Theorie und Praxis Theorie und Praxis - Inwo
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evolution<br />
Nr.13 November 2002<br />
friedlich, mitmenschlich, gerecht, nachhaltig, selbstbestimmt<br />
Euro 2,-<br />
sFr 3,-<br />
Damals wie heute<br />
Der verblüffte Sozialdemokrat 3<br />
World Economic Forum<br />
Gegenveranstaltungen der<br />
GlobalisierungskritikerInnen 11<br />
Veranstaltungsbericht<br />
Der Bildungsgutschein – ein Schritt zu<br />
pädagogischer Freiheit <strong>und</strong> Vielfalt? 22<br />
Wirtschaft <strong>und</strong> Währung in<br />
<strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong><br />
Ordoliberalismus, Neoliberalismus <strong>und</strong> Freiwirtschaft 5<br />
Freiwirtschaft ist mehr als Monetarismus 8<br />
Das Bethel-Geld 14<br />
Porto Alegre – Stadt der zukunftsfähigen Ideen 17
2<br />
Editorial<br />
Editorial<br />
<strong>Theorie</strong>n müssen auch<br />
in der <strong>Praxis</strong> taugen<br />
Von Schopenhauer stammt das<br />
Zitat: "Die Gelehrten sind die,<br />
welche in den Büchern gelesen<br />
haben; die Denker, die Genies,<br />
die Welterleuchter <strong>und</strong><br />
Förderer des<br />
Menschengeschlechts<br />
sind aber<br />
die, welche<br />
unmittelbar<br />
im Buche<br />
der Welt gelesen<br />
haben."<br />
Mag sein,<br />
dass dieser<br />
Philosoph durch sein Lesen im<br />
"Buch der Welt" die pessimistische<br />
Welt- <strong>und</strong> Lebensanschauung<br />
gewonnen hat, die<br />
ihm i. Allg. zugeschrieben<br />
wird.<br />
Auch in unserer Zeit liest sich<br />
die Welt geradezu wie ein<br />
düsterer Krimi, der wenig Anlass<br />
zu Optimismus gibt. Umweltzerstörung,<br />
Armut, Arbeitslosigkeit,<br />
unzählige Krisen,<br />
bereits geführte oder noch<br />
bevorstehende Kriege – das ist<br />
die <strong>Praxis</strong>, die jetzt immer<br />
mehr auch zu uns durchdringt.<br />
Die <strong>Praxis</strong> von heute soll ja<br />
die <strong>Theorie</strong> der Großväter<br />
sein. Betrachtet man die heutige<br />
Wirklichkeit, so haben die<br />
<strong>Theorie</strong>n der führenden Ökonomen<br />
der letzten 150 Jahre<br />
offenbar einige Schwachstellen<br />
aufzuweisen. Dass die Politik<br />
mit den herkömmlichen Wirtschaftslehren<br />
nur unzulänglich<br />
beraten ist, zeigt das oft<br />
so schwierige Lavieren derjenigen,<br />
die diese <strong>Theorie</strong>n zum<br />
Wohle der Gesellschaft in Gesetze<br />
<strong>und</strong> Haushaltsentwürfe<br />
"umzumünzen" haben. Das<br />
wird in Deutschland gerade<br />
wieder deutlich, wo die neue<br />
rot-grüne B<strong>und</strong>esregierung<br />
vom bisher propagierten Eichelschen<br />
Sparkurs abschwenkt,<br />
um nun wieder<br />
durch staatliche Investitionen<br />
eine drohende Rezession abzuwenden.<br />
So geht es überall<br />
hin <strong>und</strong> her. Derzeit kommt<br />
in fast allen Industrieländern<br />
die planmäßige Schuldenmacherei<br />
wieder in Mode.<br />
Die Lage erscheint recht verworren<br />
<strong>und</strong> ausweglos... Ich<br />
denke, wir sollten uns nicht<br />
auf die Theoretiker <strong>und</strong> Ideologen<br />
verlassen, die sich durch<br />
Tatsachen nicht beirren lassen.<br />
Mir sind diejenigen sympathisch,<br />
die "im Buch der<br />
Welt lesen", die sich die Welt<br />
anschauen, wie sie ist, <strong>und</strong><br />
daraus ihre Schlüsse ziehen -<br />
z.B. diejenigen, die die Globalisierung<br />
mit kritischen Augen<br />
verfolgen, u.a. bei ATTAC, z.B.<br />
die sog. post-autistischen Ökonomen,<br />
die die Wirtschaftswissenschaften<br />
aus dem Elfenbeinturm<br />
holen wollen, z.B.<br />
auch ein Reformer wie Silvio<br />
Gesell, der seine Erkenntnisse<br />
als Kaufmann in eigener Anschauung<br />
der wirtschaftlichen<br />
<strong>Praxis</strong> gewonnen hat. Ich<br />
wünsche mir, dass – frei nach<br />
Albert Einstein – das auf Gesell<br />
zurückgehende freiwirtschaftliche<br />
Denken dadurch<br />
gefördert würde, dass es sich<br />
nicht mehr mit Erdachtem abgeben<br />
darf, sondern durch die<br />
Wirklichkeit hindurch muss.<br />
Viel Spaß beim Lesen dieser<br />
r-evolution wünscht<br />
Beate Bockting<br />
Inhalt<br />
Graue (?) <strong>Theorie</strong><br />
3 Der verblüffte Sozialdemokrat -<br />
Eine erste Einführung in die<br />
Freigeldwelt<br />
5 Ordoliberalismus, Neoliberalismus <strong>und</strong><br />
Freiwirtschaft<br />
8 Freiwirtschaft ist mehr als Monetrismus<br />
Aus den Regionalgruppen<br />
10 INWO Deutschland<br />
11 INWO Schweiz<br />
INWO Österreich<br />
13<br />
Bunte <strong>Praxis</strong><br />
14 Das Bethel-Geld<br />
17 Porto Alegre – Stadt der zukunftsfähigen<br />
Ideen<br />
18 Barter – das Geschäft der Gegenwart<br />
<strong>und</strong> Zukunft<br />
20 Gesellschaft (mit-)gestalten – Bericht<br />
vom B<strong>und</strong>es-Tauschring-Treffen<br />
Veranstaltungsbericht<br />
22 Der Bildungsgutschein – ein Schritt zu<br />
pädagogischer Freiheit <strong>und</strong> Vielfalt?<br />
Rubriken<br />
LeserInnen haben das Wort<br />
25<br />
26 Agenda<br />
27 Buchbesprechungen<br />
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evolution • Nr.13 November 2002
<strong>Theorie</strong><br />
Sozialismus <strong>und</strong> Freiwirtschaft<br />
Der verblüffte Sozialdemokrat<br />
Eine erste Einführung in die Freigeldwelt von Juan Acratillo 1675<br />
Heute morgen trat Diego Martinez plötzlich in mein<br />
Büro. Mit offenen Armen lief er mir entgegen. Ich hab's<br />
gef<strong>und</strong>en, rief er, ich hab's gef<strong>und</strong>en, das Rätsel, das<br />
Carlos Marquez nicht lösen konnte, die Frage, warum<br />
der Zins nicht aufkommen konnte, solange wir unser<br />
Geld* nach Gewicht gelten ließen. Ich habe die Frage<br />
gelöst, ich habe es gef<strong>und</strong>en, <strong>und</strong> jetzt wird alles wieder<br />
gut. Hier in diesem dicken Manuskript liegt meine Arbeit.<br />
Morgen schon müssen wir die Baratonen zu einer<br />
Versammlung berufen.<br />
Ich antwortete ihm, daß ich persönlich volles Vertrauen<br />
zu ihm hätte, daß aber die Durchführung einer Währungsreform<br />
in einem Klassenstaat keine so einfache<br />
Sache mehr sei. Die Zeiten wären vorbei, wo man eine<br />
Währungsreform vom volkswirtschaftlichen Standpunkt<br />
aus beurteile. Es handele sich jetzt um eine politische<br />
Frage allerersten Ranges, <strong>und</strong> in der Politik käme man<br />
mit der <strong>Theorie</strong> nicht weit. Er würde jetzt alle diejenigen<br />
Kreise, die durch das bisherige System begünstigt wurden,<br />
zu erbitterten Gegnern haben. Das Kapital <strong>und</strong> die<br />
von ihm beherrschte Presse würden ihn mit allen Mitteln<br />
bekämpfen - <strong>und</strong> was schlimmer sei, auch mit der<br />
Gegnerschaft Carlos Marquez, dem das Proletariat blindlings<br />
ergeben sei, hätte er zu rechnen. Die einen strebten<br />
nach Befestigung ihrer heutigen Stellung; die anderen,<br />
die Ausgebeuteten, strebten nach einem vollkommenen<br />
Umsturz, nach Abschaffung des Privateigentums,<br />
von dem, wie sie behaupten, der Zins untrennbar sei.<br />
...<br />
Doch ließ sich Martinez nicht beirren. Jetzt werde ich<br />
meine Pflicht tun, sagte er.<br />
Der Landtag wurde einberufen. Ich bin von meinem<br />
Berg herabgestiegen, sagte Martinez, um Ihnen eine<br />
frohe Botschaft zu bringen. Ich habe die Frage gelöst,<br />
wie wir diesen unter unseren Augen entstandenen Klassenstaat<br />
wieder zertreten <strong>und</strong> den Greuel in den Staub<br />
werfen können! (Zischen <strong>und</strong> Lärm rechts, Todesstille in<br />
der Mitte, Bravo links.) Glocke des Präsidenten: Herr<br />
Diego Martinez. Sie dürfen hier keine staatsfeindlichen<br />
Reden halten, <strong>und</strong> unsere verfassungsmäßigen Zustände<br />
zu zertreten versprechen. Ich rufe Sie zur Ordnung.<br />
Diego Martinez: Ich habe die Ursache des sozialen<br />
Zerfalles unseres Volkes gef<strong>und</strong>en. Ich weiß, wie es gekommen<br />
ist, daß wir jetzt hier Rentner** <strong>und</strong> Proletarier,<br />
Gr<strong>und</strong>besitzer <strong>und</strong> Prostituierte haben, <strong>und</strong> weiß<br />
auch, wie wir wieder einen Kulturstaat aus dieser Räuberhöhle<br />
machen werden. (Lärm rechts, raus mit dem<br />
Anarchisten! Eisige Kälte in der Mitte, frenetischer Beifall<br />
links.) Glocke des Präsidenten: Herr Martinez, ich<br />
muß Sie zum zweiten Male zur Ordnung rufen.<br />
Diego fortfahrend: Die Ursache des sozialen Zerfalles<br />
ist der Zins (lebhafte Zustimmung links) <strong>und</strong> die Ursache<br />
des Zinses liegt in unserem Geldwesen begründet.<br />
(Oho links <strong>und</strong> Lachen). Weil wir das Geld nicht mehr<br />
nach Gewicht, sondern nach Hohlmaßen zählen, darum<br />
ist unser Volk diesem Elend verfallen<br />
Hier erhob sich von allen Seiten, von links, von rechts<br />
<strong>und</strong> aus der Mitte schallendes Gelächter. Carlos Martinez<br />
rief: Habt ihr alle gehört, weil wir die elenden, gänzlich<br />
nutzlosen Samen der Geldtanne nach Hohlmaßen statt<br />
nach Gewicht verkaufen, darum sind wir dem Kapitalismus<br />
verfallen, darum muß das gewaltige Meer von Kapital,<br />
das in unseren Städten, Fabriken, Bergwerken angelegt<br />
ist, Zins abwerfen, darum der soziale Zerfall. Habt<br />
ihr‘s gehört, Genossen? Nicht "die dem Privateigentum<br />
an den Produktionsmitteln immanente Eigenschaft einer<br />
Mehrwert gebärenden Maschine" führt zur Proletarisierung<br />
des Volkes, zum sozialen Zerfall, sondern der Umstand,<br />
daß wir das Geld nach Hohlmaßen statt nach Gewicht<br />
zählen! (Allgemeine Heiterkeit.) Was doch augenscheinlich<br />
von ebenso tragischer Bedeutung sein muß,<br />
wie wenn wir zur Sitte übergingen, das Geld mit der linken<br />
statt mit der rechten Hand zu zählen (Heiterkeit<br />
links, rechts <strong>und</strong> im Zentrum).<br />
Martinez: Meine Behauptung klingt Laien gewiß recht<br />
spaßhaft. Ist es nicht auch spaßhaft, daß eine Fliege<br />
einen Elefanten töten kann? Marquez selbst nannte einmal<br />
das Geld das Blut der Volkswirtschaft. Warum soll<br />
nun diese Volkswirtschaft nicht ebenso an Blutvergiftung<br />
verenden können, wie der Elefant durch den Mückenstich?<br />
Marquez weiß, daß man den Untergang des Römerreiches<br />
damit erklärt, daß die<br />
spanischen Silberminen, die den Stoff<br />
zu den römischen Münzen lieferten,<br />
nichts mehr hergaben. Warum lacht<br />
Marquez nicht auch zu solcher Behauptung?<br />
Ist denn etwa zwischen<br />
dem Silber <strong>und</strong> Stoffe unseres Geldes<br />
ein so wesentlicher Unterschied? Ist<br />
nicht das Silber einer der unwesentlichsten<br />
Stoffe? Würde man nicht mit<br />
Recht lachen können, wenn jemand<br />
behaupten wollte, das Römerreich<br />
wäre darum zugr<strong>und</strong>e gegangen, weil<br />
die Römer ihre Suppen nicht mehr<br />
mit silbernen Eßlöffeln essen konnten?<br />
Aber das Silber war das Geld der Römer, wie der<br />
Samen der Pinus moneta hier unser Geld darstellt. Das<br />
Römerreich ging darum nicht wegen Mangel an Silber<br />
zugr<strong>und</strong>e, sondern wegen Mangel an Geld. Das Römerreich<br />
ging an Blutarmut zugr<strong>und</strong>e, wie Barataria jetzt an<br />
Blutvergiftung zugr<strong>und</strong>e geht.<br />
Silvio Gesell, 1862-<br />
1930, war als Kaufmann<br />
in Argentinien<br />
tätig, seine Beobachtungen<br />
der dortigen<br />
Wirtschaftskrise führten<br />
zu einer intensiven<br />
Beschäftigung<br />
mit dem Geldsystem.<br />
Sein Hauptwerk "Die<br />
Natürliche Wirtschaftsordnung<br />
durch Freiland <strong>und</strong><br />
Freigeld" erschien<br />
erstmals 1916 in<br />
Bern. "Acratillo" war<br />
ein Pseudonym Gesells.<br />
"Pinus moneta"<br />
3<br />
evolution • Nr.13 November 2002
4<br />
Mit der Bestimmung,<br />
daß unser Geld<br />
nach Hohlmaßen statt<br />
nach Gewicht gezählt<br />
werden sollte, haben<br />
wir unser Geld, unser<br />
Blut vergiftet. Mit der<br />
Annahme dieses Vorschlages<br />
wurde das<br />
Tauschmittel mit dem<br />
Sparmittel verkuppelt.<br />
Eine Mesalliance schlimmster Art. Kuppeln wir einen<br />
Krebs <strong>und</strong> eine Maus zusammen, so bleiben sie stehen,<br />
weil die Maus vorwärts, der Krebs rückwärts will. Und<br />
so ist es mit der Verkuppelung von Tausch- <strong>und</strong> Sparmitteln,<br />
beide ziehen nach entgegengesetzten Richtungen.<br />
Als Tauschmittel will <strong>und</strong> soll das Geld rastlos von Hand<br />
zu Hand gehen, als Sparmittel will es rasten. Marquez<br />
erhob also einen Widerspruch zum allgemeinen Tauschmittel,<br />
<strong>und</strong> diesem Widerspruch verdanken wir es, wenn<br />
Barataria, das Land allgemeiner Billigkeit, sich in ein<br />
Cararia, in ein Land der Teuerung <strong>und</strong> Not verwandelt<br />
hat.<br />
Sobald das Geld zum allgemeinen Sparmittel gemacht<br />
wird, muß die Volkswirtschaft sich im Zeichen des Krebses<br />
entwickeln, bei der die Wucherer <strong>und</strong> Spekulanten<br />
die allgemeine Not ausbeuten. Es wäre ja recht schön,<br />
wenn man das, was Marquez in seinem Wertbewahrer<br />
wähnte, erfinden könnte, nämlich ein Mittel, womit sich<br />
alle Waren konservieren <strong>und</strong> kostenlos aufbewahren ließen.<br />
Aber mit dem Wertbewahrer wurde in Wirklichkeit<br />
nichts bewahrt, nichts konserviert - nur das wurde erreicht,<br />
daß die Kosten der Warenaufbewahrung vom<br />
Geldbesitzer auf die Arbeiter abgewälzt wurden!<br />
Marquez hat einen privatwirtschaftlichen mit einem<br />
volkswirtschaftlichem Nutzen verwechselt, <strong>und</strong> der privatwirtschaftliche<br />
Wertbewahrer verwandelt sich in einen<br />
volkswirtschaftlichen Wertvernichter. Und womit zahlen<br />
wir diese großartige Erfindung? Mit dem Zins <strong>und</strong> dem<br />
Kapitalismus. Da das Tauschmittel zum Sparmittel<br />
wurde, verschwindet es jetzt restlos alle drei Wochen in<br />
den Sparbüchsen, aus denen es immer nur durch Anbietung<br />
eines Sondervorteils hervorgelockt werden kann.<br />
Und wie nennt sich dieser Sondervorteil, Carlos Marquez?<br />
Zins nennt er sich - <strong>und</strong> dieser Zins ist nun zur<br />
universellen selbstverständlichen Forderung geworden,<br />
die an jeden Handel, jede Industrie, jedes Unternehmen<br />
gestellt wird. Alles muß sich rentieren, d. h. es muß<br />
Zins abwerfen, um die Geldsparer zur Hergabe des Geldes<br />
veranlassen zu können. Und darum sage ich: Nicht<br />
das Privateigentum an den Produktionsmitteln, sondern<br />
unser jetziges Geld ist die Mehrwert gebärende Maschine.<br />
Dem Wertbewahrer verdanken wir es, daß unsere<br />
Arbeiter bei einem Zinsfuß von 5% unser Land mit<br />
allem, was wir darauf errichtet haben, alle 20 Jahre einmal<br />
über die Zahltische der Rentner schicken müssen.<br />
Marquez: Genossen, ich muß bekennen, daß die Ausführungen<br />
Diego Martinez, mich unsicher gemacht, ja,<br />
auch verblüfft haben. Wir müssen die Sache gründlich<br />
studieren. Sollte sich ergeben, daß es ein Fehltritt war,<br />
das Tauschmittel mit dem Sparmittel zu verkuppeln, so<br />
werde ich, der diese Verbindung vorschlug, auch der<br />
erste sein, der diese Verbindung wieder zerhauen wird.<br />
Martinez: Das war brav gesprochen <strong>und</strong> macht Dir<br />
<strong>und</strong> Deinen Genossen Ehr.<br />
Präsident: Diego Martinez, ich muß Sie hier zum dritten<br />
Mal zur Ordnung rufen <strong>und</strong> entziehe Ihnen das<br />
Wort. Wir sind hier versammelt, um laut Tagesordnung<br />
Währungsfragen zu behandeln, nicht aber um proletarische<br />
Einigungsaktionen zu erleichtern. Da niemand<br />
sonst sich zum Wort gemeldet hat, erkläre ich hiermit<br />
Schluß der Debatte.<br />
aus: Silvio Gesell, Gesammelte Werke Band 14, Seite 54-57<br />
Silvio Gesell: Gesammelte<br />
Werke in 18 Bänden,<br />
Gauke-Verlag Lütjenburg<br />
1988-1997, 6.538 Seiten,<br />
ISBN 3-87998-410-7<br />
Bestellungen unter:<br />
www.sozialoekonomie.de<br />
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310,00 EURO / 595,00<br />
SFR plus 10,00 EURO Versandkosten<br />
* Als Geld dienten im Lande Barataria die Früchte des<br />
"Pinus moneta". Das waren eine Art Pinienzapfen, die<br />
mit der Zeit natürlich austrockneten <strong>und</strong> immer leichter<br />
wurden.<br />
** Als dieser Text entstand, gab es keine "Rentner" im<br />
heutigen Sinn. Sozial- oder Altersrentner waren unbekannt.<br />
Hier sind "Rentiers" gemeint, das sind diejenigen,<br />
die soviel Geldvermögen besitzen, dass sie von den<br />
Zinsen leben können <strong>und</strong> nicht gezwungen sind zu arbeiten.<br />
evolution • Nr.13 November 2002
Ordoliberalismus <strong>und</strong> Freiwirtschaft<br />
Ordoliberalismus,<br />
Neoliberalismus <strong>und</strong> Freiwirtschaft<br />
Eine sich nach 1945 in Westdeutschland entwickelnde,<br />
von mehreren Nationalökonomen <strong>und</strong> Soziologen<br />
repräsentierte Doktrin einer monopolfreien, Chancengleichheit<br />
garantierenden Marktwirtschaft wird als Neoliberalismus<br />
oder auch als Ordoliberalismus bezeichnet.<br />
Sie geht zurück auf die Freiburger Schule. Zu deren bedeutendsten<br />
Vertretern gehören Walter Eucken (1891-<br />
1950) <strong>und</strong> Franz Böhm (1895-1977). Beide lehren an<br />
der Universität Freiburg. Sie erhalten Unterstützung insbesondere<br />
von Alexander Rüstow (1885-1963) <strong>und</strong> Wilhelm<br />
Röpke (1899-1966). Eucken <strong>und</strong> Böhm sind ab<br />
1948 Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats bei der<br />
Verwaltung für Wirtschaft der amerikanischen <strong>und</strong> britischen<br />
Zone <strong>und</strong> später auch beim B<strong>und</strong>esministerium<br />
für Wirtschaft. Der erfolgreiche Wiederaufbau der westdeutschen<br />
Wirtschaft, vor allem in den ersten Jahren, ist<br />
der Tätigkeit dieses Beirats zu verdanken. Die Konzeption<br />
Euckens ist dabei von großer Bedeutung, auch als<br />
Wegbereitung der von Ludwig Erhard realisierten "Sozialen<br />
Marktwirtschaft".<br />
Rechtliche Rahmenordnung für die<br />
Wirtschaft<br />
Schwerpunkte der Konzeption der Freiburger Schule<br />
sind Ordnungstheorie <strong>und</strong> Ordnungspolitik. Eucken forderte<br />
eine ausdrückliche Rahmenrechtsordnung im<br />
Unterschied zum Liberalismus/Kapitalismus<br />
alten<br />
Stils. Der Staat hat die<br />
Aufgabe, den Ordnungsrahmen<br />
zu schaffen,<br />
innerhalb dessen sich die<br />
Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürger<br />
dann frei bewegen können.<br />
In einem mit Hilfe<br />
einer umfassenden Antimonopolgesetzgebung<br />
erreichten<br />
fairen Wettbewerb<br />
soll der Einzelne<br />
über seine wirtschaftlichen<br />
Vorhaben selbst<br />
bestimmen können. Zu<br />
Euckens "konstituierenden<br />
Prinzipien" gehören:<br />
Primat der Währung, Vertragsfreiheit,<br />
Haftungsprinzip für voll verantwortliche<br />
Unternehmer, Konstanz der Wirtschaftspolitik. Hinzu<br />
kommen "regulative Prinzipien": Monopolkontrolle,<br />
Korrektur der Einkommensverteilung, Sozialpolitik zum<br />
Schutze Schwacher <strong>und</strong> die Forderung einer Koordination<br />
von Einzel- <strong>und</strong> Gesamtinteresse, also Verknüpfung<br />
des Individualprinzips mit verpflichtendem Sozialprinzip.<br />
Die ordoliberale Abgrenzung vom Liberalismus/Kapitalismus<br />
alten Stils hat Alexander Rüstow zum Beispiel<br />
mit folgenden Worten deutlich gemacht: "Diese Wirtschaftsform<br />
des traditionellen big-business-Kapitalismus<br />
oder wie man sie sonst nennen will, diese Wirtschaftsform<br />
paläoliberaler 'laissez-faire'-Wirtschaft ist in sich<br />
unstabil <strong>und</strong> führt auf dem Wege der eben angedeuteten<br />
Inkonsequenzen zur Monopolbildung, zu privaten<br />
Machtzusammenballungen..."<br />
Ordoliberale <strong>und</strong> Freiwirtschaftler<br />
Die tonangebenden Ordoliberalen waren einigen Freiwirtschaftlern<br />
gegenüber durchaus aufgeschlossen. Im<br />
Jahre 1945 war der vom NS-Regime verbotene Freiwirtschaftsb<strong>und</strong><br />
neu gegründet worden. Er vertrat die auf<br />
Silvio Gesell (1862-1930) zurückgehende Freiwirtschaftstheorie<br />
<strong>und</strong> fand in der Nachkriegszeit größere<br />
Beachtung, wie hohe Teilnehmerzahlen bei öffentlichen<br />
Veranstaltungen (Tagungen mit über 600 Personen) <strong>und</strong><br />
zahlreiche Presse- <strong>und</strong> R<strong>und</strong>funkberichte zeigen. Auch<br />
wurde er von etlichen Wissenschaftlern, Spitzenpolitikern<br />
<strong>und</strong> wirtschaftlichen Führungskräften wegen der<br />
wissenschaftlich <strong>und</strong> realpolitisch seriösen Argumentation<br />
seiner Denkschriften <strong>und</strong> Eingaben respektiert.<br />
Neben der Monatsschrift "Blätter der Freiheit" erzielten<br />
vor allem drei 1947/48 verfasste Denkschriften des Freiwirtschaftsb<strong>und</strong>es<br />
stärkere Wirkung, auch bei den Neoliberalen,<br />
mit denen sich in den Jahren 1947 bis 1954<br />
<strong>Theorie</strong><br />
Mit der Bezeichnung "Neoliberalismus" hat die wirtschaftliche Entwicklung der letzten zehn Jahre einen<br />
Namen erhalten, der in der Wirtschaftsgeschichte schon für etwas anderes steht: für eine Korrektur des klassischen<br />
Konzeptes des Liberalismus unter deutlicher Abgrenzung vom Laissez-faire-Prinzip (Ungeb<strong>und</strong>enheit,<br />
Treibenlassen) <strong>und</strong> von einer Vermachtung der Wirtschaft.<br />
Josef Hüwe, Jg.<br />
1938, berufliches<br />
Fachgebiet Sozialversicherung.<br />
Seit 1960<br />
befasst mit Gr<strong>und</strong>fragen<br />
der Volkswirtschaft<br />
inkl. Freiwirtschaft.<br />
INWO-Mitglied.<br />
"Eine ethische Besserung des Menschen<br />
kann die Schäden der Ordnung nicht beseitigen...<br />
Die Gesamtordnung sollte so sein,<br />
dass sie den Menschen das Leben nach<br />
ethischen Prinzipien ermöglicht."<br />
Walter Eucken in "Gr<strong>und</strong>sätze der Wirtschaftspolitk"<br />
5<br />
evolution • Nr.13 November 2002
<strong>Theorie</strong><br />
Ordoliberalismus <strong>und</strong> Freiwirtschaft<br />
6<br />
eine fruchtbare Zusammenarbeit ergab. Der Freiwirtschaftler<br />
Otto Lautenbach, der vorübergehend an der ab<br />
1949 von Ludwig Erhard herausgegebenen Zeitschrift<br />
"Währung <strong>und</strong> Wirtschaft" mitwirkte, schuf Anfang 1953<br />
mit der "Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft"<br />
(ASM) einen organisatorischen Rahmen für die Zusammenarbeit<br />
mit den Neoliberalen. (Der Verein besteht<br />
heute noch. Sein Ziel: die Soziale Marktwirtschaft als<br />
freie Wirtschaftsordnung verwirklichen.) Zum damaligen<br />
Beirat gehörten u.a. Franz Böhm <strong>und</strong> Alexander Rüstow.<br />
Ehrenmitglieder waren Ludwig Erhard <strong>und</strong> Wilhelm<br />
Röpke. Punkt 2 der programmatischen Richtlinien der<br />
ASM lautete: "Der freie Leistungswettbewerb ist unvereinbar<br />
mit monopolistischen Machtgebilden jeder Art, er<br />
ist deshalb unter den Schutz des Gesetzes zu stellen. Die<br />
natürlichen Monopole sind durch die Rechtsordnung<br />
unschädlich zu machen; solange die übrigen Monopole<br />
dem Wettbewerb bei freier <strong>und</strong> stetiger Kapitalbildung<br />
nicht unterliegen, ist ihr Entstehen durch die Rechtsordnung<br />
zu unterbinden." Insbesondere zwei Tagungsprotokolle<br />
aus den Jahren 1951/52 - Magna Charta der sozialen<br />
Marktwirtschaft <strong>und</strong> Das Programm der Freiheit –<br />
dokumentieren die Kooperation von Freiwirtschaftlern<br />
<strong>und</strong> prominenten ordoliberalen Gästen. Beide Seiten<br />
sahen in einer freien <strong>und</strong> sozial gerechten Marktwirtschaft<br />
vor allem auch ein entscheidendes F<strong>und</strong>ament<br />
der Demokratie <strong>und</strong> eines freien Europa. Und man war<br />
sich auch folgender Aussage Euckens bewusst: "Eine<br />
ethische Besserung des Menschen kann die Schäden<br />
der Ordnung nicht beseitigen...Die Gesamtordnung<br />
sollte so sein, dass sie den Menschen das Leben nach<br />
ethischen Prinzipien ermöglicht."<br />
Im Laufe der Zusammenarbeit traten neben den Gemeinsamkeiten<br />
aber auch die unterschiedlichen Positionen<br />
deutlicher hervor. Die Vertreter der Freiwirtschaftstheorie<br />
versuchten vergeblich, die Neoliberalen<br />
dafür zu gewinnen, Euckens konstituierende Prinzipien<br />
zu ergänzen mit der Forderung einer Umlaufsicherung<br />
des Geldes <strong>und</strong> eines sozialen Bodenrechts, um damit<br />
die aus freiwirtschaftlicher Sicht nötigen Bedingungen<br />
für ein selbstregulatives Gleichgewicht zu schaffen, um<br />
auf diesem Wege eine Verknüpfung von Individual- <strong>und</strong><br />
Sozialprinzip zu erreichen. Der Einfluss der Freiwirtschaftler<br />
ist nach dem Tode Lautenbachs (Juli 1954)<br />
schnell zurückgegangen.<br />
Verdrängung der Ordnungspolitik<br />
Auch der Einfluss der Neoliberalen auf die Politik<br />
ging allmählich immer mehr zurück. Ludwig Erhard<br />
konnte nur eine von A. Müller-Armack unter deutlicher<br />
Abgrenzung von Euckens ordoliberalem Konzept entworfene<br />
marktwirtschaftliche Variante, eine "sozial gesteuerte"<br />
Marktwirtschaft, realisieren, für die sich der Name<br />
"Soziale Marktwirtschaft" einbürgerte. Eine umfassende<br />
Antimonopol-Gesetzgebung vermochte er nicht durchzusetzen.<br />
DER SPIEGEL schrieb am 9.9.1953: "Während<br />
die Oppositionsparteien in der Adenauerschen Außenpolitik<br />
ein dankbares Feld für ihre Kritik fanden, stießen<br />
Erhards freiwirtschaftliche Ideen in seiner eigenen Umgebung<br />
auf Hemmnisse. Auch im Kabinett." Später entwertete<br />
Erhard sogar Euckens Entwurf mit Kompromissen,<br />
durch Relativierung der ordnungspolitischen<br />
Gr<strong>und</strong>pfeiler. In der Folge nahmen private <strong>und</strong> staatliche<br />
Vermachtung der Wirtschaft immer mehr zu.<br />
Zwei "Neoliberalismen"<br />
Noch weiter entfernt vom Neoliberalismus der Freiburger<br />
Schule ist die heutige wirtschaftliche Entwicklung,<br />
ja sie verläuft entgegengesetzt zu dem, was die<br />
alten Neoliberalen wollten, deren Position auf der Mitte<br />
zwischen zwei Extremen liegt, zwischen der primär<br />
wohlfahrtsstaatlich orientierten alten Sozialdemokratie<br />
<strong>und</strong> dem heutigen ungeordneten Neoliberalismus, der<br />
nur einen Minimalstaat vorsieht, also möglichst keine<br />
evolution • Nr.12 Nr.13 November Oktober 2002
politischen Interventionen, auch<br />
keine bewusste Einflussnahme auf<br />
die institutionelle Rahmenordnung -<br />
im Gegenteil, eher die Politik zur<br />
Erfüllungsgehilfin der Märkte degradieren<br />
möchte. Das falsche Etikett,<br />
das die Fachliteratur (u.a. Arbeiten<br />
des britischen Soziologen Anthony<br />
Giddens) nach dem Zusammenbruch<br />
der sozialistischen<br />
Staaten Osteuropas dem sich weltweit<br />
ausdehnenden so genannten<br />
Marktf<strong>und</strong>amentalismus aufgeklebt<br />
hat, lässt sich wohl kaum wieder<br />
entfernen. Daher ist es wichtig,<br />
deutlich zwischen den zwei "Neoliberalismen"<br />
zu unterscheiden. Einige Kritiker des heutigen<br />
Neoliberalismus greifen -offenbar ohne es zu wissen<br />
- die Kritik des damaligen Ordoliberalismus am alten Liberalismus/Kapitalismus<br />
auf <strong>und</strong> versuchen, früher bereits<br />
aufgezeigte Lösungswege nochmals herzuleiten.<br />
Bewusste Rückbesinnung auf die Vorleistungen der<br />
neo-(ordo-)liberalen Freiburger Schule, ergänzt durch<br />
die freiwirtschaftlichen Vorschläge für eine Reform der<br />
Geld- <strong>und</strong> Bodenordnung, würde Anregungen für ein<br />
Denken in Ordnungen vermitteln, das unerlässlich ist,<br />
wenn der globale Markt ein menschliches Gesicht erhalten<br />
soll, wie es UNO-Generalsekretär Kofi Annan 1999<br />
beim Weltwirtschaftsforum in Davos gefordert hat.<br />
"Bewusste Rückbesinnung auf die Vorleistungen<br />
der Freiburger Schule, ergänzt durch<br />
die freiwirtschaftlichen Vorschläge, würde<br />
Anregungen für ein Denken in Ordnungen<br />
vermitteln, das unerlässlich ist, wenn der<br />
globale Markt ein menschliches Gesicht erhalten<br />
soll."<br />
Quellenverzeichnis:<br />
Böhm, Franz: Wirtschaftsordnung <strong>und</strong> Staatsverfassung.<br />
1950.<br />
Eucken, Walter: Gr<strong>und</strong>lagen der Nationalökonomie.<br />
1950.<br />
Eucken, Walter: Gr<strong>und</strong>sätze der Wirtschaftspolitik. rororo<br />
1959.<br />
Freiwirtschaftsb<strong>und</strong>: Magna Charta der sozialen Marktwirtschaft.<br />
1952. Vorträge von Ernst Winkler, Alexander<br />
Rüstow, Werner Schmid <strong>und</strong> Otto Lautenbach vom 9.<br />
<strong>und</strong> 10. November 1951.<br />
Freiwirtschaftsb<strong>und</strong>: Das Programm der Freiheit. Wortlaut<br />
der Vorträge am 6. u. 7.11.1952.<br />
Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft: Tagungsprotokolle<br />
aus 1953.<br />
Schmid, Werner: Neoliberalismus <strong>und</strong> Freiwirtschaft. Zürich<br />
1957.<br />
Winkler, Ernst: Freiheit? – Die zentrale Frage im politischen<br />
Ringen um eine gerechte Sozialordnung. 1980.<br />
Giddens, Anthony: Jenseits von Links <strong>und</strong> Rechts. Die<br />
Zukunft radikaler Demokratie. 1994/97.<br />
Lenel, Hans Otto: Über die Freiburger Schule <strong>und</strong> ihre<br />
Bedeutung für die Wirtschaftspolitik. In: Fragen der<br />
Freiheit, Heft 251, Juli-Sept. 1999.<br />
- Renner, Andreas: Die zwei "Neoliberalismen". In: Fragen<br />
der Freiheit, Heft 256, Okt.-Dez. 2000.<br />
7<br />
evolution • Nr.13 November 2002
<strong>Theorie</strong><br />
Monetarismus <strong>und</strong> Freiwirtschaft<br />
Freiwirtschaft ist mehr<br />
als Monetarismus<br />
Eine Gegenüberstellung<br />
8<br />
Eberhard Knöller, Jg.<br />
1933. Diplom-Straßenverkehrsingenieur,<br />
Kinesiologe.<br />
Deutscher, verheiratet,<br />
in Bern/Schweiz<br />
seit 1962.<br />
Freiwirtschaftler seit<br />
1974, ehemals Präsident<br />
der freiwirtschaftlichen<br />
Liberal-<br />
Sozialistischen Partei<br />
LSP der Stadt Bern<br />
(INWO-Vorgängerin),<br />
Verfasser zahlreicher<br />
freiwirtschaftlichgeldtheoretischer<br />
Artikel.<br />
Gelegentlich wird die Freiwirtschaftslehre als "Monetarismus" bezeichnet. Diese Gleichsetzung<br />
ist keineswegs gerechtfertigt <strong>und</strong> kann zu folgenschweren Verwechslungen führen.<br />
Die Freiwirtschaft schließt den Monetarismus mit ein, will jedoch seine Nachteile vermeiden<br />
<strong>und</strong> geht – aufgr<strong>und</strong> ihrer eingehenden Analyse der Wirtschaftszusammenhänge <strong>und</strong> deren<br />
konsequenter Umsetzung – weit über ihn hinaus. Die Übereinstimmung der beiden Wirtschaftslehren<br />
bezieht sich nur auf eine zielbewusste Steuerung der Geldmenge zum Erreichen<br />
eines festen Preisstandes im Rahmen einer freien Marktwirtschaft. Doch bezüglich der<br />
übrigen Wirtschaftsgrößen gehen sowohl die Zielsetzung wie auch die Beurteilung der<br />
Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> die geforderten Maßnahmen gr<strong>und</strong>legend auseinander. Dies zeigt die<br />
nachstehende Gegenüberstellung, die auf Lexikon-Angaben <strong>und</strong> eigenen Ergänzungen beruht.<br />
Monetarismus<br />
(nach Milton Friedman, *1912)<br />
Zielsetzung<br />
zielt ab auf stetiges Wirtschaftswachstum in einer<br />
freien Marktwirtschaft mit festem Preisniveau;<br />
dabei soll – unausgesprochen – die Kapitalrendite<br />
(Zins) gesichert werden, um das Kreditangebot für die<br />
Wirtschaft <strong>und</strong> dadurch zugleich auch den Geldumlauf<br />
aufrecht erhalten zu können;<br />
Gr<strong>und</strong>lagen<br />
Freiwirtschaft<br />
("Natürliche Wirtschaftsordnung"<br />
nach Silvio Gesell, 1862–1930)<br />
zielt ab auf eine ausbeutungsfreie Marktwirtschaft<br />
durch Aufhebung des Interessengegensatzes zwischen<br />
Arbeitenden <strong>und</strong> Kapitalgebern, indem sie<br />
die versteckten Zwangsmechanismen der immer noch<br />
feudalistischen Wirtschafts- <strong>und</strong> Eigentumsordnung organisch<br />
zu überwinden sucht, die sich in den Privatmonopolen<br />
Zins <strong>und</strong> private Gr<strong>und</strong>rente als ungerechten<br />
Bereicherungsmöglichkeiten der Vermögenden <strong>und</strong><br />
damit verb<strong>und</strong>ener Schmälerung des Arbeitsertrags der<br />
Arbeitenden äußert;<br />
erstrebt zugleich eine krisenfreie Wirtschaft mit<br />
Vollbeschäftigung bei gleichbleibendem Geldwert,<br />
ohne Wirtschaftswachstum ausdrücklich anzustreben;<br />
vertraut – bei funktionsfähigem Wettbewerb – auf die<br />
Selbstheilungskräfte des Marktes;<br />
geht von einem gr<strong>und</strong>sätzlich stabilen Wirtschaftsablauf<br />
aus <strong>und</strong> führt Wachstums- <strong>und</strong> Konjunkturzyklen<br />
auf exogene (von außerhalb der Wirtschaft stammende)<br />
Einflüsse zurück;<br />
geht – anknüpfend an die Quantitätstheorie des Geldes<br />
– aus von einem engen Zusammenhang zwischen der<br />
Entwicklung der Geldmenge <strong>und</strong> der des nominalen<br />
Bruttoinlandprodukts <strong>und</strong> stellt daher die Geldpolitik<br />
ins Zentrum der wirtschaftspolitischen<br />
Steuerung;<br />
hält die Selbstheilungskräfte des Marktes für<br />
gr<strong>und</strong>legend gestört, solange Geldbesitzer nicht dem<br />
gleichen Wertverlust ausgesetzt sind, dem Anbieter von<br />
Waren <strong>und</strong> Arbeitskraft von Natur aus unterliegen;<br />
geht deshalb – unter heutigen Gegebenheiten – von<br />
einem gr<strong>und</strong>sätzlich instabilen Wirtschaftsablauf aus<br />
<strong>und</strong> führt Konjunkturstörungen auf endogene (von<br />
innerhalb der Wirtschaft stammende) Einflüsse zurück,<br />
die wesentlich auf zeitweiliger, vom Zinsniveau abhängiger<br />
Geldzurückhaltung der Anleger (Geldhortung,<br />
Anlagestreik) beruhen;<br />
hält – ebenfalls auf der Gr<strong>und</strong>lage der Quantitätstheorie<br />
des Geldes – die Sicherung eines ungestörten, stetigen<br />
Geldumlaufs für ausschlaggebend, um einen stabilen<br />
Geldwert dauerhaft zu erreichen <strong>und</strong> gleichzeitig<br />
das Zinsniveau nachhaltig zu senken;<br />
erkennt im Zwang zur Kapitalrendite (Zins) zugleich einen<br />
automatischen Zwang zum Wirtschaftswachstum;<br />
evolution • Nr.13 November 2002
<strong>Theorie</strong><br />
Monetarismus <strong>und</strong> Freiwirtschaft<br />
Maßnahmen<br />
verfolgt den Abbau gesetzlicher Einschränkungen der<br />
Privatwirtschaft (Deregulierung) <strong>und</strong> den Verzicht auf<br />
konjunktur- <strong>und</strong> wirtschaftspolitische Maßnahmen, um die<br />
Selbstheilungskräfte des Marktes zu sichern;<br />
fordert eine konstante Ausdehnung der Geldmenge<br />
entsprechend der wachsenden Güterproduktion, um stetiges<br />
Wirtschaftswachstum bei stabilem Geldwert zu erreichen;<br />
Nebenkennzeichen<br />
lehnt – im Vertrauen auf eine Selbststeuerung der Marktkräfte<br />
– Währungspolitik (Zins- <strong>und</strong> Devisenkontrolle) <strong>und</strong><br />
weitere staatliche Einflussnahme auf die Wirtschaft ab;<br />
Vor- <strong>und</strong> Nachteile<br />
verzichtet auf Maßnahmen einer Vollbeschäftigungspolitik,<br />
<strong>und</strong> nimmt eine nicht reduzierbare "natürliche Arbeitslosenquote"<br />
in Kauf;<br />
nimmt keine Rücksicht auf zunehmende Verschuldung<br />
<strong>und</strong> ansteigende Zinsströme, welche die Gesellschaft<br />
immer stärker in Arm <strong>und</strong> Reich spalten;<br />
nimmt – beim Verfolgen stetigen Wirtschaftswachstums –<br />
keine Rücksicht auf Grenzen der Machbarkeit <strong>und</strong><br />
auf die Umwelt;<br />
fordert einerseits eine wiederkehrende, prozentuale Abgabe<br />
auf flüssige Geldmittel als Umlaufsicherung des Geldes<br />
("Freigeld"), um es dem gleichen Angebotsdruck zu unterstellen,<br />
dem Waren <strong>und</strong> nicht eingesetzte Arbeitskraft<br />
unterliegen <strong>und</strong> um dadurch Geldhortung kostspielig zu<br />
machen <strong>und</strong> Geldumlauf <strong>und</strong> Kreditangebot zu verstetigen;<br />
verlangt andererseits die Umwandlung des privaten Eigentumsrechts<br />
am reinen Boden in ein wiederkehrend<br />
kostenpflichtiges privates Nutzungsrecht ("Freiland")<br />
unter Beibehaltung des Privateigentums an den darauf<br />
vorhandenen Einrichtungen (Gebäude, Anlagen) <strong>und</strong><br />
will so die Gr<strong>und</strong>rente Staat <strong>und</strong> Gemeinden zuleiten;<br />
passt die ausgegebene Geldmenge laufend der Wertschöpfung<br />
der Wirtschaft an, so dass – in Verbindung mit der<br />
durch die Umlaufsicherung verstetigten Umlaufgeschwindigkeit<br />
des Geldes – ein gleichbleibendes Preisniveau<br />
<strong>und</strong> damit ein stabiler Geldwert gewährleistet sind;<br />
hält Währungspolitik <strong>und</strong> staatliche Einflussnahme auf die<br />
Wirtschaft für nicht erforderlich, da stetiger Geldumlauf<br />
<strong>und</strong> stetiges Kreditangebot eine stabile Wirtschaft gewährleisten<br />
würden;<br />
erwartet aufgr<strong>und</strong> des stetigen Geldumlaufs den Abbau<br />
von Konjunkturschwankungen <strong>und</strong> der damit verb<strong>und</strong>enen<br />
konjunkturell bedingten Arbeitslosigkeit;<br />
rechnet – bei konstanter Wirtschaftsleistung – mit einem<br />
Rückgang des Zinssatzes gegen null;<br />
schafft – durch die organische Senkung des Zinsniveaus<br />
<strong>und</strong> die Abschöpfung der Gr<strong>und</strong>rente zugunsten der<br />
Allgemeinheit – die Voraussetzung für den Abbau der<br />
enormen allgemeinen Verschuldung <strong>und</strong> der sie begleitenden<br />
Zinsströme <strong>und</strong> beseitigt dadurch die wesentlichen<br />
Ursachen der zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft<br />
in Arm <strong>und</strong> Reich;<br />
sieht deshalb auch den ungeschmälerten Arbeitsertrag für<br />
die Arbeitenden gesichert;<br />
Grenzen wirtschaftlicher Machbarkeit <strong>und</strong> die Schonung<br />
der natürlichen Umwelt können leichter berücksichtigt<br />
werden, weil nicht notwendigerweise Wirtschaftswachstum<br />
angestrebt wird;<br />
9<br />
Literaturangaben:<br />
- Encarta Enzyklopädie Plus 2000 (auf CD)<br />
- Brockhaus 2000 (auf CD)<br />
- Der große Brockhaus. Leipzig 1930.<br />
- Schweizer Lexikon. Encyclios-Verlag, Zürich 1946.<br />
evolution • Nr.13 Noveber 2002
10<br />
DEUTSCHLAND<br />
Liebe Mitglieder, liebe Fre<strong>und</strong>innen<br />
<strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e der INWO!<br />
Am 31. August dieses Jahres bin ich zum neuen 1. Vorsitzenden<br />
der INWO Deutschland gewählt worden. Ich<br />
übernehme dieses Amt von meiner langjährigen Vorgängerin<br />
Wera Wendnagel, der gegenüber ich auch an dieser<br />
Stelle meinen Respekt, meine Wertschätzung <strong>und</strong> im<br />
Namen aller unserer Mitglieder <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e meinen<br />
Dank für ihre geleistete Arbeit zum Ausdruck bringen<br />
möchte.<br />
Zu meiner Person: geboren wurde ich 1958 in Lübeck.<br />
Nach Schulbesuch <strong>und</strong> kaufmännischer Ausbildung<br />
habe ich von 1979-82 in Hamburg an der Hochschule<br />
für Wirtschaft <strong>und</strong> Politik studiert. Danach folgte bis<br />
1985 ein Aufbaustudium der Volkswirtschaftslehre an<br />
der Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Ich bin also<br />
Volkswirt. Nach 3-jähriger Assistentenzeit an der Uni<br />
Bremen wurde ich 1989 mit einer Arbeit über Kapitaltheorie<br />
zum Dr. rer.pol. promoviert. Zwischenzeitlich,<br />
nämlich 1988, begann eine über zweijährige Referendarausbildung<br />
bei der<br />
Deutschen B<strong>und</strong>esbank.<br />
Das Zweite Staatsexamen<br />
habe ich dort 1990 abgelegt.<br />
Als Beamter des<br />
höheren Dienstes <strong>und</strong><br />
wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
war ich in der<br />
volkswirtschaftlichen Abteilung<br />
der Landeszentralbank<br />
in Hessen tätig<br />
<strong>und</strong> war dort mit Aktuellem<br />
<strong>und</strong> Theoretischem<br />
der Geldpolitik <strong>und</strong> der<br />
nationalen <strong>und</strong> internationalen<br />
Finanzmärkte<br />
befasst. Seit 1994 bin<br />
ich Professor für VWL<br />
<strong>und</strong> Finanzdienstleistungen<br />
an der Fachhochschule<br />
Nordostniedersachsen<br />
in Lüneburg.<br />
Nach mehrjähriger Gremienarbeit<br />
u.a. in Fachbereichsrat<br />
<strong>und</strong> Senat wurde ich Anfang Oktober 02<br />
zum Dekan des Fachbereichs Wirtschaft gewählt. Neben<br />
meiner Tätigkeit als Hochschullehrer arbeite ich für die<br />
IHK <strong>und</strong> die Berufsakademie in Lüneburg als freiberuflicher<br />
Dozent. Einen kleinen Einblick in meine Tätigkeit<br />
können Sie sich auf meiner(dienstlichen) Internetseite<br />
http://www.fhnon.de/fbw/Mitarbeiter/HauptamtlichLehrende/huth/frameset.html<br />
verschaffen. Vor fast zwei<br />
Jahren bin ich mit einer (zugegeben: sehr theoretischen<br />
<strong>und</strong> wohl auch daher kaum beachteten) Buchveröffentlichung<br />
hervorgetreten, die als Synthese der Gedanken<br />
von Gesell <strong>und</strong> Keynes angelegt ist.<br />
Ich bin seit kurzem geschieden <strong>und</strong> habe drei Kinder<br />
(9, 7 <strong>und</strong> 5 Jahre). Außer bei etwas sportlicher <strong>und</strong><br />
kulturkonsumierender Aktivität finde ich Entspannung<br />
bei der Pflege <strong>und</strong> dem Ausbau meiner kleinen Bibliothek<br />
ökonomischer Klassiker.<br />
Wie komme ich in gesellianisches oder freiwirtschaftliches<br />
Fahrwasser? Nun, ich verfolgte seit der durch Keynes-Lektüre<br />
vermittelten Bekanntschaft mit Gesell seit<br />
Mitte/Ende der 80er Jahre das freiwirtschaftliche Engagement<br />
mit zunehmender Sympathie. Mittlerweile habe<br />
ich Kinder, beruflich (fast) alles erreicht <strong>und</strong> sehe mit<br />
großem Unbehagen <strong>und</strong> Sorge die Spuren, die die von<br />
ihren Verfechtern wohl, so scheint es, als grenzenlos<br />
betrachtete "Neu-Ökonomisierung"-Globalisierung-<br />
Kommerzialisierung-Mammonisierung hinterlässt.<br />
Eine andere, am Maß des Menschen orientierte, gleichwohl<br />
freiheitliche <strong>und</strong> effiziente Wirtschaftsordnung ist<br />
möglich.<br />
Ein Weg zu ihr, liebe Mitglieder, liegt bei uns, der<br />
INWO, <strong>und</strong> unseren Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Verbündeten.<br />
Was habe ich bislang getan? Einige von Euch/Ihnen<br />
werden mich vielleicht als Referenten beim Seminar für<br />
freiheitliche Ordnung oder der Sozialwissenschaftlichen<br />
Gesellschaft kennen gelernt haben, andere haben mich<br />
vielleicht als Autor in der Zeitschrift für Sozialökonomie<br />
entdeckt.<br />
Was habe ich vor? Ich möchte sowohl als einer ihrer<br />
"Repräsentanten" als auch als einer ihrer "Theoretiker"<br />
natürlich in allererster Linie der INWO, aber hier <strong>und</strong><br />
da auch befre<strong>und</strong>eten Organisationen zur Verfügung<br />
stehen. Ich möchte z.B. in Seminaren, am liebsten in<br />
der Silvio-Gesell-Tagungsstätte, unseren jungen MitstreiterInnen<br />
das volks- <strong>und</strong> finanzwirtschaftliche Rüstzeug<br />
mit auf den Weg geben, das sie brauchen werden, wenn<br />
unsere Ideen gesellschaftliche Relevanz gewinnen sollen.<br />
Ich möchte z.B. vielleicht eine Gesell-Konferenz in<br />
meiner Hochschule veranstalten, nicht nur für WissenschaftlerInnen,<br />
sondern für alle Interessierten. An<br />
Ideen mangelt es weniger, es mangelt mehr an Mitteln:<br />
man wird sehen, ob wir dies zum Besseren werden<br />
wenden können.<br />
Ich hoffe, das in mich gesetzte Vertrauen rechtfertigen<br />
zu können. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit<br />
Ihnen, liebe Mitglieder, <strong>und</strong> mit meinen geschätzten<br />
VorstandskollegInnen Alexander Woitas, Hannes Eichinger,<br />
Alwine Schreiber-Martens <strong>und</strong> Bernhard Thomas,<br />
die Sie im letzten Heft bereits kennen gelernt haben.<br />
Mit den befre<strong>und</strong>eten Organisationen in Deutschland<br />
<strong>und</strong> unseren "Bruderorganisationen" in Österreich <strong>und</strong><br />
der Schweiz hoffe ich auf solidarisches Zusammenwirken<br />
<strong>und</strong> fruchtbaren Meinungsaustausch. Und ich wünsche<br />
Ihnen <strong>und</strong> uns Mut, Kraft <strong>und</strong> Entschlossenheit bei<br />
unserer Arbeit.<br />
Ihr<br />
Thomas Huth<br />
evolution • Nr.13 November 2002
Betr.: Die INWO als Mitglied im Oltner Bündnis*<br />
Das Oltner Bündnis, ein Zusammenschluss verschiedener globalisierungskritischer Organisationen<br />
in der Schweiz, wird am 25. Januar 2003 eine Demonstration in Davos gegen das Jahrestreffen<br />
des World Economic Forum durchführen.<br />
Grünes Licht für Demonstration<br />
gegen Weltwirtschaftsgipfel<br />
Die Bündner Behörden kommen den Globalisierungs-Kritikern<br />
entgegen: Sie geben grünes Licht<br />
für eine Demonstration gegen das Davoser World<br />
Economic Forum (WEF) auf dem Parsennparkplatz.<br />
Zudem soll die K<strong>und</strong>gebung direkt ins Davoser Kongresszentrum<br />
übertragen werden. Allerdings ist die Zahl<br />
der Demonstrationsteilnehmer aufgr<strong>und</strong> der geografischen<br />
Bedingungen in Davos <strong>und</strong> auf den Zufahrtswegen<br />
begrenzt.<br />
In Anwesenheit der beiden Regierungsräte des Kantons<br />
Graubünden, Klaus Huber <strong>und</strong> Stefan Engler, sowie dem<br />
Landammann der Landschaft Davos, Erwin Roffler, zeigten<br />
sich die Bündner Behörden gegenüber einer von<br />
der St. Galler Nationalrätin Pia Hollenstein angeführten<br />
Delegation von Globalisierungs-Kritikern des Oltner<br />
Bündnis entgegenkommend. Insbesondere wurde dem<br />
Wunsch stattgegeben, den Demonstrationsstandort<br />
näher beim Davoser Kongresshaus festzusetzen.<br />
Als Gegenleistung für ihr Entgegenkommen erwarten<br />
die Bündner Behörden von den Organisatoren der Demonstration<br />
ein klares Bekenntnis zum Gewaltverzicht<br />
sowie die Anreise der K<strong>und</strong>gebungsteilnehmer in öffentlichen<br />
Verkehrsmitteln. Die anwesenden Globalisierungs-Kritiker<br />
versicherten, dass auch sie an einer gewaltfreien<br />
Demonstration in Davos interessiert seien,<br />
forderten jedoch, die Zahl der Demonstrationsteilnehmer<br />
nicht zu begrenzen. Die beiden Parteien begrüßten<br />
in der Folge die Offenheit des Treffens <strong>und</strong> kamen überein,<br />
die gegenseitigen Gespräche über eine Demonstration<br />
gegen das WEF weiterzuführen.<br />
(siehe www.wef.gr.ch)<br />
"Public Eye" in Porto Alegre<br />
"The Public Eye on Davos" ist eine Gegenkonferenz<br />
zum Weltwirtschaftsforum, die parallel zu<br />
diesem in Davos stattfindet. Organisiert wird<br />
diese Konferenz von der "Erklärung von Bern"<br />
(EvB), die wie die INWO Mitglied im Oltner<br />
Bündnis ist.<br />
Am 23. September 2002 wurde in Porto Alegre, Brasilien,<br />
das Weltsozialforum 2003 lanciert. Dieses findet<br />
vom 23. bis 28. Januar 2003 zum dritten Mal in Porto<br />
Alegre statt. Erwartet werden über 100.000 TeilnehmerInnen,<br />
größtenteils Delegierte von sozialen<br />
Bewegungen aus aller Welt. An der Auftaktveranstaltung<br />
in Porto Alegre nahmen auch zwei Vertreter der EvB teil.<br />
Durch die Einladung der EvB als Organisatorin der<br />
internationalen Konferenz "The Public Eye on Davos"<br />
brachten die Verantwortlichen des Weltsozialforums die<br />
gemeinsame Anstrengung für Alternativen zur einseitig<br />
wirtschaftlichen Globalisierung zum Ausdruck. "Der<br />
Geist von Porto Alegre wird das Packeis von Davos zum<br />
Schmelzen bringen", sagte Andreas Missbach von der<br />
EvB in seiner Grußbotschaft. Die "Public Eye"-Konferenz<br />
wird vom 23. bis 27. Januar 2003 zum vierten Mal, diesmal<br />
wieder in Davos, stattfinden <strong>und</strong> die Konzernchefs<br />
am Weltwirtschaftsforum mit den Forderungen der Zivilgesellschaft<br />
konfrontieren.<br />
SCHWEIZ<br />
11<br />
Abschied von Gabriele Frenking<br />
Mit großer Erschütterung, aber immer noch hoffnungsvoll,<br />
haben wir im September die schwere Erkrankung<br />
unserer hochgeschätzten Fre<strong>und</strong>in Gabriele<br />
Frenking verfolgt. Leider wurden unsere Hoffnungen,<br />
unsere Wünsche <strong>und</strong> Gebete nicht erfüllt. So müssen<br />
wir tiefbetrübt allen freiwirtschaftlichen Fre<strong>und</strong>innen<br />
<strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>en, allen, die sie gekannt <strong>und</strong> geschätzt<br />
haben, den Tod von Gabriele Frenking mitteilen.<br />
Am 6. Oktober 2002 starb sie im Alter von 74 Jahren<br />
in einem Wuppertaler Krankenhaus. Sie hat gegen die<br />
Krankheit gekämpft <strong>und</strong> verloren. Mit der ihr eigenen<br />
Zuversicht <strong>und</strong> Energie glaubte sie an ihre Genesung.<br />
Sowohl für die INWO als auch für den FJVD setzte sie<br />
sich jahrzehntelang mit einer solchen Hingabe ein,<br />
dass ihr die Herzen zuflogen. Wir haben ihr die Silvio-Gesell-Tagungsstätte<br />
zu verdanken, ihr Lebenswerk.<br />
Das wird uns stets an sie erinnern. Wir können<br />
ihr gar nicht in dem Maße danken, wie sie es verdient<br />
hat.<br />
Wir trauern um einen großartigen Menschen.<br />
Der Vorstand der INWO Deutschland <strong>und</strong> des Freiwirtschaftlichen<br />
Jugendverbands Deutschland e.V.<br />
evolution • Nr.13 November 2002
12<br />
SCHWEIZ<br />
Die INWO macht sich bekannt im B<strong>und</strong>eshaus<br />
"Stellen Sie sich vor, wir müssten nicht jährlich mehrere Milliarden Zinsen zahlen. Da könnten<br />
wir uns unseren Staat fast leisten." Kaspar Villiger, B<strong>und</strong>esrat<br />
Fortsetzung des Mailverkehrs zwischen Patrick Jenny,<br />
Vorstandsmitglied der INWO Schweiz <strong>und</strong> dem Eidgen.<br />
Finanzdepartement (EFD)<br />
(siehe r-evolution Nr. 10, Seite 14)<br />
EFD: ... "Schuldenreduktionen durch Minderausgaben<br />
oder Mehreinnahmen müssen durch das demokratisch<br />
gewählte B<strong>und</strong>esparlament beschlossen werden. Da das<br />
Parlament diese Aufgabe nicht ganz erfüllen konnte,<br />
wurde mit der Schuldenbremse eine gewisse Zurückhaltung<br />
bei den Ausgabenbeschlüssen durch eine Volksabstimmung<br />
erreicht. Mit fre<strong>und</strong>lichen Grüßen."<br />
Antwort von Patrick: "Schade, dass Sie nicht wirklich auf<br />
meine Fragen eingehen <strong>und</strong> immer wieder die Schuldenbremse<br />
ins Feld führen. Ist denn Herrn Villigers Problem<br />
der 10 Mia. Schuldzinsen mit der Schuldenbremse<br />
gelöst? Können wir uns "unseren Staat nun leisten"?<br />
Wenn Ja – sehr gut! Wenn Nein – was wäre Ihr Vorschlag?<br />
Mit fre<strong>und</strong>lichen Grüßen, P. Jenny (INWO)"<br />
freie Marktwirtschaft, auch bei Geld <strong>und</strong> Boden, möglich.<br />
Die Zinsen würden sich automatisch einem Minimum<br />
nähern, bei dem nur noch Gebühren <strong>und</strong> Risikoprämien<br />
(bei Staatsverschuldungen in CH = 0) bezahlt<br />
werden müssten.<br />
Unser Schuldenberg des B<strong>und</strong>es von 107 Milliarden<br />
bliebe erhalten, aber der Schuldendienst von zurzeit<br />
knapp 4 Milliarden (nur B<strong>und</strong>, 10 Milliarden inkl. Kantone<br />
<strong>und</strong> Gemeinden) würde praktisch vollständig wegfallen!<br />
Ich bin gespannt, was Sie von diesen Gedanken halten."<br />
Antwort EFD: "Sehr geehrter Her Jenny! Wie bereits mitgeteilt,<br />
wird mit der Schuldenbremse versucht, die Verschuldung<br />
zu stabilisieren. Durch unsere knappen Personalressourcen<br />
ist es mir nicht möglich, diesen Mailverkehr<br />
weiter zu unterhalten. Mit fre<strong>und</strong>lichen Grüßen."<br />
Schade???<br />
Das B<strong>und</strong>esratszimmer<br />
im Schweizer<br />
B<strong>und</strong>eshaus in Bern<br />
Antwort EFD: "Sehr<br />
geehrter Herr Jenny,<br />
besten Dank für ihr<br />
mail. Ich bin ihnen<br />
dankbar, wenn Sie<br />
mir einen guten Vorschlag<br />
zur Schuldenreduktion<br />
haben. Mit<br />
fre<strong>und</strong>lichen Grüßen."<br />
Antwort von Patrick:<br />
"Gerne. Herr Villiger<br />
möchte ja den Schuldendienst reduzieren. Dies ist auf<br />
zwei Wegen möglich, nämlich über eine Reduktion der<br />
Schulden, wie von Ihnen angedeutet, oder aber über<br />
eine Reduktion des Zinssatzes.<br />
1. Schuldenreduktion: Der sukzessive Goldverkauf im<br />
Werte von total ca. 20 Milliarden Fr. ergäbe eine Restschuld<br />
von 87 Milliarden statt 107 (Stand Ende 2001) -<br />
würde bei gleichbleibendem durchschnittlichen Schuldzinssatz<br />
(zzt. 3.6%) 720 Millionen jährlich weniger Zinsendienst<br />
bedeuten!<br />
2. Viel effizienter wäre, wenn Sie <strong>und</strong> Ihre Arbeitgeber<br />
unsere Bemühungen zur Einführung einer Liquiditätsabgabe<br />
(Umlaufsicherung) auf die Geldmenge (Zahlungsmittel)<br />
M1 unterstützten. Details finden Sie unter<br />
www.geldreform.net oder www.inwo.ch oder bei einem<br />
Gedankenaustausch, z.B. bei einem Mittag- oder Abendessen.<br />
Durch diese Reformen würde endlich eine echte<br />
Spendenbarometer<br />
INWO-CH PC-Konto: 30-1771-2 Bern<br />
Spendenmeldung per 30.09.02<br />
2. Quartal 2002<br />
Stand alt per 31.08.02 Fr. 18.124,43<br />
Stand neu per 30.09.02 Fr. 21.709,43<br />
Spenden Fr. 49.--<br />
1<br />
Spenden Fr. 200.--<br />
U.S. Lenzburg<br />
Spenden Fr. 500.--<br />
H.H. Bern<br />
Spenden Fr. 3000.--<br />
A.V. Äugstertal<br />
evolution • Nr.13 November 2002
Die Vision eines neuen Rechtsempfindens als Gr<strong>und</strong>lage<br />
für eine gerechte Welt<br />
Auszüge aus einer Rede von Adolf Paster anlässlich der Mitgliederversammlung der INWO Österreich<br />
am 11. Oktober 2002 in Wien<br />
Wahrheit, Gerechtigkeit, Friede, Versöhnung sind heute<br />
recht häufig missbrauchte Worte, weil kaum jemand die<br />
reale offene Bedeutung dieser Worte mehr versteht. Verstanden<br />
werden sie deswegen nicht mehr, weil einerseits<br />
die gelebte <strong>Praxis</strong> völlig anders aussieht <strong>und</strong> andererseits<br />
verantwortliche Schlüsselpersonen der Gesellschaft<br />
obige Wortschöpfungen in einem Zusammenhang gebrauchen,<br />
die dem Normalbürger signalisiert, wie <strong>und</strong><br />
in welchem Zusammenhang diese Worte zu verwenden<br />
sind. Das heißt, die Menschen können den ursprünglichen<br />
Sinn dieser Worte nicht mehr verstehen. Intellektuell<br />
beweglichere Zeitgenossen spüren zwar die doppelbödige<br />
Verwendung dieser Worte <strong>und</strong> opponieren dagegen<br />
auch – speziell die heranwachsende Jugend - aber<br />
sie sind nicht in der Lage, sich gegen diesen Mainstream<br />
des Missbrauchs, der durch verbogene Gewissen entsteht,<br />
durchzusetzen. (...)<br />
Die Entwicklung des Gewissens<br />
Kommt ein Kind auf diese Welt, wird es von Anfang an<br />
von den verschiedensten Einflüssen umfangen <strong>und</strong> geformt.<br />
Daher konnte der Schweizer Pädagoge Pestalozzi<br />
sagen: "Wenn wir gut erzogene Eltern hätten, gäbe es<br />
auch gut erzogene Kinder". Kinder bekommen die ganze<br />
negative gesellschaftliche Befindlichkeit von Anfang an<br />
mit. Alle fehlerhaften Zustände mit ihren Defekten.<br />
Daher muss von Anfang an darauf geschaut werden,<br />
dass das Kinder-Erwachsenenverhältnis ein möglichst<br />
partnerschaftliches Verhältnis ist, in dem auch die Kinder<br />
ihren festen Platz haben <strong>und</strong> ihre Meinungen <strong>und</strong><br />
Auffassungen zum Ausdruck bringen dürfen, ohne Sanktionen<br />
erwarten zu müssen, weil sie mit ihrer "freien<br />
Meinung" den vermeintlichen Stolz der Erwachsenen<br />
verletzen. In einem solchen Verhältnis werden die Gewissen<br />
sowohl der Kinder als auch der Erwachsenen<br />
entwickelt <strong>und</strong> Erziehung wird auf beiden Seiten ihre<br />
positiven, guten Früchte bringen. In einem solch partnerschaftlichen<br />
Verhältnis haben entwickelte Gewissen<br />
eine große Chance, das Zusammenleben der Menschen<br />
auf einem hohen Level zu gestalten <strong>und</strong> ein möglichst<br />
glückliches Leben zu garantieren. (...)<br />
Wahrheit innerlich erfahren<br />
"Die Wahrheit" ist im Menschen eingegossen, aber er<br />
kann sie nur erfahren, indem er sich darum bemüht, sie<br />
sozusagen durch Bewusstwerdung herauszuschälen, zu<br />
betrachten, die Konturen deutlich zu erleben <strong>und</strong> zu<br />
sehen, so dass er seine Handlungen <strong>und</strong> Aktionen auf<br />
einem festen inneren F<strong>und</strong>ament errichten kann. (...)<br />
Wer heute vor allem den jungen Menschen predigt,<br />
Wahrheit sei etwas Relatives <strong>und</strong> zeige sich jedem Menschen<br />
anders, verführt sie <strong>und</strong> tut ihnen wahrlich nichts<br />
Gutes. Er bringt sie um die Frucht, die aus dem Ringen<br />
um die Wahrheit jedem Menschen erwachsen kann.<br />
Wie kann ein ges<strong>und</strong>es Rechtsempfinden<br />
entwickelt werden?<br />
(...) Das ges<strong>und</strong>e Rechtsempfinden ist in uns vorhanden<br />
<strong>und</strong> zwar in einer unglaublichen Einheit aller Menschen.<br />
Wenn wir es zulassen, dass der Heilige Geist uns bewusst<br />
werden lässt, dass wir mittels eines ges<strong>und</strong>en<br />
Rechtsempfindens unser Leben auf einer qualitativen<br />
Höhe halten können, aus der eben Gerechtigkeit, Friede<br />
<strong>und</strong> Freude entstehen, dann werden wir aus dieser Erfahrung<br />
heraus bereit sein, mehr <strong>und</strong> mehr mit der<br />
Wahrheit – die Gott ist – zu leben <strong>und</strong> uns an ihr zu<br />
freuen. (...)<br />
Ein hohes Rechtsempfinden ist also eine Gabe Gottes,<br />
die wir mit großer Ehrfurcht betrachten müssen <strong>und</strong> mit<br />
der wir uns mehr <strong>und</strong> mehr auseinandersetzen müssen.<br />
Oft tun wir es auch, aber eher unbewusst. Wir sehen die<br />
Zusammenhänge nicht so klar <strong>und</strong> vor allem suchen wir<br />
sie nicht so bewusst.<br />
Den Völkern muss die Chance wiedergegeben werden,<br />
ein gediegenes Rechtsempfinden zu entdecken, zu betrachten<br />
<strong>und</strong> zu nutzen. Die Menschheit des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
wird ihre Probleme viel leichter in den Griff<br />
bekommen, wenn sie das aus einer inneren Erfahrungssicherheit<br />
tun kann <strong>und</strong> sich nicht allein auf intellektuelle<br />
Kunstgriffe beschränken muss. Intellektuelle Wissenschaftlichkeit<br />
sollte im 21. Jahrh<strong>und</strong>ert zusammen mit<br />
einem gut f<strong>und</strong>ierten Rechtsempfinden Hochzeit halten,<br />
weil wir mit diesem Werkzeug sehr wohl die großen auf<br />
uns zukommenden Probleme lösen werden können. Gerade<br />
alternative sozioökonomische Gesellschaftsstrukturen<br />
der Zukunft werden ohne die Hochzeit von Wissenschaftlichkeit<br />
<strong>und</strong> ges<strong>und</strong>em Rechtsempfinden nur Katastrophen<br />
am laufenden Band produzieren. (...)<br />
Demokratische Freiheit <strong>und</strong> ein hoher humanitärer<br />
Standard sind nur auf der Gr<strong>und</strong>lage eines bewussten<br />
<strong>und</strong> allgemein akzeptierten Rechtsempfindens zu halten<br />
<strong>und</strong> zu entwickeln. Dieses Rechtsempfinden wird nur<br />
dann Allgemeingut werden, wenn die Möglichkeit besteht,<br />
die Gr<strong>und</strong>f<strong>und</strong>amente gesellschaftlichen Verhaltens<br />
in kleinen Fre<strong>und</strong>schafts- oder Basisgruppen einzulernen<br />
<strong>und</strong> zu üben. (...) Der echte Fortschritt wird<br />
nicht von "oben" verordnet, sondern von "unten" erarbeitet.<br />
ÖSTERREICH<br />
Adolf Paster, geb. 1930,<br />
Gründer <strong>und</strong> Präsident<br />
der NGO HIFA (Hilfe für<br />
alle), Schriftleiter der<br />
ZEITUNG DER NÄCH-<br />
STENLIEBE sowie des<br />
HIFA-PRESSE-DIENSTES.<br />
Gründer der INWO-Österreich<br />
(1992). Seit<br />
1961 Mitarbeit in der<br />
Fraternität der kranken<br />
<strong>und</strong> behinderten Personen<br />
Österreichs.<br />
13<br />
evolution • Nr.13 November 2002
Bunte <strong>Praxis</strong><br />
Bethel-Geld<br />
14<br />
Das "Bethel-Geld" - Eine diakonische<br />
Einrichtung mit eigener Währung*<br />
1908 führte die Anstaltsleitung<br />
Warengutscheine<br />
ein, durch<br />
deren Benutzung die<br />
MitarbeiterInnen am<br />
Gewinn der Geschäfte<br />
in Bethel beteiligt<br />
wurden.<br />
In Ostwestfalen gab es in diesem Jahr eine doppelte Währungsumstellung: Am 1. März löste<br />
der Bethel-Euro die Bethel-Mark ab. 110.000 neue Bethel-Euro-Scheine im Wert von fast 1<br />
Million Euro zeugen vom Optimismus der Verantwortlichen, der über 90 Jahre alten Tradition<br />
durch eine Ausweitung der umlaufenden Geldmenge neuen Schwung geben zu können.<br />
Dem alternativen Geld fehlt zwar die Umlaufsicherung, dennoch stärkt es die lokale Infrastruktur.<br />
Ein Beitrag von Bärbel Bitter.<br />
Die v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel sind Europas<br />
größte diakonische Einrichtung. Auf der ganzen<br />
Welt kennen Menschen den Namen Bethel. Sie wissen,<br />
dass Menschen mit Behinderungen <strong>und</strong> solche in besonderen<br />
sozialen Schwierigkeiten hier zahlreiche Hilfeangebote<br />
finden. Einen großen Bekanntheitsgrad haben<br />
aber auch einzelne Einrichtungen wie die Briefmarkenstelle,<br />
die Brockensammlung <strong>und</strong> das so genannte Bethel-Geld:<br />
Gerade diese Betheler Besonderheit ruft<br />
immer wieder großes Erstaunen hervor. Wieso hat eine<br />
Einrichtung wie Bethel das Recht, eine eigene Währung<br />
zu haben, warum wurde Bethel-Geld eingeführt, so oder<br />
ähnlich lauten die Fragen, die immer wieder gestellt<br />
werden.<br />
Bethel hat natürlich genauso wenig ein Recht, eine eigene<br />
Währung herauszugeben wie andere Institutionen<br />
auch. Genau genommen handelt es sich bei dem so genannten<br />
Bethel-Geld auch nicht um Geld, sondern um<br />
Warengutscheine, die die Mitarbeiter <strong>und</strong> Bewohner der<br />
v. Bodelschwinghschen Anstalten gegen Deutsche Mark<br />
eintauschen können.<br />
Die Einführung der Warengutscheine geht auf das Jahr<br />
1908 zurück. Die Vorgeschichte reicht allerdings bis in<br />
die 1880er Jahre. Als Friedrich<br />
v. Bodelschwingh<br />
1872 die Leitung der 1867<br />
eröffneten "Anstalt für Epileptische"<br />
übernahm, kam<br />
es zu einer Änderung der<br />
Konzeption. Bodelschwingh<br />
wollte statt einer Anstalt, die<br />
nach damaligem Verständnis<br />
aus einem großen Gebäude<br />
mit einigen Nebengebäuden<br />
bestand, eine Kolonie mit vielen kleinen Häusern aufbauen.<br />
In diesen Häusern wollte er die Bewohner getrennt<br />
nach Geschlecht, Alter, Krankheitsgrad, Lebensstellung<br />
<strong>und</strong> Beruf unterbringen.<br />
Die Leitung der Häuser sollte von Hauseltern übernommen<br />
werden, denen zur Haushaltsführung ein bestimmter<br />
Etat zur Verfügung stand. Sie sollten weitgehend<br />
selbstständig agieren können, d.h. es war ihnen<br />
selbst überlassen, wie sie die Dinge des täglichen Bedarfs<br />
besorgten. Konkret bedeutete diese Regelung, dass<br />
die gleichen Gebrauchsgüter oder Dienstleistungen in<br />
verschiedenen Geschäften oder Betrieben zu unterschiedlichen<br />
Preisen erworben wurden. Daran änderte<br />
auch die Tatsache nichts, dass man in Bethel zur Beschäftigung<br />
der behinderten Bewohner eine Reihe von<br />
Betrieben gegründet hatte <strong>und</strong> in der Lage war, viele<br />
Gegenstände selbst zu produzieren oder handwerkliche<br />
Dienstleistungen selber zu erledigen. Da es damals keine<br />
kostendeckenden Pflegegelder gab, sollten die Gewinne<br />
der Betheler Handwerksbetriebe auch dazu benutzt werden,<br />
die Lücke zwischen eingehenden Pflegegeldern <strong>und</strong><br />
tatsächlichen Kosten schließen zu helfen. Dazu musste<br />
der Umsatz <strong>und</strong> damit die Gewinnmöglichkeiten der Betriebe<br />
erhöht werden. Deshalb sollten auch die eigenen<br />
Leute zu K<strong>und</strong>en der eigenen Betriebe gemacht werden.<br />
Auf diese Weise floss wenig Geld nach außen ab, <strong>und</strong> die<br />
Arbeitsplätze für die behinderten Bewohner waren gesichert.<br />
Trotz der vielen Vorteile dieses Planes für die Gesamtanstalten<br />
zogen es etliche Hausleitungen weiterhin<br />
vor, außerhalb zu kaufen.<br />
Schwierige Überzeugungsarbeit<br />
Dieses Verfahren erwies sich mit der Zeit als zu teuer.<br />
Deshalb kam die Anstaltsleitung auf die Idee, ein eigenes<br />
"Konsumgeschäft" zu gründen. Dort sollten vorwiegend<br />
eigene Produkte angeboten werden. Darüber hinaus<br />
wollte man die zusätzlich benötigten Dinge in größeren<br />
Mengen <strong>und</strong> damit auch zu günstigeren Konditionen einkaufen<br />
<strong>und</strong> an die Haushaltungen weitergeben.<br />
Dieses Vorhaben wurde auch in die Tat umgesetzt.<br />
Allerdings hatte Bodelschwingh Schwierigkeiten, die einzelnen<br />
Hauseltern von den Vorteilen zu überzeugen.<br />
Davon zeugen etliche R<strong>und</strong>briefe an die Betheler "Hausmütter<br />
<strong>und</strong> Hausväter". So schrieb Bodelschwingh 1884<br />
beispielsweise: Wenn jeder Einzelne bei jedem kleinen<br />
Makel anfängt wieder woanders zu kaufen, so wird dadurch<br />
das Ganze geschädigt <strong>und</strong> ich muss ausdrücklich<br />
bemerken, dass hierin eine Missachtung der vom Vorstand<br />
gegebenen Vorschriften gef<strong>und</strong>en werden muss<br />
<strong>und</strong> eine Ungerechtigkeit gegen unser ganzes Werk.<br />
Weil Bodelschwingh feststellen musste, dass Vorhaltungen<br />
wenig halfen, ergriff er andere Maßnahmen, um<br />
die Mitarbeiter vom Einkauf in den eigenen Geschäften<br />
zu überzeugen. Bodelschwingh hatte schon während seiner<br />
Zeit als Pfarrer in Dellwig, wo er gleichzeitig als Mitherausgeber<br />
eines Sonntagsblattes tätig war, in Artikeln<br />
immer wieder über den Aufbau von genossenschaftlicher<br />
Selbsthilfe durch Rohstoff- <strong>und</strong> Konsumvereine<br />
berichtet. So z.B. über den Spar- <strong>und</strong> Konsumverein der<br />
Fabrikgenossenschaft der Firma Turck in Lüdenscheid.<br />
Den Mitgliedern dieser Genossenschaft wurde nicht nur<br />
die billige Beschaffung der Güter des täglichen Bedarfs<br />
evolution • Nr.13 November 2002
Bunte <strong>Praxis</strong><br />
Bethel-Geld<br />
ermöglicht, sondern sie erhielten auch einen Anteil am<br />
Gewinn.<br />
Ein ähnliches Verfahren hielt Bodelschwingh auch in<br />
Bethel für sinnvoll. Deshalb gab die Leitung an die "Anstaltsangehörigen"<br />
Quittungsbücher heraus. In ihnen<br />
wurde jeder in den Betheler Geschäften oder Betrieben<br />
getätigte Einkauf notiert. Am Jahresende erhielten die<br />
Besitzer der Quittungsbücher eine nach dem Umfang der<br />
Einkäufe errechnete Gewinnbeteiligung.<br />
Fälschungen der Quittungsbücher<br />
Im Laufe der Jahre erwies sich diese Maßnahme jedoch<br />
als viel zu kompliziert. Dies lag auch daran, dass<br />
die Zahl der Quittungsbücher zu Beginn dieses Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
auf über 900 angestiegen war <strong>und</strong> der Eintrag<br />
jedes noch so kleinen Einkaufs erhebliche Erschwernisse<br />
für die Geschäfte <strong>und</strong> Betriebe mit sich brachte.<br />
Als man dann auch feststellen musste, dass der eine<br />
oder andere Eintrag im Quittungsbuch schon mal zu<br />
Gunsten des Besitzers gefälscht worden war, entschied<br />
die Bethel-Leitung 1908, die Quittungsbücher aus dem<br />
Verkehr zu ziehen. Stattdessen erhielten die Mitarbeiter<br />
nun die Möglichkeit, Warengutscheine zu zehn <strong>und</strong> fünf<br />
Mark <strong>und</strong> Münzen zu einer Mark, 50, 25, zehn <strong>und</strong> fünf<br />
Pfennigen gegen Bargeld einzutauschen. Im Volksm<strong>und</strong><br />
erhielten die Warengutscheine schnell die Bezeichnung<br />
Bethel-Geld.<br />
Die Höhe der umgetauschten Beträge trug man jetzt in<br />
ein zentrales Quittungsbuch ein. Diese Eintragungen bildeten<br />
die Gr<strong>und</strong>lage für die Berechnung der Höhe der<br />
Gewinnbeteiligung des Einzelnen. Wer nicht umtauschen<br />
wollte, konnte natürlich in Reichswährung bezahlen,<br />
kam aber am Jahresende nicht in den Genuss der Gewinnbeteiligung.<br />
Später änderte die Anstaltsleitung das<br />
Verfahren der Gewinnbeteiligung <strong>und</strong> gab gleich beim<br />
Umtausch einen Aufschlag von 5%.<br />
Nur bedrucktes Papier<br />
Mittlerweile sind die Warengutscheine schon über 90<br />
Jahre alt. An ihnen kann man die Entwicklung der deutschen<br />
Wirtschaftsgeschichte ablesen. So erreichten die<br />
Nennwerte des so genannten Bethel-Geldes während der<br />
Inflation schnell die gleichen Höhen wie das Reichsgeld.<br />
Mit Datum 1. April 1923 brachten die Anstalten einen<br />
10.000-Mark-Schein auf den Markt. Mit Datum 1. Juli<br />
1923 gab es schon einen 50.000-Mark-Schein, am 15.<br />
November war mit einem Einh<strong>und</strong>ert- <strong>und</strong> Fünfh<strong>und</strong>ert-<br />
Milliardenschein der Höhepunkt erreicht. Da sich die<br />
benötigten Werte ständig änderten, vereinfachte man die<br />
Ausführung der Warengutscheine. Häufig waren es nur<br />
einfach bedruckte Zettel auf dünnem Papier.<br />
Mit dem Ende der Inflation schuf die Anstalt wertbeständiges<br />
"Bethel-Geld". Um die möglichen Risiken abzuschätzen,<br />
holte man sogar ein Gutachten der Deutschen<br />
Bank ein. Nachdem von dieser Seite keine Bedenken<br />
erhoben wurden, gab die Anstaltsleitung mit Datum<br />
vom 1. Dezember 1923 neue Gutscheine mit Werten zu<br />
einem, zwei, fünf <strong>und</strong> zehn Pfennigen sowie einer, zwei,<br />
fünf <strong>und</strong> zehn Mark heraus.<br />
Die Möglichkeiten, mit Warengutscheinen in den Anstaltsgeschäften<br />
einkaufen zu können, fand auch großes<br />
Interesse bei Personen, die nicht in den Anstalten beschäftigt<br />
waren. Sie stellten immer wieder Anträge, die<br />
Warengutscheine ebenfalls nutzen zu dürfen. 1928 gab<br />
die Anstaltsleitung diesem Ansinnen wenigstens teilweise<br />
nach <strong>und</strong> erlaubte den im Anstaltsgebiet wohnenden<br />
"Beamten staatlicher <strong>und</strong> kommunaler Behörden" den<br />
Umtausch von höchstens 250 RM. Dies allerdings nur,<br />
wenn sie im Interesse der Anstalt tätig waren oder auf<br />
irgendeine andere Weise mit Bethel verb<strong>und</strong>en waren.<br />
Für dieses starke Interesse war das gewährte Aufgeld<br />
von 5% beim Umtausch ausschlaggebend.<br />
Abwanderung aufhalten<br />
Bei den eigenen Mitarbeitern sah dies schon wieder<br />
anders aus. Hier musste die Anstaltsleitung<br />
feststellen, dass<br />
immer mehr Mitarbeiter zu den<br />
"Haushaltungs- <strong>und</strong> Konsumvereinen"<br />
in die Stadt abwanderten.<br />
Diese gaben in der Regel eine Dividende<br />
in Höhe von 8%. Um<br />
dem entgegenzuwirken, erhöhte<br />
die Anstalt mit Wirkung vom 1.<br />
April 1930 den beim Umtausch<br />
gegebenen Aufschlag auf 10 %.<br />
Die wirtschaftlichen Krisenerscheinungen<br />
<strong>und</strong> die Deflationspolitik<br />
der Regierung Brüning<br />
brachten das "Bethel-<br />
Geld" Anfang der 30er Jahre<br />
erstmals in Gefahr. Die zur Bekämpfung<br />
der Wirtschaftskrise<br />
<strong>und</strong> der hohen Arbeitslosigkeit<br />
betriebene Politik der Geldknappheit<br />
führte Kommunen in<br />
Versuchung, diese Entwicklung<br />
durch die Herausgabe von Notgeld<br />
zu umgehen. Deshalb erließ das Ministerium für<br />
Handel <strong>und</strong> Gewerbe ein Verbot der Herstellung <strong>und</strong><br />
Herausgabe der Notgeldscheine <strong>und</strong> forderte, die existierenden<br />
aus dem Verkehr zu ziehen. Institutionen wie<br />
der Bielefelder Konsumverein sahen nun eine günstige<br />
Gelegenheit, die Vergünstigungen für die Bethel-Mitarbeiter<br />
aus der Welt zu schaffen, <strong>und</strong> vertraten vehement<br />
die Ansicht, dass auch die Betheler Warengutscheine als<br />
Notgeld anzusehen seien <strong>und</strong> verboten werden müssten.<br />
Auch das an die<br />
Reichsmark gekoppelte<br />
Bethel-Geld unterlag<br />
im Jahre 1923 der<br />
Inflation.<br />
15<br />
evolution • Nr.13 November 2002
Bunte <strong>Praxis</strong><br />
Bethel-Geld<br />
16<br />
Nach der Währungsreform<br />
brachte die<br />
Bethel-Leitung erst<br />
1955 wieder Gutscheine<br />
heraus, auf<br />
ausdrücklichen<br />
Wunsch der MitarbeiterInnen.<br />
Bethel wehrte sich natürlich gegen diese Sichtweise <strong>und</strong><br />
fand Unterstützung beim Reichsminister der Finanzen,<br />
der der Anstalt bescheinigte, dass das so genannte Bethel-Geld<br />
schon wegen des begrenzten Nutzerkreises<br />
nicht als Notgeld anzusehen sei. So konnte das "Bethel-<br />
Geld" auch weiterhin erhalten werden.<br />
Ende des Bethel-Geldes<br />
Das Ende des "Bethel-Geldes" kam nach Inkrafttreten<br />
der Währungsreform im Jahre 1948. Da die bis dahin<br />
existierenden Gutscheine den Aufdruck "Waren für ...<br />
Mark in Reichswährung" trugen, verloren sie natürlich<br />
mit Einführung der DM ihre Gültigkeit. Von Seiten der<br />
Anstaltsleitung dachte man nicht an eine Neuauflage,<br />
weil auch die ursprüngliche Bedeutung des Bethel-Geldes<br />
verloren gegangen war. Mit dem Entstehen der<br />
B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland erhielten die Anstalten<br />
kostendeckende Pflegegelder. Dadurch entfiel die Notwendigkeit,<br />
die Pflegekosten durch die Gewinne der Betriebe<br />
zu senken. Hinzu<br />
kam, dass die Betriebe nicht<br />
mehr so viele behinderte<br />
Menschen beschäftigten.<br />
Neuentwicklungen auf dem<br />
Gebiet der Epilepsie-Medikamente<br />
hatten dazu geführt,<br />
dass sich die Zusammensetzung<br />
der betreuten<br />
Personen veränderte.<br />
Konkret hieß dies, dass viele<br />
Menschen, für die bisher<br />
nur ein Leben in der Anstalt<br />
möglich war, nun ein Leben<br />
außerhalb führen konnten.<br />
Die neu nach Bethel kommenden<br />
Bewohner waren dagegen schwerer behindert.<br />
Eine Arbeit in einem Handwerksbetrieb wäre für sie eine<br />
Überforderung gewesen.<br />
Die Anstaltsleitung hatte bei ihrem Plan, die Warengutscheine<br />
auslaufen zu lassen, die Rechnung allerdings<br />
ohne die Mitarbeiter gemacht. Diese hatten 1951 auf<br />
einer Mitarbeiterversammlung vehement die Wiedereinführung<br />
gefordert. Dabei war der Wunsch beim Kauf in<br />
Anstaltsgeschäften wieder in den Genuss der früheren<br />
Rabatte zu kommen, ausschlaggebend. Da sich die Anstalt<br />
diese Rabatte zuerst nicht leisten konnte, wurde der<br />
Wunsch abschlägig beschieden. Erst als sich die Lage<br />
Mitte der 50er Jahre finanziell wieder mehr stabilisiert<br />
hatte, kamen erneut Warengutscheine auf den Markt, für<br />
die beim Umtausch wiederum 5% mehr gegeben wurden.<br />
Ein Gr<strong>und</strong> für die Wiedereinführung war ein zunehmender<br />
Mitarbeitermangel, der auch wegen der niedrigen<br />
Löhne innerhalb der Anstalt nicht zu beseitigen war.<br />
Durch die Gewährung der Rabatte wollte die Anstaltsleitung<br />
den Mitarbeitern einen kleinen finanziellen Ausgleich<br />
gewähren.<br />
Bei der Wiedereinführung wurde auch eine Stellungnahme<br />
der Bank Deutscher Länder, der Vorläuferin der<br />
B<strong>und</strong>esbank, eingeholt. Diese sah sich allerdings nicht<br />
zu einer abschließenden Stellungnahme in der Lage. Da<br />
§ 7 des Emissionsgesetzes, dies entspricht dem heutigen<br />
Paragrafen 35 B<strong>und</strong>esbankgesetz, die Ausgabe von Geldzeichen,<br />
die geeignet sind, im Zahlungsverkehr an Stelle<br />
der gesetzlich zugelassenen Münzen oder Banknoten<br />
verwendet zu werden, unter Strafe stellt, musste die<br />
Frage geklärt werden, inwieweit dies auf das so genannte<br />
Bethel-Geld zutrifft. Obwohl damals keine ausdrückliche<br />
Genehmigung unter Ausschluss einer Strafandrohung<br />
erteilt wurde, brachte die Anstaltsleitung Anfang<br />
1955 neue Scheine heraus.<br />
Zum Schutz der "Pfleglinge"<br />
Im Schriftverkehr mit der Bank Deutscher Länder<br />
taucht auch zum ersten Male das Argument auf, die Warengutscheine<br />
dienten dem Schutz der behinderten Bewohner<br />
Bethels. Da sich die "Pfleglinge", wie die Bewohner<br />
damals genannt wurden, frei auf dem Gelände<br />
bewegen <strong>und</strong> damit auch normale Geschäfte aufsuchen<br />
konnten, konnten sie laut Anstaltsleitung mit ihrem Taschengeld<br />
"allerlei Unfug anrichten". Bekämen sie ihr<br />
Taschengeld dagegen in "Bethel-Geld" ausgezahlt, wären<br />
sie gezwungen, in den Betheler Geschäften zu kaufen,<br />
<strong>und</strong> dort weiß man sie richtig zu behandeln. Da dieses<br />
Argument vorher überhaupt keine Rolle spielte, scheint<br />
es ein Versuch gewesen zu sein, der Bank Deutscher<br />
Länder eine positive Stellungnahme zum „Bethel-Geld"<br />
zu erleichtern.<br />
Mit der Frage, ob das so genannte Bethel-Geld gegen<br />
Paragraf 35 B<strong>und</strong>esbankgesetz verstößt, musste sich die<br />
B<strong>und</strong>esbank zuletzt im Jahre 1991 beschäftigen. In der<br />
Antwort auf eine Anfrage stellte die B<strong>und</strong>esbank fest,<br />
dass das "Bethel-Geld" als Warengutschein <strong>und</strong> nicht als<br />
Geldzeichen zu betrachten sei. Zu dieser Ansicht war die<br />
B<strong>und</strong>esbank gekommen, weil die Warengutscheine<br />
einen sehr eingegrenzten Verwertungsbereich haben.<br />
Die Bethel-Geld genannten Warengutscheine gibt es<br />
heute immer noch. Sie haben zwar keine ökonomische<br />
Bedeutung mehr, sind jedoch eine der liebenswerten Besonderheiten,<br />
die Bethel bei vielen Menschen bekannt<br />
<strong>und</strong> interessant macht. Deshalb wird überlegt, diese Gutscheine<br />
auch nach der Umstellung der Deutschen Mark<br />
auf den Euro beizubehalten <strong>und</strong> sie den neuen Bedingungen<br />
anzupassen.<br />
* Dieser Beitrag erschien erstmals im Minden-Ravensberger<br />
2000. Jahrbuch in Ostwestfalen. S. 113-118.<br />
evolution • Nr.13 November 2002
Bunte <strong>Praxis</strong><br />
Porto Alegre<br />
Porto Alegre –<br />
Stadt der zukunftsfähigen Ideen<br />
Porto Alegre ist zu einem Mekka für GlobalisierungskritikerInnen geworden. 2003 findet<br />
dort zum 3. Mal das Weltsozialforum statt. Auch vorher schon kamen von hier zukunftsweisende<br />
Impulse, z.B. der "Beteiligungshaushalt", ein direktdemokratisches Modell. Weniger<br />
bekannt ist, dass Porto Alegre einst Schauplatz eines Geldexperiments war.<br />
Durch den aus Frankreich stammenden, aber in Brasilien<br />
tätigen Geschäftsmann Georges Rosier gelangten<br />
im Sommer 1958 Informationen über die "Freie Gemeinde<br />
von Lignières-en-Berry" nach Porto Alegre.<br />
Porto Alegre ist die Hauptstadt des B<strong>und</strong>esstaates Rio<br />
Grande do Sul im Süden Brasiliens. Die Stadt verdoppelte<br />
ihre Einwohnerzahl allein in den fünfziger Jahren von<br />
300.000 auf 600.000.<br />
In Anbetracht der schweren Krise, in der sich die brasilianische<br />
Wirtschaft befand, fasste Rosier den Entschluss,<br />
ebenfalls eine wirtschaftliche Selbsthilfe-Aktion<br />
ins Leben zu rufen. Daraufhin entstand im Oktober die<br />
"Orecopa" (Organizacao Economica Portoalegrense).<br />
Der Plan, umlaufgesicherte Kaufgutscheine - so genannte<br />
'cautelas de compra' - auszugeben, fand nicht nur die<br />
Unterstützung von weiteren Geschäftsleuten, sondern<br />
auch von Politikern, der städtischen Handelskammer<br />
<strong>und</strong> sogar des Finanzministers von Rio Grande do Sul.<br />
Rosier machte auch den Versuch, die Staatsbank von<br />
Rio Grande do Sul dazu zu bewegen, die cautelas de<br />
compra neben den offiziellen brasilianischen Cruzeiros<br />
auszugeben. Nach drei Monaten signalisierte die Staatsbank:<br />
"Wir sind bereit, die cautelas de compra auszugeben<br />
... Aber ... wir brauchen die Genehmigung der<br />
Sumoc, der für alle Geldfragen <strong>und</strong> Bankangelegenheiten<br />
in Brasilien zuständigen Behörde."<br />
Von dieser Aufsichtsbehörde für das brasilianische<br />
Geld- <strong>und</strong> Kreditwesen hat die "Orecopa" jedoch keine<br />
Nachricht erhalten. Da die Werbung für die geplante<br />
"salaires + 10% Aktion" in den Massenmedien schon<br />
angelaufen war, wollten Rosier <strong>und</strong> der übrige Vorstand<br />
der "Orecopa" ihren Beginn nicht mehr hinauszögern.<br />
Im November 1959 begannen sie mit der Ausgabe der<br />
cautelas de compra, nachdem es ihnen gelungen war,<br />
mit der Zweigstelle Sao Joao der Staatsbank von Rio<br />
Grande do Sul einen Vertrag über die Zusammenarbeit<br />
bei Umtausch <strong>und</strong> Einlösung der cautelas de compra abzuschließen.<br />
Da die cautelas de compra in Porto Alegre natürlich<br />
nicht das allein gültige Zahlungsmittel <strong>und</strong> die Mitgliedsunternehmen<br />
der "Orecopa" auf vielfältige Weise mit der<br />
übrigen Wirtschaft verzahnt waren, war es nicht möglich,<br />
einen unabhängigen <strong>und</strong> in sich geschlossenen<br />
Kreislauf der cautelas de compra entstehen zu lassen. In<br />
ihrem Umlauf stellten sich Engpässe ein, besonders im<br />
Lebensmittelhandel. Um diesen Schwierigkeiten entgegenzutreten,<br />
eröffnete Rosier im Juni 1960 im Norden<br />
von Porte Alegre einen großen Supermarkt "Rancho<br />
Orecopa", in dem alle Einkäufe vom Großhandel <strong>und</strong><br />
Verkäufe an die<br />
K<strong>und</strong>en mit cautelas<br />
de compra abgewickelt<br />
werden<br />
sollten. Über den<br />
weiteren Fortgang<br />
dieses Experimentes<br />
liegen allerdings<br />
keine Informationen<br />
vor.<br />
Auszug aus: Werner<br />
Onken: Modellversuche<br />
mit sozialpflichtigem<br />
Boden<br />
<strong>und</strong> Geld. Lütjenburg: Fachverlag für Sozialökonomie<br />
1997. ISBN 3-87998-440-9.<br />
Weitere Literaturtipps:<br />
- Rudolf Spier: Une solution – ein Ausweg. 2., verbesserte<br />
<strong>und</strong> erweiterte Auflage 1961.<br />
- Carsten Herzberg: Wie partizipative Demokratie zu politisch-administrativen<br />
Verbesserungen führen kann:<br />
der Bürgerhaushalt von Porto Alegre. Münster – Hamburg<br />
– London: LIT Verlag 2001. 168 Seiten, 15,90<br />
Euro.<br />
- Vom Süden lernen – Porto Alegres Beteiligungshaushalt<br />
wird zum Modell für direkte Demokratie. DGB Bildungswerk/Misereor<br />
2002. 3,- Euro.<br />
Der Bürgermeister von<br />
Porto Alegre, José Aloisio<br />
Filho, zusammen mit<br />
Glenio Amaral (Schatzmeister<br />
der ORECOPA)<br />
<strong>und</strong> Georges Rosier<br />
17<br />
evolution • Nr.13 November 2002
Bunte <strong>Praxis</strong><br />
Barter<br />
18<br />
BARTER – das Geschäft<br />
der Gegenwart <strong>und</strong> Zukunft<br />
Der von Freiwirtschaftlern gegründete Barterclub WIR ist in der Schweiz seit Jahrzehnten eine vom Mittelstand<br />
allgemein anerkannte Institution. In Deutschland spielt Barter (Tausch) noch keine vergleichbare Rolle.<br />
Nach intensivem Studium der Barter-<strong>Praxis</strong> in den USA hat es sich Ingrid Revering zur Aufgabe gemacht, die<br />
Chancen <strong>und</strong> Vorteile des Barterhandels in Deutschland populär zu machen.<br />
Ingrid Revering, 42<br />
Jahre, Bartervertriebsrepräsentantin<br />
Ostbayern &<br />
Mediatorin<br />
Wir befinden uns erneut auf der Talfahrt einer Rezession<br />
in die Depression mit nicht absehbarem Ende der Talsohle,<br />
möglicherweise dramatischer als vor 70 Jahren,<br />
weil wir weltweit in einer bisher noch nie dagewesenen<br />
Kompressionsmaschine mit vier Kolben sitzen, laut Bernard<br />
Lietaer, ehemaligem belgischem Zentralbankier<br />
<strong>und</strong> Autor mehrerer Bücher, u.a. "Das Geld der Zukunft".<br />
Wir überaltern in rasendem Tempo, wir vermehren uns<br />
ebenso rasch, wir haben nicht mehr genügend bezahlte<br />
Arbeit, täglich sterben 150 Arten aus (Zitat Franz Alt)<br />
<strong>und</strong> unser zinsbehaftetes Geldsystem hat ausgedient. Es<br />
stellt keine Lösungen mehr bereit für übersättigte Märkte<br />
<strong>und</strong> nachhaltiges Wirtschaften (weil Investitionen in<br />
Nachhaltigkeit nicht genügend Rendite abwerfen), was<br />
jedoch dringend erforderlich ist, soll unser w<strong>und</strong>erbarer<br />
Planet Erde erhalten bleiben.<br />
Multinationale Großkonzerne übernehmen mehr <strong>und</strong><br />
mehr den kreativen, lebenserhaltenden Mittelstand, weil<br />
der Wachstumszwang durch den Zins- <strong>und</strong> Zinseszinseffekt<br />
die Wirtschaft zu einem selbstzerstörerischen Verfahren<br />
zwingt.<br />
Kredite bei den Banken können nicht mehr getilgt werden,<br />
weil sich das Geld durch die zinsbedingte Falschverteilung<br />
immer gerade woanders befindet als dort, wo<br />
es benötigt wird, <strong>und</strong> darüber hinaus stehen Kredite, vor<br />
allem seit Basel II, für kleine <strong>und</strong> mittlere Unternehmen<br />
nicht mehr in ausreichendem Maße zur Verfügung. Pleitewellen<br />
überrollen Deutschland<br />
im Gleichmarsch mit dem<br />
gesamten Westen. Der Rest der<br />
Welt spielt bei diesem Monopoly<br />
schon lange keine Rolle<br />
mehr. Machen Sie sich nichts<br />
vor, die Politiker werden uns<br />
nicht retten, weil sie es gar<br />
nicht können, denn die Wurzel<br />
allen Übels liegt im Zinssystem,<br />
welches durch seinen exponentiellen<br />
Wachstumszwang uns<br />
alle miteinander ins Aus drängt,<br />
einzelne Menschen wie ganze<br />
Staaten.<br />
In Ländern wie Argentinien kann man gerade im Moment<br />
sehr gut beobachten, was geschieht, wenn dem<br />
Volk das Geld entzogen wird bzw. das herkömmliche<br />
Geld seinen Wert verliert: Spontan entstehen Tauschmärkte<br />
gigantischen Ausmaßes. Und sie funktionieren.<br />
In anderen Ländern oder sozialen Brennpunkten auf der<br />
Erde werden so genannte Komplementärwährungssysteme,<br />
also die gewöhnliche Wirtschaftspraxis ergänzende<br />
zweite Wirtschaftskreisläufe, als Konstanten bewusst hinzugezogen,<br />
unterstützt von Banken <strong>und</strong>/oder Staaten, zur<br />
Minimierung oder auch zum Ausstieg aus der Schuldenfalle<br />
des Kreditvergabesystems. Diese Komplementärwährungssysteme<br />
haben u.a. gemeinsam, dass sie zinsfrei<br />
sind. Es sind heutzutage i. d. R. internetgestützte<br />
Leistungsverrechnungs- <strong>und</strong> verbuchungssysteme, so<br />
auch u.a. die so genannten Barter-Netzwerke.<br />
Was hat dies alles nun mit dem Mittelstand zu tun, den<br />
ich hier gerne ansprechen möchte? Multinationale Konzerne<br />
tun neben dem oben bereits Erwähnten auch noch<br />
etwas anderes, letztlich, um auf allen Ebenen am Gewinn<br />
beteiligt zu sein. Die meisten Unternehmen mit Größenordnungen<br />
von etwa Mercedes Benz, Nokia, etc. haben<br />
zusätzlich zu ihren normalen Vertriebssystemen hauseigene<br />
Barter-Abteilungen. Etwa 20% des gesamten Welthandels<br />
werden gebartert, vornehmlich mit Ländern mit<br />
geringem Cash-flow, aber hochinteressanten Waren.<br />
Es handelt sich hierbei um so genannte bilaterale Kompensationsgeschäfte<br />
oder auch Corporate Barter Tradings,<br />
d.h., Getreide der Firma XY wird getauscht gegen<br />
Öl der Firma XZ, ohne Verwendung von herkömmlichem<br />
Geld oder zumindestens bezogen auf Teilgeschäfte. Würden<br />
sie diese Möglichkeit nicht einsetzen, sähe es noch<br />
weitaus dramatischer aus auf dem Weltmarkt. Dennoch,<br />
die Ziele <strong>und</strong> Motivationen, die dahinter stehen, lassen<br />
Zweifel aufkommen an der Ethik dieses Geschäfts auf<br />
multinationaler Ebene. Es dient wohl in den seltensten<br />
Fällen dem Wohlstand der gesamten Menschheit <strong>und</strong> der<br />
Erde, sondern eher der Gewinnmaximierung einiger Weniger.<br />
Zugleich ist jedoch das Bartergeschäft, anders genutzt,<br />
eines der besten, preisgünstigsten <strong>und</strong> effektivsten Möglichkeiten,<br />
den gestauten Markt wieder ins Fließen zu<br />
bringen. Überwiegend regional <strong>und</strong> professionell eingesetzt<br />
von klein- <strong>und</strong> mittelständischen Betrieben, die<br />
sich zu einem Netzwerk von Lieferanten zusammenschließen,<br />
die sich gegenseitig direkt mit ihrem jeweiligen<br />
Leistungsangebot "bezahlen", ermöglicht es diesen<br />
sukzessive, höhere Gewinne zu erzielen, ihre Liquidität<br />
zu schonen, mehr Spielraum für Kreativität zu haben,<br />
ihre Mitarbeiter nicht freisetzen zu müssen, erhöhte Sicherheit<br />
zu genießen, unabhängiger vom Würgegriff des<br />
Kreditwesens zu werden, sprich einfach freier zu sein.<br />
Manchen bleibt es so erspart, Insolvenz anmelden zu<br />
müssen.<br />
evolution • Nr.13 November 2002
Das Verfahren eines solchen Barter-Clubs (Pools, Netzwerkes)<br />
ist die multilaterale Leistungsverrechnung mit<br />
einer Verbuchungszentrale, ähnlich einer Bank, im Zentrum.<br />
Die Teilnehmer werden regional von Barter-Beratern<br />
betreut. Das Barter-Unternehmen steht den einzelnen<br />
Teilnehmern als Vertriebspartner zur Verfügung <strong>und</strong><br />
sorgt für ausgewogenen Ein- <strong>und</strong> Verkauf. Jedes teilnehmende<br />
Unternehmen führt ein eigenes Verrechnungskonto<br />
in der Zentrale <strong>und</strong> hat über ein Internet-Portal<br />
ständig Zugang zu den neuesten Leistungsangeboten.<br />
Zusätzliche Gewinne entstehen durch zusätzliche Geschäfte,<br />
die ohne Barter aufgr<strong>und</strong> der immer schlechter<br />
werdenden Konjunkturlage nicht mehr möglich wären.<br />
Die Gebühren für die Bereitstellung dieser Dienstleistung<br />
stehen in keinem Verhältnis zum Zugewinn aus den<br />
zusätzlichen Geschäften (ca. 10-20% des Jahresumsatzes<br />
zu Beginn) <strong>und</strong> zu den Gebühren <strong>und</strong> mehr noch zu den<br />
Zinsen für die jedes Jahr wieder neu anfallenden Kredite<br />
bei den Banken, ganz zu schweigen von den nicht mehr<br />
vorhandenen Sicherheiten, die dort abgefragt werden<br />
<strong>und</strong> die oft schneller als man denkt, plötzlich zur Konkursmasse<br />
werden.<br />
Gemeinsam ist derlei gestalteten alternativen Wirtschaftssystemen,<br />
dass sie von der Kooperation <strong>und</strong> dem Vertrauen,<br />
nicht von der Konkurrenz, leben. Hier geht es<br />
nicht um den Überlebenskampf mit allen Mitteln, sondern<br />
um Leben <strong>und</strong> Werteerhaltung <strong>und</strong> den Erhalt bzw.<br />
die Wiederherstellung der regionalen Kaufkraft <strong>und</strong> der<br />
so dringend benötigten Kreativität.<br />
Weitere Informationen:<br />
Ingrid Revering, Info-Tel.: 08091-539782 oder 0172-<br />
7387040, E-Mail: revering@gmx.net<br />
19<br />
EURO nachrangig gegenüber eigenen Währungen!<br />
Aus einer (verfassungs-)rechtlichen Beurteilung von<br />
Manfred Steinbach (Institut für Soziale Ökologie, Bremen)<br />
geht hervor: " Es bestehen in Deutschland weder<br />
verfassungsrechtliche noch andere gesetzliche Bedenken<br />
gegen das Recht von gemeinwesenorientierten Gruppen,<br />
ihr eigenes Geld zu vereinbaren <strong>und</strong> zu benutzen. Im<br />
Gegenteil: Regionale <strong>und</strong> lokale Geldsysteme wie der<br />
ROLAND-Gutschein [siehe r-evolution Nr. 12, S. 23, d.<br />
Red.] sind aufgr<strong>und</strong> ihres vertragsfreiheitlichen Rechtsgeschäftes<br />
verfassungsrechtlich höher zu bewerten als<br />
gesetzliche Zahlungsmittel."<br />
Zum einen werde nach dem "Rechtskommentar Hahn"<br />
zu § 35 des B<strong>und</strong>esbankgesetzes "die Ausgabe von<br />
Scheinen, die nur beim Einkauf in bestimmten Geschäften<br />
in Zahlung gegeben werden können, selbst dann<br />
nicht von § 35 B<strong>und</strong>esbankgesetz erfasst ..., wenn darauf<br />
ein bestimmter Betrag angegeben wird." Dies gelte<br />
auch für Geldersatz (Wertzeichen, Urk<strong>und</strong>en), der diese<br />
Funktion nur für einen räumlich <strong>und</strong> personell unbedeutenden<br />
<strong>und</strong> abgegrenzten Bereich habe.<br />
Zum andern zähle zu dem Gr<strong>und</strong>recht auf die freie Entfaltung<br />
der Persönlichkeit auch die Vertragsfreiheit, welche<br />
bei der Ausübung der Rechte von Verkäufer <strong>und</strong><br />
Käufer, den Kaufpreis zu vereinbaren, seine Bedeutung<br />
bekomme. Diese könnten sich nämlich z.B. auch auf "1<br />
Sack Kartoffeln" als Kaufpreis oder auf Zahlung in ausländischer<br />
Währung einigen. Die Zahlung des Kaufpreises<br />
sei gemäß § 433 BGB in die Vertrags- <strong>und</strong> Vereinbarungsfreiheit<br />
der Beteiligten gestellt, somit könnten z.B.<br />
Brötchen mit dem bezahlt werden,<br />
was Verkäufer <strong>und</strong> Käufer<br />
selbst als Zahlungsmittel vereinbaren,<br />
z.B. mit dem nicht gesetzlichen<br />
Zahlungsmittel ROLAND!<br />
Erst dann, wenn sie bei der Zahlungsvereinbarung<br />
"ihre Kreativität<br />
nicht haben walten lassen<br />
(wollen), wenn sie nichts Spezielles<br />
vereinbart haben, erst<br />
dann können sie auch das Angebot<br />
des Gesetzgebers annehmen <strong>und</strong> stillschweigend vereinbaren:<br />
Der Kaufpreis soll in Euro gezahlt werden!<br />
Ausfluss des Gr<strong>und</strong>rechts auf Vertragsfreiheit ist – <strong>und</strong><br />
jetzt wird es ganz deutlich: Das gesetzliche Zahlungsmittel<br />
kann nachrangig benutzt werden!"<br />
Der gesamte Text der Beurteilung kann angefordert werden<br />
bei:<br />
Institut für Soziale Ökologie, Weißenburger Str. 29,<br />
28211 Bremen, Tel.: 0421-4915209<br />
evolution • Nr.13 November 2002
Veranstaltungsbericht<br />
B<strong>und</strong>es-Tauschring-Treffen<br />
Gesellschaft (mit-)gestalten –<br />
Ökonomische Alternativen<br />
werden dringend benötigt!<br />
20<br />
Das 8. B<strong>und</strong>estreffen der Tauschsysteme<br />
stand unter dem Motto "Gesellschaft (mit-)<br />
gestalten - Tauschringe <strong>und</strong> Lokale Agenda<br />
21 als Impulsgeber zur Gemeinwohlökonomie"<br />
<strong>und</strong> fand vom 27. – 29. September in<br />
dem hellen, fre<strong>und</strong>lichen Gebäude der Blote-<br />
Vogel-Schule am Rande von Witten statt. Mit<br />
etwa 100 TeilnehmerInnen aus Deutschland<br />
<strong>und</strong> Italien waren knapp 50 Tauschsysteme<br />
vertreten.<br />
Eingeleitet wurde die Tagung mit Statements der PodiumsteilnehmerInnen:<br />
Joachim Sikora, KSI (Leiter des Katholisch-Sozialen<br />
Instituts der Erzdiözese<br />
Köln)<br />
Herr Sikora legte in 7 Thesen dar, wie unsere heutige<br />
Gesellschaft aus seiner Sicht belastet ist. Aus dem ursprünglichen<br />
Tauschmittel Geld ist durch den Zins ein<br />
Spekulationsobjekt geworden, unser Geldsystem ist<br />
damit falsch gestrickt. Die Gesellschaft ist durch sozialen<br />
Abbau, Verschuldung <strong>und</strong> hohe Arbeitslosigkeit gekennzeichnet<br />
<strong>und</strong> benötigt einen ökonomischen Wechsel.<br />
Derzeit spielen bei der Arbeit die Faktoren Mensch <strong>und</strong><br />
Ökologie<br />
keine Rolle,<br />
nur der Faktor<br />
Geld zählt.<br />
Das Geld ist<br />
nicht örtlich<br />
geb<strong>und</strong>en<br />
sondern kann<br />
je nach Wirtschaftlichkeit<br />
an jedem beliebigen<br />
Ort<br />
eingesetzt<br />
werden. Dringend<br />
benötigt<br />
wird eine<br />
ökonomische Alternative, ein sinnvolles <strong>und</strong> verantwortungsvolles<br />
Wirtschaften. Wir benötigen ein neues Geldsystem,<br />
das Menschen <strong>und</strong> Umwelt in den Prozess Arbeit<br />
einbezieht. Genau wie der Umweltschutz oder die alternative<br />
Medizin, die anfangs wenig Anerkennung fanden<br />
<strong>und</strong> inzwischen nicht mehr aus unserer Gesellschaft<br />
wegzudenken sind, muss die Ökonomie sich ihren Weg<br />
bahnen. Ein Weg hierzu ist der Aufbau lokaler Währungssysteme,<br />
die aus der Inselfunktion herausgeführt<br />
werden müssen.<br />
Adrian Reiner, Stiftung Mitarbeit<br />
Tauschsysteme zeigen viel soziales Kapital für die Fähigkeiten<br />
<strong>und</strong> die Bereitschaft zur Zusammenarbeit in einer<br />
Gesellschaft. Die zentralen Gr<strong>und</strong>lagen der Demokratie<br />
werden gefördert. Der Trend im gesellschaftlichen Engagement<br />
geht dahin, dass der Wert des eigenen Engagements<br />
konkret erfahren werden möchte. Dies geschieht<br />
in kleinen Gruppen, projektgeb<strong>und</strong>en, themenspezifiziert,<br />
zielgerichtet <strong>und</strong> temporär. Die Stiftung Mitarbeit<br />
unterstützt differenzierte Angebotsformen, engagementfördernde<br />
Kontaktstellen <strong>und</strong> Gruppen, die die Möglichkeit<br />
zur Mitverantwortung bieten.<br />
Das Prinzip der Gegenseitigkeit in Tauschringen gibt ein<br />
Gefühl für Gerechtigkeit in der Gesellschaft <strong>und</strong> bietet<br />
Raum für Visionen im Kleinen. Die Stiftung Mitarbeit<br />
verfolgt <strong>und</strong> unterstützt die spannende Entwicklung.<br />
Cornelia Assion, B<strong>und</strong>esministerium<br />
f. Ges<strong>und</strong>heit (BMG)<br />
Aus Sicht des BMG ist die Stärkung <strong>und</strong> Weiterentwicklung<br />
der Selbsthilfe förderungswürdig. Bei Tauschsystemen<br />
findet ein Perspektivenwechsel statt. Der Blick wird<br />
auf die Fähigkeiten des Menschen gelenkt <strong>und</strong> nicht auf<br />
seine Schwächen. Dies stärkt das Selbstwertgefühl des<br />
Einzelnen <strong>und</strong> hat aktivierende Wirkung. Tauschsysteme<br />
wirken dem Trend der Vereinsamung entgegen <strong>und</strong><br />
diese Entwicklung wird mit Wohlwollen verfolgt.<br />
(Anm.d.Red.: Das BMG hat das B<strong>und</strong>estreffen finanziell<br />
gefördert).<br />
Ottmar Miles-Paul, ehem. Zeitbörse<br />
Kassel, Stadtverordneter<br />
Durch die Idee der Gleichsetzung "1 St<strong>und</strong>e gegen 1<br />
St<strong>und</strong>e" wird ein Umdenkprozess über die Arbeit von<br />
Benachteiligten, über Familienarbeit usw. eingeleitet <strong>und</strong><br />
eine Sicherheit generiert. Die Tauschsystem-Bewegung<br />
ist wie ein Marathon: Wir hatten einen guten Start, wir<br />
setzen uns Ziele, wir arbeiten hart. Zu klären ist dabei:<br />
Wie führen wir eine Organisation? Wie gehen wir mit<br />
Menschen um?<br />
Der Politik vor Ort sind heute durch Unternehmen enge<br />
Grenzen gesetzt, wenn z.B. ein Konzern seinen Sitz verlagert<br />
<strong>und</strong> hierdurch viele Arbeitsplätze (<strong>und</strong> Steuern)<br />
verloren gehen. Um Menschen vor Ort zu halten ist eine<br />
gute Lebensqualität wichtig. In Tauschringen wird den<br />
Menschen eine Chance gegeben, aktiv zu sein, sich zu<br />
engagieren <strong>und</strong> gegen Einsamkeit anzugehen.<br />
evolution • Nr.13 November 2002
Sonja Leinemann, (in Vertr. des Bürgermeisters)<br />
Leiterin der Volkshochschule<br />
Witten<br />
Die Stadt Witten unterstützt seit Jahren viele Selbsthilfeprojekte<br />
wie die Tafel, die Freiwilligenbörse etc., jedoch<br />
wird dies aufgr<strong>und</strong> der wirtschaftlichen Situation der<br />
Kommunen immer schwieriger zu finanzieren. Tauschringe<br />
sind eine Alternative, bürgerschaftliches Engagement<br />
zu entwickeln. Wichtig ist bei Tauschsystemen der<br />
Aspekt, dass Menschen lernen, ihr Selbstwertgefühl<br />
nicht nur über die Erwerbsarbeit zu definieren. Unsere<br />
Gesellschaft muss sich umorganisieren <strong>und</strong> Tauschringe<br />
zeigen den Menschen, dass es ein Leben jenseits der Arbeit<br />
gibt.<br />
Klaus Reichenbach, Zeitbörse Kassel,<br />
ATF, ISL e.V. (Inst.f. selbstbestimmtes<br />
Leben)<br />
In Tauschsystemen holen wir uns einen Teil Lebensqualität<br />
zurück, indem wir uns durch Tausch mehr Möglichkeiten<br />
erschaffen <strong>und</strong> ein Gegengewicht zur Globalisierung<br />
geben. Der ortsgeb<strong>und</strong>ene Tausch stärkt die Region<br />
<strong>und</strong> hält auch Unternehmen am Ort, wenn sie in<br />
das Tauschsystem eingeb<strong>und</strong>en werden.<br />
In der anschließenden Diskussion fielen Sätze wie:<br />
- Wertestruktur überdenken, die eigene genauso wie die<br />
der Gesellschaft.<br />
- In ländlichen ursprünglichen (Familien-)Strukturen<br />
war Leben ohne Geld möglich.<br />
- In einigen Kulturen gibt es keinen Tausch, dort wird<br />
gerne <strong>und</strong> viel geschenkt.<br />
- In 30 Jahren werden nur 50% der Bevölkerung bezahlte<br />
Arbeit haben. Eine andere Verteilung der Arbeit, ein<br />
anders definiertes Selbstwertgefühl sind notwendig.<br />
Auch die Politik sollte offen mit diesem Thema umgehen<br />
statt immer wieder sinkende Arbeitslosenzahlen zu prophezeien.<br />
- Sind Tauschringe dazu da, dieses menschenverachtende<br />
System zu protegieren?<br />
- Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> Beihilfen werden von den Kommunen<br />
in absehbarer Zeit weniger unterstützt werden können.<br />
- Im weltweiten Vergleich haben wir derzeit ein Sozialsystem<br />
auf hohem Niveau <strong>und</strong> wir sollten uns überlegen,<br />
was wir jetzt für später tun können, wenn sich dies ändert.<br />
Wir müssen jetzt die Diskussion für Rahmenbedingungen<br />
in der Gesellschaft anregen.<br />
- Das BMG kann<br />
Tauschsystemen<br />
keine direkte Hilfe<br />
geben, wohl aber<br />
Projekte unterstützen,<br />
Türen öffnen,<br />
Kontakte vermitteln<br />
<strong>und</strong> die Idee publik<br />
machen.<br />
- Geld ist frei<br />
weitergebbar, Zeit<br />
ist ortsgeb<strong>und</strong>en.<br />
- Tauschsysteme<br />
müssen raus aus<br />
dem Fre<strong>und</strong>eskreis,<br />
aus der "Kuschel-<br />
Ecke".<br />
Die gesamte Tagung gab viel Raum für kleine <strong>und</strong> größere<br />
Diskussionsr<strong>und</strong>en zu unterschiedlichen Tausch-<br />
Themen wie Tauschring-Organisation, Lokale Agenda 21,<br />
Integration von benachteiligten TeilnehmerInnen, Neuaufnahme<br />
<strong>und</strong> Motivation von Mitgliedern, Zusammenarbeit<br />
mit Institutionen, Basisdemokratie, Stand im<br />
Ressourcen-Tauschring u.v.m.<br />
Der Wittener Tauschring hatte die Veranstaltung gut vorbereitet:<br />
Tauschtaxis sorgten für den Transport zu Bahn<br />
<strong>und</strong> Quartier, Speis <strong>und</strong> Trank waren reichlich <strong>und</strong> gut,<br />
die Moderation genauso wie die Örtlichkeit gut gewählt.<br />
Etwas wenig Beachtung fanden leider die guten kulturellen<br />
Angebote wie die Literatureinlage sowie die Flamenco-<br />
<strong>und</strong> Klaviermusik. Der Gedankenaustausch stand für<br />
die TeilnehmerInnen eindeutig im Vordergr<strong>und</strong>.<br />
Im Schlussplenum wurde die unverändert offene B<strong>und</strong>esstruktur<br />
aufgelistet sowie einige verbleibende unterschiedliche<br />
Sichtweisen festgehalten. Vielleicht eine<br />
Gr<strong>und</strong>lage für das nächste B<strong>und</strong>estreffen der Tauschsysteme,<br />
das in Bad Aibling (Bayern) stattfinden wird.<br />
Dagmar Capell, Tauschring Harburg<br />
Dieser Bericht ist nicht vollständig oder von den Rednern<br />
autorisiert, sondern nur ein erster Eindruck. Die vollständige<br />
Dokumentation über das Treffen ist gegen _ 12,50 erhältlich<br />
bei:<br />
Tausch- <strong>und</strong> Aktivitäten-Börse Witten <strong>und</strong> Umgebung<br />
c/o Elke Conrad<br />
Lutherstr. 14, 58452 Witten<br />
E-Mail: tauschboersewitten@gmx.de / Fax: 02302-275798<br />
Quelle: Tauschmagazin Nr. 3, Oktober 2002<br />
21<br />
evolution • Nr.13 November 2002
Veranstaltungsbericht<br />
SffO-Tagung<br />
Der Bildungsgutschein – ein Schritt zu<br />
pädagogischer Freiheit <strong>und</strong> Vielfalt?<br />
Nachdem das Bildungsthema seit Ende der 70er Jahre in einen Dornröschenschlaf versunken<br />
war, rüttelte die Pisa-Studie die Verantwortlichen <strong>und</strong> auch die Öffentlichkeit wieder wach.<br />
Dass Deutschland inzwischen in die dritte Bildungsliga abgestiegen ist, diese Erkenntnis<br />
wirkt seitdem wie ein Schock. Ursachenforschung für dieses Bildungsdesaster ist angesagt.<br />
Bernd Hercksen berichtet über einen tiefgreifenden Lösungsansatz.<br />
22<br />
Die deutsche Kultusministerkonferenz<br />
arbeitet<br />
bereits an der<br />
Einführung gesamtdeutscher<br />
Bildungsstandards.<br />
Ob das der<br />
Freiheit im Bildungswesen<br />
dient?!<br />
Dem Seminar für freiheitliche Ordnung ging es in dieser<br />
Tagung vom 5. – 6. Oktober 2002 nicht um die Wiederholung<br />
der üblichen Rezepte wie "Mehr Gesamtschulen"<br />
oder "B<strong>und</strong>eseinheitliche Prüfungen". Statt mit staatlichen<br />
<strong>und</strong> zentralistischen Verwaltungsakten soll die<br />
Bildungskrise durch die Einführung von Bildungsgutscheinen<br />
gelöst werden, die mehr Wettbewerb <strong>und</strong><br />
Selbstbestimmung der Bildungsträger <strong>und</strong> damit eine<br />
bessere Bildung ermöglichen.<br />
Am Beginn standen zwei Referate, um erst einmal die<br />
Voraussetzungen für eine solche tiefgreifende Bildungsreform<br />
zu klären. Eckhard Behrens, ein Vorstandsmitglied<br />
des Seminars, der lange Jahre in der Heidelberger<br />
Universitätsverwaltung tätig war, gab zunächst einen<br />
Überblick über die gegenwärtige ordnungspolitische Reformdiskussion.<br />
Eckhard Behrens: Das Bildungswesen<br />
im ordnungspolitischen Umbruch.<br />
Seine These:<br />
Nur ein konsequenter<br />
Rückzug des<br />
Staates aus<br />
der Bildung<br />
führt zu<br />
internationaler<br />
Wettbewerbsfähigkeit.<br />
Dabei<br />
braucht es<br />
eine Vielzahl<br />
von Schritten,<br />
um den<br />
schwierigen Übergang von einer staatlich gelenkten <strong>und</strong><br />
verwalteten Bildung zu einem freiheitlichen Bildungswesen<br />
zu bewältigen. Die Voraussetzungen dazu sind in den<br />
drei Bereichen Kindergärten – Schulen – Unis sehr verschieden.<br />
Im Kindergartenbereich ist der Staat kaum präsent, Träger<br />
sind meistens die Kommunen oder freie Träger, die<br />
dem pädagogischen Personal einen großen Spielraum<br />
geben.<br />
Das Schulsystem wird dagegen vom Staat dominiert, nur<br />
5% aller Schüler besuchen Privatschulen. In den staatlichen<br />
Schulen bestimmt das Kultusministerium des jeweiligen<br />
B<strong>und</strong>eslandes zentralistisch die Inhalte bzw.<br />
den Lehrplan, es ist auch der Dienstherr der als Landesbeamte<br />
angestellten Lehrer. Die Kommunen sind nur für<br />
äußere Angelegenheiten zuständig.<br />
Ganz anders ist wiederum die Situation des Universitätsbereichs.<br />
Die Selbstverwaltung der Hochschule war nie<br />
umstritten, sie hat aber ihre Grenzen: Jede Uni muss<br />
ihre Mittel vom B<strong>und</strong>esland beantragen <strong>und</strong> kann über<br />
diese nicht frei verfügen. Der Referent forderte einen<br />
Globalhaushalt für die Unis, den diese selbst verwalten<br />
können sollten, wie dies beispielsweise jetzt schon in<br />
Baden-Württemberg der Fall ist. Eine weitere Beschränkung<br />
der Autonomie der Hochschule liegt in der Bezahlung<br />
des Hochschulpersonals durch das B<strong>und</strong>esland.<br />
Jobst von Heynitz: Parallelen <strong>und</strong> Polaritäten<br />
zwischen wirtschaftlichem<br />
<strong>und</strong> kulturellem Wettbewerb<br />
Wettbewerb ist im Wirtschaftsleben allgegenwärtig,<br />
immer geht es um den Erfolg im Vergleich zur Konkurrenz.<br />
Aufgabe der Ordnungspolitik ist es, für fairen Wettbewerb<br />
zu sorgen <strong>und</strong> unlautere Methoden zu verhindern.<br />
In der Wirtschaft ist die eigene Leistung für den<br />
Produzenten wertlos, er produziert in einem arbeitsteiligen<br />
System für den K<strong>und</strong>en. Im Vordergr<strong>und</strong> des Interesses<br />
steht daher stets die Gegenleistung, die er von ihm<br />
für seine Leistung bekommt. Die Kosten der Produktion<br />
müssen durch den Verkaufspreis gedeckt werden, sonst<br />
gerät der Betrieb in den Konkurs.<br />
Der Wettbewerb in der Kultur ist nicht der gleiche wie in<br />
der Wirtschaft. Künstlern, Wissenschaftlern <strong>und</strong> Lehrern<br />
geht es primär um die Sache selbst, sie haben im Gegensatz<br />
zu Produzenten in der Wirtschaft ein großes Interesse<br />
an ihrem Produkt, weil sie sich mit ihm identifizieren.<br />
Die Nachfrage hat im Kulturbereich nicht den Ausschließlichkeitscharakter<br />
wie in der Wirtschaft. Entgelte<br />
sind zwar nicht ausgeschlossen, es gibt aber auch öffentliche<br />
<strong>und</strong> private Spenden <strong>und</strong> Subventionen. Daher sind<br />
in der Kultur nicht kostendeckende Preise möglich.<br />
Wegen dieser Unterschiede wird eine Ökonomisierung<br />
<strong>und</strong> Kommerzialisierung der Kultur – die Übertragung<br />
der Maßstäbe der Wirtschaft auf die Kultur – von den<br />
meisten Menschen abgelehnt. Entscheidend für die Kulturentwicklung<br />
ist die Spendenbereitschaft der Bevölkerung,<br />
wobei eine gerechte Einkommensverteilung durch<br />
eine Geldreform Voraussetzung ist. Ohne eine solche<br />
muss auch der Staat mit Subventionen die Kultur fördern,<br />
darf aber ihre Inhalte nicht bestimmen – Freiheit<br />
sei ein Wesensmerkmal der Kultur.<br />
evolution • Nr.13 November 2002
Eckhard Behrens: Der Bildungsgutschein<br />
– staatliche Finanzierung<br />
freier Entfaltung<br />
Nach der Vorarbeit der beiden Referate ging es endlich<br />
zum eigentlichen Thema, dem Bildungsgutschein. Alle<br />
Eltern von minderjährigen Kindern bzw. alle erwachsenen<br />
Schüler <strong>und</strong> Studenten bekommen vom Staat einen<br />
nicht übertragbaren Bildungsgutschein, mit dem sie frei<br />
entscheiden können, welches bisher direkt vom Staat finanzierte<br />
Bildungsangebot sie nutzen wollen. Sie bezahlen<br />
das Bildungsangebot mit dem Bildungsgutschein,<br />
den die Bildungseinrichtung beim Staat zu dem vom Gesetzgeber<br />
festgelegten Betrag einlösen kann. Die Bildungseinrichtung<br />
hat also nur so viel Geld wie sie Schüler<br />
hat. Der Referent nannte mehrere Gründe für die<br />
Beibehaltung der staatlichen Finanzierung der Bildung<br />
als Bedingung für die Gewährleistung des Rechts auf Bildung<br />
bzw. für den kostenlosen Schulbesuch.<br />
• Die Kosten des Bildungswesens können nur zum kleinen<br />
Teil mit privaten Spenden <strong>und</strong> Stiftungen aufgebracht<br />
werden, deswegen sei eine staatliche Finanzierung<br />
der Bildung weiterhin sinnvoll.<br />
• Auch eine andere, geschichtliche Überlegung führt zu<br />
dieser Konsequenz: Früher zogen Eltern ihre Kinder<br />
groß, wurden dann aber im Alter von ihnen versorgt.<br />
Heute entfällt diese Gegenleistung. Die Kosten der Erziehung<br />
bleiben also privat, während ihr Nutzen – die Arbeitsleistung<br />
<strong>und</strong> die Rentenzahlungen der späteren Erwachsenen<br />
– sozialisiert wird. Das Erziehungsgeld als<br />
Gegenstück zur Rente wurde nicht realisiert. Auch von<br />
daher wäre es falsch, die Eltern zusätzlich noch mit<br />
Schulgeld zu belasten.<br />
Leider wurde laut Behrens bei der staatlichen Bildungsfinanzierung<br />
das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Der<br />
Staat will nicht nur zahlen, sondern auch bestimmen,<br />
was mit seinem Geld geschieht. Angesichts weithin fehlender<br />
Alternativen machen sich die meisten Eltern auch<br />
keine Gedanken über gute <strong>und</strong> schlechte Bildung. Erst<br />
der Bildungsgutschein schärfe das Bewusstsein für die<br />
Bildungsqualität.<br />
Im Kindergartenbereich wird schon jetzt die Einführung<br />
des Bildungsgutscheins diskutiert. Hintergr<strong>und</strong> ist ein<br />
B<strong>und</strong>esgesetz, das den Kommunen seit Jahren vorschreibt,<br />
für alle 3-6-jährigen Kinder einen Halbtags-<br />
Kindergartenplatz bereitzustellen. Wegen des Geburtenrückgangs<br />
drohen jetzt Schließungen von Kindergärten.<br />
Proteste der Eltern könnten vermieden werden, wenn sie<br />
selbst den Kindergarten wählen könnten. In Hamburg ist<br />
der Bildungsgutschein in Form eines Kita-Gutscheins<br />
schon realisiert. Mit ihm können auch pädagogisch<br />
sinnvolle Differenzierungen nach Öffnungszeiten bis hin<br />
zu Ganztages-Kindergärten durchgesetzt werden.<br />
Im Schulbereich ist die Diskussion noch nicht so weit.<br />
Privatschulen bekommen aufgr<strong>und</strong> zu niedriger Angabe<br />
der Kosten pro Schüler an staatlichen Schulen weniger<br />
Zuschüsse <strong>und</strong> würden so benachteiligt. Vom Frankfurter<br />
Institut für internationale pädagogische Forschung<br />
werden die wirklichen Zahlen veröffentlicht; siehe auch<br />
Fragen der Freiheit Hefte 205 <strong>und</strong> 229.<br />
Welche praktischen Konsequenzen hätte der Bildungsgutschein<br />
für die einzelnen Schulen? Die Schule erwartet<br />
vom Schüler, dass er sich voll einbringt <strong>und</strong> nicht nur<br />
physisch anwesend ist, während die Eltern mit dem Bildungsgutschein<br />
im Rücken großen Einfluss darauf hätten,<br />
dass die Schule ihren Erwartungen entspricht. So<br />
könnte sich eine viel intensivere Zusammenarbeit von<br />
Schülern, Eltern <strong>und</strong> Lehrern entwickeln, während der<br />
Einfluss der Kultusbürokratie weitgehend ausgeschaltet<br />
wird. Der neue Geist der Zusammenarbeit <strong>und</strong> der pädagogischen<br />
Freiheit würde den Lernprozess wesentlich<br />
produktiver <strong>und</strong> lebendiger machen, als er heute ist.<br />
Eckhard Behrens: Der Bildungsgutschein.<br />
Von der Idee zur Verwirklichung.<br />
Nach diesem Überblick gab der Referent einen Überblick<br />
über die Realisierungschancen des Bildungsgutscheins.<br />
Universitäts- <strong>und</strong> Studienreform. Die Einheit von Forschung<br />
<strong>und</strong> Lehre an den Universitäten ist für Behrens<br />
auch in Zukunft sinnvoll. Viele Einrichtungen einer Uni<br />
(Bibliotheken, Forschungsreinrichtungen, Rechenzentren<br />
etc.) können dadurch doppelt genutzt werden,<br />
außerdem ist die Fragestellung des Forschers auch für<br />
Studenten anregend, es wird ihm nicht nur totes Wissen<br />
vorgesetzt. Allerdings führt die heutige Organisation der<br />
Uni zu einer Vernachlässigung der Lehre, denn für die<br />
wissenschaftliche Karriere <strong>und</strong> das Ansehen der Professoren<br />
ist allein die Forschung wichtig. So suchten sie<br />
sich möglichst vor ihren Lehrveranstaltungen zu drükken,<br />
die ihnen von der Verwaltung aufgezwungen werden.<br />
Der Referent brachte das abschreckende Beispiel<br />
eines "Professor Holiday", der nur eine meeresbiologische<br />
Lehrveranstaltung pro Jahr auf einer Mittelmeerinsel<br />
abhielt. Während heute die Qualität des Studienangebots<br />
für das Einkommen der Uni keine Rolle spielt, wird<br />
sie nach der Einführung von Bildungsgutscheinen ent-<br />
23<br />
evolution • Nr.13 November 2002
Veranstaltungsbericht<br />
SffO-Tagung<br />
24<br />
Sokrates steht für die<br />
Neugierde, für das fragende<br />
Element, welches<br />
entscheidend ist:<br />
Die Schüler sollen<br />
nicht mit Wissen zugeschüttet<br />
werden.<br />
scheidend: je mehr Studenten, desto mehr Geld. Die<br />
Universitätsleitung wird auch den Professoren genau auf<br />
die Finger sehen, ob sie einen didaktisch qualifizierten<br />
Unterricht <strong>und</strong> die volle St<strong>und</strong>enzahl bringen. Die sonstigen<br />
Drittmitteleinnahmen für die Forschung bleiben von<br />
diesem System unangetastet.<br />
Schulen: Kommunen können weiter Schulträger bleiben,<br />
sie bekommen dann die Einnahmen der Bildungsgutscheine,<br />
sollten die Erlöse aber der jeweiligen Schule<br />
überlassen. Der Zwang zu besserer Unterrichtsqualität<br />
werde zu mehr Selbständigkeit des Lehrerkollegiums<br />
<strong>und</strong> zu kleineren Schulen führen, denn nur so könnten<br />
sie sich optimal den regionalen Gegebenheiten, den<br />
Interessen von Eltern, Schülern <strong>und</strong> Wirtschaftsbetrieben,<br />
anpassen.<br />
Fritz Andres: Sokrates <strong>und</strong> das deutsche<br />
Bildungswesen<br />
Zur Darstellung gr<strong>und</strong>sätzlicher Bildungsprobleme<br />
stellte der Referent die<br />
drei griechischen Philosophen Sokrates,<br />
Platon <strong>und</strong> Aristoteles vor, die zusammen<br />
als Einheit ähnlich der des Bildungssystems<br />
verstanden werden könnten.<br />
Sokrates steht für die Neugierde, die<br />
Bereitschaft, alles in Frage zu stellen, er<br />
verkörpert die Ethik <strong>und</strong> das Wollen.<br />
Platon war bekannt für seine Betonung<br />
des Dialogs, er steht für die Kunst <strong>und</strong><br />
für das Können. Aristoteles verkörpert<br />
dagegen das Wissen <strong>und</strong> die Wissenschaft.<br />
Andres, der ebenfalls dem Vorstand des<br />
Seminars für freiheitliche Ordnung angehört,<br />
hält die Dreiheit <strong>und</strong> Ganzheit von<br />
Frage, Dialog <strong>und</strong> Antwort für zentral für die Bildung.<br />
Heute dagegen wird das Wissen überbetont, wie schon<br />
das Wort von der "Wissensgesellschaft" verrät. Doch<br />
Wissen ohne Wollen <strong>und</strong> Können bleibt wertlos. Mit dieser<br />
Argumentation wandte sich Andres vor allem gegen<br />
zentrale Leistungs- <strong>und</strong> Prüfungsstandards, die der individuellen<br />
Lern- <strong>und</strong> Persönlichkeitsentwicklung überhaupt<br />
nicht gerecht werde. Entscheidend ist die Neugierde,<br />
das Fragen des Schülers. Beides soll nicht mit fertigem<br />
Wissen zugeschüttet werden. Nur begeisterte Lehrer<br />
können in den Schülern die Liebe zur Sache wecken.<br />
Diese setzen keine zentralverwalteten <strong>und</strong> verbürokratisierten,<br />
sondern nur autonome Bildungseinrichtungen<br />
voraus, die auch das persönliche <strong>und</strong> soziale Umfeld<br />
einbeziehen.<br />
Eckhard Behrens: Der Bildungsgutschein<br />
als Impuls für Autonomie <strong>und</strong><br />
Wettbewerb<br />
Am Beispiel der Universitäten machte der Referent deutlich,<br />
dass der Bildungs-Wettbewerb ganz neue Lernprozesse<br />
bei Studenten <strong>und</strong> Universitäten in Gang setzen<br />
wird. So könnten die Unis versucht sein, mit Nebenleistungen<br />
wie attraktiven Sportstätten oder luxuriösen Mensen<br />
Studenten zu ködern. Die Studenten würden aber<br />
mit der Zeit lernen, dass letztlich das Kernangebot wichtiger<br />
sei.<br />
Heutzutage kümmern sich nur wenige Fakultäten um<br />
eine Analyse der Erwartungen <strong>und</strong> Fähigkeiten von Erstsemestern<br />
als Gr<strong>und</strong>lage für effektives Lernen in den<br />
Unis, weil diese für die Karriere von Professoren <strong>und</strong> als<br />
Einnahmefaktor der Unis praktisch keine Rolle spielt.<br />
Gemeinsame Einschätzung der politischen<br />
Verwirklichungsmöglichkeiten<br />
Bis jetzt enthält das B<strong>und</strong>eswahlprogramm der FDP den<br />
Bildungsgutschein für Kindergärten <strong>und</strong> Hochschulen,<br />
die Grünen hatten ihn für die Schulen im Entwurf ihres<br />
Gr<strong>und</strong>satzprogramms, strichen ihn jedoch auf dem<br />
B<strong>und</strong>esparteitag. In der Diskussion wurden vor allem<br />
die Widerstände sichtbar gemacht, die einer Verwirklichung<br />
der Bildungsgutscheine entgegenstehen. So gilt<br />
vor allem den Anhängern der Sozialdemokratie der Staat<br />
immer noch als Garant, um Schlimmeres zu verhüten.<br />
Wegen fehlender Alternativen sähen sie nicht, dass der<br />
Staat die Ursache der gegenwärtigen Bildungsmisere sei.<br />
Positiv wurde die <strong>Praxis</strong>tauglichkeit dieser Bildungsreform<br />
bewertet. Jede Schule könne mit den Veränderungen<br />
dort beginnen, wo sie zurzeit stehe. Die Schule <strong>und</strong><br />
das Lehrerkollegium würden nicht mehr von Reformen<br />
überrollt, die sich irgendwelche Minister ausdenken,<br />
sondern sie können selbst entscheiden, was <strong>und</strong> wie sie<br />
verändern wollen. Die Differenzierungen im Schulwesen<br />
zögen auch eine differenzierte Ausbildung nach sich, so<br />
könnte z. B. die Waldorf-Pädagogik als eigener Studiengang<br />
angeboten werden.<br />
Das Seminar für freiheitliche Ordnung unterstützt die<br />
weitere Verbreitung der Bildungsgutschein-Idee mit Referenten,<br />
Schriften <strong>und</strong> Flugblättern. Informationen bei:<br />
SffO, Badstr. 35, D-73087 Bad Boll, Tel.: 07164-3573,<br />
Internet: www.sffo.de<br />
evolution • Nr.13 November 2002
LeserInnen haben das Wort<br />
Bezeichnung "Natürliche"<br />
Wirtschaftsordnung stört<br />
(...) Zum Titel r-evolution möchte ich<br />
nur sagen, dass das der Evolution vorangestellte<br />
r beim Leser etwas im Unterbewusstsein<br />
hinterlässt, was der Zuneigung<br />
zu dieser Schrift nicht unbedingt förderlich<br />
ist. Die Menschen sind im Gr<strong>und</strong>e<br />
doch viel konservativer als man meint.<br />
Nicht jedem wird bewusst, dass ein Verfolgen<br />
einer Evolution, innerlich im Individuum<br />
eine Revolution notwendig<br />
macht, eine innere Beweglichkeit zu vielfältiger<br />
innerer Wendung aus Einsicht in<br />
die notwendige Entwicklung.<br />
Ein Anderes, was mich von Anfang an gestört<br />
hat, ist die Bezeichnung "Natürliche"<br />
Wirtschaftsordnung. Das Wirtschaften<br />
ist hervorgegangen aus dem menschlichen<br />
Denken, Fühlen <strong>und</strong> Wollen <strong>und</strong><br />
ist aus diesen heraus veranlagt, zu einem<br />
sozialen Kunstwerk zu werden.<br />
In einer natürlichen Gegebenheit, dem<br />
Baum, Stein, dem menschlichen Organismus<br />
für sich, ist aber der Gedanke<br />
vollkommen enthalten. Wo diese Gegebenheit<br />
die ihr gemäßen Bedingungen<br />
findet, wird sie existieren können, wo<br />
nicht, geht sie zu Gr<strong>und</strong>e. Nicht so bei<br />
der künstlich-künstlerisch durch den<br />
Menschen selbst hervorgebrachten Gegebenheit<br />
der Wirtschaft. Dieses Produkt<br />
muss durch den Menschen <strong>und</strong> seine<br />
Evolution immer wieder erneuert, neu<br />
gestaltet <strong>und</strong> angepasst werden. Sie ist<br />
niemals Natur <strong>und</strong> darf nicht dem Natürlichen<br />
angepasst werden, denn dies wäre<br />
nur Erstarrung in der Form. Sondern sie<br />
muss so lebendig sein, dass sie den aus<br />
dem menschlichen Geist stammenden -<br />
im Sozialen harmonisierten - Bedürfnissen<br />
aller Menschen gerecht wird.<br />
Der Inhalt der r-evolution hat überhaupt<br />
nichts Natürliches. Mit was sie sich auch<br />
befasst, es ist alles künstlich von Menschen<br />
gemacht, das Geld, die Börse, das<br />
Bodenrecht usw.<br />
Also: INTERNATIONALE VEREINIGUNG FÜR<br />
WIRTSCHAFTSORDNUNG, RECHTSORD-<br />
NUNG, SOZIALORDNUNG - INWO könnte<br />
somit bleiben.<br />
Diese schöne Zeitschrift sollte eine Zukunft<br />
haben, vielleicht liegt diese in<br />
einer Erweiterung <strong>und</strong> einem Zusammenklingen<br />
der Themen.<br />
Heinrich Imfeld, CH-Zürich<br />
Gutes tun<br />
Betr.: "Dem neuen Denken zum Durchbruch<br />
verhelfen" von V. Svitak (r-evolution<br />
Nr. 11/Sept. 2002)<br />
(...) Ich habe die Einleitung zum "Neuen<br />
Denken" in Nr. 11 gelesen – so kann das<br />
nicht stehen bleiben. "Tue Gutes, weil es<br />
letztlich wieder auf Dich zurückkommt".<br />
Das ist kein neues Denken!! Es ist dringend<br />
nötig, "Gutes" zu tun, ohne gleich<br />
zu bedenken, wie sich das in Heller <strong>und</strong><br />
Pfennig lohnt.<br />
Dr. Oskar Peter, D-Bingen<br />
Wirtschaftswachstumszwang<br />
wegen technischem Fortschritt?<br />
Der Artikel "Ungute Erinnerung an die<br />
90er Jahre" von Matthias Frieden (Berner<br />
Zeitung vom 30.9.2002) bewog mich zu<br />
diesem Leserbrief:<br />
Im ersten Artikel Ihrer neuen Serie zur<br />
schweizer Wirtschaft steht die Behauptung,<br />
wegen des technischen Fortschrittes<br />
gehe es uns jedes Jahr schlechter, wenn<br />
die Wirtschaft nicht wachse. Dann würden<br />
immer weniger beschäftigt, um<br />
gleichviel zu produzieren. Wer kauft aber<br />
die Güter, welche in gleicher Menge von<br />
weniger Erwerbstätigen produziert werden?<br />
Weiter heißt es, die Steigerung der<br />
Arbeitsproduktivität sorge für höhere<br />
Einkommen. Und diese seien wiederum<br />
die Gr<strong>und</strong>lage für mehr Konsum. Kann<br />
demnach bei höherer Arbeitsproduktivität<br />
nicht die Lebensarbeitszeit reduziert<br />
werden, <strong>und</strong> zwar ohne Lohneinbuße?<br />
So blieben alle beschäftigt bei gleicher<br />
Kaufkraft. Wo bleibt der Zwang zum<br />
Wirtschaftswachstum?<br />
Die Ursache des exponentiellen (prozentualen!)<br />
Wirtschaftswachstumszwangs<br />
liegt zur Hauptsache im Zins- <strong>und</strong> Zinseszins<br />
begründet. Wer einen Kredit<br />
gegen Zinsen (netto <strong>und</strong> real) aufnimmt,<br />
muss letztendlich mehr zurückzahlen, als<br />
er je an Geld erhalten hat. Wie sollen<br />
aber alle Kreditnehmer in einer Volkswirtschaft<br />
(bzw. weltweit) nach X Jahren<br />
insgesamt mehr zurückzahlen, als sie erhalten<br />
haben, wollen sie nach diesen X<br />
Jahren nicht ärmer sein als vorher? Da<br />
bleibt nur eins: sie müssen entsprechend<br />
der Zinsen mehr verdienen, d.h. produzieren<br />
<strong>und</strong> verkaufen. Aber ohne Wirtschaftswachstum<br />
bleibt der zu verteilende<br />
Kuchen gleich. Dann können alle Teilnehmer<br />
des Güterautausches im Schnitt<br />
nicht mehr einnehmen als ausgeben. Also<br />
werden im Schnitt die, welche Zinsen<br />
zahlen, auf Dauer ärmer als vor der Kreditaufnahme.<br />
Dass in einer solchen Situation<br />
kaum Investitionen getätigt werden,<br />
dürfte wohl einleuchten. Bleiben<br />
aber die Investitionen aus, verringert<br />
sich die Nachfrage, die Wirtschaft<br />
schrumpft – <strong>und</strong> je höher die Differenz<br />
zwischen Zinsen <strong>und</strong> Wirtschaftswachstum<br />
desto ausgeprägter.<br />
Daraus kann die Notwendigkeit abgeleitet<br />
werden, Rahmenbedingungen zu<br />
schaffen, welche den raschen Rückfluss<br />
der Ersparnisse in die Realwirtschaft (!)<br />
sicherstellen – unabhängig vom Zinssatz.<br />
So werden sich die Zinsen dem Wachstum<br />
angleichen <strong>und</strong> nicht umgekehrt. Damit<br />
ließen sich charakteristische Merkmale<br />
des jetzigen Wirtschaftssystems wie<br />
Wachstumszwang, Arbeitslosigkeit, Inflation,<br />
Deflation <strong>und</strong> wachsende Schuldenberge<br />
der öffentlichen Hand überwinden.<br />
Claude-A. Perrochet, CH-Stettlen<br />
25<br />
evolution • Nr.13 November 2002
Agenda<br />
Termine <strong>und</strong> Veranstaltungen<br />
26<br />
Termine Schweiz<br />
TALENT-Treff Zürich<br />
Jeden 2. Tag im Monat, 19.00-22.00 Uhr<br />
im Kraftwerk 1, Dachterrasse Haus B1, 4.<br />
Stock,<br />
Hardturmstr. 261, Haltestelle Bernoullihäuser<br />
(Tram 4)<br />
INWO-Treff Zürich<br />
(vormals INWO-Gesprächsr<strong>und</strong>e)<br />
Jeden 3. Donnerstag im Monat, 19.00 Uhr<br />
im Rest. Clipper, Lagerstr. 1 (5 Gehminuten<br />
vom HB, nach der Sihlpost)<br />
Nächstes Treffen am 21.11. zum Thema<br />
"Wirtschaftswachstum"<br />
TALENT-Treff Basel<br />
Jeden letzten Dienstag im Monat, 18.30 Uhr<br />
im Baizli, Bärenfelserstr. 36, 4000 Basel<br />
INWO Regionalgruppe Bern<br />
Treffen von Mitgliedern <strong>und</strong> Interessierten<br />
Jeweils mittwochs von 14.00-16.00 Uhr<br />
im Rest.-Café Vatter, Bärenplatz 2 (ca. 3<br />
Min. vom Bhf.)<br />
Nächstes Treffen: 20.11.<br />
Mahnwachen am Paradeplatz Zürich<br />
<strong>und</strong> gleichzeitig vor der Heiliggeist-Kirche<br />
in Bern<br />
Schluss mit Besatzung <strong>und</strong> Krieg<br />
in Israel <strong>und</strong> Palästina. Wir wollen<br />
Frieden.<br />
Jeden zweiten Freitag im Monat, 12.30-<br />
13.00 Uhr<br />
(Zürich: Paradeplatz, Seite Zeughauskeller/Grieder)<br />
Nächstes Datum: 13.12.<br />
Veranstaltungen im Boldernhaus<br />
Zürich<br />
Voltastr. 27, 8044 Zürich<br />
"Der Lockruf des Geldes. Ethik in<br />
Finanz <strong>und</strong> Wirtschaft - Gespräche<br />
am Donnerstagabend zu Geld <strong>und</strong><br />
ethischen Geldanlagen"<br />
Leitung: Dr. Daniel Schmid Holz <strong>und</strong> Pfr.<br />
Dr. Christoph Weber<br />
Nächste Daten:<br />
"Finanzkrisen: Ursachen, Prävention,<br />
Therapie", mit Prof. Dr. Christine Hirszowicz,<br />
Professorin der Betriebswirtschaftslehre<br />
mit Schwerpunkt Bankpolitik am Institut<br />
für Schweizerisches Bankwesen der<br />
Uni Zürich<br />
Do, 21. November 2002<br />
"Der Kirchenfonds – theologisch-ethische<br />
Spitzenkriterien für Anlagen", mit Pfr.<br />
Prof. Dr. Christoph Stückelberger, Zentralsekretär<br />
Brot für alle<br />
Do, 05. Dezember 2002<br />
Auskunft:<br />
Martina Müller, Tel.: 01 921 71 21<br />
Programm siehe:<br />
www.boldern.ch/pdf/villaethik.pdf<br />
Veranstaltungen in der Paulus-<br />
Akademie Zürich<br />
Carl-Spitteler-Str. 38, 8053 Zürich, Tel.: 01<br />
381 40 00<br />
Die Vereinbarkeit von Familie <strong>und</strong><br />
Beruf fördern!<br />
Leitung Dr. Max Keller, PAZ<br />
Fr-Sa, 22.-23. November 2002<br />
Termine Deutschland<br />
Föderalismus – Fehlentwicklungen<br />
<strong>und</strong> Reformbedarf<br />
Sa-So, 16.-17. November 2002<br />
Seminar für freiheitliche Ordnung e.V.<br />
Badstr. 35, 73087 Bad Boll<br />
Tel.: 07164-3573, E-Mail: info@sffo.de,<br />
Internet: www.sffo.de<br />
Geld <strong>und</strong> Umwelt<br />
Fr, 22. November 2002<br />
Nachmittagsvortrag von Helmut Creutz<br />
Umwelt-Akademie e.V. München<br />
Auskunft:<br />
Tel.: 08153-4751<br />
Das Ende der Zinswirtschaft -<br />
Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Perspektiven<br />
einer zukunftsweisenden Wirtschaftsordnung<br />
Fr-So, 6.-8. Dezember 2002<br />
in der Silvio-Gesell-Tagungsstätte, Wuppertal<br />
Einsteigerseminar über Ideen <strong>und</strong> Perspektiven<br />
der Geld- <strong>und</strong> Bodenreform<br />
Vorträge am Samstag ab 9.30 Uhr:<br />
- Klaus Popp "Zur Geschichte der Freiwirtschaft"<br />
- Helmut Creutz "Ökonomie ohne Kollaps"<br />
Beitrag für 2 Übernachtungen (Vollpension)<br />
zwischen 77 <strong>und</strong> 85 Euro.<br />
Anmeldung <strong>und</strong> weitere Informationen:<br />
klaus.popp@debitel.net, Tel.: 0211-304105<br />
"Gibt es Hoffnung auf eine gerechte<br />
Weltordnung?"<br />
Fr, 13. Dezember 2002, 19.00 Uhr<br />
Strukturen <strong>und</strong> Entwicklungen des internat.<br />
Systems <strong>und</strong> Ansätze für eine Neugestaltung<br />
im 21. Jahrh<strong>und</strong>ert mit der Perspektive:<br />
Demokratische Weltföderation.<br />
Veranstaltung des Equilibrismus e.V. in der<br />
Seidl-Villa, Nicolaiplatz 1b, 80802 München<br />
Referent: Andreas Bummel<br />
Eintritt: 5 Euro<br />
Energie - Umwelt - Gesellschaft<br />
Aktuelle Probleme aus wissenschaftlicher<br />
Sicht in einer Ringvorlesung an der Freien<br />
Universität Berlin<br />
Jeweils mittwochs 18.15-20.00 Uhr<br />
im Chemiegebäude, Takustr. 6, Hörsaal<br />
Die destruktiven Gesetzmäßigkeiten<br />
des Zinssystems <strong>und</strong> Wege zu<br />
seiner Überwindung<br />
Di, 19. November 2002<br />
Prof. Dr. Bernd Senf. Fachhochschule für<br />
Wirtschaft, Berlin, Moderation: Thomas<br />
Betz<br />
(ausnahmsweise Dienstag)<br />
Wege aus einer kranken Gesellschaft<br />
– Sozialpsychologische<br />
Überlegungen im Anschluss an<br />
Erich Fromm<br />
Mi, 27. November 2002<br />
Prof. Dr. Johannes Heinrichs. Humboldt-<br />
Universität Berlin, Moderation: Thomas<br />
Betz<br />
Geld, Macht <strong>und</strong> die menschliche<br />
Psyche<br />
Mi, 04. Dezember 2002<br />
Priv.-Doz. Dr.med. Dr.phil. Gerhard Danzer,<br />
psychosomatische Medizin, Charit6, HU<br />
Berlin, Moderation: Michael Stitzel<br />
Kapitalismus am Ende?<br />
Mi, 11. Dezember 2002<br />
Prof. Dr. Klaus Peter Kisker, Wirtschaftswissenschaft,<br />
FU Berlin, Moderation: Thomas<br />
Betz<br />
Globalisierung - Ende der Demokratie?<br />
Wahrscheinliche Grenzen<br />
der Globalisierung<br />
Mi, 18. Dezember 2002<br />
Dr. Hermann Scheer, MdB, Moderation:<br />
Helmut Tributsch<br />
Auskunft: Dipl.-Kfm. Thomas Betz, Tel.:<br />
030-611 5555 oder 0163-611 5555<br />
evolution • Nr.13 November 2002
Buch-Besprechungen<br />
Michel Chossudovsky / Alfred Racek<br />
Michel Chossudovsky: Global<br />
Brutal – Der entfesselte<br />
Welthandel, die Armut, der<br />
Krieg. Zweitausendeins,<br />
Frankfurt 2002. 478 S.<br />
12,75 H<br />
Nicht sein Titel eines Wirtschaftsprofessors<br />
qualifiziert den Autor,<br />
sondern seine Jahrzehnte währende<br />
Tätigkeit auf beinahe allen<br />
Kontinenten. So lehrte er zur Zeit<br />
des Sturzes von Präsident Allende<br />
durch General Pinochet<br />
(1973) gerade in Chile, beim<br />
Amtsantritt von Präsident Fujimori<br />
(1990) war er gerade nach<br />
Peru zurückgekehrt. Überall beobachtete<br />
er den Einfluss <strong>und</strong><br />
die Macht des Internationalen<br />
Währungsfonds (IWF) <strong>und</strong> der<br />
Weltbank, deren Fäden an der<br />
Wall Street zusammenlaufen.<br />
Auch in Afrika <strong>und</strong> Asien stellte<br />
Chossudovsky fest, dass statt der<br />
versprochenen Segnungen der<br />
"freie Markt" eine "Globalisierung<br />
der Armut" bringt, indem<br />
skrupellose Diktatoren <strong>und</strong> rücksichtslose<br />
Diktate des IWF<br />
("Strukturanpassung") ihre<br />
Interessen auf dem Rücken der<br />
Menschen <strong>und</strong> auf Kosten der<br />
Umwelt durchsetzen.Aber er<br />
konstatiert auch eine Tendenz<br />
zur Absenkung des Lebensstandards<br />
breiter Bevölkerungskreise<br />
in Europa <strong>und</strong> den USA. Hier<br />
zwar nicht unter dem Druck des<br />
IWF, sondern bedingt durch die<br />
hohen Staatsverschuldungen, die<br />
die Sozialpolitik aus der Hand<br />
der Regierungen in die Hände<br />
der Finanzeliten verlagert haben.<br />
Chossudovsky beschreibt die<br />
dramatische Kapitalakkumulation<br />
in den Händen weniger <strong>und</strong><br />
mit allen Mitteln – auch <strong>und</strong><br />
konsequenterweise durch Krieg.<br />
Was auch er nicht sieht, ist der<br />
Antreiber Zins, der die Akkumulation<br />
erzwingt. Geradezu minutiös<br />
geht er alle Krisenherde der<br />
letzten Jahrzehnte durch <strong>und</strong><br />
zeigt die Verflechtungen geopolitischer<br />
mit wirtschaftlichen Interessen<br />
auf: Von Ruanda <strong>und</strong><br />
Äthiopien über Indien, Bangladesch<br />
<strong>und</strong> Vietnam nach Brasilien,<br />
Peru <strong>und</strong> Bolivien – es geht<br />
um politischen Einfluss, um Rohstoffe,<br />
um Kontrolle der Währungen.<br />
IWF <strong>und</strong> CIA arbeiten eng<br />
zusammen – auch bei der Destabilisierung<br />
von Staaten wie auf<br />
dem Balkan <strong>und</strong> in der ehemaligen<br />
Sowjetunion. In der Neuauflage<br />
ergänzt Chossudovsky seine<br />
Analyse um die Hintergründe der<br />
Terrorattacken des 11. September<br />
01 <strong>und</strong> die verborgenen<br />
Ziele des amerikanischen Krieges.<br />
Nach seiner Meinung stellt<br />
die angebliche "Kampagne<br />
gegen den internationalen Terrorismus"<br />
einen Eroberungskrieg<br />
dar <strong>und</strong> "erfüllt den Tatbestand<br />
dessen, was bei den Nürnberger<br />
Prozessen als schwerstes Verbrechen<br />
galt: Verschwörung gegen<br />
den Weltfrieden". Und er kündigt<br />
das nächste große Ziel des<br />
globalen Finanzkapitals an: Die<br />
Deregulierung des chinesischen<br />
Kreditwesens, die nach Chinas<br />
Aufnahme in die WTO "zu einer<br />
tödlichen Welle von Bankrotten"<br />
<strong>und</strong> zu einer "Destabilisierung<br />
der Landeswährung" führen<br />
wird. Damit sind "massive Arbeitslosigkeit<br />
<strong>und</strong> soziale Unruhen<br />
vorprogrammiert". Damit<br />
der Dollar hoch leben kann,<br />
müssen ganze Staaten zu Boden<br />
gehen. Chossudovsky (lehrt derzeit<br />
in Ottawa) schreibt nicht nur<br />
über die Folgen der Globalisierung,<br />
er handelt auch: In Seattle<br />
<strong>und</strong> Genua war er einer der "intellektuellen<br />
Aktivisten".<br />
Volker Freystedt<br />
Alfred Racek: Befreiungsphilosophie<br />
des Geldes. Thaur,<br />
Thaur, 268 Seiten, 21,- H<br />
Dem anspruchsvollen <strong>und</strong> ungewöhnlichen<br />
Titel im Zusammenhang<br />
mit Geld folgt ein ebensolcher<br />
Inhalt. Eine enorme Faktendichte,<br />
ein Schreibstil, der<br />
manchmal einem fantasiereichen,<br />
glasklaren Sturzbach ähnelt,<br />
allerdings auch ziemlich mit<br />
Begriffen bestückt, die ein gutes<br />
Lexikon voraussetzen für Leserinnen<br />
<strong>und</strong> Leser, die auf diesem<br />
Gebiet nicht gerade an der Uni<br />
examiniert wurden.<br />
Die Thematik des Buches ist ausgezeichnet<br />
recherchiert, berücksichtigt<br />
einen logisch geschlossenen<br />
Ablauf, dem man gut folgen<br />
kann. Das Verzeichnis verwende<br />
ter Literatur liest sich wie ein sozioökonomisches<br />
"Who is<br />
who?", in dem kaum jemand<br />
fehlt, der zum Thema etwas beizutragen<br />
hat. Mit einem Wort,<br />
wer dieses Buch gelesen hat,<br />
dem kann man sicherlich nicht<br />
so leicht irgendwelche Phrasen<br />
aus der Welt moderner, schillernder<br />
Geldlandschaft andrehen. In<br />
diesem Buch wird die alte Formel<br />
1 + 1 = 2 als einfache Realgr<strong>und</strong>lage<br />
zukünftiger Geldtechniken<br />
auf neuer <strong>und</strong> höherer<br />
Ebene lebendig. Wer dieses Buch<br />
gelesen <strong>und</strong> verstanden hat,<br />
wird sicherlich imstande sein,<br />
wie ein Katalysator sogenannte<br />
neue gesellschaftspolitische Angebote<br />
in seine Gr<strong>und</strong>bestandteile<br />
zu zerlegen <strong>und</strong> sich ein reales<br />
Bild von solchen Angeboten<br />
zu machen. Andererseits, wenn<br />
politische aktive Gruppierungen<br />
merken, dass es sehr wache Bürgerinnen<br />
<strong>und</strong> Bürger gibt, die<br />
sich mit leeren Phrasen nicht abspeisen<br />
lassen, wird sich auch<br />
die Qualität ihrer politischen Arbeit<br />
erheblich verbessern <strong>und</strong><br />
das wird allen zugute kommen.<br />
Also eine Investition, die sich sicher<br />
lohnt.<br />
J.M.<br />
evolution • Nr.13 November 2002
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❑ weiteres Informationsmaterial über Ziele <strong>und</strong> Arbeit der INWO, da mich der Verein interessiert.<br />
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dann im Rahmen meiner Vereinsmitgliedschaft.<br />
r-evolution - Alternativen zum Kapitalismus<br />
2. Jahrgang, Nummer 9/2002<br />
Redaktion<br />
INWO Schweiz<br />
Redaktion r-evolution<br />
Sabine Bruppacher, Dr. Hans-Peter Studer<br />
Postfach<br />
CH-5001 Aarau<br />
E-Mail: s.bruppacher@bluewin.ch<br />
INWO Deutschland<br />
Redaktion r-evolution<br />
Beate Bockting (V.i.S.d.P.)<br />
Schanzenweg 86<br />
42111 Wuppertal<br />
E-Mail: bockting@t-online.de<br />
Abo Deutschland: albheim@web.de<br />
INWO Österreich<br />
Redaktion r-evolution<br />
Gerhard Margreiter<br />
Staudingergasse 11<br />
1200 Wien<br />
E-Mail: gerhard.margreiter@EUnet.at<br />
Abo Österreich: frat-hifa-inwo@netway.at<br />
Namentlich gekennzeichnete Beiträge<br />
geben nicht unbedingt die Meinung der<br />
Redaktion wieder.<br />
_________________________________________________________________<br />
Datum, Unterschrift<br />
Diese Bestellung kann ich innerhalb von 10 Tagen nach Bestelldatum widerrufen. Falls ich r-evolution nach Ablauf des Bezugjahres<br />
nicht mehr lesen möchte, genügt eine schriftliche Benachrichtigung an die INWO Schweiz spätestens 3 Monate<br />
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❑ ein r-evolution-Jahres-Abo (10 Hefte pro Kalenderjahr) ab der nächsten Ausgabe zum Preis von Euro 25.- frei Haus. Bei<br />
Abo-Bestellungen, die nicht zu Beginn des Jahres erfolgen, zahle ich ab dem Bestelldatum Euro 2,50 pro Ausgabe bis<br />
Ende des Kalenderjahres.<br />
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Redaktionsschluss<br />
ist jeweils der 10. des Vormonats<br />
Für unverlangte Manuskripte etc. wird<br />
keine Haftung übernommen.<br />
Auflage<br />
3.000 Exemplare<br />
Erscheinungsweise<br />
10 Ausgaben pro Jahr<br />
Layout<br />
Umbach Grafik & Mediendesign, Münster<br />
Druck u. Versand<br />
Joh. Burlage, Münster<br />
Bezug<br />
Die r-evolution ist im Jahresabonnement<br />
zu beziehen bei:<br />
INWO Schweiz<br />
INWO Österreich (Euro 25.-)<br />
INWO Deutschland (Euro 25.-)<br />
Die r-evolution ist gleichzeitig Mitgliederzeitschrift<br />
der INWO Schweiz <strong>und</strong><br />
INWO Deutschland.<br />
Herausgeberin<br />
INWO International<br />
Sektion Deutschland<br />
INWO e.V.<br />
Max-Bock-Str. 55<br />
60320 Frankfurt/M.<br />
ISSN 1660-1653<br />
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Weil es für alle einfacher ist <strong>und</strong> Bankgebühren spart, erteile ich der INWO hiermit eine Einzugsermächtigung, die ich<br />
jederzeit widerrufen kann.<br />
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Bank<br />
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Kto.nr.<br />
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Datum, Unterschrift Bitte unbedingt hier unterschreiben BLZ<br />
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Bitte mit 70<br />
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Telefon<br />
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E-Mail<br />
INWO Schweiz<br />
r-evolution<br />
Postfach<br />
5001 Aarau<br />
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Straße, Hausnummer<br />
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Zum Weihnachtsfest,<br />
das ist doch klar,<br />
schenk ich die Lektüre<br />
fürs kommende Jahr.<br />
Ein Abo für die r-evolution -<br />
keine/r sagt: Das hab ich schon.<br />
Im Gegenteil, man ist ganz froh<br />
Das Thema interessiert mich so!<br />
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INWO Deutschland<br />
Versand<br />
Sambach 180<br />
96178 Pommersfelden
zu guter Letzt<br />
zu guter Letzt<br />
PVST, Deutsche Post AG, Entgelt bezahlt, D 56949<br />
Was wäre, wenn Gott Geld hätte?<br />
Ich frage mich oft<br />
was wäre<br />
wenn Gott<br />
Geld hätte<br />
Würde er es<br />
unter dem Apfelbaum<br />
im Garten begraben<br />
oder es zur Bank tragen<br />
<strong>und</strong> für sich arbeiten lassen<br />
<strong>und</strong> sich zur Ruhe setzen<br />
weil jetzt gesorgt ist<br />
für seine Zukunft<br />
:<br />
oder würde er<br />
nur das Notwendige ausgeben für sich<br />
<strong>und</strong> den Rest teilen mit den Armen<br />
oder mit Menschenrechtsbewegungen<br />
oder mit den Kräften der Reform,<br />
um so mitzutragen an dem großen Ringen<br />
um Gerechtigkeit <strong>und</strong> Frieden?<br />
Doch Gott hat ja<br />
gar kein Geld:<br />
Er gab es dir<br />
<strong>und</strong> mir!<br />
Was tun wir damit?<br />
Lasset uns also Fre<strong>und</strong>e machen mit dem ungerechten<br />
Mammon!<br />
Elvira Romero de Arcaute<br />
aus: Günter Banzhaf/Angelika Schmidt-Biesalski<br />
(Hrsg.) Geld regiert die Welt.<br />
Ein Lese- <strong>und</strong> Arbeitsbuch Peter Hammer Verlag, Wuppertal<br />
1985. S. 131.