Das Gymnasium in Rheinland-Pfalz 1-2011 - Philologenverband ...
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VORTRAG Gymnasialtag 2010<br />
stellungen e<strong>in</strong>es unmittelbaren praktischen<br />
Nutzens. Die alten Sprachen<br />
konnten zum Medium des Bildungsaufstiegs<br />
werden, weil sie voraussetzungslos<br />
erlernbar waren und weder<br />
e<strong>in</strong>e spezielle »soziale Herkunft«<br />
noch e<strong>in</strong>e spezifische Begabung, sondern<br />
nur e<strong>in</strong>e spezifische Lerndiszipl<strong>in</strong><br />
und Bildungsaspiration voraussetzten.<br />
Und darauf käme es mir als erstes an,<br />
wenn ich aufgefordert wäre, das Profil<br />
des <strong>Gymnasium</strong>s, auch des <strong>Gymnasium</strong>s<br />
der Zukunft, zu beschreiben. In<br />
erster L<strong>in</strong>ie gehört dazu die Forderung,<br />
dass das <strong>Gymnasium</strong> – wie die<br />
anderen Schularten auf ihre Weise<br />
und ihren Ansprüchen gemäß auch –<br />
bestimmte Arbeitshaltungen und e<strong>in</strong>en<br />
bestimmten Habitus e<strong>in</strong>üben<br />
muss. <strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> richtet sich an<br />
Schüler, die bestimmte Bildungsaspirationen<br />
und Bildungsmotivationen<br />
mitbr<strong>in</strong>gen – das ist die Voraussetzung,<br />
denn »motivieren« kann man<br />
Schüler nur <strong>in</strong> sehr begrenztem Umfang,<br />
während es allerd<strong>in</strong>gs, das sei<br />
als kritische Anmerkungen vor e<strong>in</strong>er<br />
Versammlung von motivierten Lehrkräften<br />
gesagt, sehr leicht ist, Schüler<br />
zu demotivieren.<br />
Auf dieser Grundlage der mitgebrachten<br />
Bildungsaspirationen und Bildungsmotivationen<br />
müssen die Schüler<br />
des <strong>Gymnasium</strong>s dazu befähigt<br />
werden, bestimmte Leistungen selbstständig<br />
zu erbr<strong>in</strong>gen und diszipl<strong>in</strong>ierte<br />
Arbeitshaltungen zu erlernen. Ich<br />
spreche hier also vor allem anderen<br />
von e<strong>in</strong>er Sozialisation, die das <strong>Gymnasium</strong><br />
erbr<strong>in</strong>gen muss – heute wahrsche<strong>in</strong>lich<br />
mehr denn je, weil es sich<br />
zum guten Teil um e<strong>in</strong>e »nachholende<br />
Sozialisation« handelt; e<strong>in</strong>e Sozialisation,<br />
die nachholt, was im Elternhaus<br />
oft und zunehmend mehr versäumt<br />
wurde und was <strong>in</strong> der Konsum- und<br />
Medienwelt der Jugendlichen e<strong>in</strong>e immer<br />
ger<strong>in</strong>gere Rolle spielt.<br />
E<strong>in</strong>e grundlegende<br />
Diszipl<strong>in</strong> ist die Voraussetzung<br />
für alle<br />
erfolgreichen und anspruchsvollen<br />
Lernprozesse<br />
– und um<br />
die soll es ja im <strong>Gymnasium</strong><br />
gehen. Nun<br />
ist »Diszipl<strong>in</strong>« – auch<br />
durch den Massenerfolg<br />
von Büchern,<br />
welche die Probleme<br />
nicht zu Ende denken<br />
– <strong>in</strong> der heutigen pädagogisch-politischen<br />
Diskussion zu e<strong>in</strong>em<br />
Schreckenswort geworden, sodass ich<br />
hierzu e<strong>in</strong>en erläuternden Satz sagen<br />
muss: Die »diszipl<strong>in</strong>ierten« Verhaltensweisen,<br />
die das Funktionieren der modernen<br />
Gesellschaft und auch der modernen<br />
Demokratie überhaupt ermöglichen,<br />
s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em vielhundertjährigen<br />
Prozess, den die Historiker den<br />
»Prozess der Zivilisation» oder »Sozialdiszipl<strong>in</strong>ierung»<br />
nennen, mühsam erworben,<br />
e<strong>in</strong>geübt und <strong>in</strong>ternalisiert<br />
worden, bevor sie dann als »Sekundärtugenden«<br />
geschmäht werden konnten<br />
– von Leuten übrigens, denen diese<br />
Sekundärtugenden ganz gut getan hätten.<br />
Aber, Hermann Lübbe hat immer<br />
wieder darauf h<strong>in</strong>gewiesen, diese »sekundären<br />
Tugenden« s<strong>in</strong>d nichts anderes<br />
als Verhaltensweisen, die <strong>in</strong> modernen<br />
Lebenszusammenhängen e<strong>in</strong>e<br />
»funktionale Bedeutung« haben und<br />
ohne die moderne Lebenszusammenhänge<br />
nicht funktionieren können. <strong>Das</strong><br />
gilt auch für die Schule: Fleiß und Ordnung,<br />
Diszipl<strong>in</strong> und Pünktlichkeit s<strong>in</strong>d<br />
die Voraussetzungen ihres Erfolgs als<br />
Institution; aber es s<strong>in</strong>d auch die Voraussetzungen<br />
für den <strong>in</strong>dividuellen<br />
Bildungserfolgs e<strong>in</strong>es jeden e<strong>in</strong>zelnen<br />
Schülers – und je anspruchsvoller die<br />
schulischen Anforderungen s<strong>in</strong>d, desto<br />
wichtiger werden diese Voraussetzungen.<br />
Diese Voraussetzungen e<strong>in</strong>zuüben<br />
und sich davon nichts abhandeln<br />
zu lassen, wäre also die erste, die<br />
pädagogische Anforderung, die ich an<br />
das <strong>Gymnasium</strong> der Zukunft stellen<br />
würde.<br />
Sodann stellt sich mir die Frage nach<br />
den didaktischen Verfahren und den<br />
Inhalten des gymnasialen Lernens.<br />
Diese Frage lässt sich am besten vom<br />
Abschluss her beantworten – von der<br />
Überlegung ausgehend, welches Ziel<br />
denn e<strong>in</strong> gymnasialer Bildungsgang,<br />
der nach acht oder neun Jahren beendet<br />
ist, erreicht haben soll. Früher<br />
ließ sich die Frage e<strong>in</strong>fach beantworten:<br />
Die Absolventen e<strong>in</strong>es <strong>Gymnasium</strong>s<br />
sollten »studierfähig« se<strong>in</strong>. Dieses<br />
Ziel ist längst stillschweigend preisgegeben<br />
worden; die Universitäten haben<br />
sich darauf e<strong>in</strong>gerichtet, dass sie<br />
Studienanfänger bekommen, die erst<br />
noch studierfähig gemacht werden<br />
müssen, und der gesamte »Bologna-<br />
Prozess« an den deutschen Hochschulen<br />
lässt sich überhaupt nur unter<br />
dieser Prämisse verstehen.<br />
Aber unabhängig von Kriterium der<br />
Studierfähigkeit wird man doch sagen<br />
können, dass der größte Teil der Gymnasialabsolventen<br />
zur Funktionselite<br />
der künftigen Gesellschaft gehören<br />
wird. Sie werden Schlüsselpositionen<br />
<strong>in</strong> der Gesellschaft besetzen, <strong>in</strong> der<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>