Die ganze Ausgabe als PDF (1928 K) - Inprekorr
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CHINA<br />
und dem Bezug zum maoistischen Erbe<br />
liegen, auch wenn nicht alle ExponentInnen<br />
alle genannten Punkte teilen.<br />
Wichtige WortführerInnen der<br />
neuen Linken zeigen starke dirigistische<br />
Tendenzen und haben bereits<br />
im Anschluss an das Tiananmen-Massaker<br />
den Einparteienstaat unterstützt,<br />
obwohl es die neue Linke zu diesem<br />
Zeitpunkt noch nicht gab. Während<br />
die neuen Liberalen den Zusammenbruch<br />
der Sowjetunion begrüßten, betrachtet<br />
die neue Linke diesen <strong>als</strong> eine<br />
Katastrophe, ein Schicksal, das China<br />
um jeden Preis zu vermeiden suchen<br />
muss. Ihre Sorge darüber, den multiethnischen<br />
chinesischen Staat mit den<br />
Han <strong>als</strong> dominierender Ethnie zu erhalten,<br />
ist tatsächlich so groß, dass<br />
man sie <strong>als</strong> Hauptanliegen noch vor<br />
allen anderen Werten wie Demokratie<br />
oder Gleichheit bezeichnen könnte.<br />
Ihre Skepsis gegenüber dem Neoliberalismus<br />
und der liberalen Demokratie<br />
leitet sich hauptsächlich aus ihrer<br />
Sorge um „Stabilität“ ab, die sie durch<br />
die Marktreformen, den WTO-Beitritt,<br />
die Einführung von Parlamentswahlen<br />
etc. bedroht sehen. All dies ist<br />
nicht erwünscht, weil es zum Zusammenbruch<br />
des chinesischen Staates<br />
führen könnte. <strong>Die</strong>se Denkweise greift<br />
den unter den Regierungen von Deng<br />
und Jiang ständig wiederholten Slogan<br />
„Stabilität über alles!“ auf. Damit<br />
reagieren sie auf alle Bestrebungen,<br />
die Bewegung des Jahres 1989 zu rehabilitieren,<br />
demokratische Wahlen<br />
oder die Redefreiheit einzuführen. So<br />
lag es auf der Hand, dass sich die ersten<br />
VertreterInnen der neuen Linken<br />
schlicht mit den Behörden verbündeten.<br />
<strong>Die</strong> ersten bekannten Exponenten<br />
der neuen Linken, die darüber geschrieben<br />
haben, waren Wang Shaoguang<br />
und Hu Angang. Während die<br />
Liberalen der Ansicht sind, der Staat<br />
müsse schrumpfen, um das Wachsen<br />
der Marktwirtschaft zu ermöglichen,<br />
behaupten Hu und Wang das Gegenteil.<br />
1993 veröffentlichten sie eine<br />
Studie über die „Kapazitäten des chinesischen<br />
Staates“ 16 , in der sie argumentieren,<br />
für die Marktreformen bedürfe<br />
es eines starken Staates. Sie betonen,<br />
die Einnahmen der Zentralregierung<br />
seien viel zu gering, was<br />
16 Zhongguo guojia nengli baogao, Liaoning People’s<br />
publisher, 1993.<br />
China anfällig für zentrifugale Kräfte<br />
mache, sodass es wie Jugoslawien<br />
enden könne. Während der spezifische<br />
Aspekt der zentralen Einnahmen<br />
ein Punkt ist, auf den einzugehen<br />
sich lohnen könnte, geht es den Autoren<br />
vor allem um etwas anderes. Zwei<br />
Jahre später brachte Hu sein Buch<br />
„Eine Herausforderung für China“ heraus,<br />
in dem er seine Sorge über den<br />
möglichen Kollaps nach Dengs Tod<br />
zum Ausdruck bringt: „<strong>Die</strong> Hauptfrage<br />
ist, ob es China gelingen wird, einen<br />
friedlichen, stabilen Übergang zur<br />
Post-Deng-Ära zu bewerkstelligen …<br />
Mao Zedong wusste, dass die von ihm<br />
initiierte Kulturrevolution sehr unpopulär<br />
war; Deng Xiaoping dagegen<br />
weiß, dass die von ihm initiierte Reform<br />
und Öffnung sehr populär ist …<br />
Doch er weiß, dass es ungesund und<br />
gefährlich ist, wenn das Schicksal<br />
eines Landes von der Autorität einer<br />
oder zweier Einzelpersonen abhängt<br />
… was es noch dringender und wichtiger<br />
macht, den institutionellen Wiederaufbau<br />
zu stärken.“ 17<br />
Seine wichtigste Empfehlung für<br />
den „institutionellen Wiederaufbau“<br />
ist nicht nur die Stärkung der Zentralgewalt<br />
durch eine Steuerreform und<br />
die Ausrottung der Korruption, sondern<br />
auch die Stärkung des gegenwärtigen<br />
Einparteienstaates. Ein anderer<br />
Vertreter der neuen Linken, Cui<br />
Zhiyuan, bezieht sich auf das maoistische<br />
Erbe und fordert „Massenbeteiligung“<br />
und „Wirtschaftsdemokratie“.<br />
Er ist zutiefst skeptisch gegenüber<br />
der liberalen Demokratie und Parlamentswahlen,<br />
die er <strong>als</strong> anfällig für<br />
Manipulationen der Reichen sieht. Er<br />
wirbt für Maos Idee einer AnGang-<br />
Charta <strong>als</strong> bester Alternative. AnGang<br />
ist ein Stahlwerk, das in den 60er-Jahren<br />
die Idee der Arbeiterbeteiligung in<br />
der Unternehmensführung aufbrachte,<br />
bei der die Kader abwechselnd in den<br />
Werkstätten arbeiteten. Das Experiment<br />
wurde von Mao unterstützt, da er<br />
darin einen Ausdruck von wirtschaftlicher<br />
Demokratie sah. Für Cui ist die<br />
AnGang-Charta „der beste Teil an<br />
Maos Denken. Lässt man die Fehler<br />
beiseite, die während der Einführung<br />
der AnGang-Charta gemacht wurden,<br />
ist die Idee der Wirtschaftsdemokratie<br />
noch immer ein Fundus an spiritu-<br />
17 Tao Zhan Zhongguo, 1995, Xin Xinwen Cultural<br />
Ltd. Company, Taipei, Taiwan, S. 248,<br />
272f.<br />
ellen Ressourcen für das China im bevorstehenden<br />
21. Jahrhunderts.“ <strong>Die</strong><br />
AnGang-Charta ist im heutigen China<br />
weitgehend in Vergessenheit geraten,<br />
doch gemäß Cui erlebt sie in Japan<br />
eine Blüte und wurde vom Toyota-Konzern<br />
übernommen, der dank<br />
seiner post-fordistischen Organisation<br />
Elemente von Wirtschaftsdemokratie<br />
zulasse. 18<br />
Toyota <strong>als</strong> Modell von Wirtschaftsdemokratie?<br />
Cui befürwortet Wahlen,<br />
solange Parteipolitik ausgeschlossen<br />
wird, denn durch dieses Verbot „wird<br />
ein Szenario vermieden, in dem Oppositionsparteien<br />
der herrschenden Partei<br />
entgegentreten … <strong>Die</strong> Kommunistische<br />
Partei Chinas hat seit 1943 eine<br />
monistische Parteiführung durchgesetzt.<br />
Das hat zweierlei zur Folge:<br />
Erstens stärkt es die Kontrolle der Partei<br />
(über die Gesellschaft), zweitens<br />
hat es zur Folge, dass die Interessen<br />
der Partei und jene des Landes miteinander<br />
verschmelzen.“ 19<br />
„Verschmelzen“ durch die Ermordung<br />
Hunderter, wenn nicht Tausender<br />
Unschuldiger wie 1989? Aber zurück<br />
zum AnGang-Modell. Zu erwähnen<br />
ist, dass es in AnGang Arbeiterbeteiligung<br />
durch demokratische Wahlen<br />
auf Ebene des obersten Managements,<br />
der Fabrik oder der Werkstätten<br />
nie gegeben hat, sondern nur auf<br />
Ebene der Arbeitsteams. Verglichen<br />
mit den Arbeiterselbstverwaltungsmodellen<br />
im ehemaligen Jugoslawien,<br />
das den ArbeiterInnen die Macht garantierte,<br />
die Unternehmensführung<br />
zu wählen, nimmt sich AnGang sehr<br />
bescheiden aus. Von der Wirtschaftsdemokratie<br />
des AnGang-Experiments<br />
allzuviel Aufhebens zu machen, ist<br />
schlicht lächerlich. Das Experiment,<br />
in dem führende Kader an vorderster<br />
Front arbeiten müssen, ist eine Neuauflage<br />
der alten Vision von Xu You,<br />
der vor mehr <strong>als</strong> 2000 Jahren lebte. Er<br />
befürwortete eine gleichberechtigte<br />
Gesellschaft, in der Könige Seite an<br />
Seite mit einfachen Bauern arbeiten<br />
sollten, um das Land zu bestellen. <strong>Die</strong>se<br />
Vorstellung hat aber nichts mit einer<br />
modernen sozialistischen Vision<br />
zu tun. Letztere sieht eine gleich-<br />
18 The AnGang Charter and Post-Fordism, Dushu,<br />
3 (1996), S. 11−21.<br />
19 The balance sheet of Mao Zedong’s theory of<br />
cultural revolution and the reconstruction of<br />
modernity, HuaXia Wenze, April 1997, http://<br />
www.cnd.org/CR/ZK97/zk117.hz…<br />
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