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Das Gymnasium in Rheinland-Pfalz 1-2011 - Philologenverband ...

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DAS 1/<strong>2011</strong><br />

GYMNASIUM<br />

I N R H E I N L A N D - P F A L Z<br />

Gymnasialtag des<br />

<strong>Philologenverband</strong>es<br />

Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> am<br />

29. November 2010<br />

Dokumentation<br />

ZEITSCHRIFT DES PHILOLOGENVERBANDES RHEINLAND-PFALZ


2<br />

INHALT Gymnasialtag 2010<br />

Zu diesem Heft<br />

Josef Zeimentz 3<br />

Positionsbestimmung<br />

Malte Blümke 4<br />

<strong>Das</strong> deutsche <strong>Gymnasium</strong> –<br />

Schule mit Zukunft?<br />

Prof. Dr. Peter J. Brenner 6<br />

E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> den Nachmittag<br />

Malte Blümke 16<br />

Leistungsfähigkeit und Chancengleichheit:<br />

Die Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s im<br />

rhe<strong>in</strong>land-pfälzischen Bildungssystem<br />

Bildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> Doris Ahnen 18<br />

Die Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s <strong>in</strong><br />

der Bildungsrepublik Deutschland<br />

Prof. Dr. David-Samuel Di Fuccia 26<br />

Podiumsdiskussion<br />

Zusammenfassung der Podiumsdiskussion<br />

mit den bildungspolitischen Sprecher<strong>in</strong>nen<br />

der Landtagsfraktionen und dem<br />

Vorsitzenden des <strong>Philologenverband</strong>es<br />

Josef Zeimentz 32<br />

Presseerklärung zum Gymnasialtag 42<br />

Programm des Gymnasialtages 43<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


Gymnasialtag 2010 ZU DIESEM HEFT 3<br />

Sehr geehrte Leser<strong>in</strong>nen und Leser,<br />

liebe Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen,<br />

Am Montag, den 29. November 2010, führte der <strong>Philologenverband</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />

erstmals e<strong>in</strong>en Gymnasialtag durch. Er stand unter dem Motto<br />

»Die Zukunft des <strong>Gymnasium</strong>s«. Mehr als 180 Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen aus<br />

dem ganzen Land und weitere Experten nahmen an dem Gymnasialtag teil.<br />

<strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> <strong>in</strong> Deutschland und <strong>in</strong>sbesondere das <strong>Gymnasium</strong> <strong>in</strong><br />

Josef Zeimentz<br />

Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> können als älteste und erfolgreichste aller Schulformen zu<br />

e<strong>in</strong>em Zukunftsmodell <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em modernen Bildungssystem werden.<br />

Die dramatischen Veränderungen <strong>in</strong> der Bildungslandschaft, wie sie sich<br />

seit e<strong>in</strong>igen Jahren abzeichnen, und den immer wieder befürchteten Niveauverlust<br />

am <strong>Gymnasium</strong> hatte der <strong>Philologenverband</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />

zum Anlass genommen, diese Fragen mit Bildungsexperten und Bildungspolitikern<br />

auf se<strong>in</strong>em Gymnasialtag im Bildungszentrum Erbacher Hof <strong>in</strong><br />

Ma<strong>in</strong>z zu untersuchen.<br />

Wir haben <strong>in</strong> diesem Heft im ersten Teil die Positionsbestimmung des Vorsitzenden<br />

des <strong>Philologenverband</strong>es vom Beg<strong>in</strong>n der Veranstaltung und die<br />

Vorträge der Referenten des Tages im Wortlaut abgedruckt. Im zweiten Teil<br />

f<strong>in</strong>den Sie e<strong>in</strong>e Zusammenfassung der ca. 90m<strong>in</strong>ütigen Podiumsdiskussion<br />

mit den Vertreter<strong>in</strong>nen der Landtagsparteien und dem Vorsitzenden des<br />

<strong>Philologenverband</strong>es, die am späteren Nachmittag den Abschluss des Gymnasialtages<br />

bildete.<br />

Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre.<br />

Josef Zeimentz<br />

Referent für Öffentlichkeitsarbeit<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


4<br />

POSITIONSBESTIMMUNG Gymnasialtag 2010<br />

Gymnasialtag<br />

»Die Zukunft des <strong>Gymnasium</strong>s«<br />

Positionsbestimmung<br />

Landesvorsitzender Malte Blümke<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n der Veranstaltung begrüßte der Landsvorsitzende des <strong>Philologenverband</strong>es<br />

Malte Blümke die mehr als 180 Gäste aus allen Gymnasien, Gesamtschulen,<br />

Studiensem<strong>in</strong>aren und Kollegs des Landes. Zur E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> das Thema des Tages<br />

gab er e<strong>in</strong>e Positionsbestimmung aus der Sicht des Gymnasiallehrerverbandes.<br />

<strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> der Zukunft<br />

muss e<strong>in</strong>e Schule bleiben, die<br />

den sozialen Aufstieg durch<br />

Leistung ermöglicht.<br />

Gegenwärtige Situation<br />

beh<strong>in</strong>dert die Leistungsfähigkeit<br />

des <strong>Gymnasium</strong>s<br />

Die Unterf<strong>in</strong>anzierung der Schulen,<br />

vor allem der Gymnasien, immer neue<br />

Strukturveränderungen, bildungspolitischer<br />

Aktionismus, e<strong>in</strong>e verfehlte Lehrerbildung<br />

im Zuge des Bolognaprozesses<br />

und gesellschaftspolitisch motivierte<br />

Infragestellungen des gegliederten<br />

Schulsystems lassen e<strong>in</strong>en rapiden<br />

Niveauverlust befürchten und beh<strong>in</strong>dern<br />

die Leistungsfähigkeit und Funktionsfähigkeit<br />

der Gymnasien.<br />

Orientierungsrahmen, Schulgesetz,<br />

Schulordnung, Inklusion, Agentur für<br />

Qualitätssicherung, Bildungsstandards,<br />

Rahmenlehrpläne, Stundentafeln,<br />

geme<strong>in</strong>same Orientierungsstufe,<br />

das neue Pädagogische Landes<strong>in</strong>stitut,<br />

das nach eigenen Aussagen ganz bewusst<br />

die Schularten nicht abbilden<br />

will, das neue Fach Naturwissenschaften<br />

(Nawi) ohne direkte Anb<strong>in</strong>dung an<br />

e<strong>in</strong> wissenschaftliches Fach, Schulbuchausleihe,<br />

Dienstrechtsreform, Vera<br />

8, Berufsorientierung, Projekt Erweiterte<br />

Selbstständigkeit von Schule<br />

(PES), u. v. m. s<strong>in</strong>d weitere meist wenig<br />

koord<strong>in</strong>ierte und schlecht vorbereitete<br />

Baustellen, die unsere Arbeit<br />

an den Schulen nicht oder nur wenig<br />

voran br<strong>in</strong>gen, sondern im Gegenteil<br />

für ständig neu h<strong>in</strong>zukommende Zusatzbelastungen<br />

sorgen.<br />

Diese dramatischen Veränderungen <strong>in</strong><br />

der Bildungslandschaft will der <strong>Philologenverband</strong><br />

Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> mit Bildungsexperten<br />

und Bildungspolitikern<br />

auf se<strong>in</strong>em Gymnasialtag untersuchen.<br />

Bildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> Doris Ahnen, die bildungspolitischen<br />

Sprecher<strong>in</strong>nen der<br />

Landtagsfraktionen des Landtages Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />

Ulla Brede-Hoffmann (SPD),<br />

Bett<strong>in</strong>a Dickes (CDU) und Nicole Morsblech<br />

(FDP) sowie Prof. Dr. Peter J. Brenner,<br />

München, und Prof. Dr. David-S. Di<br />

Fuccia, Deutscher <strong>Philologenverband</strong>,<br />

werden über die Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s<br />

sprechen und mit den Teilnehmer<strong>in</strong>nen<br />

und Teilnehmern diskutieren.<br />

Angesichts der beschriebenen<br />

Situation fordert der PhV:<br />

• Erhalt und Förderung e<strong>in</strong>es differenzierten<br />

Schulsystems<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


Gymnasialtag 2010 POSITIONSBESTIMMUNG 5<br />

• Beg<strong>in</strong>n der weiterführenden Schule<br />

und damit auch des <strong>Gymnasium</strong>s<br />

ab Klasse 5<br />

• e<strong>in</strong>e schulartbezogene Orientierungsstufe<br />

am <strong>Gymnasium</strong><br />

• die notwendige personelle und<br />

sächliche Ausstattung des <strong>Gymnasium</strong>s<br />

e<strong>in</strong>schließlich e<strong>in</strong>er vollen Unterrichtsversorgung<br />

mit für die<br />

Schulart ausgebildeten Lehrkräften<br />

• ke<strong>in</strong>e Benachteiligung des <strong>Gymnasium</strong>s<br />

gegenüber anderen Schularten<br />

etwa bei den Klassenmesszahlen<br />

und der Lehrerzuweisung<br />

• klare schulartbezogene Vorgaben<br />

bei Fächern, Lehrplänen und Stundentafeln<br />

• e<strong>in</strong> volles akademisches Fachstudium<br />

<strong>in</strong> zwei Fächern für das gymnasiale<br />

Lehramt; <strong>in</strong> Musik und Bildender<br />

Kunst genügt e<strong>in</strong> Fach.<br />

• Reduzierung der Praktika auf e<strong>in</strong><br />

s<strong>in</strong>nvolles und handhabbares Maß<br />

• Beibehaltung e<strong>in</strong>es m<strong>in</strong>destens achtzehnmonatigen<br />

Referendariats, geleitet<br />

von hauptamtlichen Fachleitern<br />

<strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong><br />

als Zukunftsmodell<br />

<strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> <strong>in</strong> Deutschland –<br />

und <strong>in</strong>sbesondere das <strong>Gymnasium</strong> <strong>in</strong><br />

Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> – kann als älteste und<br />

erfolgreichste aller Schulformen zu e<strong>in</strong>em<br />

Zukunftsmodell <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em modernen<br />

Bildungssystem werden.<br />

Im Jahre 2010 haben wir <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<br />

<strong>Pfalz</strong> 146 Gymnasien, darunter 24 private<br />

Gymnasien und vier Landesgymnasien,<br />

die von <strong>in</strong>sgesamt 138 652<br />

Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern besucht<br />

und von rund 11000 Lehrkräften unterrichtet<br />

werden. Sieben gymnasiale<br />

Studiensem<strong>in</strong>are mit zwei zusätzlichen<br />

Außenstellen bilden die Studienreferendar<strong>in</strong>nen<br />

und Studienreferendare<br />

bislang noch sehr erfolgreich<br />

aus, drei Kollegs vermitteln das Abitur<br />

auf dem zweiten Bildungsweg.<br />

Wir haben Hochbegabtengymnasien,<br />

Gymnasien mit den Schwerpunkten<br />

Sport-, Musik- und Kunstförderung. Im<br />

M<strong>in</strong>t-Bereich gehören zwölf rhe<strong>in</strong>landpfälzische<br />

Gymnasien zu den Exzellenz-Schulen<br />

<strong>in</strong> Deutschland und regelmäßig<br />

zu den Siegern im Siemens-<br />

Award-Wettbewerb, Spitzenplätze belegen<br />

Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler aus<br />

Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> bei den Vergleichsuntersuchungen<br />

<strong>in</strong> den Fremdsprachen<br />

und den zahlreichen Fremdsprachen-<br />

Wettbewerben.<br />

Die rhe<strong>in</strong>land-pfälzischen Gymnasien<br />

s<strong>in</strong>d bei den <strong>in</strong>ternationalen Vergleichsuntersuchungen<br />

stets vorne zu<br />

f<strong>in</strong>den. Bei PISA 2006 haben sie im<br />

bundesweiten Vergleich der Gymnasien<br />

im Lesen, den Naturwissenschaften<br />

und <strong>in</strong> Mathematik die Plätze 2, 3<br />

und 7 belegt.<br />

Wenn 32 Prozent von fast 139 000<br />

Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern <strong>in</strong> diesem<br />

Schuljahr Late<strong>in</strong> lernen, dann zeigt<br />

dies u.a., dass das <strong>Gymnasium</strong> sich<br />

se<strong>in</strong>en humanistischen Wurzeln verpflichtet<br />

fühlt und der philologischen<br />

Bildung und der Allgeme<strong>in</strong>bildung<br />

nach wie vor e<strong>in</strong>en hohen Stellenwert<br />

e<strong>in</strong>räumt.<br />

<strong>Gymnasium</strong> und<br />

Chancengerechtigkeit<br />

In ke<strong>in</strong>em anderen westdeutschen<br />

Bundesland ist der Zusammenhang<br />

zwischen der sozialen Herkunft und<br />

dem Besuch e<strong>in</strong>es <strong>Gymnasium</strong>s so ger<strong>in</strong>g,<br />

wie an den Gymnasien <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong>.<br />

Letztlich geht es um die<br />

Frage der Chancengleichheit. Selbstverständlich<br />

muss e<strong>in</strong> demokratisches<br />

Schulsystem e<strong>in</strong> möglichst hohes<br />

Maß an Chancengleichheit gewährleisten.<br />

Da es aber e<strong>in</strong>e absolute Chancengleichheit<br />

<strong>in</strong> der Realität niemals geben<br />

kann, ist es besser, von Chancengerechtigkeit<br />

zu sprechen. <strong>Das</strong> bedeutet,<br />

dass jeder das Recht hat, gemäß<br />

se<strong>in</strong>en Begabungen und Anstrengungen<br />

e<strong>in</strong>e bestmögliche Förderung zu<br />

erhalten und dass er dazu <strong>in</strong> die Lage<br />

versetzt wird, se<strong>in</strong>e Fähigkeiten, Fertigkeiten<br />

und Kenntnisse bestmöglich<br />

zu entwickeln und zu entfalten. Somit<br />

ist Bildung zuallererst die Persönlichkeitsentwicklung<br />

des Individuums.<br />

Bildung vergibt natürlich auch Lebenschancen.<br />

Dies darf jedoch nicht willkürlich,<br />

schon gar nicht nach ideologischen<br />

Pr<strong>in</strong>zipen erfolgen, sondern<br />

ausschließlich nach Leistungsaspekten.<br />

Bildungschancen dürfen auch<br />

nicht vom Geldbeutel abhängig se<strong>in</strong>.<br />

Aber genau dies wird geschehen,<br />

wenn man die E<strong>in</strong>heitsschule flächendeckend<br />

e<strong>in</strong>führt. Dann werden die<br />

Privatschulen, die schon heute e<strong>in</strong>en<br />

besonderen gesetzlichen Schutz genießen,<br />

zunehmen und schließlich gegen<br />

gutes Geld gute Bildung anbieten. Bildungsnahe<br />

Schichten werden Privatschulen<br />

<strong>in</strong> dem Maße bevorzugen, wie<br />

das staatliche Schulsystem versagt<br />

und ihren K<strong>in</strong>dern nicht die notwendige<br />

Anregung und Förderung bietet.<br />

Der <strong>Philologenverband</strong> will begabungsgerechte<br />

Schulen für alle K<strong>in</strong>der,<br />

wir wollen Aufstiegschancen für<br />

alle K<strong>in</strong>der entsprechend ihren Begabungen,<br />

und zwar <strong>in</strong> der Regel an<br />

staatlichen Schulen, die jedem zugänglich<br />

und damit immer auch soziale<br />

E<strong>in</strong>richtungen s<strong>in</strong>d.<br />

Foto: kaemte/PIXELIO<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


6<br />

VORTRAG Gymnasialtag 2010<br />

»<strong>Das</strong> deutsche <strong>Gymnasium</strong> –<br />

Schule mit Zukunft?«<br />

Prof. Dr. Peter J. Brenner<br />

Vortrag von Prof. Dr. Peter J. Brenner<br />

Ich bedanke mich für die E<strong>in</strong>ladung<br />

und freue mich, dass ich wieder hier<br />

se<strong>in</strong> darf. Vor e<strong>in</strong>em guten Jahr hatte<br />

ich die Ehre, im Schatten des Domes für<br />

den rhe<strong>in</strong>land-pfälzischen Realschullehrerverband<br />

e<strong>in</strong>en Vortrag halten zu dürfen.<br />

<strong>Das</strong> gehört natürlich zusammen mit<br />

me<strong>in</strong>em heutigen Vortrag – denn darüber<br />

will ich jetzt sprechen: Über die<br />

Stellung des <strong>Gymnasium</strong>s im deutschen<br />

Schulwesen. Dabei wird es mir auch<br />

um etwas allgeme<strong>in</strong>ere Fragestellungen<br />

gehen, die nicht ausschließlich auf das<br />

rhe<strong>in</strong>land-pfälzische Schulwesen bezogen<br />

s<strong>in</strong>d. Denn die Probleme des <strong>Gymnasium</strong>s<br />

ebenso wie se<strong>in</strong>e Chancen<br />

und Optionen für die Zukunft, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />

den Bundesländern ähnlich, wenn auch<br />

ke<strong>in</strong>eswegs gleich. Ich will also versuchen,<br />

die Position des <strong>Gymnasium</strong>s <strong>in</strong><br />

der Tektonik des deutschen Schulwesens<br />

abzubilden und die Frage zu stellen,<br />

was dürfen wir hoffen, aber auch<br />

was sollen wir tun, um dem <strong>Gymnasium</strong><br />

e<strong>in</strong>e Perspektive zu erhalten?<br />

Im Titel Ihrer Tagung ist wohlgemut von<br />

der »Zukunft des <strong>Gymnasium</strong>s« die Rede,<br />

im Titel me<strong>in</strong>es Vortrags jedoch hat<br />

e<strong>in</strong> verzagtes Gemüt e<strong>in</strong> Fragezeichen<br />

h<strong>in</strong>ter die »Zukunft« gesetzt. <strong>Das</strong> Fragezeichen<br />

stammt nicht von mir, sondern<br />

von der etwas vorsichtigeren Leitung Ihres<br />

rhe<strong>in</strong>land-pfälzischen <strong>Philologenverband</strong>es.<br />

Dieses Fragezeichen streichen<br />

wir wieder!<br />

Denn das <strong>Gymnasium</strong> hat natürlich e<strong>in</strong>e<br />

Zukunft. Aber die Frage ist, wie diese<br />

Zukunft aussehen wird. Es kann gar<br />

ke<strong>in</strong>en Zweifel daran geben, dass für<br />

die nächsten Jahrzehnte und nächsten<br />

Generationen das <strong>Gymnasium</strong> erhalten<br />

bleiben wird. Ebenso wenig aber gibt es<br />

e<strong>in</strong>en Zweifel daran, dass das <strong>Gymnasium</strong><br />

wieder e<strong>in</strong>mal unter e<strong>in</strong>em enormen<br />

Reformdruck steht und sich verändern<br />

wird, ob es will oder nicht.<br />

In welche Richtung die Veränderung<br />

vor sich gehen wird, will ich hier andeuten.<br />

Die tagesaktuellen und tagespolitischen<br />

Probleme, die Sie als Lehrkräfte<br />

und als Verband <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie beschäftigen,<br />

werde ich ausklammern, um<br />

mich mit e<strong>in</strong>igen Grundlagenproblemen<br />

zu befassen.<br />

Dabei konzentriere ich mich auf drei<br />

zentrale Themen der deutschen Bildungsdiskussion,<br />

von denen über zwei<br />

im Übermaß, über e<strong>in</strong>s jedoch zu wenig<br />

gesprochen wird. Im Übermaß geredet<br />

wird über (1) die Frage der »Bildungsgerechtigkeit«<br />

und (2) über Änderungen<br />

der Schulstruktur; viel zu wenig, fast<br />

überhaupt nicht jedoch, wird diskutiert<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


Gymnasialtag 2010 PROF. DR. PETER J. BRENNER 7<br />

über (3) die Inhalte und Ziele schulischen,<br />

<strong>in</strong> unserem Falle gymnasialen,<br />

Unterrichts.<br />

(1) Bildungsgerechtigkeit<br />

Wenn wir heute über Schule <strong>in</strong><br />

Deutschland reden, dann werden wir<br />

<strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie mit dem Thema konfrontiert,<br />

das Ihr Landesvorsitzender,<br />

Herr Blümke, heute <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>leitung<br />

auch schon als zentrales angesprochen<br />

hat: dem Thema der Bildungsgerechtigkeit.<br />

Der Begriff »Bildungsgerechtigkeit«<br />

ist seit der ersten<br />

PISA-Studie zum Schlüsselbegriff unserer<br />

Diskussion geworden. In den<br />

PISA-Studien allerd<strong>in</strong>gs taucht dieser<br />

Begriff fast überhaupt nicht auf. Er ist<br />

hier <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er sehr viel neutraleren Def<strong>in</strong>ition<br />

e<strong>in</strong>geführt worden, nämlich<br />

unter dem technischen Term<strong>in</strong>us Disparitäten<br />

im Bildungswesen.<br />

<strong>Das</strong>s es Disparitäten im Bildungswesen<br />

gibt, lässt sich nicht bestreiten.<br />

<strong>Das</strong> wusste man auch schon vor PISA<br />

und das hat es immer gegeben: dass<br />

Bildungserfolge ungleich verteilt s<strong>in</strong>d<br />

– dass das Geschlecht, die Religionszugehörigkeit,<br />

die regionale, die ethnische<br />

und neuerd<strong>in</strong>gs die soziale Herkunft<br />

offensichtlich e<strong>in</strong>e Rolle dabei<br />

spielen, welchen Bildungserfolg bestimmte<br />

Personengruppen haben.<br />

Ganz anders stellt sich die Frage aber,<br />

wenn dieser alte Befund moralisch<br />

aufgewertet wird, wenn also aus den<br />

Disparitäten, die e<strong>in</strong>fach nur e<strong>in</strong>e statistische<br />

Feststellung s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong> Gerechtigkeitsproblem<br />

gemacht wird. <strong>Das</strong><br />

kann sehr weitreichende politische<br />

Folgen haben. Dem deutschen Bildungssystem<br />

wird seit fast e<strong>in</strong>em<br />

Jahrzehnt unwidersprochen nachgesagt,<br />

es sei e<strong>in</strong>es der »ungerechtesten<br />

Bildungssysteme der Welt«. Insbesondere<br />

das »gegliederte Schulsystem«,<br />

das Schüler früh sortiere und selektiere,<br />

führe dazu, dass Schüler aufgrund<br />

ihrer sozialen Herkunft benachteiligt<br />

würden und nicht zu den Bildungserfolgen<br />

kämen, die sie erreichen würden,<br />

wenn das Schulsystem eben<br />

nicht »ungerecht« sei.<br />

Die Vorläuferdiskussionen, die schon<br />

<strong>in</strong> den sechziger Jahren geführt wurden,<br />

s<strong>in</strong>d Ihnen bekannt. Sie konzentrierten<br />

sich um den Begriff der Chancengleichheit<br />

und führten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen<br />

Bundesländern zur flächendeckenden<br />

E<strong>in</strong>führung von Gesamtschulen als<br />

vierter Schulart des Sekundarschulwesens.<br />

Erfolgreich war das Konzept<br />

offensichtlich nicht, sonst müssten wir<br />

heute nicht erneut die gleichen Diskussionen<br />

führen, die vor vierzig Jahren,<br />

während me<strong>in</strong>er eigenen Schulzeit,<br />

schon geführt wurden.<br />

H<strong>in</strong>ter der alten wie der aktuellen Diskussion<br />

um »Bildungsgerechtigkeit«<br />

zeigt sich bei genauerer Betrachtung<br />

die allgegenwärtige Auffassung, dass<br />

»Gleichheit« und »Gerechtigkeit« im<br />

Bildungswesen eng zusammenhängen,<br />

wenn nicht identisch s<strong>in</strong>d. <strong>Das</strong><br />

führt dann zu so aparten Gedankenkonstruktionen,<br />

die sich nicht nur bei<br />

Politikern und Journalisten, sondern<br />

auch bei Bildungswissenschaftlern<br />

f<strong>in</strong>den: zur Forderung, dass im Bildungswesen<br />

»mehr Gleichheit« hergestellt<br />

werden solle. Nun gibt es weder<br />

<strong>in</strong> der Wirklichkeit noch <strong>in</strong> der Logik<br />

noch <strong>in</strong> der Sprache mehr oder weniger<br />

Gleichheit, sondern nur Gleichheit<br />

oder Ungleichheit. »Mehr Gleichheit«<br />

gab es nur <strong>in</strong> Orwells Animal Farm,<br />

wo alle Tiere gleich, andere aber<br />

doch noch »gleicher« waren.<br />

Wo die Sprache entgleist, entgleisen<br />

auch die Gedanken, die <strong>in</strong> ihr ausgedrückt<br />

werden. Denn tatsächlich hat<br />

die Frage nach der Gerechtigkeit im<br />

Bildungswesen wenig zu tun mit der<br />

Frage nach der Gleichheit. Die deutsche<br />

Bildungswissenschaft, speziell<br />

die PISA-Wissenschaft, hat sich der ><br />

Zur Person:<br />

Prof. Dr. Peter J. Brenner war<br />

fast zwanzig Jahre lang Germanistik-Professor<br />

an der Universität<br />

zu Köln und ist jetzt an der<br />

Carl von L<strong>in</strong>de-Akademie der<br />

Technischen Universität München<br />

tätig. Hier entwickelt und<br />

realisiert er unter anderem Konzepte<br />

zur akademischen Weiterbildung,<br />

auch der Lehrerweiterbildung.<br />

Er studierte Philosophie, Erziehungswissenschaft,<br />

Germanistik<br />

und Komparatistik an der Universität<br />

Bonn. 1986 habilitierte er<br />

sich an der Universität Regensburg,<br />

war 1990/1991 Heisenberg-Stipendiat<br />

an der Universität<br />

Bayreuth. Schwerpunkte se<strong>in</strong>er<br />

wissenschaftlichen Arbeit<br />

s<strong>in</strong>d die Theorie der Geisteswissenschaften<br />

und ihrer Institutionen<br />

sowie die Bildungsgeschichte.<br />

Er gehört zu den profilierten<br />

Experten der deutschen Bildungsdiskussion<br />

und ist durch<br />

zahlreiche Beiträge zu Problemen<br />

des Schul- und Hochschulwesens<br />

auch e<strong>in</strong>er breiteren Öffentlichkeit<br />

bekannt geworden.<br />

Zuletzt erschienen die Bücher:<br />

• »Schule <strong>in</strong> Deutschland«<br />

• »Wie Schule funktioniert«<br />

und, ganz neu,<br />

• »Bildungsgerechtigkeit«<br />

– alle beim Kohlhammer Verlag,<br />

Stuttgart, erschienen.<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


8<br />

VORTRAG Gymnasialtag 2010<br />

Herausforderung noch nicht gestellt,<br />

den aktuell kursierenden Begriff der<br />

»Bildungsgerechtigkeit« <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em <strong>in</strong>ternationalen<br />

theoretischen Diskurszusammenhang<br />

zu diskutieren und<br />

ihn damit wissenschaftsfähig zu machen.<br />

Damit wurde noch nicht begonnen,<br />

weil das die politische Suggestionskraft<br />

des Begriffes schnell zerstören<br />

würde. Ich kann das hier nur <strong>in</strong><br />

wenigen Sätzen anreißen, und verweise<br />

auf me<strong>in</strong> gerade erschienenes<br />

Buch über »Bildungsgerechtigkeit«,<br />

besonders das zweite Kapitel. Festhalten<br />

will ich hier nur, dass die deutsche<br />

Diskussion über »Bildungsgerechtigkeit«<br />

auf vormoderne Vorstellungen<br />

von Gerechtigkeit fixiert ist.<br />

Sie geht e<strong>in</strong>erseits davon aus, dass die<br />

Menschen nicht nur »vor dem Gesetz«,<br />

sondern auch <strong>in</strong> anderen H<strong>in</strong>sichten<br />

gleich se<strong>in</strong> – oder »gleich» gemacht<br />

werden – sollen – e<strong>in</strong>e Vorstellung,<br />

die immer die Versuchung zum<br />

Totalitarismus mit sich führt. Zugleich<br />

geht diese Gerechtigkeitsvorstellung<br />

von e<strong>in</strong>em vormodernen Staatsverständnis<br />

aus, das den Staat als Produzenten<br />

von Gerechtigkeit sieht, <strong>in</strong>dem<br />

er paternalistisch Leistungen gewährt<br />

oder verweigert.<br />

<strong>Das</strong> ist weit entfernt vom aktuellen<br />

Diskussionsstand. Die moderne Gerechtigkeitsdiskussion<br />

wurde nach<br />

Rawls’ Buch Theory of Justice besonders<br />

von Michael Walzer und David<br />

Miller geprägt, die e<strong>in</strong>en pragmatischen,<br />

auf die reale Situation der modernen<br />

Wohlstandsgesellschaft bezogene<br />

Diskussion <strong>in</strong>itiiert haben. Im<br />

Kern laufen ihre Überlegungen darauf<br />

h<strong>in</strong>aus, dass es »Sphären der Gerechtigkeit«<br />

– so heißt das Buch Millers –<br />

gibt, dass also <strong>in</strong> verschiedenen Bereichen<br />

der Gesellschaft verschiedene<br />

Vorstellungen von Gerechtigkeit gelten<br />

und gelten müssen. Miller unterscheidet<br />

die Pr<strong>in</strong>zipien des »Bedarfs«,<br />

der »Leistung« und der »Gleichheit«.<br />

<strong>Das</strong> Pr<strong>in</strong>zip des Bedarfs wird dort die<br />

größte Anerkennung f<strong>in</strong>den, wo sich<br />

Geme<strong>in</strong>schaften nach Grundsätzen<br />

der Solidarität oder der emotionalen<br />

Nähe konstituieren, <strong>in</strong> der Familie etwa<br />

oder e<strong>in</strong>em Vere<strong>in</strong>. <strong>Das</strong> Pr<strong>in</strong>zip<br />

der Leistung wird besonders <strong>in</strong> Wirtschaftsunternehmen<br />

gelten; und das<br />

Pr<strong>in</strong>zip der Gleichheit gilt vor allem<br />

dann, wenn der Staat se<strong>in</strong>en Bürgern<br />

gegenübertritt – denn »vor dem Gesetz»,<br />

und nur dort, s<strong>in</strong>d alle Menschen<br />

gleich.<br />

Es ist offensichtlich, dass sich diese<br />

Pr<strong>in</strong>zipien <strong>in</strong> der Schule <strong>in</strong> besonderer<br />

Weise vermischen, und hier besteht<br />

noch e<strong>in</strong>iger Diskussion- und<br />

Klärungsbedarf. Denn <strong>in</strong> der Schule<br />

muss der <strong>in</strong>dividuelle Bedarf des e<strong>in</strong>zelnen<br />

Schülers ebenso berücksichtigt<br />

werden wie ihm e<strong>in</strong>e Leistung abgefordert<br />

werden muss; und am Ende<br />

müssen alle Schüler auch noch<br />

»gleich» behandelt werden, ke<strong>in</strong>er<br />

darf bevorzugt und ke<strong>in</strong>er darf benachteiligt<br />

werden. Schließlich muss<br />

die Schule auch noch Noten vergeben<br />

und Schüler damit <strong>in</strong> Rangordnungen<br />

platzieren.<br />

<strong>Das</strong>s diese Komplexität der Gerechtigkeitsproblematik<br />

<strong>in</strong> der deutschen Bildungsdiskussion<br />

missachtet und sie<br />

auf die – eigentlich gegenläufigen –<br />

Konzepte der »Gleichheit« und der »<strong>in</strong>dividuellen<br />

Förderung« reduziert<br />

wird, hat sehr weitreichende Folgen,<br />

von denen auch das <strong>Gymnasium</strong> als<br />

Schulart unmittelbar betroffen ist.<br />

Denn <strong>in</strong> der bildungspolitischen Praxis<br />

führt das dazu, dass man die Gerechtigkeit<br />

e<strong>in</strong>es Bildungssystems daran<br />

misst, dass möglichst viele möglichst<br />

hohe Abschlüsse erreichen.<br />

<strong>Das</strong> ist das Konzept der OECD, der Organisation<br />

for Economic Co-operation<br />

and Development, von der eigentlich<br />

niemand so recht weiß, warum sie e<strong>in</strong>en<br />

so durchschlagenden E<strong>in</strong>fluss auf<br />

die deutsche Bildungspolitik gewonnen<br />

hat. In den OECD-Modellen zur<br />

quantitativen Messung und Bewertung<br />

von nationalen Bildungssystemen<br />

spielt die Studienanfängerquote,<br />

und damit die ihr vorangehende Abiturientenquote,<br />

e<strong>in</strong>e zentrale Rolle.<br />

Ganz neu ist das nicht. Seit langem,<br />

seit den sechziger Jahren, herrscht<br />

auch <strong>in</strong> Deutschland sowohl <strong>in</strong> der<br />

Bildungspolitik wie <strong>in</strong> der Bildungswissenschaft<br />

die Vorstellung, dass die<br />

Leistungsfähigkeit und Gerechtigkeit<br />

e<strong>in</strong>es Schulsystems sich dar<strong>in</strong> erwei-<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


Gymnasialtag 2010 PROF. DR. PETER J. BRENNER 9<br />

se, dass möglichst viele junge Menschen<br />

das Abitur machen, also e<strong>in</strong>e<br />

Hochschulzugangsberechtigung erhielten.<br />

<strong>Das</strong> ist verbunden mit der<br />

Vorstellung, dass e<strong>in</strong>e Volkswirtschaft<br />

umso leistungsfähiger werde, je größer<br />

die Partizipation an höheren Bildungsabschlüssen<br />

sei, um es e<strong>in</strong>mal<br />

im OECD-Deutsch zu sagen.<br />

Wenn man diese Politik <strong>in</strong> ihrer historischen<br />

Entwicklung verfolgt, kommt<br />

man zu e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>drucksvollen Zahlenreihe.<br />

Als Ralf Dahrendorf 1965 se<strong>in</strong><br />

sehr e<strong>in</strong>flussreiches Buch »Bildung ist<br />

Bürgerrecht« schrieb – das neben<br />

Georg Pichts »Bildungskatastrophe«<br />

den Anfang des quantitativen Denkens<br />

<strong>in</strong> der Bildungspolitik markiert –,<br />

fordert er e<strong>in</strong>e Verdopplung der Abiturientenzahlen.<br />

<strong>Das</strong> hätte bedeutet,<br />

dass statt sieben Prozent dann vierzehn<br />

Prozent e<strong>in</strong>es Altersjahrsgangs<br />

das Abitur machen sollten – damals<br />

e<strong>in</strong> kühner Gedanke. 1995 lag die Studienanfängerquote<br />

nach OECD-Kriterien<br />

– e<strong>in</strong>e Abiturientenquote im S<strong>in</strong>ne<br />

der deutschen Statistik wird von<br />

der OECD nicht erhoben – <strong>in</strong> Deutschland<br />

bei 26 Prozent; im Jahre 2000 waren<br />

es dreißig Prozent. 2008 wurde<br />

diese Quote weit überboten – sie lag<br />

bei 43,3 Prozent. Aber nach OECD-<br />

Vorstellungen ist das immer noch zu<br />

wenig, denn der OECD-Durchschnitt<br />

liegt <strong>in</strong>zwischen bei 56 Prozent und<br />

wird durch Länder wie Australien mit<br />

87 Prozent, Polen mit 83 Prozent und<br />

Portugal mit 81 Prozent maßgeblich<br />

geprägt.<br />

Die politische Fixierung auf die Steigerung<br />

der Studierendenzahlen trägt<br />

manchmal seltsame Blüten, die oft<br />

mehr über die Substanz deutscher<br />

Bildungspolitik aussagen als die langen<br />

Zahlenkolonnen der PISA-Studien.<br />

Die vormalige deutsche Bundesbildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong><br />

Edelgard Bulmahn<br />

hat im Jahre 2004 den Schlagersänger<br />

Guildo Horn, alias Horst Köhler – der<br />

übrigens im rhe<strong>in</strong>land-pfälzischen<br />

Trier se<strong>in</strong> Abitur gemacht hat – angemietet,<br />

um e<strong>in</strong>e Kampagne für die Erhöhung<br />

der Studentenzahlen <strong>in</strong><br />

Deutschland zu beflügeln. Alle<strong>in</strong> dieser<br />

Vorgang ist Grund genug, e<strong>in</strong>er Bildungspolitik<br />

zu misstrauen, die alle<br />

<strong>in</strong>tellektuellen Hemmungen abgelegt<br />

hat, um ihr Ziel, die Steigerung der<br />

Studierendenzahlen, zu erreichen.<br />

Unabhängig von solchen Kapriolen<br />

muss man aber die ernsthafte Frage<br />

stellen, was denn mit e<strong>in</strong>er Erhöhung<br />

der Studienanfängerquote tatsächlich<br />

erreicht wird. Die Annahme der<br />

OECD, dass auch nur e<strong>in</strong>e Korrelation,<br />

geschweige denn e<strong>in</strong> kausaler Zusammenhang,<br />

von höherer Bildungsbeteiligung,<br />

faktischem Bildungserfolg<br />

und ökonomischer Leistungsfähigkeit<br />

bestehe, ist nach wie vor unbewiesen.<br />

Es gibt auch Indizien dafür, dass e<strong>in</strong><br />

solcher Zusammenhang nicht besteht.<br />

Die schamhaft versteckten Studienabschlussquoten<br />

liegen <strong>in</strong> Deutschland<br />

über fünfzig Prozent unter den alljährlich<br />

gefeierten Studienanfängerquoten.<br />

Und die Tabellen des Statistischen<br />

Bundesamtes zeigen, dass die<br />

höchste Abiturientenquote Deutschlands<br />

<strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern<br />

produziert wird, dort erwarben im<br />

Jahre 2008 48,8 Prozent des Altersjahrgangs<br />

die allgeme<strong>in</strong>e Hochschulzugangsberechtigung.<br />

Dennoch würde<br />

niemand auf den Gedanken kommen,<br />

diesem schönen Bundesland e<strong>in</strong>e herausragende<br />

Wirtschaftskraft zu unterstellen.<br />

Die auf »höhere Bildungsbeteiligung«<br />

als Ausweis höherer Bildungsgerechtigkeit<br />

fixierte Diskussion hat gravierende<br />

Folgen. Sie führt e<strong>in</strong>erseits zu<br />

e<strong>in</strong>er Politik, die Bildungserfolg und<br />

Bildungsgerechtigkeit alle<strong>in</strong> an Gymnasialbesuchs-<br />

und Gymnasialabsolventenquoten<br />

misst und damit dem<br />

<strong>Gymnasium</strong> alle<strong>in</strong> die Last aufbürdet,<br />

durch die immer weiter gesteigerte<br />

Produktion von Abiturienten für mehr<br />

»Bildungsgerechtigkeit« zu sorgen. Die<br />

Probleme, die das für die Funktionsfähigkeit,<br />

zu schweigen von der Qualität,<br />

des <strong>Gymnasium</strong>s mit sich br<strong>in</strong>gt,<br />

s<strong>in</strong>d Ihnen bekannt.<br />

Auf der anderen Seite, und das empf<strong>in</strong>de<br />

ich als viel gravierender, führt<br />

das zu e<strong>in</strong>er politischen Vernachlässigung<br />

der eigentlichen Probleme, die<br />

sich am anderen Ende des Bildungssystems<br />

stellen. Was passiert mit den<br />

Hauptschülern, die Mühe haben, e<strong>in</strong>fache<br />

Qualifikationsstufen zu erreichen<br />

oder am Ende ganz ohne Schulabschluss<br />

dastehen? Diese Frage ist<br />

<strong>in</strong>zwischen e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich im öffentlichen<br />

Bewusstse<strong>in</strong> präsent. E<strong>in</strong>e Antwort<br />

wurde noch nicht gefunden –<br />

nur e<strong>in</strong>e Alibilösung durch Symbolpolitik.<br />

Denn Symbolpolitik ist es, Hauptschulen<br />

nom<strong>in</strong>ell verschw<strong>in</strong>den zu<br />

lassen durch Zusammenlegung mit<br />

anderen Schularten. Aber die unverkennbaren,<br />

wenn auch <strong>in</strong> der politischen<br />

Diskussion durchaus übertrieben<br />

dargestellten Probleme der<br />

Hauptschulen lassen sich weder<br />

durch die Steigerung von Abiturientenquoten<br />

noch durch Veränderungen<br />

von Schulstrukturen lösen.<br />

<strong>Das</strong>s das nichts nützt, weiß man seit<br />

den siebziger Jahren, und e<strong>in</strong> Blick<br />

auf die vielen OECD-Länder, die andere<br />

Schulstrukturen, aber ähnliche und<br />

oft noch größere Probleme mit großen<br />

Gruppen von Risikoschülern haben<br />

– ich denke an Frankreich, die<br />

USA, Großbritannien –, könnte es<br />

noch e<strong>in</strong>mal bestätigen.<br />

Im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich ebenso<br />

wie im sozialhistorischen Rückblick<br />

könnte man sogar zu der Auffassung<br />

kommen, dass der Handlungsbedarf<br />

<strong>in</strong> der Frage der »Bildungsgerechtigkeit«<br />

gar nicht so groß ist, wie er <strong>in</strong><br />

der öffentlichen Diskussion ersche<strong>in</strong>t.<br />

Hier halte ich es mit Helmut Fend, ><br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


10<br />

VORTRAG Gymnasialtag 2010<br />

dem emeritierten Züricher Bildungsforscher<br />

und Nestor der deutschen<br />

Bildungsstatistik. Fend hat nüchtern<br />

festgestellt, dass auch die Schüler aus<br />

bildungsfernen Schichten, die am unteren<br />

Spektrum der schulischen Leistungsmöglichkeiten,<br />

am unterem<br />

Spektrum der Schularten und damit<br />

auch am unteren Spektrum der beruflichen<br />

Möglichkeiten positioniert s<strong>in</strong>d,<br />

Bildungs- und Lebenschancen haben,<br />

die ihnen vor wenigen Jahrzehnten<br />

noch verschlossen gewesen wären.<br />

Auch Menschen mit Bildungsabschlüssen<br />

weit unterhalb des Abiturs<br />

haben ihren Anteil am Wohlstand erhalten;<br />

und damit, so formuliert Fend<br />

zu Recht, »verliert das erreichbare Bildungs-<br />

und Berufsniveau an lebensgeschichtlicher<br />

Dramatik«. Wir müssen<br />

also ke<strong>in</strong> besonders schlechtes Gewissen<br />

haben, wenn wir Schüler mit e<strong>in</strong>em<br />

Hauptschulabschluss entlassen,<br />

denn auch diese Schüler haben die<br />

Option, e<strong>in</strong> vernünftiges und zufriedenstellendes<br />

Leben zu führen, um<br />

e<strong>in</strong>mal die m<strong>in</strong>imalistische PISA-Def<strong>in</strong>ition<br />

der Aufgabe von Schule aufzugreifen.<br />

(2) Schulstrukturen<br />

Aber selbst wenn die Bildungsungerechtigkeit<br />

tatsächlich so dramatisch<br />

und folgenreich wäre, wie es sich <strong>in</strong><br />

der öffentlichen Diskussion darstellt,<br />

dann stellt sich immer noch die Frage:<br />

was kann man denn tun? Bei nüchterner<br />

Betrachtung kommt man zu dem<br />

Ergebnis: fast nichts. Jedenfalls »fast<br />

nichts« , wenn man Bildungspolitiker,<br />

Bildungswissenschaftler oder Bildungsjournalist<br />

ist; e<strong>in</strong>iges allerd<strong>in</strong>gs,<br />

wenn man Lehrer<strong>in</strong> oder Lehrer an e<strong>in</strong>er<br />

Schule ist. Darauf will ich am Rande<br />

kurz e<strong>in</strong>gehen. Schließlich geht es<br />

im <strong>Gymnasium</strong> auch um die Lehrer.<br />

Im Vorfeld der gerade bevorstehenden<br />

PISA-Publikation hat es <strong>in</strong> Österreich,<br />

mehr als <strong>in</strong> Deutschland, heftige Vorabdiskussionen<br />

über die zu erwartenden<br />

Ergebnisse gegeben. In der Wiener<br />

Zeitung »Die Presse« las ich vorgestern<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kommentar den bemerkenswerten,<br />

<strong>in</strong> Deutschland noch<br />

nicht richtig angekommenen Satz: »Jeder<br />

e<strong>in</strong>zelne Lehrer, der nicht im<br />

Burn-out oder <strong>in</strong> der <strong>in</strong>neren Freizeitemigration<br />

endet, hat für die Qualität<br />

unseres Schulsystems mehr Bedeutung<br />

als jedes noch so geniale soziologische<br />

Argument für welches Organisationspr<strong>in</strong>zip<br />

auch immer.« Wir können<br />

noch so viele PISA-Studien haben<br />

und noch so viele Schulstrukturreformen<br />

haben, aber jeder e<strong>in</strong>zelne Lehrer<br />

leistet mehr für den Bestand e<strong>in</strong>es<br />

Schulsystems als e<strong>in</strong>e Schulstrukturreform«.<br />

So ist es wohl, und die erste<br />

Frage, die sich e<strong>in</strong>em Schulsystem<br />

stellt, ist die nach der Ausbildung, der<br />

Auswahl, der Qualifizierung, der Pflege<br />

und der Weiterbildung der Lehrkräfte<br />

<strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Schularten.<br />

Ansonsten s<strong>in</strong>d die E<strong>in</strong>flussmöglichkeiten<br />

der Schule auf die tatsächliche<br />

oder verme<strong>in</strong>tliche »Bildungsungerechtigkeit«<br />

nach me<strong>in</strong>er Auffassung<br />

weitgehend ausgereizt. Ungerechtigkeit<br />

ist, das weiß man schon länger,<br />

ke<strong>in</strong>e Frage des Schulsystems, sondern<br />

e<strong>in</strong>e des Gesellschaftssystems.<br />

Gegen die Disparitäten im Bildungswesen<br />

hat man sehr wenige Interventionsmöglichkeiten,<br />

das hat die westdeutsche<br />

wie die ostdeutsche Bildungspolitik<br />

gezeigt, die ja seit fast<br />

fünfzig Jahren kaum etwas anderes so<br />

sehr versucht hat, wie »Gerechtigkeit«<br />

im Bildungswesen herzustellen.<br />

Im Laufe dieser langen Experimentalgeschichte<br />

des deutschen Schulwesens<br />

hat man sich angewöhnt, Schulstrukturen<br />

zu verändern. Nach e<strong>in</strong>er<br />

gewissen Ruhephase <strong>in</strong> den neunziger<br />

Jahre erleben wir es fast wieder<br />

schuljährlich, dass neue Schulstrukturen<br />

<strong>in</strong> den Bundesländern e<strong>in</strong>geführt<br />

werden mit der Maßgabe, damit die<br />

Bildungsgerechtigkeit zu erhöhen. Ich<br />

nenne nur e<strong>in</strong> Beispiel aus Ihrem eigenen<br />

Bundesland Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong>.<br />

Hier wurde 1996 die, wie mir sche<strong>in</strong>t,<br />

durchaus vernünftig konzipierte »Duale<br />

Oberschule« als Schulversuch e<strong>in</strong>geführt.<br />

Sie wurde zehn Jahre lang erprobt;<br />

sie war erfolgreich – hat es je <strong>in</strong><br />

Deutschland e<strong>in</strong>en erfolglosen Schulversuch<br />

gegeben? –, sie wurde deshalb<br />

2006/2007 als Regelschule e<strong>in</strong>geführt<br />

– und sie wurde 2009/2010 wieder<br />

abgeschafft, weil sie aufgegangen<br />

ist <strong>in</strong> der Realschule plus. So sieht<br />

moderne Bildungspolitik <strong>in</strong> Deutschland<br />

aus, ke<strong>in</strong>eswegs nur <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong>.<br />

Auch anderswo zeichnen sich Umstrukturierungen<br />

des Schulwesens ab,<br />

die dem erklärten politischen Zweck<br />

dienen, »mehr Gleichheit« zu erzeugen.<br />

In Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen konnten<br />

wir gerade die Entstehung e<strong>in</strong>er neuen<br />

Schulart beobachten, die auch von<br />

der überregionalen Presse mit lebhafter<br />

Aufmerksamkeit verfolgt wurde: Es<br />

handelt sich um das »halbe <strong>Gymnasium</strong>«.<br />

Als solche wird uns die erste, gerade<br />

<strong>in</strong> Ascheberg im Münsterland <strong>in</strong><br />

Gründung begriffene »Geme<strong>in</strong>schaftsschule«<br />

Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalens von ihrem<br />

Bürgermeister vorgestellt. E<strong>in</strong><br />

halbes <strong>Gymnasium</strong> bedeutet: Schulangebote<br />

bis zur zehnten Klasse für<br />

Haupt- und Realschüler auf »gymnasialem<br />

Niveau«. Sie alle, die Sie hier<br />

sitzen, s<strong>in</strong>d Praktiker genug, um zu<br />

wissen, was der Öffentlichkeit gerne<br />

vorenthalten wird: dass nämlich solche<br />

Schulversuche seitens e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>teressierten<br />

Landesregierung massiv<br />

protegiert werden <strong>in</strong> Form von Ausstattungen,<br />

Klassengrößen, Lehrer-<br />

Schüler-Relationen, von denen andere<br />

Schulen nur träumen können. So<br />

auch hier: Den Pressemitteilungen<br />

kann man entnehmen, dass <strong>in</strong> dieser<br />

Schule die Zahl der Hauptschullehrer<br />

mehr als verdoppelt wird; aus ur-<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


Gymnasialtag 2010 PROF. DR. PETER J. BRENNER 11<br />

sprünglich 21 Hauptschullehrern werden<br />

jetzt fünfzig, der Klassenteiler<br />

wird auf 25 verr<strong>in</strong>gert. Aber ob das für<br />

e<strong>in</strong> »halbes <strong>Gymnasium</strong>« reicht?<br />

Die Abwälzung von schulpolitischen<br />

Entscheidungen auf die Kommunen<br />

ist übrigens e<strong>in</strong>e politische Strategie,<br />

die nicht nur <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen<br />

von den landespolitischen Entscheidungsträgern<br />

nach dem Desaster der<br />

Hamburger Schulpolitik unverblümt<br />

ausgesprochen wird. Sie ist e<strong>in</strong> Trend,<br />

der sich auch <strong>in</strong> anderen Politikfeldern<br />

durchsetzt. Politik, auch Schulpolitik,<br />

wird nicht mehr planmäßig<br />

und mit benennbaren, und damit konfliktträchtigen,<br />

politischen Zielsetzungen<br />

betrieben. Sie nimmt vielmehr die<br />

Gestalt e<strong>in</strong>e »Projektes« an, das mal so<br />

und mal so betrieben werden kann,<br />

sodass gewünschte schulpolitische<br />

Entscheidungen eben nur dort umgesetzt<br />

werden, wo die Akteure kooperationsbereit<br />

und die Themen nicht so<br />

kontrovers s<strong>in</strong>d. Parteipolitische Präferenzen<br />

spielen dabei kaum noch e<strong>in</strong>e<br />

Rolle; im Vordergrund stehen lokale<br />

und <strong>in</strong>dividuelle Interessen – das<br />

Interesse e<strong>in</strong>es Stadtrats an der Stadtentwicklung,<br />

das Interesse e<strong>in</strong>es Bürgermeisters<br />

an se<strong>in</strong>er Wiederwahl,<br />

das Interesse e<strong>in</strong>er Hauptschulrektor<strong>in</strong><br />

an e<strong>in</strong>er A 15-Stelle. <strong>Das</strong> können<br />

wir <strong>in</strong> den deutschen Bundesländern,<br />

<strong>in</strong> denen noch kontrovers über Bildungspolitik<br />

diskutiert wird, allenthalben<br />

beobachten,<br />

Es ist leicht ersichtlich, dass hier andere<br />

Erwägungen als solche der<br />

Schulpolitik, geschweige denn der Bildungswissenschaft<br />

e<strong>in</strong>e Rolle spielen.<br />

Hier geht es <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie um Standortpolitik<br />

– um den Versuch der Kommunen,<br />

sich durch formale schulische<br />

Angebote im Konkurrenzkampf der<br />

Städte und Geme<strong>in</strong>den um den Zuzug<br />

oder Verbleib junger Familien zu positionieren.<br />

Die Antwort ist immer die<br />

gleiche: es müssen möglichst hohe<br />

formale Schulabschlüsse an e<strong>in</strong>em<br />

Standort angeboten werden.<br />

Diese Entwicklung der schulpolitischen<br />

Praxis hat viele Facetten, erfreuliche<br />

wie problematische. Erfreulich<br />

ist, dass oft e<strong>in</strong> nüchterner Pragmatismus<br />

<strong>in</strong> die Schulpolitik kommt<br />

und sich die uralten ideologischen Fixierungen<br />

lösen; problematisch ist,<br />

dass es leicht zu faulen Kompromisslösungen<br />

kommt und man den Eltern<br />

Mogelpackungen anbietet und ihnen<br />

Versprechungen macht – »halbes<br />

<strong>Gymnasium</strong>« –, die auf Dauer nicht zu<br />

halten s<strong>in</strong>d. Und problematisch ist,<br />

dass damit die E<strong>in</strong>heitlichkeit des<br />

deutschen Schulsystems, mit der es<br />

aufgrund des Föderalismus ohneh<strong>in</strong><br />

nicht weit her ist, noch weiter ausgehöhlt<br />

wird, so dass am Ende die Differenzen<br />

zwischen den Schularten und<br />

den e<strong>in</strong>zelnen Schulen bis auf die lokale<br />

Ebene h<strong>in</strong>abreichen und sich der<br />

Wert e<strong>in</strong>es Zeugnisses erst dann erweist,<br />

wenn es sich auf dem Berufsmarkt<br />

bewähren muss.<br />

Die Praxis, Schulpolitik wesentlich als<br />

Schulstrukturpolitik zu betreiben, ist<br />

e<strong>in</strong>e Folge der Fehlentwicklung <strong>in</strong> der<br />

Gerechtigkeitsdiskussion, die sich, ich<br />

wiederhole es, darauf fixiert hat, Bildungsgerechtigkeit<br />

an der Expansion<br />

von höheren Bildungsabschlüssen zu<br />

messen. <strong>Das</strong>s dieser politische Denkansatz<br />

am aktuellen Stand der Gerechtigkeitsdiskussion<br />

vorbeizielt, habe<br />

ich angedeutet. <strong>Das</strong>s er aber auch<br />

nicht nur auf e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>tellektuellen Defizit,<br />

sondern vielleicht sogar nur auf<br />

e<strong>in</strong>em methodischen Denkfehler der<br />

statistischen Bildungsforschung beruht,<br />

will ich noch kurz von e<strong>in</strong>er anderen<br />

Seite aus beleuchten.<br />

Erreichte oder verfehlte »Bildungsgerechtigkeit«<br />

wird seit den siebziger<br />

Jahren wesentlich am Kriterium des<br />

Schulbesuchs und des erreichten Abschlusses,<br />

heute zudem noch durch<br />

Messen der erworbenen oder nicht<br />

erworbenen »Kompetenzen« def<strong>in</strong>iert.<br />

Vor allem, aber nicht nur die PISA-Studien<br />

haben dieser Betrachtungsweise<br />

zur politischen Diskursherrschaft verholfen<br />

und damit e<strong>in</strong>em Tunnelblick<br />

auf das Problemfeld »Bildungsgerechtigkeit«<br />

Vorschub geleistet, der wesentliche<br />

Aspekte der deutschen<br />

Schulwirklichkeit ausblendet.<br />

Die PISA-Studien, das ist bekannt,<br />

s<strong>in</strong>d punktuelle Momentaufnahmen,<br />

die abbilden, was für Kompetenzen<br />

an e<strong>in</strong>em bestimmten Tag e<strong>in</strong>es Schülerlebens<br />

gemessen werden konnten.<br />

Sie erfassen von den berühmten<br />

»150 000 Stunden« e<strong>in</strong>es Schülerlebens<br />

gerade mal e<strong>in</strong>en Vormittag. <strong>Das</strong> ist <strong>in</strong>teressant<br />

und vielleicht auch wichtig,<br />

aber dieses Verfahren bildet nur e<strong>in</strong><br />

sehr, sehr ger<strong>in</strong>ges Segment der<br />

Schulwirklichkeit ab. Es gibt ganz andere<br />

empirische Zugänge zu diesem<br />

Problemfeld, die auch zu anderen Ergebnissen<br />

h<strong>in</strong>sichtlich der Gerechtigkeit<br />

im deutschen Schulwesen kommen.<br />

Ich habe soeben Helmut Fend<br />

zitiert, der zu e<strong>in</strong>er entdramatisierenden<br />

Sicht auf das deutsche Schul- ><br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


12<br />

VORTRAG Gymnasialtag 2010<br />

wesen geraten hat. Dazu hat er guten<br />

Grund, denn se<strong>in</strong>e eigenen Forschungen<br />

liefern plausible Belege zu der<br />

Annahme, dass das deutsche Schulwesen<br />

ke<strong>in</strong>eswegs so ungerecht ist,<br />

wie ihm unterstellt wird. In e<strong>in</strong>er<br />

Langzeitstudie »LifE« – »Lebensverläufe<br />

von der späten K<strong>in</strong>dheit <strong>in</strong>s frühe<br />

Erwachsenenalter« – hat er die <strong>in</strong>dividuellen<br />

Bildungslaufbahnen über<br />

zwanzig Jahre h<strong>in</strong>weg verfolgt und ist<br />

zu e<strong>in</strong>em ganz erstaunlichen Befund<br />

gekommen – zu der Aussage, dass das<br />

deutsche Schulsystem sehr viel flexibler<br />

ist, als ihm geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> unterstellt<br />

wird. Fend konnte feststellen, dass<br />

dreißig Prozent der Schüler, welche<br />

um 1980 <strong>in</strong> der neunten Klasse e<strong>in</strong>e<br />

Hauptschule besuchten, im Alter von<br />

35 Jahren, also zwanzig Jahre später,<br />

e<strong>in</strong>en höheren als e<strong>in</strong>en Hauptschulabschluss<br />

aufweisen konnten; analog<br />

dazu erhielten auch dreißig Prozent<br />

der Realschüler e<strong>in</strong>en höheren als<br />

den Realschulabschluss, während 25<br />

Prozent der Gymnasiasten der neunten<br />

Klasse e<strong>in</strong>en niedrigeren Abschluss<br />

als das Abitur erhielten. <strong>Das</strong><br />

ist e<strong>in</strong>e bemerkenswerte empirische<br />

Revision der immer und immer wieder<br />

behaupteten »Durchlässigkeit<br />

nach unten«.<br />

Es besteht also großflächig die Möglichkeit,<br />

darauf will ich h<strong>in</strong>aus, zur<br />

Korrektur von Schullaufbahnen; e<strong>in</strong><br />

großer Teil der deutschen Schüler erfährt<br />

Bildungslaufbahnen, die über<br />

unser klassisches Verständnis vom gegliederten<br />

Bildungssystem h<strong>in</strong>ausgehen.<br />

Dieser strukturelle Aspekt des<br />

deutschen Schulwesens, der, so vermute<br />

ich, <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em anderen OECD-<br />

Land so ausgestaltet ist wie <strong>in</strong><br />

Deutschland, wird <strong>in</strong> der Diskussion<br />

über Bildungsungerechtigkeit völlig<br />

ignoriert. Es wird ignoriert, dass das<br />

deutsche Schulwesen nicht etwa<br />

»dreigliedrig« ist, sondern e<strong>in</strong>e unendliche<br />

Vielzahl von schulischen Bildungsmöglichkeiten,<br />

aber auch Möglichkeiten<br />

zum Nachholen von Bildungschancen<br />

anbietet.<br />

Es ist ja ke<strong>in</strong>eswegs immer nur e<strong>in</strong><br />

Signum des Scheiterns, wenn man e<strong>in</strong><br />

<strong>Gymnasium</strong> oder e<strong>in</strong>e Realschule verlässt<br />

und dann am Ende noch e<strong>in</strong>mal<br />

e<strong>in</strong>en Bildungsgang aufgreift und auf<br />

irgende<strong>in</strong>em der vielen Wege, die <strong>in</strong><br />

den e<strong>in</strong>zelnen Bundesländern zur<br />

Verfügung stehen, dann das nachholt,<br />

was zuvor versäumt wurde. Diese<br />

Möglichkeit des Nachholens, der Ausschöpfung<br />

von Optionen, die man ursprünglich<br />

<strong>in</strong> der eigenen Biographie<br />

nicht gehabt oder nicht wahrgenommen<br />

hat, ist e<strong>in</strong> zentrales Strukturmerkmal<br />

des deutschen Schulwesens,<br />

das <strong>in</strong> der öffentlichen Wahrnehmung<br />

überhaupt nicht präsent ist – und<br />

wenn, dann allenfalls als e<strong>in</strong>e Notund<br />

Verlegenheitslösung. <strong>Das</strong> aber ist<br />

es nicht. Denn dieses »Nachholen des<br />

Versäumten« kann man auch als e<strong>in</strong>e<br />

anthropologische Grundfigur deuten,<br />

wie es Otto Friedrich Bollnow <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

gleichnamigen Aufsatz e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich<br />

beschrieben hat. Kurz gesagt: <strong>in</strong><br />

der vielgliedrigen, ausdifferenzierten<br />

und pluralistischen Struktur des deutschen<br />

Schulwesens, <strong>in</strong> der vor allem<br />

das Berufsschulwesen e<strong>in</strong>e maßgebliche<br />

Rolle spielt, hat jeder heute und<br />

seit Jahrzehnten schon die Möglichkeit,<br />

<strong>in</strong> jeder Phase des Jugend- und<br />

jungen Erwachsenenalters jede Schule<br />

zu besuchen und jeden Schulabschluss<br />

zu machen oder nachzuholen.<br />

Deshalb sollten wir uns nicht e<strong>in</strong>reden<br />

lassen, das deutsche Bildungswesen<br />

sei e<strong>in</strong>es der ungerechtesten der<br />

Welt. <strong>Das</strong> deutsche Schulwesen ist<br />

nicht e<strong>in</strong>es der ungerechtesten, sicher<br />

aber e<strong>in</strong>es der kompliziertesten der<br />

Welt – und kompliziert ist es gerade<br />

deshalb, weil es versucht, möglichst<br />

vielen Aspekten denkbarer Lebensläufe<br />

und Bildungslaufbahnen gerecht<br />

zu werden. Viele Probleme, die dem<br />

deutschen Schul- und Bildungswesen<br />

vorgeworfen werden, haben ihre Wurzeln<br />

gerade dar<strong>in</strong>, dass es versucht,<br />

im besonderen Maße »gerecht« zu<br />

se<strong>in</strong>.<br />

(3) Die Zukunft des <strong>Gymnasium</strong>s<br />

Drittens und abschließend stellt sich<br />

die Frage: Wo steht <strong>in</strong> diesem Gefüge<br />

e<strong>in</strong>es komplizierten Schulwesens das<br />

<strong>Gymnasium</strong> und welche Rolle wird es<br />

künftig spielen? Es lässt sich e<strong>in</strong>e Entwicklung<br />

beobachten, die seit langem<br />

manifest ist, aber weitgehend ignoriert<br />

wird: <strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> steht nicht unter<br />

Legitimationsdruck und erst recht<br />

nicht unter Existenzdruck; aber es<br />

steht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Konkurrenzkampf der<br />

Schularten. Es muss sich mit anderen<br />

Schularten vergleichen lassen; mehr<br />

noch: sich ihnen gegenüber behaupten,<br />

und zwar aus e<strong>in</strong>em ganz e<strong>in</strong>fachen,<br />

wichtigen und <strong>in</strong> der öffentlichen<br />

Wahrnehmung immer noch<br />

nicht richtig präsenten Grund: <strong>Das</strong><br />

<strong>Gymnasium</strong> hat das Abiturmonopol<br />

verloren.<br />

Die »Hochschulzugangsberechtigung«,<br />

wie man es heute genauer nennen<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


Gymnasialtag 2010 PROF. DR. PETER J. BRENNER 13<br />

muss, wird längst nicht mehr nur vom<br />

<strong>Gymnasium</strong> verliehen. Es gibt <strong>in</strong> den<br />

e<strong>in</strong>zelnen Bundesländern unterschiedliche,<br />

aber jedenfalls viele verschiedene<br />

Wege, die zu den Fachhochschulen<br />

und Universitäten führen.<br />

In Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> etwa kann die<br />

Allgeme<strong>in</strong>e Hochschulreife durch den<br />

Besuch von sieben verschiedenen<br />

Schularten sowie den Abschluss e<strong>in</strong>er<br />

Fachhochschule sowie schließlich als<br />

besonders befähigter Berufstätiger erworben<br />

werden; und zur Fachhochschulreife<br />

führen acht verschiedene<br />

Wege. Kurz, das <strong>Gymnasium</strong> hat, so<br />

sagt man wohl heute, im H<strong>in</strong>blick auf<br />

die Hochschulzugangsberechtigung<br />

se<strong>in</strong> »Alle<strong>in</strong>stellungsmerkmal« verloren.<br />

Die e<strong>in</strong>schlägigen Zahlen s<strong>in</strong>d leider<br />

statistisch nur sehr schlecht erfasst.<br />

Für Bayern kann ich sie Ihnen<br />

nennen: Über vierzig Prozent aller Studierenden<br />

an bayerischen Hochschulen<br />

haben ihre Studienberechtigung<br />

nicht über das <strong>Gymnasium</strong> erworben.<br />

<strong>Das</strong> ist e<strong>in</strong>e Konstellation, auf die das<br />

<strong>Gymnasium</strong> reagieren muss. Dazu<br />

gibt es e<strong>in</strong>ige Szenarien. <strong>Das</strong> e<strong>in</strong>e zielt<br />

auf die Wiederherstellung schulischer<br />

– ganz sicher nicht: sozialer – Exklusivität.<br />

Vor kurzem hat e<strong>in</strong> geschätzter<br />

Kollege bei e<strong>in</strong>er Tagung des Deutschen<br />

<strong>Philologenverband</strong>es <strong>in</strong> experimentellen<br />

Überlegungen den Gedankengang<br />

durchgespielt, dass man die<br />

Abiturientenquote wieder auf zwanzig<br />

Prozent, das wäre der Status der Zeit<br />

um 1970, senken könne. <strong>Das</strong> ist nicht<br />

realistisch und dazu wird es nicht<br />

kommen. Denn solche Szenarien s<strong>in</strong>d<br />

politisch nicht durchsetzbar, und es<br />

ist auch kaum anzunehmen, dass die<br />

Gymnasien sich auf e<strong>in</strong>e solche Exklusivitätspolitik<br />

e<strong>in</strong>lassen werden.<br />

Denn die hohen Schülerzahlen s<strong>in</strong>d ja<br />

nicht nur e<strong>in</strong> politisch erzeugtes Problem,<br />

sondern auch e<strong>in</strong>e süße Versuchung,<br />

der die Gymnasien selbst gerne<br />

nachgeben. Schließlich würde, das<br />

wissen Sie selbst am besten, e<strong>in</strong>e Reduktion<br />

der Schülerzahlen auch e<strong>in</strong>e<br />

Reduktion der Lehrer- und e<strong>in</strong>e Abnahme<br />

der Funktionsstellen bedeuten;<br />

und alle<strong>in</strong> das macht die zwanzig<br />

Prozent-Option schon zu e<strong>in</strong>em unrealistischen<br />

Szenario. Es wird so se<strong>in</strong><br />

und wird so bleiben, dass e<strong>in</strong> Großteil<br />

der Schüler nach der vierten oder<br />

vielleicht auch bald nach der sechsten<br />

Klasse auf das <strong>Gymnasium</strong> strebt<br />

und dass das <strong>in</strong> urbanen Ballungsräumen<br />

auch bis achtzig Prozent se<strong>in</strong><br />

können.<br />

Die Frage stellt sich also anders: Wie<br />

kann sich e<strong>in</strong> <strong>Gymnasium</strong> als Schulart<br />

behaupten gegenüber anderen Schularten,<br />

die ebenfalls Hochschulzugangsberechtigungen<br />

anbieten, die<br />

nicht immer gleichwertig s<strong>in</strong>d von ihrem<br />

juristischen Status her, aber tendenziell<br />

die gleichen Lebens- und Berufschancen<br />

eröffnen, wie sie vorher<br />

nur Abiturienten offen gestanden<br />

s<strong>in</strong>d?<br />

Diese Frage lässt sich nur dadurch beantworten,<br />

dass man ernsthaft über<br />

das <strong>in</strong>haltliche und didaktische Profil<br />

des <strong>Gymnasium</strong>s als e<strong>in</strong>er eigenen<br />

Schulart nachzudenken beg<strong>in</strong>nt.<br />

Wenn das <strong>Gymnasium</strong> <strong>in</strong> der Zukunft<br />

Bestand haben will, muss es deutlich<br />

machen, warum und wie es sich von<br />

den anderen Schularten und Schulabschlüssen<br />

unterscheidet. Dieser Frage<br />

will ich mich über e<strong>in</strong>em Umweg nähern,<br />

den mir Herr Blümke eben <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>leitenden Worten mit der<br />

Information eröffnet hat, dass an den<br />

rhe<strong>in</strong>land-pfälzischen Gymnasien das<br />

Fach Late<strong>in</strong> wieder von 38 Prozent<br />

der Schüler belegt wird. Ich greife diese<br />

Information gerne auf, denn sie<br />

hängt zusammen mit den Erwägungen<br />

über die Zukunft des <strong>Gymnasium</strong>s,<br />

die ich hier und heute ohneh<strong>in</strong> anstellen<br />

wollte. Die klassischen Sprachen<br />

waren e<strong>in</strong>mal gleichermaßen Stolz<br />

wie Schrecken des <strong>Gymnasium</strong>s. Sie<br />

waren e<strong>in</strong>erseits das Proprium dieser<br />

Schulart, denn nur hier, am <strong>Gymnasium</strong>,<br />

ließ sich Late<strong>in</strong> oder gar Griechisch<br />

lernen. Über Late<strong>in</strong> haben<br />

sehr viele junge Leute aus den e<strong>in</strong>fachen<br />

Schichten, die man heute als<br />

»bildungsfern« bezeichnen würde,<br />

den Zugang geschafft zum höheren<br />

Bildungswesen. Zugleich waren die alten<br />

Sprachen aber auch Abschreckungs<strong>in</strong>strument<br />

par excellence, weil<br />

sie e<strong>in</strong> Anforderungsniveau def<strong>in</strong>ierten,<br />

dem nicht jeder gerecht wurde.<br />

<strong>Das</strong> können Sie sehr schön <strong>in</strong> Ulla<br />

Hahns autobiographischem Roman<br />

»<strong>Das</strong> verborgene Wort« von 2001<br />

nachlesen. Die <strong>in</strong> den fünfziger Jahren<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er niederrhe<strong>in</strong>ischen katholischen<br />

Kle<strong>in</strong>stadt aufgewachsene<br />

Schriftsteller<strong>in</strong> berichtet über ihre<br />

Bildungskarriere. Hier wird beschrieben,<br />

wie sich dieses K<strong>in</strong>d aus eigenem<br />

Willen gegen die Familie, mit<br />

Unterstützung des Pfarrers und des<br />

Lehrers hochgearbeitet hat, und zwar<br />

wesentlich durch exzessives Lesen<br />

und Late<strong>in</strong>lernen. <strong>Das</strong> Schulfach »Late<strong>in</strong>«<br />

war selektiv, aber, das ist die<br />

Po<strong>in</strong>te, es war nicht sozial selektiv.<br />

Es prämierte Fleiß und Diszipl<strong>in</strong>; und<br />

es war weit entfernt von allen Vor- ><br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


14<br />

VORTRAG Gymnasialtag 2010<br />

stellungen e<strong>in</strong>es unmittelbaren praktischen<br />

Nutzens. Die alten Sprachen<br />

konnten zum Medium des Bildungsaufstiegs<br />

werden, weil sie voraussetzungslos<br />

erlernbar waren und weder<br />

e<strong>in</strong>e spezielle »soziale Herkunft«<br />

noch e<strong>in</strong>e spezifische Begabung, sondern<br />

nur e<strong>in</strong>e spezifische Lerndiszipl<strong>in</strong><br />

und Bildungsaspiration voraussetzten.<br />

Und darauf käme es mir als erstes an,<br />

wenn ich aufgefordert wäre, das Profil<br />

des <strong>Gymnasium</strong>s, auch des <strong>Gymnasium</strong>s<br />

der Zukunft, zu beschreiben. In<br />

erster L<strong>in</strong>ie gehört dazu die Forderung,<br />

dass das <strong>Gymnasium</strong> – wie die<br />

anderen Schularten auf ihre Weise<br />

und ihren Ansprüchen gemäß auch –<br />

bestimmte Arbeitshaltungen und e<strong>in</strong>en<br />

bestimmten Habitus e<strong>in</strong>üben<br />

muss. <strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> richtet sich an<br />

Schüler, die bestimmte Bildungsaspirationen<br />

und Bildungsmotivationen<br />

mitbr<strong>in</strong>gen – das ist die Voraussetzung,<br />

denn »motivieren« kann man<br />

Schüler nur <strong>in</strong> sehr begrenztem Umfang,<br />

während es allerd<strong>in</strong>gs, das sei<br />

als kritische Anmerkungen vor e<strong>in</strong>er<br />

Versammlung von motivierten Lehrkräften<br />

gesagt, sehr leicht ist, Schüler<br />

zu demotivieren.<br />

Auf dieser Grundlage der mitgebrachten<br />

Bildungsaspirationen und Bildungsmotivationen<br />

müssen die Schüler<br />

des <strong>Gymnasium</strong>s dazu befähigt<br />

werden, bestimmte Leistungen selbstständig<br />

zu erbr<strong>in</strong>gen und diszipl<strong>in</strong>ierte<br />

Arbeitshaltungen zu erlernen. Ich<br />

spreche hier also vor allem anderen<br />

von e<strong>in</strong>er Sozialisation, die das <strong>Gymnasium</strong><br />

erbr<strong>in</strong>gen muss – heute wahrsche<strong>in</strong>lich<br />

mehr denn je, weil es sich<br />

zum guten Teil um e<strong>in</strong>e »nachholende<br />

Sozialisation« handelt; e<strong>in</strong>e Sozialisation,<br />

die nachholt, was im Elternhaus<br />

oft und zunehmend mehr versäumt<br />

wurde und was <strong>in</strong> der Konsum- und<br />

Medienwelt der Jugendlichen e<strong>in</strong>e immer<br />

ger<strong>in</strong>gere Rolle spielt.<br />

E<strong>in</strong>e grundlegende<br />

Diszipl<strong>in</strong> ist die Voraussetzung<br />

für alle<br />

erfolgreichen und anspruchsvollen<br />

Lernprozesse<br />

– und um<br />

die soll es ja im <strong>Gymnasium</strong><br />

gehen. Nun<br />

ist »Diszipl<strong>in</strong>« – auch<br />

durch den Massenerfolg<br />

von Büchern,<br />

welche die Probleme<br />

nicht zu Ende denken<br />

– <strong>in</strong> der heutigen pädagogisch-politischen<br />

Diskussion zu e<strong>in</strong>em<br />

Schreckenswort geworden, sodass ich<br />

hierzu e<strong>in</strong>en erläuternden Satz sagen<br />

muss: Die »diszipl<strong>in</strong>ierten« Verhaltensweisen,<br />

die das Funktionieren der modernen<br />

Gesellschaft und auch der modernen<br />

Demokratie überhaupt ermöglichen,<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em vielhundertjährigen<br />

Prozess, den die Historiker den<br />

»Prozess der Zivilisation» oder »Sozialdiszipl<strong>in</strong>ierung»<br />

nennen, mühsam erworben,<br />

e<strong>in</strong>geübt und <strong>in</strong>ternalisiert<br />

worden, bevor sie dann als »Sekundärtugenden«<br />

geschmäht werden konnten<br />

– von Leuten übrigens, denen diese<br />

Sekundärtugenden ganz gut getan hätten.<br />

Aber, Hermann Lübbe hat immer<br />

wieder darauf h<strong>in</strong>gewiesen, diese »sekundären<br />

Tugenden« s<strong>in</strong>d nichts anderes<br />

als Verhaltensweisen, die <strong>in</strong> modernen<br />

Lebenszusammenhängen e<strong>in</strong>e<br />

»funktionale Bedeutung« haben und<br />

ohne die moderne Lebenszusammenhänge<br />

nicht funktionieren können. <strong>Das</strong><br />

gilt auch für die Schule: Fleiß und Ordnung,<br />

Diszipl<strong>in</strong> und Pünktlichkeit s<strong>in</strong>d<br />

die Voraussetzungen ihres Erfolgs als<br />

Institution; aber es s<strong>in</strong>d auch die Voraussetzungen<br />

für den <strong>in</strong>dividuellen<br />

Bildungserfolgs e<strong>in</strong>es jeden e<strong>in</strong>zelnen<br />

Schülers – und je anspruchsvoller die<br />

schulischen Anforderungen s<strong>in</strong>d, desto<br />

wichtiger werden diese Voraussetzungen.<br />

Diese Voraussetzungen e<strong>in</strong>zuüben<br />

und sich davon nichts abhandeln<br />

zu lassen, wäre also die erste, die<br />

pädagogische Anforderung, die ich an<br />

das <strong>Gymnasium</strong> der Zukunft stellen<br />

würde.<br />

Sodann stellt sich mir die Frage nach<br />

den didaktischen Verfahren und den<br />

Inhalten des gymnasialen Lernens.<br />

Diese Frage lässt sich am besten vom<br />

Abschluss her beantworten – von der<br />

Überlegung ausgehend, welches Ziel<br />

denn e<strong>in</strong> gymnasialer Bildungsgang,<br />

der nach acht oder neun Jahren beendet<br />

ist, erreicht haben soll. Früher<br />

ließ sich die Frage e<strong>in</strong>fach beantworten:<br />

Die Absolventen e<strong>in</strong>es <strong>Gymnasium</strong>s<br />

sollten »studierfähig« se<strong>in</strong>. Dieses<br />

Ziel ist längst stillschweigend preisgegeben<br />

worden; die Universitäten haben<br />

sich darauf e<strong>in</strong>gerichtet, dass sie<br />

Studienanfänger bekommen, die erst<br />

noch studierfähig gemacht werden<br />

müssen, und der gesamte »Bologna-<br />

Prozess« an den deutschen Hochschulen<br />

lässt sich überhaupt nur unter<br />

dieser Prämisse verstehen.<br />

Aber unabhängig von Kriterium der<br />

Studierfähigkeit wird man doch sagen<br />

können, dass der größte Teil der Gymnasialabsolventen<br />

zur Funktionselite<br />

der künftigen Gesellschaft gehören<br />

wird. Sie werden Schlüsselpositionen<br />

<strong>in</strong> der Gesellschaft besetzen, <strong>in</strong> der<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


Gymnasialtag 2010 PROF. DR. PETER J. BRENNER 15<br />

Verwaltung, im Recht, im Wirtschaftsleben,<br />

<strong>in</strong> der Politik, im Journalismus,<br />

<strong>in</strong> den Medien. In diesen Schlüsselstellen<br />

müssen sie dazu beitragen,<br />

nicht nur die Funktionsfähigkeit der<br />

Gesellschaft zu gewährleisten, sondern<br />

auch ihre Weiterentwicklung zu<br />

ermöglichen. Darauf muss sie das<br />

<strong>Gymnasium</strong> vorbereiten, <strong>in</strong>dem es ihnen<br />

Grundfähigkeiten und -fertigkeiten,<br />

»Schlüsselqualifikationen«, vermittelt,<br />

die für jede erfolgreiche und anspruchsvolle<br />

Tätigkeit erforderlich<br />

s<strong>in</strong>d. Dazu gehören die Fähigkeit zur<br />

Selbstmotivation, die Fähigkeit, se<strong>in</strong> eigenes<br />

Leben, Denken und Handeln zu<br />

organisieren und die eigenen Lernprozesse<br />

zu steuern, dauerhaft und kont<strong>in</strong>uierlich<br />

zu arbeiten und Rückschläge<br />

zu verkraften. Sodann müssen die Absolventen<br />

e<strong>in</strong>es <strong>Gymnasium</strong>s die Fähigkeit<br />

besitzen, sich <strong>in</strong> abstrakten<br />

Symbolsystemen sicher bewegen zu<br />

können, seien es solche der Naturwissenschaften,<br />

der Sprachen, der Literatur<br />

oder auch der modernen Medienund<br />

Lebenswelt. Und schließlich sollen<br />

sie <strong>in</strong> die Zukunft vorausschauend<br />

denken können und nicht nur abarbeiten,<br />

was ihnen vorgegeben wird. <strong>Das</strong><br />

alles s<strong>in</strong>d formale Merkmale – persönliche<br />

Eigenschaften, Verhaltensdispositionen,<br />

e<strong>in</strong> bestimmter Habitus, den<br />

das <strong>Gymnasium</strong> bei se<strong>in</strong>e Absolventen<br />

hervorgebracht haben soll.<br />

<strong>Das</strong> ist aber noch nicht alles. Am Ende<br />

sollen die Gymnasiasten auch etwas<br />

»wissen«. Und damit betrete ich<br />

e<strong>in</strong>es der schwierigsten und merkwürdigsten<br />

Problemfelder der Bildungsdiskussion.<br />

Denn es gehört zu<br />

den Eigenarten der deutschen Schuldiskussion,<br />

dass sie buchstäblich seit<br />

Jahrzehnten die Frage, was denn <strong>in</strong><br />

der Schule gelernt werden soll, nicht<br />

mehr diskutiert, sondern diese Frage<br />

den Praktikern überlässt – den Lehrplangestaltern,<br />

den Schulbuchautoren<br />

und am Ende den e<strong>in</strong>zelnen Lehrkräften<br />

<strong>in</strong> den Fachkonferenzen und <strong>in</strong><br />

den Klassenzimmern. Es gehört seit<br />

langem zum vornehmen Ton der Bildungswissenschaft,<br />

das »Wissen« verächtlich<br />

zu machen und an se<strong>in</strong>e Stelle<br />

die »Schlüsselqualifikationen«, die<br />

<strong>in</strong>zwischen auch wieder etwas verblasst<br />

s<strong>in</strong>d, die »Kompetenzen«, die<br />

»Lernspiralen«, das »Lernen lernen«<br />

zu setzen.<br />

Aber man kann ke<strong>in</strong>en Unterricht<br />

über nichts halten, und e<strong>in</strong>e Schule,<br />

die jeden Tag Unterricht <strong>in</strong> zwei oder<br />

drei Dutzend Fächern für Schüler verschiedener<br />

Alterstufen und auch verschiedener<br />

Interessens- und Motivationslagen<br />

anzubieten hat, muss sich<br />

sehr sorgfältig darüber klar werden,<br />

nicht nur wie, sondern auch was <strong>in</strong><br />

diesen Fächern gelernt werden soll.<br />

Der Ersatz des <strong>in</strong>haltsschweren, trägen,<br />

materiellen Wissens durch luftige<br />

Kompetenzen ist sicher die Erbsünde<br />

der Schulreform <strong>in</strong> den siebziger Jahren<br />

gewesen, und das <strong>Gymnasium</strong> hat<br />

<strong>in</strong> ganz besonderem Maße an dieser<br />

Sünde teil. <strong>Das</strong>s Berufswissen veraltet<br />

und dass deshalb se<strong>in</strong> Erwerb auf der<br />

Schule nicht lohnt, mag richtig se<strong>in</strong>,<br />

auch wenn sich darüber von Fall zu<br />

Fall streiten ließe. Nicht darüber streiten<br />

aber lässt sich, dass e<strong>in</strong>e Gesellschaft<br />

ohne die kulturellen B<strong>in</strong>dekräfte<br />

e<strong>in</strong>es kanonisierten Wissens aus allen<br />

Kulturbereichen vom Zerfall bedroht<br />

ist. <strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> hat das früher<br />

e<strong>in</strong>mal gewusst, als es noch <strong>in</strong> der<br />

Bereitschaft zur entschlossenen Aneignung<br />

von großen und manchmal<br />

durchaus nutzlosen – Stichwort »Late<strong>in</strong>«<br />

– Wissensbeständen den Ausweis<br />

für höhere Bildung gesehen hatte.<br />

<strong>Das</strong> zielte durchaus nicht nur auf<br />

die <strong>in</strong>dividuelle Bildung oder gar nur<br />

auf Berufsbefähigung des e<strong>in</strong>zelnen<br />

Schülers; es zielte immer auch darauf,<br />

dass an jeder Schulart, und am <strong>Gymnasium</strong><br />

im besonderen Maße, Kulturgüter<br />

gepflegt und weiterentwickelt<br />

werden, die die Identität der Gesellschaft<br />

ausmachen und damit e<strong>in</strong>en<br />

Beitrag zur Stärkung der sozialen B<strong>in</strong>dekräfte<br />

leisten. Der gymnasiale Lehrplan<br />

muss also die schulische und die<br />

berufliche Qualifikation se<strong>in</strong>er Schüler<br />

e<strong>in</strong>betten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en kulturellen Kontext,<br />

der personale Identität und soziale Integration<br />

mite<strong>in</strong>ander verb<strong>in</strong>det.<br />

<strong>Das</strong> Spektrum dieser Wissensbestände<br />

ist leicht zu benennen. In ihrem<br />

Kern haben sie e<strong>in</strong>e lange Tradition;<br />

und sie werden auch <strong>in</strong> der aktuellen<br />

Diskussionen immer mal wieder aufgefrischt.<br />

Die Schule, jede Schule, vermittelt<br />

historisch-politische, mathematisch-naturwissenschaftliche<br />

– wir<br />

werden heute noch die <strong>in</strong>formationstechnologischen<br />

h<strong>in</strong>zufügen –, sprachliche<br />

und ästhetisch-expressive<br />

Kenntnisse und Fähigkeiten. In diesen<br />

Unterrichtsfeldern bewegt sich auch<br />

das <strong>Gymnasium</strong>; hier muss es sich def<strong>in</strong>ieren<br />

und positionieren, <strong>in</strong>dem es<br />

e<strong>in</strong>e gymnasiale Auswahl aus diesen<br />

unabsehbaren Wissensbeständen<br />

trifft und sie auf e<strong>in</strong>em gymnasialen<br />

Niveau unterrichtet.<br />

Um zum Schluss zu kommen: <strong>Das</strong><br />

<strong>Gymnasium</strong> wird sich <strong>in</strong> der Konkurrenz<br />

der Schularten nur dann behaupten<br />

können, wenn es auf diesem Wege<br />

e<strong>in</strong> curriculares und unterrichtsmethodisches<br />

Profil gew<strong>in</strong>nt. Es muss<br />

sich entscheiden, ob es allen alles lehren<br />

will oder ob es sich an e<strong>in</strong>e Schülerschaft<br />

mit gehobenen Ambitionen,<br />

gehobenen Leistungsansprüchen richtet,<br />

die bereit s<strong>in</strong>d, sich Exzellenz zu<br />

erwerben und entsprechende Anstrengungen<br />

zu unternehmen. <strong>Das</strong><br />

<strong>Gymnasium</strong> muss bereit se<strong>in</strong>, entgegen<br />

den Trends und entgegen den<br />

Versuchungen des bildungspolitischen<br />

Zeitgeists, an sich selbst und<br />

se<strong>in</strong>e Schüler klar def<strong>in</strong>ierte Leistungsanforderungen<br />

zu stellen, die<br />

sich auf e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache Formel br<strong>in</strong>gen<br />

lassen: Viel wissen und klar denken.<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


16<br />

EINFÜHRUNG IN DEN NACHMITTAG Gymnasialtag 2010<br />

Bartholome von der Aufsichts- und<br />

Dienstleistungsdirektion Trier.<br />

E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> den Nachmittag<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n der Nachmittagsveranstaltung begrüßte der Landesvorsitzende<br />

Malte Blümke die Referenten des Nachmittags Bildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong><br />

Doris Ahnen und Professor David S. Di Fuccia vom Deutschen <strong>Philologenverband</strong><br />

und führte <strong>in</strong> die Thematik des Nachmittags e<strong>in</strong>.<br />

Me<strong>in</strong>e Damen und Herren,<br />

liebe Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen,<br />

zu dem zweiten Teil des Gymnasialtags<br />

»Die Zukunft des <strong>Gymnasium</strong>s«<br />

darf ich Sie ganz herzlich begrüßen.<br />

Heute Morgen haben wir uns mit der<br />

Zukunft des <strong>Gymnasium</strong>s aus wissenschaftlicher<br />

Sicht ause<strong>in</strong>andergesetzt.<br />

Wir haben dazu Professor Dr. Peter J.<br />

Brenner von der Technischen Universität<br />

München gehört, der uns e<strong>in</strong>e<br />

kritische Bestandsaufnahme der Situation<br />

des heutigen <strong>Gymnasium</strong>s geliefert<br />

hat. <strong>Das</strong> Fragezeichen h<strong>in</strong>ter<br />

se<strong>in</strong>em Vortragsmotto »<strong>Das</strong> deutsche<br />

<strong>Gymnasium</strong> – Schule mit Zukunft ?«<br />

haben wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong> deutliches Ausrufezeichen<br />

verwandeln können, zum<strong>in</strong>dest<br />

aus der Sicht des <strong>Gymnasium</strong>s.<br />

Bildung ist allerd<strong>in</strong>gs ohne Bildungspolitik<br />

nicht denkbar. Hier werden<br />

die Weichen gestellt und, vor allen<br />

D<strong>in</strong>gen, die notwendigen Ressourcen<br />

bereit gestellt. Als Vertreter der Legislative<br />

darf ich die Landtagsabgeordneten<br />

und bildungspolitischen<br />

Sprecher<strong>in</strong>nen der drei Landtagsfraktionen<br />

Ulla Brede-Hoffmann von<br />

der SPD, Bett<strong>in</strong>a Dickes von der CDU<br />

und Nicole Morsblech von der FDP<br />

herzlich begrüßen.<br />

Als Vertretung der Exekutive ist Bildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong><br />

Doris Ahnen zu uns<br />

gekommen und wird gleich e<strong>in</strong>e<br />

Grundsatzrede zum rhe<strong>in</strong>land-pfälzischen<br />

<strong>Gymnasium</strong> halten. Doris Ahnen<br />

wird begleitet von Barbara Mathea<br />

vom Bildungsm<strong>in</strong>isterium und Thomas<br />

Von den Verbänden und Gewerkschaften<br />

darf ich Gerhard Bold, den<br />

stellvertretenden Vorsitzenden des<br />

Deutschen Beamtenbundes, Bernd<br />

Karst und Wolfgang Wünschel vom<br />

Deutschen Realschullehrerverband,<br />

Wolfgang Kuert vom Elternforum Bildung<br />

Niedersachsen und Dr. Irmtraud<br />

Heym, die Vorsitzende des Elternvere<strong>in</strong>s<br />

Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> und Mitglied des<br />

Bildungsbündnisses Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong>,<br />

Dr. Dirk Hannowsky von der Landesvere<strong>in</strong>igung<br />

der Unternehmerverbände<br />

Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong>, vom <strong>Philologenverband</strong><br />

Professor Dr. David-S. Di Fuccia,<br />

Mitglied des Bundesvorstandes,<br />

Max Laveuve, Ehrenvorsitzender <strong>Philologenverband</strong><br />

Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong>, Hubert<br />

Schmitz, Ehrenvorsitzender <strong>Philologenverband</strong><br />

Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong>, Werner<br />

Schuff, Hofenfels-<strong>Gymnasium</strong><br />

Zweibrücken und Dr. Günther Serfas,<br />

Gauß-<strong>Gymnasium</strong> Worms sehr herzlich<br />

begrüßen.<br />

Bei der letzten Vertreterversammlung<br />

<strong>in</strong> Kaiserslautern hat Bildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong><br />

Doris Ahnen zum Schluss gesagt,<br />

wir wüssten ja nicht, was wir dem Bildungsm<strong>in</strong>isterium<br />

alles zu verdanken<br />

hätten; sie me<strong>in</strong>te damit natürlich den<br />

Erhalt des <strong>Gymnasium</strong>s und auch e<strong>in</strong>ige<br />

berufspolitische Entscheidungen,<br />

die wir natürlich gerne würdigen, wie<br />

auch den konstruktiven und allerd<strong>in</strong>gs<br />

auch kritischen Dialog, den wir<br />

seit Jahren mit der M<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> und<br />

den Vertreter<strong>in</strong>nen und Vertretern<br />

des Bildungsm<strong>in</strong>isteriums pflegen.<br />

Seit 1991 hat die Staatsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> Doris<br />

Ahnen verantwortliche Positionen<br />

im Bildungsm<strong>in</strong>isterium übernommen.<br />

Heute leitet sie das Superm<strong>in</strong>isterium<br />

Bildung, Wissenschaft, Jugend<br />

und Kultur und ist als profilierte Bildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong><br />

auch Sprecher<strong>in</strong> für<br />

die SPD-Bildungspolitik der Länder.<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


Gymnasialtag 2010 EINFÜHRUNG IN DEN NACHMITTAG 17<br />

Es ist nicht neu, dass die SPD <strong>in</strong>tegrative<br />

Schulsysteme präferiert, aktuell<br />

spricht man von längerem geme<strong>in</strong>samem<br />

Lernen. Deshalb ist es spannend,<br />

dass wir mit Prof. Dr. David-<br />

Samuel Di Fuccia gleichsam e<strong>in</strong>en Gegenpol<br />

dazu e<strong>in</strong>geladen haben. In se<strong>in</strong>em<br />

Vortrag »Die Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s<br />

<strong>in</strong> der Bildungsrepublik<br />

Deutschland« wird sich Professor Dr.<br />

Di Fuccia von der Universität Kassel,<br />

der sich trotz se<strong>in</strong>es jugendlichen Alters<br />

als Didaktiker im Fach Chemie e<strong>in</strong>en<br />

Namen gemacht hat, für das gegliederte<br />

Schulwesen e<strong>in</strong>setzen.<br />

Frau M<strong>in</strong>ister<strong>in</strong>, sie haben Ihren Vortrag<br />

so benannt: »Leistungsfähigkeit<br />

und Chancengleichheit: Die Rolle des<br />

<strong>Gymnasium</strong>s im rhe<strong>in</strong>land-pfälzischen<br />

Bildungssystem«<br />

Wir können uns sehr gut vorstellen,<br />

dass das <strong>Gymnasium</strong> <strong>in</strong> Deutschland<br />

und <strong>in</strong>sbesondere das <strong>Gymnasium</strong> <strong>in</strong><br />

Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> als älteste und erfolgreichste<br />

aller Schulformen zu e<strong>in</strong>em<br />

Zukunftsmodell <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em modernen<br />

Bildungssystem werden kann.<br />

Die rhe<strong>in</strong>land-pfälzischen Gymnasien<br />

s<strong>in</strong>d bei den <strong>in</strong>ternationalen Vergleichsuntersuchungen<br />

stets vorne zu<br />

f<strong>in</strong>den. Bei PISA 2006 haben sie im<br />

bundesweiten Vergleich der Gymnasien<br />

im Lesen, den Naturwissenschaften<br />

und <strong>in</strong> Mathematik die Plätze 2, 3<br />

und 7 belegt.<br />

Wenn 32 Prozent von fast 139 000<br />

Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler <strong>in</strong> diesem<br />

Schuljahr Late<strong>in</strong> lernen, dann zeigt<br />

dies unter anderem, dass das <strong>Gymnasium</strong><br />

sich se<strong>in</strong>en humanistischen<br />

Wurzeln verpflichtet fühlt und der<br />

philologischen Bildung und der Allgeme<strong>in</strong>bildung<br />

nach wie vor e<strong>in</strong>en hohen<br />

Stellenwert e<strong>in</strong>räumt.<br />

In ke<strong>in</strong>em anderen westdeutschen<br />

Bundesland ist der Zusammenhang,<br />

unabhängig von der sozialen Herkunft<br />

e<strong>in</strong> <strong>Gymnasium</strong> zu besuchen, so ger<strong>in</strong>g,<br />

wie an den Gymnasien <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong>.<br />

Letztlich geht es um die<br />

Frage der Chancengleichheit. Selbstverständlich<br />

muss e<strong>in</strong> demokratisches<br />

Schulsystem e<strong>in</strong> möglichst hohes<br />

Maß an Chancengleichheit gewährleisten.<br />

Hier braucht es ke<strong>in</strong>e<br />

ständigen Schulstrukturveränderungen.<br />

Bei konsequenter Sprach- und<br />

Leseförderung <strong>in</strong> Deutsch haben<br />

Schüler mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund die<br />

gleichen Bildungschancen wie Schüler<br />

ohne Migrationsh<strong>in</strong>tergrund, wie<br />

die PISA-Teilstudie »Herkunftsbed<strong>in</strong>gte<br />

Disparitäten im Bildungswesen« beweist.<br />

Da es aber e<strong>in</strong>e absolute Chancengleichheit<br />

nicht gibt – und die gab es<br />

auch nicht im Schulsystem der DDR<br />

–, dann ist es besser, von Chancengerechtigkeit<br />

zu sprechen. <strong>Das</strong> bedeutet,<br />

dass jeder das Recht hat, gemäß<br />

se<strong>in</strong>en Begabungen und Anstrengungen<br />

e<strong>in</strong>e bestmögliche Förderung<br />

zu erhalten und dass er dazu<br />

<strong>in</strong> die Lage versetzt wird, se<strong>in</strong>e Fähigkeiten,<br />

Fertigkeiten und Kenntnisse<br />

bestmöglich zu entwickeln und zu<br />

entfalten.<br />

Deshalb muss das <strong>Gymnasium</strong> der<br />

Zukunft e<strong>in</strong>e Leistungsschule bleiben,<br />

die den sozialen Aufstieg<br />

durch Leistung ermöglicht.<br />

Wie kann das <strong>Gymnasium</strong> diese Anforderungen<br />

erfüllen?<br />

Die Unterf<strong>in</strong>anzierung der Schulen,<br />

vor allem der Gymnasien, immer neue<br />

Strukturveränderungen, bildungspolitischer<br />

Aktionismus, e<strong>in</strong>e verfehlte<br />

Lehrerbildung im Zuge des Bolognaprozesses,<br />

e<strong>in</strong>e umstrittene Reform<br />

des Lehrerfortbildungs<strong>in</strong>stitutes, fragwürdige<br />

Qualitätssicherungsmaßnahmen<br />

und gesellschaftspolitisch motivierte<br />

Infragestellungen des gegliederten<br />

Schulsystems lassen allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>en<br />

rapiden Niveauverlust befürchten<br />

und beh<strong>in</strong>dern die Leistungsfähigkeit<br />

und Funktionsfähigkeit der Gymnasien,<br />

deren Kerngeschäft für uns nach<br />

wie vor der Unterricht se<strong>in</strong> muss!<br />

Wir s<strong>in</strong>d sehr gespannt, wie die Landesregierung<br />

die Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s<br />

<strong>in</strong> der Zukunft, vor allem nach<br />

der Landtagswahl am 27. März <strong>2011</strong>,<br />

sieht und freuen uns deshalb auf Ihren<br />

Vortrag, sehr geehrte Frau M<strong>in</strong>ister<strong>in</strong>.<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


18<br />

VORTRAG Gymnasialtag 2010<br />

Leistungsfähigkeit und<br />

Chancengleichheit: Die Rolle<br />

des <strong>Gymnasium</strong>s im rhe<strong>in</strong>landpfälzischen<br />

Bildungssystem<br />

Bildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> Doris Ahnen<br />

Rede von M<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> Doris Ahnen beim Gymnasialtag des <strong>Philologenverband</strong>es<br />

Sehr geehrter Herr Blümke,<br />

sehr geehrte Damen und Herren,<br />

gerne habe ich die E<strong>in</strong>ladung angenommen,<br />

aus Anlass des Gymnasialtages<br />

des <strong>Philologenverband</strong>es mit Ihnen geme<strong>in</strong>sam<br />

zu erörtern, welche Rolle das<br />

<strong>Gymnasium</strong> aktuell und künftig im Rahmen<br />

des gesamten Bildungssystems<br />

spielen kann und spielen soll. <strong>Das</strong>s es<br />

e<strong>in</strong>e sehr wichtige Rolle ist, daran besteht<br />

für mich ke<strong>in</strong> Zweifel.<br />

Es ist e<strong>in</strong> zentrales Ziel rhe<strong>in</strong>land-pfälzischer<br />

Bildungspolitik, möglichst vielen<br />

Menschen die aktive Teilhabe an Bildung<br />

zu ermöglichen – von der K<strong>in</strong>dertagesstätte<br />

über Schulen und Hochschulen<br />

bis h<strong>in</strong> zu Weiterbildungse<strong>in</strong>richtungen.<br />

Gleiche Bildungschancen<br />

s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> zentraler Maßstab für soziale<br />

Gerechtigkeit und Chancengleichheit <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Gesellschaft. Bildung ermöglicht<br />

Teilhabe am gesellschaftlichen Leben,<br />

Bildung eröffnet Chancen. Menschen<br />

müssen deshalb unabhängig von ihrer<br />

sozialen Herkunft Zugang zu e<strong>in</strong>er guten<br />

Bildung auf fachlich wie pädagogisch<br />

hohem Niveau erhalten.<br />

In diesem S<strong>in</strong>ne s<strong>in</strong>d für mich Leistungsfähigkeit<br />

und Chancengleichheit<br />

zwei Seiten e<strong>in</strong>er Medaille. <strong>Das</strong> gilt für<br />

das Bildungssystem <strong>in</strong>sgesamt, aber<br />

auch für das <strong>Gymnasium</strong> im Besonderen.<br />

Und dazu gibt es ke<strong>in</strong>e Alternative.<br />

Leistungsfähigkeit ohne Chancengleichheit<br />

wäre <strong>in</strong> hohem Maße unsozial. Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus muss man ganz nüchtern<br />

sagen: Wir können es uns re<strong>in</strong> wirtschaftlich<br />

betrachtet gar nicht leisten,<br />

Menschen im Verlauf der Ausbildungskette<br />

zu verlieren.<br />

Chancengleichheit ohne Leistungsfähigkeit<br />

dagegen würde unseren jungen<br />

Menschen die Möglichkeit verbauen,<br />

hochqualifizierte Arbeitsplätze auszufüllen.<br />

Auch das ist sozial- wie bildungspolitisch<br />

und ökonomisch nicht akzeptabel.<br />

Der Vorsitzende des Deutschen <strong>Philologenverband</strong>es<br />

hat das so formuliert:<br />

»Chancengerechtigkeit erreicht man im<br />

Bildungswesen am besten durch <strong>in</strong>dividuelle<br />

Förderung jedes E<strong>in</strong>zelnen auf der<br />

e<strong>in</strong>en Seite und das klare Bekenntnis zu<br />

Qualität und Leistung auf der anderen<br />

Seite!«<br />

Leistungsfähigkeit und Chancengleichheit<br />

– das ist aus me<strong>in</strong>er Sicht die große<br />

Herausforderung an das <strong>Gymnasium</strong><br />

der Zukunft.<br />

Ich würde übrigens eher vom »<strong>Gymnasium</strong><br />

der Zukunft« sprechen als von der<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


Gymnasialtag 2010 BILDUNGSMINISTERIN DORIS AHNEN 19<br />

»Zukunft des <strong>Gymnasium</strong>s«. Denn es<br />

geht ja nicht primär darum, e<strong>in</strong>e<br />

Schulart zu pflegen und möglichst gut<br />

<strong>in</strong> die Zukunft zu geleiten. Es geht aus<br />

me<strong>in</strong>er Sicht gerade umgekehrt darum<br />

zu prüfen, was das <strong>Gymnasium</strong><br />

<strong>in</strong> der Zukunft leisten soll und muss<br />

und welche Rolle es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er sich verändernden<br />

Bildungs- und Schullandschaft<br />

spielen soll.<br />

Diese Frage ist übrigens nicht neu. Ich<br />

b<strong>in</strong> sogar der Überzeugung, dass es<br />

gerade die Stärke der Schulart <strong>Gymnasium</strong><br />

ausmacht, diese Frage immer<br />

wieder neu zu stellen und immer wieder<br />

neu zu beantworten. In der Antrittsrede<br />

e<strong>in</strong>es neu bestellten Schulleiters<br />

e<strong>in</strong>es <strong>Gymnasium</strong>s aus dem<br />

Schuljahr 1901/1902 heißt es bezeichnenderweise:<br />

»Wie soll das <strong>Gymnasium</strong><br />

diese ihm ... gestellte Aufgabe lösen,<br />

wenn es <strong>in</strong> Wahrheit e<strong>in</strong> modernes<br />

<strong>Gymnasium</strong> se<strong>in</strong> will, welches sich<br />

nicht stolz abwendet von den Bedürfnissen<br />

der Gegenwart.« 1<br />

Wenn man heute diese Frage beantworten<br />

will, ist es durchaus s<strong>in</strong>nvoll,<br />

sich zunächst darauf zu bes<strong>in</strong>nen,<br />

welches die Stärken der Schulart<br />

<strong>Gymnasium</strong> s<strong>in</strong>d und wie man diese<br />

Stärken für die Aufgaben der Zukunft<br />

nutzen kann.<br />

<strong>Das</strong>s das <strong>Gymnasium</strong> ausgeprägte<br />

Stärken hat, ist für mich übrigens ke<strong>in</strong>e<br />

Frage. Sie zeigen sich sowohl <strong>in</strong> Bereichen,<br />

<strong>in</strong> denen sich Gymnasien besonders<br />

profilieren, als auch im<br />

»Kerngeschäft« von Schule, nämlich<br />

beim Kompetenzerwerb <strong>in</strong> zentralen<br />

Fächern.<br />

1 Bericht des <strong>Gymnasium</strong>s zu Stendal über<br />

das Schuljahr 1901/1902, erstattet vom<br />

Direktor Dr. A. Zehme. – Antrittsrede des<br />

Direktors: »Ziel und Aufgabe des <strong>Gymnasium</strong>s<br />

nach den neuen Lehrplänen von<br />

1901.«<br />

Im ersten Bereich möchte ich als Beispiel<br />

die Erfolge bei der Begabtenförderung<br />

oder im MINT-Bereich nennen. So<br />

haben aktuell schon zwölf rhe<strong>in</strong>landpfälzische<br />

Gymnasien nach e<strong>in</strong>em bundesweiten<br />

Auswahlverfahren den Titel<br />

MINT-EC-Schule (Mathematisch-naturwissenschaftliches<br />

Excellence-Center)<br />

erhalten. In dem alle zwei Jahre stattf<strong>in</strong>denden<br />

Wettbewerb für MINT-EC-Schulen<br />

»Siemens Award«, <strong>in</strong> dem die überzeugendsten<br />

pädagogischen und methodischen<br />

Konzepte ausgezeichnet<br />

werden, s<strong>in</strong>d rhe<strong>in</strong>land-pfälzische Gymnasien<br />

immer unter den Siegern gewesen.<br />

2008 g<strong>in</strong>gen drei von zehn Preisen<br />

nach Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong>. <strong>Das</strong> ist e<strong>in</strong> wirklich<br />

beachtlicher Erfolg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em zukunftsrelevanten<br />

Bereich.<br />

Die Erfolge im zweiten Bereich, dem<br />

Kompetenzerwerb aller Schüler<strong>in</strong>nen<br />

und Schüler, bestätigen unter anderem<br />

die nationalen und <strong>in</strong>ternationalen<br />

Tests. Ohne die Ergebnisse überbewerten<br />

zu wollen, kann man es<br />

schon als Erfolg ansehen, dass Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />

über alle Schularten h<strong>in</strong>weg<br />

<strong>in</strong> PISA 2006 im Vergleich zu den beiden<br />

ersten PISA-Durchgängen <strong>in</strong> den<br />

Jahren 2000 und 2003 <strong>in</strong> allen drei untersuchten<br />

Aufgabenfeldern deutliche<br />

Kompetenzzuwächse auf von Anfang<br />

an gutem Niveau verzeichnen konnte,<br />

die jeweils über dem bundesweiten<br />

Zuwachs lagen.<br />

Bei den Platzierungen der Bundesländer<br />

lag Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> <strong>in</strong> allen drei<br />

untersuchten Aufgabenfeldern im ersten<br />

Drittel. Die Gymnasien nahmen <strong>in</strong><br />

den Naturwissenschaften und im Lesen<br />

mit e<strong>in</strong>em dritten und e<strong>in</strong>em zweiten<br />

Platz sogar Spitzenpositionen e<strong>in</strong>.<br />

Dabei muss man sagen, dass die Lesekompetenz<br />

<strong>in</strong> den Gymnasien auch <strong>in</strong><br />

den vorherigen Studien hoch war. In<br />

den Naturwissenschaften und <strong>in</strong> Mathematik<br />

dagegen s<strong>in</strong>d von 2000 über<br />

2003 bis 2006 deutliche Zuwächse zu<br />

verzeichnen. Dem <strong>Gymnasium</strong> ist es<br />

also gelungen, das hohe Leistungsniveau<br />

noch zu steigern. Und das bei<br />

gleichzeitiger Expansion der Schülerzahl.<br />

<strong>Das</strong> will ich an dieser Stelle ausdrücklich<br />

hervorheben.<br />

Auch mit den Ergebnissen, die die<br />

Überprüfung des Erreichens der Bildungsstandards<br />

<strong>in</strong> Deutsch, Englisch<br />

und Französisch <strong>in</strong> den Jahren 2008<br />

und 2009 erbrachten, können wir sehr<br />

zufrieden se<strong>in</strong>.<br />

Insgesamt zeigen die Ergebnisse der<br />

<strong>in</strong>ternationalen Erhebungen, dass <strong>in</strong><br />

den Schulen <strong>in</strong> der Regel sehr gute<br />

Arbeit geleistet wird. Und dafür möchte<br />

ich an dieser Stelle Ihnen, me<strong>in</strong>e<br />

Damen und Herren, stellvertretend<br />

für alle Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen <strong>in</strong><br />

den Schulen, ganz ausdrücklich danken.<br />

Gute Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für<br />

Schulen s<strong>in</strong>d wichtig. Gute Lehrpläne<br />

und Standards zusammen mit regelmäßiger<br />

Evaluation helfen, Qualität zu<br />

sichern. Aber all das wird erst lebendig<br />

und für die Schüler<strong>in</strong>nen und<br />

Schüler wirksam durch fachlich wie<br />

pädagogisch qualifizierte und engagierte<br />

Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer.<br />

Sie können sicher se<strong>in</strong>, me<strong>in</strong>e Damen<br />

und Herren, dass die Leistungen, die<br />

Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer tagtäglich <strong>in</strong><br />

ihrer wichtigen Aufgabe erbr<strong>in</strong>gen,<br />

von der rhe<strong>in</strong>land-pfälzischen Landesregierung<br />

<strong>in</strong> hohem Maße wertgeschätzt<br />

werden. Und Sie können sicher<br />

se<strong>in</strong>, dass die Gymnasien durch<br />

das Bildungsm<strong>in</strong>isterium dar<strong>in</strong> unterstützt<br />

werden, auch die Herausforderungen<br />

der Zukunft gut zu bewältigen.<br />

Wir haben e<strong>in</strong> großes Interesse daran,<br />

für alle Schulen und speziell auch für<br />

die Gymnasien gute Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

zu schaffen, damit sie ihren<br />

Bildungs- und Erziehungsauftrag erfüllen<br />

können.<br />

Aus diesem Grund haben wir <strong>in</strong><br />

Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Punkten<br />

durchaus Entscheidungen getroffen,<br />

die sich vom Ma<strong>in</strong>stream der anderen<br />

Länder unterscheiden, weil wir der ><br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


20<br />

VORTRAG Gymnasialtag 2010<br />

Überzeugung s<strong>in</strong>d, so bessere Grundlagen<br />

für e<strong>in</strong>e qualitativ hochwertige<br />

gymnasiale Bildung für viele Schüler<strong>in</strong>nen<br />

und Schüler schaffen zu können.<br />

Als erstes Beispiel möchte ich das<br />

achtjährige <strong>Gymnasium</strong> nennen. Der<br />

verantwortungsvolle Umgang mit der<br />

Lebenszeit junger Menschen war und<br />

ist dabei für die rhe<strong>in</strong>land-pfälzische<br />

Landesregierung e<strong>in</strong> wichtiger Qualitätsmaßstab<br />

schulischer Bildung.<br />

Aber wir wissen und berücksichtigen<br />

auch, dass Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler<br />

unterschiedlich s<strong>in</strong>d und dass die Bewältigung<br />

der Unterrichts<strong>in</strong>halte <strong>in</strong><br />

kürzerer Zeit durchaus besondere Anforderungen<br />

stellt. Deshalb haben wir<br />

das achtjährige <strong>Gymnasium</strong> nicht flächendeckend<br />

e<strong>in</strong>geführt, sondern an<br />

ausgewählten Standorten. Lehrkräfte,<br />

Eltern und Schulträger entscheiden<br />

geme<strong>in</strong>sam.<br />

<strong>Das</strong> war sicher e<strong>in</strong>e der schwierigsten<br />

Entscheidungen <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Verantwortungsbereich,<br />

für die ich jahrelang<br />

um politische Akzeptanz kämpfen<br />

musste.<br />

Wir wissen auch und berücksichtigen,<br />

dass die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler,<br />

die sich für den verkürzten Weg entscheiden,<br />

e<strong>in</strong>e besondere Förderung<br />

brauchen. Deshalb haben wir das<br />

achtjährige <strong>Gymnasium</strong> mit e<strong>in</strong>er verpflichtenden<br />

Ganztagsschule verbunden.<br />

<strong>Das</strong> schließt e<strong>in</strong>e angemessene<br />

Mittagspause und e<strong>in</strong> ordentliches<br />

Mittagessen mit e<strong>in</strong>. Ke<strong>in</strong> Land hat<br />

bessere Bed<strong>in</strong>gungen für G 8-Schulen!<br />

Wir wissen, dass sowohl die Lehrkräfte<br />

als auch die Schulträger Unterstützung<br />

bei der Umsetzung des achtjährigen<br />

<strong>Gymnasium</strong>s brauchen. Deshalb unterstützen<br />

wir die achtjährigen Gymnasien<br />

materiell durch F<strong>in</strong>anzmittel und<br />

Lehrerstunden, aber auch <strong>in</strong> der Entwicklung<br />

geeigneter pädagogischer<br />

Konzepte. Und wir unterstützen die<br />

Schulträger durch e<strong>in</strong>e großzügige Förderung<br />

erforderlicher Baumaßnahmen.<br />

Wir hatten uns vorgenommen, im Verlauf<br />

dieser Legislaturperiode rund<br />

fünfzehn Gymnasien mit achtjährigem<br />

Bildungsgang zu etablieren. Dieses<br />

Ziel haben wir mit siebzehn G 8 GTS-<br />

Gymnasien <strong>in</strong> vollem Umfang erreicht.<br />

Und das auf freiwilliger Basis!<br />

Nur dort, wo die Schulgeme<strong>in</strong>schaft<br />

und der Schulträger dies wollten und<br />

die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen erfüllt waren,<br />

wurde e<strong>in</strong> achtjähriges <strong>Gymnasium</strong><br />

mit Ganztagsschule errichtet.<br />

E<strong>in</strong> weiteres Beispiel ist die Qualitätssicherung<br />

beim Abitur. Auch <strong>in</strong> diesem<br />

Punkt hat Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> e<strong>in</strong>en<br />

anderen Weg e<strong>in</strong>geschlagen als die<br />

Mehrheit der Länder. Und ich sage Ihnen<br />

ganz offen: Entscheidend ist für<br />

mich, ob Veränderungen e<strong>in</strong>en Qualitätsgew<strong>in</strong>n<br />

br<strong>in</strong>gen.<br />

<strong>Das</strong> sehe ich derzeit beim Zentralabitur<br />

nicht. Schon im Zusammenhang mit<br />

der TIMSS-Studie wurde festgestellt,<br />

dass »ke<strong>in</strong>e konsistenten Zusammenhänge<br />

zwischen Organisationen der Abiturprüfung<br />

und Fachleistungen« zu erkennen<br />

s<strong>in</strong>d. Auch neuere Untersuchungen<br />

ergeben, dass die Annahme,<br />

zentrale Abiturprüfungen hätten »generell<br />

e<strong>in</strong>e stärkere Standardisierungsfunktion«,<br />

nicht belegt werden kann. 2<br />

In Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> haben wir e<strong>in</strong> klar<br />

geregeltes zentrales Verfahren zur<br />

Qualitätssicherung <strong>in</strong> der Abiturprüfung,<br />

das sich über viele Jahre gut bewährt<br />

hat. Es wird im engen Kontakt<br />

mit den Fachleuten aus den Schulen<br />

regelmäßig auf die Notwendigkeit von<br />

Weiterentwicklungen überprüft.<br />

Grundlage s<strong>in</strong>d die bundesweit geltenden<br />

E<strong>in</strong>heitlichen Prüfungsanforderungen<br />

für das Abitur (EPA). Damit ist<br />

auch e<strong>in</strong>e Vergleichbarkeit über das<br />

Land h<strong>in</strong>aus gegeben. Gerade haben<br />

wir das Verfahren zur Überprüfung<br />

und Auswahl der Aufgaben für die<br />

schriftliche Abiturprüfung <strong>2011</strong> abgeschlossen,<br />

und ich kann feststellen,<br />

dass sich die Ergebnisse <strong>in</strong> der Summe<br />

wirklich sehen lassen können.<br />

Über das Engagement der Lehrer<strong>in</strong>nen<br />

und Lehrer wurde schon so manche<br />

Innovation auf besserem Weg <strong>in</strong><br />

2 Untersuchung von Frau Prof. Dr. Isabell<br />

von Ackeren u.a. »Abituraufgaben <strong>in</strong> zentralen<br />

und dezentralen Prüfungsverfahren.<br />

Analysen zur Steuerungswirkung adm<strong>in</strong>istrativer<br />

Vorgaben« von Anfang 2010<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


Gymnasialtag 2010 BILDUNGSMINISTERIN DORIS AHNEN 21<br />

die Schulen gebracht als durch von<br />

oben verordnete zentrale Aufgabenstellungen.<br />

Mit geradezu naiver Begeisterung<br />

wird jetzt gerade wieder e<strong>in</strong><br />

bundesweites Abitur diskutiert. Ich<br />

werde dabei den E<strong>in</strong>druck nicht los,<br />

dass es sich um e<strong>in</strong>e bloße Ersatzdebatte<br />

handelt. Würde es e<strong>in</strong>geführt,<br />

hätten wir am Ende sicherlich ähnlich<br />

wie am Ende bei G 8 e<strong>in</strong>e Debatte<br />

über den Profilverlust der Schulen <strong>in</strong><br />

den Ländern! Deshalb me<strong>in</strong>e ich, dass<br />

<strong>in</strong> dieser Debatte um das Zentralabitur<br />

– auch von Seiten der Verbände –<br />

frühzeitig mitdiskutiert werden muss!<br />

Auch bei den Neuregelungen zur<br />

gymnasialen Oberstufe, die uns durch<br />

den Beschluss der Kultusm<strong>in</strong>isterkonferenz<br />

von 2008 aufgegeben waren,<br />

haben wir eigene Akzente gesetzt. Unser<br />

Ziel war es, Bewährtes zu erhalten<br />

und Neuerungen mit Augenmaß vorzunehmen.<br />

Ich will hier nicht die Details<br />

erläutern, aber e<strong>in</strong>ige zentrale<br />

Beispiele nennen.<br />

Die Struktur der Grund- und Leistungsfächer<br />

hat sich <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<br />

<strong>Pfalz</strong> gut bewährt, sodass wir sie beibehalten<br />

wollen. Auch die Anzahl von<br />

drei Leistungsfächern wird sich nicht<br />

verändern. Ich sehe ke<strong>in</strong>en Vorteil dar<strong>in</strong>,<br />

wenn fünf oder sechs Fächer auf<br />

»erhöhtem Anforderungsniveau« zu<br />

belegen s<strong>in</strong>d, wie das <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Ländern<br />

der Fall ist. Und wenn alle Schüler<strong>in</strong>nen<br />

und Schüler beispielsweise<br />

Mathematik auf erhöhtem Anforderungsniveau<br />

belegen müssen, frage<br />

ich mich schon, was dann »erhöhtes<br />

Anforderungsniveau« bedeutet.<br />

Auch die möglichen Leistungsfachkomb<strong>in</strong>ationen<br />

werden beibehalten,<br />

denn sie gewährleisten die angestrebte<br />

<strong>in</strong>dividuelle Schwerpunktsetzung<br />

nach Begabung und Interesse.<br />

Die Stärkung des Kernbereichs setzen<br />

wir <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> durch die Abiturprüfungsprofile<br />

um.<br />

Die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler können<br />

damit ihren Schwerpunkt entweder<br />

im sprachlichen oder im mathematisch-naturwissenschaftlichen<br />

Bereich<br />

setzen. Der gesellschaftswissenschaftliche<br />

Bereich ist dabei immer e<strong>in</strong>geschlossen.<br />

Den gesellschaftswissenschaftlichen<br />

Bereich haben wir außerdem gestärkt,<br />

<strong>in</strong>dem künftig zwei Fächer aus<br />

diesem Bereich zu belegen s<strong>in</strong>d. Dah<strong>in</strong>ter<br />

steht die Überzeugung, dass e<strong>in</strong>e<br />

solide politisch-historische Bildung<br />

unverzichtbar für alle Jugendlichen<br />

ist.<br />

E<strong>in</strong> fünftes Prüfungsfach ist nur dort<br />

verb<strong>in</strong>dlich, wo auf Grund der Leistungsfachkomb<strong>in</strong>ation<br />

mit vier Prüfungsfächern<br />

ke<strong>in</strong>es der Prüfungsprofile<br />

abgedeckt werden kann. <strong>Das</strong> geschieht<br />

mit Rücksicht auf die Schulen.<br />

Ich freue mich über die Stellungnahme<br />

des <strong>Philologenverband</strong>es, der die<br />

Neuregelungen mit der Überschrift<br />

»Behutsame Weiterentwicklung der<br />

MSS« kommentierte.<br />

<strong>Das</strong> zeigt mir, dass wir <strong>in</strong> diesem für<br />

die Gymnasien so wichtigen Bereich<br />

geme<strong>in</strong>same Schwerpunkte und Leitl<strong>in</strong>ien<br />

sehen.<br />

Lassen Sie mich nun auf das Thema<br />

der Versorgung der Gymnasien mit<br />

qualifizierten Lehrkräften zu sprechen<br />

kommen. <strong>Das</strong> ist e<strong>in</strong> wichtiger Punkt,<br />

damit die Gymnasien ihre Aufgaben<br />

erfüllen können.<br />

Mit Lehrkräfteversorgung me<strong>in</strong>e ich<br />

sowohl die E<strong>in</strong>stellungen <strong>in</strong> den Vorbereitungsdienst<br />

als auch die E<strong>in</strong>stellungen<br />

<strong>in</strong> den Schuldienst.<br />

Ich will mich hier um e<strong>in</strong>e realistische<br />

E<strong>in</strong>schätzung bemühen, auch um jungen<br />

Menschen verantwortbare Signale<br />

zu geben. Zurzeit gibt es unbestritten<br />

Engpässe, vor allem <strong>in</strong> den Mangelfächern<br />

wie Mathematik, Physik, Kunst<br />

oder Musik. Aber mir liegt auch etwas<br />

daran, dass die Entwicklungen der<br />

letzten Jahre zur Kenntnis genommen<br />

und auch <strong>in</strong> die Zukunft projiziert<br />

werden.<br />

Schauen wir uns zunächst die Studiensem<strong>in</strong>are<br />

an. Im Schuljahr 2009/<br />

2010 s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sgesamt 120 neue Ausbildungsplätze<br />

für das Lehramt an Gymnasien<br />

<strong>in</strong> drei neuen Teildienststellen<br />

<strong>in</strong> Altenkirchen, Daun und Landau geschaffen<br />

worden. Zum 1. Februar <strong>2011</strong><br />

kommen durch den Vollausbau des<br />

Sem<strong>in</strong>ars <strong>in</strong> Landau nochmals vierzig<br />

weitere Plätze h<strong>in</strong>zu. <strong>Das</strong> bedeutet,<br />

dass aktuell zu jedem Term<strong>in</strong> durchschnittlich<br />

250 Ausbildungsplätze angeboten<br />

werden können. Damit haben<br />

wir die Ausbildungskapazitäten seit<br />

2000 mehr als verdoppelt.<br />

Mit diesem Ausbau geht e<strong>in</strong> Effekt e<strong>in</strong>her,<br />

der <strong>in</strong> der Regel gar nicht so<br />

wahrgenommen wird, der aber für e<strong>in</strong><br />

Flächenland wie Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />

durchaus Bedeutung hat. Mit dem<br />

Ausbau der gymnasialen Studiensem<strong>in</strong>are<br />

s<strong>in</strong>d nahezu alle Gymnasien und<br />

IGSen mit Oberstufe Ausbildungsschulen.<br />

<strong>Das</strong> ist e<strong>in</strong> nicht zu unterschätzender<br />

Vorteil gerade für Schulen <strong>in</strong> weniger<br />

dicht besiedelten Regionen. Zum e<strong>in</strong>en<br />

werden über die Ausbildung von<br />

Referendar<strong>in</strong>nen und Referendaren<br />

erfahrungsgemäß auch Impulse für<br />

die Weiterentwicklung von Schule<br />

transportiert. Zum anderen zeigt sich<br />

auch, dass junge Lehrkräfte eher e<strong>in</strong>e<br />

Schule außerhalb der Ballungsräume<br />

wählen, wenn sie dort schon ihre Referendarzeit<br />

verbracht haben. Deswegen<br />

haben wir gerade außerhalb der<br />

Ballungsräume die Sem<strong>in</strong>arkapazitäten<br />

ausgeweitet.<br />

Durch die deutliche Erweiterung der<br />

Ausbildungskapazitäten ist es <strong>in</strong> den<br />

letzten Jahren auch gelungen, allen<br />

Bewerber<strong>in</strong>nen und Bewerbern mit<br />

Bedarfsfächern e<strong>in</strong>en Platz anzu- ><br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


22<br />

VORTRAG Gymnasialtag 2010<br />

bieten. Wenn dennoch e<strong>in</strong>mal wenige<br />

Plätze nicht besetzt werden konnten,<br />

so liegt das e<strong>in</strong>fach an der Tatsache,<br />

dass es leider immer wieder Bewerber<strong>in</strong>nen<br />

und Bewerber gibt, die so spät<br />

absagen, dass trotz mehrfacher Nachrückverfahren,<br />

die noch bis kurz nach<br />

Ausbildungsbeg<strong>in</strong>n durchgeführt werden,<br />

e<strong>in</strong> Besetzen dieses Platzes nicht<br />

mehr möglich ist.<br />

<strong>Das</strong>s Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> im H<strong>in</strong>blick auf<br />

die Lehrkräfteversorgung auf dem<br />

richtigen Weg ist, zeigen auch die Studierendenzahlen.<br />

Betrug die Zahl der<br />

Lehramtsstudierenden im Jahr 2000<br />

noch 8403, so ist sie im Studienjahr<br />

2010 auf über 17 000 angestiegen.<br />

Kommen wir zur Unterrichtsversorgung<br />

der Gymnasien. Auch da, denke<br />

ich, sprechen die Zahlen für sich. Sie<br />

alle s<strong>in</strong>d sicher über die Unterrichtsversorgung<br />

im laufenden Schuljahr <strong>in</strong>formiert.<br />

Die Soll-Ist-Differenz an den Gymnasien<br />

beträgt 2,2 Prozent und hat damit<br />

den niedrigsten Stand seit neun Jahren<br />

erreicht. <strong>Das</strong> war angesichts steigender<br />

Schülerzahlen und angesichts<br />

des bundesweiten Mangels an Lehrkräften<br />

e<strong>in</strong> gewaltiger Kraftakt. Die<br />

Unterrichtsversorgung nicht nur zu<br />

halten, sondern sogar schrittweise zu<br />

verbessern, war nur möglich durch e<strong>in</strong>e<br />

kont<strong>in</strong>uierliche E<strong>in</strong>stellungspolitik<br />

über viele Jahre h<strong>in</strong>weg. Seit mehr als<br />

fünf Jahren wurden im Bereich der<br />

Gymnasien <strong>in</strong> jedem Schuljahr zwischen<br />

450 und 500 Lehrkräfte (Personen)<br />

e<strong>in</strong>gestellt. Dabei s<strong>in</strong>d die Seitene<strong>in</strong>steiger<br />

noch nicht mitgezählt.<br />

<strong>Das</strong> Seitene<strong>in</strong>steigerprogramm bietet<br />

seit Jahren e<strong>in</strong>e deutliche Unterstützung<br />

gerade <strong>in</strong> Mangelfächern.<br />

Alle<strong>in</strong> zu Beg<strong>in</strong>n des laufenden Schuljahres<br />

wurden beispielsweise zwölf<br />

Seitene<strong>in</strong>steiger mit Physik/Chemie<br />

e<strong>in</strong>gestellt, acht mit Mathematik, zwei<br />

mit Informatik, aber auch vier mit Bildender<br />

Kunst und drei mit Musik.<br />

Ich weiß, dass viele Gymnasien mit<br />

diesen Seitene<strong>in</strong>steigern sehr zufrieden<br />

s<strong>in</strong>d, weil sie gute und hervorragend<br />

qualifizierte Lehrkräfte gewonnen<br />

haben.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus haben wir alle Möglichkeiten<br />

genutzt, um die <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />

ausgebildeten Lehrkräfte<br />

auch im Land zu halten. So werden<br />

seit mehreren Jahren jeweils zum<br />

1. Februar bereits Lehrkräfte im Vorgriff<br />

auf das folgende Schuljahr e<strong>in</strong>gestellt.<br />

Der Erfolg unserer kont<strong>in</strong>uierlichen<br />

E<strong>in</strong>stellungspolitik zeigt sich übrigens<br />

auch dar<strong>in</strong>, dass Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> bei<br />

der Altersgruppe der Lehrkräfte unter<br />

35 Jahren mit e<strong>in</strong>em Anteil von zwanzig<br />

Prozent deutlich an der Spitze aller<br />

Bundesländer liegt. 34,8 Prozent<br />

der rhe<strong>in</strong>land-pfälzischen Lehrer<strong>in</strong>nen<br />

und Lehrer <strong>in</strong> der Sekundarstufe<br />

I ist jünger als vierzig Jahre, während<br />

es bundesweit nur 24,3 Prozent<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

Ich möchte aber auch noch e<strong>in</strong>en anderen<br />

Punkt nennen, nämlich die Unterstützung<br />

großer Gymnasien. Aufgrund<br />

der steigenden Schülerzahlen<br />

und der großen Nachfrage nach dem<br />

gymnasialen Bildungsgang s<strong>in</strong>d die<br />

Gymnasien <strong>in</strong> den letzten Jahren im<br />

Schnitt immer größer geworden.<br />

Im letzten Schuljahr hatten wir landesweit<br />

acht Gymnasien mit mehr als<br />

1400 Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern.<br />

<strong>Das</strong> br<strong>in</strong>gt zusätzliche Herausforderungen,<br />

die wir sehen und auf die wir<br />

mit mehreren Maßnahmen reagiert<br />

haben.<br />

Zum e<strong>in</strong>en haben wir seit dem Schuljahr<br />

2006/2007 schrittweise die Schulleitungsanrechnung<br />

für große Gymnasien<br />

erhöht, da die Schulleitungsaufgaben<br />

an sehr großen Gymnasien<br />

nicht nur quantitativ, sondern auch<br />

qualitativ ausgeweitet s<strong>in</strong>d.<br />

Speziell für sehr große Oberstufen<br />

wurde auch die Schulleitungsanrechnung<br />

für die MSS-Leitung von vier auf<br />

bis zu sechs Stunden erhöht.<br />

140 zusätzliche A 15-Stellen für die<br />

Gymnasien haben ermöglicht, dass<br />

Gymnasien, die <strong>in</strong> den letzten Jahren<br />

deutlich gewachsen s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>e weitere<br />

Studiendirektorenstelle <strong>in</strong> Anspruch<br />

nehmen können.<br />

Daneben wurden auch die Beförderungsmöglichkeiten<br />

von A 13 nach<br />

A 14 deutlich erhöht. Waren es 2002<br />

noch 177 Stellen für die Gymnasien,<br />

s<strong>in</strong>d es <strong>in</strong> diesem Jahr 242 – jeweils<br />

ohne den Pool. <strong>Das</strong> ist e<strong>in</strong>e Steigerung<br />

um fast vierzig Prozent.<br />

Direkt auf den Unterricht wirkt sich<br />

die Erhöhung der Schwerpunktstunden<br />

aus, die <strong>in</strong> der VV Unterrichtsorganisation<br />

vom Januar dieses Jahres<br />

festgeschrieben ist.<br />

Danach können Gymnasien mit mehr<br />

als 24 Klassen <strong>in</strong> der Sekundarstufe I<br />

das e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halbfache an Schwerpunktstunden<br />

<strong>in</strong> Anspruch nehmen, Gym-<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


Gymnasialtag 2010 BILDUNGSMINISTERIN DORIS AHNEN 23<br />

nasien mit mehr als 36 Klassen sogar<br />

das Doppelte.<br />

Me<strong>in</strong>e Damen und Herren, ich denke,<br />

diese Beispiele können zeigen, dass<br />

wir die rhe<strong>in</strong>land-pfälzischen Gymnasien<br />

auf allen Ebenen dabei unterstützen,<br />

ihre wichtige und anspruchsvolle<br />

Aufgabe zu erfüllen. Ich kann deshalb<br />

wirklich nicht nachvollziehen,<br />

wie man zu der Aussage kommen<br />

kann: »Die Förderung von Gymnasien<br />

ist <strong>in</strong> den vergangenen Jahren im Vergleich<br />

zu den politisch gewollten<br />

Schularten extrem vernachlässigt worden.«<br />

3<br />

Ich b<strong>in</strong> der Auffassung, dass mit solch<br />

e<strong>in</strong>er Aussage vor allem Vorurteile gepflegt<br />

werden. Ich schätze das <strong>Gymnasium</strong><br />

und, wie <strong>in</strong> der Vergangenheit,<br />

können Sie sich auch für die Zukunft<br />

sicher se<strong>in</strong>, dass wir Sie unterstützen<br />

werden. Wir wollen beispielsweise die<br />

demografischen Spielräume, die sich<br />

aufgrund des Rückgangs der Schülerzahlen<br />

<strong>in</strong> den kommenden Jahren ergeben,<br />

für das Schulsystem nutzen.<br />

<strong>Das</strong> gilt selbstverständlich auch für<br />

das <strong>Gymnasium</strong>.<br />

3 Blick <strong>in</strong>s <strong>Gymnasium</strong> Nr. 227, Artikel<br />

»Gymnasiale Bildung ist gefährdet«<br />

Lassen Sie mich e<strong>in</strong> paar Anmerkungen<br />

zur Schulstrukturreform machen,<br />

mit der wir nicht nur auf die demografische<br />

Entwicklung reagiert haben,<br />

sonder mit der wir auch pädagogische<br />

Ziele verb<strong>in</strong>den: Mehr <strong>in</strong>dividuelle<br />

Förderung, mehr Durchlässigkeit<br />

zu höheren Abschlüssen, e<strong>in</strong>e bessere<br />

Berufsorientierung und e<strong>in</strong>en guten<br />

Übergang <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e berufliche Zukunft.<br />

Die Gesamtschülerzahl an den allgeme<strong>in</strong>bildenden<br />

Schulen <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<br />

<strong>Pfalz</strong> s<strong>in</strong>kt seit 2004 kont<strong>in</strong>uierlich<br />

und zwar mit zunehmender Geschw<strong>in</strong>digkeit.<br />

In den Grundschulen<br />

macht sich der Rückgang der Schülerzahlen<br />

schon seit Ende der neunziger<br />

Jahre bemerkbar, vorübergehend abgeschwächt<br />

durch die Flexibilisierung<br />

des E<strong>in</strong>schulungsalters. In der Sekundarstufe<br />

I aller Schularten s<strong>in</strong>ken die<br />

Schülerzahlen seit 2004, und lediglich<br />

<strong>in</strong> der gymnasialen Oberstufe ist aktuell<br />

noch e<strong>in</strong> leichter Anstieg zu verzeichnen.<br />

Der zweite Aspekt, der e<strong>in</strong>e Schulstrukturänderung<br />

erforderlich gemacht<br />

hat, ist die Bedeutung, die Bildung<br />

künftig <strong>in</strong> unserer Gesellschaft<br />

haben wird. Der Zusammenhang von<br />

Ausbildungsniveau und Arbeitsplatzsicherheit<br />

wird sich <strong>in</strong> Zukunft noch<br />

weiter verfestigen. Unsere wirtschaftliche<br />

Konkurrenzfähigkeit und damit<br />

unser wirtschaftlicher Wohlstand werden<br />

immer mehr von der Generierung<br />

und Anwendung wissenschaftlich-technischen<br />

Wissens abhängen.<br />

Dies bedeutet, dass <strong>in</strong> Zukunft die<br />

Qualität der Bildungsabschlüsse noch<br />

mehr als heute schon über die Lebenschancen<br />

der Menschen entscheiden<br />

wird. H<strong>in</strong>zu kommt, dass <strong>in</strong><br />

Deutschland bereits jetzt e<strong>in</strong> Mangel<br />

an hoch qualifizierten Fachkräften besteht,<br />

der sich durch die demografische<br />

Entwicklung noch verstärken<br />

wird, wenn es uns nicht gel<strong>in</strong>gt, mehr<br />

Jugendliche als bisher <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e hoch<br />

qualifizierende Ausbildung zu br<strong>in</strong>gen.<br />

Um es an e<strong>in</strong>em Beispiel deutlich zu<br />

machen: Die Zahl der Studienanfänger<strong>in</strong>nen<br />

und -anfänger <strong>in</strong> den Ingenieurwissenschaften<br />

ist seit 1997 stetig<br />

gestiegen – von knapp 60 000 auf fast<br />

100 000. Aber das wird mehr als kompensiert<br />

durch den steigenden Bedarf<br />

an hoch qualifizierten Fachleuten und<br />

durch die absehbar zurückgehenden<br />

Schülerzahlen. So meldete Focus im<br />

Sommer dieses Jahres, dass es im Juni<br />

für Ingenieure 59 000 offene Stellen,<br />

aber nur 25 000 Bewerber<strong>in</strong>nen und<br />

Bewerber gab.<br />

Die Antwort kann nur lauten: Alle<br />

Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler müssen so<br />

gefördert werden, dass sie ihre Potenziale<br />

bestmöglich ausschöpfen können.<br />

<strong>Das</strong> bedeutet auch: Wir dürfen<br />

niemanden verlieren, und alle Schularten<br />

müssen ihre Schüler<strong>in</strong>nen und<br />

Schüler zu möglichst hoch qualifizierenden<br />

Abschlüssen führen. Prof.<br />

Manfred Prenzel, seit 2009 Gründungsdekan<br />

der School of Education<br />

an der TU München beschreibt es so:<br />

»Wir müssen die Durchlässigkeit nach<br />

oben erhöhen.«<br />

Wir müssen aber auch ermöglichen,<br />

dass es unterschiedliche Wege zum<br />

gleichen Ziel gibt. K<strong>in</strong>der und Jugendliche<br />

lernen unterschiedlich schnell,<br />

sie lernen auf unterschiedliche Weisen,<br />

sie entwickeln sich <strong>in</strong> unterschiedlichen<br />

Schritten. Darauf müssen<br />

wir reagieren, <strong>in</strong>dem beispielsweise<br />

das Abitur auf unterschiedlichen<br />

Wegen – natürlich bei gleichem Qualitätsanspruch<br />

– erworben werden<br />

kann.<br />

Die neue Schulstruktur <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<br />

<strong>Pfalz</strong> ist auf diese Ziele h<strong>in</strong> ausgelegt.<br />

Wir wollen klare Wege, gute Perspektiven,<br />

bessere Aufstiegsmöglichkeiten<br />

und damit auch e<strong>in</strong> Mehr an Chan- ><br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


24<br />

VORTRAG Gymnasialtag 2010<br />

cengleichheit. Zentrale Punkte s<strong>in</strong>d<br />

dabei:<br />

• E<strong>in</strong>e verstärkte <strong>in</strong>dividuelle Förderung,<br />

• mehr Zeit und Möglichkeiten zur<br />

Orientierung,<br />

• Aufstiegsorientierung durch e<strong>in</strong>e<br />

große Durchlässigkeit zu höheren<br />

Bildungsabschlüssen,<br />

• zusätzliche Qualifikationsmöglichkeiten<br />

für Studium und Berufsausbildung<br />

durch die Fachoberschule<br />

an der Realschule plus und<br />

• e<strong>in</strong>e drastische Reduzierung der<br />

Zahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss.<br />

Über diese Punkte besteht auch e<strong>in</strong><br />

weitgehender Konsens mit den Betroffenen.<br />

Die Gymnasien haben <strong>in</strong> der neuen<br />

Schulstruktur e<strong>in</strong>en wichtigen Platz<br />

und müssen ihn auch haben. <strong>Das</strong><br />

sieht der Deutsche <strong>Philologenverband</strong><br />

übrigens ganz ähnlich. Insoweit<br />

will ich se<strong>in</strong>e Presseerklärung vom 4.<br />

November zitieren, wonach man »e<strong>in</strong>e<br />

klare Schulstruktur anstrebe, <strong>in</strong> der es<br />

neben dem <strong>Gymnasium</strong> … e<strong>in</strong>en weiteren<br />

Weg geben müsse, der möglichst<br />

ohne Umwege und Brüche bis zur<br />

Hochschulreife führen kann.« Ich b<strong>in</strong><br />

froh, wenn sich diese Positionsbeschreibung<br />

auch die Philologen <strong>in</strong><br />

Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> zu eigen machen und<br />

uns damit auf unserem Weg unterstützen.<br />

Angesichts dieser Positionierung<br />

b<strong>in</strong> ich aber zuversichtlich, dass wir<br />

Sie davon überzeugen können, dass<br />

die Weiterentwicklung der Schulstruktur<br />

zum e<strong>in</strong>en objektiv notwendig war<br />

und zum anderen weder das <strong>Gymnasium</strong><br />

benachteiligt noch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Rolle<br />

und Bedeutung an den Rand<br />

drängt.<br />

Die Herausforderungen an das <strong>Gymnasium</strong><br />

der Zukunft sehe ich wesentlich<br />

<strong>in</strong> der Aufgabe, die gestiegene<br />

Nachfrage nach dem gymnasialen Bildungsgang<br />

positiv aufzunehmen und<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ausgewogenen Gesamtkonzept<br />

Leistungsfähigkeit und Chancengleichheit<br />

mite<strong>in</strong>ander zu verb<strong>in</strong>den.<br />

Zur Leistungsfähigkeit gehört es, die<br />

Qualität gymnasialer Bildung zu erhalten,<br />

sie aber jeweils zeitgemäß auszugestalten.<br />

Da stellt sich die Frage: Was<br />

gehört heute und <strong>in</strong> naher Zukunft<br />

zur »allgeme<strong>in</strong>en Hochschulreife«?<br />

Ich f<strong>in</strong>de es <strong>in</strong> diesem Zusammenhang<br />

sehr <strong>in</strong>teressant und angemessen,<br />

dass die Jungen Philologen ihre<br />

jüngste Veröffentlichung »Dynamisches<br />

Leitbild für das <strong>Gymnasium</strong> der<br />

Zukunft« nennen.<br />

Denn das signalisiert, dass dieses Leitbild<br />

nicht starr ist, sondern die jeweiligen<br />

gesellschaftlichen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

aufnehmen muss. Und da<br />

hat sich e<strong>in</strong>iges verändert, um nur<br />

Stichworte zu nennen:<br />

Geändert haben sich die Familienstrukturen,<br />

die Lebenswelt der Jugendlichen<br />

oder die Strukturen und<br />

Anforderungen der Arbeitswelt. Wir<br />

müssen uns dem Umgang mit e<strong>in</strong>er<br />

Vielfalt unterschiedlicher Werte und<br />

konkurrierenden Autoritäten stellen,<br />

ohne beliebig zu werden. Multikulturalität<br />

und Integration halten neue Herausforderungen<br />

für alle bereit.<br />

Damit muss man auch neu darüber<br />

nachdenken, was konstituierend für<br />

die allgeme<strong>in</strong>e Hochschulreife ist.<br />

Sicher s<strong>in</strong>d wir uns schnell e<strong>in</strong>ig darüber,<br />

dass die Beschreibung im sog.<br />

Tutz<strong>in</strong>ger Maturitätskatalog von 1958<br />

heute nicht mehr der Maßstab se<strong>in</strong><br />

kann, wenn dort etwa unter dem <strong>in</strong>haltlichen<br />

M<strong>in</strong>imum aufgeführt wird:<br />

»Liebhabermäßiges Betrachten der anschaulichen<br />

Natur und Zugang zur biologischen<br />

Betrachtungsweise«.<br />

Heute wird häufig kritisiert, unter<br />

dem E<strong>in</strong>fluss der Wirtschaft werde<br />

nur noch auf das »verwertbare Wissen«<br />

Wert gelegt. Ziel sei nicht die<br />

Hochschulreife, sondern der »Homo<br />

oeconomicus«. Auch das kann selbstverständlich<br />

nicht der Bildungsauftrag<br />

des <strong>Gymnasium</strong>s se<strong>in</strong>.<br />

Zur allgeme<strong>in</strong>en Hochschulreife gehört<br />

auch deutlich mehr, als <strong>in</strong> den <strong>in</strong>ternationalen<br />

Schulleistungstests untersucht<br />

werden kann.<br />

Ich möchte <strong>in</strong> diesem Zusammenhang<br />

noch e<strong>in</strong> weiteres Missverständnis<br />

ausräumen. Die Bildungsstandards<br />

zielen nicht darauf ab, Kompetenzen<br />

ohne Inhalte zu vermitteln, wie gelegentlich<br />

behauptet wird. Abgesehen<br />

davon, dass das auch gar nicht möglich<br />

wäre: Inhalte und Kompetenzen,<br />

Wissen und Können gehören untrennbar<br />

zusammen. Aber welche Kompetenzen<br />

und welche Inhalte unverzichtbar<br />

s<strong>in</strong>d, das kann sich schon im Lauf<br />

der Zeit verändern. Und deshalb<br />

muss diese Diskussion auch immer<br />

wieder neu geführt werden.<br />

Wir fördern sie zum Beispiel, <strong>in</strong>dem<br />

wir schulische Expert<strong>in</strong>nen und Experten<br />

damit beauftragen, auf der<br />

Grundlage der Bildungsstandards<br />

Rahmenlehrpläne zu entwickeln, die<br />

die Basis für die Arbeit <strong>in</strong> den Schulen<br />

darstellen.<br />

Die Leistungsfähigkeit des <strong>Gymnasium</strong>s<br />

wird sich <strong>in</strong> Zukunft aber auch<br />

daran messen lassen müssen, <strong>in</strong> welchem<br />

Umfang es gel<strong>in</strong>gt, mit der vorhandenen<br />

Heterogenität konstruktiv<br />

umzugehen und alle Schüler<strong>in</strong>nen<br />

und Schüler möglichst gut zu fördern.<br />

Damit wären wir bei der zweiten Herausforderung<br />

an die Gymnasien: Neben<br />

der Leistungsfähigkeit e<strong>in</strong> besonderes<br />

Augenmerk auf Chancengleichheit<br />

zu legen.<br />

<strong>Das</strong> heißt zum Beispiel, dass Jungen<br />

und Mädchen gleichermaßen jeweils<br />

dort Förderung und Unterstützung er-<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


Gymnasialtag 2010 BILDUNGSMINISTERIN DORIS AHNEN 25<br />

fahren müssen, wo sie es am dr<strong>in</strong>gendsten<br />

benötigen. Wir s<strong>in</strong>d da <strong>in</strong><br />

Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> erfreulicherweise<br />

schon erfolgreicher als die meisten<br />

anderen Länder. PISA 2006 ergab zum<br />

Beispiel, dass die Mädchen mit ihren<br />

Leistungen im Bereich Naturwissenschaften<br />

und <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> der Mathematik<br />

nahezu gleichauf mit den<br />

Jungen liegen.<br />

Es gibt <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> zwischen<br />

Jungen und Mädchen <strong>in</strong> diesem Bereich<br />

ke<strong>in</strong>e statistisch bedeutsamen<br />

Kompetenzunterschiede. Und bei der<br />

Überprüfung des Erreichens der Bildungsstandards<br />

war die Geschlechterdifferenz<br />

beim Lese- und Hörverstehen<br />

Französisch <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />

am ger<strong>in</strong>gsten von den sechs untersuchten<br />

Ländern.<br />

<strong>Das</strong> ist e<strong>in</strong>e sehr erfreuliche Entwicklung.<br />

Aber sie darf nicht darüber h<strong>in</strong>wegtäuschen,<br />

dass gerade hier auch<br />

noch große Herausforderungen liegen.<br />

Es ist nach wie vor notwendig, alle<br />

Anstrengungen zu unternehmen, um<br />

Mädchen und junge Frauen <strong>in</strong> höherem<br />

Maße für naturwissenschaftlichtechnische<br />

Studiengänge und Berufe<br />

zu gew<strong>in</strong>nen. Und ebenso notwendig<br />

ist es, dass wir uns sehr nachdrücklich<br />

Gedanken über e<strong>in</strong>e wirksamere<br />

Förderung und Motivation der Jungen<br />

und jungen Männer Gedanken machen.<br />

Sie s<strong>in</strong>d beim Schulabbruch<br />

über- und beim Abitur deutlich unterrepräsentiert.<br />

Chancengleichheit bedeutet aber vor<br />

allem, dass Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler<br />

mit unterschiedlichem sozialem H<strong>in</strong>tergrund<br />

die gleichen Chancen auf höherqualifizierende<br />

Bildungsabschlüsse<br />

haben müssen.<br />

Auch da hat PISA 2006 gegenüber<br />

2000 Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> erfreuliche erste<br />

Erfolge besche<strong>in</strong>igt. Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />

war e<strong>in</strong>es der wenigen Länder, <strong>in</strong> denen<br />

die Abnahme der sozialen Disparitäten<br />

der Bildungsbeteiligung statistisch<br />

bedeutsam war. Bei den relativen<br />

Chancen, unabhängig von der sozialen<br />

Herkunft e<strong>in</strong> <strong>Gymnasium</strong> zu besuchen,<br />

hat Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> die<br />

günstigsten Werte unter den westdeutschen<br />

Bundesländern erzielt. Aber es<br />

besteht noch ke<strong>in</strong> Grund, sich auf diesen<br />

ersten Erfolgen auszuruhen. Denn<br />

immer noch haben bei e<strong>in</strong>er vergleichbaren<br />

Sprach- und Lesekompetenz<br />

K<strong>in</strong>der aus Akademikerfamilien<br />

e<strong>in</strong>e mehr als zweie<strong>in</strong>halbmal so große<br />

Chance, e<strong>in</strong> <strong>Gymnasium</strong> zu besuchen,<br />

wie K<strong>in</strong>der aus Facharbeiterfamilien.<br />

Es bleibt also e<strong>in</strong>e Aufgabe, weiter an<br />

der Entkopplung von Sozialstatus und<br />

Bildungserfolg zu arbeiten. Die Gymnasien<br />

spielen bei der Bewältigung<br />

dieser Aufgabe e<strong>in</strong>e wichtige Rolle.<br />

Wer für Leistungsfähigkeit ist, muss<br />

diese Aufgabe mit voller Kraft annehmen.<br />

Me<strong>in</strong>e Damen und Herren, ich möchte<br />

abschließend e<strong>in</strong>en Blick auf das<br />

Plakat zu dieser Veranstaltung werfen.<br />

Da f<strong>in</strong>de ich die Verben amare, delectare<br />

und emendare. Ich habe das<br />

für mich so <strong>in</strong>terpretiert: Es gibt viele<br />

Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer <strong>in</strong> den Gymnasien,<br />

die ihren Beruf lieben, denen<br />

das Unterrichten Freude macht, und<br />

die deshalb bemüht s<strong>in</strong>d, ihre Aufgabe<br />

immer noch besser zu erfüllen.<br />

Deshalb b<strong>in</strong> ich davon überzeugt,<br />

dass das <strong>Gymnasium</strong> <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<br />

<strong>Pfalz</strong> nicht nur e<strong>in</strong>e Schule mit Zukunft<br />

ist, wie Herr Prof. Brenner es<br />

ausdrückt. <strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> ist e<strong>in</strong>e<br />

wichtige, unverzichtbare Säule im<br />

rhe<strong>in</strong>land-pfälzischen Bildungssystem.<br />

Aber das <strong>Gymnasium</strong> von morgen ist<br />

e<strong>in</strong> anderes als das <strong>Gymnasium</strong> von<br />

gestern. Es muss sich verändern, aber<br />

im Niveau nicht reduzierten Qualitätsanforderungen<br />

stellen. Die rhe<strong>in</strong>landpfälzische<br />

Landesregierung wird es<br />

dabei unterstützen.<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


26<br />

VORTRAG Gymnasialtag 2010<br />

Die Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s <strong>in</strong> der<br />

Bildungsrepublik Deutschland<br />

Prof. Dr. David-S. Di Fuccia<br />

Vortrag von Professor Dr. David-S. Di Fuccia, Deutscher <strong>Philologenverband</strong><br />

Sehr geehrte Frau M<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> Ahnen,<br />

sehr geehrter Herr Vorsitzender Blümke,<br />

me<strong>in</strong>e sehr geehrten Damen und Herren,<br />

»Die Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s <strong>in</strong> der Bildungsrepublik<br />

Deutschland« reflektieren<br />

zu wollen bedeutet aus me<strong>in</strong>er Sicht<br />

1. den Blick darauf zu legen, welche<br />

Rolle oder welche Rollen das <strong>Gymnasium</strong><br />

bisher <strong>in</strong> der deutschen Bildungslandschaft<br />

<strong>in</strong>negehabt hat,<br />

2. Welche – möglicherweise – zusätzliche<br />

oder neue Rolle es gerade aktuell hat,<br />

3. und was daraus für die Rolle des<br />

<strong>Gymnasium</strong>s <strong>in</strong> der Zukunft folgt.<br />

Diesem chronologischen Ansatz möchte<br />

ich folgen und daher zunächst danach<br />

fragen, welche Rolle das <strong>Gymnasium</strong><br />

bisher im Kontext der deutschen<br />

Bildungslandschaft ausgefüllt hat.<br />

Prof. Tenorth hat diese Rolle <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

sehr bemerkenswerten Artikel unlängst<br />

beschrieben, als die der »Leit<strong>in</strong>stitution«,<br />

das <strong>Gymnasium</strong> sei also die Leit<strong>in</strong>stitution<br />

des deutschen Bildungs- oder doch<br />

zum<strong>in</strong>dest des deutschen Schulwesens.<br />

Dies kann man als e<strong>in</strong>e Situationsbeschreibung<br />

ansehen oder man kann<br />

sich fragen, warum dem <strong>Gymnasium</strong> offenkundig<br />

e<strong>in</strong>e solche Rolle zukommt.<br />

Wenn man sich zunächst danach fragt,<br />

ob die Situationsbeschreibung zutrifft,<br />

so wird man, wie Tenorth auch, schnell<br />

feststellen, dass das <strong>Gymnasium</strong> sozusagen<br />

der Fixpunkt jeder Schuldebatte<br />

ist. Selbst überzeugte Gegner des <strong>Gymnasium</strong>s<br />

beziehen sich <strong>in</strong> ihren Argumentationen<br />

immer auf das <strong>Gymnasium</strong>,<br />

die Anforderungen und Abschlüsse<br />

des <strong>Gymnasium</strong>s strukturieren die Debatten<br />

und man kann zusammenfassend<br />

sagen: <strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> kann man<br />

mögen oder nicht, aber offenkundig<br />

kann man es bildungspolitisch nicht<br />

ignorieren – und genau das ist e<strong>in</strong> Charakteristikum<br />

e<strong>in</strong>er Leit<strong>in</strong>stitution.<br />

Damit stellt sich nun aber unmittelbar<br />

die nächste Frage, nämlich die, warum<br />

das <strong>Gymnasium</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er solchen Position<br />

ist. Diese Frage lässt sich aus me<strong>in</strong>er<br />

Sicht dadurch beantworten, dass man<br />

zunächst feststellt, dass der spezifisch<br />

deutsche Bildungsbegriff e<strong>in</strong>er ist, der<br />

uns allen leicht von der Zunge geht, von<br />

dem jeder von uns e<strong>in</strong>en eher gefühlsmäßigen<br />

E<strong>in</strong>druck hat, der sich aber extrem<br />

schlecht objektiv def<strong>in</strong>ieren lässt.<br />

<strong>Das</strong> sehen Sie schon daran, dass man –<br />

fast gleich erfolgreich – zwei Bücher<br />

schreiben und verkaufen kann, nämlich<br />

»Bildung« von Schwanitz und »Die andere<br />

Bildung« von Fischer.<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


Gymnasialtag 2010 PROF. DR. DAVID-S. DI FUCCIA 27<br />

Wenn aber explizite Def<strong>in</strong>itionen<br />

schwer oder unmöglich s<strong>in</strong>d, dann<br />

treten nicht selten implizite an ihren<br />

Platz. Und so sche<strong>in</strong>t es mir auch hier<br />

zu se<strong>in</strong>:<br />

Bildung wird <strong>in</strong> weiten Teilen implizit<br />

als das verstanden, was am <strong>Gymnasium</strong><br />

vermittelt wird oder zum<strong>in</strong>dest<br />

werden sollte. <strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> ist mith<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong> »konkretes Modell« des abstrakten<br />

Bildungsbegriffs und da sich<br />

dieses konkrete Modell <strong>in</strong> der Vergangenheit<br />

bewährt hat, besteht e<strong>in</strong> unausgesprochener<br />

Konsens darüber,<br />

dass das <strong>Gymnasium</strong> quasi das<br />

Fleisch ist, das aus dem Wort Bildung<br />

geworden ist.<br />

<strong>Das</strong>s diese Annahme gerechtfertigt ist,<br />

sehen Sie daran, dass die allergrößte<br />

Mehrzahl aller als »gebildet« geltender<br />

Menschen das <strong>Gymnasium</strong> durchlaufen<br />

haben und umgekehrt das Abitur<br />

nach wie vor als Nachweis von Bildung<br />

gilt.<br />

Wenn das <strong>Gymnasium</strong> aber e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong><br />

anerkannte Konkretisierung des<br />

Bildungsbegriffs ist, so ist unmittelbar<br />

klar, dass das <strong>Gymnasium</strong> Leit<strong>in</strong>stitution<br />

des Bildungswesens ist und se<strong>in</strong><br />

muss, denn das System der zum<strong>in</strong>dest<br />

schulischen Bildung orientiert<br />

sich zwangsläufig an der konkreten<br />

Form von Bildung, die das <strong>Gymnasium</strong><br />

darstellt.<br />

Aber auch etwas anderes leuchtet sofort<br />

e<strong>in</strong>: nämlich dass das <strong>Gymnasium</strong><br />

<strong>in</strong> dem Moment <strong>in</strong> den Fokus der Kritik<br />

gerät, <strong>in</strong>dem sich entweder e<strong>in</strong>e<br />

andere Interpretation von Bildung<br />

durchsetzt oder aber das Ziel der Bildung<br />

als solches nicht mehr unumstritten<br />

ist.<br />

Und genau so e<strong>in</strong>e Zeit haben wir <strong>in</strong><br />

den letzten zehn Jahren mit Aufkommen<br />

der »Literacy«-Debatte miterlebt.<br />

Gerade die Tatsache, dass Bildung<br />

nicht leicht konkret def<strong>in</strong>ierbar ist, hat<br />

im Zusammenhang mit dem Wunsch,<br />

Schulleistungen mess- und vergleichbar<br />

zu machen, zu der Notwendigkeit<br />

geführt, e<strong>in</strong> anderes Konzept zu wählen.<br />

Nicht die im Individuum still und<br />

manchmal lange gärende Bildung, die<br />

vielleicht erst im Alter von fünfzig Jahren<br />

den Wert e<strong>in</strong>es <strong>in</strong> der Schule gelernten<br />

Eichendorff-Gedichtes erkennen<br />

lässt, kann man messen, sondern<br />

nur, was der Schüler ganz konkret<br />

und sofort beobachtbar zeigt.<br />

<strong>Das</strong> ist e<strong>in</strong>e ärgerliche messtechnische<br />

Beschränkung, die man hätte gelassen<br />

zur Kenntnis nehmen können.<br />

Hat man aber nicht!<br />

In e<strong>in</strong>er Art vorauseilenden Gehorsams<br />

hat man PISA-Ergebnisse, also<br />

Literacy-Ergebnisse, gezeigte Handlungen,<br />

mehr oder weniger diskussionslos<br />

als »neue Konkretisierung« von<br />

Bildung aufgefasst – übrigens e<strong>in</strong>e Interpretation,<br />

die von vielen Wissenschaftlern<br />

im Kontext der PISA-Studie<br />

selbst prom<strong>in</strong>ent kritisiert wird.<br />

Durch diese »Neudef<strong>in</strong>ition« des Bildungsbegriffs<br />

musste nun notwendig<br />

das <strong>Gymnasium</strong> als »alte Def<strong>in</strong>ition« <strong>in</strong><br />

die Kritik geraten und Sie alle wissen<br />

besser als ich, wie umfangreich und<br />

teilweise auch heftig dies geschah.<br />

Es geschah aber – und auch das gehört<br />

zum Rückblick auf die Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s<br />

– auch etwas anderes: nämlich<br />

e<strong>in</strong>e rapide Anpassung des <strong>Gymnasium</strong>s<br />

an das »neue Ziel«. Innerhalb<br />

kürzester Zeit gelang es dem <strong>Gymnasium</strong>,<br />

der neuen Bildungskonkretisierung<br />

gerecht zu werden und erfreuliche<br />

PISA-Leistungsdaten zu liefern.<br />

<strong>Das</strong> an sich ist praktisch beachtenswert,<br />

es sche<strong>in</strong>t mir aber vor allem<br />

theoretisch <strong>in</strong>teressant zu se<strong>in</strong>:<br />

Zwischen der Veröffentlichung der<br />

PISA 2000-Ergebnisse und der Erhe-<br />

><br />

Zur Person:<br />

Prof. Dr. David-Samuel<br />

Di Fuccia<br />

Professor für Didaktik der Chemie<br />

an der Universität Kassel<br />

Geboren 1975 <strong>in</strong> Lüdenscheid<br />

Nach Schule und Zivildienst Studium<br />

der Fächer Mathematik<br />

und Chemie für die Lehrämter<br />

der Sekundarstufen I und II an<br />

der Universität Dortmund, 1996<br />

bis 2001 Stipendiat der Studienstiftung<br />

des deutschen Volkes,<br />

2003 erstes Staatsexamen,<br />

2007 Promotion zum Dr. paed.<br />

2003 bis 2010 wissenschaftlicher<br />

Angestellter am Lehrstuhl<br />

für Didaktik der Chemie I der<br />

Universität Dortmund, 2004 Mitglied<br />

der Aufgabenkommission<br />

der 36. Internationalen Chemie-<br />

Olympiade. Seit Mai 2006 Mitglied<br />

der ständigen Kommission<br />

für Lehre, Studium und Studienreform<br />

des Senats der Universität<br />

Dortmund. Seit Oktober<br />

2008 Vorsitzender dieser Kommission.<br />

Seit März 2010 Professor<br />

für Didaktik der Chemie an<br />

der Universität Kassel.<br />

Seit 2001 Mitglied im Vorstand<br />

der Jungen Philologen, seit<br />

2004 stellvertretender Vorsitzender<br />

der Jungen Philologen im<br />

Deutschen <strong>Philologenverband</strong><br />

(DPhV), 2006 bis 2009 Vorsitzender<br />

der Jungen Philologen im<br />

DPhV. Derzeit kooptiertes Mitglied<br />

des Vorstandes des Deutschen<br />

<strong>Philologenverband</strong>es.<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


28<br />

VORTRAG Gymnasialtag 2010<br />

bung PISA 2003 lagen etwa zehn Monate.<br />

In diesen zehn Monaten hatten<br />

noch ke<strong>in</strong>e bildungspolitischen Reformen<br />

gegriffen, der Unterricht war<br />

noch nicht kompetenzorientiert umgestellt,<br />

neue Schulbücher noch nicht<br />

geschrieben und man hört, dass so<br />

mancher Rahmenlehrplan (oder wie<br />

die <strong>in</strong> verschiedenen Ländern nun<br />

heißen) bis heute nicht fertig gestellt<br />

wurde.<br />

Es kann also angenommen werden,<br />

dass die Verbesserung der Ergebnisse<br />

der Gymnasien nicht alle<strong>in</strong> auf solche<br />

äußeren Maßnahmen der Umsteuerung<br />

zurückgeführt werden können,<br />

vielmehr zeigt diese schnelle Anpassung<br />

etwas anderes:<br />

Es zeigt, dass die Konkretisierung des<br />

Bildungsbegriffs durch das <strong>Gymnasium</strong><br />

vergleichsweise problemlos <strong>in</strong> der<br />

Lage ist, so etwas wie den Literacy-Begriff<br />

zu <strong>in</strong>tegrieren.<br />

Mit anderen Worten: Die Art, wie das<br />

<strong>Gymnasium</strong> Bildung repräsentiert, ist<br />

umfassend und anpassungsfähig genug,<br />

um den Literacy-Gedanken aufzunehmen<br />

und zu <strong>in</strong>tegrieren, womit<br />

das <strong>Gymnasium</strong> – wie oft <strong>in</strong> der Vergangenheit<br />

– gezeigt hat, dass es den<br />

Geist dessen, was mit Bildung gedacht<br />

ist, offenbar gut repräsentiert und daher<br />

mit e<strong>in</strong>em gewissen Recht auch<br />

Leit<strong>in</strong>stitution des Bildungswesens ist.<br />

Aber noch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er anderen H<strong>in</strong>sicht<br />

sche<strong>in</strong>t mir das <strong>Gymnasium</strong> mit e<strong>in</strong>igem<br />

Recht als Leit<strong>in</strong>stitution im Bildungsbereich<br />

zu gelten: Bildung, das<br />

ist heute Konsens, ist der entscheidende<br />

Faktor für den sozialen Aufstieg.<br />

Und die E<strong>in</strong>führung des Leistungspr<strong>in</strong>zips<br />

und nicht zuletzt der Schulnoten<br />

hatten genau dies zum Ziel: Bildungschancen<br />

nicht mehr vom Stand,<br />

von der Geburt, abhängig zu machen,<br />

sondern von der <strong>in</strong>tellektuellen Leistungsfähigkeit<br />

und Leistungswilligkeit<br />

des E<strong>in</strong>zelnen.<br />

<strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> verkörpert das Leistungspr<strong>in</strong>zip<br />

nun <strong>in</strong> besonderer Weise,<br />

weil es se<strong>in</strong>en Schüler<strong>in</strong>nen und<br />

Schülern e<strong>in</strong>erseits Höchstleistungen<br />

abverlangt, andererseits aber auch die<br />

Möglichkeit bietet, Höchstleistungen<br />

überhaupt zu zeigen und sich sozusagen<br />

e<strong>in</strong>en eigenen Weg des sozialen<br />

Aufstiegs zu eröffnen.<br />

Vor diesem H<strong>in</strong>tergrund lassen Sie<br />

mich das hier auch sagen – s<strong>in</strong>d öffentliche<br />

Äußerungen, unser Schulsystem<br />

verfolge den Zweck, drei Stände<br />

zu bilden oder zu verfestigen – ärgerlich<br />

und unverständlich.<br />

Was man wissen sollte, ist: Die Möglichkeit<br />

des sozialen Aufstiegs Fähiger<br />

und Williger ist für den Fortbestand<br />

e<strong>in</strong>er Gesellschaft, die sich immer<br />

weiter modernisiert, wesentlich. Und<br />

bei allem, was wir heute diskutieren,<br />

muss e<strong>in</strong>es doch anerkannt werden:<br />

<strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> war und ist die Schule<br />

des sozialen Aufstiegs.<br />

Wer es erfolgreich durchläuft, das<br />

hat nicht zuletzt die LIFE-Studie von<br />

Prof. Fend gezeigt, hat beste Zukunftschancen<br />

und das <strong>Gymnasium</strong><br />

hat es <strong>in</strong> der Vergangenheit wie ke<strong>in</strong>e<br />

andere Bildungs<strong>in</strong>stitution <strong>in</strong><br />

Deutschland geschafft, die Zahl derer,<br />

die es erfolgreich durchlaufen<br />

haben, zu erhöhen.<br />

Heute ergreifen – die Übergangsquote<br />

auf die Gymnasien zeigt das – mehr<br />

Menschen als je zuvor die Chancen<br />

auf Aufstieg durch Bildung. Und die<br />

wachsende Zahl derjenigen, die das<br />

<strong>Gymnasium</strong> erfolgreich durchlaufen,<br />

zeigt auch, dass es den Gymnasien gel<strong>in</strong>gt,<br />

diesen Aufstieg zu organisieren,<br />

wenngleich hier vor e<strong>in</strong>er Begeisterung<br />

der Zahlen zu warnen ist:<br />

Der wirkliche Mechanismus des sozialen<br />

Aufstiegs war und ist der Aufstieg<br />

durch Bildung, nicht aber der Aufstieg<br />

durch Abschluss.<br />

Wer glaubt, Aufstiegschancen zu vergrößern,<br />

<strong>in</strong>dem er dadurch mehr Abschlüsse<br />

vergibt, dass er das Bildungsniveau<br />

senkt, der irrt sich nicht<br />

nur, sondern der handelt fahrlässig:<br />

Auf diese Weise merken die Schüler<br />

nämlich immer später, dass es Zeit ist,<br />

etwas zu tun – und <strong>in</strong>zwischen nicht<br />

selten zu spät. Wer das Abitur, »so gerade<br />

eben«, ohne zu lernen, geschafft<br />

hat, wird im Studium entweder ganz<br />

schnell se<strong>in</strong>e Strategie ändern müssen<br />

oder ganz langsam vorwärts kommen<br />

oder abbrechen.<br />

Ne<strong>in</strong>, die Vergangenheit hat gezeigt:<br />

Der Aufstieg durch Bildung funktioniert<br />

– e<strong>in</strong> Aufstieg durch Abschluss<br />

wird aber nur den Ausstieg verzögern.<br />

Spätestens jetzt ist es dann also an<br />

der Zeit, uns der Frage zu widmen,<br />

was die Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s heute<br />

ist. Vieles ergibt sich aus dem, was ich<br />

bisher rückschauend gesagt habe, viele<br />

dieser Rollen erfüllt das <strong>Gymnasium</strong><br />

auch heute, aber gerade im Blick<br />

auf die aktuellen bildungspolitischen<br />

Diskussionen möchte ich e<strong>in</strong>en eher<br />

systemtheoretischen Punkt hervorhe-<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


Gymnasialtag 2010 PROF. DR. DAVID-S. DI FUCCIA 29<br />

ben, und zwar den, dass es offenbar<br />

e<strong>in</strong>e wesentliche Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s<br />

heute ist, <strong>in</strong> gewisser Weise e<strong>in</strong><br />

Skandal zu se<strong>in</strong> – und zwar e<strong>in</strong> großer<br />

und e<strong>in</strong> öffentlicher.<br />

Dieser Skandal sche<strong>in</strong>t mir nun dar<strong>in</strong><br />

zu liegen, dass das <strong>Gymnasium</strong> alle<strong>in</strong><br />

durch se<strong>in</strong>e Existenz und damit verbunden<br />

der Existenz anderer Schulformen<br />

e<strong>in</strong> sozusagen nicht zu übersehendes<br />

Zeichen des Leistungspr<strong>in</strong>zips ist.<br />

Alle<strong>in</strong> durch se<strong>in</strong>e Existenz stellt das<br />

<strong>Gymnasium</strong> also jedem, der es betrachtet,<br />

jedem, der darüber spricht,<br />

die Frage: »Wie hältst du es mit dem<br />

Leistungspr<strong>in</strong>zip?«<br />

Der Skandal besteht nun dar<strong>in</strong>, dass<br />

sich diese Frage nicht beantworten,<br />

nicht e<strong>in</strong>mal besprechen lässt, ohne<br />

dass man zum<strong>in</strong>dest sich selbst, besser<br />

aber noch allen anderen Rechenschaft<br />

über se<strong>in</strong> Menschenbild abgibt.<br />

<strong>Das</strong> Leistungspr<strong>in</strong>zip hat nämlich gerade<br />

den Zweck, Unterschiede bei<br />

Menschen sichtbar zu machen und<br />

mit Folgen zu belegen und von daher<br />

stellt sich <strong>in</strong> bildungspolitischen Zusammenhängen<br />

eigentlich immer die<br />

Frage, wie man mit der Unterschiedlichkeit<br />

der Menschen umgeht.<br />

Damit s<strong>in</strong>d bildungspolitische Fragen<br />

per se ideologisch und es ist aus me<strong>in</strong>er<br />

Sicht halbherzig, m<strong>in</strong>destens aber<br />

aussichtslos, sie »unideologisch« beantworten<br />

zu wollen. Betrachtet man die<br />

aktuellen Diskussionen, so stellt man<br />

genau das fest: Debatten um das <strong>Gymnasium</strong><br />

br<strong>in</strong>gen genau diese Ideologien<br />

zum Vorsche<strong>in</strong> und genau das ist<br />

e<strong>in</strong>e wichtige Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s<br />

heute. Die Situation des Bildungssystems<br />

ist dabei die, dass es notwendig<br />

mit Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern zu tun<br />

hat, die mit unterschiedlichen Voraussetzungen<br />

<strong>in</strong> das System e<strong>in</strong>treten.<br />

Dies mag man bedauern, doch so lange<br />

K<strong>in</strong>der geboren werden und Eltern<br />

haben, ist das m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong> Fakt.<br />

Als Anhänger e<strong>in</strong>es christlichen Menschenbildes<br />

würde ich persönlich<br />

noch ergänzen: Die Individualität ist<br />

e<strong>in</strong>e grundsätzliche Eigenschaft des<br />

Menschen als Geschöpf.<br />

Aber selbst wenn man dem nicht<br />

folgt: Die Eltern und das Umfeld werden<br />

genügen, um die K<strong>in</strong>der beim<br />

Schule<strong>in</strong>tritt so verschieden se<strong>in</strong> zu<br />

lassen, dass man darauf reagieren<br />

muss.<br />

Und hier wird es nun ideologisch und,<br />

beim Blick auf so manche öffentliche<br />

Debatte, auch kritisch. Besonders kritisch<br />

wird es da, wo von »Restschule«<br />

gesprochen wird, wo also ganz offenbar<br />

Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler, die ke<strong>in</strong>en<br />

bestimmten Schulabschluss erreichen,<br />

als Rest, also als faktisch oder<br />

zum<strong>in</strong>dest potenziell »weniger wertvoll«<br />

betrachtet werden, oder wo man<br />

feststellen muss, dass ihnen e<strong>in</strong>e Art<br />

gesellschaftlicher Stigmatisierung unvermeidbar<br />

bevorsteht.<br />

<strong>Das</strong> bedeutet, dass also der Wert des<br />

Individuums zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> hohen Teilen<br />

vom Abschluss bestimmt wird, den<br />

es im Bildungssystem erhält. Wenn<br />

man dies so glaubt oder aber befürchtet,<br />

dass es allgeme<strong>in</strong> so gesehen wird,<br />

dann gibt es nur e<strong>in</strong>e Konsequenz: die<br />

E<strong>in</strong>setzung kompensatorischer Maßnahmen<br />

mit dem Ziel der Angleichung<br />

des Leistungsniveaus bei gleichzeitiger<br />

Ausweitung der Absolventenzahlen.<br />

Damit würde das Leistungspr<strong>in</strong>zip<br />

aber faktisch außer Kraft gesetzt.<br />

Aber was wären die Folgen?<br />

Wohlgemerkt unterstelle ich niemandem,<br />

den gesellschaftlichen Wert e<strong>in</strong>es<br />

Menschen von se<strong>in</strong>em Abschluss<br />

abhängig zu machen, aber ich habe<br />

den E<strong>in</strong>druck, irgendwie glauben<br />

dann doch viele, dies sei die Mehrheitsme<strong>in</strong>ung<br />

der Bevölkerung.<br />

Was also wären die Folgen: Aus me<strong>in</strong>er<br />

Sicht gibt es m<strong>in</strong>destens zwei Folgen.<br />

Zum e<strong>in</strong>en wird durch die Aushöhlung<br />

des Leistungspr<strong>in</strong>zips die der<br />

Bevölkerung unterstellte E<strong>in</strong>schätzung<br />

vom Zusammenhang von Wert und<br />

Abschluss quasi gebilligt und damit<br />

der Bevölkerung e<strong>in</strong> Menschenbild<br />

entweder unterstellt, oder doch zum<strong>in</strong>dest<br />

angeboten, das me<strong>in</strong>er festen<br />

Überzeugung nach gesellschaftlich<br />

untragbar ist.<br />

Zum anderen aber h<strong>in</strong>terlässt die Aushöhlung<br />

des Leistungspr<strong>in</strong>zips e<strong>in</strong>e<br />

Regelungslücke. Aufstieg muss wieder<br />

anders organisiert werden und wir erleben<br />

hier e<strong>in</strong>en partiellen Rückfall <strong>in</strong><br />

die Zeit, wo der soziale Status durch<br />

Geburt geregelt war.<br />

Dieser Mechanismus ist heute dafür<br />

verantwortlich, dass es e<strong>in</strong>en sich<br />

massiv ausweitenden Trend zu Privatschulen<br />

gibt. Die Eltern, die sich kümmern<br />

und es sich leisten können, schicken<br />

ihr K<strong>in</strong>d auf die Privatschule,<br />

weil sie dort bessere Bildungs- und<br />

Aufstiegschancen vermuten!<br />

Die Eltern kümmern sich und können<br />

es sich leisten – das ist Aufstieg durch<br />

Geburt! ><br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


30<br />

VORTRAG Gymnasialtag 2010<br />

Ne<strong>in</strong>, das <strong>Gymnasium</strong> steht <strong>in</strong> solchen<br />

Diskussionen pars pro toto für etwas<br />

anderes, und ganz grundsätzlich für<br />

e<strong>in</strong> anderes Bild vom Menschen als<br />

Individuum, das ganz unabhängig von<br />

se<strong>in</strong>em Schulabschluss und von se<strong>in</strong>en<br />

schulischen Leistungen e<strong>in</strong>en immer<br />

gleichen, höchsten Wert hat.<br />

Jede Schüler<strong>in</strong> und jeden Schüler <strong>in</strong><br />

diesem S<strong>in</strong>ne Wert zu schätzen heißt,<br />

sie und ihn bei der Entfaltung se<strong>in</strong>er<br />

Stärken und bei Behebung se<strong>in</strong>er<br />

Schwächen zu unterstützen, ihnen<br />

aber auch das Recht auf Verschiedenheit<br />

zuzugestehen.<br />

<strong>Das</strong> heißt dann auch, die Existenz e<strong>in</strong>es<br />

<strong>Gymnasium</strong>s und eben auch anderer<br />

Schulformen nicht als e<strong>in</strong> Zeichen<br />

ungerechter oder ungerechtfertigter<br />

Verh<strong>in</strong>derung von Bildungschancen zu<br />

sehen, sondern die Existenz des <strong>Gymnasium</strong>s<br />

als Stachel im Fleisch der Gesellschaft<br />

zu verstehen, dessen Stechen<br />

uns daran er<strong>in</strong>nert, dass unsere<br />

Gesellschaft gerade darauf aufbaut,<br />

dass Menschen nicht nur verschieden<br />

s<strong>in</strong>d, sondern auch verschieden se<strong>in</strong><br />

dürfen – und dass das nichts an ihrem<br />

<strong>in</strong>dividuellen Wert ändert, sondern<br />

dass ihnen <strong>in</strong> ihrer Verschiedenheit gerade<br />

Gleichbehandlung (nicht aber<br />

Gleichheit!) garantiert ist.<br />

Diese zutiefst ideologische Frage immer<br />

wieder aufflammen zu lassen ist,<br />

aus me<strong>in</strong>er Sicht, heute e<strong>in</strong>e besondere<br />

Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s als Leit<strong>in</strong>stitution<br />

des Bildungssystems.<br />

Aus dieser besonderen aktuellen Rolle<br />

heraus ergibt sich dann me<strong>in</strong>es Erachtens<br />

nach auch, was die zukünftige<br />

Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s <strong>in</strong> der Bildungsrepublik<br />

Deutschland se<strong>in</strong> soll,<br />

wird oder muss, womit ich zum letzten<br />

Teil me<strong>in</strong>er Ausführungen komme.<br />

Die Rolle e<strong>in</strong>er Leit<strong>in</strong>stitution besteht<br />

nämlich vor allem dar<strong>in</strong>, immer wieder<br />

auch selbstkritisch zu prüfen, ob<br />

man denn noch <strong>in</strong> die richtige Richtung<br />

leitet, oder ob auch Kurskorrekturen<br />

nötig s<strong>in</strong>d.<br />

Ich habe gerade versucht, die besondere<br />

Situation des Umgangs mit Verschiedenartigkeit<br />

bei Wahrung und<br />

Betonung der Gleichwertigkeit sozusagen<br />

theoretisch zu beschreiben, aber<br />

dieses vom <strong>Gymnasium</strong> vertretene<br />

und symbolisierte Konzept verlangt<br />

auch nach praktischer Umsetzung im<br />

schulischen Alltag.<br />

Ganz konkret heißt das, dass es die<br />

Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s <strong>in</strong> Zukunft<br />

se<strong>in</strong> wird, <strong>in</strong> enger Abstimmung mit<br />

den anderen schulischen Angeboten<br />

des Bildungssystems optimale Angebote<br />

für verschiedene – aber gleichwertige<br />

– Lerntypen zu entwickeln<br />

und anzubieten. Prof. Olbertz, der frühere<br />

Wissenschaftsm<strong>in</strong>ister Sachsen-<br />

Anhalts und jetziger Präsident der<br />

Humboldt-Universität Berl<strong>in</strong> hat das<br />

e<strong>in</strong>mal so umschrieben: Es gehe um<br />

die richtige Schule für jeden statt um<br />

e<strong>in</strong>e Schule für alle.<br />

Diese <strong>in</strong>haltliche Überlegung, die den<br />

Schüler und se<strong>in</strong> Lernverhalten <strong>in</strong> den<br />

Mittelpunkt stellt – ist aus me<strong>in</strong>er Sicht<br />

wesentlich bedeutsamer für die qualitative<br />

Weiterentwicklung des Schulsystems<br />

als so manche strukturelle Frage.<br />

Verschiedenen Lerntypen gerecht zu<br />

werden, heißt, koord<strong>in</strong>iert verschiedene<br />

Wege durch die differenzierten<br />

Angebote des Bildungssystems, aber<br />

eben auch verschiedene Lernmöglichkeiten<br />

für e<strong>in</strong> und denselben Bildungs<strong>in</strong>halt<br />

anzubieten.<br />

Es bedarf ganz zweifellos guter Absprachen<br />

unter den verschiedenen Schulenformen,<br />

viel Koord<strong>in</strong>ierungsarbeit<br />

und e<strong>in</strong>er langen Entwicklungs- und<br />

E<strong>in</strong>führungsphase, aber e<strong>in</strong> Bildungssystem,<br />

das den Grundsatz der Verschiedenartigkeit<br />

bei Gleichwertigkeit<br />

ernst nimmt, bietet eben auch unterschiedliche<br />

Lernwege, die verschiedenen<br />

Schülertypen gerecht werden.<br />

Damit eng verbunden ist e<strong>in</strong>e Rolle,<br />

die das <strong>Gymnasium</strong> aus me<strong>in</strong>er Sicht<br />

zukünftig gut im Bildungssystem spielen<br />

kann, nämlich die, die Selbstverantwortung<br />

se<strong>in</strong>er Schüler<strong>in</strong>nen und<br />

Schüler für ihren Lernprozess <strong>in</strong> besonderer<br />

Weise e<strong>in</strong>zufordern und zu<br />

fördern. Es mag den e<strong>in</strong> oder anderen<br />

verwundert haben, dass ich bisher<br />

nicht von der allgeme<strong>in</strong>en Hochschulreife<br />

gesprochen habe – ich will es<br />

nun hier, beim Ausblick – tun.<br />

Und zwar möchte ich fragen, wor<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

allgeme<strong>in</strong>e Hochschulreife bestehen<br />

kann, angesichts e<strong>in</strong>es Hochschulsektors,<br />

der sich immer weiter<br />

und immer unübersichtlicher ausdifferenziert,<br />

bis h<strong>in</strong> <strong>in</strong> duale Studiengänge,<br />

die man zum Teil kaum noch<br />

als zum Hochschulsystem gehörig<br />

identifizieren kann.<br />

Die Antwort auf diese Frage sche<strong>in</strong>t<br />

mir <strong>in</strong> der Mischung aus etwas zu bestehen,<br />

das üblicherweise als traditionell<br />

und bewährt wahrgenommen wird<br />

und etwas, was plötzlich sehr neu zu<br />

se<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>t: nämlich aus Allgeme<strong>in</strong>bildung<br />

und Selbstverantwortung. Allgeme<strong>in</strong>bildung,<br />

wie sie das <strong>Gymnasium</strong><br />

immer angestrebt hat, ist die folgerichtige<br />

Antwort auf gleich zwei Anforderungen<br />

der Zeit: Zum e<strong>in</strong>en der, e<strong>in</strong>e<br />

allgeme<strong>in</strong>e Hochschulreife zu vergeben<br />

und zum anderen der, darauf reagieren<br />

zu müssen, dass man ehrlicher<br />

Weise nicht die leiseste Ahnung hat,<br />

welches Wissen dem heutigen Fünftklässler<br />

wohl beim E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong> se<strong>in</strong><br />

Master-Studium nützlich se<strong>in</strong> könnte.<br />

Genau deshalb ist Allgeme<strong>in</strong>bildung<br />

e<strong>in</strong> wichtiges Ziel: als breite Basis, die<br />

e<strong>in</strong> gewisses Grundwissen zum<strong>in</strong>dest<br />

für e<strong>in</strong>e Fülle von Studiengängen darstellt<br />

und als die Konfrontation mit Inhalten,<br />

die den Geist tra<strong>in</strong>ieren und fit<br />

machen für Aufgaben, an die wir heute<br />

noch gar nicht denken. Jürgen Kaube<br />

von der Frankfurter Allgeme<strong>in</strong>en<br />

Zeitung hat auf die Frage, warum man<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


Gymnasialtag 2010 PROF. DR. DAVID-S. DI FUCCIA 31<br />

<strong>in</strong> der Schule eigentlich Mathematik<br />

lernen müsste, geantwortet: »Weil es<br />

schwer ist.«<br />

Me<strong>in</strong>e Damen und Herren, ich habe<br />

Mathematik studiert und sage ihnen,<br />

er hat <strong>in</strong> doppeltem S<strong>in</strong>ne Recht: Mathematik<br />

ist schwer und gerade deshalb<br />

muss es unterrichtet werden!<br />

Es gibt wenige re<strong>in</strong> nützlichkeitsbezogene<br />

Gründe dafür, Mathematik zu lernen,<br />

die meisten Menschen kommen<br />

mit Rechnen aus, was etwas durchaus<br />

anderes ist, viele heute sogar damit,<br />

dass man sie <strong>in</strong> die korrekte Bedienung<br />

e<strong>in</strong>es Taschenrechners e<strong>in</strong>weist. Ne<strong>in</strong>,<br />

Mathematik zu lernen – oder sagen wir<br />

Goethes Faust zu lesen – ist nicht direkt<br />

nützlich, aber es ist Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g für das Gehirn,<br />

Schule des Denkens.<br />

Und es stimmt mich etwas bedenklich,<br />

dass die Allgeme<strong>in</strong>bildung als Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsmöglichkeit<br />

für das Gehirn unter<br />

Rechtfertigungsdruck steht, während<br />

das Lösen von Sudokus als Gehirnjogg<strong>in</strong>g<br />

erster Klasse quasi anerkannt ist.<br />

Somit ergibt sich e<strong>in</strong>e wichtige Rolle<br />

des <strong>Gymnasium</strong>s <strong>in</strong> der Zukunft: quasi<br />

modernen E<strong>in</strong>fügungen von Themen<br />

zu Lasten von Inhalten der Allgeme<strong>in</strong>bildung<br />

kritisch gegenüberzustehen<br />

– aber nicht aus Traditionalismus<br />

sondern gerade aus Zugewandtheit<br />

zur Zukunft, um die Bedeutung der<br />

Allgeme<strong>in</strong>bildung wieder deutlicher<br />

zu machen und sich nicht unter<br />

Rechtfertigungsdruck sche<strong>in</strong>bar aktueller<br />

Nützlichkeit stellen zu lassen.<br />

Denn was aktuell nützlich ist, ist für<br />

unsere Schüler von heute morgen<br />

schon von gestern.<br />

Gerade vor dem H<strong>in</strong>tergrund der sich<br />

immer weiter und immer schneller<br />

verändernden Struktur der Berufs- und<br />

Hochschullandschaft und angesichts<br />

der Tatsache, dass wir immer weniger<br />

vorher sagen können, welches Wissen<br />

morgen wichtig ist, kommt dem <strong>Gymnasium</strong><br />

<strong>in</strong> Zukunft aber auch die Aufgabe<br />

zu, den Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern<br />

die Übernahme von Verantwortung<br />

für ihr eigenes Lernen stärker zu<br />

ermöglichen, sie dabei zu unterstützen<br />

aber auch zu überprüfen.<br />

Die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler werden<br />

zukünftig viel öfter als noch bisher<br />

nach der Schule mit völlig neuen Inhalten<br />

konfrontiert werden, die sie<br />

sich selbst anlernen müssen. Wenn<br />

sie dann erst anfangen, ihr eigenes<br />

Lernen zu erleben, ihren Lerntyp kennen<br />

zu lernen, ist es vielleicht zu spät.<br />

Viele Gymnasien haben sich hier auf<br />

den Weg gemacht, aber ich sage hier<br />

auch deutlich: »Lernen lernen«, »Methodentra<strong>in</strong><strong>in</strong>g«<br />

und »Projektarbeiten«<br />

s<strong>in</strong>d hier nur Anfänge und Trockenschwimmen.<br />

Selbstverantwortung bedeutet<br />

auch, dass es die Möglichkeit<br />

geben muss, zu scheitern.<br />

Die Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s <strong>in</strong> der Zukunft<br />

muss aus me<strong>in</strong>er Sicht auch dar<strong>in</strong><br />

bestehen, Selbstverantwortung für<br />

das Lernen nach und nach kontrolliert<br />

an Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler zu<br />

vergeben und ihnen dann ab e<strong>in</strong>em<br />

bestimmten Zeitpunkt deutlich zu machen,<br />

dass Schule immer mehr e<strong>in</strong><br />

Angebot ist und immer weniger e<strong>in</strong>e<br />

Rundumversorgung.<br />

Wenn ich heute Erstsemesterstudierende<br />

erlebe, die nach e<strong>in</strong>em Stundenplan<br />

fragen, die e<strong>in</strong>e Korrektur ihrer Hausaufgaben<br />

erwarten und glauben, für die<br />

Klausur genug gelernt zu haben, wenn<br />

sie alle Folien der Vorlesung auswendig<br />

gelernt haben, so sche<strong>in</strong>t mir diese<br />

Nachsteuerung im H<strong>in</strong>blick auf Allgeme<strong>in</strong>bildung<br />

und Selbstverantwortung<br />

auf dem Weg zur allgeme<strong>in</strong>en Hochschulreife<br />

mehr als notwendig.<br />

All das – diese erweiterte Rolle des<br />

<strong>Gymnasium</strong>s – können die Gymnasien<br />

aber nicht aus sich heraus alle<strong>in</strong><br />

und nebenbei erfüllen. Vielmehr ist<br />

zweierlei vonnöten: Zum e<strong>in</strong>en – und<br />

auch das gehört me<strong>in</strong>es Erachtens zur<br />

zukünftigen Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s –<br />

muss sich das <strong>Gymnasium</strong> zukünftig<br />

mehr noch als schon heute als Schule<br />

im Netzwerk begreifen. E<strong>in</strong>e regelmäßige<br />

und enge Kooperation mit anderen<br />

Formen weiterführender Schulen,<br />

Grundschulen, Hochschulen, Betrieben<br />

aber auch Polizei, Jugendhilfe<br />

und natürlich Eltern wird e<strong>in</strong> wesentlicher<br />

Erfolgsfaktor der Zukunft se<strong>in</strong><br />

und das Wesen von Schulleitung zukünftig<br />

entscheidend prägen.<br />

Der Aufbau und die Pflege solcher<br />

Netzwerke, ebenso wie das Ausfüllen<br />

der zuvor skizzierten Anteile der zukünftigen<br />

Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s, also<br />

der Ausrichtung auf Lerntypen und<br />

der Stärkung der Selbstverantwortung,<br />

erfordern aber auch e<strong>in</strong>e une<strong>in</strong>geschränkte<br />

Unterstützung von Seiten<br />

von Staat und Gesellschaft.<br />

Es muss dabei jedem klar se<strong>in</strong>: E<strong>in</strong>e<br />

Vernachlässigung der Gymnasien<br />

schadet dem gesamten Bildungssystem,<br />

e<strong>in</strong>e Unterstützung der Gymnasien<br />

nützt der gesamten Gesellschaft.<br />

Dabei ist e<strong>in</strong>e angemessene Ausstattung<br />

mit Sach- und Personalmitteln, e<strong>in</strong>e<br />

Unterstützung bei der immer weiter<br />

ausufernden Verwaltung und e<strong>in</strong>e<br />

Pflege der Gebäude ebenso wichtig,<br />

wie die Wertschätzung der Arbeit der<br />

Gymnasien und ihrer Lehrer<strong>in</strong>nen<br />

und Lehrer durch Politik und Gesellschaft.<br />

<strong>Das</strong> deutsche Bildungssystem<br />

zeichnet sich dadurch aus, dass auf allen<br />

Ebenen Menschen mit viel Empathie,<br />

Begeisterung und Zugewandtheit<br />

zu den K<strong>in</strong>dern und Jugendlichen so<br />

manche strukturelle Unzulänglichkeit<br />

ausgleichen – das <strong>Gymnasium</strong> macht<br />

da ke<strong>in</strong>e Ausnahme. Dies zur Kenntnis<br />

zu nehmen, öffentlich zu machen<br />

und geme<strong>in</strong>sam an Verbesserungen<br />

zu arbeiten, das ist nicht nur ebenfalls<br />

Teil der zukünftigen Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s,<br />

sondern Aufgabe für uns alle.<br />

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


32<br />

PODIUMSDISKUSSION Gymnasialtag 2010<br />

Die Zukunft des <strong>Gymnasium</strong>s<br />

<strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />

Zusammenfassung der Podiumsdiskussion<br />

Josef Zeimentz<br />

Zentraler Punkt am späteren Nachmittag war die neunzigm<strong>in</strong>ütige Podiumsdiskussion<br />

mit den Vertreter<strong>in</strong>nen der Landtagsparteien.<br />

Auf dem Podium:<br />

Die bildungspolitischen Sprecher<strong>in</strong>nen<br />

der Landtagsfraktionen:<br />

• Ulla Brede-Hoffmann (SPD)<br />

• Bett<strong>in</strong>a Dickes (CDU)<br />

• Nicole Morsblech (FDP)<br />

• Malte Blümke, Vorsitzender des<br />

<strong>Philologenverband</strong>es Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />

Diskussionsleitung:<br />

Elvire Kuhn, stellvertretende Landesvorsitzende<br />

des <strong>Philologenverband</strong>es<br />

Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />

Vorbemerkung:<br />

Anstelle e<strong>in</strong>er Wiedergabe im<br />

Wortlaut werden im Folgenden die<br />

wesentlichen Aussagen der Teilnehmer<br />

der Podiumsdiskussion zu<br />

den angesprochenen Hauptthemen<br />

zusammengefasst. Die Reihenfolge<br />

der Redebeiträge wurde<br />

nicht geändert, um den Charakter<br />

der Diskussionsrunde zu erhalten.<br />

DIE REDAKTION<br />

Thema Schulstruktur und<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

Diskussionsleiter<strong>in</strong> Elvire Kuhn eröffnet<br />

die Diskussion mit e<strong>in</strong>er Frage an<br />

Ulla Brede-Hoffmann (SPD):<br />

»Können Sie sagen, ob und wieweit Sie<br />

im Falle e<strong>in</strong>er Wiederwahl weitere Veränderungen<br />

bei der Schulstruktur sozusagen<br />

<strong>in</strong> der Schublade liegen haben?<br />

Was uns vor allem <strong>in</strong>teressiert: Wie<br />

sieht es mit dem Bestand des <strong>Gymnasium</strong>s<br />

aus? Bleibt es weiterh<strong>in</strong> bei dem<br />

<strong>Gymnasium</strong> ab der fünften Klasse?<br />

Ulla Brede-Hoffmann (SPD) legt bei<br />

ihrer Antwort zunächst Wert auf die<br />

Feststellung, dass für ihre Partei schon<br />

<strong>in</strong> der zu Ende gehenden Legislaturperiode<br />

gegolten habe, nichts zu tun, was<br />

nicht schon vorher angekündigt worden<br />

sei. Genauso werde auch <strong>in</strong> der<br />

nächsten Wahlperiode verfahren und<br />

»nichts aus dem Hut gezaubert werden.«<br />

Wörtlich fährt sie fort: »Deswegen kann<br />

ich Ihnen sagen: Der große Schritt der<br />

Schulstrukturreform, den wir für diese<br />

Legislaturperiode angekündigt haben<br />

und den wir <strong>in</strong> dieser Legislaturperiode<br />

vorgenommen haben, war zwar e<strong>in</strong> großer<br />

Schritt, aber es war e<strong>in</strong> vorsichtiger<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


Gymnasialtag 2010 ZUSAMMENFASSUNG 33<br />

Schritt, der versucht hat, die Beteiligten<br />

mitzunehmen, niemanden zu<br />

überfordern und vor allen D<strong>in</strong>gen, soweit<br />

es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er solchen Reform irgend<br />

machbar ist, nichts gegen die Beteiligten<br />

zu entscheiden und zu regeln,<br />

sondern mit ihnen zusammen<br />

die Lösungen zu erarbeiten.<br />

In diesem Konstrukt war auch das<br />

<strong>Gymnasium</strong> e<strong>in</strong> wichtiger Partner, e<strong>in</strong><br />

wichtiger Gesprächspartner, und wie<br />

Sie alle wissen, haben wir das System<br />

des <strong>Gymnasium</strong>s lediglich an e<strong>in</strong>,<br />

zwei Stellen, die aber nichts wirklich<br />

mit der Schulstrukturreform zu tun<br />

hatten, beim Vorziehen der zweiten<br />

Fremdsprache, bei der Reform der<br />

MSS, die durch e<strong>in</strong>e Beschlusslage<br />

der Kultusm<strong>in</strong>isterkonferenz geboten<br />

war, verändert. Ansonsten haben wir<br />

das <strong>Gymnasium</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Struktur<br />

und se<strong>in</strong>er Bedeutung erhalten und<br />

haben die Bildungswege, die das<br />

<strong>Gymnasium</strong> vor allen D<strong>in</strong>gen durch<br />

die MSS dann ermöglicht, erhalten<br />

und stabilisiert und beabsichtigen<br />

auch nicht <strong>in</strong> der vor uns liegenden<br />

Legislaturperiode, dort Änderungen<br />

durchzuführen.<br />

Es wird sicherlich <strong>in</strong> den nächsten<br />

fünf Jahren an pädagogischen Fragen,<br />

an e<strong>in</strong>zelnen kle<strong>in</strong>en Schritten, an Fragen<br />

der Schulstrukturreform <strong>in</strong> der<br />

Umsetzung dessen, was wir begonnen<br />

haben, Weiterentwicklungen geben.<br />

Es ist aber nicht beabsichtigt, an der<br />

Struktur des <strong>Gymnasium</strong>s, an dem<br />

Vorhandense<strong>in</strong> des <strong>Gymnasium</strong>s, an<br />

dem E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong>s <strong>Gymnasium</strong> <strong>in</strong> Klasse<br />

5 irgendetwas Grundlegendes zu ändern.«<br />

Zu e<strong>in</strong>em möglichen Koalitionspartner<br />

DIE GRÜNEN erklärt Ulla Brede-<br />

Hoffmann:<br />

»Wie das aussehen würde, wenn wir<br />

e<strong>in</strong>en Koalitionspartner GRÜNE haben,<br />

können wir leider heute nicht<br />

richtig eruieren, weil DIE GRÜNEN<br />

nicht am Tisch sitzen und ich Ihnen<br />

sagen muss, dass wir ke<strong>in</strong>erlei Gesprächsverhandlungen,<br />

Programmstudien<br />

bis jetzt gemacht haben und<br />

auch sicherlich nicht machen werden<br />

vor e<strong>in</strong>em vorliegenden Wahlergebnis,<br />

und ich wirklich überhaupt nicht<br />

sagen kann, was die Schwerpunkte im<br />

Bildungsbereich bei den GRÜNEN<br />

s<strong>in</strong>d. Außer Pressemeldungen, die Sie<br />

kennen und die ich kenne, kenne ich<br />

auch nichts. Und von daher kann ich<br />

Ihnen nicht sagen, was passieren würde,<br />

wären die GRÜNEN nach e<strong>in</strong>er<br />

Landtagswahl zusammen mit uns im<br />

Boot.«<br />

Auch auf Nachfrage der Diskussionsleiter<strong>in</strong><br />

Elvire Kuhn und den H<strong>in</strong>weis<br />

auf andere Bundesländer, wo nach<br />

den Wahlen e<strong>in</strong>e Koalitionsregierung<br />

mit den GRÜNEN gebildet worden sei<br />

und es zu e<strong>in</strong>schneidenden Veränderungen<br />

<strong>in</strong> der Schulstruktur gekommen<br />

sei, betont Ulla Brede-Hoffmann,<br />

dass diese Frage vor den Wahlen<br />

nicht akut sei.<br />

Dabei wendet sie sich auch gegen die<br />

abwertende Verwendung des Begriffes<br />

E<strong>in</strong>heitsschule, der <strong>in</strong> der Vergangenheit<br />

mit se<strong>in</strong>em Verweis auf die<br />

nationale E<strong>in</strong>heit immer positiv belegt<br />

gewesen sei, heutzutage aber plötzlich<br />

<strong>in</strong> Komb<strong>in</strong>ation mit der Schule als<br />

e<strong>in</strong> »Kampfbegriff gegen etwas« verwendet<br />

werde.<br />

Auf die Frage zur Schulstruktur geht<br />

Nicole Morsblech (FDP) bei ihrer<br />

Antwort zu den Plänen ihrer Partei<br />

zur Schulstruktur zunächst auf den<br />

vorangegangenen Redebeitrag von Ulla<br />

Brede-Hoffmann (SPD) e<strong>in</strong> und<br />

stellt unter anderem fest: »Ich glaube<br />

schon, dass man verorten kann, wo<br />

die SPD steht und wo DIE GRÜNEN<br />

stehen im H<strong>in</strong>blick auf Strukturentwicklungen,<br />

zum<strong>in</strong>dest gibt es D<strong>in</strong>ge,<br />

die <strong>in</strong> Programmen verschriftlicht<br />

s<strong>in</strong>d, und es gibt schon e<strong>in</strong> Landtagswahlprogramm<br />

der GRÜNEN beispielsweise.<br />

Da steht wörtlich dr<strong>in</strong>:<br />

»Wir arbeiten <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> für<br />

e<strong>in</strong>e Schule für alle und die GRÜNEN<br />

wollen die abschluss- und schulartbezogene<br />

Ausbildung durch e<strong>in</strong>e auf<br />

Stufen bezogene Ausbildung<br />

ersetzen.« Da geht es um die Lehrerausbildung<br />

für die Primarstufe Klassen<br />

1 bis 4, die Sekundarstufe und die<br />

Sekundarstufe I und die Sekundarstufe<br />

II.« Auch die SPD habe zum<strong>in</strong>dest<br />

auf Bundesebene e<strong>in</strong> Grundsatzprogramm<br />

beschlossen, <strong>in</strong> dem steht:<br />

»Wir werben daher für e<strong>in</strong> Schulsystem,<br />

<strong>in</strong> dem K<strong>in</strong>der so lange wie möglich<br />

zusammen und vone<strong>in</strong>ander lernen.<br />

Dies ist am besten zu erreichen<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Schule bis zur<br />

zehnten Klasse.«<br />

Nicole Morsblech (FDP) hält <strong>in</strong> ihrer<br />

weiteren Antwort auf den Redebeitrag<br />

ihrer Vorredner<strong>in</strong> fest, dass manche<br />

Veränderungen auch <strong>in</strong> der Vergangenheit<br />

ziemlich überraschend auf<br />

die Tagesordnung gekommen seien,<br />

so auch die jüngste Schulsstrukturreform:<br />

»Denn die kam an e<strong>in</strong>em sonst<br />

relativ friedfertigen Herbsttag aus<br />

dem Fax, diese neue Struktur, und die<br />

hat vorher ke<strong>in</strong>er im schulischen<br />

Raum wirklich diskutiert.«<br />

Zu den Plänen ihrer eigenen Partei zu<br />

Veränderungen der Schulstruktur erklärt<br />

Morsblech: »Mit der FDP hätten<br />

Sie zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e Garantie,<br />

dass wir ke<strong>in</strong>e weiteren Strukturveränderungen<br />

mitmachen.«<br />

Sie ergänzt: »Welchen Anteil an Wissenserwerb<br />

wir brauchen, welchen<br />

Anteil an Kompetenzerwerb wir brauchen,<br />

was überhaupt <strong>in</strong> Zukunft Studierfähigkeit<br />

bedeuten soll, all das<br />

s<strong>in</strong>d Fragen, die müssen eigentlich<br />

grundlegend se<strong>in</strong> für jede Entwicklung<br />

dessen, was wir im schulischen<br />

Bereich vorhaben und auch grundsätzlich<br />

geklärt werden, bevor man<br />

das <strong>Gymnasium</strong> weiterentwickeln<br />

kann. Und ich hätte mich gerne <strong>in</strong> ><br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


34<br />

PODIUMSDISKUSSION Gymnasialtag 2010<br />

den letzten fünf Jahren über diese<br />

Fragen unterhalten. Stattdessen haben<br />

wir fünf Jahre lang Verschiebebahnhof<br />

gemacht, haben fünf Jahre lang<br />

ideologische Diskussionen um Strukturen<br />

geführt und uns eben nicht<br />

mehr über Qualität unterhalten und<br />

auch nicht mehr über Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

schulischen Lernens und<br />

nicht mehr über Inhalte von gutem<br />

Unterricht und dessen, was Schüler<strong>in</strong>nen<br />

und Schüler brauchen, um ihren<br />

künftigen Lebensweg gestalten zu können.<br />

Und ich glaube, da muss der Fokus<br />

<strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie wieder h<strong>in</strong>.«<br />

Bett<strong>in</strong>a Dickes (CDU) führt zur<br />

Schulstruktur aus: »Die Frage, wie<br />

geht es denn weiter mit Schulstruktur,<br />

wenn die CDU – und ich gehe mal davon<br />

aus – nicht alle<strong>in</strong>e regieren wird,<br />

ist natürlich auch immer e<strong>in</strong>e Frage<br />

des Kompromisses, das muss man<br />

klar und deutlich sagen. Aber man<br />

muss natürlich auch mit Grundsätzen<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Verhandlung h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gehen. Der<br />

Grundsatz für uns lautet: Ke<strong>in</strong>e neue<br />

Schulstrukturreform <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<br />

<strong>Pfalz</strong>, sondern erst mal Ruhe an der<br />

Schulfront.«<br />

Dickes (CDU) hält fest, für ihre Partei<br />

gelte, dass man zunächst e<strong>in</strong>mal für<br />

e<strong>in</strong>ige Jahre die Schulen <strong>in</strong> Ruhe arbeiten<br />

lassen müsse, bevor immer<br />

wieder neue Reformen durchgeführt<br />

würden. Wichtig seien dabei aber gute<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen: »Und da hat<br />

gerade das <strong>Gymnasium</strong> sehr großen<br />

Nachholbedarf«, so Bett<strong>in</strong>a Dickes<br />

(CDU). Sie stellt zu dem oft gehörten<br />

Vorwurf e<strong>in</strong>er mangelnden Förderung<br />

von Schülern an den Gymnasien fest:<br />

»Wenn ich heute weiß, ich habe am<br />

<strong>Gymnasium</strong> für e<strong>in</strong>e Gruppe dreißig<br />

Unterrichtsstunden zur Verfügung,<br />

aber <strong>in</strong> der IGS für e<strong>in</strong>e vergleichbare<br />

Zahl von Schülern 41 Stunden, da<br />

bleibt schon die Frage, wie das <strong>Gymnasium</strong><br />

den Auftrag der <strong>in</strong>dividuellen<br />

Förderung mit solch großen Klassen<br />

und so wenigen Lehrerstunden gerecht<br />

werden soll. Und ich denke, da<br />

müssen wir dr<strong>in</strong>gend etwas tun.«<br />

Zum Fakt, dass auch viele CDU-Landräte<br />

Gesamtschulen für ihren Bereich<br />

beantragt hätten, erklärt Bett<strong>in</strong>a Dickes<br />

unter anderem: »Ich kann aber<br />

auch die Landräte bis zu e<strong>in</strong>em gewissen<br />

Punkt verstehen, die durch die<br />

Schulstrukturreform relativ überfahren<br />

waren, überhaupt nicht wussten,<br />

was sie unter e<strong>in</strong>er Realschule plus zu<br />

verstehen hatten und dann im ersten<br />

Moment gesagt haben, bei der IGS<br />

weiß ich, was es ist, die Realschule<br />

plus macht mir Angst. Und wir erleben<br />

ja auch an zu vielen Stellen zu<br />

viel Unruhe. Insoweit wählen wir zunächst<br />

e<strong>in</strong>mal die Integrierte Gesamtschule.«<br />

Bett<strong>in</strong>a Dickes hält fest, dass ihre Partei<br />

im Falle e<strong>in</strong>er Regierungsbeteiligung<br />

neben dem <strong>Gymnasium</strong> e<strong>in</strong>e<br />

zweite, praxisorientierte Säule haben<br />

möchte, ohne Strukturreform, aber<br />

mit gleichen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen.<br />

Insgesamt möchte sie e<strong>in</strong>e rechtliche<br />

Gleichstellung von Realschule plus<br />

und Integrierter Gesamtschule; diese<br />

führe auch zu e<strong>in</strong>er Aufwertung der<br />

Kooperativen Realschule plus.<br />

Thema Klassenmesszahlen<br />

Elvire Kuhn hält als Diskussionsleiter<strong>in</strong><br />

zu diesem Unterthema zunächst<br />

fest, dass hier das <strong>Gymnasium</strong><br />

schlechter behandelt werde als andere<br />

Schularten. So liege am <strong>Gymnasium</strong><br />

seit Jahrzehnten die Klassenmesszahl<br />

bei dreißig, e<strong>in</strong>e Lehrkraft habe<br />

also 180 bis 200 Schüler, e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuelle<br />

Förderung des E<strong>in</strong>zelnen sei so<br />

unmöglich. Bei der neuen Realschule<br />

plus aber gelte <strong>in</strong> den E<strong>in</strong>gangsklassen<br />

e<strong>in</strong>e wesentlich ger<strong>in</strong>gere Klassenmesszahl.<br />

Ulla Brede-Hoffmann (SPD) wehrt<br />

sich <strong>in</strong> ihrem Beitrag zu diesem Thema<br />

zunächst gegen den Vorwurf, <strong>in</strong><br />

den letzten fünf Jahren seien nur Debatten<br />

um Strukturen, nicht aber über<br />

Inhalte geführt worden.<br />

Sie erklärt: »Wir haben <strong>in</strong> den letzten<br />

fünf Jahren die Qualitätsdebatte rhe<strong>in</strong>land-pfälzischer<br />

Schulen <strong>in</strong> den Mittelpunkt<br />

gestellt.« Zur Begründung verweist<br />

sie unter Buhrufen aus dem Publikum<br />

zunächst auf die Gründung<br />

der AQS, mit deren Hilfe <strong>in</strong> den zurückliegenden<br />

Jahren e<strong>in</strong> Orientierungsrahmen<br />

erarbeitet worden sei.<br />

Diese seien als Standards durch die<br />

KMK <strong>in</strong> den Bundesländern vere<strong>in</strong>bart<br />

und für Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> »heruntergebrochen<br />

und auf unsere verschiedenen<br />

Schularten passgenau h<strong>in</strong><br />

entwickelt« worden. Insgesamt halte<br />

sie es nicht für angemessen, e<strong>in</strong>e Qualitätsdebatte<br />

zu führen und dabei den<br />

Menschen, die diese Qualitätsdiskussionen<br />

geführt, die Qualitätsstandards<br />

und -rahmen erarbeitet, die Programme<br />

gemacht haben, e<strong>in</strong>fach ihre Kom-<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


Gymnasialtag 2010 ZUSAMMENFASSUNG 35<br />

petenz abzusprechen. Diese Arbeit sei<br />

ja auch von Erfolg gekrönt worden,<br />

denn, so Ulla Brede-Hoffmann, haben<br />

bei den letzten Tests »rhe<strong>in</strong>land-pfälzische<br />

Schulen überdurchschnittliche<br />

Fortschritte gemacht, wir waren auf<br />

Platz 2 bei der Überprüfung der Erreichung<br />

der <strong>in</strong> der KMK vere<strong>in</strong>barten<br />

Bildungsstandards. Und das <strong>Gymnasium</strong><br />

hat dabei besonders gut abgeschnitten.<br />

Ich weiß nicht, <strong>in</strong>wiefern<br />

man das als ke<strong>in</strong>e Qualitätsdebatte<br />

und als sich-nicht-mit-Inhalten-beschäftigen<br />

behandeln kann«, so Brede-Hoffmann.<br />

Dies gelte auch für die<br />

vorgezogene zweite Fremdsprache<br />

und ähnliches.<br />

Zum Vorwurf der Schlechterbehandlung<br />

des <strong>Gymnasium</strong>s und dem steigenden<br />

Zulauf von Schülern an die<br />

Gymnasien führt Ulla Brede-Hoffmann<br />

(SPD) aus: »Die Gymnasien <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />

haben, das spricht nicht gegen<br />

die Gymnasien, das beschreibt e<strong>in</strong>en<br />

Status Quo, <strong>in</strong> diesem Schuljahr<br />

im Vergleich zum vergangenen Schuljahr<br />

die Großzahl von 300 Schüler<strong>in</strong>nen<br />

und Schülern mehr, 300 Schüler<strong>in</strong>nen<br />

und Schüler Zuwachs im <strong>Gymnasium</strong><br />

gegenüber dem letzten Schuljahr.<br />

Ich würde das jetzt nicht als e<strong>in</strong>e<br />

Abstimmung mit den Füßen h<strong>in</strong> zum<br />

<strong>Gymnasium</strong> bezeichnen, sondern sagen,<br />

das <strong>Gymnasium</strong> hat e<strong>in</strong>e stabile<br />

Schülerzahl.«<br />

Zur steigenden Heterogenität der<br />

Gymnasien verweist Ulla Brede-Hoffmann<br />

(SPD) auf ihre eigene Schulzeit:<br />

<strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> habe schon immer<br />

e<strong>in</strong>e heterogene Schülerpopulation<br />

gehabt und »schon damals war die<br />

Heterogenität unter uns Schüler<strong>in</strong>nen<br />

und Schülern im <strong>Gymnasium</strong> riesengroß,<br />

und das war gut und schön, und<br />

ich möchte das nicht missen, auch<br />

nicht <strong>in</strong> der Rücker<strong>in</strong>nerung mit soviel<br />

unterschiedlichen Schüler<strong>in</strong>nen<br />

und Schülern zusammengewesen zu<br />

se<strong>in</strong>...«<br />

Brede-Hoffmann (SPD) erklärt, das<br />

<strong>Gymnasium</strong> werde nicht schlechter<br />

behandelt als die anderen Schularten.<br />

Es habe <strong>in</strong> den letzten Jahren »konsequent<br />

von Jahr zu Jahr e<strong>in</strong>e etwas ger<strong>in</strong>gere<br />

durchschnittliche Klassengröße«<br />

aufzuweisen. Mit Bezug auf die<br />

Klassengrößen habe sich mit Ausnahme<br />

der Klasse 5 und Klasse 6 <strong>in</strong> den<br />

neuen Realschulen plus und den<br />

Klassen 1 und 2 <strong>in</strong> den Grundschulen<br />

<strong>in</strong> allen Schularten derzeit nichts an<br />

den Klassenmesszahlen geändert:<br />

»Dafür fehlt uns schlicht und e<strong>in</strong>fach<br />

das Geld«.<br />

Brede-Hoffmann (SPD) erklärt weiter:<br />

»Wir versuchen, diesen Schulen und<br />

<strong>in</strong>sbesondere auch unseren Gymnasien<br />

immer wieder und immer mehr<br />

Stunden zur Verfügung zu stellen, und<br />

die Gymnasien haben genauso Anteil<br />

an den Förder- und Differenzierungsstundenpools,<br />

wie unsere anderen<br />

Schularten auch, und es stimmt<br />

schlicht auch e<strong>in</strong>fach nicht, dass sie<br />

nicht auch Förder- und Differenzierungsstunden,<br />

auch Sprachförderstunden<br />

<strong>in</strong> den Klassen 5 und 6 zugewiesen<br />

bekommen, wenn sie sie beantragen.<br />

<strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> ist deswegen<br />

ke<strong>in</strong> Stiefk<strong>in</strong>d der Landesregierung.<br />

Und lassen Sie mich sagen, dass wir<br />

es mit großer Begeisterung betrachten,<br />

dass unsere Gymnasien hoch<br />

qualifizierte Arbeit machen, dass<br />

rhe<strong>in</strong>land-pfälzische Studierende gute<br />

Universitätsstudierende s<strong>in</strong>d, wenn<br />

sie von unseren Schulen kommen<br />

und dass sie mitnichten sich als Stiefk<strong>in</strong>der<br />

behandelt fühlen.«<br />

Thema Unterrichtsversorgung<br />

und Haushaltskonsolidierung<br />

Bett<strong>in</strong>a Dickes (CDU) geht zu diesem<br />

Punkt zunächst noch e<strong>in</strong>mal auf die<br />

Qualitätsdebatte e<strong>in</strong> und unterstreicht<br />

ihre Auffassung mit dem konkreten<br />

Beispiel e<strong>in</strong>er Schule, e<strong>in</strong>er Realschule<br />

plus <strong>in</strong> ihrem Kreis: »Wir haben an<br />

dieser Realschule plus das Fach NAWI<br />

e<strong>in</strong>geführt, die zweite Fremdsprache<br />

bzw. die zweite Fremdsprache als<br />

Wahlpflichtfach <strong>in</strong> der Klasse 6. Wir<br />

haben zwei Kollegien zusammengeführt,<br />

zwei Schülerschaften, wir haben<br />

die AQS gehabt, s<strong>in</strong>d Schwerpunktschule<br />

geworden, wir haben<br />

»Ke<strong>in</strong>er ohne Abschluss« bekommen<br />

und die Lernmittelausleihe nebenbei<br />

auch, und da bleibt die Frage bei vier<br />

Konferenzen pro Woche, wie diese<br />

Schule noch qualitativ weiterarbeiten<br />

soll, wie diese Lehrer Unterricht vorbereiten<br />

oder sich vielleicht noch mit<br />

dem Schüler beschäftigen sollen.«<br />

Deshalb sei es dr<strong>in</strong>gend Zeit, dass<br />

»wir Luft zum Atmen <strong>in</strong> den Schulen<br />

und dazu mehr Lehrer bekommen.«<br />

Zu der Frage der Unterrichtsversorgung<br />

mit Lehrern <strong>in</strong> den Schulen und<br />

zur Frage der Haushaltskonsolidierung<br />

erklärt Bett<strong>in</strong>a Dickes (CDU), es<br />

komme darauf an, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Haushalt<br />

Prioritäten zu setzen, und diese Prioritäten<br />

lägen ganz klar im Bereich der<br />

Bildung: »Wir haben <strong>in</strong> den vergangenen<br />

Jahren immer wieder Vorschläge<br />

gemacht, wie wir mehr Lehrer <strong>in</strong> den<br />

Schulen f<strong>in</strong>anzieren können. Wir haben<br />

grundsätzlich gegenf<strong>in</strong>anziert und<br />

trotzdem e<strong>in</strong>gespart, und diesen Weg<br />

werden wir auch weitergehen. Wir haben<br />

gesagt, dass wir e<strong>in</strong>e hundertprozentige<br />

Unterrichtsversorgung <strong>in</strong> den<br />

Schulen haben möchten, wir haben<br />

des Weiteren gesagt, dass wir für al- ><br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


36<br />

PODIUMSDISKUSSION Gymnasialtag 2010<br />

le Schularten e<strong>in</strong>en verlässlichen Vertretungspool<br />

wollen, damit wir von<br />

der derzeitigen Praxis der Vertretungslehrer,<br />

die immer mal wieder<br />

hier für drei Monate oder dort für e<strong>in</strong><br />

halbes Jahr beschäftigt werden, wegkommen.«<br />

Malte Blümke, Landsvorsitzender<br />

des <strong>Philologenverband</strong>es, greift an<br />

dieser Stelle <strong>in</strong> die Diskussion e<strong>in</strong> und<br />

verweist darauf, dass Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />

laut kürzlich veröffentlichter Zahlen<br />

des sogenannten Bildungsmonitors<br />

5100 Euro pro Schüler aufwende, während<br />

im Durchschnitt aller Bundesländer<br />

5400 Euro pro Schüler aufgewendet<br />

würden. Damit liege Rhe<strong>in</strong>land-<br />

<strong>Pfalz</strong> an zwölfter Stelle unter den Bundesländern<br />

bei den Bildungsausgaben.<br />

Zur Stellung des <strong>Gymnasium</strong>s unter<br />

den übrigen Schularten verweist Malte<br />

Blümke darauf, dass das <strong>Gymnasium</strong><br />

weiterh<strong>in</strong> den höchsten Unterrichtsausfall<br />

habe. Er fährt fort: »Wir<br />

haben im <strong>Gymnasium</strong> rund zehn Prozent<br />

Lehrkräfte, die eben nicht die<br />

volle Fakultas haben. <strong>Das</strong> ist e<strong>in</strong> Und<strong>in</strong>g,<br />

dass wir da zum Beispiel Studenten<br />

e<strong>in</strong>setzen müssen. <strong>Das</strong> kann<br />

doch ke<strong>in</strong>e Qualitätssicherung se<strong>in</strong>!«<br />

Zudem hätten die Gymnasien mit 27<br />

Schülern pro Klasse die größten Klassen<br />

und e<strong>in</strong>e Zuweisung von 0,02 Lehrerstunden<br />

pro Schüler gegenüber<br />

0,56 an den Gesamtschulen. Dies sei<br />

e<strong>in</strong>e Benachteiligung, die nicht e<strong>in</strong>fach<br />

so weggewischt werden könne,<br />

denn »wenn Gelder da s<strong>in</strong>d für <strong>in</strong>tegrierte<br />

Systeme, dann müssten die<br />

Gymnasien diese auch haben.«<br />

1. Reihe v.l.n.r.: Malte Blümke, Bildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> Doris Ahnen,<br />

Elvire Kuhn, Barbara Mathea, Prof. Dr. Peter J. Brenner<br />

Insgesamt bemängelt der Vorsitzende<br />

des <strong>Philologenverband</strong>es, dass von<br />

dem e<strong>in</strong>gesetzten Geld zu wenig »unten<br />

ankomme«. Stattdessen werde es<br />

<strong>in</strong> fragwürdige Aktionen wie die AQS<br />

(E<strong>in</strong>sparungsmöglichkeit: zwanzig Millionen<br />

Euro) oder <strong>in</strong> teure Werbemaßnahmen<br />

der Landesregierung gesteckt,<br />

ganz zu schweigen von dem<br />

neuen Fortbildungs<strong>in</strong>stitut, für das im<br />

neuen Haushalt 22 Millionen Euro<br />

vorgesehen seien.<br />

»Und da schauen Sie mal, was kommt<br />

bei uns als Lehrerfortbildungsveranstaltung<br />

an? Gymnasiale Lehrerfortbildungsveranstaltungen?<br />

<strong>Das</strong> ist e<strong>in</strong>e<br />

Katastrophe! Da gibt es fast überhaupt<br />

nichts! Deswegen muss man das Institut<br />

abschaffen«, erklärt Blümke unter<br />

dem Beifall des Auditoriums und<br />

schlägt vor: »Besser wäre es, Bildungsgutsche<strong>in</strong>e<br />

auszugeben. Dann könnten<br />

sich die Lehrkräfte die Lehrerfortbildung,<br />

die sie für ihren Unterricht<br />

benötigen, dort selbst e<strong>in</strong>kaufen, wo<br />

es ihnen auch etwas br<strong>in</strong>gt.«<br />

Thema Unterrichtsversorgung,<br />

Sparmaßnahmen<br />

Nicole Morsblech (FDP) kritisiert,<br />

dass das Land Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> es <strong>in</strong><br />

der Vergangenheit versäumt habe,<br />

Sparmöglichkeiten zu nutzen, besonders<br />

auch <strong>in</strong> den Jahren, <strong>in</strong> denen die<br />

E<strong>in</strong>nahmen »sprudelten«. <strong>Das</strong> habe<br />

der Rechnungshofbericht 2008 aufgezeigt.<br />

»Und trotzdem hat es diese Landesregierung<br />

geschafft, die Nettoneuverschuldung<br />

noch e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> die Höhe<br />

zu treiben, das heißt, man hat<br />

noch neue Schulden draufgesattelt.«<br />

Deshalb sei es völlig unklar, wie unter<br />

diesen Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>e Schuldenbremse<br />

durchgesetzt werden könne:<br />

»Und da spreche ich noch nicht e<strong>in</strong>mal<br />

D<strong>in</strong>ge wie den Nürburgr<strong>in</strong>g und<br />

das Schlosshotel an.«<br />

Auch im Bildungshaushalt gebe es Reserven,<br />

die ausgeschöpft werden<br />

könnten. So müsse auch die Schulbuchausleihe<br />

mit ihren Kosten von<br />

vierzig Millionen Euro eventuell noch<br />

e<strong>in</strong>mal auf den Prüfstand. Dort seien<br />

alle<strong>in</strong> für Verwaltungskosten 2,3 Millionen<br />

Euro veranschlagt und dieses<br />

Geld »hätte man möglicherweise auch<br />

als Reserve gehabt, um es lieber <strong>in</strong><br />

zusätzliches Personal und <strong>in</strong> vernünftigen<br />

Unterricht zu <strong>in</strong>vestieren.«<br />

E<strong>in</strong>en weiteren Kritikpunkt sieht<br />

Morsblech (FDP) <strong>in</strong> der Qualifikation<br />

der Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer. Hier sei<br />

das <strong>Gymnasium</strong> nach ihrer Ansicht<br />

am stärksten von der Reform betroffen:<br />

»Sie trifft das <strong>Gymnasium</strong> <strong>in</strong>s<br />

Mark, wenn sowohl die schulartspezifische<br />

Ausbildung zurückgefahren<br />

wird als auch die fachspezifische Ausbildung.<br />

Und es wird dann zunehmend<br />

schwieriger, e<strong>in</strong>en qualifizierten<br />

Unterricht <strong>in</strong> der Schule zu gewährleisten.«<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


Gymnasialtag 2010 ZUSAMMENFASSUNG 37<br />

Dies gelte auch für die Qualifikation<br />

der neu E<strong>in</strong>zustellenden. Es sei zwar<br />

zu begrüßen, dass die Kapazität der<br />

Studiensem<strong>in</strong>are jetzt ausgeweitet<br />

worden sei, aber diese Maßnahme<br />

komme jetzt viel zu spät.<br />

Bedenklich sei die Qualifikation der<br />

neu e<strong>in</strong>gestellten Personen. Dazu habe<br />

die M<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> selbst mitgeteilt,<br />

»dass <strong>in</strong>sgesamt 1529 Lehrkräfte neu<br />

e<strong>in</strong>gestellt wurden, über alle Schularten<br />

h<strong>in</strong>weg, und dass davon <strong>in</strong>sgesamt<br />

1120 Lehrer über das 2. Staatsexamen<br />

verfügten«, die anderen nicht. »<strong>Das</strong><br />

s<strong>in</strong>d 409 Lehrer«, so Morsblech, » ohne<br />

2. Staatsexamen, die dieses Jahr<br />

neu e<strong>in</strong>gestellt wurden. Man kommt<br />

dann auf 26,7 Prozent Menschen, die<br />

jetzt neu e<strong>in</strong>gestellt worden s<strong>in</strong>d im<br />

Lehrerberuf, die nicht über das 2.<br />

Staatsexamen verfügen. Und ich glaube«,<br />

so Nicole Morsblech (FDP) an<br />

die Adresse der anwesenden Gymnasiallehrer<strong>in</strong>nen<br />

und Gymnasiallehrer,<br />

»das ist etwas, das Sie vor massive Herausforderungen<br />

stellt, wenn Sie diese<br />

Menschen im Schulalltag auch <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>er<br />

Form mitnehmen müssen.«<br />

Dabei seien die Probleme der Mangelfächer<br />

noch überhaupt nicht berücksichtigt.<br />

»Deshalb wäre es mir auch<br />

sehr wichtig, dass wir gerade an die<br />

Mangelfächer noch e<strong>in</strong>mal wirklich<br />

auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er konzertierten Aktion<br />

rangehen und besonderen Wert darauf<br />

legen, dass wir an diesen Stellen<br />

zusätzlich ausbilden.«<br />

Thema Lehrerbildung,<br />

Praktikantenflut<br />

Malte Blümke (PhV): »<strong>Das</strong> ist die<br />

schlechteste Baustelle, die die Landesregierung<br />

verursacht hat. Die konsekutive<br />

Lehrerbildung von M<strong>in</strong>ister<br />

Zöllner und Professor Saterdag haben<br />

wir von Anfang an massiv kritisiert,<br />

und es ist ja noch viel schlimmer gekommen,<br />

als wir befürchtet haben.<br />

Diese Lehrerbildung ist gescheitert,<br />

das kann man nun wirklich sagen.<br />

Man hat im letzten Jahr 2009 Detailkorrekturen<br />

vorgenommen, aber das<br />

greift nicht. Die Studenten können <strong>in</strong><br />

diesem System überhaupt nicht s<strong>in</strong>nvoll<br />

studieren. Die Studenten haben<br />

fünfzehn bis zwanzig Prüfungen pro<br />

Semester. Sie haben Wochenstundenpläne<br />

von 25 Wochenstunden und<br />

mehr, das macht ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n! Die Studenten<br />

werden ganz eng geführt, müssen<br />

Module studieren, und wenn sie<br />

das e<strong>in</strong>e Modul nicht haben, dann<br />

dürfen sie <strong>in</strong> das andere Modul nicht<br />

h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. <strong>Das</strong> ist ke<strong>in</strong> akademisches Studium<br />

mehr! Und die Praktika funktionieren<br />

vorne und h<strong>in</strong>ten nicht. Die sogenannten<br />

Fachpraktika s<strong>in</strong>d überhaupt<br />

ke<strong>in</strong>e Fachpraktika, wie sich<br />

jetzt herausgestellt hat, weil gar ke<strong>in</strong><br />

Fachleiter mehr beteiligt ist, sondern<br />

es werden Hilfsfachleiter dafür rekrutiert.<br />

<strong>Das</strong> M<strong>in</strong>isterium hat diese noch<br />

nicht, will sie aber noch im nächsten<br />

Frühjahr anwerben und damit dann<br />

die Praktika betreuen lassen.<br />

Wir fordern e<strong>in</strong> sauberes akademisches<br />

Studium <strong>in</strong> zwei Fächern, Abschaffung<br />

der Bachelorstruktur, denn<br />

der Bachelor ist für e<strong>in</strong>en Lehrer total<br />

irrelevant, er br<strong>in</strong>gt überhaupt nichts,<br />

Aufgabe der Polyvalenz – das hat<br />

Sachsen ja jetzt gemacht – Reduzierung<br />

der Anzahl der Praktika, Umwandlung<br />

der Fachpraktika zu echten<br />

Fachpraktika, und wir brauchen e<strong>in</strong><br />

m<strong>in</strong>destens achtzehnmonatiges Referendariat,<br />

geleitet von hauptamtlichen<br />

Fachleitern.«<br />

Ulla Brede-Hoffmann (SPD) geht zunächst<br />

auf die Redebeiträge der Vorredner<br />

e<strong>in</strong>; zum Thema Haushalt verweist<br />

sie darauf, dass der Bildungshaushalt<br />

im Gegensatz zum Gesamthaushalt<br />

nicht um e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb Prozent<br />

zurückgefahren, sondern im nächsten<br />

Doppelhaushalt um sechs Prozent<br />

aufgestockt werde.<br />

Bezüglich der Schulbuchausleihe erläutert<br />

sie, dass nicht nur Kosten von<br />

vierzig Millionen Euro anfielen, sondern<br />

auf der anderen Seite auch E<strong>in</strong>nahmen<br />

stünden.<br />

Insgesamt gehe es bei diesem Programm<br />

darum, »mehr soziale Gerechtigkeit<br />

für unsere Eltern zu schaffen,<br />

mehr Eltern die Chance zu geben,<br />

nicht so viel für ihre Schulbücher auszugeben.«<br />

Ziel der Maßnahme sei es, nicht nur<br />

den Hartz-IV-Eltern bei der Anschaffung<br />

von Schulbüchern zu helfen,<br />

sondern »andere Eltern auch <strong>in</strong> den<br />

»Genuss« von sozialen Zuschüssen zu<br />

br<strong>in</strong>gen und diesen Eltern auch die<br />

große Bürde der Kosten durch Schulbücher<br />

etwas zu erleichtern: »Sie kriegen<br />

es ja nicht für Null, diese Eltern,<br />

sondern sie müssen e<strong>in</strong> Drittel des<br />

Preises bezahlen«, so Brede-Hoffmann<br />

(SPD). Dies sei e<strong>in</strong> Beitrag zur sozialen<br />

Gerechtigkeit.<br />

Zu den E<strong>in</strong>stellungszahlen und zum<br />

Vertretungspool:<br />

Für e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>stellung <strong>in</strong>s Beamtenverhältnis<br />

sei für sie nach wie vor das 2.<br />

Staatsexamen notwendig, aber die<br />

vorgelegten Zahlen »s<strong>in</strong>d die Zahlen<br />

aller E<strong>in</strong>stellungen <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong>,<br />

und da s<strong>in</strong>d die PES- und sonstigen<br />

Vertretungsverträge mit dabei.« In vielen<br />

Fällen seien voll ausgebildete<br />

Lehrkräfte auf dem Lehrerarbeitsmarkt<br />

leider nicht zu f<strong>in</strong>den.<br />

Ulla Brede-Hoffmann (SPD) erklärt<br />

zum angeführten Vertretungspool,<br />

dass dieser <strong>in</strong> den Grundschulen<br />

wohl funktionieren könne, <strong>in</strong> den<br />

Gymnasien mit den verschiedenen<br />

Fächerverb<strong>in</strong>dungen sei er <strong>in</strong> dieser<br />

Form aber nicht realisierbar, um alle<br />

kurzfristig ausfallenden Stunden<br />

wirklich auffangen zu können. Deswegen<br />

sei ihre Partei gegen e<strong>in</strong>en solchen<br />

Vertretungspool für weiter- ><br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


38<br />

PODIUMSDISKUSSION Gymnasialtag 2010<br />

führende Schulen. Er sei nicht f<strong>in</strong>anzierbar.<br />

An dieser Stelle verweist die Diskussionsleiter<strong>in</strong><br />

Elvire Kuhn auf die nur<br />

noch begrenzt zur Verfügung stehende<br />

Zeit und gibt die Mikrofone frei für<br />

Fragen aus dem Publikum:<br />

1. Publikumsfrage: Wie sieht es<br />

mit G 8 aus, wie sieht es mit der<br />

AQS aus, wie sieht es mit der Lehrerbildungsreform<br />

aus? Und wie sehen<br />

Sie <strong>in</strong>sgesamt die Entwicklung<br />

auch der Realschule plus, besonders<br />

unter dem Aspekt der Wahrung<br />

der Qualität?<br />

Bett<strong>in</strong>a Dickes (CDU): »Ich versuche<br />

es so kurz wie möglich zu machen,<br />

Längeres können Sie dann im Wahlprogramm<br />

nachlesen. Wir sprechen uns<br />

für e<strong>in</strong>e Wahlfreiheit bei G 8 und G 9<br />

aus. Wir haben derzeit im Land BEGYS-<br />

Gymnasien, und wir möchten e<strong>in</strong>e Ausweitung<br />

dieser BEGYS-Gymnasien auf<br />

ganz Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong>, möchten aber bei<br />

dieser Umwandlung e<strong>in</strong>e Rückkehr<br />

zum Abitur am Ende des vollen Schuljahres,<br />

das heißt, e<strong>in</strong> volles Abitur<br />

nach acht oder ganzen neun Jahren.<br />

Bei der AQS geht es ganz schnell: Sie<br />

wird abgeschafft.<br />

Zur Frage der Lehrerbildung: Wir<br />

sprechen uns, was die Praktika betrifft,<br />

für e<strong>in</strong> Praxissemester aus, um<br />

auch die Schulen zu entlasten von der<br />

derzeitigen Praktikantenschwemme,<br />

die Sie erleben. Also gerade aus den<br />

Gymnasien hören wir, vierzig Praktikanten<br />

sitzen im Flur und man weiß<br />

nicht, woh<strong>in</strong> damit. Dafür hätten wir<br />

gerne e<strong>in</strong> von Fachleuten begleitetes<br />

Praxissemester. Wir möchten e<strong>in</strong>e<br />

Rückkehr zum Staatsexamen und e<strong>in</strong>e<br />

Abkehr vom Bachelor-Master-System,<br />

das sich auch aus unserer Sicht nicht<br />

bewährt hat <strong>in</strong> der Lehrerbildung,<br />

und wir sprechen uns ganz klar für<br />

e<strong>in</strong> schulartbezogenes Studium ab<br />

dem 1. Semester aus.<br />

Zur letzten Frage der Realschule plus:<br />

Wir möchten, dass die Realschule<br />

plus gestärkt wird. Wir möchten e<strong>in</strong>e<br />

positive Realschule plus, die auch<br />

von den Eltern anerkannt wird. <strong>Das</strong><br />

heißt für uns, dass wir das praxisorientierte<br />

Profil der Realschule plus<br />

stärken, dass wir bei der IGS e<strong>in</strong> praxisorientiertes<br />

Profil e<strong>in</strong>führen, um<br />

diese Schulen auch gleichzustellen,<br />

dass beide Schulen auch dementsprechend<br />

gleiche Ressourcen haben und<br />

dass beide Schulen, um auch das<br />

<strong>Gymnasium</strong> zu stärken, so stark werden,<br />

dass wir sagen, beide Schulen<br />

können Schüler bis zum Abitur führen,<br />

müssen es aber nicht. Auch das<br />

ist e<strong>in</strong>e ganz klare Ansage: Wir möchten<br />

nicht, dass jeder Schüler Abitur<br />

macht, aber Eltern müssen wissen,<br />

dass, egal welche Schule sie für ihr<br />

K<strong>in</strong>d wählen, diese Schule ihr K<strong>in</strong>d<br />

bis zum Abitur führen kann.<br />

H<strong>in</strong>zu kommen für uns zentrale Abschlussprüfungen<br />

für alle Bildungsgänge<br />

für die Berufsreife, die mittlere<br />

Reife und für das Abitur.«<br />

Nicole Morsblech (FDP): »Auch wir<br />

haben beschlossen, dass wir für das<br />

G 8 e<strong>in</strong>e Wahlfreiheit für die Schulen<br />

möchten. Wir hatten das <strong>in</strong> dem letzten<br />

Programm auch anders beurteilt<br />

und haben <strong>in</strong> der Tat gesehen, dass es<br />

dort, wo das G 8 flächendeckend e<strong>in</strong>geführt<br />

wurde, so massive Probleme<br />

gibt, dass es s<strong>in</strong>nvoller ist, auf differenzierte<br />

Lösungen zu setzen, die<br />

auch vor Ort getragen werden können.<br />

Für die AQS würde ich mir wünschen,<br />

dass man <strong>in</strong> der Tat Qualität auch weiterh<strong>in</strong><br />

evaluiert <strong>in</strong> Schulen, dass aber<br />

die AQS unabhängig wird und nicht<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


Gymnasialtag 2010 ZUSAMMENFASSUNG 39<br />

mehr e<strong>in</strong>e Stabsstelle der Schulaufsicht<br />

ist.<br />

Und es wird auch wichtig se<strong>in</strong>, dass<br />

<strong>in</strong>haltlich reformiert wird, was da evaluiert<br />

wird, denn ich glaube, e<strong>in</strong>e Evaluation,<br />

die zum Beispiel fachdidaktische<br />

Inhalte überhaupt nicht <strong>in</strong> den<br />

Blick nimmt, sagt wenig über die Qualität<br />

des Unterrichts aus und ist auch<br />

wenig hilfreich für denjenigen, der se<strong>in</strong>e<br />

Unterrichts<strong>in</strong>halte an den Schüler<br />

oder die Schüler<strong>in</strong> br<strong>in</strong>gen möchte.<br />

Ob im Unterricht mal gelacht wird, ist<br />

zwar auch e<strong>in</strong> nettes Qualitätskriterium,<br />

weist aber auch <strong>in</strong> die Richtung,<br />

die wir <strong>in</strong> der Lehrerbildung zum Teil<br />

beobachten, nämlich e<strong>in</strong>e Aufweichung<br />

fachlicher Inhalte und schulartspezifischer<br />

Inhalte, auch da kann ich<br />

mich me<strong>in</strong>er Kolleg<strong>in</strong> anschließen.<br />

Wir wollen zurück zur schulartspezifischen<br />

Ausbildung und möchten auch<br />

die fachlichen Inhalte wieder deutlich<br />

gestärkt wissen. <strong>Das</strong>s man von dem<br />

Bologna-Prozess <strong>in</strong>sgesamt wieder herunterkommt,<br />

das wage ich allerd<strong>in</strong>gs<br />

zu bezweifeln <strong>in</strong> der strukturellen Frage.<br />

Zur Frage der Schulstruktur: Wir wollen<br />

e<strong>in</strong>e Garantie geben für die bestehenden<br />

Schulformen und möchten<br />

das System erst e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> Ruhe lassen.«<br />

Insgesamt, so Morsblech (FDP), sei<br />

man mit der Entwicklung der letzten<br />

Jahre mit immer mehr <strong>in</strong>tegrierten<br />

Systemen gerade auch vor dem H<strong>in</strong>tergrund<br />

der Vergleichsstudien wie<br />

PISA nicht zufrieden, aber »nichtsdestotrotz<br />

haben wir die Strukturen jetzt<br />

so, wie sie s<strong>in</strong>d«, und deshalb sei ihre<br />

Partei auch für zentrale oder teilzentrale<br />

Abschlussprüfungen, auch für<br />

die mittleren Abschlüsse, »weil man<br />

sich gar nicht mehr behelfen kann <strong>in</strong><br />

diesem Struktur-Kuddelmuddel mit<br />

den unterschiedlichen Qualitäten, wie<br />

wir sie zur Zeit haben. Ich kenne<br />

Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler, die sagen,<br />

zur Oberstufe wechsle ich lieber an<br />

die IGS, weil ich mir me<strong>in</strong>en Abi-<br />

Schnitt nicht kaputt machen möchte<br />

und den NC für XY schaffen will.«<br />

Insgesamt komme es <strong>in</strong> der Zukunft<br />

darauf an, viel mehr noch auf qualitative<br />

Ergebnisse zu achten und dabei<br />

auch noch e<strong>in</strong>mal die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

ganz massiv <strong>in</strong> den Mittelpunkt<br />

zu stellen. »Und da s<strong>in</strong>d im Moment<br />

die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen an den<br />

Gymnasien und an den Berufsbildenden<br />

Schulen am schlechtesten.«<br />

Letzteren komme e<strong>in</strong>e Schlüsselrolle<br />

zu, denn nicht jeder müsse Abitur machen,<br />

und im dualen Berufsausbildungssystem<br />

gebe es »viele gute Wege,<br />

um zu e<strong>in</strong>em beruflichen Erfolg zu<br />

kommen.«<br />

Die Berufsbildende Schule sei e<strong>in</strong>e Alternative<br />

zum <strong>Gymnasium</strong>, das e<strong>in</strong>e<br />

allgeme<strong>in</strong>bildende und vor allem für<br />

e<strong>in</strong> Universitätsstudium qualifizierende<br />

Funktion unbed<strong>in</strong>gt behalten sollte.<br />

2. Publikumsfrage: Wird das Fach<br />

NAWI nach den Wahlen weiterh<strong>in</strong><br />

Bestand haben?<br />

Ulla Brede-Hoffmann (SPD) erklärt<br />

dazu, sie hätten das Fach e<strong>in</strong>geführt,<br />

fänden es ganz wichtig »als Vorbereitung<br />

auf tiefergehende Lernprozesse<br />

<strong>in</strong> späteren Jahren <strong>in</strong> den naturwissenschaftlichen<br />

und mathematischen<br />

Fächern« und sie seien deshalb auch<br />

weiterh<strong>in</strong> für dieses Fach.<br />

Zu G 8 erklärt Brede-Hoffmann (SPD),<br />

sie hätten ursprünglich geplant, fünfzehn<br />

derartige Gymnasien e<strong>in</strong>zuführen,<br />

dann aber siebzehn G 8-Gymnasien<br />

e<strong>in</strong>geführt, wovon allerd<strong>in</strong>gs fünf<br />

private Gymnasien seien.<br />

Zur AQS erkärt Ulla Brede-Hoffmann<br />

(SPD): »Wir haben sie e<strong>in</strong>geführt. In<br />

der ganzen Europäischen Union evaluiert<br />

man se<strong>in</strong>e Schulsysteme. Ich<br />

kann mir schlecht vorstellen, dass wir<br />

als Rhe<strong>in</strong>land-Pfälzer sagen: Wir brauchen<br />

das nicht!«<br />

Zur Lehrerbildungsreform weist Brede-Hoffmann<br />

(SPD) die Auffassung zurück,<br />

dass diese gescheitert sei. Im<br />

Gegenteil: »Die meisten Bundesländer<br />

s<strong>in</strong>d im Moment dabei, das rhe<strong>in</strong>landpfälzische<br />

Lehrerbildungsmodell zu<br />

übernehmen«, so Ulla Brede-Hoffmann<br />

(SPD). So schlecht könne es also<br />

nicht se<strong>in</strong>.<br />

Zur Kritik am Bachelor-Master-System<br />

erklärt Brede-Hoffmann (SPD), viele<br />

der Kritikpunkte am Bolgna-Prozess<br />

sprächen ihr »aus dem Herzen«, aber<br />

»dieser Bologna-Prozess, das ist ke<strong>in</strong><br />

Prozess, den sich Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />

ausgedacht hat, sondern auch dieser<br />

ist e<strong>in</strong> europäischer Prozess. In allen<br />

europäischen Ländern ist dieser Prozess<br />

abgelaufen. Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> hat<br />

sich dem wie alle anderen Bundesländer<br />

der Bundesrepublik genauso<br />

gestellt.«<br />

Die Hochschulen seien aufgefordert,<br />

»das Beste daraus zu machen« und<br />

viele hätten diese Erwartungen auch<br />

übertroffen, aber bei E<strong>in</strong>zelfragen wie<br />

der Anzahl der Module gebe es noch<br />

Schwierigkeiten, die gelöst werden<br />

müssten.<br />

Brede-Hoffmann (SPD) fährt fort:<br />

»Zentrale Abschlussprüfungen wird es<br />

mit der SPD nicht geben. Wir glauben<br />

nicht, dass sie e<strong>in</strong>e Qualitätsentwicklung<br />

durch e<strong>in</strong> zentrales Abitur h<strong>in</strong>kriegen;<br />

Sie kriegen eher den Drang<br />

h<strong>in</strong> zu mehr Auswendiglernen und<br />

mehr Vorbereiten. Die <strong>in</strong>dividuellen<br />

Profile, die Schulen sich geben und<br />

nach denen Schulen Schüler ausbilden<br />

und ihnen regionale und sonstige<br />

Vorteile verschaffen, wirkliche Vorteile<br />

verschaffen, die gehen bei zentralen<br />

Abschlussprüfungen restlos den<br />

Bach h<strong>in</strong>unter.« ><br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


40<br />

PODIUMSDISKUSSION Gymnasialtag 2010<br />

Bett<strong>in</strong>a Dickes (CDU) zu NAWI: »Ich<br />

war kritisch bei der E<strong>in</strong>führung des<br />

Faches. Seit me<strong>in</strong> Sohn das Fach NA-<br />

WI hatte, b<strong>in</strong> ich überzeugt davon,<br />

dass ich das Fach nicht möchte. Wir<br />

bekennen uns klar zum Fachpr<strong>in</strong>zip<br />

<strong>in</strong> den Naturwissenschaften und<br />

möchten das auch gerne bei NAWI zurückführen.«<br />

Die dritte Publikumsfrage ist e<strong>in</strong>e<br />

Doppelfrage und ist zunächst an<br />

die Vertreter<strong>in</strong> der SPD als Fraktion<br />

der regierenden Landtagspartei<br />

gerichtet.<br />

Zunächst wird bei der Fragestellung<br />

die Schulbuchausleihe aus<br />

pädagogischer Sicht kritisiert, da<br />

die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler entgegen<br />

aller Lernziele ihrer Methodentra<strong>in</strong><strong>in</strong>gse<strong>in</strong>heiten<br />

ke<strong>in</strong>e Bemerkungen<br />

mehr <strong>in</strong> ihre Bücher<br />

schreiben dürfen. Für den Fragesteller<br />

wäre deshalb e<strong>in</strong> Gutsche<strong>in</strong>system<br />

wesentlich besser gewesen.<br />

Der zweite Teil der Frage wird e<strong>in</strong>geleitet<br />

mit e<strong>in</strong>em Zitat des Bundesvorsitzenden<br />

des Deutschen<br />

<strong>Philologenverband</strong>es, der mit Blick<br />

auf die Bildungssituation <strong>in</strong> ganz<br />

Deutschland gesagt hat: »Man<br />

kann das <strong>Gymnasium</strong> auf zweierlei<br />

Weise attackieren, bekämpfen,<br />

schwächen: E<strong>in</strong>mal von außen, <strong>in</strong>dem<br />

man ihm die Orientierungsstufe<br />

nimmt, <strong>in</strong>dem man ihm das dreizehnte<br />

Schuljahr nimmt oder von<br />

<strong>in</strong>nen, <strong>in</strong>dem man ihm Aufgaben<br />

zuweist, die es nicht bewältigen<br />

kann.«<br />

Deshalb lautet die Frage: »Haben<br />

Sie vor, weiterh<strong>in</strong> solche Aufgaben,<br />

wie die Inklusion beispielsweise,<br />

dem <strong>Gymnasium</strong> <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<br />

<strong>Pfalz</strong> zuzuschreiben?«<br />

Ulla Brede-Hoffmann (SPD) kann<br />

das pädagogische Argument im Zusammenhang<br />

mit der Schulbuchausleihe<br />

nachvollziehen, verweist aber<br />

auf ihre eigene Schulzeit und die ihrer<br />

K<strong>in</strong>der mit und ohne Schulbuchausleihe<br />

und erklärt: »Also, ich glaube<br />

nicht, dass es e<strong>in</strong> unüberw<strong>in</strong>dbarer<br />

Nachteil für rhe<strong>in</strong>land-pfälzische K<strong>in</strong>der<br />

ist, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em System mit Büchern<br />

zu arbeiten, wie die meisten K<strong>in</strong>der <strong>in</strong><br />

der Bundesrepublik das <strong>in</strong> den zurückliegenden<br />

Jahren, Jahrzehnten,<br />

zum Teil seit dem 2. Weltkrieg gemacht<br />

haben.«<br />

Insgesamt sei die neue Schulbuchausleihe<br />

<strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> »e<strong>in</strong> großer<br />

Schritt voran zu mehr sozialer Gerechtigkeit«<br />

und dies sei ihrer Partei<br />

<strong>in</strong> der Güterabwägung wichtiger.<br />

E<strong>in</strong>e »Bekämpfung des <strong>Gymnasium</strong>s«,<br />

wie vom Fragesteller angedeutet,<br />

weist Ulla Brede-Hoffmann (SPD) zurück<br />

und verweist darauf, dass Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />

<strong>in</strong>zwischen das e<strong>in</strong>zige<br />

Bundesland mit dreizehn Jahren bis<br />

zum Abitur sei, auch werde die Orientierungsstufe<br />

nicht »abgetrennt«.<br />

Die Entscheidung zur Inklusion gehe<br />

auf die UN-Beh<strong>in</strong>dertenrechtskonvention<br />

zurück, und dies sei für sie »die<br />

denkbar höchste Ebene überhaupt«.<br />

In der Umsetzung gehe es nun <strong>in</strong><br />

Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> um e<strong>in</strong> »sowohl-alsauch«.<br />

Im Vordergrund stehe immer<br />

der Elternwunsch. Und zu den beteiligten<br />

Schulen, auch den Gymnasien,<br />

erklärt Brede-Hoffmann (SPD): »Wir<br />

werden ke<strong>in</strong>e Zwangssysteme durchführen,<br />

so wie wir an anderen Stellen<br />

auch ke<strong>in</strong>e Zwangssysteme haben<br />

wollen. Wir wollen freiwillige Ganztagsschulen,<br />

wir wollen freiwillige Systeme<br />

<strong>in</strong> der Förderung, die wir auch<br />

auf Grund des Elternwillens strukturieren.«<br />

Bett<strong>in</strong>a Dickes (CDU) verweist zum<br />

Themenkomplex darauf, dass im Zuge<br />

der Strukturreform an den Gymnasien<br />

e<strong>in</strong>ige Orientierungsstufen zwangsweise<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ungewollten Verbund mit<br />

den neuen Realschulen plus gehalten<br />

werden. Mit ihrer Partei werde es solche<br />

zwangsweisen geme<strong>in</strong>samen Orientierungsstufen<br />

nicht geben.<br />

Zur Frage der Inklusion erklärt sie:<br />

»Es ist ja vorgesehen vom M<strong>in</strong>isteri-<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


Gymnasialtag 2010 ZUSAMMENFASSUNG 41<br />

um, dass <strong>in</strong>sbesondere K<strong>in</strong>der mit<br />

ganzheitlicher Bee<strong>in</strong>trächtigung <strong>in</strong> die<br />

Gymnasien kommen sollen. Ich kann<br />

es mir wirklich nicht vorstellen, wie<br />

die Lehrer dies schaffen sollen, und<br />

wie die Schüler mit e<strong>in</strong>er Bee<strong>in</strong>trächtigung<br />

<strong>in</strong> diesem System zurechtkommen<br />

sollen.«<br />

Dies gelte umso mehr, wenn die räumlichen<br />

Gegebenheiten nicht vorhanden<br />

seien. »K<strong>in</strong>der mit e<strong>in</strong>er solch<br />

starken Bee<strong>in</strong>trächtigung brauchen e<strong>in</strong>e<br />

<strong>in</strong>tensive Förderung und e<strong>in</strong>e bestmögliche<br />

Förderung, und die kann ich<br />

mir nicht im allgeme<strong>in</strong>bildenden System<br />

vorstellen.«<br />

Nicole Morsblech (FDP) betont <strong>in</strong><br />

diesem Zusammenhang, »dass e<strong>in</strong><br />

Mensch mit e<strong>in</strong>er Beh<strong>in</strong>derung und<br />

e<strong>in</strong>er Bee<strong>in</strong>trächtigung so selbstbestimmt<br />

wie möglich <strong>in</strong> unserer Gesellschaft<br />

und auch so teilhabeberechtigt<br />

wie möglich und auch auf gleicher<br />

Augenhöhe leben und se<strong>in</strong> Leben führen<br />

soll, wie das nur irgend möglich<br />

ist.«<br />

Schwerpunktschulen seien, »weil wir<br />

gerade da, wo es darum geht, solche<br />

Menschen dann auch gut aufzunehmen,<br />

besonders viel Motivation und<br />

Engagement brauchen.«<br />

Der Vorsitzende des <strong>Philologenverband</strong>es,<br />

Malte Blümke, bedankt sich<br />

zum Schluss der Podiumsdiskussion<br />

für die engagierten Beiträge, bei den<br />

Referenten des Tages für ihre richtungsweisenden<br />

Vorträge und bei den<br />

teilnehmenden Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer<br />

aus dem ganzen Land, dass sie<br />

sich trotz schlechter Wetterlage so<br />

v.l.n.r.: Prof. Dr. David-S. Di Fuccia, Bildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> Doris Ahnen,<br />

Barbara Mathea, Elvire Kuhn, Malte Blümke<br />

viel Zeit genommen haben: »Der Tag<br />

ist gut zu Ende gegangen. Er ist sehr<br />

lebhaft zu Ende gegangen. Wir haben<br />

ihn gut begonnen heute mit dem Referat<br />

von Professor Dr. Peter J. Brenner.<br />

Und nachmittags haben uns die beiden<br />

Vorträge von Bildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong><br />

Doris Ahnen und Professor Dr. David<br />

Samuel Di Fuccia doch ganz wesentlich<br />

weitergebracht <strong>in</strong> der Frage, über<br />

die Zukunft des <strong>Gymnasium</strong>s nachzudenken.<br />

Der nächste Gymnasialtag<br />

wird sich dann folgerichtig mit dem<br />

<strong>Gymnasium</strong> <strong>in</strong> der Zukunft beschäftigen.<br />

Wo dies am besten geschehen könne,<br />

lasse sich fast immer nur <strong>in</strong>dividuell<br />

klären. »Und gerade das <strong>Gymnasium</strong><br />

mit se<strong>in</strong>em besonderen Auftrag stößt<br />

da schnell an se<strong>in</strong>e Grenzen.« Problematisch<br />

sei es, wenn Gymnasien von<br />

der ADD e<strong>in</strong>fach mit der Tatsache<br />

konfrontiert würden, dass sie nun<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


42<br />

PRESSEMITTEILUNG Gymnasialtag 2010<br />

Leistungsschule <strong>Gymnasium</strong><br />

als Modell für die Zukunft<br />

Der erste Gymnasialtag des <strong>Philologenverband</strong>es Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> zur »Zukunft des <strong>Gymnasium</strong>s« <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>z<br />

stieß bei mehr als 180 Teilnehmer<strong>in</strong>nen und Teilnehmern aus allen Gymnasien des Landes und zahlreichen<br />

Gästen aus Politik, Wirtschaft, Schule, Hochschule und Medien auf großes Interesse.<br />

Malte Blümke, Vorsitzender des<br />

<strong>Philologenverband</strong>es, betonte<br />

zu Beg<strong>in</strong>n der Veranstaltung:<br />

»<strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />

kann als älteste und erfolgreichste aller<br />

Schularten zu e<strong>in</strong>em Zukunftsmodell<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em modernen Bildungssystem<br />

werden.« Denn dem <strong>Gymnasium</strong><br />

<strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> gel<strong>in</strong>ge es im Zusammenspiel<br />

mit den anderen Schularten,<br />

Leistungsfähigkeit und Chancengerechtigkeit<br />

mite<strong>in</strong>ander zu vere<strong>in</strong>en.<br />

Die Unterf<strong>in</strong>anzierung der Schulen,<br />

ständige Strukturveränderungen<br />

und der bildungspolitische Aktionismus<br />

beh<strong>in</strong>derten allerd<strong>in</strong>gs die Leistungsfähigkeit<br />

und Funktionsfähigkeit<br />

des <strong>Gymnasium</strong>s. Blümke forderte:<br />

»<strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> der Zukunft muss<br />

e<strong>in</strong>e Schule bleiben, die den sozialen<br />

Aufstieg durch Leistung ermöglicht.«<br />

Im Mittelpunkt des Vormittags stand<br />

e<strong>in</strong> Vortrag von Professor Dr. Peter J.<br />

Brenner von der Carl-von-L<strong>in</strong>de-Akademie<br />

der TU München zum Thema<br />

»<strong>Das</strong> deutsche <strong>Gymnasium</strong> – Schule<br />

mit Zukunft?« Prof. Brenner verwies<br />

auf die ständigen Veränderungen der<br />

letzten Jahrzehnte und bemerkte zur<br />

aktuellen Debatte um die Bildungsgerechtigkeit.<br />

»<strong>Das</strong> deutsche Schulsystem<br />

ist nicht das ungerechteste System<br />

der Welt, wohl aber e<strong>in</strong> sehr kompliziertes<br />

System.« Denn es sei darauf<br />

angelegt und <strong>in</strong> der Lage, den unterschiedlichen<br />

Begabungen gerecht zu<br />

werden.<br />

Bildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> Doris Ahnen<br />

sprach zum Thema »Leistungsfähigkeit<br />

und Chancengleichheit und der<br />

Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s im rhe<strong>in</strong>landpfälzischen<br />

Bildungssystem« und hielt<br />

fest, Ziel der Landesregierung sei es,<br />

möglichst vielen Menschen die Teilnahme<br />

an Bildung zu ermöglichen.<br />

Sie bezeichnete es als e<strong>in</strong>en Fehler,<br />

wenn heute Leistungsfähigkeit und<br />

Chancengerechtigkeit gegene<strong>in</strong>ander<br />

ausgespielt würden. »Denn Leistungsfähigkeit<br />

ohne Chancengleichheit ist<br />

höchst unsozial und wegen der Verschwendung<br />

von Ressourcen auch<br />

ökonomisch kaum vermittelbar«, so<br />

die M<strong>in</strong>ister<strong>in</strong>. Ahnen würdigte die<br />

»ausgeprägten Stärken« des <strong>Gymnasium</strong>s,<br />

so zum Beispiel bei der Begabtenförderung,<br />

im naturwissenschaftlichen<br />

Bereich (MINT) oder bei den<br />

Fremdsprachen und sprach der Lehrerschaft<br />

ihren Dank aus.<br />

Professor Dr. David-S. Di Fuccia vom<br />

Deutschen <strong>Philologenverband</strong> verwies<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Vortrag zur Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s<br />

auf das <strong>Gymnasium</strong> als Ort<br />

der Bildung und des sozialen Aufstiegs.<br />

»Bildung, Leistungsfähigkeit und<br />

Leistungswilligkeit gehören zusammen<br />

und gewährleisten im <strong>Gymnasium</strong> zum<br />

ersten Mal <strong>in</strong> der Geschichte e<strong>in</strong>en<br />

Aufstieg unabhängig von der sozialen<br />

Herkunft«, so Prof. Di Fuccia.<br />

Die Podiumsdiskussion mit den bildungspolitischen<br />

Sprecher<strong>in</strong>nen der<br />

Landtagsfraktionen Ulla-Brede Hoffmann<br />

(SPD), Bett<strong>in</strong>a Dickes (CDU),<br />

Nicole Morsblech (FDP) und dem<br />

Vorsitzenden des <strong>Philologenverband</strong>es<br />

Malte Blümke stand ganz im Zeichen<br />

der kommenden Landtagswahlen.<br />

In e<strong>in</strong>er lebhaften und teilweise<br />

hitzigen Diskussionsrunde wurden<br />

u.a. die Themen Schulstruktur, Qualitäts-<br />

kontrolle (AQS), Unterrichtsversorgung<br />

und Lehrerbildung kontrovers<br />

diskutiert.<br />

Josef Zeimentz, Pressereferent<br />

Pressemitteilung vom 30. November 2010<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


Gymnasialtag 2010 PROGRAMM & IMPRESSUM 43<br />

Gymnasialtag<br />

»Die Zukunft des <strong>Gymnasium</strong>s«<br />

Montag, 29. November 2010<br />

Erbacher Hof | Grebenstraße 24 - 26 | 55116 Ma<strong>in</strong>z<br />

Programm:<br />

9:30 Uhr E<strong>in</strong>treffen/Kaffee<br />

10:00 bis 10:15 Uhr Eröffnung und Begrüßung<br />

Malte Blümke, Vorsitzender des <strong>Philologenverband</strong>es<br />

Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />

10:15 bis 12:00 Uhr »<strong>Das</strong> deutsche <strong>Gymnasium</strong> –<br />

Schule mit Zukunft?«<br />

Prof. Dr. Peter J. Brenner, München<br />

Vortrag mit Diskussion<br />

12:00 Uhr Mittagspause<br />

13:30 bis 15:00 Uhr »Leistungsfähigkeit und Chancengleichheit:<br />

Die Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s im<br />

rhe<strong>in</strong>land-pfälzischen Bildungssystem«<br />

Doris Ahnen, M<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> für Bildung, Wissenschaft,<br />

Jugend und Kultur Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />

15:00 Uhr Kaffeepause<br />

»Die Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s <strong>in</strong> der<br />

Bildungsrepublik Deutschland«<br />

Professor Dr. David-S. Di Fuccia,<br />

Deutscher <strong>Philologenverband</strong><br />

15:30 bis 17:00 Uhr »Die Zukunft des <strong>Gymnasium</strong>s<br />

<strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong>«<br />

Podiumsdiskussion mit den bildungspolitischen<br />

Sprecher<strong>in</strong>nen der Landtagsfraktionen:<br />

• Ulla Brede-Hoffmann (SPD),<br />

• Bett<strong>in</strong>a Dickes (CDU),<br />

• Nicole Morsblech (FDP)<br />

• und dem Vorsitzenden des <strong>Philologenverband</strong>es<br />

Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong>, Malte Blümke<br />

IMPRESSUM<br />

ZEITSCHRIFT DES<br />

PHILOLOGENVERBANDES<br />

RHEINLAND-PFALZ<br />

Herausgeber:<br />

<strong>Philologenverband</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />

Fritz-Kohl-Straße 13<br />

55122 Ma<strong>in</strong>z<br />

Tel.: 06131/384310<br />

Fax: 06131/37 11 07<br />

eMail: <strong>in</strong>fo@philologenverband.de<br />

Redaktion:<br />

Josef Zeimentz<br />

Entwurf Titelgrafik/Plakat:<br />

Josef Zeimentz<br />

Alle Fotos der Veranstaltung:<br />

Josef Zeimentz<br />

Satz:<br />

Pädagogik & Hochschul Verlag<br />

Graf-Adolf-Straße 84<br />

40210 Düsseldorf<br />

Tel.: 02 11/1795965<br />

Fax: 02 11 / 1 79 59 45<br />

eMail: he<strong>in</strong>emann@dphv-verlag.de<br />

Druck:<br />

Druckerei Adis GmbH<br />

Budenheimer Weg 27<br />

55262 Heidesheim<br />

Tel.: 06132 / 95 20 20<br />

Besuchen Sie uns im Internet:<br />

www.philologenverband.de<br />

Leitung: Elvire Kuhn, stellvertretende Landesvorsitzende<br />

<strong>Philologenverband</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />

17:00 Uhr Ende der Veranstaltung<br />

Heft 1/<strong>2011</strong>


FÄCHERVERBINDENDE UNTERRICHTSREIHEN<br />

Interdiszipl<strong>in</strong>ärer Unterricht für die Schule von morgen<br />

Interdiszipl<strong>in</strong>ärer Unterricht für die Schule von morgen<br />

BUNDESARBEITSGEMEINSCHAFT DER JUNGEN PHILOLOGEN<br />

1. Auflage 2002, DIN A 4,<br />

146 Seiten, Klebeb<strong>in</strong>dung<br />

H<strong>in</strong>sichtlich der von Bildungspolitikern<br />

immer wieder erhobenen Forderung<br />

nach fächerverb<strong>in</strong>dendem<br />

Unterricht ist anzumerken, dass<br />

anspruchsvoller Unterricht sehr oft<br />

per se bereits fächerverb<strong>in</strong>dend<br />

ist. Zugleich ersche<strong>in</strong>t die Forderung,<br />

den fächerverb<strong>in</strong>denden<br />

Aspekt im Unterricht noch deutlicher<br />

hervortreten zu lassen, als<br />

nicht unbegründet. Vor diesem<br />

H<strong>in</strong>tergrund haben verschiedene<br />

Mitglieder der Bundes-AG diesen<br />

Ratgeber entworfen, <strong>in</strong>dem sie eigene<br />

fächerverb<strong>in</strong>dende Unterrichtsreihen<br />

beschrieben und so<br />

aufbereitet haben, dass <strong>in</strong>teressierte<br />

Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen<br />

Anregungen für ihren Unterricht<br />

erhalten. »Aus der Praxis – für die<br />

Praxis« lautet das Motto dieses<br />

Ratgebers.<br />

Der Ratgeber ist zu e<strong>in</strong>em Preis<br />

von 7,50 EUR * für Mitglieder und<br />

10,– EUR * für Nichtmitglieder des<br />

<strong>Philologenverband</strong>es zu bestellen<br />

bei der Geschäftstelle des <strong>Philologenverband</strong>es<br />

Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> ·<br />

Fritz-Kohl-Straße 13 · 55122 Ma<strong>in</strong>z<br />

Tel.: 0 61 31 / 38 43 10<br />

eMail: <strong>in</strong>fo@philologenverband.de<br />

* zzgl. Porto und Verpackung<br />

METHODENTRAINING – FÜR DIE SCHULE VON MORGEN<br />

Kreativität und Wissen<br />

Methoden<br />

für die Schule von morgen<br />

Kreativität<br />

und<br />

Wissen<br />

tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g<br />

BUNDESARBEITSGEMEINSCHAFT DER JUNGEN PHILOLOGEN<br />

4. Auflage 2001, DIN A 4,<br />

128 Seiten, Klebeb<strong>in</strong>dung<br />

Aus der Ause<strong>in</strong>andersetzung mit<br />

dem aktuellen Thema der Pädagogik<br />

– man mag es Methodentra<strong>in</strong><strong>in</strong>g,<br />

Arbeitstechniken oder das<br />

»Lernen lernen« nennen – entstand<br />

dieser Ratgeber für e<strong>in</strong> Methodentra<strong>in</strong><strong>in</strong>g.<br />

Es geht um das Erlernen und zielorientierte<br />

Anwenden von Arbeitsund<br />

Lerntechniken, die Schüler<strong>in</strong>nen<br />

und Schüler jeden Tag <strong>in</strong> fast<br />

jedem Unterricht anwenden, dies<br />

jedoch mehr oder weniger bewusst<br />

und damit auch mehr oder weniger<br />

effektiv. Die Anwendung dieser<br />

Lern- und Arbeitstechniken gezielt<br />

zu reflektieren und durch weiterführende<br />

H<strong>in</strong>weise das Lernen und<br />

Arbeiten der Schüler<strong>in</strong>nen und<br />

Schüler im Unterricht effektiver<br />

und effizienter zu gestalten, ist<br />

das Ziel dieser von der Bundesarbeitsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

der Jungen Philologen<br />

herausgegebenen Veröffentlichung.<br />

Methodentra<strong>in</strong><strong>in</strong>g<br />

kann zur Lösung dieser Fragen<br />

und Probleme e<strong>in</strong>en Beitrag leisten,<br />

versteht sich jedoch nicht als<br />

Rezeptbuch und schon gar nicht<br />

als »Allheilmittel«. Vielmehr handelt<br />

es sich um seit Jahren <strong>in</strong> der<br />

Praxis bewährte Unterrichtsmaterialien,<br />

die bewusst für die Schulpraxis<br />

ausgewählt und zusammengestellt<br />

wurden. Aus vielfältigen Erfahrungen<br />

<strong>in</strong> allen Jahrgangsstufen<br />

des <strong>Gymnasium</strong>s und <strong>in</strong> der Erwachsenenbildung<br />

mit Kursen zu<br />

Arbeits- und Lerntechniken kann<br />

bestätigt werden, dass das Buch<br />

Methodentra<strong>in</strong><strong>in</strong>g den »Elchtest«<br />

der Praxis bestanden hat.<br />

Der Ratgeber ist zu e<strong>in</strong>em Preis<br />

von 7,50 EUR * für Mitglieder und<br />

10,– EUR * für Nichtmitglieder des<br />

<strong>Philologenverband</strong>es zu bestellen<br />

bei der Geschäftstelle des <strong>Philologenverband</strong>es<br />

Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> ·<br />

Fritz-Kohl-Straße 13 · 55122 Ma<strong>in</strong>z<br />

Tel.: 0 61 31 / 38 43 10<br />

eMail: <strong>in</strong>fo@philologenverband.de<br />

* <strong>in</strong>kl. Porto und Verpackung

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