abfallwirtschaft<br />
heißt das: mehr Plastik, mehr Schadstoffe,<br />
mehr Sperrmüll und prozentual weniger<br />
Biomüll pro Kopf. Gleichzeitig wird die<br />
Müllwirtschaft komplizierter, weil all die<br />
Konsumgüter nicht nur deponiert, ja noch<br />
nicht mal verbrannt, sondern wiedergenutzt<br />
werden sollen.<br />
Die <strong>EU</strong>-Abfallpolitik begeht bislang<br />
allerdings einen folgenschweren Fehler:<br />
Die Pro-Kopf-Müllmenge wird als Input<br />
für Verbrennungsanlagen klassifiziert. Industriekunden<br />
bekommen so zwar billige<br />
Energie, mit Ressourcenschonung, Kreislaufführung<br />
und Abfallvermeidung hat das<br />
aber wenig zu tun. Eine nachhaltige Produkt-<br />
und Konsumpolitik wird dadurch<br />
ausgebremst.<br />
Musterland Deutschland?<br />
Gerade Deutschland schmückt sich gerne<br />
mit seiner Vorreiterrolle in der Abfallpolitik.<br />
Tatsächlich wäre es allzu schön, wenn<br />
sich die anderen <strong>EU</strong>-Länder beim Umgang<br />
mit Abfällen und der Bewältigung anstehender<br />
und immer noch offener abfallwirtschaftlicher<br />
Probleme ein Beispiel an<br />
Deutschland nehmen könnten. Hohe Verwertungsquoten,<br />
ordentlich umgesetzte<br />
rechtliche Regelungen und sogar funktionierende<br />
Vollzugsbehörden lassen die<br />
Fassade der deutschen Abfallpolitik schön<br />
erscheinen – doch dahinter bröckelt es gewaltig.<br />
Die schöne Fassade steht politisch<br />
mittlerweile unter Denkmalschutz.<br />
Vieles, was von Weitem schön aussieht,<br />
ist bei näherem Hinsehen sanierungsbedürftig<br />
und nicht an aktuelle Probleme<br />
angepasst. Die Verantwortlichen in den<br />
Ministerien und nachgeordneten Behörden<br />
wollen den schönen Schein – den<br />
Rechtsrahmen – zwar unbedingt wahren,<br />
umweltpolitische Zielsetzungen sind hier<br />
aber allzu oft Fehlanzeige. Die öffentlichen<br />
und privaten Abfallwirtschaftsunternehmen<br />
ringen um Zuständigkeiten, die<br />
BürgerInnen bleiben aber außen vor. PolitikerInnen<br />
kommentieren das sanierungsbedürftige<br />
Objekt mit klientelorientierten<br />
Statements und stellen häufig auch gleich<br />
die Leistungen der vergangenen Jahrzehnte<br />
infrage. Manche wollen sogar lieber gleich<br />
ganz neu bauen und so die bisher erfolgreiche<br />
Abfallpolitik auf der Deponie entsorgen.<br />
Lange Liste von Versäumnissen<br />
Die Kernsanierung wird aber immer<br />
wieder aufgeschoben. Dabei hätte die<br />
deutsche Abfallpolitik in zahlreichen<br />
Bereichen längst fortentwickelt werden<br />
müssen. Wo die Politik aber doch aktiv<br />
wird, greifen die Maßnahmen meist zu<br />
kurz: 2012 brachte die Regierung das Programm<br />
für Ressourceneffizienz auf den<br />
Weg, Ende Juli <strong>2013</strong> verabschiedete das<br />
Bundeskabinett ein Abfallvermeidungsprogramm.<br />
Leitbilder, Maßnahmen und<br />
Instrumente in der Ressourcen- und Abfallpolitik<br />
sind zwei Seiten derselben Medaille,<br />
dennoch nehmen die beiden neuen<br />
Programme kaum aufeinander Bezug und<br />
wirken aneinander vorbei. Noch nicht<br />
2 <strong>Oktober</strong> <strong>2013</strong> umwelt aktuell