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Theorie und Praxis Theorie und Praxis - Inwo

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evolution<br />

Nr.13 November 2002<br />

friedlich, mitmenschlich, gerecht, nachhaltig, selbstbestimmt<br />

Euro 2,-<br />

sFr 3,-<br />

Damals wie heute<br />

Der verblüffte Sozialdemokrat 3<br />

World Economic Forum<br />

Gegenveranstaltungen der<br />

GlobalisierungskritikerInnen 11<br />

Veranstaltungsbericht<br />

Der Bildungsgutschein – ein Schritt zu<br />

pädagogischer Freiheit <strong>und</strong> Vielfalt? 22<br />

Wirtschaft <strong>und</strong> Währung in<br />

<strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong><br />

Ordoliberalismus, Neoliberalismus <strong>und</strong> Freiwirtschaft 5<br />

Freiwirtschaft ist mehr als Monetarismus 8<br />

Das Bethel-Geld 14<br />

Porto Alegre – Stadt der zukunftsfähigen Ideen 17


2<br />

Editorial<br />

Editorial<br />

<strong>Theorie</strong>n müssen auch<br />

in der <strong>Praxis</strong> taugen<br />

Von Schopenhauer stammt das<br />

Zitat: "Die Gelehrten sind die,<br />

welche in den Büchern gelesen<br />

haben; die Denker, die Genies,<br />

die Welterleuchter <strong>und</strong><br />

Förderer des<br />

Menschengeschlechts<br />

sind aber<br />

die, welche<br />

unmittelbar<br />

im Buche<br />

der Welt gelesen<br />

haben."<br />

Mag sein,<br />

dass dieser<br />

Philosoph durch sein Lesen im<br />

"Buch der Welt" die pessimistische<br />

Welt- <strong>und</strong> Lebensanschauung<br />

gewonnen hat, die<br />

ihm i. Allg. zugeschrieben<br />

wird.<br />

Auch in unserer Zeit liest sich<br />

die Welt geradezu wie ein<br />

düsterer Krimi, der wenig Anlass<br />

zu Optimismus gibt. Umweltzerstörung,<br />

Armut, Arbeitslosigkeit,<br />

unzählige Krisen,<br />

bereits geführte oder noch<br />

bevorstehende Kriege – das ist<br />

die <strong>Praxis</strong>, die jetzt immer<br />

mehr auch zu uns durchdringt.<br />

Die <strong>Praxis</strong> von heute soll ja<br />

die <strong>Theorie</strong> der Großväter<br />

sein. Betrachtet man die heutige<br />

Wirklichkeit, so haben die<br />

<strong>Theorie</strong>n der führenden Ökonomen<br />

der letzten 150 Jahre<br />

offenbar einige Schwachstellen<br />

aufzuweisen. Dass die Politik<br />

mit den herkömmlichen Wirtschaftslehren<br />

nur unzulänglich<br />

beraten ist, zeigt das oft<br />

so schwierige Lavieren derjenigen,<br />

die diese <strong>Theorie</strong>n zum<br />

Wohle der Gesellschaft in Gesetze<br />

<strong>und</strong> Haushaltsentwürfe<br />

"umzumünzen" haben. Das<br />

wird in Deutschland gerade<br />

wieder deutlich, wo die neue<br />

rot-grüne B<strong>und</strong>esregierung<br />

vom bisher propagierten Eichelschen<br />

Sparkurs abschwenkt,<br />

um nun wieder<br />

durch staatliche Investitionen<br />

eine drohende Rezession abzuwenden.<br />

So geht es überall<br />

hin <strong>und</strong> her. Derzeit kommt<br />

in fast allen Industrieländern<br />

die planmäßige Schuldenmacherei<br />

wieder in Mode.<br />

Die Lage erscheint recht verworren<br />

<strong>und</strong> ausweglos... Ich<br />

denke, wir sollten uns nicht<br />

auf die Theoretiker <strong>und</strong> Ideologen<br />

verlassen, die sich durch<br />

Tatsachen nicht beirren lassen.<br />

Mir sind diejenigen sympathisch,<br />

die "im Buch der<br />

Welt lesen", die sich die Welt<br />

anschauen, wie sie ist, <strong>und</strong><br />

daraus ihre Schlüsse ziehen -<br />

z.B. diejenigen, die die Globalisierung<br />

mit kritischen Augen<br />

verfolgen, u.a. bei ATTAC, z.B.<br />

die sog. post-autistischen Ökonomen,<br />

die die Wirtschaftswissenschaften<br />

aus dem Elfenbeinturm<br />

holen wollen, z.B.<br />

auch ein Reformer wie Silvio<br />

Gesell, der seine Erkenntnisse<br />

als Kaufmann in eigener Anschauung<br />

der wirtschaftlichen<br />

<strong>Praxis</strong> gewonnen hat. Ich<br />

wünsche mir, dass – frei nach<br />

Albert Einstein – das auf Gesell<br />

zurückgehende freiwirtschaftliche<br />

Denken dadurch<br />

gefördert würde, dass es sich<br />

nicht mehr mit Erdachtem abgeben<br />

darf, sondern durch die<br />

Wirklichkeit hindurch muss.<br />

Viel Spaß beim Lesen dieser<br />

r-evolution wünscht<br />

Beate Bockting<br />

Inhalt<br />

Graue (?) <strong>Theorie</strong><br />

3 Der verblüffte Sozialdemokrat -<br />

Eine erste Einführung in die<br />

Freigeldwelt<br />

5 Ordoliberalismus, Neoliberalismus <strong>und</strong><br />

Freiwirtschaft<br />

8 Freiwirtschaft ist mehr als Monetrismus<br />

Aus den Regionalgruppen<br />

10 INWO Deutschland<br />

11 INWO Schweiz<br />

INWO Österreich<br />

13<br />

Bunte <strong>Praxis</strong><br />

14 Das Bethel-Geld<br />

17 Porto Alegre – Stadt der zukunftsfähigen<br />

Ideen<br />

18 Barter – das Geschäft der Gegenwart<br />

<strong>und</strong> Zukunft<br />

20 Gesellschaft (mit-)gestalten – Bericht<br />

vom B<strong>und</strong>es-Tauschring-Treffen<br />

Veranstaltungsbericht<br />

22 Der Bildungsgutschein – ein Schritt zu<br />

pädagogischer Freiheit <strong>und</strong> Vielfalt?<br />

Rubriken<br />

LeserInnen haben das Wort<br />

25<br />

26 Agenda<br />

27 Buchbesprechungen<br />

Liebe AbonnentInnen!<br />

Leider sind unserer Druckerei schon mehrmals Fehler<br />

beim Drucken <strong>und</strong> Zustellen unterlaufen. Wir bitten<br />

Sie daher, uns zu informieren, sollten im Heft Seiten<br />

fehlen o.ä.<br />

Bitte wenden Sie sich in solchen Fällen an Albrecht<br />

Heimbach, E-Mail: albheim@web.de,<br />

Tel.: 0049-(0)9502-921366<br />

evolution • Nr.13 November 2002


<strong>Theorie</strong><br />

Sozialismus <strong>und</strong> Freiwirtschaft<br />

Der verblüffte Sozialdemokrat<br />

Eine erste Einführung in die Freigeldwelt von Juan Acratillo 1675<br />

Heute morgen trat Diego Martinez plötzlich in mein<br />

Büro. Mit offenen Armen lief er mir entgegen. Ich hab's<br />

gef<strong>und</strong>en, rief er, ich hab's gef<strong>und</strong>en, das Rätsel, das<br />

Carlos Marquez nicht lösen konnte, die Frage, warum<br />

der Zins nicht aufkommen konnte, solange wir unser<br />

Geld* nach Gewicht gelten ließen. Ich habe die Frage<br />

gelöst, ich habe es gef<strong>und</strong>en, <strong>und</strong> jetzt wird alles wieder<br />

gut. Hier in diesem dicken Manuskript liegt meine Arbeit.<br />

Morgen schon müssen wir die Baratonen zu einer<br />

Versammlung berufen.<br />

Ich antwortete ihm, daß ich persönlich volles Vertrauen<br />

zu ihm hätte, daß aber die Durchführung einer Währungsreform<br />

in einem Klassenstaat keine so einfache<br />

Sache mehr sei. Die Zeiten wären vorbei, wo man eine<br />

Währungsreform vom volkswirtschaftlichen Standpunkt<br />

aus beurteile. Es handele sich jetzt um eine politische<br />

Frage allerersten Ranges, <strong>und</strong> in der Politik käme man<br />

mit der <strong>Theorie</strong> nicht weit. Er würde jetzt alle diejenigen<br />

Kreise, die durch das bisherige System begünstigt wurden,<br />

zu erbitterten Gegnern haben. Das Kapital <strong>und</strong> die<br />

von ihm beherrschte Presse würden ihn mit allen Mitteln<br />

bekämpfen - <strong>und</strong> was schlimmer sei, auch mit der<br />

Gegnerschaft Carlos Marquez, dem das Proletariat blindlings<br />

ergeben sei, hätte er zu rechnen. Die einen strebten<br />

nach Befestigung ihrer heutigen Stellung; die anderen,<br />

die Ausgebeuteten, strebten nach einem vollkommenen<br />

Umsturz, nach Abschaffung des Privateigentums,<br />

von dem, wie sie behaupten, der Zins untrennbar sei.<br />

...<br />

Doch ließ sich Martinez nicht beirren. Jetzt werde ich<br />

meine Pflicht tun, sagte er.<br />

Der Landtag wurde einberufen. Ich bin von meinem<br />

Berg herabgestiegen, sagte Martinez, um Ihnen eine<br />

frohe Botschaft zu bringen. Ich habe die Frage gelöst,<br />

wie wir diesen unter unseren Augen entstandenen Klassenstaat<br />

wieder zertreten <strong>und</strong> den Greuel in den Staub<br />

werfen können! (Zischen <strong>und</strong> Lärm rechts, Todesstille in<br />

der Mitte, Bravo links.) Glocke des Präsidenten: Herr<br />

Diego Martinez. Sie dürfen hier keine staatsfeindlichen<br />

Reden halten, <strong>und</strong> unsere verfassungsmäßigen Zustände<br />

zu zertreten versprechen. Ich rufe Sie zur Ordnung.<br />

Diego Martinez: Ich habe die Ursache des sozialen<br />

Zerfalles unseres Volkes gef<strong>und</strong>en. Ich weiß, wie es gekommen<br />

ist, daß wir jetzt hier Rentner** <strong>und</strong> Proletarier,<br />

Gr<strong>und</strong>besitzer <strong>und</strong> Prostituierte haben, <strong>und</strong> weiß<br />

auch, wie wir wieder einen Kulturstaat aus dieser Räuberhöhle<br />

machen werden. (Lärm rechts, raus mit dem<br />

Anarchisten! Eisige Kälte in der Mitte, frenetischer Beifall<br />

links.) Glocke des Präsidenten: Herr Martinez, ich<br />

muß Sie zum zweiten Male zur Ordnung rufen.<br />

Diego fortfahrend: Die Ursache des sozialen Zerfalles<br />

ist der Zins (lebhafte Zustimmung links) <strong>und</strong> die Ursache<br />

des Zinses liegt in unserem Geldwesen begründet.<br />

(Oho links <strong>und</strong> Lachen). Weil wir das Geld nicht mehr<br />

nach Gewicht, sondern nach Hohlmaßen zählen, darum<br />

ist unser Volk diesem Elend verfallen<br />

Hier erhob sich von allen Seiten, von links, von rechts<br />

<strong>und</strong> aus der Mitte schallendes Gelächter. Carlos Martinez<br />

rief: Habt ihr alle gehört, weil wir die elenden, gänzlich<br />

nutzlosen Samen der Geldtanne nach Hohlmaßen statt<br />

nach Gewicht verkaufen, darum sind wir dem Kapitalismus<br />

verfallen, darum muß das gewaltige Meer von Kapital,<br />

das in unseren Städten, Fabriken, Bergwerken angelegt<br />

ist, Zins abwerfen, darum der soziale Zerfall. Habt<br />

ihr‘s gehört, Genossen? Nicht "die dem Privateigentum<br />

an den Produktionsmitteln immanente Eigenschaft einer<br />

Mehrwert gebärenden Maschine" führt zur Proletarisierung<br />

des Volkes, zum sozialen Zerfall, sondern der Umstand,<br />

daß wir das Geld nach Hohlmaßen statt nach Gewicht<br />

zählen! (Allgemeine Heiterkeit.) Was doch augenscheinlich<br />

von ebenso tragischer Bedeutung sein muß,<br />

wie wenn wir zur Sitte übergingen, das Geld mit der linken<br />

statt mit der rechten Hand zu zählen (Heiterkeit<br />

links, rechts <strong>und</strong> im Zentrum).<br />

Martinez: Meine Behauptung klingt Laien gewiß recht<br />

spaßhaft. Ist es nicht auch spaßhaft, daß eine Fliege<br />

einen Elefanten töten kann? Marquez selbst nannte einmal<br />

das Geld das Blut der Volkswirtschaft. Warum soll<br />

nun diese Volkswirtschaft nicht ebenso an Blutvergiftung<br />

verenden können, wie der Elefant durch den Mückenstich?<br />

Marquez weiß, daß man den Untergang des Römerreiches<br />

damit erklärt, daß die<br />

spanischen Silberminen, die den Stoff<br />

zu den römischen Münzen lieferten,<br />

nichts mehr hergaben. Warum lacht<br />

Marquez nicht auch zu solcher Behauptung?<br />

Ist denn etwa zwischen<br />

dem Silber <strong>und</strong> Stoffe unseres Geldes<br />

ein so wesentlicher Unterschied? Ist<br />

nicht das Silber einer der unwesentlichsten<br />

Stoffe? Würde man nicht mit<br />

Recht lachen können, wenn jemand<br />

behaupten wollte, das Römerreich<br />

wäre darum zugr<strong>und</strong>e gegangen, weil<br />

die Römer ihre Suppen nicht mehr<br />

mit silbernen Eßlöffeln essen konnten?<br />

Aber das Silber war das Geld der Römer, wie der<br />

Samen der Pinus moneta hier unser Geld darstellt. Das<br />

Römerreich ging darum nicht wegen Mangel an Silber<br />

zugr<strong>und</strong>e, sondern wegen Mangel an Geld. Das Römerreich<br />

ging an Blutarmut zugr<strong>und</strong>e, wie Barataria jetzt an<br />

Blutvergiftung zugr<strong>und</strong>e geht.<br />

Silvio Gesell, 1862-<br />

1930, war als Kaufmann<br />

in Argentinien<br />

tätig, seine Beobachtungen<br />

der dortigen<br />

Wirtschaftskrise führten<br />

zu einer intensiven<br />

Beschäftigung<br />

mit dem Geldsystem.<br />

Sein Hauptwerk "Die<br />

Natürliche Wirtschaftsordnung<br />

durch Freiland <strong>und</strong><br />

Freigeld" erschien<br />

erstmals 1916 in<br />

Bern. "Acratillo" war<br />

ein Pseudonym Gesells.<br />

"Pinus moneta"<br />

3<br />

evolution • Nr.13 November 2002


4<br />

Mit der Bestimmung,<br />

daß unser Geld<br />

nach Hohlmaßen statt<br />

nach Gewicht gezählt<br />

werden sollte, haben<br />

wir unser Geld, unser<br />

Blut vergiftet. Mit der<br />

Annahme dieses Vorschlages<br />

wurde das<br />

Tauschmittel mit dem<br />

Sparmittel verkuppelt.<br />

Eine Mesalliance schlimmster Art. Kuppeln wir einen<br />

Krebs <strong>und</strong> eine Maus zusammen, so bleiben sie stehen,<br />

weil die Maus vorwärts, der Krebs rückwärts will. Und<br />

so ist es mit der Verkuppelung von Tausch- <strong>und</strong> Sparmitteln,<br />

beide ziehen nach entgegengesetzten Richtungen.<br />

Als Tauschmittel will <strong>und</strong> soll das Geld rastlos von Hand<br />

zu Hand gehen, als Sparmittel will es rasten. Marquez<br />

erhob also einen Widerspruch zum allgemeinen Tauschmittel,<br />

<strong>und</strong> diesem Widerspruch verdanken wir es, wenn<br />

Barataria, das Land allgemeiner Billigkeit, sich in ein<br />

Cararia, in ein Land der Teuerung <strong>und</strong> Not verwandelt<br />

hat.<br />

Sobald das Geld zum allgemeinen Sparmittel gemacht<br />

wird, muß die Volkswirtschaft sich im Zeichen des Krebses<br />

entwickeln, bei der die Wucherer <strong>und</strong> Spekulanten<br />

die allgemeine Not ausbeuten. Es wäre ja recht schön,<br />

wenn man das, was Marquez in seinem Wertbewahrer<br />

wähnte, erfinden könnte, nämlich ein Mittel, womit sich<br />

alle Waren konservieren <strong>und</strong> kostenlos aufbewahren ließen.<br />

Aber mit dem Wertbewahrer wurde in Wirklichkeit<br />

nichts bewahrt, nichts konserviert - nur das wurde erreicht,<br />

daß die Kosten der Warenaufbewahrung vom<br />

Geldbesitzer auf die Arbeiter abgewälzt wurden!<br />

Marquez hat einen privatwirtschaftlichen mit einem<br />

volkswirtschaftlichem Nutzen verwechselt, <strong>und</strong> der privatwirtschaftliche<br />

Wertbewahrer verwandelt sich in einen<br />

volkswirtschaftlichen Wertvernichter. Und womit zahlen<br />

wir diese großartige Erfindung? Mit dem Zins <strong>und</strong> dem<br />

Kapitalismus. Da das Tauschmittel zum Sparmittel<br />

wurde, verschwindet es jetzt restlos alle drei Wochen in<br />

den Sparbüchsen, aus denen es immer nur durch Anbietung<br />

eines Sondervorteils hervorgelockt werden kann.<br />

Und wie nennt sich dieser Sondervorteil, Carlos Marquez?<br />

Zins nennt er sich - <strong>und</strong> dieser Zins ist nun zur<br />

universellen selbstverständlichen Forderung geworden,<br />

die an jeden Handel, jede Industrie, jedes Unternehmen<br />

gestellt wird. Alles muß sich rentieren, d. h. es muß<br />

Zins abwerfen, um die Geldsparer zur Hergabe des Geldes<br />

veranlassen zu können. Und darum sage ich: Nicht<br />

das Privateigentum an den Produktionsmitteln, sondern<br />

unser jetziges Geld ist die Mehrwert gebärende Maschine.<br />

Dem Wertbewahrer verdanken wir es, daß unsere<br />

Arbeiter bei einem Zinsfuß von 5% unser Land mit<br />

allem, was wir darauf errichtet haben, alle 20 Jahre einmal<br />

über die Zahltische der Rentner schicken müssen.<br />

Marquez: Genossen, ich muß bekennen, daß die Ausführungen<br />

Diego Martinez, mich unsicher gemacht, ja,<br />

auch verblüfft haben. Wir müssen die Sache gründlich<br />

studieren. Sollte sich ergeben, daß es ein Fehltritt war,<br />

das Tauschmittel mit dem Sparmittel zu verkuppeln, so<br />

werde ich, der diese Verbindung vorschlug, auch der<br />

erste sein, der diese Verbindung wieder zerhauen wird.<br />

Martinez: Das war brav gesprochen <strong>und</strong> macht Dir<br />

<strong>und</strong> Deinen Genossen Ehr.<br />

Präsident: Diego Martinez, ich muß Sie hier zum dritten<br />

Mal zur Ordnung rufen <strong>und</strong> entziehe Ihnen das<br />

Wort. Wir sind hier versammelt, um laut Tagesordnung<br />

Währungsfragen zu behandeln, nicht aber um proletarische<br />

Einigungsaktionen zu erleichtern. Da niemand<br />

sonst sich zum Wort gemeldet hat, erkläre ich hiermit<br />

Schluß der Debatte.<br />

aus: Silvio Gesell, Gesammelte Werke Band 14, Seite 54-57<br />

Silvio Gesell: Gesammelte<br />

Werke in 18 Bänden,<br />

Gauke-Verlag Lütjenburg<br />

1988-1997, 6.538 Seiten,<br />

ISBN 3-87998-410-7<br />

Bestellungen unter:<br />

www.sozialoekonomie.de<br />

Sonderpreis bei Komplettbezug:<br />

310,00 EURO / 595,00<br />

SFR plus 10,00 EURO Versandkosten<br />

* Als Geld dienten im Lande Barataria die Früchte des<br />

"Pinus moneta". Das waren eine Art Pinienzapfen, die<br />

mit der Zeit natürlich austrockneten <strong>und</strong> immer leichter<br />

wurden.<br />

** Als dieser Text entstand, gab es keine "Rentner" im<br />

heutigen Sinn. Sozial- oder Altersrentner waren unbekannt.<br />

Hier sind "Rentiers" gemeint, das sind diejenigen,<br />

die soviel Geldvermögen besitzen, dass sie von den<br />

Zinsen leben können <strong>und</strong> nicht gezwungen sind zu arbeiten.<br />

evolution • Nr.13 November 2002


Ordoliberalismus <strong>und</strong> Freiwirtschaft<br />

Ordoliberalismus,<br />

Neoliberalismus <strong>und</strong> Freiwirtschaft<br />

Eine sich nach 1945 in Westdeutschland entwickelnde,<br />

von mehreren Nationalökonomen <strong>und</strong> Soziologen<br />

repräsentierte Doktrin einer monopolfreien, Chancengleichheit<br />

garantierenden Marktwirtschaft wird als Neoliberalismus<br />

oder auch als Ordoliberalismus bezeichnet.<br />

Sie geht zurück auf die Freiburger Schule. Zu deren bedeutendsten<br />

Vertretern gehören Walter Eucken (1891-<br />

1950) <strong>und</strong> Franz Böhm (1895-1977). Beide lehren an<br />

der Universität Freiburg. Sie erhalten Unterstützung insbesondere<br />

von Alexander Rüstow (1885-1963) <strong>und</strong> Wilhelm<br />

Röpke (1899-1966). Eucken <strong>und</strong> Böhm sind ab<br />

1948 Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats bei der<br />

Verwaltung für Wirtschaft der amerikanischen <strong>und</strong> britischen<br />

Zone <strong>und</strong> später auch beim B<strong>und</strong>esministerium<br />

für Wirtschaft. Der erfolgreiche Wiederaufbau der westdeutschen<br />

Wirtschaft, vor allem in den ersten Jahren, ist<br />

der Tätigkeit dieses Beirats zu verdanken. Die Konzeption<br />

Euckens ist dabei von großer Bedeutung, auch als<br />

Wegbereitung der von Ludwig Erhard realisierten "Sozialen<br />

Marktwirtschaft".<br />

Rechtliche Rahmenordnung für die<br />

Wirtschaft<br />

Schwerpunkte der Konzeption der Freiburger Schule<br />

sind Ordnungstheorie <strong>und</strong> Ordnungspolitik. Eucken forderte<br />

eine ausdrückliche Rahmenrechtsordnung im<br />

Unterschied zum Liberalismus/Kapitalismus<br />

alten<br />

Stils. Der Staat hat die<br />

Aufgabe, den Ordnungsrahmen<br />

zu schaffen,<br />

innerhalb dessen sich die<br />

Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürger<br />

dann frei bewegen können.<br />

In einem mit Hilfe<br />

einer umfassenden Antimonopolgesetzgebung<br />

erreichten<br />

fairen Wettbewerb<br />

soll der Einzelne<br />

über seine wirtschaftlichen<br />

Vorhaben selbst<br />

bestimmen können. Zu<br />

Euckens "konstituierenden<br />

Prinzipien" gehören:<br />

Primat der Währung, Vertragsfreiheit,<br />

Haftungsprinzip für voll verantwortliche<br />

Unternehmer, Konstanz der Wirtschaftspolitik. Hinzu<br />

kommen "regulative Prinzipien": Monopolkontrolle,<br />

Korrektur der Einkommensverteilung, Sozialpolitik zum<br />

Schutze Schwacher <strong>und</strong> die Forderung einer Koordination<br />

von Einzel- <strong>und</strong> Gesamtinteresse, also Verknüpfung<br />

des Individualprinzips mit verpflichtendem Sozialprinzip.<br />

Die ordoliberale Abgrenzung vom Liberalismus/Kapitalismus<br />

alten Stils hat Alexander Rüstow zum Beispiel<br />

mit folgenden Worten deutlich gemacht: "Diese Wirtschaftsform<br />

des traditionellen big-business-Kapitalismus<br />

oder wie man sie sonst nennen will, diese Wirtschaftsform<br />

paläoliberaler 'laissez-faire'-Wirtschaft ist in sich<br />

unstabil <strong>und</strong> führt auf dem Wege der eben angedeuteten<br />

Inkonsequenzen zur Monopolbildung, zu privaten<br />

Machtzusammenballungen..."<br />

Ordoliberale <strong>und</strong> Freiwirtschaftler<br />

Die tonangebenden Ordoliberalen waren einigen Freiwirtschaftlern<br />

gegenüber durchaus aufgeschlossen. Im<br />

Jahre 1945 war der vom NS-Regime verbotene Freiwirtschaftsb<strong>und</strong><br />

neu gegründet worden. Er vertrat die auf<br />

Silvio Gesell (1862-1930) zurückgehende Freiwirtschaftstheorie<br />

<strong>und</strong> fand in der Nachkriegszeit größere<br />

Beachtung, wie hohe Teilnehmerzahlen bei öffentlichen<br />

Veranstaltungen (Tagungen mit über 600 Personen) <strong>und</strong><br />

zahlreiche Presse- <strong>und</strong> R<strong>und</strong>funkberichte zeigen. Auch<br />

wurde er von etlichen Wissenschaftlern, Spitzenpolitikern<br />

<strong>und</strong> wirtschaftlichen Führungskräften wegen der<br />

wissenschaftlich <strong>und</strong> realpolitisch seriösen Argumentation<br />

seiner Denkschriften <strong>und</strong> Eingaben respektiert.<br />

Neben der Monatsschrift "Blätter der Freiheit" erzielten<br />

vor allem drei 1947/48 verfasste Denkschriften des Freiwirtschaftsb<strong>und</strong>es<br />

stärkere Wirkung, auch bei den Neoliberalen,<br />

mit denen sich in den Jahren 1947 bis 1954<br />

<strong>Theorie</strong><br />

Mit der Bezeichnung "Neoliberalismus" hat die wirtschaftliche Entwicklung der letzten zehn Jahre einen<br />

Namen erhalten, der in der Wirtschaftsgeschichte schon für etwas anderes steht: für eine Korrektur des klassischen<br />

Konzeptes des Liberalismus unter deutlicher Abgrenzung vom Laissez-faire-Prinzip (Ungeb<strong>und</strong>enheit,<br />

Treibenlassen) <strong>und</strong> von einer Vermachtung der Wirtschaft.<br />

Josef Hüwe, Jg.<br />

1938, berufliches<br />

Fachgebiet Sozialversicherung.<br />

Seit 1960<br />

befasst mit Gr<strong>und</strong>fragen<br />

der Volkswirtschaft<br />

inkl. Freiwirtschaft.<br />

INWO-Mitglied.<br />

"Eine ethische Besserung des Menschen<br />

kann die Schäden der Ordnung nicht beseitigen...<br />

Die Gesamtordnung sollte so sein,<br />

dass sie den Menschen das Leben nach<br />

ethischen Prinzipien ermöglicht."<br />

Walter Eucken in "Gr<strong>und</strong>sätze der Wirtschaftspolitk"<br />

5<br />

evolution • Nr.13 November 2002


<strong>Theorie</strong><br />

Ordoliberalismus <strong>und</strong> Freiwirtschaft<br />

6<br />

eine fruchtbare Zusammenarbeit ergab. Der Freiwirtschaftler<br />

Otto Lautenbach, der vorübergehend an der ab<br />

1949 von Ludwig Erhard herausgegebenen Zeitschrift<br />

"Währung <strong>und</strong> Wirtschaft" mitwirkte, schuf Anfang 1953<br />

mit der "Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft"<br />

(ASM) einen organisatorischen Rahmen für die Zusammenarbeit<br />

mit den Neoliberalen. (Der Verein besteht<br />

heute noch. Sein Ziel: die Soziale Marktwirtschaft als<br />

freie Wirtschaftsordnung verwirklichen.) Zum damaligen<br />

Beirat gehörten u.a. Franz Böhm <strong>und</strong> Alexander Rüstow.<br />

Ehrenmitglieder waren Ludwig Erhard <strong>und</strong> Wilhelm<br />

Röpke. Punkt 2 der programmatischen Richtlinien der<br />

ASM lautete: "Der freie Leistungswettbewerb ist unvereinbar<br />

mit monopolistischen Machtgebilden jeder Art, er<br />

ist deshalb unter den Schutz des Gesetzes zu stellen. Die<br />

natürlichen Monopole sind durch die Rechtsordnung<br />

unschädlich zu machen; solange die übrigen Monopole<br />

dem Wettbewerb bei freier <strong>und</strong> stetiger Kapitalbildung<br />

nicht unterliegen, ist ihr Entstehen durch die Rechtsordnung<br />

zu unterbinden." Insbesondere zwei Tagungsprotokolle<br />

aus den Jahren 1951/52 - Magna Charta der sozialen<br />

Marktwirtschaft <strong>und</strong> Das Programm der Freiheit –<br />

dokumentieren die Kooperation von Freiwirtschaftlern<br />

<strong>und</strong> prominenten ordoliberalen Gästen. Beide Seiten<br />

sahen in einer freien <strong>und</strong> sozial gerechten Marktwirtschaft<br />

vor allem auch ein entscheidendes F<strong>und</strong>ament<br />

der Demokratie <strong>und</strong> eines freien Europa. Und man war<br />

sich auch folgender Aussage Euckens bewusst: "Eine<br />

ethische Besserung des Menschen kann die Schäden<br />

der Ordnung nicht beseitigen...Die Gesamtordnung<br />

sollte so sein, dass sie den Menschen das Leben nach<br />

ethischen Prinzipien ermöglicht."<br />

Im Laufe der Zusammenarbeit traten neben den Gemeinsamkeiten<br />

aber auch die unterschiedlichen Positionen<br />

deutlicher hervor. Die Vertreter der Freiwirtschaftstheorie<br />

versuchten vergeblich, die Neoliberalen<br />

dafür zu gewinnen, Euckens konstituierende Prinzipien<br />

zu ergänzen mit der Forderung einer Umlaufsicherung<br />

des Geldes <strong>und</strong> eines sozialen Bodenrechts, um damit<br />

die aus freiwirtschaftlicher Sicht nötigen Bedingungen<br />

für ein selbstregulatives Gleichgewicht zu schaffen, um<br />

auf diesem Wege eine Verknüpfung von Individual- <strong>und</strong><br />

Sozialprinzip zu erreichen. Der Einfluss der Freiwirtschaftler<br />

ist nach dem Tode Lautenbachs (Juli 1954)<br />

schnell zurückgegangen.<br />

Verdrängung der Ordnungspolitik<br />

Auch der Einfluss der Neoliberalen auf die Politik<br />

ging allmählich immer mehr zurück. Ludwig Erhard<br />

konnte nur eine von A. Müller-Armack unter deutlicher<br />

Abgrenzung von Euckens ordoliberalem Konzept entworfene<br />

marktwirtschaftliche Variante, eine "sozial gesteuerte"<br />

Marktwirtschaft, realisieren, für die sich der Name<br />

"Soziale Marktwirtschaft" einbürgerte. Eine umfassende<br />

Antimonopol-Gesetzgebung vermochte er nicht durchzusetzen.<br />

DER SPIEGEL schrieb am 9.9.1953: "Während<br />

die Oppositionsparteien in der Adenauerschen Außenpolitik<br />

ein dankbares Feld für ihre Kritik fanden, stießen<br />

Erhards freiwirtschaftliche Ideen in seiner eigenen Umgebung<br />

auf Hemmnisse. Auch im Kabinett." Später entwertete<br />

Erhard sogar Euckens Entwurf mit Kompromissen,<br />

durch Relativierung der ordnungspolitischen<br />

Gr<strong>und</strong>pfeiler. In der Folge nahmen private <strong>und</strong> staatliche<br />

Vermachtung der Wirtschaft immer mehr zu.<br />

Zwei "Neoliberalismen"<br />

Noch weiter entfernt vom Neoliberalismus der Freiburger<br />

Schule ist die heutige wirtschaftliche Entwicklung,<br />

ja sie verläuft entgegengesetzt zu dem, was die<br />

alten Neoliberalen wollten, deren Position auf der Mitte<br />

zwischen zwei Extremen liegt, zwischen der primär<br />

wohlfahrtsstaatlich orientierten alten Sozialdemokratie<br />

<strong>und</strong> dem heutigen ungeordneten Neoliberalismus, der<br />

nur einen Minimalstaat vorsieht, also möglichst keine<br />

evolution • Nr.12 Nr.13 November Oktober 2002


politischen Interventionen, auch<br />

keine bewusste Einflussnahme auf<br />

die institutionelle Rahmenordnung -<br />

im Gegenteil, eher die Politik zur<br />

Erfüllungsgehilfin der Märkte degradieren<br />

möchte. Das falsche Etikett,<br />

das die Fachliteratur (u.a. Arbeiten<br />

des britischen Soziologen Anthony<br />

Giddens) nach dem Zusammenbruch<br />

der sozialistischen<br />

Staaten Osteuropas dem sich weltweit<br />

ausdehnenden so genannten<br />

Marktf<strong>und</strong>amentalismus aufgeklebt<br />

hat, lässt sich wohl kaum wieder<br />

entfernen. Daher ist es wichtig,<br />

deutlich zwischen den zwei "Neoliberalismen"<br />

zu unterscheiden. Einige Kritiker des heutigen<br />

Neoliberalismus greifen -offenbar ohne es zu wissen<br />

- die Kritik des damaligen Ordoliberalismus am alten Liberalismus/Kapitalismus<br />

auf <strong>und</strong> versuchen, früher bereits<br />

aufgezeigte Lösungswege nochmals herzuleiten.<br />

Bewusste Rückbesinnung auf die Vorleistungen der<br />

neo-(ordo-)liberalen Freiburger Schule, ergänzt durch<br />

die freiwirtschaftlichen Vorschläge für eine Reform der<br />

Geld- <strong>und</strong> Bodenordnung, würde Anregungen für ein<br />

Denken in Ordnungen vermitteln, das unerlässlich ist,<br />

wenn der globale Markt ein menschliches Gesicht erhalten<br />

soll, wie es UNO-Generalsekretär Kofi Annan 1999<br />

beim Weltwirtschaftsforum in Davos gefordert hat.<br />

"Bewusste Rückbesinnung auf die Vorleistungen<br />

der Freiburger Schule, ergänzt durch<br />

die freiwirtschaftlichen Vorschläge, würde<br />

Anregungen für ein Denken in Ordnungen<br />

vermitteln, das unerlässlich ist, wenn der<br />

globale Markt ein menschliches Gesicht erhalten<br />

soll."<br />

Quellenverzeichnis:<br />

Böhm, Franz: Wirtschaftsordnung <strong>und</strong> Staatsverfassung.<br />

1950.<br />

Eucken, Walter: Gr<strong>und</strong>lagen der Nationalökonomie.<br />

1950.<br />

Eucken, Walter: Gr<strong>und</strong>sätze der Wirtschaftspolitik. rororo<br />

1959.<br />

Freiwirtschaftsb<strong>und</strong>: Magna Charta der sozialen Marktwirtschaft.<br />

1952. Vorträge von Ernst Winkler, Alexander<br />

Rüstow, Werner Schmid <strong>und</strong> Otto Lautenbach vom 9.<br />

<strong>und</strong> 10. November 1951.<br />

Freiwirtschaftsb<strong>und</strong>: Das Programm der Freiheit. Wortlaut<br />

der Vorträge am 6. u. 7.11.1952.<br />

Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft: Tagungsprotokolle<br />

aus 1953.<br />

Schmid, Werner: Neoliberalismus <strong>und</strong> Freiwirtschaft. Zürich<br />

1957.<br />

Winkler, Ernst: Freiheit? – Die zentrale Frage im politischen<br />

Ringen um eine gerechte Sozialordnung. 1980.<br />

Giddens, Anthony: Jenseits von Links <strong>und</strong> Rechts. Die<br />

Zukunft radikaler Demokratie. 1994/97.<br />

Lenel, Hans Otto: Über die Freiburger Schule <strong>und</strong> ihre<br />

Bedeutung für die Wirtschaftspolitik. In: Fragen der<br />

Freiheit, Heft 251, Juli-Sept. 1999.<br />

- Renner, Andreas: Die zwei "Neoliberalismen". In: Fragen<br />

der Freiheit, Heft 256, Okt.-Dez. 2000.<br />

7<br />

evolution • Nr.13 November 2002


<strong>Theorie</strong><br />

Monetarismus <strong>und</strong> Freiwirtschaft<br />

Freiwirtschaft ist mehr<br />

als Monetarismus<br />

Eine Gegenüberstellung<br />

8<br />

Eberhard Knöller, Jg.<br />

1933. Diplom-Straßenverkehrsingenieur,<br />

Kinesiologe.<br />

Deutscher, verheiratet,<br />

in Bern/Schweiz<br />

seit 1962.<br />

Freiwirtschaftler seit<br />

1974, ehemals Präsident<br />

der freiwirtschaftlichen<br />

Liberal-<br />

Sozialistischen Partei<br />

LSP der Stadt Bern<br />

(INWO-Vorgängerin),<br />

Verfasser zahlreicher<br />

freiwirtschaftlichgeldtheoretischer<br />

Artikel.<br />

Gelegentlich wird die Freiwirtschaftslehre als "Monetarismus" bezeichnet. Diese Gleichsetzung<br />

ist keineswegs gerechtfertigt <strong>und</strong> kann zu folgenschweren Verwechslungen führen.<br />

Die Freiwirtschaft schließt den Monetarismus mit ein, will jedoch seine Nachteile vermeiden<br />

<strong>und</strong> geht – aufgr<strong>und</strong> ihrer eingehenden Analyse der Wirtschaftszusammenhänge <strong>und</strong> deren<br />

konsequenter Umsetzung – weit über ihn hinaus. Die Übereinstimmung der beiden Wirtschaftslehren<br />

bezieht sich nur auf eine zielbewusste Steuerung der Geldmenge zum Erreichen<br />

eines festen Preisstandes im Rahmen einer freien Marktwirtschaft. Doch bezüglich der<br />

übrigen Wirtschaftsgrößen gehen sowohl die Zielsetzung wie auch die Beurteilung der<br />

Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> die geforderten Maßnahmen gr<strong>und</strong>legend auseinander. Dies zeigt die<br />

nachstehende Gegenüberstellung, die auf Lexikon-Angaben <strong>und</strong> eigenen Ergänzungen beruht.<br />

Monetarismus<br />

(nach Milton Friedman, *1912)<br />

Zielsetzung<br />

zielt ab auf stetiges Wirtschaftswachstum in einer<br />

freien Marktwirtschaft mit festem Preisniveau;<br />

dabei soll – unausgesprochen – die Kapitalrendite<br />

(Zins) gesichert werden, um das Kreditangebot für die<br />

Wirtschaft <strong>und</strong> dadurch zugleich auch den Geldumlauf<br />

aufrecht erhalten zu können;<br />

Gr<strong>und</strong>lagen<br />

Freiwirtschaft<br />

("Natürliche Wirtschaftsordnung"<br />

nach Silvio Gesell, 1862–1930)<br />

zielt ab auf eine ausbeutungsfreie Marktwirtschaft<br />

durch Aufhebung des Interessengegensatzes zwischen<br />

Arbeitenden <strong>und</strong> Kapitalgebern, indem sie<br />

die versteckten Zwangsmechanismen der immer noch<br />

feudalistischen Wirtschafts- <strong>und</strong> Eigentumsordnung organisch<br />

zu überwinden sucht, die sich in den Privatmonopolen<br />

Zins <strong>und</strong> private Gr<strong>und</strong>rente als ungerechten<br />

Bereicherungsmöglichkeiten der Vermögenden <strong>und</strong><br />

damit verb<strong>und</strong>ener Schmälerung des Arbeitsertrags der<br />

Arbeitenden äußert;<br />

erstrebt zugleich eine krisenfreie Wirtschaft mit<br />

Vollbeschäftigung bei gleichbleibendem Geldwert,<br />

ohne Wirtschaftswachstum ausdrücklich anzustreben;<br />

vertraut – bei funktionsfähigem Wettbewerb – auf die<br />

Selbstheilungskräfte des Marktes;<br />

geht von einem gr<strong>und</strong>sätzlich stabilen Wirtschaftsablauf<br />

aus <strong>und</strong> führt Wachstums- <strong>und</strong> Konjunkturzyklen<br />

auf exogene (von außerhalb der Wirtschaft stammende)<br />

Einflüsse zurück;<br />

geht – anknüpfend an die Quantitätstheorie des Geldes<br />

– aus von einem engen Zusammenhang zwischen der<br />

Entwicklung der Geldmenge <strong>und</strong> der des nominalen<br />

Bruttoinlandprodukts <strong>und</strong> stellt daher die Geldpolitik<br />

ins Zentrum der wirtschaftspolitischen<br />

Steuerung;<br />

hält die Selbstheilungskräfte des Marktes für<br />

gr<strong>und</strong>legend gestört, solange Geldbesitzer nicht dem<br />

gleichen Wertverlust ausgesetzt sind, dem Anbieter von<br />

Waren <strong>und</strong> Arbeitskraft von Natur aus unterliegen;<br />

geht deshalb – unter heutigen Gegebenheiten – von<br />

einem gr<strong>und</strong>sätzlich instabilen Wirtschaftsablauf aus<br />

<strong>und</strong> führt Konjunkturstörungen auf endogene (von<br />

innerhalb der Wirtschaft stammende) Einflüsse zurück,<br />

die wesentlich auf zeitweiliger, vom Zinsniveau abhängiger<br />

Geldzurückhaltung der Anleger (Geldhortung,<br />

Anlagestreik) beruhen;<br />

hält – ebenfalls auf der Gr<strong>und</strong>lage der Quantitätstheorie<br />

des Geldes – die Sicherung eines ungestörten, stetigen<br />

Geldumlaufs für ausschlaggebend, um einen stabilen<br />

Geldwert dauerhaft zu erreichen <strong>und</strong> gleichzeitig<br />

das Zinsniveau nachhaltig zu senken;<br />

erkennt im Zwang zur Kapitalrendite (Zins) zugleich einen<br />

automatischen Zwang zum Wirtschaftswachstum;<br />

evolution • Nr.13 November 2002


<strong>Theorie</strong><br />

Monetarismus <strong>und</strong> Freiwirtschaft<br />

Maßnahmen<br />

verfolgt den Abbau gesetzlicher Einschränkungen der<br />

Privatwirtschaft (Deregulierung) <strong>und</strong> den Verzicht auf<br />

konjunktur- <strong>und</strong> wirtschaftspolitische Maßnahmen, um die<br />

Selbstheilungskräfte des Marktes zu sichern;<br />

fordert eine konstante Ausdehnung der Geldmenge<br />

entsprechend der wachsenden Güterproduktion, um stetiges<br />

Wirtschaftswachstum bei stabilem Geldwert zu erreichen;<br />

Nebenkennzeichen<br />

lehnt – im Vertrauen auf eine Selbststeuerung der Marktkräfte<br />

– Währungspolitik (Zins- <strong>und</strong> Devisenkontrolle) <strong>und</strong><br />

weitere staatliche Einflussnahme auf die Wirtschaft ab;<br />

Vor- <strong>und</strong> Nachteile<br />

verzichtet auf Maßnahmen einer Vollbeschäftigungspolitik,<br />

<strong>und</strong> nimmt eine nicht reduzierbare "natürliche Arbeitslosenquote"<br />

in Kauf;<br />

nimmt keine Rücksicht auf zunehmende Verschuldung<br />

<strong>und</strong> ansteigende Zinsströme, welche die Gesellschaft<br />

immer stärker in Arm <strong>und</strong> Reich spalten;<br />

nimmt – beim Verfolgen stetigen Wirtschaftswachstums –<br />

keine Rücksicht auf Grenzen der Machbarkeit <strong>und</strong><br />

auf die Umwelt;<br />

fordert einerseits eine wiederkehrende, prozentuale Abgabe<br />

auf flüssige Geldmittel als Umlaufsicherung des Geldes<br />

("Freigeld"), um es dem gleichen Angebotsdruck zu unterstellen,<br />

dem Waren <strong>und</strong> nicht eingesetzte Arbeitskraft<br />

unterliegen <strong>und</strong> um dadurch Geldhortung kostspielig zu<br />

machen <strong>und</strong> Geldumlauf <strong>und</strong> Kreditangebot zu verstetigen;<br />

verlangt andererseits die Umwandlung des privaten Eigentumsrechts<br />

am reinen Boden in ein wiederkehrend<br />

kostenpflichtiges privates Nutzungsrecht ("Freiland")<br />

unter Beibehaltung des Privateigentums an den darauf<br />

vorhandenen Einrichtungen (Gebäude, Anlagen) <strong>und</strong><br />

will so die Gr<strong>und</strong>rente Staat <strong>und</strong> Gemeinden zuleiten;<br />

passt die ausgegebene Geldmenge laufend der Wertschöpfung<br />

der Wirtschaft an, so dass – in Verbindung mit der<br />

durch die Umlaufsicherung verstetigten Umlaufgeschwindigkeit<br />

des Geldes – ein gleichbleibendes Preisniveau<br />

<strong>und</strong> damit ein stabiler Geldwert gewährleistet sind;<br />

hält Währungspolitik <strong>und</strong> staatliche Einflussnahme auf die<br />

Wirtschaft für nicht erforderlich, da stetiger Geldumlauf<br />

<strong>und</strong> stetiges Kreditangebot eine stabile Wirtschaft gewährleisten<br />

würden;<br />

erwartet aufgr<strong>und</strong> des stetigen Geldumlaufs den Abbau<br />

von Konjunkturschwankungen <strong>und</strong> der damit verb<strong>und</strong>enen<br />

konjunkturell bedingten Arbeitslosigkeit;<br />

rechnet – bei konstanter Wirtschaftsleistung – mit einem<br />

Rückgang des Zinssatzes gegen null;<br />

schafft – durch die organische Senkung des Zinsniveaus<br />

<strong>und</strong> die Abschöpfung der Gr<strong>und</strong>rente zugunsten der<br />

Allgemeinheit – die Voraussetzung für den Abbau der<br />

enormen allgemeinen Verschuldung <strong>und</strong> der sie begleitenden<br />

Zinsströme <strong>und</strong> beseitigt dadurch die wesentlichen<br />

Ursachen der zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft<br />

in Arm <strong>und</strong> Reich;<br />

sieht deshalb auch den ungeschmälerten Arbeitsertrag für<br />

die Arbeitenden gesichert;<br />

Grenzen wirtschaftlicher Machbarkeit <strong>und</strong> die Schonung<br />

der natürlichen Umwelt können leichter berücksichtigt<br />

werden, weil nicht notwendigerweise Wirtschaftswachstum<br />

angestrebt wird;<br />

9<br />

Literaturangaben:<br />

- Encarta Enzyklopädie Plus 2000 (auf CD)<br />

- Brockhaus 2000 (auf CD)<br />

- Der große Brockhaus. Leipzig 1930.<br />

- Schweizer Lexikon. Encyclios-Verlag, Zürich 1946.<br />

evolution • Nr.13 Noveber 2002


10<br />

DEUTSCHLAND<br />

Liebe Mitglieder, liebe Fre<strong>und</strong>innen<br />

<strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e der INWO!<br />

Am 31. August dieses Jahres bin ich zum neuen 1. Vorsitzenden<br />

der INWO Deutschland gewählt worden. Ich<br />

übernehme dieses Amt von meiner langjährigen Vorgängerin<br />

Wera Wendnagel, der gegenüber ich auch an dieser<br />

Stelle meinen Respekt, meine Wertschätzung <strong>und</strong> im<br />

Namen aller unserer Mitglieder <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e meinen<br />

Dank für ihre geleistete Arbeit zum Ausdruck bringen<br />

möchte.<br />

Zu meiner Person: geboren wurde ich 1958 in Lübeck.<br />

Nach Schulbesuch <strong>und</strong> kaufmännischer Ausbildung<br />

habe ich von 1979-82 in Hamburg an der Hochschule<br />

für Wirtschaft <strong>und</strong> Politik studiert. Danach folgte bis<br />

1985 ein Aufbaustudium der Volkswirtschaftslehre an<br />

der Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Ich bin also<br />

Volkswirt. Nach 3-jähriger Assistentenzeit an der Uni<br />

Bremen wurde ich 1989 mit einer Arbeit über Kapitaltheorie<br />

zum Dr. rer.pol. promoviert. Zwischenzeitlich,<br />

nämlich 1988, begann eine über zweijährige Referendarausbildung<br />

bei der<br />

Deutschen B<strong>und</strong>esbank.<br />

Das Zweite Staatsexamen<br />

habe ich dort 1990 abgelegt.<br />

Als Beamter des<br />

höheren Dienstes <strong>und</strong><br />

wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />

war ich in der<br />

volkswirtschaftlichen Abteilung<br />

der Landeszentralbank<br />

in Hessen tätig<br />

<strong>und</strong> war dort mit Aktuellem<br />

<strong>und</strong> Theoretischem<br />

der Geldpolitik <strong>und</strong> der<br />

nationalen <strong>und</strong> internationalen<br />

Finanzmärkte<br />

befasst. Seit 1994 bin<br />

ich Professor für VWL<br />

<strong>und</strong> Finanzdienstleistungen<br />

an der Fachhochschule<br />

Nordostniedersachsen<br />

in Lüneburg.<br />

Nach mehrjähriger Gremienarbeit<br />

u.a. in Fachbereichsrat<br />

<strong>und</strong> Senat wurde ich Anfang Oktober 02<br />

zum Dekan des Fachbereichs Wirtschaft gewählt. Neben<br />

meiner Tätigkeit als Hochschullehrer arbeite ich für die<br />

IHK <strong>und</strong> die Berufsakademie in Lüneburg als freiberuflicher<br />

Dozent. Einen kleinen Einblick in meine Tätigkeit<br />

können Sie sich auf meiner(dienstlichen) Internetseite<br />

http://www.fhnon.de/fbw/Mitarbeiter/HauptamtlichLehrende/huth/frameset.html<br />

verschaffen. Vor fast zwei<br />

Jahren bin ich mit einer (zugegeben: sehr theoretischen<br />

<strong>und</strong> wohl auch daher kaum beachteten) Buchveröffentlichung<br />

hervorgetreten, die als Synthese der Gedanken<br />

von Gesell <strong>und</strong> Keynes angelegt ist.<br />

Ich bin seit kurzem geschieden <strong>und</strong> habe drei Kinder<br />

(9, 7 <strong>und</strong> 5 Jahre). Außer bei etwas sportlicher <strong>und</strong><br />

kulturkonsumierender Aktivität finde ich Entspannung<br />

bei der Pflege <strong>und</strong> dem Ausbau meiner kleinen Bibliothek<br />

ökonomischer Klassiker.<br />

Wie komme ich in gesellianisches oder freiwirtschaftliches<br />

Fahrwasser? Nun, ich verfolgte seit der durch Keynes-Lektüre<br />

vermittelten Bekanntschaft mit Gesell seit<br />

Mitte/Ende der 80er Jahre das freiwirtschaftliche Engagement<br />

mit zunehmender Sympathie. Mittlerweile habe<br />

ich Kinder, beruflich (fast) alles erreicht <strong>und</strong> sehe mit<br />

großem Unbehagen <strong>und</strong> Sorge die Spuren, die die von<br />

ihren Verfechtern wohl, so scheint es, als grenzenlos<br />

betrachtete "Neu-Ökonomisierung"-Globalisierung-<br />

Kommerzialisierung-Mammonisierung hinterlässt.<br />

Eine andere, am Maß des Menschen orientierte, gleichwohl<br />

freiheitliche <strong>und</strong> effiziente Wirtschaftsordnung ist<br />

möglich.<br />

Ein Weg zu ihr, liebe Mitglieder, liegt bei uns, der<br />

INWO, <strong>und</strong> unseren Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Verbündeten.<br />

Was habe ich bislang getan? Einige von Euch/Ihnen<br />

werden mich vielleicht als Referenten beim Seminar für<br />

freiheitliche Ordnung oder der Sozialwissenschaftlichen<br />

Gesellschaft kennen gelernt haben, andere haben mich<br />

vielleicht als Autor in der Zeitschrift für Sozialökonomie<br />

entdeckt.<br />

Was habe ich vor? Ich möchte sowohl als einer ihrer<br />

"Repräsentanten" als auch als einer ihrer "Theoretiker"<br />

natürlich in allererster Linie der INWO, aber hier <strong>und</strong><br />

da auch befre<strong>und</strong>eten Organisationen zur Verfügung<br />

stehen. Ich möchte z.B. in Seminaren, am liebsten in<br />

der Silvio-Gesell-Tagungsstätte, unseren jungen MitstreiterInnen<br />

das volks- <strong>und</strong> finanzwirtschaftliche Rüstzeug<br />

mit auf den Weg geben, das sie brauchen werden, wenn<br />

unsere Ideen gesellschaftliche Relevanz gewinnen sollen.<br />

Ich möchte z.B. vielleicht eine Gesell-Konferenz in<br />

meiner Hochschule veranstalten, nicht nur für WissenschaftlerInnen,<br />

sondern für alle Interessierten. An<br />

Ideen mangelt es weniger, es mangelt mehr an Mitteln:<br />

man wird sehen, ob wir dies zum Besseren werden<br />

wenden können.<br />

Ich hoffe, das in mich gesetzte Vertrauen rechtfertigen<br />

zu können. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit<br />

Ihnen, liebe Mitglieder, <strong>und</strong> mit meinen geschätzten<br />

VorstandskollegInnen Alexander Woitas, Hannes Eichinger,<br />

Alwine Schreiber-Martens <strong>und</strong> Bernhard Thomas,<br />

die Sie im letzten Heft bereits kennen gelernt haben.<br />

Mit den befre<strong>und</strong>eten Organisationen in Deutschland<br />

<strong>und</strong> unseren "Bruderorganisationen" in Österreich <strong>und</strong><br />

der Schweiz hoffe ich auf solidarisches Zusammenwirken<br />

<strong>und</strong> fruchtbaren Meinungsaustausch. Und ich wünsche<br />

Ihnen <strong>und</strong> uns Mut, Kraft <strong>und</strong> Entschlossenheit bei<br />

unserer Arbeit.<br />

Ihr<br />

Thomas Huth<br />

evolution • Nr.13 November 2002


Betr.: Die INWO als Mitglied im Oltner Bündnis*<br />

Das Oltner Bündnis, ein Zusammenschluss verschiedener globalisierungskritischer Organisationen<br />

in der Schweiz, wird am 25. Januar 2003 eine Demonstration in Davos gegen das Jahrestreffen<br />

des World Economic Forum durchführen.<br />

Grünes Licht für Demonstration<br />

gegen Weltwirtschaftsgipfel<br />

Die Bündner Behörden kommen den Globalisierungs-Kritikern<br />

entgegen: Sie geben grünes Licht<br />

für eine Demonstration gegen das Davoser World<br />

Economic Forum (WEF) auf dem Parsennparkplatz.<br />

Zudem soll die K<strong>und</strong>gebung direkt ins Davoser Kongresszentrum<br />

übertragen werden. Allerdings ist die Zahl<br />

der Demonstrationsteilnehmer aufgr<strong>und</strong> der geografischen<br />

Bedingungen in Davos <strong>und</strong> auf den Zufahrtswegen<br />

begrenzt.<br />

In Anwesenheit der beiden Regierungsräte des Kantons<br />

Graubünden, Klaus Huber <strong>und</strong> Stefan Engler, sowie dem<br />

Landammann der Landschaft Davos, Erwin Roffler, zeigten<br />

sich die Bündner Behörden gegenüber einer von<br />

der St. Galler Nationalrätin Pia Hollenstein angeführten<br />

Delegation von Globalisierungs-Kritikern des Oltner<br />

Bündnis entgegenkommend. Insbesondere wurde dem<br />

Wunsch stattgegeben, den Demonstrationsstandort<br />

näher beim Davoser Kongresshaus festzusetzen.<br />

Als Gegenleistung für ihr Entgegenkommen erwarten<br />

die Bündner Behörden von den Organisatoren der Demonstration<br />

ein klares Bekenntnis zum Gewaltverzicht<br />

sowie die Anreise der K<strong>und</strong>gebungsteilnehmer in öffentlichen<br />

Verkehrsmitteln. Die anwesenden Globalisierungs-Kritiker<br />

versicherten, dass auch sie an einer gewaltfreien<br />

Demonstration in Davos interessiert seien,<br />

forderten jedoch, die Zahl der Demonstrationsteilnehmer<br />

nicht zu begrenzen. Die beiden Parteien begrüßten<br />

in der Folge die Offenheit des Treffens <strong>und</strong> kamen überein,<br />

die gegenseitigen Gespräche über eine Demonstration<br />

gegen das WEF weiterzuführen.<br />

(siehe www.wef.gr.ch)<br />

"Public Eye" in Porto Alegre<br />

"The Public Eye on Davos" ist eine Gegenkonferenz<br />

zum Weltwirtschaftsforum, die parallel zu<br />

diesem in Davos stattfindet. Organisiert wird<br />

diese Konferenz von der "Erklärung von Bern"<br />

(EvB), die wie die INWO Mitglied im Oltner<br />

Bündnis ist.<br />

Am 23. September 2002 wurde in Porto Alegre, Brasilien,<br />

das Weltsozialforum 2003 lanciert. Dieses findet<br />

vom 23. bis 28. Januar 2003 zum dritten Mal in Porto<br />

Alegre statt. Erwartet werden über 100.000 TeilnehmerInnen,<br />

größtenteils Delegierte von sozialen<br />

Bewegungen aus aller Welt. An der Auftaktveranstaltung<br />

in Porto Alegre nahmen auch zwei Vertreter der EvB teil.<br />

Durch die Einladung der EvB als Organisatorin der<br />

internationalen Konferenz "The Public Eye on Davos"<br />

brachten die Verantwortlichen des Weltsozialforums die<br />

gemeinsame Anstrengung für Alternativen zur einseitig<br />

wirtschaftlichen Globalisierung zum Ausdruck. "Der<br />

Geist von Porto Alegre wird das Packeis von Davos zum<br />

Schmelzen bringen", sagte Andreas Missbach von der<br />

EvB in seiner Grußbotschaft. Die "Public Eye"-Konferenz<br />

wird vom 23. bis 27. Januar 2003 zum vierten Mal, diesmal<br />

wieder in Davos, stattfinden <strong>und</strong> die Konzernchefs<br />

am Weltwirtschaftsforum mit den Forderungen der Zivilgesellschaft<br />

konfrontieren.<br />

SCHWEIZ<br />

11<br />

Abschied von Gabriele Frenking<br />

Mit großer Erschütterung, aber immer noch hoffnungsvoll,<br />

haben wir im September die schwere Erkrankung<br />

unserer hochgeschätzten Fre<strong>und</strong>in Gabriele<br />

Frenking verfolgt. Leider wurden unsere Hoffnungen,<br />

unsere Wünsche <strong>und</strong> Gebete nicht erfüllt. So müssen<br />

wir tiefbetrübt allen freiwirtschaftlichen Fre<strong>und</strong>innen<br />

<strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>en, allen, die sie gekannt <strong>und</strong> geschätzt<br />

haben, den Tod von Gabriele Frenking mitteilen.<br />

Am 6. Oktober 2002 starb sie im Alter von 74 Jahren<br />

in einem Wuppertaler Krankenhaus. Sie hat gegen die<br />

Krankheit gekämpft <strong>und</strong> verloren. Mit der ihr eigenen<br />

Zuversicht <strong>und</strong> Energie glaubte sie an ihre Genesung.<br />

Sowohl für die INWO als auch für den FJVD setzte sie<br />

sich jahrzehntelang mit einer solchen Hingabe ein,<br />

dass ihr die Herzen zuflogen. Wir haben ihr die Silvio-Gesell-Tagungsstätte<br />

zu verdanken, ihr Lebenswerk.<br />

Das wird uns stets an sie erinnern. Wir können<br />

ihr gar nicht in dem Maße danken, wie sie es verdient<br />

hat.<br />

Wir trauern um einen großartigen Menschen.<br />

Der Vorstand der INWO Deutschland <strong>und</strong> des Freiwirtschaftlichen<br />

Jugendverbands Deutschland e.V.<br />

evolution • Nr.13 November 2002


12<br />

SCHWEIZ<br />

Die INWO macht sich bekannt im B<strong>und</strong>eshaus<br />

"Stellen Sie sich vor, wir müssten nicht jährlich mehrere Milliarden Zinsen zahlen. Da könnten<br />

wir uns unseren Staat fast leisten." Kaspar Villiger, B<strong>und</strong>esrat<br />

Fortsetzung des Mailverkehrs zwischen Patrick Jenny,<br />

Vorstandsmitglied der INWO Schweiz <strong>und</strong> dem Eidgen.<br />

Finanzdepartement (EFD)<br />

(siehe r-evolution Nr. 10, Seite 14)<br />

EFD: ... "Schuldenreduktionen durch Minderausgaben<br />

oder Mehreinnahmen müssen durch das demokratisch<br />

gewählte B<strong>und</strong>esparlament beschlossen werden. Da das<br />

Parlament diese Aufgabe nicht ganz erfüllen konnte,<br />

wurde mit der Schuldenbremse eine gewisse Zurückhaltung<br />

bei den Ausgabenbeschlüssen durch eine Volksabstimmung<br />

erreicht. Mit fre<strong>und</strong>lichen Grüßen."<br />

Antwort von Patrick: "Schade, dass Sie nicht wirklich auf<br />

meine Fragen eingehen <strong>und</strong> immer wieder die Schuldenbremse<br />

ins Feld führen. Ist denn Herrn Villigers Problem<br />

der 10 Mia. Schuldzinsen mit der Schuldenbremse<br />

gelöst? Können wir uns "unseren Staat nun leisten"?<br />

Wenn Ja – sehr gut! Wenn Nein – was wäre Ihr Vorschlag?<br />

Mit fre<strong>und</strong>lichen Grüßen, P. Jenny (INWO)"<br />

freie Marktwirtschaft, auch bei Geld <strong>und</strong> Boden, möglich.<br />

Die Zinsen würden sich automatisch einem Minimum<br />

nähern, bei dem nur noch Gebühren <strong>und</strong> Risikoprämien<br />

(bei Staatsverschuldungen in CH = 0) bezahlt<br />

werden müssten.<br />

Unser Schuldenberg des B<strong>und</strong>es von 107 Milliarden<br />

bliebe erhalten, aber der Schuldendienst von zurzeit<br />

knapp 4 Milliarden (nur B<strong>und</strong>, 10 Milliarden inkl. Kantone<br />

<strong>und</strong> Gemeinden) würde praktisch vollständig wegfallen!<br />

Ich bin gespannt, was Sie von diesen Gedanken halten."<br />

Antwort EFD: "Sehr geehrter Her Jenny! Wie bereits mitgeteilt,<br />

wird mit der Schuldenbremse versucht, die Verschuldung<br />

zu stabilisieren. Durch unsere knappen Personalressourcen<br />

ist es mir nicht möglich, diesen Mailverkehr<br />

weiter zu unterhalten. Mit fre<strong>und</strong>lichen Grüßen."<br />

Schade???<br />

Das B<strong>und</strong>esratszimmer<br />

im Schweizer<br />

B<strong>und</strong>eshaus in Bern<br />

Antwort EFD: "Sehr<br />

geehrter Herr Jenny,<br />

besten Dank für ihr<br />

mail. Ich bin ihnen<br />

dankbar, wenn Sie<br />

mir einen guten Vorschlag<br />

zur Schuldenreduktion<br />

haben. Mit<br />

fre<strong>und</strong>lichen Grüßen."<br />

Antwort von Patrick:<br />

"Gerne. Herr Villiger<br />

möchte ja den Schuldendienst reduzieren. Dies ist auf<br />

zwei Wegen möglich, nämlich über eine Reduktion der<br />

Schulden, wie von Ihnen angedeutet, oder aber über<br />

eine Reduktion des Zinssatzes.<br />

1. Schuldenreduktion: Der sukzessive Goldverkauf im<br />

Werte von total ca. 20 Milliarden Fr. ergäbe eine Restschuld<br />

von 87 Milliarden statt 107 (Stand Ende 2001) -<br />

würde bei gleichbleibendem durchschnittlichen Schuldzinssatz<br />

(zzt. 3.6%) 720 Millionen jährlich weniger Zinsendienst<br />

bedeuten!<br />

2. Viel effizienter wäre, wenn Sie <strong>und</strong> Ihre Arbeitgeber<br />

unsere Bemühungen zur Einführung einer Liquiditätsabgabe<br />

(Umlaufsicherung) auf die Geldmenge (Zahlungsmittel)<br />

M1 unterstützten. Details finden Sie unter<br />

www.geldreform.net oder www.inwo.ch oder bei einem<br />

Gedankenaustausch, z.B. bei einem Mittag- oder Abendessen.<br />

Durch diese Reformen würde endlich eine echte<br />

Spendenbarometer<br />

INWO-CH PC-Konto: 30-1771-2 Bern<br />

Spendenmeldung per 30.09.02<br />

2. Quartal 2002<br />

Stand alt per 31.08.02 Fr. 18.124,43<br />

Stand neu per 30.09.02 Fr. 21.709,43<br />

Spenden Fr. 49.--<br />

1<br />

Spenden Fr. 200.--<br />

U.S. Lenzburg<br />

Spenden Fr. 500.--<br />

H.H. Bern<br />

Spenden Fr. 3000.--<br />

A.V. Äugstertal<br />

evolution • Nr.13 November 2002


Die Vision eines neuen Rechtsempfindens als Gr<strong>und</strong>lage<br />

für eine gerechte Welt<br />

Auszüge aus einer Rede von Adolf Paster anlässlich der Mitgliederversammlung der INWO Österreich<br />

am 11. Oktober 2002 in Wien<br />

Wahrheit, Gerechtigkeit, Friede, Versöhnung sind heute<br />

recht häufig missbrauchte Worte, weil kaum jemand die<br />

reale offene Bedeutung dieser Worte mehr versteht. Verstanden<br />

werden sie deswegen nicht mehr, weil einerseits<br />

die gelebte <strong>Praxis</strong> völlig anders aussieht <strong>und</strong> andererseits<br />

verantwortliche Schlüsselpersonen der Gesellschaft<br />

obige Wortschöpfungen in einem Zusammenhang gebrauchen,<br />

die dem Normalbürger signalisiert, wie <strong>und</strong><br />

in welchem Zusammenhang diese Worte zu verwenden<br />

sind. Das heißt, die Menschen können den ursprünglichen<br />

Sinn dieser Worte nicht mehr verstehen. Intellektuell<br />

beweglichere Zeitgenossen spüren zwar die doppelbödige<br />

Verwendung dieser Worte <strong>und</strong> opponieren dagegen<br />

auch – speziell die heranwachsende Jugend - aber<br />

sie sind nicht in der Lage, sich gegen diesen Mainstream<br />

des Missbrauchs, der durch verbogene Gewissen entsteht,<br />

durchzusetzen. (...)<br />

Die Entwicklung des Gewissens<br />

Kommt ein Kind auf diese Welt, wird es von Anfang an<br />

von den verschiedensten Einflüssen umfangen <strong>und</strong> geformt.<br />

Daher konnte der Schweizer Pädagoge Pestalozzi<br />

sagen: "Wenn wir gut erzogene Eltern hätten, gäbe es<br />

auch gut erzogene Kinder". Kinder bekommen die ganze<br />

negative gesellschaftliche Befindlichkeit von Anfang an<br />

mit. Alle fehlerhaften Zustände mit ihren Defekten.<br />

Daher muss von Anfang an darauf geschaut werden,<br />

dass das Kinder-Erwachsenenverhältnis ein möglichst<br />

partnerschaftliches Verhältnis ist, in dem auch die Kinder<br />

ihren festen Platz haben <strong>und</strong> ihre Meinungen <strong>und</strong><br />

Auffassungen zum Ausdruck bringen dürfen, ohne Sanktionen<br />

erwarten zu müssen, weil sie mit ihrer "freien<br />

Meinung" den vermeintlichen Stolz der Erwachsenen<br />

verletzen. In einem solchen Verhältnis werden die Gewissen<br />

sowohl der Kinder als auch der Erwachsenen<br />

entwickelt <strong>und</strong> Erziehung wird auf beiden Seiten ihre<br />

positiven, guten Früchte bringen. In einem solch partnerschaftlichen<br />

Verhältnis haben entwickelte Gewissen<br />

eine große Chance, das Zusammenleben der Menschen<br />

auf einem hohen Level zu gestalten <strong>und</strong> ein möglichst<br />

glückliches Leben zu garantieren. (...)<br />

Wahrheit innerlich erfahren<br />

"Die Wahrheit" ist im Menschen eingegossen, aber er<br />

kann sie nur erfahren, indem er sich darum bemüht, sie<br />

sozusagen durch Bewusstwerdung herauszuschälen, zu<br />

betrachten, die Konturen deutlich zu erleben <strong>und</strong> zu<br />

sehen, so dass er seine Handlungen <strong>und</strong> Aktionen auf<br />

einem festen inneren F<strong>und</strong>ament errichten kann. (...)<br />

Wer heute vor allem den jungen Menschen predigt,<br />

Wahrheit sei etwas Relatives <strong>und</strong> zeige sich jedem Menschen<br />

anders, verführt sie <strong>und</strong> tut ihnen wahrlich nichts<br />

Gutes. Er bringt sie um die Frucht, die aus dem Ringen<br />

um die Wahrheit jedem Menschen erwachsen kann.<br />

Wie kann ein ges<strong>und</strong>es Rechtsempfinden<br />

entwickelt werden?<br />

(...) Das ges<strong>und</strong>e Rechtsempfinden ist in uns vorhanden<br />

<strong>und</strong> zwar in einer unglaublichen Einheit aller Menschen.<br />

Wenn wir es zulassen, dass der Heilige Geist uns bewusst<br />

werden lässt, dass wir mittels eines ges<strong>und</strong>en<br />

Rechtsempfindens unser Leben auf einer qualitativen<br />

Höhe halten können, aus der eben Gerechtigkeit, Friede<br />

<strong>und</strong> Freude entstehen, dann werden wir aus dieser Erfahrung<br />

heraus bereit sein, mehr <strong>und</strong> mehr mit der<br />

Wahrheit – die Gott ist – zu leben <strong>und</strong> uns an ihr zu<br />

freuen. (...)<br />

Ein hohes Rechtsempfinden ist also eine Gabe Gottes,<br />

die wir mit großer Ehrfurcht betrachten müssen <strong>und</strong> mit<br />

der wir uns mehr <strong>und</strong> mehr auseinandersetzen müssen.<br />

Oft tun wir es auch, aber eher unbewusst. Wir sehen die<br />

Zusammenhänge nicht so klar <strong>und</strong> vor allem suchen wir<br />

sie nicht so bewusst.<br />

Den Völkern muss die Chance wiedergegeben werden,<br />

ein gediegenes Rechtsempfinden zu entdecken, zu betrachten<br />

<strong>und</strong> zu nutzen. Die Menschheit des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

wird ihre Probleme viel leichter in den Griff<br />

bekommen, wenn sie das aus einer inneren Erfahrungssicherheit<br />

tun kann <strong>und</strong> sich nicht allein auf intellektuelle<br />

Kunstgriffe beschränken muss. Intellektuelle Wissenschaftlichkeit<br />

sollte im 21. Jahrh<strong>und</strong>ert zusammen mit<br />

einem gut f<strong>und</strong>ierten Rechtsempfinden Hochzeit halten,<br />

weil wir mit diesem Werkzeug sehr wohl die großen auf<br />

uns zukommenden Probleme lösen werden können. Gerade<br />

alternative sozioökonomische Gesellschaftsstrukturen<br />

der Zukunft werden ohne die Hochzeit von Wissenschaftlichkeit<br />

<strong>und</strong> ges<strong>und</strong>em Rechtsempfinden nur Katastrophen<br />

am laufenden Band produzieren. (...)<br />

Demokratische Freiheit <strong>und</strong> ein hoher humanitärer<br />

Standard sind nur auf der Gr<strong>und</strong>lage eines bewussten<br />

<strong>und</strong> allgemein akzeptierten Rechtsempfindens zu halten<br />

<strong>und</strong> zu entwickeln. Dieses Rechtsempfinden wird nur<br />

dann Allgemeingut werden, wenn die Möglichkeit besteht,<br />

die Gr<strong>und</strong>f<strong>und</strong>amente gesellschaftlichen Verhaltens<br />

in kleinen Fre<strong>und</strong>schafts- oder Basisgruppen einzulernen<br />

<strong>und</strong> zu üben. (...) Der echte Fortschritt wird<br />

nicht von "oben" verordnet, sondern von "unten" erarbeitet.<br />

ÖSTERREICH<br />

Adolf Paster, geb. 1930,<br />

Gründer <strong>und</strong> Präsident<br />

der NGO HIFA (Hilfe für<br />

alle), Schriftleiter der<br />

ZEITUNG DER NÄCH-<br />

STENLIEBE sowie des<br />

HIFA-PRESSE-DIENSTES.<br />

Gründer der INWO-Österreich<br />

(1992). Seit<br />

1961 Mitarbeit in der<br />

Fraternität der kranken<br />

<strong>und</strong> behinderten Personen<br />

Österreichs.<br />

13<br />

evolution • Nr.13 November 2002


Bunte <strong>Praxis</strong><br />

Bethel-Geld<br />

14<br />

Das "Bethel-Geld" - Eine diakonische<br />

Einrichtung mit eigener Währung*<br />

1908 führte die Anstaltsleitung<br />

Warengutscheine<br />

ein, durch<br />

deren Benutzung die<br />

MitarbeiterInnen am<br />

Gewinn der Geschäfte<br />

in Bethel beteiligt<br />

wurden.<br />

In Ostwestfalen gab es in diesem Jahr eine doppelte Währungsumstellung: Am 1. März löste<br />

der Bethel-Euro die Bethel-Mark ab. 110.000 neue Bethel-Euro-Scheine im Wert von fast 1<br />

Million Euro zeugen vom Optimismus der Verantwortlichen, der über 90 Jahre alten Tradition<br />

durch eine Ausweitung der umlaufenden Geldmenge neuen Schwung geben zu können.<br />

Dem alternativen Geld fehlt zwar die Umlaufsicherung, dennoch stärkt es die lokale Infrastruktur.<br />

Ein Beitrag von Bärbel Bitter.<br />

Die v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel sind Europas<br />

größte diakonische Einrichtung. Auf der ganzen<br />

Welt kennen Menschen den Namen Bethel. Sie wissen,<br />

dass Menschen mit Behinderungen <strong>und</strong> solche in besonderen<br />

sozialen Schwierigkeiten hier zahlreiche Hilfeangebote<br />

finden. Einen großen Bekanntheitsgrad haben<br />

aber auch einzelne Einrichtungen wie die Briefmarkenstelle,<br />

die Brockensammlung <strong>und</strong> das so genannte Bethel-Geld:<br />

Gerade diese Betheler Besonderheit ruft<br />

immer wieder großes Erstaunen hervor. Wieso hat eine<br />

Einrichtung wie Bethel das Recht, eine eigene Währung<br />

zu haben, warum wurde Bethel-Geld eingeführt, so oder<br />

ähnlich lauten die Fragen, die immer wieder gestellt<br />

werden.<br />

Bethel hat natürlich genauso wenig ein Recht, eine eigene<br />

Währung herauszugeben wie andere Institutionen<br />

auch. Genau genommen handelt es sich bei dem so genannten<br />

Bethel-Geld auch nicht um Geld, sondern um<br />

Warengutscheine, die die Mitarbeiter <strong>und</strong> Bewohner der<br />

v. Bodelschwinghschen Anstalten gegen Deutsche Mark<br />

eintauschen können.<br />

Die Einführung der Warengutscheine geht auf das Jahr<br />

1908 zurück. Die Vorgeschichte reicht allerdings bis in<br />

die 1880er Jahre. Als Friedrich<br />

v. Bodelschwingh<br />

1872 die Leitung der 1867<br />

eröffneten "Anstalt für Epileptische"<br />

übernahm, kam<br />

es zu einer Änderung der<br />

Konzeption. Bodelschwingh<br />

wollte statt einer Anstalt, die<br />

nach damaligem Verständnis<br />

aus einem großen Gebäude<br />

mit einigen Nebengebäuden<br />

bestand, eine Kolonie mit vielen kleinen Häusern aufbauen.<br />

In diesen Häusern wollte er die Bewohner getrennt<br />

nach Geschlecht, Alter, Krankheitsgrad, Lebensstellung<br />

<strong>und</strong> Beruf unterbringen.<br />

Die Leitung der Häuser sollte von Hauseltern übernommen<br />

werden, denen zur Haushaltsführung ein bestimmter<br />

Etat zur Verfügung stand. Sie sollten weitgehend<br />

selbstständig agieren können, d.h. es war ihnen<br />

selbst überlassen, wie sie die Dinge des täglichen Bedarfs<br />

besorgten. Konkret bedeutete diese Regelung, dass<br />

die gleichen Gebrauchsgüter oder Dienstleistungen in<br />

verschiedenen Geschäften oder Betrieben zu unterschiedlichen<br />

Preisen erworben wurden. Daran änderte<br />

auch die Tatsache nichts, dass man in Bethel zur Beschäftigung<br />

der behinderten Bewohner eine Reihe von<br />

Betrieben gegründet hatte <strong>und</strong> in der Lage war, viele<br />

Gegenstände selbst zu produzieren oder handwerkliche<br />

Dienstleistungen selber zu erledigen. Da es damals keine<br />

kostendeckenden Pflegegelder gab, sollten die Gewinne<br />

der Betheler Handwerksbetriebe auch dazu benutzt werden,<br />

die Lücke zwischen eingehenden Pflegegeldern <strong>und</strong><br />

tatsächlichen Kosten schließen zu helfen. Dazu musste<br />

der Umsatz <strong>und</strong> damit die Gewinnmöglichkeiten der Betriebe<br />

erhöht werden. Deshalb sollten auch die eigenen<br />

Leute zu K<strong>und</strong>en der eigenen Betriebe gemacht werden.<br />

Auf diese Weise floss wenig Geld nach außen ab, <strong>und</strong> die<br />

Arbeitsplätze für die behinderten Bewohner waren gesichert.<br />

Trotz der vielen Vorteile dieses Planes für die Gesamtanstalten<br />

zogen es etliche Hausleitungen weiterhin<br />

vor, außerhalb zu kaufen.<br />

Schwierige Überzeugungsarbeit<br />

Dieses Verfahren erwies sich mit der Zeit als zu teuer.<br />

Deshalb kam die Anstaltsleitung auf die Idee, ein eigenes<br />

"Konsumgeschäft" zu gründen. Dort sollten vorwiegend<br />

eigene Produkte angeboten werden. Darüber hinaus<br />

wollte man die zusätzlich benötigten Dinge in größeren<br />

Mengen <strong>und</strong> damit auch zu günstigeren Konditionen einkaufen<br />

<strong>und</strong> an die Haushaltungen weitergeben.<br />

Dieses Vorhaben wurde auch in die Tat umgesetzt.<br />

Allerdings hatte Bodelschwingh Schwierigkeiten, die einzelnen<br />

Hauseltern von den Vorteilen zu überzeugen.<br />

Davon zeugen etliche R<strong>und</strong>briefe an die Betheler "Hausmütter<br />

<strong>und</strong> Hausväter". So schrieb Bodelschwingh 1884<br />

beispielsweise: Wenn jeder Einzelne bei jedem kleinen<br />

Makel anfängt wieder woanders zu kaufen, so wird dadurch<br />

das Ganze geschädigt <strong>und</strong> ich muss ausdrücklich<br />

bemerken, dass hierin eine Missachtung der vom Vorstand<br />

gegebenen Vorschriften gef<strong>und</strong>en werden muss<br />

<strong>und</strong> eine Ungerechtigkeit gegen unser ganzes Werk.<br />

Weil Bodelschwingh feststellen musste, dass Vorhaltungen<br />

wenig halfen, ergriff er andere Maßnahmen, um<br />

die Mitarbeiter vom Einkauf in den eigenen Geschäften<br />

zu überzeugen. Bodelschwingh hatte schon während seiner<br />

Zeit als Pfarrer in Dellwig, wo er gleichzeitig als Mitherausgeber<br />

eines Sonntagsblattes tätig war, in Artikeln<br />

immer wieder über den Aufbau von genossenschaftlicher<br />

Selbsthilfe durch Rohstoff- <strong>und</strong> Konsumvereine<br />

berichtet. So z.B. über den Spar- <strong>und</strong> Konsumverein der<br />

Fabrikgenossenschaft der Firma Turck in Lüdenscheid.<br />

Den Mitgliedern dieser Genossenschaft wurde nicht nur<br />

die billige Beschaffung der Güter des täglichen Bedarfs<br />

evolution • Nr.13 November 2002


Bunte <strong>Praxis</strong><br />

Bethel-Geld<br />

ermöglicht, sondern sie erhielten auch einen Anteil am<br />

Gewinn.<br />

Ein ähnliches Verfahren hielt Bodelschwingh auch in<br />

Bethel für sinnvoll. Deshalb gab die Leitung an die "Anstaltsangehörigen"<br />

Quittungsbücher heraus. In ihnen<br />

wurde jeder in den Betheler Geschäften oder Betrieben<br />

getätigte Einkauf notiert. Am Jahresende erhielten die<br />

Besitzer der Quittungsbücher eine nach dem Umfang der<br />

Einkäufe errechnete Gewinnbeteiligung.<br />

Fälschungen der Quittungsbücher<br />

Im Laufe der Jahre erwies sich diese Maßnahme jedoch<br />

als viel zu kompliziert. Dies lag auch daran, dass<br />

die Zahl der Quittungsbücher zu Beginn dieses Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

auf über 900 angestiegen war <strong>und</strong> der Eintrag<br />

jedes noch so kleinen Einkaufs erhebliche Erschwernisse<br />

für die Geschäfte <strong>und</strong> Betriebe mit sich brachte.<br />

Als man dann auch feststellen musste, dass der eine<br />

oder andere Eintrag im Quittungsbuch schon mal zu<br />

Gunsten des Besitzers gefälscht worden war, entschied<br />

die Bethel-Leitung 1908, die Quittungsbücher aus dem<br />

Verkehr zu ziehen. Stattdessen erhielten die Mitarbeiter<br />

nun die Möglichkeit, Warengutscheine zu zehn <strong>und</strong> fünf<br />

Mark <strong>und</strong> Münzen zu einer Mark, 50, 25, zehn <strong>und</strong> fünf<br />

Pfennigen gegen Bargeld einzutauschen. Im Volksm<strong>und</strong><br />

erhielten die Warengutscheine schnell die Bezeichnung<br />

Bethel-Geld.<br />

Die Höhe der umgetauschten Beträge trug man jetzt in<br />

ein zentrales Quittungsbuch ein. Diese Eintragungen bildeten<br />

die Gr<strong>und</strong>lage für die Berechnung der Höhe der<br />

Gewinnbeteiligung des Einzelnen. Wer nicht umtauschen<br />

wollte, konnte natürlich in Reichswährung bezahlen,<br />

kam aber am Jahresende nicht in den Genuss der Gewinnbeteiligung.<br />

Später änderte die Anstaltsleitung das<br />

Verfahren der Gewinnbeteiligung <strong>und</strong> gab gleich beim<br />

Umtausch einen Aufschlag von 5%.<br />

Nur bedrucktes Papier<br />

Mittlerweile sind die Warengutscheine schon über 90<br />

Jahre alt. An ihnen kann man die Entwicklung der deutschen<br />

Wirtschaftsgeschichte ablesen. So erreichten die<br />

Nennwerte des so genannten Bethel-Geldes während der<br />

Inflation schnell die gleichen Höhen wie das Reichsgeld.<br />

Mit Datum 1. April 1923 brachten die Anstalten einen<br />

10.000-Mark-Schein auf den Markt. Mit Datum 1. Juli<br />

1923 gab es schon einen 50.000-Mark-Schein, am 15.<br />

November war mit einem Einh<strong>und</strong>ert- <strong>und</strong> Fünfh<strong>und</strong>ert-<br />

Milliardenschein der Höhepunkt erreicht. Da sich die<br />

benötigten Werte ständig änderten, vereinfachte man die<br />

Ausführung der Warengutscheine. Häufig waren es nur<br />

einfach bedruckte Zettel auf dünnem Papier.<br />

Mit dem Ende der Inflation schuf die Anstalt wertbeständiges<br />

"Bethel-Geld". Um die möglichen Risiken abzuschätzen,<br />

holte man sogar ein Gutachten der Deutschen<br />

Bank ein. Nachdem von dieser Seite keine Bedenken<br />

erhoben wurden, gab die Anstaltsleitung mit Datum<br />

vom 1. Dezember 1923 neue Gutscheine mit Werten zu<br />

einem, zwei, fünf <strong>und</strong> zehn Pfennigen sowie einer, zwei,<br />

fünf <strong>und</strong> zehn Mark heraus.<br />

Die Möglichkeiten, mit Warengutscheinen in den Anstaltsgeschäften<br />

einkaufen zu können, fand auch großes<br />

Interesse bei Personen, die nicht in den Anstalten beschäftigt<br />

waren. Sie stellten immer wieder Anträge, die<br />

Warengutscheine ebenfalls nutzen zu dürfen. 1928 gab<br />

die Anstaltsleitung diesem Ansinnen wenigstens teilweise<br />

nach <strong>und</strong> erlaubte den im Anstaltsgebiet wohnenden<br />

"Beamten staatlicher <strong>und</strong> kommunaler Behörden" den<br />

Umtausch von höchstens 250 RM. Dies allerdings nur,<br />

wenn sie im Interesse der Anstalt tätig waren oder auf<br />

irgendeine andere Weise mit Bethel verb<strong>und</strong>en waren.<br />

Für dieses starke Interesse war das gewährte Aufgeld<br />

von 5% beim Umtausch ausschlaggebend.<br />

Abwanderung aufhalten<br />

Bei den eigenen Mitarbeitern sah dies schon wieder<br />

anders aus. Hier musste die Anstaltsleitung<br />

feststellen, dass<br />

immer mehr Mitarbeiter zu den<br />

"Haushaltungs- <strong>und</strong> Konsumvereinen"<br />

in die Stadt abwanderten.<br />

Diese gaben in der Regel eine Dividende<br />

in Höhe von 8%. Um<br />

dem entgegenzuwirken, erhöhte<br />

die Anstalt mit Wirkung vom 1.<br />

April 1930 den beim Umtausch<br />

gegebenen Aufschlag auf 10 %.<br />

Die wirtschaftlichen Krisenerscheinungen<br />

<strong>und</strong> die Deflationspolitik<br />

der Regierung Brüning<br />

brachten das "Bethel-<br />

Geld" Anfang der 30er Jahre<br />

erstmals in Gefahr. Die zur Bekämpfung<br />

der Wirtschaftskrise<br />

<strong>und</strong> der hohen Arbeitslosigkeit<br />

betriebene Politik der Geldknappheit<br />

führte Kommunen in<br />

Versuchung, diese Entwicklung<br />

durch die Herausgabe von Notgeld<br />

zu umgehen. Deshalb erließ das Ministerium für<br />

Handel <strong>und</strong> Gewerbe ein Verbot der Herstellung <strong>und</strong><br />

Herausgabe der Notgeldscheine <strong>und</strong> forderte, die existierenden<br />

aus dem Verkehr zu ziehen. Institutionen wie<br />

der Bielefelder Konsumverein sahen nun eine günstige<br />

Gelegenheit, die Vergünstigungen für die Bethel-Mitarbeiter<br />

aus der Welt zu schaffen, <strong>und</strong> vertraten vehement<br />

die Ansicht, dass auch die Betheler Warengutscheine als<br />

Notgeld anzusehen seien <strong>und</strong> verboten werden müssten.<br />

Auch das an die<br />

Reichsmark gekoppelte<br />

Bethel-Geld unterlag<br />

im Jahre 1923 der<br />

Inflation.<br />

15<br />

evolution • Nr.13 November 2002


Bunte <strong>Praxis</strong><br />

Bethel-Geld<br />

16<br />

Nach der Währungsreform<br />

brachte die<br />

Bethel-Leitung erst<br />

1955 wieder Gutscheine<br />

heraus, auf<br />

ausdrücklichen<br />

Wunsch der MitarbeiterInnen.<br />

Bethel wehrte sich natürlich gegen diese Sichtweise <strong>und</strong><br />

fand Unterstützung beim Reichsminister der Finanzen,<br />

der der Anstalt bescheinigte, dass das so genannte Bethel-Geld<br />

schon wegen des begrenzten Nutzerkreises<br />

nicht als Notgeld anzusehen sei. So konnte das "Bethel-<br />

Geld" auch weiterhin erhalten werden.<br />

Ende des Bethel-Geldes<br />

Das Ende des "Bethel-Geldes" kam nach Inkrafttreten<br />

der Währungsreform im Jahre 1948. Da die bis dahin<br />

existierenden Gutscheine den Aufdruck "Waren für ...<br />

Mark in Reichswährung" trugen, verloren sie natürlich<br />

mit Einführung der DM ihre Gültigkeit. Von Seiten der<br />

Anstaltsleitung dachte man nicht an eine Neuauflage,<br />

weil auch die ursprüngliche Bedeutung des Bethel-Geldes<br />

verloren gegangen war. Mit dem Entstehen der<br />

B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland erhielten die Anstalten<br />

kostendeckende Pflegegelder. Dadurch entfiel die Notwendigkeit,<br />

die Pflegekosten durch die Gewinne der Betriebe<br />

zu senken. Hinzu<br />

kam, dass die Betriebe nicht<br />

mehr so viele behinderte<br />

Menschen beschäftigten.<br />

Neuentwicklungen auf dem<br />

Gebiet der Epilepsie-Medikamente<br />

hatten dazu geführt,<br />

dass sich die Zusammensetzung<br />

der betreuten<br />

Personen veränderte.<br />

Konkret hieß dies, dass viele<br />

Menschen, für die bisher<br />

nur ein Leben in der Anstalt<br />

möglich war, nun ein Leben<br />

außerhalb führen konnten.<br />

Die neu nach Bethel kommenden<br />

Bewohner waren dagegen schwerer behindert.<br />

Eine Arbeit in einem Handwerksbetrieb wäre für sie eine<br />

Überforderung gewesen.<br />

Die Anstaltsleitung hatte bei ihrem Plan, die Warengutscheine<br />

auslaufen zu lassen, die Rechnung allerdings<br />

ohne die Mitarbeiter gemacht. Diese hatten 1951 auf<br />

einer Mitarbeiterversammlung vehement die Wiedereinführung<br />

gefordert. Dabei war der Wunsch beim Kauf in<br />

Anstaltsgeschäften wieder in den Genuss der früheren<br />

Rabatte zu kommen, ausschlaggebend. Da sich die Anstalt<br />

diese Rabatte zuerst nicht leisten konnte, wurde der<br />

Wunsch abschlägig beschieden. Erst als sich die Lage<br />

Mitte der 50er Jahre finanziell wieder mehr stabilisiert<br />

hatte, kamen erneut Warengutscheine auf den Markt, für<br />

die beim Umtausch wiederum 5% mehr gegeben wurden.<br />

Ein Gr<strong>und</strong> für die Wiedereinführung war ein zunehmender<br />

Mitarbeitermangel, der auch wegen der niedrigen<br />

Löhne innerhalb der Anstalt nicht zu beseitigen war.<br />

Durch die Gewährung der Rabatte wollte die Anstaltsleitung<br />

den Mitarbeitern einen kleinen finanziellen Ausgleich<br />

gewähren.<br />

Bei der Wiedereinführung wurde auch eine Stellungnahme<br />

der Bank Deutscher Länder, der Vorläuferin der<br />

B<strong>und</strong>esbank, eingeholt. Diese sah sich allerdings nicht<br />

zu einer abschließenden Stellungnahme in der Lage. Da<br />

§ 7 des Emissionsgesetzes, dies entspricht dem heutigen<br />

Paragrafen 35 B<strong>und</strong>esbankgesetz, die Ausgabe von Geldzeichen,<br />

die geeignet sind, im Zahlungsverkehr an Stelle<br />

der gesetzlich zugelassenen Münzen oder Banknoten<br />

verwendet zu werden, unter Strafe stellt, musste die<br />

Frage geklärt werden, inwieweit dies auf das so genannte<br />

Bethel-Geld zutrifft. Obwohl damals keine ausdrückliche<br />

Genehmigung unter Ausschluss einer Strafandrohung<br />

erteilt wurde, brachte die Anstaltsleitung Anfang<br />

1955 neue Scheine heraus.<br />

Zum Schutz der "Pfleglinge"<br />

Im Schriftverkehr mit der Bank Deutscher Länder<br />

taucht auch zum ersten Male das Argument auf, die Warengutscheine<br />

dienten dem Schutz der behinderten Bewohner<br />

Bethels. Da sich die "Pfleglinge", wie die Bewohner<br />

damals genannt wurden, frei auf dem Gelände<br />

bewegen <strong>und</strong> damit auch normale Geschäfte aufsuchen<br />

konnten, konnten sie laut Anstaltsleitung mit ihrem Taschengeld<br />

"allerlei Unfug anrichten". Bekämen sie ihr<br />

Taschengeld dagegen in "Bethel-Geld" ausgezahlt, wären<br />

sie gezwungen, in den Betheler Geschäften zu kaufen,<br />

<strong>und</strong> dort weiß man sie richtig zu behandeln. Da dieses<br />

Argument vorher überhaupt keine Rolle spielte, scheint<br />

es ein Versuch gewesen zu sein, der Bank Deutscher<br />

Länder eine positive Stellungnahme zum „Bethel-Geld"<br />

zu erleichtern.<br />

Mit der Frage, ob das so genannte Bethel-Geld gegen<br />

Paragraf 35 B<strong>und</strong>esbankgesetz verstößt, musste sich die<br />

B<strong>und</strong>esbank zuletzt im Jahre 1991 beschäftigen. In der<br />

Antwort auf eine Anfrage stellte die B<strong>und</strong>esbank fest,<br />

dass das "Bethel-Geld" als Warengutschein <strong>und</strong> nicht als<br />

Geldzeichen zu betrachten sei. Zu dieser Ansicht war die<br />

B<strong>und</strong>esbank gekommen, weil die Warengutscheine<br />

einen sehr eingegrenzten Verwertungsbereich haben.<br />

Die Bethel-Geld genannten Warengutscheine gibt es<br />

heute immer noch. Sie haben zwar keine ökonomische<br />

Bedeutung mehr, sind jedoch eine der liebenswerten Besonderheiten,<br />

die Bethel bei vielen Menschen bekannt<br />

<strong>und</strong> interessant macht. Deshalb wird überlegt, diese Gutscheine<br />

auch nach der Umstellung der Deutschen Mark<br />

auf den Euro beizubehalten <strong>und</strong> sie den neuen Bedingungen<br />

anzupassen.<br />

* Dieser Beitrag erschien erstmals im Minden-Ravensberger<br />

2000. Jahrbuch in Ostwestfalen. S. 113-118.<br />

evolution • Nr.13 November 2002


Bunte <strong>Praxis</strong><br />

Porto Alegre<br />

Porto Alegre –<br />

Stadt der zukunftsfähigen Ideen<br />

Porto Alegre ist zu einem Mekka für GlobalisierungskritikerInnen geworden. 2003 findet<br />

dort zum 3. Mal das Weltsozialforum statt. Auch vorher schon kamen von hier zukunftsweisende<br />

Impulse, z.B. der "Beteiligungshaushalt", ein direktdemokratisches Modell. Weniger<br />

bekannt ist, dass Porto Alegre einst Schauplatz eines Geldexperiments war.<br />

Durch den aus Frankreich stammenden, aber in Brasilien<br />

tätigen Geschäftsmann Georges Rosier gelangten<br />

im Sommer 1958 Informationen über die "Freie Gemeinde<br />

von Lignières-en-Berry" nach Porto Alegre.<br />

Porto Alegre ist die Hauptstadt des B<strong>und</strong>esstaates Rio<br />

Grande do Sul im Süden Brasiliens. Die Stadt verdoppelte<br />

ihre Einwohnerzahl allein in den fünfziger Jahren von<br />

300.000 auf 600.000.<br />

In Anbetracht der schweren Krise, in der sich die brasilianische<br />

Wirtschaft befand, fasste Rosier den Entschluss,<br />

ebenfalls eine wirtschaftliche Selbsthilfe-Aktion<br />

ins Leben zu rufen. Daraufhin entstand im Oktober die<br />

"Orecopa" (Organizacao Economica Portoalegrense).<br />

Der Plan, umlaufgesicherte Kaufgutscheine - so genannte<br />

'cautelas de compra' - auszugeben, fand nicht nur die<br />

Unterstützung von weiteren Geschäftsleuten, sondern<br />

auch von Politikern, der städtischen Handelskammer<br />

<strong>und</strong> sogar des Finanzministers von Rio Grande do Sul.<br />

Rosier machte auch den Versuch, die Staatsbank von<br />

Rio Grande do Sul dazu zu bewegen, die cautelas de<br />

compra neben den offiziellen brasilianischen Cruzeiros<br />

auszugeben. Nach drei Monaten signalisierte die Staatsbank:<br />

"Wir sind bereit, die cautelas de compra auszugeben<br />

... Aber ... wir brauchen die Genehmigung der<br />

Sumoc, der für alle Geldfragen <strong>und</strong> Bankangelegenheiten<br />

in Brasilien zuständigen Behörde."<br />

Von dieser Aufsichtsbehörde für das brasilianische<br />

Geld- <strong>und</strong> Kreditwesen hat die "Orecopa" jedoch keine<br />

Nachricht erhalten. Da die Werbung für die geplante<br />

"salaires + 10% Aktion" in den Massenmedien schon<br />

angelaufen war, wollten Rosier <strong>und</strong> der übrige Vorstand<br />

der "Orecopa" ihren Beginn nicht mehr hinauszögern.<br />

Im November 1959 begannen sie mit der Ausgabe der<br />

cautelas de compra, nachdem es ihnen gelungen war,<br />

mit der Zweigstelle Sao Joao der Staatsbank von Rio<br />

Grande do Sul einen Vertrag über die Zusammenarbeit<br />

bei Umtausch <strong>und</strong> Einlösung der cautelas de compra abzuschließen.<br />

Da die cautelas de compra in Porto Alegre natürlich<br />

nicht das allein gültige Zahlungsmittel <strong>und</strong> die Mitgliedsunternehmen<br />

der "Orecopa" auf vielfältige Weise mit der<br />

übrigen Wirtschaft verzahnt waren, war es nicht möglich,<br />

einen unabhängigen <strong>und</strong> in sich geschlossenen<br />

Kreislauf der cautelas de compra entstehen zu lassen. In<br />

ihrem Umlauf stellten sich Engpässe ein, besonders im<br />

Lebensmittelhandel. Um diesen Schwierigkeiten entgegenzutreten,<br />

eröffnete Rosier im Juni 1960 im Norden<br />

von Porte Alegre einen großen Supermarkt "Rancho<br />

Orecopa", in dem alle Einkäufe vom Großhandel <strong>und</strong><br />

Verkäufe an die<br />

K<strong>und</strong>en mit cautelas<br />

de compra abgewickelt<br />

werden<br />

sollten. Über den<br />

weiteren Fortgang<br />

dieses Experimentes<br />

liegen allerdings<br />

keine Informationen<br />

vor.<br />

Auszug aus: Werner<br />

Onken: Modellversuche<br />

mit sozialpflichtigem<br />

Boden<br />

<strong>und</strong> Geld. Lütjenburg: Fachverlag für Sozialökonomie<br />

1997. ISBN 3-87998-440-9.<br />

Weitere Literaturtipps:<br />

- Rudolf Spier: Une solution – ein Ausweg. 2., verbesserte<br />

<strong>und</strong> erweiterte Auflage 1961.<br />

- Carsten Herzberg: Wie partizipative Demokratie zu politisch-administrativen<br />

Verbesserungen führen kann:<br />

der Bürgerhaushalt von Porto Alegre. Münster – Hamburg<br />

– London: LIT Verlag 2001. 168 Seiten, 15,90<br />

Euro.<br />

- Vom Süden lernen – Porto Alegres Beteiligungshaushalt<br />

wird zum Modell für direkte Demokratie. DGB Bildungswerk/Misereor<br />

2002. 3,- Euro.<br />

Der Bürgermeister von<br />

Porto Alegre, José Aloisio<br />

Filho, zusammen mit<br />

Glenio Amaral (Schatzmeister<br />

der ORECOPA)<br />

<strong>und</strong> Georges Rosier<br />

17<br />

evolution • Nr.13 November 2002


Bunte <strong>Praxis</strong><br />

Barter<br />

18<br />

BARTER – das Geschäft<br />

der Gegenwart <strong>und</strong> Zukunft<br />

Der von Freiwirtschaftlern gegründete Barterclub WIR ist in der Schweiz seit Jahrzehnten eine vom Mittelstand<br />

allgemein anerkannte Institution. In Deutschland spielt Barter (Tausch) noch keine vergleichbare Rolle.<br />

Nach intensivem Studium der Barter-<strong>Praxis</strong> in den USA hat es sich Ingrid Revering zur Aufgabe gemacht, die<br />

Chancen <strong>und</strong> Vorteile des Barterhandels in Deutschland populär zu machen.<br />

Ingrid Revering, 42<br />

Jahre, Bartervertriebsrepräsentantin<br />

Ostbayern &<br />

Mediatorin<br />

Wir befinden uns erneut auf der Talfahrt einer Rezession<br />

in die Depression mit nicht absehbarem Ende der Talsohle,<br />

möglicherweise dramatischer als vor 70 Jahren,<br />

weil wir weltweit in einer bisher noch nie dagewesenen<br />

Kompressionsmaschine mit vier Kolben sitzen, laut Bernard<br />

Lietaer, ehemaligem belgischem Zentralbankier<br />

<strong>und</strong> Autor mehrerer Bücher, u.a. "Das Geld der Zukunft".<br />

Wir überaltern in rasendem Tempo, wir vermehren uns<br />

ebenso rasch, wir haben nicht mehr genügend bezahlte<br />

Arbeit, täglich sterben 150 Arten aus (Zitat Franz Alt)<br />

<strong>und</strong> unser zinsbehaftetes Geldsystem hat ausgedient. Es<br />

stellt keine Lösungen mehr bereit für übersättigte Märkte<br />

<strong>und</strong> nachhaltiges Wirtschaften (weil Investitionen in<br />

Nachhaltigkeit nicht genügend Rendite abwerfen), was<br />

jedoch dringend erforderlich ist, soll unser w<strong>und</strong>erbarer<br />

Planet Erde erhalten bleiben.<br />

Multinationale Großkonzerne übernehmen mehr <strong>und</strong><br />

mehr den kreativen, lebenserhaltenden Mittelstand, weil<br />

der Wachstumszwang durch den Zins- <strong>und</strong> Zinseszinseffekt<br />

die Wirtschaft zu einem selbstzerstörerischen Verfahren<br />

zwingt.<br />

Kredite bei den Banken können nicht mehr getilgt werden,<br />

weil sich das Geld durch die zinsbedingte Falschverteilung<br />

immer gerade woanders befindet als dort, wo<br />

es benötigt wird, <strong>und</strong> darüber hinaus stehen Kredite, vor<br />

allem seit Basel II, für kleine <strong>und</strong> mittlere Unternehmen<br />

nicht mehr in ausreichendem Maße zur Verfügung. Pleitewellen<br />

überrollen Deutschland<br />

im Gleichmarsch mit dem<br />

gesamten Westen. Der Rest der<br />

Welt spielt bei diesem Monopoly<br />

schon lange keine Rolle<br />

mehr. Machen Sie sich nichts<br />

vor, die Politiker werden uns<br />

nicht retten, weil sie es gar<br />

nicht können, denn die Wurzel<br />

allen Übels liegt im Zinssystem,<br />

welches durch seinen exponentiellen<br />

Wachstumszwang uns<br />

alle miteinander ins Aus drängt,<br />

einzelne Menschen wie ganze<br />

Staaten.<br />

In Ländern wie Argentinien kann man gerade im Moment<br />

sehr gut beobachten, was geschieht, wenn dem<br />

Volk das Geld entzogen wird bzw. das herkömmliche<br />

Geld seinen Wert verliert: Spontan entstehen Tauschmärkte<br />

gigantischen Ausmaßes. Und sie funktionieren.<br />

In anderen Ländern oder sozialen Brennpunkten auf der<br />

Erde werden so genannte Komplementärwährungssysteme,<br />

also die gewöhnliche Wirtschaftspraxis ergänzende<br />

zweite Wirtschaftskreisläufe, als Konstanten bewusst hinzugezogen,<br />

unterstützt von Banken <strong>und</strong>/oder Staaten, zur<br />

Minimierung oder auch zum Ausstieg aus der Schuldenfalle<br />

des Kreditvergabesystems. Diese Komplementärwährungssysteme<br />

haben u.a. gemeinsam, dass sie zinsfrei<br />

sind. Es sind heutzutage i. d. R. internetgestützte<br />

Leistungsverrechnungs- <strong>und</strong> verbuchungssysteme, so<br />

auch u.a. die so genannten Barter-Netzwerke.<br />

Was hat dies alles nun mit dem Mittelstand zu tun, den<br />

ich hier gerne ansprechen möchte? Multinationale Konzerne<br />

tun neben dem oben bereits Erwähnten auch noch<br />

etwas anderes, letztlich, um auf allen Ebenen am Gewinn<br />

beteiligt zu sein. Die meisten Unternehmen mit Größenordnungen<br />

von etwa Mercedes Benz, Nokia, etc. haben<br />

zusätzlich zu ihren normalen Vertriebssystemen hauseigene<br />

Barter-Abteilungen. Etwa 20% des gesamten Welthandels<br />

werden gebartert, vornehmlich mit Ländern mit<br />

geringem Cash-flow, aber hochinteressanten Waren.<br />

Es handelt sich hierbei um so genannte bilaterale Kompensationsgeschäfte<br />

oder auch Corporate Barter Tradings,<br />

d.h., Getreide der Firma XY wird getauscht gegen<br />

Öl der Firma XZ, ohne Verwendung von herkömmlichem<br />

Geld oder zumindestens bezogen auf Teilgeschäfte. Würden<br />

sie diese Möglichkeit nicht einsetzen, sähe es noch<br />

weitaus dramatischer aus auf dem Weltmarkt. Dennoch,<br />

die Ziele <strong>und</strong> Motivationen, die dahinter stehen, lassen<br />

Zweifel aufkommen an der Ethik dieses Geschäfts auf<br />

multinationaler Ebene. Es dient wohl in den seltensten<br />

Fällen dem Wohlstand der gesamten Menschheit <strong>und</strong> der<br />

Erde, sondern eher der Gewinnmaximierung einiger Weniger.<br />

Zugleich ist jedoch das Bartergeschäft, anders genutzt,<br />

eines der besten, preisgünstigsten <strong>und</strong> effektivsten Möglichkeiten,<br />

den gestauten Markt wieder ins Fließen zu<br />

bringen. Überwiegend regional <strong>und</strong> professionell eingesetzt<br />

von klein- <strong>und</strong> mittelständischen Betrieben, die<br />

sich zu einem Netzwerk von Lieferanten zusammenschließen,<br />

die sich gegenseitig direkt mit ihrem jeweiligen<br />

Leistungsangebot "bezahlen", ermöglicht es diesen<br />

sukzessive, höhere Gewinne zu erzielen, ihre Liquidität<br />

zu schonen, mehr Spielraum für Kreativität zu haben,<br />

ihre Mitarbeiter nicht freisetzen zu müssen, erhöhte Sicherheit<br />

zu genießen, unabhängiger vom Würgegriff des<br />

Kreditwesens zu werden, sprich einfach freier zu sein.<br />

Manchen bleibt es so erspart, Insolvenz anmelden zu<br />

müssen.<br />

evolution • Nr.13 November 2002


Das Verfahren eines solchen Barter-Clubs (Pools, Netzwerkes)<br />

ist die multilaterale Leistungsverrechnung mit<br />

einer Verbuchungszentrale, ähnlich einer Bank, im Zentrum.<br />

Die Teilnehmer werden regional von Barter-Beratern<br />

betreut. Das Barter-Unternehmen steht den einzelnen<br />

Teilnehmern als Vertriebspartner zur Verfügung <strong>und</strong><br />

sorgt für ausgewogenen Ein- <strong>und</strong> Verkauf. Jedes teilnehmende<br />

Unternehmen führt ein eigenes Verrechnungskonto<br />

in der Zentrale <strong>und</strong> hat über ein Internet-Portal<br />

ständig Zugang zu den neuesten Leistungsangeboten.<br />

Zusätzliche Gewinne entstehen durch zusätzliche Geschäfte,<br />

die ohne Barter aufgr<strong>und</strong> der immer schlechter<br />

werdenden Konjunkturlage nicht mehr möglich wären.<br />

Die Gebühren für die Bereitstellung dieser Dienstleistung<br />

stehen in keinem Verhältnis zum Zugewinn aus den<br />

zusätzlichen Geschäften (ca. 10-20% des Jahresumsatzes<br />

zu Beginn) <strong>und</strong> zu den Gebühren <strong>und</strong> mehr noch zu den<br />

Zinsen für die jedes Jahr wieder neu anfallenden Kredite<br />

bei den Banken, ganz zu schweigen von den nicht mehr<br />

vorhandenen Sicherheiten, die dort abgefragt werden<br />

<strong>und</strong> die oft schneller als man denkt, plötzlich zur Konkursmasse<br />

werden.<br />

Gemeinsam ist derlei gestalteten alternativen Wirtschaftssystemen,<br />

dass sie von der Kooperation <strong>und</strong> dem Vertrauen,<br />

nicht von der Konkurrenz, leben. Hier geht es<br />

nicht um den Überlebenskampf mit allen Mitteln, sondern<br />

um Leben <strong>und</strong> Werteerhaltung <strong>und</strong> den Erhalt bzw.<br />

die Wiederherstellung der regionalen Kaufkraft <strong>und</strong> der<br />

so dringend benötigten Kreativität.<br />

Weitere Informationen:<br />

Ingrid Revering, Info-Tel.: 08091-539782 oder 0172-<br />

7387040, E-Mail: revering@gmx.net<br />

19<br />

EURO nachrangig gegenüber eigenen Währungen!<br />

Aus einer (verfassungs-)rechtlichen Beurteilung von<br />

Manfred Steinbach (Institut für Soziale Ökologie, Bremen)<br />

geht hervor: " Es bestehen in Deutschland weder<br />

verfassungsrechtliche noch andere gesetzliche Bedenken<br />

gegen das Recht von gemeinwesenorientierten Gruppen,<br />

ihr eigenes Geld zu vereinbaren <strong>und</strong> zu benutzen. Im<br />

Gegenteil: Regionale <strong>und</strong> lokale Geldsysteme wie der<br />

ROLAND-Gutschein [siehe r-evolution Nr. 12, S. 23, d.<br />

Red.] sind aufgr<strong>und</strong> ihres vertragsfreiheitlichen Rechtsgeschäftes<br />

verfassungsrechtlich höher zu bewerten als<br />

gesetzliche Zahlungsmittel."<br />

Zum einen werde nach dem "Rechtskommentar Hahn"<br />

zu § 35 des B<strong>und</strong>esbankgesetzes "die Ausgabe von<br />

Scheinen, die nur beim Einkauf in bestimmten Geschäften<br />

in Zahlung gegeben werden können, selbst dann<br />

nicht von § 35 B<strong>und</strong>esbankgesetz erfasst ..., wenn darauf<br />

ein bestimmter Betrag angegeben wird." Dies gelte<br />

auch für Geldersatz (Wertzeichen, Urk<strong>und</strong>en), der diese<br />

Funktion nur für einen räumlich <strong>und</strong> personell unbedeutenden<br />

<strong>und</strong> abgegrenzten Bereich habe.<br />

Zum andern zähle zu dem Gr<strong>und</strong>recht auf die freie Entfaltung<br />

der Persönlichkeit auch die Vertragsfreiheit, welche<br />

bei der Ausübung der Rechte von Verkäufer <strong>und</strong><br />

Käufer, den Kaufpreis zu vereinbaren, seine Bedeutung<br />

bekomme. Diese könnten sich nämlich z.B. auch auf "1<br />

Sack Kartoffeln" als Kaufpreis oder auf Zahlung in ausländischer<br />

Währung einigen. Die Zahlung des Kaufpreises<br />

sei gemäß § 433 BGB in die Vertrags- <strong>und</strong> Vereinbarungsfreiheit<br />

der Beteiligten gestellt, somit könnten z.B.<br />

Brötchen mit dem bezahlt werden,<br />

was Verkäufer <strong>und</strong> Käufer<br />

selbst als Zahlungsmittel vereinbaren,<br />

z.B. mit dem nicht gesetzlichen<br />

Zahlungsmittel ROLAND!<br />

Erst dann, wenn sie bei der Zahlungsvereinbarung<br />

"ihre Kreativität<br />

nicht haben walten lassen<br />

(wollen), wenn sie nichts Spezielles<br />

vereinbart haben, erst<br />

dann können sie auch das Angebot<br />

des Gesetzgebers annehmen <strong>und</strong> stillschweigend vereinbaren:<br />

Der Kaufpreis soll in Euro gezahlt werden!<br />

Ausfluss des Gr<strong>und</strong>rechts auf Vertragsfreiheit ist – <strong>und</strong><br />

jetzt wird es ganz deutlich: Das gesetzliche Zahlungsmittel<br />

kann nachrangig benutzt werden!"<br />

Der gesamte Text der Beurteilung kann angefordert werden<br />

bei:<br />

Institut für Soziale Ökologie, Weißenburger Str. 29,<br />

28211 Bremen, Tel.: 0421-4915209<br />

evolution • Nr.13 November 2002


Veranstaltungsbericht<br />

B<strong>und</strong>es-Tauschring-Treffen<br />

Gesellschaft (mit-)gestalten –<br />

Ökonomische Alternativen<br />

werden dringend benötigt!<br />

20<br />

Das 8. B<strong>und</strong>estreffen der Tauschsysteme<br />

stand unter dem Motto "Gesellschaft (mit-)<br />

gestalten - Tauschringe <strong>und</strong> Lokale Agenda<br />

21 als Impulsgeber zur Gemeinwohlökonomie"<br />

<strong>und</strong> fand vom 27. – 29. September in<br />

dem hellen, fre<strong>und</strong>lichen Gebäude der Blote-<br />

Vogel-Schule am Rande von Witten statt. Mit<br />

etwa 100 TeilnehmerInnen aus Deutschland<br />

<strong>und</strong> Italien waren knapp 50 Tauschsysteme<br />

vertreten.<br />

Eingeleitet wurde die Tagung mit Statements der PodiumsteilnehmerInnen:<br />

Joachim Sikora, KSI (Leiter des Katholisch-Sozialen<br />

Instituts der Erzdiözese<br />

Köln)<br />

Herr Sikora legte in 7 Thesen dar, wie unsere heutige<br />

Gesellschaft aus seiner Sicht belastet ist. Aus dem ursprünglichen<br />

Tauschmittel Geld ist durch den Zins ein<br />

Spekulationsobjekt geworden, unser Geldsystem ist<br />

damit falsch gestrickt. Die Gesellschaft ist durch sozialen<br />

Abbau, Verschuldung <strong>und</strong> hohe Arbeitslosigkeit gekennzeichnet<br />

<strong>und</strong> benötigt einen ökonomischen Wechsel.<br />

Derzeit spielen bei der Arbeit die Faktoren Mensch <strong>und</strong><br />

Ökologie<br />

keine Rolle,<br />

nur der Faktor<br />

Geld zählt.<br />

Das Geld ist<br />

nicht örtlich<br />

geb<strong>und</strong>en<br />

sondern kann<br />

je nach Wirtschaftlichkeit<br />

an jedem beliebigen<br />

Ort<br />

eingesetzt<br />

werden. Dringend<br />

benötigt<br />

wird eine<br />

ökonomische Alternative, ein sinnvolles <strong>und</strong> verantwortungsvolles<br />

Wirtschaften. Wir benötigen ein neues Geldsystem,<br />

das Menschen <strong>und</strong> Umwelt in den Prozess Arbeit<br />

einbezieht. Genau wie der Umweltschutz oder die alternative<br />

Medizin, die anfangs wenig Anerkennung fanden<br />

<strong>und</strong> inzwischen nicht mehr aus unserer Gesellschaft<br />

wegzudenken sind, muss die Ökonomie sich ihren Weg<br />

bahnen. Ein Weg hierzu ist der Aufbau lokaler Währungssysteme,<br />

die aus der Inselfunktion herausgeführt<br />

werden müssen.<br />

Adrian Reiner, Stiftung Mitarbeit<br />

Tauschsysteme zeigen viel soziales Kapital für die Fähigkeiten<br />

<strong>und</strong> die Bereitschaft zur Zusammenarbeit in einer<br />

Gesellschaft. Die zentralen Gr<strong>und</strong>lagen der Demokratie<br />

werden gefördert. Der Trend im gesellschaftlichen Engagement<br />

geht dahin, dass der Wert des eigenen Engagements<br />

konkret erfahren werden möchte. Dies geschieht<br />

in kleinen Gruppen, projektgeb<strong>und</strong>en, themenspezifiziert,<br />

zielgerichtet <strong>und</strong> temporär. Die Stiftung Mitarbeit<br />

unterstützt differenzierte Angebotsformen, engagementfördernde<br />

Kontaktstellen <strong>und</strong> Gruppen, die die Möglichkeit<br />

zur Mitverantwortung bieten.<br />

Das Prinzip der Gegenseitigkeit in Tauschringen gibt ein<br />

Gefühl für Gerechtigkeit in der Gesellschaft <strong>und</strong> bietet<br />

Raum für Visionen im Kleinen. Die Stiftung Mitarbeit<br />

verfolgt <strong>und</strong> unterstützt die spannende Entwicklung.<br />

Cornelia Assion, B<strong>und</strong>esministerium<br />

f. Ges<strong>und</strong>heit (BMG)<br />

Aus Sicht des BMG ist die Stärkung <strong>und</strong> Weiterentwicklung<br />

der Selbsthilfe förderungswürdig. Bei Tauschsystemen<br />

findet ein Perspektivenwechsel statt. Der Blick wird<br />

auf die Fähigkeiten des Menschen gelenkt <strong>und</strong> nicht auf<br />

seine Schwächen. Dies stärkt das Selbstwertgefühl des<br />

Einzelnen <strong>und</strong> hat aktivierende Wirkung. Tauschsysteme<br />

wirken dem Trend der Vereinsamung entgegen <strong>und</strong><br />

diese Entwicklung wird mit Wohlwollen verfolgt.<br />

(Anm.d.Red.: Das BMG hat das B<strong>und</strong>estreffen finanziell<br />

gefördert).<br />

Ottmar Miles-Paul, ehem. Zeitbörse<br />

Kassel, Stadtverordneter<br />

Durch die Idee der Gleichsetzung "1 St<strong>und</strong>e gegen 1<br />

St<strong>und</strong>e" wird ein Umdenkprozess über die Arbeit von<br />

Benachteiligten, über Familienarbeit usw. eingeleitet <strong>und</strong><br />

eine Sicherheit generiert. Die Tauschsystem-Bewegung<br />

ist wie ein Marathon: Wir hatten einen guten Start, wir<br />

setzen uns Ziele, wir arbeiten hart. Zu klären ist dabei:<br />

Wie führen wir eine Organisation? Wie gehen wir mit<br />

Menschen um?<br />

Der Politik vor Ort sind heute durch Unternehmen enge<br />

Grenzen gesetzt, wenn z.B. ein Konzern seinen Sitz verlagert<br />

<strong>und</strong> hierdurch viele Arbeitsplätze (<strong>und</strong> Steuern)<br />

verloren gehen. Um Menschen vor Ort zu halten ist eine<br />

gute Lebensqualität wichtig. In Tauschringen wird den<br />

Menschen eine Chance gegeben, aktiv zu sein, sich zu<br />

engagieren <strong>und</strong> gegen Einsamkeit anzugehen.<br />

evolution • Nr.13 November 2002


Sonja Leinemann, (in Vertr. des Bürgermeisters)<br />

Leiterin der Volkshochschule<br />

Witten<br />

Die Stadt Witten unterstützt seit Jahren viele Selbsthilfeprojekte<br />

wie die Tafel, die Freiwilligenbörse etc., jedoch<br />

wird dies aufgr<strong>und</strong> der wirtschaftlichen Situation der<br />

Kommunen immer schwieriger zu finanzieren. Tauschringe<br />

sind eine Alternative, bürgerschaftliches Engagement<br />

zu entwickeln. Wichtig ist bei Tauschsystemen der<br />

Aspekt, dass Menschen lernen, ihr Selbstwertgefühl<br />

nicht nur über die Erwerbsarbeit zu definieren. Unsere<br />

Gesellschaft muss sich umorganisieren <strong>und</strong> Tauschringe<br />

zeigen den Menschen, dass es ein Leben jenseits der Arbeit<br />

gibt.<br />

Klaus Reichenbach, Zeitbörse Kassel,<br />

ATF, ISL e.V. (Inst.f. selbstbestimmtes<br />

Leben)<br />

In Tauschsystemen holen wir uns einen Teil Lebensqualität<br />

zurück, indem wir uns durch Tausch mehr Möglichkeiten<br />

erschaffen <strong>und</strong> ein Gegengewicht zur Globalisierung<br />

geben. Der ortsgeb<strong>und</strong>ene Tausch stärkt die Region<br />

<strong>und</strong> hält auch Unternehmen am Ort, wenn sie in<br />

das Tauschsystem eingeb<strong>und</strong>en werden.<br />

In der anschließenden Diskussion fielen Sätze wie:<br />

- Wertestruktur überdenken, die eigene genauso wie die<br />

der Gesellschaft.<br />

- In ländlichen ursprünglichen (Familien-)Strukturen<br />

war Leben ohne Geld möglich.<br />

- In einigen Kulturen gibt es keinen Tausch, dort wird<br />

gerne <strong>und</strong> viel geschenkt.<br />

- In 30 Jahren werden nur 50% der Bevölkerung bezahlte<br />

Arbeit haben. Eine andere Verteilung der Arbeit, ein<br />

anders definiertes Selbstwertgefühl sind notwendig.<br />

Auch die Politik sollte offen mit diesem Thema umgehen<br />

statt immer wieder sinkende Arbeitslosenzahlen zu prophezeien.<br />

- Sind Tauschringe dazu da, dieses menschenverachtende<br />

System zu protegieren?<br />

- Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> Beihilfen werden von den Kommunen<br />

in absehbarer Zeit weniger unterstützt werden können.<br />

- Im weltweiten Vergleich haben wir derzeit ein Sozialsystem<br />

auf hohem Niveau <strong>und</strong> wir sollten uns überlegen,<br />

was wir jetzt für später tun können, wenn sich dies ändert.<br />

Wir müssen jetzt die Diskussion für Rahmenbedingungen<br />

in der Gesellschaft anregen.<br />

- Das BMG kann<br />

Tauschsystemen<br />

keine direkte Hilfe<br />

geben, wohl aber<br />

Projekte unterstützen,<br />

Türen öffnen,<br />

Kontakte vermitteln<br />

<strong>und</strong> die Idee publik<br />

machen.<br />

- Geld ist frei<br />

weitergebbar, Zeit<br />

ist ortsgeb<strong>und</strong>en.<br />

- Tauschsysteme<br />

müssen raus aus<br />

dem Fre<strong>und</strong>eskreis,<br />

aus der "Kuschel-<br />

Ecke".<br />

Die gesamte Tagung gab viel Raum für kleine <strong>und</strong> größere<br />

Diskussionsr<strong>und</strong>en zu unterschiedlichen Tausch-<br />

Themen wie Tauschring-Organisation, Lokale Agenda 21,<br />

Integration von benachteiligten TeilnehmerInnen, Neuaufnahme<br />

<strong>und</strong> Motivation von Mitgliedern, Zusammenarbeit<br />

mit Institutionen, Basisdemokratie, Stand im<br />

Ressourcen-Tauschring u.v.m.<br />

Der Wittener Tauschring hatte die Veranstaltung gut vorbereitet:<br />

Tauschtaxis sorgten für den Transport zu Bahn<br />

<strong>und</strong> Quartier, Speis <strong>und</strong> Trank waren reichlich <strong>und</strong> gut,<br />

die Moderation genauso wie die Örtlichkeit gut gewählt.<br />

Etwas wenig Beachtung fanden leider die guten kulturellen<br />

Angebote wie die Literatureinlage sowie die Flamenco-<br />

<strong>und</strong> Klaviermusik. Der Gedankenaustausch stand für<br />

die TeilnehmerInnen eindeutig im Vordergr<strong>und</strong>.<br />

Im Schlussplenum wurde die unverändert offene B<strong>und</strong>esstruktur<br />

aufgelistet sowie einige verbleibende unterschiedliche<br />

Sichtweisen festgehalten. Vielleicht eine<br />

Gr<strong>und</strong>lage für das nächste B<strong>und</strong>estreffen der Tauschsysteme,<br />

das in Bad Aibling (Bayern) stattfinden wird.<br />

Dagmar Capell, Tauschring Harburg<br />

Dieser Bericht ist nicht vollständig oder von den Rednern<br />

autorisiert, sondern nur ein erster Eindruck. Die vollständige<br />

Dokumentation über das Treffen ist gegen _ 12,50 erhältlich<br />

bei:<br />

Tausch- <strong>und</strong> Aktivitäten-Börse Witten <strong>und</strong> Umgebung<br />

c/o Elke Conrad<br />

Lutherstr. 14, 58452 Witten<br />

E-Mail: tauschboersewitten@gmx.de / Fax: 02302-275798<br />

Quelle: Tauschmagazin Nr. 3, Oktober 2002<br />

21<br />

evolution • Nr.13 November 2002


Veranstaltungsbericht<br />

SffO-Tagung<br />

Der Bildungsgutschein – ein Schritt zu<br />

pädagogischer Freiheit <strong>und</strong> Vielfalt?<br />

Nachdem das Bildungsthema seit Ende der 70er Jahre in einen Dornröschenschlaf versunken<br />

war, rüttelte die Pisa-Studie die Verantwortlichen <strong>und</strong> auch die Öffentlichkeit wieder wach.<br />

Dass Deutschland inzwischen in die dritte Bildungsliga abgestiegen ist, diese Erkenntnis<br />

wirkt seitdem wie ein Schock. Ursachenforschung für dieses Bildungsdesaster ist angesagt.<br />

Bernd Hercksen berichtet über einen tiefgreifenden Lösungsansatz.<br />

22<br />

Die deutsche Kultusministerkonferenz<br />

arbeitet<br />

bereits an der<br />

Einführung gesamtdeutscher<br />

Bildungsstandards.<br />

Ob das der<br />

Freiheit im Bildungswesen<br />

dient?!<br />

Dem Seminar für freiheitliche Ordnung ging es in dieser<br />

Tagung vom 5. – 6. Oktober 2002 nicht um die Wiederholung<br />

der üblichen Rezepte wie "Mehr Gesamtschulen"<br />

oder "B<strong>und</strong>eseinheitliche Prüfungen". Statt mit staatlichen<br />

<strong>und</strong> zentralistischen Verwaltungsakten soll die<br />

Bildungskrise durch die Einführung von Bildungsgutscheinen<br />

gelöst werden, die mehr Wettbewerb <strong>und</strong><br />

Selbstbestimmung der Bildungsträger <strong>und</strong> damit eine<br />

bessere Bildung ermöglichen.<br />

Am Beginn standen zwei Referate, um erst einmal die<br />

Voraussetzungen für eine solche tiefgreifende Bildungsreform<br />

zu klären. Eckhard Behrens, ein Vorstandsmitglied<br />

des Seminars, der lange Jahre in der Heidelberger<br />

Universitätsverwaltung tätig war, gab zunächst einen<br />

Überblick über die gegenwärtige ordnungspolitische Reformdiskussion.<br />

Eckhard Behrens: Das Bildungswesen<br />

im ordnungspolitischen Umbruch.<br />

Seine These:<br />

Nur ein konsequenter<br />

Rückzug des<br />

Staates aus<br />

der Bildung<br />

führt zu<br />

internationaler<br />

Wettbewerbsfähigkeit.<br />

Dabei<br />

braucht es<br />

eine Vielzahl<br />

von Schritten,<br />

um den<br />

schwierigen Übergang von einer staatlich gelenkten <strong>und</strong><br />

verwalteten Bildung zu einem freiheitlichen Bildungswesen<br />

zu bewältigen. Die Voraussetzungen dazu sind in den<br />

drei Bereichen Kindergärten – Schulen – Unis sehr verschieden.<br />

Im Kindergartenbereich ist der Staat kaum präsent, Träger<br />

sind meistens die Kommunen oder freie Träger, die<br />

dem pädagogischen Personal einen großen Spielraum<br />

geben.<br />

Das Schulsystem wird dagegen vom Staat dominiert, nur<br />

5% aller Schüler besuchen Privatschulen. In den staatlichen<br />

Schulen bestimmt das Kultusministerium des jeweiligen<br />

B<strong>und</strong>eslandes zentralistisch die Inhalte bzw.<br />

den Lehrplan, es ist auch der Dienstherr der als Landesbeamte<br />

angestellten Lehrer. Die Kommunen sind nur für<br />

äußere Angelegenheiten zuständig.<br />

Ganz anders ist wiederum die Situation des Universitätsbereichs.<br />

Die Selbstverwaltung der Hochschule war nie<br />

umstritten, sie hat aber ihre Grenzen: Jede Uni muss<br />

ihre Mittel vom B<strong>und</strong>esland beantragen <strong>und</strong> kann über<br />

diese nicht frei verfügen. Der Referent forderte einen<br />

Globalhaushalt für die Unis, den diese selbst verwalten<br />

können sollten, wie dies beispielsweise jetzt schon in<br />

Baden-Württemberg der Fall ist. Eine weitere Beschränkung<br />

der Autonomie der Hochschule liegt in der Bezahlung<br />

des Hochschulpersonals durch das B<strong>und</strong>esland.<br />

Jobst von Heynitz: Parallelen <strong>und</strong> Polaritäten<br />

zwischen wirtschaftlichem<br />

<strong>und</strong> kulturellem Wettbewerb<br />

Wettbewerb ist im Wirtschaftsleben allgegenwärtig,<br />

immer geht es um den Erfolg im Vergleich zur Konkurrenz.<br />

Aufgabe der Ordnungspolitik ist es, für fairen Wettbewerb<br />

zu sorgen <strong>und</strong> unlautere Methoden zu verhindern.<br />

In der Wirtschaft ist die eigene Leistung für den<br />

Produzenten wertlos, er produziert in einem arbeitsteiligen<br />

System für den K<strong>und</strong>en. Im Vordergr<strong>und</strong> des Interesses<br />

steht daher stets die Gegenleistung, die er von ihm<br />

für seine Leistung bekommt. Die Kosten der Produktion<br />

müssen durch den Verkaufspreis gedeckt werden, sonst<br />

gerät der Betrieb in den Konkurs.<br />

Der Wettbewerb in der Kultur ist nicht der gleiche wie in<br />

der Wirtschaft. Künstlern, Wissenschaftlern <strong>und</strong> Lehrern<br />

geht es primär um die Sache selbst, sie haben im Gegensatz<br />

zu Produzenten in der Wirtschaft ein großes Interesse<br />

an ihrem Produkt, weil sie sich mit ihm identifizieren.<br />

Die Nachfrage hat im Kulturbereich nicht den Ausschließlichkeitscharakter<br />

wie in der Wirtschaft. Entgelte<br />

sind zwar nicht ausgeschlossen, es gibt aber auch öffentliche<br />

<strong>und</strong> private Spenden <strong>und</strong> Subventionen. Daher sind<br />

in der Kultur nicht kostendeckende Preise möglich.<br />

Wegen dieser Unterschiede wird eine Ökonomisierung<br />

<strong>und</strong> Kommerzialisierung der Kultur – die Übertragung<br />

der Maßstäbe der Wirtschaft auf die Kultur – von den<br />

meisten Menschen abgelehnt. Entscheidend für die Kulturentwicklung<br />

ist die Spendenbereitschaft der Bevölkerung,<br />

wobei eine gerechte Einkommensverteilung durch<br />

eine Geldreform Voraussetzung ist. Ohne eine solche<br />

muss auch der Staat mit Subventionen die Kultur fördern,<br />

darf aber ihre Inhalte nicht bestimmen – Freiheit<br />

sei ein Wesensmerkmal der Kultur.<br />

evolution • Nr.13 November 2002


Eckhard Behrens: Der Bildungsgutschein<br />

– staatliche Finanzierung<br />

freier Entfaltung<br />

Nach der Vorarbeit der beiden Referate ging es endlich<br />

zum eigentlichen Thema, dem Bildungsgutschein. Alle<br />

Eltern von minderjährigen Kindern bzw. alle erwachsenen<br />

Schüler <strong>und</strong> Studenten bekommen vom Staat einen<br />

nicht übertragbaren Bildungsgutschein, mit dem sie frei<br />

entscheiden können, welches bisher direkt vom Staat finanzierte<br />

Bildungsangebot sie nutzen wollen. Sie bezahlen<br />

das Bildungsangebot mit dem Bildungsgutschein,<br />

den die Bildungseinrichtung beim Staat zu dem vom Gesetzgeber<br />

festgelegten Betrag einlösen kann. Die Bildungseinrichtung<br />

hat also nur so viel Geld wie sie Schüler<br />

hat. Der Referent nannte mehrere Gründe für die<br />

Beibehaltung der staatlichen Finanzierung der Bildung<br />

als Bedingung für die Gewährleistung des Rechts auf Bildung<br />

bzw. für den kostenlosen Schulbesuch.<br />

• Die Kosten des Bildungswesens können nur zum kleinen<br />

Teil mit privaten Spenden <strong>und</strong> Stiftungen aufgebracht<br />

werden, deswegen sei eine staatliche Finanzierung<br />

der Bildung weiterhin sinnvoll.<br />

• Auch eine andere, geschichtliche Überlegung führt zu<br />

dieser Konsequenz: Früher zogen Eltern ihre Kinder<br />

groß, wurden dann aber im Alter von ihnen versorgt.<br />

Heute entfällt diese Gegenleistung. Die Kosten der Erziehung<br />

bleiben also privat, während ihr Nutzen – die Arbeitsleistung<br />

<strong>und</strong> die Rentenzahlungen der späteren Erwachsenen<br />

– sozialisiert wird. Das Erziehungsgeld als<br />

Gegenstück zur Rente wurde nicht realisiert. Auch von<br />

daher wäre es falsch, die Eltern zusätzlich noch mit<br />

Schulgeld zu belasten.<br />

Leider wurde laut Behrens bei der staatlichen Bildungsfinanzierung<br />

das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Der<br />

Staat will nicht nur zahlen, sondern auch bestimmen,<br />

was mit seinem Geld geschieht. Angesichts weithin fehlender<br />

Alternativen machen sich die meisten Eltern auch<br />

keine Gedanken über gute <strong>und</strong> schlechte Bildung. Erst<br />

der Bildungsgutschein schärfe das Bewusstsein für die<br />

Bildungsqualität.<br />

Im Kindergartenbereich wird schon jetzt die Einführung<br />

des Bildungsgutscheins diskutiert. Hintergr<strong>und</strong> ist ein<br />

B<strong>und</strong>esgesetz, das den Kommunen seit Jahren vorschreibt,<br />

für alle 3-6-jährigen Kinder einen Halbtags-<br />

Kindergartenplatz bereitzustellen. Wegen des Geburtenrückgangs<br />

drohen jetzt Schließungen von Kindergärten.<br />

Proteste der Eltern könnten vermieden werden, wenn sie<br />

selbst den Kindergarten wählen könnten. In Hamburg ist<br />

der Bildungsgutschein in Form eines Kita-Gutscheins<br />

schon realisiert. Mit ihm können auch pädagogisch<br />

sinnvolle Differenzierungen nach Öffnungszeiten bis hin<br />

zu Ganztages-Kindergärten durchgesetzt werden.<br />

Im Schulbereich ist die Diskussion noch nicht so weit.<br />

Privatschulen bekommen aufgr<strong>und</strong> zu niedriger Angabe<br />

der Kosten pro Schüler an staatlichen Schulen weniger<br />

Zuschüsse <strong>und</strong> würden so benachteiligt. Vom Frankfurter<br />

Institut für internationale pädagogische Forschung<br />

werden die wirklichen Zahlen veröffentlicht; siehe auch<br />

Fragen der Freiheit Hefte 205 <strong>und</strong> 229.<br />

Welche praktischen Konsequenzen hätte der Bildungsgutschein<br />

für die einzelnen Schulen? Die Schule erwartet<br />

vom Schüler, dass er sich voll einbringt <strong>und</strong> nicht nur<br />

physisch anwesend ist, während die Eltern mit dem Bildungsgutschein<br />

im Rücken großen Einfluss darauf hätten,<br />

dass die Schule ihren Erwartungen entspricht. So<br />

könnte sich eine viel intensivere Zusammenarbeit von<br />

Schülern, Eltern <strong>und</strong> Lehrern entwickeln, während der<br />

Einfluss der Kultusbürokratie weitgehend ausgeschaltet<br />

wird. Der neue Geist der Zusammenarbeit <strong>und</strong> der pädagogischen<br />

Freiheit würde den Lernprozess wesentlich<br />

produktiver <strong>und</strong> lebendiger machen, als er heute ist.<br />

Eckhard Behrens: Der Bildungsgutschein.<br />

Von der Idee zur Verwirklichung.<br />

Nach diesem Überblick gab der Referent einen Überblick<br />

über die Realisierungschancen des Bildungsgutscheins.<br />

Universitäts- <strong>und</strong> Studienreform. Die Einheit von Forschung<br />

<strong>und</strong> Lehre an den Universitäten ist für Behrens<br />

auch in Zukunft sinnvoll. Viele Einrichtungen einer Uni<br />

(Bibliotheken, Forschungsreinrichtungen, Rechenzentren<br />

etc.) können dadurch doppelt genutzt werden,<br />

außerdem ist die Fragestellung des Forschers auch für<br />

Studenten anregend, es wird ihm nicht nur totes Wissen<br />

vorgesetzt. Allerdings führt die heutige Organisation der<br />

Uni zu einer Vernachlässigung der Lehre, denn für die<br />

wissenschaftliche Karriere <strong>und</strong> das Ansehen der Professoren<br />

ist allein die Forschung wichtig. So suchten sie<br />

sich möglichst vor ihren Lehrveranstaltungen zu drükken,<br />

die ihnen von der Verwaltung aufgezwungen werden.<br />

Der Referent brachte das abschreckende Beispiel<br />

eines "Professor Holiday", der nur eine meeresbiologische<br />

Lehrveranstaltung pro Jahr auf einer Mittelmeerinsel<br />

abhielt. Während heute die Qualität des Studienangebots<br />

für das Einkommen der Uni keine Rolle spielt, wird<br />

sie nach der Einführung von Bildungsgutscheinen ent-<br />

23<br />

evolution • Nr.13 November 2002


Veranstaltungsbericht<br />

SffO-Tagung<br />

24<br />

Sokrates steht für die<br />

Neugierde, für das fragende<br />

Element, welches<br />

entscheidend ist:<br />

Die Schüler sollen<br />

nicht mit Wissen zugeschüttet<br />

werden.<br />

scheidend: je mehr Studenten, desto mehr Geld. Die<br />

Universitätsleitung wird auch den Professoren genau auf<br />

die Finger sehen, ob sie einen didaktisch qualifizierten<br />

Unterricht <strong>und</strong> die volle St<strong>und</strong>enzahl bringen. Die sonstigen<br />

Drittmitteleinnahmen für die Forschung bleiben von<br />

diesem System unangetastet.<br />

Schulen: Kommunen können weiter Schulträger bleiben,<br />

sie bekommen dann die Einnahmen der Bildungsgutscheine,<br />

sollten die Erlöse aber der jeweiligen Schule<br />

überlassen. Der Zwang zu besserer Unterrichtsqualität<br />

werde zu mehr Selbständigkeit des Lehrerkollegiums<br />

<strong>und</strong> zu kleineren Schulen führen, denn nur so könnten<br />

sie sich optimal den regionalen Gegebenheiten, den<br />

Interessen von Eltern, Schülern <strong>und</strong> Wirtschaftsbetrieben,<br />

anpassen.<br />

Fritz Andres: Sokrates <strong>und</strong> das deutsche<br />

Bildungswesen<br />

Zur Darstellung gr<strong>und</strong>sätzlicher Bildungsprobleme<br />

stellte der Referent die<br />

drei griechischen Philosophen Sokrates,<br />

Platon <strong>und</strong> Aristoteles vor, die zusammen<br />

als Einheit ähnlich der des Bildungssystems<br />

verstanden werden könnten.<br />

Sokrates steht für die Neugierde, die<br />

Bereitschaft, alles in Frage zu stellen, er<br />

verkörpert die Ethik <strong>und</strong> das Wollen.<br />

Platon war bekannt für seine Betonung<br />

des Dialogs, er steht für die Kunst <strong>und</strong><br />

für das Können. Aristoteles verkörpert<br />

dagegen das Wissen <strong>und</strong> die Wissenschaft.<br />

Andres, der ebenfalls dem Vorstand des<br />

Seminars für freiheitliche Ordnung angehört,<br />

hält die Dreiheit <strong>und</strong> Ganzheit von<br />

Frage, Dialog <strong>und</strong> Antwort für zentral für die Bildung.<br />

Heute dagegen wird das Wissen überbetont, wie schon<br />

das Wort von der "Wissensgesellschaft" verrät. Doch<br />

Wissen ohne Wollen <strong>und</strong> Können bleibt wertlos. Mit dieser<br />

Argumentation wandte sich Andres vor allem gegen<br />

zentrale Leistungs- <strong>und</strong> Prüfungsstandards, die der individuellen<br />

Lern- <strong>und</strong> Persönlichkeitsentwicklung überhaupt<br />

nicht gerecht werde. Entscheidend ist die Neugierde,<br />

das Fragen des Schülers. Beides soll nicht mit fertigem<br />

Wissen zugeschüttet werden. Nur begeisterte Lehrer<br />

können in den Schülern die Liebe zur Sache wecken.<br />

Diese setzen keine zentralverwalteten <strong>und</strong> verbürokratisierten,<br />

sondern nur autonome Bildungseinrichtungen<br />

voraus, die auch das persönliche <strong>und</strong> soziale Umfeld<br />

einbeziehen.<br />

Eckhard Behrens: Der Bildungsgutschein<br />

als Impuls für Autonomie <strong>und</strong><br />

Wettbewerb<br />

Am Beispiel der Universitäten machte der Referent deutlich,<br />

dass der Bildungs-Wettbewerb ganz neue Lernprozesse<br />

bei Studenten <strong>und</strong> Universitäten in Gang setzen<br />

wird. So könnten die Unis versucht sein, mit Nebenleistungen<br />

wie attraktiven Sportstätten oder luxuriösen Mensen<br />

Studenten zu ködern. Die Studenten würden aber<br />

mit der Zeit lernen, dass letztlich das Kernangebot wichtiger<br />

sei.<br />

Heutzutage kümmern sich nur wenige Fakultäten um<br />

eine Analyse der Erwartungen <strong>und</strong> Fähigkeiten von Erstsemestern<br />

als Gr<strong>und</strong>lage für effektives Lernen in den<br />

Unis, weil diese für die Karriere von Professoren <strong>und</strong> als<br />

Einnahmefaktor der Unis praktisch keine Rolle spielt.<br />

Gemeinsame Einschätzung der politischen<br />

Verwirklichungsmöglichkeiten<br />

Bis jetzt enthält das B<strong>und</strong>eswahlprogramm der FDP den<br />

Bildungsgutschein für Kindergärten <strong>und</strong> Hochschulen,<br />

die Grünen hatten ihn für die Schulen im Entwurf ihres<br />

Gr<strong>und</strong>satzprogramms, strichen ihn jedoch auf dem<br />

B<strong>und</strong>esparteitag. In der Diskussion wurden vor allem<br />

die Widerstände sichtbar gemacht, die einer Verwirklichung<br />

der Bildungsgutscheine entgegenstehen. So gilt<br />

vor allem den Anhängern der Sozialdemokratie der Staat<br />

immer noch als Garant, um Schlimmeres zu verhüten.<br />

Wegen fehlender Alternativen sähen sie nicht, dass der<br />

Staat die Ursache der gegenwärtigen Bildungsmisere sei.<br />

Positiv wurde die <strong>Praxis</strong>tauglichkeit dieser Bildungsreform<br />

bewertet. Jede Schule könne mit den Veränderungen<br />

dort beginnen, wo sie zurzeit stehe. Die Schule <strong>und</strong><br />

das Lehrerkollegium würden nicht mehr von Reformen<br />

überrollt, die sich irgendwelche Minister ausdenken,<br />

sondern sie können selbst entscheiden, was <strong>und</strong> wie sie<br />

verändern wollen. Die Differenzierungen im Schulwesen<br />

zögen auch eine differenzierte Ausbildung nach sich, so<br />

könnte z. B. die Waldorf-Pädagogik als eigener Studiengang<br />

angeboten werden.<br />

Das Seminar für freiheitliche Ordnung unterstützt die<br />

weitere Verbreitung der Bildungsgutschein-Idee mit Referenten,<br />

Schriften <strong>und</strong> Flugblättern. Informationen bei:<br />

SffO, Badstr. 35, D-73087 Bad Boll, Tel.: 07164-3573,<br />

Internet: www.sffo.de<br />

evolution • Nr.13 November 2002


LeserInnen haben das Wort<br />

Bezeichnung "Natürliche"<br />

Wirtschaftsordnung stört<br />

(...) Zum Titel r-evolution möchte ich<br />

nur sagen, dass das der Evolution vorangestellte<br />

r beim Leser etwas im Unterbewusstsein<br />

hinterlässt, was der Zuneigung<br />

zu dieser Schrift nicht unbedingt förderlich<br />

ist. Die Menschen sind im Gr<strong>und</strong>e<br />

doch viel konservativer als man meint.<br />

Nicht jedem wird bewusst, dass ein Verfolgen<br />

einer Evolution, innerlich im Individuum<br />

eine Revolution notwendig<br />

macht, eine innere Beweglichkeit zu vielfältiger<br />

innerer Wendung aus Einsicht in<br />

die notwendige Entwicklung.<br />

Ein Anderes, was mich von Anfang an gestört<br />

hat, ist die Bezeichnung "Natürliche"<br />

Wirtschaftsordnung. Das Wirtschaften<br />

ist hervorgegangen aus dem menschlichen<br />

Denken, Fühlen <strong>und</strong> Wollen <strong>und</strong><br />

ist aus diesen heraus veranlagt, zu einem<br />

sozialen Kunstwerk zu werden.<br />

In einer natürlichen Gegebenheit, dem<br />

Baum, Stein, dem menschlichen Organismus<br />

für sich, ist aber der Gedanke<br />

vollkommen enthalten. Wo diese Gegebenheit<br />

die ihr gemäßen Bedingungen<br />

findet, wird sie existieren können, wo<br />

nicht, geht sie zu Gr<strong>und</strong>e. Nicht so bei<br />

der künstlich-künstlerisch durch den<br />

Menschen selbst hervorgebrachten Gegebenheit<br />

der Wirtschaft. Dieses Produkt<br />

muss durch den Menschen <strong>und</strong> seine<br />

Evolution immer wieder erneuert, neu<br />

gestaltet <strong>und</strong> angepasst werden. Sie ist<br />

niemals Natur <strong>und</strong> darf nicht dem Natürlichen<br />

angepasst werden, denn dies wäre<br />

nur Erstarrung in der Form. Sondern sie<br />

muss so lebendig sein, dass sie den aus<br />

dem menschlichen Geist stammenden -<br />

im Sozialen harmonisierten - Bedürfnissen<br />

aller Menschen gerecht wird.<br />

Der Inhalt der r-evolution hat überhaupt<br />

nichts Natürliches. Mit was sie sich auch<br />

befasst, es ist alles künstlich von Menschen<br />

gemacht, das Geld, die Börse, das<br />

Bodenrecht usw.<br />

Also: INTERNATIONALE VEREINIGUNG FÜR<br />

WIRTSCHAFTSORDNUNG, RECHTSORD-<br />

NUNG, SOZIALORDNUNG - INWO könnte<br />

somit bleiben.<br />

Diese schöne Zeitschrift sollte eine Zukunft<br />

haben, vielleicht liegt diese in<br />

einer Erweiterung <strong>und</strong> einem Zusammenklingen<br />

der Themen.<br />

Heinrich Imfeld, CH-Zürich<br />

Gutes tun<br />

Betr.: "Dem neuen Denken zum Durchbruch<br />

verhelfen" von V. Svitak (r-evolution<br />

Nr. 11/Sept. 2002)<br />

(...) Ich habe die Einleitung zum "Neuen<br />

Denken" in Nr. 11 gelesen – so kann das<br />

nicht stehen bleiben. "Tue Gutes, weil es<br />

letztlich wieder auf Dich zurückkommt".<br />

Das ist kein neues Denken!! Es ist dringend<br />

nötig, "Gutes" zu tun, ohne gleich<br />

zu bedenken, wie sich das in Heller <strong>und</strong><br />

Pfennig lohnt.<br />

Dr. Oskar Peter, D-Bingen<br />

Wirtschaftswachstumszwang<br />

wegen technischem Fortschritt?<br />

Der Artikel "Ungute Erinnerung an die<br />

90er Jahre" von Matthias Frieden (Berner<br />

Zeitung vom 30.9.2002) bewog mich zu<br />

diesem Leserbrief:<br />

Im ersten Artikel Ihrer neuen Serie zur<br />

schweizer Wirtschaft steht die Behauptung,<br />

wegen des technischen Fortschrittes<br />

gehe es uns jedes Jahr schlechter, wenn<br />

die Wirtschaft nicht wachse. Dann würden<br />

immer weniger beschäftigt, um<br />

gleichviel zu produzieren. Wer kauft aber<br />

die Güter, welche in gleicher Menge von<br />

weniger Erwerbstätigen produziert werden?<br />

Weiter heißt es, die Steigerung der<br />

Arbeitsproduktivität sorge für höhere<br />

Einkommen. Und diese seien wiederum<br />

die Gr<strong>und</strong>lage für mehr Konsum. Kann<br />

demnach bei höherer Arbeitsproduktivität<br />

nicht die Lebensarbeitszeit reduziert<br />

werden, <strong>und</strong> zwar ohne Lohneinbuße?<br />

So blieben alle beschäftigt bei gleicher<br />

Kaufkraft. Wo bleibt der Zwang zum<br />

Wirtschaftswachstum?<br />

Die Ursache des exponentiellen (prozentualen!)<br />

Wirtschaftswachstumszwangs<br />

liegt zur Hauptsache im Zins- <strong>und</strong> Zinseszins<br />

begründet. Wer einen Kredit<br />

gegen Zinsen (netto <strong>und</strong> real) aufnimmt,<br />

muss letztendlich mehr zurückzahlen, als<br />

er je an Geld erhalten hat. Wie sollen<br />

aber alle Kreditnehmer in einer Volkswirtschaft<br />

(bzw. weltweit) nach X Jahren<br />

insgesamt mehr zurückzahlen, als sie erhalten<br />

haben, wollen sie nach diesen X<br />

Jahren nicht ärmer sein als vorher? Da<br />

bleibt nur eins: sie müssen entsprechend<br />

der Zinsen mehr verdienen, d.h. produzieren<br />

<strong>und</strong> verkaufen. Aber ohne Wirtschaftswachstum<br />

bleibt der zu verteilende<br />

Kuchen gleich. Dann können alle Teilnehmer<br />

des Güterautausches im Schnitt<br />

nicht mehr einnehmen als ausgeben. Also<br />

werden im Schnitt die, welche Zinsen<br />

zahlen, auf Dauer ärmer als vor der Kreditaufnahme.<br />

Dass in einer solchen Situation<br />

kaum Investitionen getätigt werden,<br />

dürfte wohl einleuchten. Bleiben<br />

aber die Investitionen aus, verringert<br />

sich die Nachfrage, die Wirtschaft<br />

schrumpft – <strong>und</strong> je höher die Differenz<br />

zwischen Zinsen <strong>und</strong> Wirtschaftswachstum<br />

desto ausgeprägter.<br />

Daraus kann die Notwendigkeit abgeleitet<br />

werden, Rahmenbedingungen zu<br />

schaffen, welche den raschen Rückfluss<br />

der Ersparnisse in die Realwirtschaft (!)<br />

sicherstellen – unabhängig vom Zinssatz.<br />

So werden sich die Zinsen dem Wachstum<br />

angleichen <strong>und</strong> nicht umgekehrt. Damit<br />

ließen sich charakteristische Merkmale<br />

des jetzigen Wirtschaftssystems wie<br />

Wachstumszwang, Arbeitslosigkeit, Inflation,<br />

Deflation <strong>und</strong> wachsende Schuldenberge<br />

der öffentlichen Hand überwinden.<br />

Claude-A. Perrochet, CH-Stettlen<br />

25<br />

evolution • Nr.13 November 2002


Agenda<br />

Termine <strong>und</strong> Veranstaltungen<br />

26<br />

Termine Schweiz<br />

TALENT-Treff Zürich<br />

Jeden 2. Tag im Monat, 19.00-22.00 Uhr<br />

im Kraftwerk 1, Dachterrasse Haus B1, 4.<br />

Stock,<br />

Hardturmstr. 261, Haltestelle Bernoullihäuser<br />

(Tram 4)<br />

INWO-Treff Zürich<br />

(vormals INWO-Gesprächsr<strong>und</strong>e)<br />

Jeden 3. Donnerstag im Monat, 19.00 Uhr<br />

im Rest. Clipper, Lagerstr. 1 (5 Gehminuten<br />

vom HB, nach der Sihlpost)<br />

Nächstes Treffen am 21.11. zum Thema<br />

"Wirtschaftswachstum"<br />

TALENT-Treff Basel<br />

Jeden letzten Dienstag im Monat, 18.30 Uhr<br />

im Baizli, Bärenfelserstr. 36, 4000 Basel<br />

INWO Regionalgruppe Bern<br />

Treffen von Mitgliedern <strong>und</strong> Interessierten<br />

Jeweils mittwochs von 14.00-16.00 Uhr<br />

im Rest.-Café Vatter, Bärenplatz 2 (ca. 3<br />

Min. vom Bhf.)<br />

Nächstes Treffen: 20.11.<br />

Mahnwachen am Paradeplatz Zürich<br />

<strong>und</strong> gleichzeitig vor der Heiliggeist-Kirche<br />

in Bern<br />

Schluss mit Besatzung <strong>und</strong> Krieg<br />

in Israel <strong>und</strong> Palästina. Wir wollen<br />

Frieden.<br />

Jeden zweiten Freitag im Monat, 12.30-<br />

13.00 Uhr<br />

(Zürich: Paradeplatz, Seite Zeughauskeller/Grieder)<br />

Nächstes Datum: 13.12.<br />

Veranstaltungen im Boldernhaus<br />

Zürich<br />

Voltastr. 27, 8044 Zürich<br />

"Der Lockruf des Geldes. Ethik in<br />

Finanz <strong>und</strong> Wirtschaft - Gespräche<br />

am Donnerstagabend zu Geld <strong>und</strong><br />

ethischen Geldanlagen"<br />

Leitung: Dr. Daniel Schmid Holz <strong>und</strong> Pfr.<br />

Dr. Christoph Weber<br />

Nächste Daten:<br />

"Finanzkrisen: Ursachen, Prävention,<br />

Therapie", mit Prof. Dr. Christine Hirszowicz,<br />

Professorin der Betriebswirtschaftslehre<br />

mit Schwerpunkt Bankpolitik am Institut<br />

für Schweizerisches Bankwesen der<br />

Uni Zürich<br />

Do, 21. November 2002<br />

"Der Kirchenfonds – theologisch-ethische<br />

Spitzenkriterien für Anlagen", mit Pfr.<br />

Prof. Dr. Christoph Stückelberger, Zentralsekretär<br />

Brot für alle<br />

Do, 05. Dezember 2002<br />

Auskunft:<br />

Martina Müller, Tel.: 01 921 71 21<br />

Programm siehe:<br />

www.boldern.ch/pdf/villaethik.pdf<br />

Veranstaltungen in der Paulus-<br />

Akademie Zürich<br />

Carl-Spitteler-Str. 38, 8053 Zürich, Tel.: 01<br />

381 40 00<br />

Die Vereinbarkeit von Familie <strong>und</strong><br />

Beruf fördern!<br />

Leitung Dr. Max Keller, PAZ<br />

Fr-Sa, 22.-23. November 2002<br />

Termine Deutschland<br />

Föderalismus – Fehlentwicklungen<br />

<strong>und</strong> Reformbedarf<br />

Sa-So, 16.-17. November 2002<br />

Seminar für freiheitliche Ordnung e.V.<br />

Badstr. 35, 73087 Bad Boll<br />

Tel.: 07164-3573, E-Mail: info@sffo.de,<br />

Internet: www.sffo.de<br />

Geld <strong>und</strong> Umwelt<br />

Fr, 22. November 2002<br />

Nachmittagsvortrag von Helmut Creutz<br />

Umwelt-Akademie e.V. München<br />

Auskunft:<br />

Tel.: 08153-4751<br />

Das Ende der Zinswirtschaft -<br />

Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Perspektiven<br />

einer zukunftsweisenden Wirtschaftsordnung<br />

Fr-So, 6.-8. Dezember 2002<br />

in der Silvio-Gesell-Tagungsstätte, Wuppertal<br />

Einsteigerseminar über Ideen <strong>und</strong> Perspektiven<br />

der Geld- <strong>und</strong> Bodenreform<br />

Vorträge am Samstag ab 9.30 Uhr:<br />

- Klaus Popp "Zur Geschichte der Freiwirtschaft"<br />

- Helmut Creutz "Ökonomie ohne Kollaps"<br />

Beitrag für 2 Übernachtungen (Vollpension)<br />

zwischen 77 <strong>und</strong> 85 Euro.<br />

Anmeldung <strong>und</strong> weitere Informationen:<br />

klaus.popp@debitel.net, Tel.: 0211-304105<br />

"Gibt es Hoffnung auf eine gerechte<br />

Weltordnung?"<br />

Fr, 13. Dezember 2002, 19.00 Uhr<br />

Strukturen <strong>und</strong> Entwicklungen des internat.<br />

Systems <strong>und</strong> Ansätze für eine Neugestaltung<br />

im 21. Jahrh<strong>und</strong>ert mit der Perspektive:<br />

Demokratische Weltföderation.<br />

Veranstaltung des Equilibrismus e.V. in der<br />

Seidl-Villa, Nicolaiplatz 1b, 80802 München<br />

Referent: Andreas Bummel<br />

Eintritt: 5 Euro<br />

Energie - Umwelt - Gesellschaft<br />

Aktuelle Probleme aus wissenschaftlicher<br />

Sicht in einer Ringvorlesung an der Freien<br />

Universität Berlin<br />

Jeweils mittwochs 18.15-20.00 Uhr<br />

im Chemiegebäude, Takustr. 6, Hörsaal<br />

Die destruktiven Gesetzmäßigkeiten<br />

des Zinssystems <strong>und</strong> Wege zu<br />

seiner Überwindung<br />

Di, 19. November 2002<br />

Prof. Dr. Bernd Senf. Fachhochschule für<br />

Wirtschaft, Berlin, Moderation: Thomas<br />

Betz<br />

(ausnahmsweise Dienstag)<br />

Wege aus einer kranken Gesellschaft<br />

– Sozialpsychologische<br />

Überlegungen im Anschluss an<br />

Erich Fromm<br />

Mi, 27. November 2002<br />

Prof. Dr. Johannes Heinrichs. Humboldt-<br />

Universität Berlin, Moderation: Thomas<br />

Betz<br />

Geld, Macht <strong>und</strong> die menschliche<br />

Psyche<br />

Mi, 04. Dezember 2002<br />

Priv.-Doz. Dr.med. Dr.phil. Gerhard Danzer,<br />

psychosomatische Medizin, Charit6, HU<br />

Berlin, Moderation: Michael Stitzel<br />

Kapitalismus am Ende?<br />

Mi, 11. Dezember 2002<br />

Prof. Dr. Klaus Peter Kisker, Wirtschaftswissenschaft,<br />

FU Berlin, Moderation: Thomas<br />

Betz<br />

Globalisierung - Ende der Demokratie?<br />

Wahrscheinliche Grenzen<br />

der Globalisierung<br />

Mi, 18. Dezember 2002<br />

Dr. Hermann Scheer, MdB, Moderation:<br />

Helmut Tributsch<br />

Auskunft: Dipl.-Kfm. Thomas Betz, Tel.:<br />

030-611 5555 oder 0163-611 5555<br />

evolution • Nr.13 November 2002


Buch-Besprechungen<br />

Michel Chossudovsky / Alfred Racek<br />

Michel Chossudovsky: Global<br />

Brutal – Der entfesselte<br />

Welthandel, die Armut, der<br />

Krieg. Zweitausendeins,<br />

Frankfurt 2002. 478 S.<br />

12,75 H<br />

Nicht sein Titel eines Wirtschaftsprofessors<br />

qualifiziert den Autor,<br />

sondern seine Jahrzehnte währende<br />

Tätigkeit auf beinahe allen<br />

Kontinenten. So lehrte er zur Zeit<br />

des Sturzes von Präsident Allende<br />

durch General Pinochet<br />

(1973) gerade in Chile, beim<br />

Amtsantritt von Präsident Fujimori<br />

(1990) war er gerade nach<br />

Peru zurückgekehrt. Überall beobachtete<br />

er den Einfluss <strong>und</strong><br />

die Macht des Internationalen<br />

Währungsfonds (IWF) <strong>und</strong> der<br />

Weltbank, deren Fäden an der<br />

Wall Street zusammenlaufen.<br />

Auch in Afrika <strong>und</strong> Asien stellte<br />

Chossudovsky fest, dass statt der<br />

versprochenen Segnungen der<br />

"freie Markt" eine "Globalisierung<br />

der Armut" bringt, indem<br />

skrupellose Diktatoren <strong>und</strong> rücksichtslose<br />

Diktate des IWF<br />

("Strukturanpassung") ihre<br />

Interessen auf dem Rücken der<br />

Menschen <strong>und</strong> auf Kosten der<br />

Umwelt durchsetzen.Aber er<br />

konstatiert auch eine Tendenz<br />

zur Absenkung des Lebensstandards<br />

breiter Bevölkerungskreise<br />

in Europa <strong>und</strong> den USA. Hier<br />

zwar nicht unter dem Druck des<br />

IWF, sondern bedingt durch die<br />

hohen Staatsverschuldungen, die<br />

die Sozialpolitik aus der Hand<br />

der Regierungen in die Hände<br />

der Finanzeliten verlagert haben.<br />

Chossudovsky beschreibt die<br />

dramatische Kapitalakkumulation<br />

in den Händen weniger <strong>und</strong><br />

mit allen Mitteln – auch <strong>und</strong><br />

konsequenterweise durch Krieg.<br />

Was auch er nicht sieht, ist der<br />

Antreiber Zins, der die Akkumulation<br />

erzwingt. Geradezu minutiös<br />

geht er alle Krisenherde der<br />

letzten Jahrzehnte durch <strong>und</strong><br />

zeigt die Verflechtungen geopolitischer<br />

mit wirtschaftlichen Interessen<br />

auf: Von Ruanda <strong>und</strong><br />

Äthiopien über Indien, Bangladesch<br />

<strong>und</strong> Vietnam nach Brasilien,<br />

Peru <strong>und</strong> Bolivien – es geht<br />

um politischen Einfluss, um Rohstoffe,<br />

um Kontrolle der Währungen.<br />

IWF <strong>und</strong> CIA arbeiten eng<br />

zusammen – auch bei der Destabilisierung<br />

von Staaten wie auf<br />

dem Balkan <strong>und</strong> in der ehemaligen<br />

Sowjetunion. In der Neuauflage<br />

ergänzt Chossudovsky seine<br />

Analyse um die Hintergründe der<br />

Terrorattacken des 11. September<br />

01 <strong>und</strong> die verborgenen<br />

Ziele des amerikanischen Krieges.<br />

Nach seiner Meinung stellt<br />

die angebliche "Kampagne<br />

gegen den internationalen Terrorismus"<br />

einen Eroberungskrieg<br />

dar <strong>und</strong> "erfüllt den Tatbestand<br />

dessen, was bei den Nürnberger<br />

Prozessen als schwerstes Verbrechen<br />

galt: Verschwörung gegen<br />

den Weltfrieden". Und er kündigt<br />

das nächste große Ziel des<br />

globalen Finanzkapitals an: Die<br />

Deregulierung des chinesischen<br />

Kreditwesens, die nach Chinas<br />

Aufnahme in die WTO "zu einer<br />

tödlichen Welle von Bankrotten"<br />

<strong>und</strong> zu einer "Destabilisierung<br />

der Landeswährung" führen<br />

wird. Damit sind "massive Arbeitslosigkeit<br />

<strong>und</strong> soziale Unruhen<br />

vorprogrammiert". Damit<br />

der Dollar hoch leben kann,<br />

müssen ganze Staaten zu Boden<br />

gehen. Chossudovsky (lehrt derzeit<br />

in Ottawa) schreibt nicht nur<br />

über die Folgen der Globalisierung,<br />

er handelt auch: In Seattle<br />

<strong>und</strong> Genua war er einer der "intellektuellen<br />

Aktivisten".<br />

Volker Freystedt<br />

Alfred Racek: Befreiungsphilosophie<br />

des Geldes. Thaur,<br />

Thaur, 268 Seiten, 21,- H<br />

Dem anspruchsvollen <strong>und</strong> ungewöhnlichen<br />

Titel im Zusammenhang<br />

mit Geld folgt ein ebensolcher<br />

Inhalt. Eine enorme Faktendichte,<br />

ein Schreibstil, der<br />

manchmal einem fantasiereichen,<br />

glasklaren Sturzbach ähnelt,<br />

allerdings auch ziemlich mit<br />

Begriffen bestückt, die ein gutes<br />

Lexikon voraussetzen für Leserinnen<br />

<strong>und</strong> Leser, die auf diesem<br />

Gebiet nicht gerade an der Uni<br />

examiniert wurden.<br />

Die Thematik des Buches ist ausgezeichnet<br />

recherchiert, berücksichtigt<br />

einen logisch geschlossenen<br />

Ablauf, dem man gut folgen<br />

kann. Das Verzeichnis verwende<br />

ter Literatur liest sich wie ein sozioökonomisches<br />

"Who is<br />

who?", in dem kaum jemand<br />

fehlt, der zum Thema etwas beizutragen<br />

hat. Mit einem Wort,<br />

wer dieses Buch gelesen hat,<br />

dem kann man sicherlich nicht<br />

so leicht irgendwelche Phrasen<br />

aus der Welt moderner, schillernder<br />

Geldlandschaft andrehen. In<br />

diesem Buch wird die alte Formel<br />

1 + 1 = 2 als einfache Realgr<strong>und</strong>lage<br />

zukünftiger Geldtechniken<br />

auf neuer <strong>und</strong> höherer<br />

Ebene lebendig. Wer dieses Buch<br />

gelesen <strong>und</strong> verstanden hat,<br />

wird sicherlich imstande sein,<br />

wie ein Katalysator sogenannte<br />

neue gesellschaftspolitische Angebote<br />

in seine Gr<strong>und</strong>bestandteile<br />

zu zerlegen <strong>und</strong> sich ein reales<br />

Bild von solchen Angeboten<br />

zu machen. Andererseits, wenn<br />

politische aktive Gruppierungen<br />

merken, dass es sehr wache Bürgerinnen<br />

<strong>und</strong> Bürger gibt, die<br />

sich mit leeren Phrasen nicht abspeisen<br />

lassen, wird sich auch<br />

die Qualität ihrer politischen Arbeit<br />

erheblich verbessern <strong>und</strong><br />

das wird allen zugute kommen.<br />

Also eine Investition, die sich sicher<br />

lohnt.<br />

J.M.<br />

evolution • Nr.13 November 2002


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aktuellen Auflagenhöhe sFr 50.-, was als Richtwert für den "Durchschnittsabonnenten" gilt. Wir sind sehr dankbar für<br />

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dann im Rahmen meiner Vereinsmitgliedschaft.<br />

r-evolution - Alternativen zum Kapitalismus<br />

2. Jahrgang, Nummer 9/2002<br />

Redaktion<br />

INWO Schweiz<br />

Redaktion r-evolution<br />

Sabine Bruppacher, Dr. Hans-Peter Studer<br />

Postfach<br />

CH-5001 Aarau<br />

E-Mail: s.bruppacher@bluewin.ch<br />

INWO Deutschland<br />

Redaktion r-evolution<br />

Beate Bockting (V.i.S.d.P.)<br />

Schanzenweg 86<br />

42111 Wuppertal<br />

E-Mail: bockting@t-online.de<br />

Abo Deutschland: albheim@web.de<br />

INWO Österreich<br />

Redaktion r-evolution<br />

Gerhard Margreiter<br />

Staudingergasse 11<br />

1200 Wien<br />

E-Mail: gerhard.margreiter@EUnet.at<br />

Abo Österreich: frat-hifa-inwo@netway.at<br />

Namentlich gekennzeichnete Beiträge<br />

geben nicht unbedingt die Meinung der<br />

Redaktion wieder.<br />

_________________________________________________________________<br />

Datum, Unterschrift<br />

Diese Bestellung kann ich innerhalb von 10 Tagen nach Bestelldatum widerrufen. Falls ich r-evolution nach Ablauf des Bezugjahres<br />

nicht mehr lesen möchte, genügt eine schriftliche Benachrichtigung an die INWO Schweiz spätestens 3 Monate<br />

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❑ ein r-evolution-Jahres-Abo (10 Hefte pro Kalenderjahr) ab der nächsten Ausgabe zum Preis von Euro 25.- frei Haus. Bei<br />

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Ende des Kalenderjahres.<br />

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Redaktionsschluss<br />

ist jeweils der 10. des Vormonats<br />

Für unverlangte Manuskripte etc. wird<br />

keine Haftung übernommen.<br />

Auflage<br />

3.000 Exemplare<br />

Erscheinungsweise<br />

10 Ausgaben pro Jahr<br />

Layout<br />

Umbach Grafik & Mediendesign, Münster<br />

Druck u. Versand<br />

Joh. Burlage, Münster<br />

Bezug<br />

Die r-evolution ist im Jahresabonnement<br />

zu beziehen bei:<br />

INWO Schweiz<br />

INWO Österreich (Euro 25.-)<br />

INWO Deutschland (Euro 25.-)<br />

Die r-evolution ist gleichzeitig Mitgliederzeitschrift<br />

der INWO Schweiz <strong>und</strong><br />

INWO Deutschland.<br />

Herausgeberin<br />

INWO International<br />

Sektion Deutschland<br />

INWO e.V.<br />

Max-Bock-Str. 55<br />

60320 Frankfurt/M.<br />

ISSN 1660-1653<br />

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Weil es für alle einfacher ist <strong>und</strong> Bankgebühren spart, erteile ich der INWO hiermit eine Einzugsermächtigung, die ich<br />

jederzeit widerrufen kann.<br />

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Kto.nr.<br />

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Zum Weihnachtsfest,<br />

das ist doch klar,<br />

schenk ich die Lektüre<br />

fürs kommende Jahr.<br />

Ein Abo für die r-evolution -<br />

keine/r sagt: Das hab ich schon.<br />

Im Gegenteil, man ist ganz froh<br />

Das Thema interessiert mich so!<br />

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Sambach 180<br />

96178 Pommersfelden


zu guter Letzt<br />

zu guter Letzt<br />

PVST, Deutsche Post AG, Entgelt bezahlt, D 56949<br />

Was wäre, wenn Gott Geld hätte?<br />

Ich frage mich oft<br />

was wäre<br />

wenn Gott<br />

Geld hätte<br />

Würde er es<br />

unter dem Apfelbaum<br />

im Garten begraben<br />

oder es zur Bank tragen<br />

<strong>und</strong> für sich arbeiten lassen<br />

<strong>und</strong> sich zur Ruhe setzen<br />

weil jetzt gesorgt ist<br />

für seine Zukunft<br />

:<br />

oder würde er<br />

nur das Notwendige ausgeben für sich<br />

<strong>und</strong> den Rest teilen mit den Armen<br />

oder mit Menschenrechtsbewegungen<br />

oder mit den Kräften der Reform,<br />

um so mitzutragen an dem großen Ringen<br />

um Gerechtigkeit <strong>und</strong> Frieden?<br />

Doch Gott hat ja<br />

gar kein Geld:<br />

Er gab es dir<br />

<strong>und</strong> mir!<br />

Was tun wir damit?<br />

Lasset uns also Fre<strong>und</strong>e machen mit dem ungerechten<br />

Mammon!<br />

Elvira Romero de Arcaute<br />

aus: Günter Banzhaf/Angelika Schmidt-Biesalski<br />

(Hrsg.) Geld regiert die Welt.<br />

Ein Lese- <strong>und</strong> Arbeitsbuch Peter Hammer Verlag, Wuppertal<br />

1985. S. 131.

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