Küchenplaner Augen zu und durch (Vorschau)
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Impulse/Ansichten<br />
<strong>Augen</strong> <strong>zu</strong> <strong>und</strong> <strong>durch</strong><br />
„Stresstest“ heißt das Wort des<br />
Jahres 2011. Das meint <strong>zu</strong>mindest<br />
die Gesellschaft für deutsche Sprache<br />
(GfdS), die sich seit 40 Jahren<br />
auf diesem Gebiet wichtig macht.<br />
Was ein Wort des Jahres im Detail<br />
auszeichnet, bleibt nebulös; verliehen<br />
wird es aber nicht einfach so.<br />
Vor der Siegerkür müssen die Kandidaten<br />
<strong>durch</strong> ein pingeliges Auswahlverfahren.<br />
Mitmachen dürfen<br />
Wörter <strong>und</strong> Wendungen, die das<br />
politische, wirtschaftliche <strong>und</strong> gesellschaftliche<br />
Leben eines Jahres<br />
sprachlich in besonderer Weise begleitet<br />
haben.<br />
3000 Kandidaten hatten sich<br />
dem Casting gestellt; zehn von ihnen<br />
gelang der Sprung in die finale<br />
Mottoshow. „Merkozy“ <strong>und</strong><br />
„guttenbergen“ setzten auf den Promi-Faktor,<br />
„Fukushima“ auf fernöstlich<br />
geprägte Gut-dass-das-alles-so-weit-weg-ist-Exotik,<br />
<strong>und</strong> die<br />
„Killersprossen“ hofften auf den<br />
Scream-Effekt – Retro ist schließlich<br />
mal wieder modern. Ob es<br />
sich bei „Ab jetzt wird geliefert!“<br />
<strong>und</strong> „Wir sind 99 %“ eher um Versprechungen<br />
handelt oder um Drohungen,<br />
blieb unklar. Zu den Favoriten<br />
zählte auch der oder das<br />
Burnout. Entsprechend enttäuschend<br />
der abschließende 6. Platz<br />
für die Erschöpfung. Zwar sei das<br />
Wort <strong>und</strong> insbesondere die Krankheit<br />
schon seit Längerem verbreitet,<br />
erklärte die Jury, doch sei Burnout<br />
<strong>zu</strong>nehmend als Ausdruck der Probleme<br />
unserer heutigen schnelllebigen<br />
Zeit <strong>zu</strong> verstehen <strong>und</strong><br />
verbreite sich als Begriff derzeit gerade<strong>zu</strong><br />
inflationär.<br />
Was an Stresstest besser sein<br />
soll, weiß der Geier. Pardon: die<br />
Jury, die sich aus dem Hauptvorstand<br />
der Sprach-Gesellschaft sowie<br />
den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen<br />
<strong>und</strong> Mitarbeitern<br />
<strong>zu</strong>sammensetzt. Und Preisrichter,<br />
<strong>zu</strong>mal von der GfdS, wissen<br />
mit erklärenden Wörtern um<strong>zu</strong>gehen:<br />
Für die Auswahl der Wörter<br />
des Jahres entscheidend sei nämlich<br />
nicht die Häufigkeit eines Ausdrucks,<br />
sondern seine Signifikanz<br />
<strong>und</strong> Popularität. „Die Liste trifft<br />
den sprachlichen Nerv . . . <strong>und</strong> stellt<br />
auf ihre Weise einen sprachlichen<br />
Jahresrückblick dar.“ Als ein solcher<br />
Beitrag <strong>zu</strong>r Zeitgeschichte<br />
seien die ausgewählten Wörter mit<br />
keinerlei Wertung oder Empfehlung<br />
verb<strong>und</strong>en.<br />
„Mit keinerlei Wertung oder<br />
Empfehlung verb<strong>und</strong>en“. So, so. Da<br />
stellt sich die Frage: Warum das<br />
Ganze? Zumal die <strong>und</strong>urchsichtigen<br />
Auswahlkriterien der Nörgelei<br />
Tür <strong>und</strong> Tor öffnen. Was <strong>zu</strong>m<br />
Beispiel ist mit der Krise? Die fehlt<br />
in den Top Ten völlig. Zwar hatte<br />
es bereits 2008 die Finanzkrise<br />
auf den Sprachthron des Jahres geschafft,<br />
doch Krise ist viel zeitgemäßer.<br />
Frei von Schnörkeln, porentief<br />
rein <strong>und</strong> universell einsetzbar.<br />
Krise ist überall <strong>und</strong> vertraut geworden<br />
wie eine kleine Schwester.<br />
In der FDP ist sie chronisch daheim,<br />
in der Puten<strong>zu</strong>cht <strong>und</strong> im Ges<strong>und</strong>heitswesen<br />
ebenso. Der B<strong>und</strong>espräsident<br />
hatte sie <strong>zu</strong>m Jahreswechsel<br />
ganz schlimm, <strong>und</strong> die Ärzteschaft<br />
auf dem Land leidet seit Jahren. Der<br />
Euro sowieso, von Griechenland,<br />
Italien, Spanien <strong>und</strong> Irland fast <strong>zu</strong><br />
schweigen. Und der B<strong>und</strong>eshaushalt<br />
erst. Auch das Wetter war 2011<br />
selten, wie es sein sollte. Zu warm<br />
im April, <strong>zu</strong> kalt im Juli, <strong>zu</strong> trocken<br />
im November, <strong>zu</strong> nass im Dezember.<br />
Und überhaupt: Warum hat es<br />
an Heiligabend nicht überall geschneit?<br />
Gerade<strong>zu</strong> krisenhaft.<br />
Lediglich die Arbeitsmarktzahlen<br />
tanzen aus der Reihe: weniger<br />
als drei Millionen Männer <strong>und</strong><br />
Frauen sind derzeit ohne Erwerbsarbeit.<br />
Mit 6,4 Prozent liegt die<br />
Arbeitslosenquote so niedrig wie<br />
<strong>zu</strong>letzt vor 20 Jahren. Aus einer anderen<br />
Perspektive betrachtet: Über<br />
41 Millionen Menschen haben derzeit<br />
einen festen Arbeitsplatz - das<br />
sind so viele wie nie <strong>zu</strong>vor. Sollte<br />
die Arbeitsmarktstatistik der „Krise“<br />
bei der Wahl <strong>zu</strong>m Wort des Jahres<br />
2011 etwa die Tour vermasselt<br />
haben? Das wäre mal ein Skandal.<br />
Die am Wirtschaftsleben<br />
Beteiligten sind<br />
<strong>zu</strong>r Wachsamkeit gemahnt.<br />
Damit das mit<br />
den positiven Nachrichten<br />
vom Arbeitsmarkt<br />
nicht aus dem<br />
Ruder läuft, könnte<br />
<strong>zu</strong>m Beispiel in einer<br />
gemeinsamen Aktion<br />
der vielfach beklagte<br />
Fachkräftemangel<br />
in der Möbel- <strong>und</strong> Küchenbranche<br />
gepflegt<br />
werden. Betrachten Sie<br />
als Arbeitgeber Ihre<br />
Mitarbeiter weiterhin als Angestellte,<br />
deren körperlicher <strong>und</strong> geistiger<br />
Einsatz für Ihr Unternehmen<br />
mehr als fürstlich entlohnt wird<br />
<strong>und</strong> keinerlei sonderlichen Würdigung<br />
verdient – weder materiell<br />
noch zwischenmenschlich. Bügeln<br />
Sie fixe Ideen von Fort- <strong>und</strong> Weiterbildung<br />
konsequent ab, ebenso<br />
Wünsche nach flexiblen Arbeitszeiten<br />
oder gar nach Teilzeit. Maßnahmen<br />
<strong>zu</strong>r Erhaltung der Lebens<strong>und</strong><br />
Arbeitsenergie derer, die das<br />
Geld für Sie verdienen? Ignorieren<br />
Sie positive Beispiele aus anderen<br />
Branchen r<strong>und</strong> um die betriebliche<br />
Ges<strong>und</strong>heitsvorsorge, dann<br />
kann man Ihnen auch nichts. Ethik<br />
im Unternehmen? Pah, was für<br />
Weicheier. Nachhaltigkeit kommt,<br />
Nachhaltigkeit geht. <strong>Augen</strong> <strong>zu</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>durch</strong>: Fördern Sie starre Strukturen<br />
<strong>und</strong> verstehen Sie Kommunikation<br />
als Einbahnstraße, deren<br />
Ausgangspunkt geheime Chefsache<br />
bleiben muss. Dann wandern<br />
die guten Leute von ganz allein<br />
ab <strong>und</strong> die „Krise“ hätte 2012 eine<br />
echte Chance, <strong>zu</strong>m Wort des Jahres<br />
gekürt <strong>zu</strong> werden. Das muss doch<br />
hin<strong>zu</strong>kriegen sein, meint<br />
Dirk Biermann, Chefredakteur<br />
d.biermann@kuechenplanermagazin.de<br />
1/2/2012 KÜCHENPLANER 3