Das Gymnasium in Rheinland-Pfalz 1-2011 - Philologenverband ...
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VORTRAG Gymnasialtag 2010<br />
bung PISA 2003 lagen etwa zehn Monate.<br />
In diesen zehn Monaten hatten<br />
noch ke<strong>in</strong>e bildungspolitischen Reformen<br />
gegriffen, der Unterricht war<br />
noch nicht kompetenzorientiert umgestellt,<br />
neue Schulbücher noch nicht<br />
geschrieben und man hört, dass so<br />
mancher Rahmenlehrplan (oder wie<br />
die <strong>in</strong> verschiedenen Ländern nun<br />
heißen) bis heute nicht fertig gestellt<br />
wurde.<br />
Es kann also angenommen werden,<br />
dass die Verbesserung der Ergebnisse<br />
der Gymnasien nicht alle<strong>in</strong> auf solche<br />
äußeren Maßnahmen der Umsteuerung<br />
zurückgeführt werden können,<br />
vielmehr zeigt diese schnelle Anpassung<br />
etwas anderes:<br />
Es zeigt, dass die Konkretisierung des<br />
Bildungsbegriffs durch das <strong>Gymnasium</strong><br />
vergleichsweise problemlos <strong>in</strong> der<br />
Lage ist, so etwas wie den Literacy-Begriff<br />
zu <strong>in</strong>tegrieren.<br />
Mit anderen Worten: Die Art, wie das<br />
<strong>Gymnasium</strong> Bildung repräsentiert, ist<br />
umfassend und anpassungsfähig genug,<br />
um den Literacy-Gedanken aufzunehmen<br />
und zu <strong>in</strong>tegrieren, womit<br />
das <strong>Gymnasium</strong> – wie oft <strong>in</strong> der Vergangenheit<br />
– gezeigt hat, dass es den<br />
Geist dessen, was mit Bildung gedacht<br />
ist, offenbar gut repräsentiert und daher<br />
mit e<strong>in</strong>em gewissen Recht auch<br />
Leit<strong>in</strong>stitution des Bildungswesens ist.<br />
Aber noch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er anderen H<strong>in</strong>sicht<br />
sche<strong>in</strong>t mir das <strong>Gymnasium</strong> mit e<strong>in</strong>igem<br />
Recht als Leit<strong>in</strong>stitution im Bildungsbereich<br />
zu gelten: Bildung, das<br />
ist heute Konsens, ist der entscheidende<br />
Faktor für den sozialen Aufstieg.<br />
Und die E<strong>in</strong>führung des Leistungspr<strong>in</strong>zips<br />
und nicht zuletzt der Schulnoten<br />
hatten genau dies zum Ziel: Bildungschancen<br />
nicht mehr vom Stand,<br />
von der Geburt, abhängig zu machen,<br />
sondern von der <strong>in</strong>tellektuellen Leistungsfähigkeit<br />
und Leistungswilligkeit<br />
des E<strong>in</strong>zelnen.<br />
<strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> verkörpert das Leistungspr<strong>in</strong>zip<br />
nun <strong>in</strong> besonderer Weise,<br />
weil es se<strong>in</strong>en Schüler<strong>in</strong>nen und<br />
Schülern e<strong>in</strong>erseits Höchstleistungen<br />
abverlangt, andererseits aber auch die<br />
Möglichkeit bietet, Höchstleistungen<br />
überhaupt zu zeigen und sich sozusagen<br />
e<strong>in</strong>en eigenen Weg des sozialen<br />
Aufstiegs zu eröffnen.<br />
Vor diesem H<strong>in</strong>tergrund lassen Sie<br />
mich das hier auch sagen – s<strong>in</strong>d öffentliche<br />
Äußerungen, unser Schulsystem<br />
verfolge den Zweck, drei Stände<br />
zu bilden oder zu verfestigen – ärgerlich<br />
und unverständlich.<br />
Was man wissen sollte, ist: Die Möglichkeit<br />
des sozialen Aufstiegs Fähiger<br />
und Williger ist für den Fortbestand<br />
e<strong>in</strong>er Gesellschaft, die sich immer<br />
weiter modernisiert, wesentlich. Und<br />
bei allem, was wir heute diskutieren,<br />
muss e<strong>in</strong>es doch anerkannt werden:<br />
<strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> war und ist die Schule<br />
des sozialen Aufstiegs.<br />
Wer es erfolgreich durchläuft, das<br />
hat nicht zuletzt die LIFE-Studie von<br />
Prof. Fend gezeigt, hat beste Zukunftschancen<br />
und das <strong>Gymnasium</strong><br />
hat es <strong>in</strong> der Vergangenheit wie ke<strong>in</strong>e<br />
andere Bildungs<strong>in</strong>stitution <strong>in</strong><br />
Deutschland geschafft, die Zahl derer,<br />
die es erfolgreich durchlaufen<br />
haben, zu erhöhen.<br />
Heute ergreifen – die Übergangsquote<br />
auf die Gymnasien zeigt das – mehr<br />
Menschen als je zuvor die Chancen<br />
auf Aufstieg durch Bildung. Und die<br />
wachsende Zahl derjenigen, die das<br />
<strong>Gymnasium</strong> erfolgreich durchlaufen,<br />
zeigt auch, dass es den Gymnasien gel<strong>in</strong>gt,<br />
diesen Aufstieg zu organisieren,<br />
wenngleich hier vor e<strong>in</strong>er Begeisterung<br />
der Zahlen zu warnen ist:<br />
Der wirkliche Mechanismus des sozialen<br />
Aufstiegs war und ist der Aufstieg<br />
durch Bildung, nicht aber der Aufstieg<br />
durch Abschluss.<br />
Wer glaubt, Aufstiegschancen zu vergrößern,<br />
<strong>in</strong>dem er dadurch mehr Abschlüsse<br />
vergibt, dass er das Bildungsniveau<br />
senkt, der irrt sich nicht<br />
nur, sondern der handelt fahrlässig:<br />
Auf diese Weise merken die Schüler<br />
nämlich immer später, dass es Zeit ist,<br />
etwas zu tun – und <strong>in</strong>zwischen nicht<br />
selten zu spät. Wer das Abitur, »so gerade<br />
eben«, ohne zu lernen, geschafft<br />
hat, wird im Studium entweder ganz<br />
schnell se<strong>in</strong>e Strategie ändern müssen<br />
oder ganz langsam vorwärts kommen<br />
oder abbrechen.<br />
Ne<strong>in</strong>, die Vergangenheit hat gezeigt:<br />
Der Aufstieg durch Bildung funktioniert<br />
– e<strong>in</strong> Aufstieg durch Abschluss<br />
wird aber nur den Ausstieg verzögern.<br />
Spätestens jetzt ist es dann also an<br />
der Zeit, uns der Frage zu widmen,<br />
was die Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s heute<br />
ist. Vieles ergibt sich aus dem, was ich<br />
bisher rückschauend gesagt habe, viele<br />
dieser Rollen erfüllt das <strong>Gymnasium</strong><br />
auch heute, aber gerade im Blick<br />
auf die aktuellen bildungspolitischen<br />
Diskussionen möchte ich e<strong>in</strong>en eher<br />
systemtheoretischen Punkt hervorhe-<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>