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Das Gymnasium in Rheinland-Pfalz 1-2011 - Philologenverband ...

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14<br />

VORTRAG Gymnasialtag 2010<br />

stellungen e<strong>in</strong>es unmittelbaren praktischen<br />

Nutzens. Die alten Sprachen<br />

konnten zum Medium des Bildungsaufstiegs<br />

werden, weil sie voraussetzungslos<br />

erlernbar waren und weder<br />

e<strong>in</strong>e spezielle »soziale Herkunft«<br />

noch e<strong>in</strong>e spezifische Begabung, sondern<br />

nur e<strong>in</strong>e spezifische Lerndiszipl<strong>in</strong><br />

und Bildungsaspiration voraussetzten.<br />

Und darauf käme es mir als erstes an,<br />

wenn ich aufgefordert wäre, das Profil<br />

des <strong>Gymnasium</strong>s, auch des <strong>Gymnasium</strong>s<br />

der Zukunft, zu beschreiben. In<br />

erster L<strong>in</strong>ie gehört dazu die Forderung,<br />

dass das <strong>Gymnasium</strong> – wie die<br />

anderen Schularten auf ihre Weise<br />

und ihren Ansprüchen gemäß auch –<br />

bestimmte Arbeitshaltungen und e<strong>in</strong>en<br />

bestimmten Habitus e<strong>in</strong>üben<br />

muss. <strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> richtet sich an<br />

Schüler, die bestimmte Bildungsaspirationen<br />

und Bildungsmotivationen<br />

mitbr<strong>in</strong>gen – das ist die Voraussetzung,<br />

denn »motivieren« kann man<br />

Schüler nur <strong>in</strong> sehr begrenztem Umfang,<br />

während es allerd<strong>in</strong>gs, das sei<br />

als kritische Anmerkungen vor e<strong>in</strong>er<br />

Versammlung von motivierten Lehrkräften<br />

gesagt, sehr leicht ist, Schüler<br />

zu demotivieren.<br />

Auf dieser Grundlage der mitgebrachten<br />

Bildungsaspirationen und Bildungsmotivationen<br />

müssen die Schüler<br />

des <strong>Gymnasium</strong>s dazu befähigt<br />

werden, bestimmte Leistungen selbstständig<br />

zu erbr<strong>in</strong>gen und diszipl<strong>in</strong>ierte<br />

Arbeitshaltungen zu erlernen. Ich<br />

spreche hier also vor allem anderen<br />

von e<strong>in</strong>er Sozialisation, die das <strong>Gymnasium</strong><br />

erbr<strong>in</strong>gen muss – heute wahrsche<strong>in</strong>lich<br />

mehr denn je, weil es sich<br />

zum guten Teil um e<strong>in</strong>e »nachholende<br />

Sozialisation« handelt; e<strong>in</strong>e Sozialisation,<br />

die nachholt, was im Elternhaus<br />

oft und zunehmend mehr versäumt<br />

wurde und was <strong>in</strong> der Konsum- und<br />

Medienwelt der Jugendlichen e<strong>in</strong>e immer<br />

ger<strong>in</strong>gere Rolle spielt.<br />

E<strong>in</strong>e grundlegende<br />

Diszipl<strong>in</strong> ist die Voraussetzung<br />

für alle<br />

erfolgreichen und anspruchsvollen<br />

Lernprozesse<br />

– und um<br />

die soll es ja im <strong>Gymnasium</strong><br />

gehen. Nun<br />

ist »Diszipl<strong>in</strong>« – auch<br />

durch den Massenerfolg<br />

von Büchern,<br />

welche die Probleme<br />

nicht zu Ende denken<br />

– <strong>in</strong> der heutigen pädagogisch-politischen<br />

Diskussion zu e<strong>in</strong>em<br />

Schreckenswort geworden, sodass ich<br />

hierzu e<strong>in</strong>en erläuternden Satz sagen<br />

muss: Die »diszipl<strong>in</strong>ierten« Verhaltensweisen,<br />

die das Funktionieren der modernen<br />

Gesellschaft und auch der modernen<br />

Demokratie überhaupt ermöglichen,<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em vielhundertjährigen<br />

Prozess, den die Historiker den<br />

»Prozess der Zivilisation» oder »Sozialdiszipl<strong>in</strong>ierung»<br />

nennen, mühsam erworben,<br />

e<strong>in</strong>geübt und <strong>in</strong>ternalisiert<br />

worden, bevor sie dann als »Sekundärtugenden«<br />

geschmäht werden konnten<br />

– von Leuten übrigens, denen diese<br />

Sekundärtugenden ganz gut getan hätten.<br />

Aber, Hermann Lübbe hat immer<br />

wieder darauf h<strong>in</strong>gewiesen, diese »sekundären<br />

Tugenden« s<strong>in</strong>d nichts anderes<br />

als Verhaltensweisen, die <strong>in</strong> modernen<br />

Lebenszusammenhängen e<strong>in</strong>e<br />

»funktionale Bedeutung« haben und<br />

ohne die moderne Lebenszusammenhänge<br />

nicht funktionieren können. <strong>Das</strong><br />

gilt auch für die Schule: Fleiß und Ordnung,<br />

Diszipl<strong>in</strong> und Pünktlichkeit s<strong>in</strong>d<br />

die Voraussetzungen ihres Erfolgs als<br />

Institution; aber es s<strong>in</strong>d auch die Voraussetzungen<br />

für den <strong>in</strong>dividuellen<br />

Bildungserfolgs e<strong>in</strong>es jeden e<strong>in</strong>zelnen<br />

Schülers – und je anspruchsvoller die<br />

schulischen Anforderungen s<strong>in</strong>d, desto<br />

wichtiger werden diese Voraussetzungen.<br />

Diese Voraussetzungen e<strong>in</strong>zuüben<br />

und sich davon nichts abhandeln<br />

zu lassen, wäre also die erste, die<br />

pädagogische Anforderung, die ich an<br />

das <strong>Gymnasium</strong> der Zukunft stellen<br />

würde.<br />

Sodann stellt sich mir die Frage nach<br />

den didaktischen Verfahren und den<br />

Inhalten des gymnasialen Lernens.<br />

Diese Frage lässt sich am besten vom<br />

Abschluss her beantworten – von der<br />

Überlegung ausgehend, welches Ziel<br />

denn e<strong>in</strong> gymnasialer Bildungsgang,<br />

der nach acht oder neun Jahren beendet<br />

ist, erreicht haben soll. Früher<br />

ließ sich die Frage e<strong>in</strong>fach beantworten:<br />

Die Absolventen e<strong>in</strong>es <strong>Gymnasium</strong>s<br />

sollten »studierfähig« se<strong>in</strong>. Dieses<br />

Ziel ist längst stillschweigend preisgegeben<br />

worden; die Universitäten haben<br />

sich darauf e<strong>in</strong>gerichtet, dass sie<br />

Studienanfänger bekommen, die erst<br />

noch studierfähig gemacht werden<br />

müssen, und der gesamte »Bologna-<br />

Prozess« an den deutschen Hochschulen<br />

lässt sich überhaupt nur unter<br />

dieser Prämisse verstehen.<br />

Aber unabhängig von Kriterium der<br />

Studierfähigkeit wird man doch sagen<br />

können, dass der größte Teil der Gymnasialabsolventen<br />

zur Funktionselite<br />

der künftigen Gesellschaft gehören<br />

wird. Sie werden Schlüsselpositionen<br />

<strong>in</strong> der Gesellschaft besetzen, <strong>in</strong> der<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>

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