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Theorie und Praxis Theorie und Praxis - Inwo

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Bunte <strong>Praxis</strong><br />

Bethel-Geld<br />

16<br />

Nach der Währungsreform<br />

brachte die<br />

Bethel-Leitung erst<br />

1955 wieder Gutscheine<br />

heraus, auf<br />

ausdrücklichen<br />

Wunsch der MitarbeiterInnen.<br />

Bethel wehrte sich natürlich gegen diese Sichtweise <strong>und</strong><br />

fand Unterstützung beim Reichsminister der Finanzen,<br />

der der Anstalt bescheinigte, dass das so genannte Bethel-Geld<br />

schon wegen des begrenzten Nutzerkreises<br />

nicht als Notgeld anzusehen sei. So konnte das "Bethel-<br />

Geld" auch weiterhin erhalten werden.<br />

Ende des Bethel-Geldes<br />

Das Ende des "Bethel-Geldes" kam nach Inkrafttreten<br />

der Währungsreform im Jahre 1948. Da die bis dahin<br />

existierenden Gutscheine den Aufdruck "Waren für ...<br />

Mark in Reichswährung" trugen, verloren sie natürlich<br />

mit Einführung der DM ihre Gültigkeit. Von Seiten der<br />

Anstaltsleitung dachte man nicht an eine Neuauflage,<br />

weil auch die ursprüngliche Bedeutung des Bethel-Geldes<br />

verloren gegangen war. Mit dem Entstehen der<br />

B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland erhielten die Anstalten<br />

kostendeckende Pflegegelder. Dadurch entfiel die Notwendigkeit,<br />

die Pflegekosten durch die Gewinne der Betriebe<br />

zu senken. Hinzu<br />

kam, dass die Betriebe nicht<br />

mehr so viele behinderte<br />

Menschen beschäftigten.<br />

Neuentwicklungen auf dem<br />

Gebiet der Epilepsie-Medikamente<br />

hatten dazu geführt,<br />

dass sich die Zusammensetzung<br />

der betreuten<br />

Personen veränderte.<br />

Konkret hieß dies, dass viele<br />

Menschen, für die bisher<br />

nur ein Leben in der Anstalt<br />

möglich war, nun ein Leben<br />

außerhalb führen konnten.<br />

Die neu nach Bethel kommenden<br />

Bewohner waren dagegen schwerer behindert.<br />

Eine Arbeit in einem Handwerksbetrieb wäre für sie eine<br />

Überforderung gewesen.<br />

Die Anstaltsleitung hatte bei ihrem Plan, die Warengutscheine<br />

auslaufen zu lassen, die Rechnung allerdings<br />

ohne die Mitarbeiter gemacht. Diese hatten 1951 auf<br />

einer Mitarbeiterversammlung vehement die Wiedereinführung<br />

gefordert. Dabei war der Wunsch beim Kauf in<br />

Anstaltsgeschäften wieder in den Genuss der früheren<br />

Rabatte zu kommen, ausschlaggebend. Da sich die Anstalt<br />

diese Rabatte zuerst nicht leisten konnte, wurde der<br />

Wunsch abschlägig beschieden. Erst als sich die Lage<br />

Mitte der 50er Jahre finanziell wieder mehr stabilisiert<br />

hatte, kamen erneut Warengutscheine auf den Markt, für<br />

die beim Umtausch wiederum 5% mehr gegeben wurden.<br />

Ein Gr<strong>und</strong> für die Wiedereinführung war ein zunehmender<br />

Mitarbeitermangel, der auch wegen der niedrigen<br />

Löhne innerhalb der Anstalt nicht zu beseitigen war.<br />

Durch die Gewährung der Rabatte wollte die Anstaltsleitung<br />

den Mitarbeitern einen kleinen finanziellen Ausgleich<br />

gewähren.<br />

Bei der Wiedereinführung wurde auch eine Stellungnahme<br />

der Bank Deutscher Länder, der Vorläuferin der<br />

B<strong>und</strong>esbank, eingeholt. Diese sah sich allerdings nicht<br />

zu einer abschließenden Stellungnahme in der Lage. Da<br />

§ 7 des Emissionsgesetzes, dies entspricht dem heutigen<br />

Paragrafen 35 B<strong>und</strong>esbankgesetz, die Ausgabe von Geldzeichen,<br />

die geeignet sind, im Zahlungsverkehr an Stelle<br />

der gesetzlich zugelassenen Münzen oder Banknoten<br />

verwendet zu werden, unter Strafe stellt, musste die<br />

Frage geklärt werden, inwieweit dies auf das so genannte<br />

Bethel-Geld zutrifft. Obwohl damals keine ausdrückliche<br />

Genehmigung unter Ausschluss einer Strafandrohung<br />

erteilt wurde, brachte die Anstaltsleitung Anfang<br />

1955 neue Scheine heraus.<br />

Zum Schutz der "Pfleglinge"<br />

Im Schriftverkehr mit der Bank Deutscher Länder<br />

taucht auch zum ersten Male das Argument auf, die Warengutscheine<br />

dienten dem Schutz der behinderten Bewohner<br />

Bethels. Da sich die "Pfleglinge", wie die Bewohner<br />

damals genannt wurden, frei auf dem Gelände<br />

bewegen <strong>und</strong> damit auch normale Geschäfte aufsuchen<br />

konnten, konnten sie laut Anstaltsleitung mit ihrem Taschengeld<br />

"allerlei Unfug anrichten". Bekämen sie ihr<br />

Taschengeld dagegen in "Bethel-Geld" ausgezahlt, wären<br />

sie gezwungen, in den Betheler Geschäften zu kaufen,<br />

<strong>und</strong> dort weiß man sie richtig zu behandeln. Da dieses<br />

Argument vorher überhaupt keine Rolle spielte, scheint<br />

es ein Versuch gewesen zu sein, der Bank Deutscher<br />

Länder eine positive Stellungnahme zum „Bethel-Geld"<br />

zu erleichtern.<br />

Mit der Frage, ob das so genannte Bethel-Geld gegen<br />

Paragraf 35 B<strong>und</strong>esbankgesetz verstößt, musste sich die<br />

B<strong>und</strong>esbank zuletzt im Jahre 1991 beschäftigen. In der<br />

Antwort auf eine Anfrage stellte die B<strong>und</strong>esbank fest,<br />

dass das "Bethel-Geld" als Warengutschein <strong>und</strong> nicht als<br />

Geldzeichen zu betrachten sei. Zu dieser Ansicht war die<br />

B<strong>und</strong>esbank gekommen, weil die Warengutscheine<br />

einen sehr eingegrenzten Verwertungsbereich haben.<br />

Die Bethel-Geld genannten Warengutscheine gibt es<br />

heute immer noch. Sie haben zwar keine ökonomische<br />

Bedeutung mehr, sind jedoch eine der liebenswerten Besonderheiten,<br />

die Bethel bei vielen Menschen bekannt<br />

<strong>und</strong> interessant macht. Deshalb wird überlegt, diese Gutscheine<br />

auch nach der Umstellung der Deutschen Mark<br />

auf den Euro beizubehalten <strong>und</strong> sie den neuen Bedingungen<br />

anzupassen.<br />

* Dieser Beitrag erschien erstmals im Minden-Ravensberger<br />

2000. Jahrbuch in Ostwestfalen. S. 113-118.<br />

evolution • Nr.13 November 2002

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