Die ganze Ausgabe als PDF (1928 K) - Inprekorr
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CHINA<br />
werb marginalisiert zu werden, 8 und<br />
einem Verlangen nach Sozialreform.<br />
<strong>Die</strong>se Stimmung ist seit Mitte der<br />
90er-Jahre völlig verflogen, <strong>als</strong> sich<br />
die KP bewusst wurde, dass der Westen<br />
der Verlockung des riesigen chinesischen<br />
Marktes nicht würde widerstehen<br />
können und westliche Regierungen<br />
und Kapitalisten bereit waren,<br />
das Massaker von 1989 zu vergessen,<br />
um Anteile an diesem Markt zu<br />
ergattern. <strong>Die</strong> Tatsache, dass China in<br />
der Lage war, das tragische Schicksal<br />
der Sowjetunion zu vermeiden und im<br />
Gegenteil hohe Wachstumsraten erzielen<br />
konnte, beflügelte das Selbstvertrauen<br />
der KP Chinas weiter. Der<br />
neue Tonfall in der „öffentlichen Meinung“,<br />
in Fernsehprogrammen, Zeitschriften<br />
und Büchern etc. ist vor diesem<br />
Hintergrund zu verstehen. An die<br />
Stelle des Gefühls nationaler Unterlegenheit<br />
trat jenes nationaler Selbstbestätigung<br />
und das Bedürfnis, den vergangenen<br />
Ruhm des Königreichs der<br />
Mitte wieder zu erlangen. <strong>Die</strong> Bombardierung<br />
der chinesischen Botschaft<br />
1999 durch die USA erinnerte die KP<br />
Chinas und die Durchschnittschinesen<br />
zudem daran, dass die USA trotz allem<br />
kein verlässlicher Partner sind, und<br />
das Gefühl von äußerer Bedrohung<br />
verlieh den nationalistischen Gefühlen<br />
weiteren Auftrieb. Es fiel zudem in<br />
eine Phase intensiver Verhandlungen<br />
mit den USA über den Beitritt Chinas<br />
zur WTO, in denen die USA China<br />
mehr Konzessionen abverlangten,<br />
<strong>als</strong> von den meisten Industriestaaten<br />
erwartet wird. Schließlich fand auch<br />
ein rascher Aufkauf chinesischer Firmen<br />
durch ausländisches Kapital statt,<br />
was viele <strong>als</strong> Bedrohung der ökonomischen<br />
Sicherheit Chinas ansahen.<br />
Neue Liberale, Nationalisten<br />
und neue Linke<br />
Wie wir gesehen haben, sieht Zheng<br />
„die Hauptursache für den Nationalismus<br />
der Post-Mao-Ära eher im Inneren<br />
<strong>als</strong> in äußeren Gründen“. <strong>Die</strong>se<br />
Ansicht ist zwischen neuen Liberalen<br />
und der „neuen Linken“ heiß umstritten.<br />
Unter neuen Liberalen verstehen<br />
wir chinesische Liberale und Neoliberale.<br />
Wenn hier beide unter densel-<br />
8 Dam<strong>als</strong> bestand über Klassengrenzen hinweg<br />
die starke Befürchtung, China könne wegen<br />
des langsamen Tempos der Reformen seine<br />
qiu-ji (Weltbürgerschaft) einbüßen.<br />
ben Begriff zusammengefasst werden,<br />
dann deshalb, weil sie im chinesischen<br />
Kontext schwer unterscheidbar sind.<br />
Obwohl im Westen die Trennlinie<br />
zwischen beiden verwischt ist, gibt es<br />
in China Liberale wie Yu Jie, die überschwänglich<br />
für die Privatisierung, die<br />
WTO, die Ausbeutung der ArbeiterInnen<br />
in Staatsbetrieben oder den US-<br />
Angriff gegen den Irak etc. plädieren,<br />
so dass ihnen kaum fortschrittliche<br />
moralische Werte unterstellt werden<br />
können. Den „neuen Linken“ können<br />
laut Dale Wen, einem Gastdozenten in<br />
den USA, der selbst der neuen Linken<br />
angehört, von „Sozialdemokraten über<br />
nationalistische Ökonomen bis zu Maoisten“<br />
verschiedene Personen zugerechnet<br />
werden. 9 <strong>Die</strong> neuen Liberalen<br />
neigen zur Ansicht, der größte Feind<br />
Chinas seien seine eigenen obsoleten<br />
Institutionen, während die Globalisierung<br />
die Hauptströmung der Modernisierung<br />
und Zivilisation verkörpere.<br />
Das Schlimmste für China wäre daher,<br />
auf halben Weg zur Vollintegration in<br />
die Globalisierung stehen zu bleiben.<br />
Wenn es einen Aufschwung des Nationalismus<br />
gebe, sei dies <strong>als</strong>o nur den<br />
inländischen Institutionen zuzuschreiben.<br />
Zhengs Kommentar gibt die Argumente<br />
wieder, die die neuen Liberalen<br />
in ihrer Diskussion mit den neuen<br />
Linken vorgebracht haben. Unterdessen<br />
neigen die neuen Linken oder<br />
zumindest führende Sprecher dieser<br />
Richtung dazu, in die entgegengesetzte<br />
Richtung zu argumentieren. Wenn<br />
etwas in China schiefläuft, sei dies den<br />
äußeren Feinden und namentlich der<br />
Globalisierung und dem Imperialismus<br />
zuzuschreiben. Falls prominente<br />
Linke je Vorwürfe an die Adresse der<br />
KP richten, dann jenen, dass die Partei<br />
zu nachgiebig gegenüber äußeren Herausforderern<br />
sei. 10 In der Dichotomie<br />
von Markt vs. Staat, ausländisch vs.<br />
national, Westen vs. Osten neigen die<br />
Liberalen dazu, jeweils Ersteres zu bevorzugen,<br />
während die neuen Linken<br />
eher zum Zweiten tendieren.<br />
2004 fassten die neuen Liberalen<br />
ihre Polemik gegen die Nationalisten<br />
und die neue Linke in einem Buch mit<br />
9 China copes with globalization. A mixed review,<br />
veröffentlicht vom International Forum<br />
On Globalization, S. 39.<br />
10 Selbstverständlich gibt es VertreterInnen der<br />
neuen Linken, die weniger regierungstreu<br />
sind, aber meist sind sie weniger bekannt. Eine<br />
wichtige Ausnahme ist Wang Hui.<br />
dem Titel „Qian Liu“ (Unter Strom –<br />
Kritik und Überdenken des engen Nationalismus)<br />
zusammen. Einer der Autoren,<br />
Xiao Xuehui, greift darin die<br />
Nationalisten an, weil sie glaubten,<br />
„das ,Macht-geht-vor-Recht-Gesetz<br />
sei noch immer das Grundprinzip dieser<br />
Welt‘ … <strong>Die</strong> Nationalisten sind unfähig,<br />
zu erkennen, dass viele Länder<br />
weltweit einschließlich der USA die<br />
Gesetze (die Weltherrschaft) im Umgang<br />
mit internationalen Angelegenheiten<br />
gerechter, fairer und vernünftiger<br />
gestalten“. 11<br />
Der besser bekannte Liberale Qin<br />
Hu schreibt: „Letztlich bedeutet Liberalismus<br />
Universalismus. Denn wirtschaftliche<br />
Liberalisierung und deren<br />
Unparteilichkeit erfordern, dass alle<br />
Produktionsfaktoren weltweit frei<br />
zirkulieren können … Unter den Bedingungen<br />
des fairen Wettbewerbs<br />
gleicht sich der Ertrag der Produktionsfaktoren<br />
tendenziell aus … Für arme<br />
Länder lohnt es sich mehr, für die<br />
Zirkulationsfreiheit aller Produktionsfaktoren<br />
zu kämpfen <strong>als</strong> gegen den<br />
Freihandel. Der universelle Liberalismus<br />
ist zwangsläufig effizienter in der<br />
Verteidigung nationaler Interessen <strong>als</strong><br />
der Nationalismus.“ 12<br />
<strong>Die</strong> neuen Liberalen unterstützen<br />
aktiv Chinas Beitritt zur WTO. Liu<br />
Junning, ein anderer bekannter liberaler<br />
Professor, schreibt: „Chinas Beitritt<br />
zur WTO wird die chinesischen<br />
Institutionen für Wirtschaftsmanagement<br />
zur Reform zwingen … Wenn<br />
westliche Firmen in großem Stil nach<br />
China kommen, werden sie eine offenere,<br />
fairere Marktwirtschaft fordern<br />
… Der Beitritt zur WTO zwingt<br />
die chinesische Regierung zu mehr<br />
Offenheit in ihrer Strategie und ihrem<br />
Handeln … bedingt durch die marktwirtschaftlichen<br />
Prinzipien der Offenheit<br />
und der Rechenschaftspflicht …<br />
Der WTO-Beitritt setzt ein China voraus,<br />
das nun offiziell in das kapitalistische<br />
Weltsystem integriert ist und<br />
dessen wirtschaftliche und politische<br />
Institutionen vollständig durch Marktwirtschaft<br />
und Demokratie gekennzeichnet<br />
sind.“ 13<br />
Hier handelt es sich um die krudeste<br />
Version von Marktdeterminismus, die<br />
11 Veröffentlicht durch Huadong Shifan Daxue<br />
Chubanshe, 2004, S. 16.<br />
12 Ibid, S. 316f.<br />
13 Beijing Spring, Januar 2000, Hong Kong.<br />
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