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Die ganze Ausgabe als PDF (1928 K) - Inprekorr

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CHINA<br />

sie, trifft es vermutlich zehn Unschuldige.<br />

Wählt man 100 große Mandarine<br />

und macht dasselbe, dann ist vermutlich<br />

nur ein Unschuldiger darunter.<br />

Auch wenn die Zahlen in dem<br />

Witz nicht allzu ernst zu nehmen sind,<br />

drückt er doch den Grad an aktueller<br />

Korruption aus, die die Fähigkeiten<br />

des Staates stark beeinträchtigt. Selbst<br />

wenn eine Politik für sich genommen<br />

gut ist, wird ihre Umsetzung oft durch<br />

die Profitanreize der Bürokratie behindert<br />

oder verdreht, was zu Chaos,<br />

Fehlern und Nachteilen für das Leben<br />

der Bevölkerung führt.<br />

Wenn Probleme auftreten und<br />

sich häufen, werden Beamte nur versuchen,<br />

sie mit allen möglichen Mitteln<br />

zu kaschieren. Es ist ein Gemeinplatz,<br />

dass chinesische Statistiken<br />

nicht vertrauenswürdig sind. <strong>Die</strong> Zahlen<br />

der Handelsbilanz von August<br />

1998 hatten beispielsweise ein Plus<br />

von 20 Milliarden US-Dollar ausgewiesen.<br />

Seltsamerweise hatte die Reserve<br />

an ausländischen Devisen dagegen<br />

nur eine Steigerung um weniger<br />

<strong>als</strong> eine Milliarde US-Dollar ausgewiesen.<br />

<strong>Die</strong>se Unnormalität zeugt<br />

nicht nur von der fehlenden Seriosität<br />

der Statistiken, sondern auch von<br />

der illegalen Kapitalflucht (nicht vertrauenswürdige<br />

Statistiken kaschieren<br />

den <strong>Die</strong>bstahl). <strong>Die</strong> Probleme stauen<br />

sich gewöhnlich bis zu einem Krisenmoment<br />

auf und werden von der Zentralregierung<br />

erst aufgegriffen, wenn<br />

es oft schon zu spät ist. Zudem ist die<br />

Korruption das wichtigste Ärgernis<br />

für die Durchschnittsbevölkerung und<br />

hat unzählige Proteste, Streiks und sogar<br />

Aufstände provoziert. Das Tiananmen-Massaker<br />

ist eine Botschaft an alle<br />

Beamten, dass die Partei dem Druck<br />

des Volks nicht nachgeben wird, selbst<br />

wenn sich solche Vorfälle ereignen.<br />

Praktisch kommt dies einer Art von<br />

mianzui tiejuan 40 oder vorweggenommenen<br />

Entschuldigung der Korruption<br />

der Mandarine gleich. Kein Wunder<br />

<strong>als</strong>o, dass der Appetit der Bürokratie<br />

seit den frühen 90er-Jahren stark gewachsen<br />

ist und sich eine zweite Revolte<br />

von unten zusammenbraut.<br />

Der Kumpanenkapitalismus der<br />

KP Chinas bringt zudem seine eigene<br />

40 Eine Art von eisernem Orden, den der Kaiser<br />

den bevorzugten Ministern verlieh, womit im<br />

Voraus alle Verbrechen entschuldigt wurden, in<br />

die sie verwickelt werden sollten, mit Ausnahme<br />

von Verbrechen wie Verrat.<br />

Finanz- und Wirtschaftskrise hervor.<br />

Niemand weiß beispielsweise genau,<br />

wie viele faule Kredite es im chinesischen<br />

Bankensystem gibt, noch kann<br />

man davon ausgehen, dass die Buchführung<br />

offiziell deklarierter chinesischer<br />

Unternehmen zuverlässig ist.<br />

Wie soll man etwas managen, wovon<br />

man keine Ahnung hat? Der Grund,<br />

warum China 1997 nicht von der Asienkrise<br />

erfasst wurde, ist schlicht,<br />

dass die chinesische Währung Renminbi<br />

(RMB) nicht konvertierbar war.<br />

Jetzt, wo die Regierung die Konvertierbarkeit<br />

plant, sind starke Zweifel<br />

angebracht, ob China eine zweite<br />

Krise eindämmen könnte. Eine Wirtschaftskrise<br />

wird einen weiteren sozialen<br />

Aufstand provozieren, schrieb<br />

der China wohlgesonnene Wissenschaftler<br />

Peter Nolan. 41 Kurzum, die<br />

Bürokratie bereitet durch den <strong>Die</strong>bstahl<br />

an ArbeiterInnen, Bauern/Bäuerinnen<br />

und Staatseigentum selbst den<br />

Boden für wirtschaftliche und soziale<br />

Unruhen.<br />

Erstaunlicherweise ist die Korruption<br />

zwar für Chen Yun ein Hauptanliegen,<br />

aber die meisten bekannten<br />

VertreterInnen der neuen Linken erwähnen<br />

sie eher nur beiläufig. Und<br />

selbst wenn sie darauf eingehen, wiederholen<br />

sie nur die Binsenweisheit<br />

des alten Parteidogmas, dass die oberste<br />

Parteiführung entschlossen gegen<br />

Korruption vorgehen müsse und dass<br />

die Korruption ein Ergebnis der geistigen<br />

Verschmutzung durch den Westen“<br />

oder der Globalisierung sei, weshalb<br />

eine Überprüfung der Partei nötig<br />

sei etc. <strong>Die</strong> wesentlich einfachere<br />

Lösung, nämlich ein Ende der Einparteienherrschaft<br />

und die Einführung<br />

der demokratischen Kontrolle über<br />

die Staatsbürokratie, kommt dagegen<br />

nie vor. Ohne diese Maßnahmen wird<br />

die Bürokratie aber nie daran gehindert<br />

werden können, sich durch Privatisierung<br />

und offene oder verdeckte<br />

Korruption selbst zu bereichern. Das<br />

ist der Bürokratie sehr wohl bewusst,<br />

weshalb sie sich aufs Heftigste jedem<br />

Schritt in Richtung Demokratisierung<br />

von oben oder von unten widersetzt.<br />

Sie verweigert der Bevölkerung alle<br />

Grundrechte, so dass diese völlig ausgeliefert<br />

ist. Doch es gibt immer einen<br />

Punkt, von dem an die weitere Ent-<br />

41 Peaceful Rise or Yellow Peril?, Peter Nolan,<br />

CITIC pacific research advance, 7. April 2006,<br />

S. 11.<br />

eignung nicht mehr geduldet werden<br />

wird, und auf diesen Punkt steuern<br />

wir im Eiltempo zu. <strong>Die</strong> KP Chinas ist<br />

sich dessen bewusst und reagiert darauf<br />

außer durch Repression mit der<br />

zunehmenden Förderung eines Nationalismus,<br />

um von den hausgemachten<br />

Problemen auf äußere Feinde abzulenken.<br />

Das ist allerdings ein Rezept für<br />

internationale Spannungen oder gar<br />

Kriege. <strong>Die</strong>ser Weg bietet der Bevölkerung<br />

keinen Ausweg.<br />

Demokratie von vorrangiger<br />

Bedeutung<br />

Der chinesische Parteienstaat ist allmächtig.<br />

Eine Zivilgesellschaft gibt<br />

es praktisch nicht. <strong>Die</strong> weitere Stärkung<br />

dieses Staats und die Entwicklung<br />

eines Staatskapitalismus und dessen<br />

Aufsicht führen nur zu einer weiteren<br />

Abwärtsspirale im globalisierten<br />

Markt oder schlimmer noch zu Krieg.<br />

Globalisierungskritik auf der Basis<br />

eines chinesischen Nationalismus bestärkt<br />

nur die KP Chinas in ihrem Bemühen,<br />

alle Hindernisse auf dem Weg<br />

zur Hölle auszuräumen. Wer für einen<br />

solchen Kurs eintritt, kann kaum<br />

<strong>als</strong> Neuerer oder <strong>als</strong> links bezeichnet<br />

werden. Es ist die alte nationalistische<br />

Leier. Manche in der neuen Linken<br />

bezeichnen Cui, Han und Yang <strong>als</strong><br />

qiangguo zuopai (linke Nationalisten)<br />

statt <strong>als</strong> neue Linke, um sich von ihnen<br />

abzugrenzen.<br />

Uns ist sehr wohl bewusst, dass zu<br />

berücksichtigen ist, dass alle Chinesen,<br />

die an dieser Diskussion teilnehmen,<br />

unter Zensur nicht unbedingt offen<br />

sprechen können. Dennoch gibt<br />

es auch unter dieser Zensur manche<br />

neue Linke, die <strong>als</strong> ernsthafte MaoistInnen<br />

oder Linke im weiteren Sinn<br />

nicht dem Nationalismus oder Dirigismus<br />

erlegen sind. Wang Hui, ein weiterer<br />

bekannter Exponent der neuen<br />

Linken, gibt sich in seiner Globalisierungskritik<br />

kaum nationalistisch und<br />

sein Beharren auf der aktiven Rolle<br />

der Arbeiterbewegung in sozialen Veränderungen<br />

ist in der neuen Linken eine<br />

Seltenheit. Kuang Xinnian, der <strong>als</strong><br />

Maoist gilt, setzt in vieler Hinsicht auf<br />

die ursprünglich kritische Haltung der<br />

KP Chinas zum Nationalismus und<br />

geht gewissermaßen sogar darüber hinaus,<br />

wenn er schreibt: „Nationalismus<br />

ist eine Art von bürgerlicher Ideologie.<br />

Es ist im Wesentlichen eine Art<br />

48 inprekorr 458/459

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