Theorie und Praxis Theorie und Praxis - Inwo
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Bunte <strong>Praxis</strong><br />
Bethel-Geld<br />
14<br />
Das "Bethel-Geld" - Eine diakonische<br />
Einrichtung mit eigener Währung*<br />
1908 führte die Anstaltsleitung<br />
Warengutscheine<br />
ein, durch<br />
deren Benutzung die<br />
MitarbeiterInnen am<br />
Gewinn der Geschäfte<br />
in Bethel beteiligt<br />
wurden.<br />
In Ostwestfalen gab es in diesem Jahr eine doppelte Währungsumstellung: Am 1. März löste<br />
der Bethel-Euro die Bethel-Mark ab. 110.000 neue Bethel-Euro-Scheine im Wert von fast 1<br />
Million Euro zeugen vom Optimismus der Verantwortlichen, der über 90 Jahre alten Tradition<br />
durch eine Ausweitung der umlaufenden Geldmenge neuen Schwung geben zu können.<br />
Dem alternativen Geld fehlt zwar die Umlaufsicherung, dennoch stärkt es die lokale Infrastruktur.<br />
Ein Beitrag von Bärbel Bitter.<br />
Die v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel sind Europas<br />
größte diakonische Einrichtung. Auf der ganzen<br />
Welt kennen Menschen den Namen Bethel. Sie wissen,<br />
dass Menschen mit Behinderungen <strong>und</strong> solche in besonderen<br />
sozialen Schwierigkeiten hier zahlreiche Hilfeangebote<br />
finden. Einen großen Bekanntheitsgrad haben<br />
aber auch einzelne Einrichtungen wie die Briefmarkenstelle,<br />
die Brockensammlung <strong>und</strong> das so genannte Bethel-Geld:<br />
Gerade diese Betheler Besonderheit ruft<br />
immer wieder großes Erstaunen hervor. Wieso hat eine<br />
Einrichtung wie Bethel das Recht, eine eigene Währung<br />
zu haben, warum wurde Bethel-Geld eingeführt, so oder<br />
ähnlich lauten die Fragen, die immer wieder gestellt<br />
werden.<br />
Bethel hat natürlich genauso wenig ein Recht, eine eigene<br />
Währung herauszugeben wie andere Institutionen<br />
auch. Genau genommen handelt es sich bei dem so genannten<br />
Bethel-Geld auch nicht um Geld, sondern um<br />
Warengutscheine, die die Mitarbeiter <strong>und</strong> Bewohner der<br />
v. Bodelschwinghschen Anstalten gegen Deutsche Mark<br />
eintauschen können.<br />
Die Einführung der Warengutscheine geht auf das Jahr<br />
1908 zurück. Die Vorgeschichte reicht allerdings bis in<br />
die 1880er Jahre. Als Friedrich<br />
v. Bodelschwingh<br />
1872 die Leitung der 1867<br />
eröffneten "Anstalt für Epileptische"<br />
übernahm, kam<br />
es zu einer Änderung der<br />
Konzeption. Bodelschwingh<br />
wollte statt einer Anstalt, die<br />
nach damaligem Verständnis<br />
aus einem großen Gebäude<br />
mit einigen Nebengebäuden<br />
bestand, eine Kolonie mit vielen kleinen Häusern aufbauen.<br />
In diesen Häusern wollte er die Bewohner getrennt<br />
nach Geschlecht, Alter, Krankheitsgrad, Lebensstellung<br />
<strong>und</strong> Beruf unterbringen.<br />
Die Leitung der Häuser sollte von Hauseltern übernommen<br />
werden, denen zur Haushaltsführung ein bestimmter<br />
Etat zur Verfügung stand. Sie sollten weitgehend<br />
selbstständig agieren können, d.h. es war ihnen<br />
selbst überlassen, wie sie die Dinge des täglichen Bedarfs<br />
besorgten. Konkret bedeutete diese Regelung, dass<br />
die gleichen Gebrauchsgüter oder Dienstleistungen in<br />
verschiedenen Geschäften oder Betrieben zu unterschiedlichen<br />
Preisen erworben wurden. Daran änderte<br />
auch die Tatsache nichts, dass man in Bethel zur Beschäftigung<br />
der behinderten Bewohner eine Reihe von<br />
Betrieben gegründet hatte <strong>und</strong> in der Lage war, viele<br />
Gegenstände selbst zu produzieren oder handwerkliche<br />
Dienstleistungen selber zu erledigen. Da es damals keine<br />
kostendeckenden Pflegegelder gab, sollten die Gewinne<br />
der Betheler Handwerksbetriebe auch dazu benutzt werden,<br />
die Lücke zwischen eingehenden Pflegegeldern <strong>und</strong><br />
tatsächlichen Kosten schließen zu helfen. Dazu musste<br />
der Umsatz <strong>und</strong> damit die Gewinnmöglichkeiten der Betriebe<br />
erhöht werden. Deshalb sollten auch die eigenen<br />
Leute zu K<strong>und</strong>en der eigenen Betriebe gemacht werden.<br />
Auf diese Weise floss wenig Geld nach außen ab, <strong>und</strong> die<br />
Arbeitsplätze für die behinderten Bewohner waren gesichert.<br />
Trotz der vielen Vorteile dieses Planes für die Gesamtanstalten<br />
zogen es etliche Hausleitungen weiterhin<br />
vor, außerhalb zu kaufen.<br />
Schwierige Überzeugungsarbeit<br />
Dieses Verfahren erwies sich mit der Zeit als zu teuer.<br />
Deshalb kam die Anstaltsleitung auf die Idee, ein eigenes<br />
"Konsumgeschäft" zu gründen. Dort sollten vorwiegend<br />
eigene Produkte angeboten werden. Darüber hinaus<br />
wollte man die zusätzlich benötigten Dinge in größeren<br />
Mengen <strong>und</strong> damit auch zu günstigeren Konditionen einkaufen<br />
<strong>und</strong> an die Haushaltungen weitergeben.<br />
Dieses Vorhaben wurde auch in die Tat umgesetzt.<br />
Allerdings hatte Bodelschwingh Schwierigkeiten, die einzelnen<br />
Hauseltern von den Vorteilen zu überzeugen.<br />
Davon zeugen etliche R<strong>und</strong>briefe an die Betheler "Hausmütter<br />
<strong>und</strong> Hausväter". So schrieb Bodelschwingh 1884<br />
beispielsweise: Wenn jeder Einzelne bei jedem kleinen<br />
Makel anfängt wieder woanders zu kaufen, so wird dadurch<br />
das Ganze geschädigt <strong>und</strong> ich muss ausdrücklich<br />
bemerken, dass hierin eine Missachtung der vom Vorstand<br />
gegebenen Vorschriften gef<strong>und</strong>en werden muss<br />
<strong>und</strong> eine Ungerechtigkeit gegen unser ganzes Werk.<br />
Weil Bodelschwingh feststellen musste, dass Vorhaltungen<br />
wenig halfen, ergriff er andere Maßnahmen, um<br />
die Mitarbeiter vom Einkauf in den eigenen Geschäften<br />
zu überzeugen. Bodelschwingh hatte schon während seiner<br />
Zeit als Pfarrer in Dellwig, wo er gleichzeitig als Mitherausgeber<br />
eines Sonntagsblattes tätig war, in Artikeln<br />
immer wieder über den Aufbau von genossenschaftlicher<br />
Selbsthilfe durch Rohstoff- <strong>und</strong> Konsumvereine<br />
berichtet. So z.B. über den Spar- <strong>und</strong> Konsumverein der<br />
Fabrikgenossenschaft der Firma Turck in Lüdenscheid.<br />
Den Mitgliedern dieser Genossenschaft wurde nicht nur<br />
die billige Beschaffung der Güter des täglichen Bedarfs<br />
evolution • Nr.13 November 2002