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Pressedokumentation kontrast 2002

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Kamera bleibt auch beim Freitod dabei<br />

„Single Show“ gewann den Bayreuther Filmpreis -<br />

Zynischer Voyeurismus der Medien<br />

BAYREUTH<br />

Eigentlich brauchte man jetzt erst einmal einen Schnaps. Aber schon beim Gedanken daran<br />

fällt einem gleich wieder der Underberg aus Flaschen trinkende Vater von Steffen ein. Man<br />

nimmt schnell Abstand von dem Gedanken und wartet lieber, bis sich das flaue Gefühl im<br />

Magen, das zumindest bei einigen Zuschauern nach dem Film „Single Show“ entstanden war,<br />

auf natürliche Weise wieder legt.<br />

„Single Show“ (der KURIER berichtete im Vorfeld) hat beim Festival <strong>kontrast</strong> in der Gunst der<br />

Zuschauer gesiegt und den Bayreuther Filmpreis gewonnen. Die Bayreuther Matthias Vogel,<br />

Gewinner des Bayreuther Filmpreises 2000, und Till Fischer führten Regie und verfassten das<br />

Drehbuch. Nacheinander werden in der Live-Show „Single-Show 2000“ die Jugendlichen<br />

Agnes (Saskia Enders), Claus (Rafael Rybandt) und Steffen (Christopher Weiß) vorgestellt, die<br />

über die Sendung, bei der sich Interessenten telefonisch melden können, einen festen Partner<br />

finden wollen. Oder wie es Steffen formuliert: „Die würd‘ ich nicht ficken, sondern in den<br />

Arm nehmen.“<br />

Kaputte Typen<br />

Alle drei - die schüchterne Agnes, der ach so selbstsichere Claus und der leicht debil wirkende<br />

Steffen - sind hinter ihrer doch halbwegs normalen Fassade kaputte Typen, und da wir<br />

uns in einer Live-Show befinden und der Zuschauer ja ein Recht auf Information hat, wird<br />

schonungslos aufgedeckt, dass Agnes an Bulimie leidet, Claus Aids hat und Steffen, der<br />

noch bis zum Alter von zwölf Jahren zu Papa ins Bett kam, am liebsten Sodomie-Computerfilmchen<br />

sieht. Analysiert werden die Singles von auch im wirklichen Leben echten und<br />

echt wirkenden Experten der Sparten Ernährung, Psychologie und Medienpsychologie, die<br />

vollkommen uninteressiert an den Personen den baldigen Tod der drei („Lange kann das nicht<br />

mehr so weitergehen“) vorhersagen.<br />

Massaker an der Schule<br />

Natürlich ist die Kamera und damit der Zuschauer auch beim jeweiligen Freitod dabei.<br />

Agnes ertränkt sich, Claus erhängt sich und Steffen richtet mit einem Gewehr in seiner<br />

Schule ein Massaker an. „Single Show“ schlägt einem auf den Magen, aber das soll er wohl<br />

auch. Gerade weil der Film nur ein ganz kleines Stück von der Realität entfernt ist, wirkt<br />

er so deprimierend. Die Filmemacher schauen hinter die Fassaden dreier Jugendlicher und<br />

entlarven den zynischen Voyeurismus der Medien, die sich hinter dem Aufklärungsbedürfnis<br />

des Zuschauers verstecken, der dieses durch sein Einschalten und seine Sensationsgier aber<br />

natürlich auch fördert.<br />

Ad absurdum wird der investigative Journalismus des Single-Show-Moderators Hans dadurch<br />

geführt, dass sein eigener Drogentod natürlich sofort von einem Fernsehmagazin gezeigt wird.<br />

Der Film des Duos Fischer/Vogel enthält herrlich zynisch-witzige Szenen. So laufen während<br />

Agnes Ertrinken in der Badewanne am unteren Bildschirmrand die Börsenkurse durch, ehe die<br />

lapidare Einblendung „Jetzt bitte nicht mehr anrufen“ erscheint. Oder die geniale Überleitung<br />

von Claus zu Steffen, dessen Familie ausgerechnet unter dem Baum picknickt, an dem sich<br />

Claus gerade erhängt hat.

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