Das Gymnasium in Rheinland-Pfalz 1-2011 - Philologenverband ...
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DAS 1/<strong>2011</strong><br />
GYMNASIUM<br />
I N R H E I N L A N D - P F A L Z<br />
Gymnasialtag des<br />
<strong>Philologenverband</strong>es<br />
Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> am<br />
29. November 2010<br />
Dokumentation<br />
ZEITSCHRIFT DES PHILOLOGENVERBANDES RHEINLAND-PFALZ
2<br />
INHALT Gymnasialtag 2010<br />
Zu diesem Heft<br />
Josef Zeimentz 3<br />
Positionsbestimmung<br />
Malte Blümke 4<br />
<strong>Das</strong> deutsche <strong>Gymnasium</strong> –<br />
Schule mit Zukunft?<br />
Prof. Dr. Peter J. Brenner 6<br />
E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> den Nachmittag<br />
Malte Blümke 16<br />
Leistungsfähigkeit und Chancengleichheit:<br />
Die Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s im<br />
rhe<strong>in</strong>land-pfälzischen Bildungssystem<br />
Bildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> Doris Ahnen 18<br />
Die Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s <strong>in</strong><br />
der Bildungsrepublik Deutschland<br />
Prof. Dr. David-Samuel Di Fuccia 26<br />
Podiumsdiskussion<br />
Zusammenfassung der Podiumsdiskussion<br />
mit den bildungspolitischen Sprecher<strong>in</strong>nen<br />
der Landtagsfraktionen und dem<br />
Vorsitzenden des <strong>Philologenverband</strong>es<br />
Josef Zeimentz 32<br />
Presseerklärung zum Gymnasialtag 42<br />
Programm des Gymnasialtages 43<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
Gymnasialtag 2010 ZU DIESEM HEFT 3<br />
Sehr geehrte Leser<strong>in</strong>nen und Leser,<br />
liebe Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen,<br />
Am Montag, den 29. November 2010, führte der <strong>Philologenverband</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />
erstmals e<strong>in</strong>en Gymnasialtag durch. Er stand unter dem Motto<br />
»Die Zukunft des <strong>Gymnasium</strong>s«. Mehr als 180 Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen aus<br />
dem ganzen Land und weitere Experten nahmen an dem Gymnasialtag teil.<br />
<strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> <strong>in</strong> Deutschland und <strong>in</strong>sbesondere das <strong>Gymnasium</strong> <strong>in</strong><br />
Josef Zeimentz<br />
Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> können als älteste und erfolgreichste aller Schulformen zu<br />
e<strong>in</strong>em Zukunftsmodell <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em modernen Bildungssystem werden.<br />
Die dramatischen Veränderungen <strong>in</strong> der Bildungslandschaft, wie sie sich<br />
seit e<strong>in</strong>igen Jahren abzeichnen, und den immer wieder befürchteten Niveauverlust<br />
am <strong>Gymnasium</strong> hatte der <strong>Philologenverband</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />
zum Anlass genommen, diese Fragen mit Bildungsexperten und Bildungspolitikern<br />
auf se<strong>in</strong>em Gymnasialtag im Bildungszentrum Erbacher Hof <strong>in</strong><br />
Ma<strong>in</strong>z zu untersuchen.<br />
Wir haben <strong>in</strong> diesem Heft im ersten Teil die Positionsbestimmung des Vorsitzenden<br />
des <strong>Philologenverband</strong>es vom Beg<strong>in</strong>n der Veranstaltung und die<br />
Vorträge der Referenten des Tages im Wortlaut abgedruckt. Im zweiten Teil<br />
f<strong>in</strong>den Sie e<strong>in</strong>e Zusammenfassung der ca. 90m<strong>in</strong>ütigen Podiumsdiskussion<br />
mit den Vertreter<strong>in</strong>nen der Landtagsparteien und dem Vorsitzenden des<br />
<strong>Philologenverband</strong>es, die am späteren Nachmittag den Abschluss des Gymnasialtages<br />
bildete.<br />
Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre.<br />
Josef Zeimentz<br />
Referent für Öffentlichkeitsarbeit<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
4<br />
POSITIONSBESTIMMUNG Gymnasialtag 2010<br />
Gymnasialtag<br />
»Die Zukunft des <strong>Gymnasium</strong>s«<br />
Positionsbestimmung<br />
Landesvorsitzender Malte Blümke<br />
Zu Beg<strong>in</strong>n der Veranstaltung begrüßte der Landsvorsitzende des <strong>Philologenverband</strong>es<br />
Malte Blümke die mehr als 180 Gäste aus allen Gymnasien, Gesamtschulen,<br />
Studiensem<strong>in</strong>aren und Kollegs des Landes. Zur E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> das Thema des Tages<br />
gab er e<strong>in</strong>e Positionsbestimmung aus der Sicht des Gymnasiallehrerverbandes.<br />
<strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> der Zukunft<br />
muss e<strong>in</strong>e Schule bleiben, die<br />
den sozialen Aufstieg durch<br />
Leistung ermöglicht.<br />
Gegenwärtige Situation<br />
beh<strong>in</strong>dert die Leistungsfähigkeit<br />
des <strong>Gymnasium</strong>s<br />
Die Unterf<strong>in</strong>anzierung der Schulen,<br />
vor allem der Gymnasien, immer neue<br />
Strukturveränderungen, bildungspolitischer<br />
Aktionismus, e<strong>in</strong>e verfehlte Lehrerbildung<br />
im Zuge des Bolognaprozesses<br />
und gesellschaftspolitisch motivierte<br />
Infragestellungen des gegliederten<br />
Schulsystems lassen e<strong>in</strong>en rapiden<br />
Niveauverlust befürchten und beh<strong>in</strong>dern<br />
die Leistungsfähigkeit und Funktionsfähigkeit<br />
der Gymnasien.<br />
Orientierungsrahmen, Schulgesetz,<br />
Schulordnung, Inklusion, Agentur für<br />
Qualitätssicherung, Bildungsstandards,<br />
Rahmenlehrpläne, Stundentafeln,<br />
geme<strong>in</strong>same Orientierungsstufe,<br />
das neue Pädagogische Landes<strong>in</strong>stitut,<br />
das nach eigenen Aussagen ganz bewusst<br />
die Schularten nicht abbilden<br />
will, das neue Fach Naturwissenschaften<br />
(Nawi) ohne direkte Anb<strong>in</strong>dung an<br />
e<strong>in</strong> wissenschaftliches Fach, Schulbuchausleihe,<br />
Dienstrechtsreform, Vera<br />
8, Berufsorientierung, Projekt Erweiterte<br />
Selbstständigkeit von Schule<br />
(PES), u. v. m. s<strong>in</strong>d weitere meist wenig<br />
koord<strong>in</strong>ierte und schlecht vorbereitete<br />
Baustellen, die unsere Arbeit<br />
an den Schulen nicht oder nur wenig<br />
voran br<strong>in</strong>gen, sondern im Gegenteil<br />
für ständig neu h<strong>in</strong>zukommende Zusatzbelastungen<br />
sorgen.<br />
Diese dramatischen Veränderungen <strong>in</strong><br />
der Bildungslandschaft will der <strong>Philologenverband</strong><br />
Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> mit Bildungsexperten<br />
und Bildungspolitikern<br />
auf se<strong>in</strong>em Gymnasialtag untersuchen.<br />
Bildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> Doris Ahnen, die bildungspolitischen<br />
Sprecher<strong>in</strong>nen der<br />
Landtagsfraktionen des Landtages Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />
Ulla Brede-Hoffmann (SPD),<br />
Bett<strong>in</strong>a Dickes (CDU) und Nicole Morsblech<br />
(FDP) sowie Prof. Dr. Peter J. Brenner,<br />
München, und Prof. Dr. David-S. Di<br />
Fuccia, Deutscher <strong>Philologenverband</strong>,<br />
werden über die Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s<br />
sprechen und mit den Teilnehmer<strong>in</strong>nen<br />
und Teilnehmern diskutieren.<br />
Angesichts der beschriebenen<br />
Situation fordert der PhV:<br />
• Erhalt und Förderung e<strong>in</strong>es differenzierten<br />
Schulsystems<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
Gymnasialtag 2010 POSITIONSBESTIMMUNG 5<br />
• Beg<strong>in</strong>n der weiterführenden Schule<br />
und damit auch des <strong>Gymnasium</strong>s<br />
ab Klasse 5<br />
• e<strong>in</strong>e schulartbezogene Orientierungsstufe<br />
am <strong>Gymnasium</strong><br />
• die notwendige personelle und<br />
sächliche Ausstattung des <strong>Gymnasium</strong>s<br />
e<strong>in</strong>schließlich e<strong>in</strong>er vollen Unterrichtsversorgung<br />
mit für die<br />
Schulart ausgebildeten Lehrkräften<br />
• ke<strong>in</strong>e Benachteiligung des <strong>Gymnasium</strong>s<br />
gegenüber anderen Schularten<br />
etwa bei den Klassenmesszahlen<br />
und der Lehrerzuweisung<br />
• klare schulartbezogene Vorgaben<br />
bei Fächern, Lehrplänen und Stundentafeln<br />
• e<strong>in</strong> volles akademisches Fachstudium<br />
<strong>in</strong> zwei Fächern für das gymnasiale<br />
Lehramt; <strong>in</strong> Musik und Bildender<br />
Kunst genügt e<strong>in</strong> Fach.<br />
• Reduzierung der Praktika auf e<strong>in</strong><br />
s<strong>in</strong>nvolles und handhabbares Maß<br />
• Beibehaltung e<strong>in</strong>es m<strong>in</strong>destens achtzehnmonatigen<br />
Referendariats, geleitet<br />
von hauptamtlichen Fachleitern<br />
<strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong><br />
als Zukunftsmodell<br />
<strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> <strong>in</strong> Deutschland –<br />
und <strong>in</strong>sbesondere das <strong>Gymnasium</strong> <strong>in</strong><br />
Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> – kann als älteste und<br />
erfolgreichste aller Schulformen zu e<strong>in</strong>em<br />
Zukunftsmodell <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em modernen<br />
Bildungssystem werden.<br />
Im Jahre 2010 haben wir <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<br />
<strong>Pfalz</strong> 146 Gymnasien, darunter 24 private<br />
Gymnasien und vier Landesgymnasien,<br />
die von <strong>in</strong>sgesamt 138 652<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern besucht<br />
und von rund 11000 Lehrkräften unterrichtet<br />
werden. Sieben gymnasiale<br />
Studiensem<strong>in</strong>are mit zwei zusätzlichen<br />
Außenstellen bilden die Studienreferendar<strong>in</strong>nen<br />
und Studienreferendare<br />
bislang noch sehr erfolgreich<br />
aus, drei Kollegs vermitteln das Abitur<br />
auf dem zweiten Bildungsweg.<br />
Wir haben Hochbegabtengymnasien,<br />
Gymnasien mit den Schwerpunkten<br />
Sport-, Musik- und Kunstförderung. Im<br />
M<strong>in</strong>t-Bereich gehören zwölf rhe<strong>in</strong>landpfälzische<br />
Gymnasien zu den Exzellenz-Schulen<br />
<strong>in</strong> Deutschland und regelmäßig<br />
zu den Siegern im Siemens-<br />
Award-Wettbewerb, Spitzenplätze belegen<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler aus<br />
Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> bei den Vergleichsuntersuchungen<br />
<strong>in</strong> den Fremdsprachen<br />
und den zahlreichen Fremdsprachen-<br />
Wettbewerben.<br />
Die rhe<strong>in</strong>land-pfälzischen Gymnasien<br />
s<strong>in</strong>d bei den <strong>in</strong>ternationalen Vergleichsuntersuchungen<br />
stets vorne zu<br />
f<strong>in</strong>den. Bei PISA 2006 haben sie im<br />
bundesweiten Vergleich der Gymnasien<br />
im Lesen, den Naturwissenschaften<br />
und <strong>in</strong> Mathematik die Plätze 2, 3<br />
und 7 belegt.<br />
Wenn 32 Prozent von fast 139 000<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern <strong>in</strong> diesem<br />
Schuljahr Late<strong>in</strong> lernen, dann zeigt<br />
dies u.a., dass das <strong>Gymnasium</strong> sich<br />
se<strong>in</strong>en humanistischen Wurzeln verpflichtet<br />
fühlt und der philologischen<br />
Bildung und der Allgeme<strong>in</strong>bildung<br />
nach wie vor e<strong>in</strong>en hohen Stellenwert<br />
e<strong>in</strong>räumt.<br />
<strong>Gymnasium</strong> und<br />
Chancengerechtigkeit<br />
In ke<strong>in</strong>em anderen westdeutschen<br />
Bundesland ist der Zusammenhang<br />
zwischen der sozialen Herkunft und<br />
dem Besuch e<strong>in</strong>es <strong>Gymnasium</strong>s so ger<strong>in</strong>g,<br />
wie an den Gymnasien <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong>.<br />
Letztlich geht es um die<br />
Frage der Chancengleichheit. Selbstverständlich<br />
muss e<strong>in</strong> demokratisches<br />
Schulsystem e<strong>in</strong> möglichst hohes<br />
Maß an Chancengleichheit gewährleisten.<br />
Da es aber e<strong>in</strong>e absolute Chancengleichheit<br />
<strong>in</strong> der Realität niemals geben<br />
kann, ist es besser, von Chancengerechtigkeit<br />
zu sprechen. <strong>Das</strong> bedeutet,<br />
dass jeder das Recht hat, gemäß<br />
se<strong>in</strong>en Begabungen und Anstrengungen<br />
e<strong>in</strong>e bestmögliche Förderung zu<br />
erhalten und dass er dazu <strong>in</strong> die Lage<br />
versetzt wird, se<strong>in</strong>e Fähigkeiten, Fertigkeiten<br />
und Kenntnisse bestmöglich<br />
zu entwickeln und zu entfalten. Somit<br />
ist Bildung zuallererst die Persönlichkeitsentwicklung<br />
des Individuums.<br />
Bildung vergibt natürlich auch Lebenschancen.<br />
Dies darf jedoch nicht willkürlich,<br />
schon gar nicht nach ideologischen<br />
Pr<strong>in</strong>zipen erfolgen, sondern<br />
ausschließlich nach Leistungsaspekten.<br />
Bildungschancen dürfen auch<br />
nicht vom Geldbeutel abhängig se<strong>in</strong>.<br />
Aber genau dies wird geschehen,<br />
wenn man die E<strong>in</strong>heitsschule flächendeckend<br />
e<strong>in</strong>führt. Dann werden die<br />
Privatschulen, die schon heute e<strong>in</strong>en<br />
besonderen gesetzlichen Schutz genießen,<br />
zunehmen und schließlich gegen<br />
gutes Geld gute Bildung anbieten. Bildungsnahe<br />
Schichten werden Privatschulen<br />
<strong>in</strong> dem Maße bevorzugen, wie<br />
das staatliche Schulsystem versagt<br />
und ihren K<strong>in</strong>dern nicht die notwendige<br />
Anregung und Förderung bietet.<br />
Der <strong>Philologenverband</strong> will begabungsgerechte<br />
Schulen für alle K<strong>in</strong>der,<br />
wir wollen Aufstiegschancen für<br />
alle K<strong>in</strong>der entsprechend ihren Begabungen,<br />
und zwar <strong>in</strong> der Regel an<br />
staatlichen Schulen, die jedem zugänglich<br />
und damit immer auch soziale<br />
E<strong>in</strong>richtungen s<strong>in</strong>d.<br />
Foto: kaemte/PIXELIO<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
6<br />
VORTRAG Gymnasialtag 2010<br />
»<strong>Das</strong> deutsche <strong>Gymnasium</strong> –<br />
Schule mit Zukunft?«<br />
Prof. Dr. Peter J. Brenner<br />
Vortrag von Prof. Dr. Peter J. Brenner<br />
Ich bedanke mich für die E<strong>in</strong>ladung<br />
und freue mich, dass ich wieder hier<br />
se<strong>in</strong> darf. Vor e<strong>in</strong>em guten Jahr hatte<br />
ich die Ehre, im Schatten des Domes für<br />
den rhe<strong>in</strong>land-pfälzischen Realschullehrerverband<br />
e<strong>in</strong>en Vortrag halten zu dürfen.<br />
<strong>Das</strong> gehört natürlich zusammen mit<br />
me<strong>in</strong>em heutigen Vortrag – denn darüber<br />
will ich jetzt sprechen: Über die<br />
Stellung des <strong>Gymnasium</strong>s im deutschen<br />
Schulwesen. Dabei wird es mir auch<br />
um etwas allgeme<strong>in</strong>ere Fragestellungen<br />
gehen, die nicht ausschließlich auf das<br />
rhe<strong>in</strong>land-pfälzische Schulwesen bezogen<br />
s<strong>in</strong>d. Denn die Probleme des <strong>Gymnasium</strong>s<br />
ebenso wie se<strong>in</strong>e Chancen<br />
und Optionen für die Zukunft, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />
den Bundesländern ähnlich, wenn auch<br />
ke<strong>in</strong>eswegs gleich. Ich will also versuchen,<br />
die Position des <strong>Gymnasium</strong>s <strong>in</strong><br />
der Tektonik des deutschen Schulwesens<br />
abzubilden und die Frage zu stellen,<br />
was dürfen wir hoffen, aber auch<br />
was sollen wir tun, um dem <strong>Gymnasium</strong><br />
e<strong>in</strong>e Perspektive zu erhalten?<br />
Im Titel Ihrer Tagung ist wohlgemut von<br />
der »Zukunft des <strong>Gymnasium</strong>s« die Rede,<br />
im Titel me<strong>in</strong>es Vortrags jedoch hat<br />
e<strong>in</strong> verzagtes Gemüt e<strong>in</strong> Fragezeichen<br />
h<strong>in</strong>ter die »Zukunft« gesetzt. <strong>Das</strong> Fragezeichen<br />
stammt nicht von mir, sondern<br />
von der etwas vorsichtigeren Leitung Ihres<br />
rhe<strong>in</strong>land-pfälzischen <strong>Philologenverband</strong>es.<br />
Dieses Fragezeichen streichen<br />
wir wieder!<br />
Denn das <strong>Gymnasium</strong> hat natürlich e<strong>in</strong>e<br />
Zukunft. Aber die Frage ist, wie diese<br />
Zukunft aussehen wird. Es kann gar<br />
ke<strong>in</strong>en Zweifel daran geben, dass für<br />
die nächsten Jahrzehnte und nächsten<br />
Generationen das <strong>Gymnasium</strong> erhalten<br />
bleiben wird. Ebenso wenig aber gibt es<br />
e<strong>in</strong>en Zweifel daran, dass das <strong>Gymnasium</strong><br />
wieder e<strong>in</strong>mal unter e<strong>in</strong>em enormen<br />
Reformdruck steht und sich verändern<br />
wird, ob es will oder nicht.<br />
In welche Richtung die Veränderung<br />
vor sich gehen wird, will ich hier andeuten.<br />
Die tagesaktuellen und tagespolitischen<br />
Probleme, die Sie als Lehrkräfte<br />
und als Verband <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie beschäftigen,<br />
werde ich ausklammern, um<br />
mich mit e<strong>in</strong>igen Grundlagenproblemen<br />
zu befassen.<br />
Dabei konzentriere ich mich auf drei<br />
zentrale Themen der deutschen Bildungsdiskussion,<br />
von denen über zwei<br />
im Übermaß, über e<strong>in</strong>s jedoch zu wenig<br />
gesprochen wird. Im Übermaß geredet<br />
wird über (1) die Frage der »Bildungsgerechtigkeit«<br />
und (2) über Änderungen<br />
der Schulstruktur; viel zu wenig, fast<br />
überhaupt nicht jedoch, wird diskutiert<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
Gymnasialtag 2010 PROF. DR. PETER J. BRENNER 7<br />
über (3) die Inhalte und Ziele schulischen,<br />
<strong>in</strong> unserem Falle gymnasialen,<br />
Unterrichts.<br />
(1) Bildungsgerechtigkeit<br />
Wenn wir heute über Schule <strong>in</strong><br />
Deutschland reden, dann werden wir<br />
<strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie mit dem Thema konfrontiert,<br />
das Ihr Landesvorsitzender,<br />
Herr Blümke, heute <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>leitung<br />
auch schon als zentrales angesprochen<br />
hat: dem Thema der Bildungsgerechtigkeit.<br />
Der Begriff »Bildungsgerechtigkeit«<br />
ist seit der ersten<br />
PISA-Studie zum Schlüsselbegriff unserer<br />
Diskussion geworden. In den<br />
PISA-Studien allerd<strong>in</strong>gs taucht dieser<br />
Begriff fast überhaupt nicht auf. Er ist<br />
hier <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er sehr viel neutraleren Def<strong>in</strong>ition<br />
e<strong>in</strong>geführt worden, nämlich<br />
unter dem technischen Term<strong>in</strong>us Disparitäten<br />
im Bildungswesen.<br />
<strong>Das</strong>s es Disparitäten im Bildungswesen<br />
gibt, lässt sich nicht bestreiten.<br />
<strong>Das</strong> wusste man auch schon vor PISA<br />
und das hat es immer gegeben: dass<br />
Bildungserfolge ungleich verteilt s<strong>in</strong>d<br />
– dass das Geschlecht, die Religionszugehörigkeit,<br />
die regionale, die ethnische<br />
und neuerd<strong>in</strong>gs die soziale Herkunft<br />
offensichtlich e<strong>in</strong>e Rolle dabei<br />
spielen, welchen Bildungserfolg bestimmte<br />
Personengruppen haben.<br />
Ganz anders stellt sich die Frage aber,<br />
wenn dieser alte Befund moralisch<br />
aufgewertet wird, wenn also aus den<br />
Disparitäten, die e<strong>in</strong>fach nur e<strong>in</strong>e statistische<br />
Feststellung s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong> Gerechtigkeitsproblem<br />
gemacht wird. <strong>Das</strong><br />
kann sehr weitreichende politische<br />
Folgen haben. Dem deutschen Bildungssystem<br />
wird seit fast e<strong>in</strong>em<br />
Jahrzehnt unwidersprochen nachgesagt,<br />
es sei e<strong>in</strong>es der »ungerechtesten<br />
Bildungssysteme der Welt«. Insbesondere<br />
das »gegliederte Schulsystem«,<br />
das Schüler früh sortiere und selektiere,<br />
führe dazu, dass Schüler aufgrund<br />
ihrer sozialen Herkunft benachteiligt<br />
würden und nicht zu den Bildungserfolgen<br />
kämen, die sie erreichen würden,<br />
wenn das Schulsystem eben<br />
nicht »ungerecht« sei.<br />
Die Vorläuferdiskussionen, die schon<br />
<strong>in</strong> den sechziger Jahren geführt wurden,<br />
s<strong>in</strong>d Ihnen bekannt. Sie konzentrierten<br />
sich um den Begriff der Chancengleichheit<br />
und führten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen<br />
Bundesländern zur flächendeckenden<br />
E<strong>in</strong>führung von Gesamtschulen als<br />
vierter Schulart des Sekundarschulwesens.<br />
Erfolgreich war das Konzept<br />
offensichtlich nicht, sonst müssten wir<br />
heute nicht erneut die gleichen Diskussionen<br />
führen, die vor vierzig Jahren,<br />
während me<strong>in</strong>er eigenen Schulzeit,<br />
schon geführt wurden.<br />
H<strong>in</strong>ter der alten wie der aktuellen Diskussion<br />
um »Bildungsgerechtigkeit«<br />
zeigt sich bei genauerer Betrachtung<br />
die allgegenwärtige Auffassung, dass<br />
»Gleichheit« und »Gerechtigkeit« im<br />
Bildungswesen eng zusammenhängen,<br />
wenn nicht identisch s<strong>in</strong>d. <strong>Das</strong><br />
führt dann zu so aparten Gedankenkonstruktionen,<br />
die sich nicht nur bei<br />
Politikern und Journalisten, sondern<br />
auch bei Bildungswissenschaftlern<br />
f<strong>in</strong>den: zur Forderung, dass im Bildungswesen<br />
»mehr Gleichheit« hergestellt<br />
werden solle. Nun gibt es weder<br />
<strong>in</strong> der Wirklichkeit noch <strong>in</strong> der Logik<br />
noch <strong>in</strong> der Sprache mehr oder weniger<br />
Gleichheit, sondern nur Gleichheit<br />
oder Ungleichheit. »Mehr Gleichheit«<br />
gab es nur <strong>in</strong> Orwells Animal Farm,<br />
wo alle Tiere gleich, andere aber<br />
doch noch »gleicher« waren.<br />
Wo die Sprache entgleist, entgleisen<br />
auch die Gedanken, die <strong>in</strong> ihr ausgedrückt<br />
werden. Denn tatsächlich hat<br />
die Frage nach der Gerechtigkeit im<br />
Bildungswesen wenig zu tun mit der<br />
Frage nach der Gleichheit. Die deutsche<br />
Bildungswissenschaft, speziell<br />
die PISA-Wissenschaft, hat sich der ><br />
Zur Person:<br />
Prof. Dr. Peter J. Brenner war<br />
fast zwanzig Jahre lang Germanistik-Professor<br />
an der Universität<br />
zu Köln und ist jetzt an der<br />
Carl von L<strong>in</strong>de-Akademie der<br />
Technischen Universität München<br />
tätig. Hier entwickelt und<br />
realisiert er unter anderem Konzepte<br />
zur akademischen Weiterbildung,<br />
auch der Lehrerweiterbildung.<br />
Er studierte Philosophie, Erziehungswissenschaft,<br />
Germanistik<br />
und Komparatistik an der Universität<br />
Bonn. 1986 habilitierte er<br />
sich an der Universität Regensburg,<br />
war 1990/1991 Heisenberg-Stipendiat<br />
an der Universität<br />
Bayreuth. Schwerpunkte se<strong>in</strong>er<br />
wissenschaftlichen Arbeit<br />
s<strong>in</strong>d die Theorie der Geisteswissenschaften<br />
und ihrer Institutionen<br />
sowie die Bildungsgeschichte.<br />
Er gehört zu den profilierten<br />
Experten der deutschen Bildungsdiskussion<br />
und ist durch<br />
zahlreiche Beiträge zu Problemen<br />
des Schul- und Hochschulwesens<br />
auch e<strong>in</strong>er breiteren Öffentlichkeit<br />
bekannt geworden.<br />
Zuletzt erschienen die Bücher:<br />
• »Schule <strong>in</strong> Deutschland«<br />
• »Wie Schule funktioniert«<br />
und, ganz neu,<br />
• »Bildungsgerechtigkeit«<br />
– alle beim Kohlhammer Verlag,<br />
Stuttgart, erschienen.<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
8<br />
VORTRAG Gymnasialtag 2010<br />
Herausforderung noch nicht gestellt,<br />
den aktuell kursierenden Begriff der<br />
»Bildungsgerechtigkeit« <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em <strong>in</strong>ternationalen<br />
theoretischen Diskurszusammenhang<br />
zu diskutieren und<br />
ihn damit wissenschaftsfähig zu machen.<br />
Damit wurde noch nicht begonnen,<br />
weil das die politische Suggestionskraft<br />
des Begriffes schnell zerstören<br />
würde. Ich kann das hier nur <strong>in</strong><br />
wenigen Sätzen anreißen, und verweise<br />
auf me<strong>in</strong> gerade erschienenes<br />
Buch über »Bildungsgerechtigkeit«,<br />
besonders das zweite Kapitel. Festhalten<br />
will ich hier nur, dass die deutsche<br />
Diskussion über »Bildungsgerechtigkeit«<br />
auf vormoderne Vorstellungen<br />
von Gerechtigkeit fixiert ist.<br />
Sie geht e<strong>in</strong>erseits davon aus, dass die<br />
Menschen nicht nur »vor dem Gesetz«,<br />
sondern auch <strong>in</strong> anderen H<strong>in</strong>sichten<br />
gleich se<strong>in</strong> – oder »gleich» gemacht<br />
werden – sollen – e<strong>in</strong>e Vorstellung,<br />
die immer die Versuchung zum<br />
Totalitarismus mit sich führt. Zugleich<br />
geht diese Gerechtigkeitsvorstellung<br />
von e<strong>in</strong>em vormodernen Staatsverständnis<br />
aus, das den Staat als Produzenten<br />
von Gerechtigkeit sieht, <strong>in</strong>dem<br />
er paternalistisch Leistungen gewährt<br />
oder verweigert.<br />
<strong>Das</strong> ist weit entfernt vom aktuellen<br />
Diskussionsstand. Die moderne Gerechtigkeitsdiskussion<br />
wurde nach<br />
Rawls’ Buch Theory of Justice besonders<br />
von Michael Walzer und David<br />
Miller geprägt, die e<strong>in</strong>en pragmatischen,<br />
auf die reale Situation der modernen<br />
Wohlstandsgesellschaft bezogene<br />
Diskussion <strong>in</strong>itiiert haben. Im<br />
Kern laufen ihre Überlegungen darauf<br />
h<strong>in</strong>aus, dass es »Sphären der Gerechtigkeit«<br />
– so heißt das Buch Millers –<br />
gibt, dass also <strong>in</strong> verschiedenen Bereichen<br />
der Gesellschaft verschiedene<br />
Vorstellungen von Gerechtigkeit gelten<br />
und gelten müssen. Miller unterscheidet<br />
die Pr<strong>in</strong>zipien des »Bedarfs«,<br />
der »Leistung« und der »Gleichheit«.<br />
<strong>Das</strong> Pr<strong>in</strong>zip des Bedarfs wird dort die<br />
größte Anerkennung f<strong>in</strong>den, wo sich<br />
Geme<strong>in</strong>schaften nach Grundsätzen<br />
der Solidarität oder der emotionalen<br />
Nähe konstituieren, <strong>in</strong> der Familie etwa<br />
oder e<strong>in</strong>em Vere<strong>in</strong>. <strong>Das</strong> Pr<strong>in</strong>zip<br />
der Leistung wird besonders <strong>in</strong> Wirtschaftsunternehmen<br />
gelten; und das<br />
Pr<strong>in</strong>zip der Gleichheit gilt vor allem<br />
dann, wenn der Staat se<strong>in</strong>en Bürgern<br />
gegenübertritt – denn »vor dem Gesetz»,<br />
und nur dort, s<strong>in</strong>d alle Menschen<br />
gleich.<br />
Es ist offensichtlich, dass sich diese<br />
Pr<strong>in</strong>zipien <strong>in</strong> der Schule <strong>in</strong> besonderer<br />
Weise vermischen, und hier besteht<br />
noch e<strong>in</strong>iger Diskussion- und<br />
Klärungsbedarf. Denn <strong>in</strong> der Schule<br />
muss der <strong>in</strong>dividuelle Bedarf des e<strong>in</strong>zelnen<br />
Schülers ebenso berücksichtigt<br />
werden wie ihm e<strong>in</strong>e Leistung abgefordert<br />
werden muss; und am Ende<br />
müssen alle Schüler auch noch<br />
»gleich» behandelt werden, ke<strong>in</strong>er<br />
darf bevorzugt und ke<strong>in</strong>er darf benachteiligt<br />
werden. Schließlich muss<br />
die Schule auch noch Noten vergeben<br />
und Schüler damit <strong>in</strong> Rangordnungen<br />
platzieren.<br />
<strong>Das</strong>s diese Komplexität der Gerechtigkeitsproblematik<br />
<strong>in</strong> der deutschen Bildungsdiskussion<br />
missachtet und sie<br />
auf die – eigentlich gegenläufigen –<br />
Konzepte der »Gleichheit« und der »<strong>in</strong>dividuellen<br />
Förderung« reduziert<br />
wird, hat sehr weitreichende Folgen,<br />
von denen auch das <strong>Gymnasium</strong> als<br />
Schulart unmittelbar betroffen ist.<br />
Denn <strong>in</strong> der bildungspolitischen Praxis<br />
führt das dazu, dass man die Gerechtigkeit<br />
e<strong>in</strong>es Bildungssystems daran<br />
misst, dass möglichst viele möglichst<br />
hohe Abschlüsse erreichen.<br />
<strong>Das</strong> ist das Konzept der OECD, der Organisation<br />
for Economic Co-operation<br />
and Development, von der eigentlich<br />
niemand so recht weiß, warum sie e<strong>in</strong>en<br />
so durchschlagenden E<strong>in</strong>fluss auf<br />
die deutsche Bildungspolitik gewonnen<br />
hat. In den OECD-Modellen zur<br />
quantitativen Messung und Bewertung<br />
von nationalen Bildungssystemen<br />
spielt die Studienanfängerquote,<br />
und damit die ihr vorangehende Abiturientenquote,<br />
e<strong>in</strong>e zentrale Rolle.<br />
Ganz neu ist das nicht. Seit langem,<br />
seit den sechziger Jahren, herrscht<br />
auch <strong>in</strong> Deutschland sowohl <strong>in</strong> der<br />
Bildungspolitik wie <strong>in</strong> der Bildungswissenschaft<br />
die Vorstellung, dass die<br />
Leistungsfähigkeit und Gerechtigkeit<br />
e<strong>in</strong>es Schulsystems sich dar<strong>in</strong> erwei-<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
Gymnasialtag 2010 PROF. DR. PETER J. BRENNER 9<br />
se, dass möglichst viele junge Menschen<br />
das Abitur machen, also e<strong>in</strong>e<br />
Hochschulzugangsberechtigung erhielten.<br />
<strong>Das</strong> ist verbunden mit der<br />
Vorstellung, dass e<strong>in</strong>e Volkswirtschaft<br />
umso leistungsfähiger werde, je größer<br />
die Partizipation an höheren Bildungsabschlüssen<br />
sei, um es e<strong>in</strong>mal<br />
im OECD-Deutsch zu sagen.<br />
Wenn man diese Politik <strong>in</strong> ihrer historischen<br />
Entwicklung verfolgt, kommt<br />
man zu e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>drucksvollen Zahlenreihe.<br />
Als Ralf Dahrendorf 1965 se<strong>in</strong><br />
sehr e<strong>in</strong>flussreiches Buch »Bildung ist<br />
Bürgerrecht« schrieb – das neben<br />
Georg Pichts »Bildungskatastrophe«<br />
den Anfang des quantitativen Denkens<br />
<strong>in</strong> der Bildungspolitik markiert –,<br />
fordert er e<strong>in</strong>e Verdopplung der Abiturientenzahlen.<br />
<strong>Das</strong> hätte bedeutet,<br />
dass statt sieben Prozent dann vierzehn<br />
Prozent e<strong>in</strong>es Altersjahrsgangs<br />
das Abitur machen sollten – damals<br />
e<strong>in</strong> kühner Gedanke. 1995 lag die Studienanfängerquote<br />
nach OECD-Kriterien<br />
– e<strong>in</strong>e Abiturientenquote im S<strong>in</strong>ne<br />
der deutschen Statistik wird von<br />
der OECD nicht erhoben – <strong>in</strong> Deutschland<br />
bei 26 Prozent; im Jahre 2000 waren<br />
es dreißig Prozent. 2008 wurde<br />
diese Quote weit überboten – sie lag<br />
bei 43,3 Prozent. Aber nach OECD-<br />
Vorstellungen ist das immer noch zu<br />
wenig, denn der OECD-Durchschnitt<br />
liegt <strong>in</strong>zwischen bei 56 Prozent und<br />
wird durch Länder wie Australien mit<br />
87 Prozent, Polen mit 83 Prozent und<br />
Portugal mit 81 Prozent maßgeblich<br />
geprägt.<br />
Die politische Fixierung auf die Steigerung<br />
der Studierendenzahlen trägt<br />
manchmal seltsame Blüten, die oft<br />
mehr über die Substanz deutscher<br />
Bildungspolitik aussagen als die langen<br />
Zahlenkolonnen der PISA-Studien.<br />
Die vormalige deutsche Bundesbildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong><br />
Edelgard Bulmahn<br />
hat im Jahre 2004 den Schlagersänger<br />
Guildo Horn, alias Horst Köhler – der<br />
übrigens im rhe<strong>in</strong>land-pfälzischen<br />
Trier se<strong>in</strong> Abitur gemacht hat – angemietet,<br />
um e<strong>in</strong>e Kampagne für die Erhöhung<br />
der Studentenzahlen <strong>in</strong><br />
Deutschland zu beflügeln. Alle<strong>in</strong> dieser<br />
Vorgang ist Grund genug, e<strong>in</strong>er Bildungspolitik<br />
zu misstrauen, die alle<br />
<strong>in</strong>tellektuellen Hemmungen abgelegt<br />
hat, um ihr Ziel, die Steigerung der<br />
Studierendenzahlen, zu erreichen.<br />
Unabhängig von solchen Kapriolen<br />
muss man aber die ernsthafte Frage<br />
stellen, was denn mit e<strong>in</strong>er Erhöhung<br />
der Studienanfängerquote tatsächlich<br />
erreicht wird. Die Annahme der<br />
OECD, dass auch nur e<strong>in</strong>e Korrelation,<br />
geschweige denn e<strong>in</strong> kausaler Zusammenhang,<br />
von höherer Bildungsbeteiligung,<br />
faktischem Bildungserfolg<br />
und ökonomischer Leistungsfähigkeit<br />
bestehe, ist nach wie vor unbewiesen.<br />
Es gibt auch Indizien dafür, dass e<strong>in</strong><br />
solcher Zusammenhang nicht besteht.<br />
Die schamhaft versteckten Studienabschlussquoten<br />
liegen <strong>in</strong> Deutschland<br />
über fünfzig Prozent unter den alljährlich<br />
gefeierten Studienanfängerquoten.<br />
Und die Tabellen des Statistischen<br />
Bundesamtes zeigen, dass die<br />
höchste Abiturientenquote Deutschlands<br />
<strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern<br />
produziert wird, dort erwarben im<br />
Jahre 2008 48,8 Prozent des Altersjahrgangs<br />
die allgeme<strong>in</strong>e Hochschulzugangsberechtigung.<br />
Dennoch würde<br />
niemand auf den Gedanken kommen,<br />
diesem schönen Bundesland e<strong>in</strong>e herausragende<br />
Wirtschaftskraft zu unterstellen.<br />
Die auf »höhere Bildungsbeteiligung«<br />
als Ausweis höherer Bildungsgerechtigkeit<br />
fixierte Diskussion hat gravierende<br />
Folgen. Sie führt e<strong>in</strong>erseits zu<br />
e<strong>in</strong>er Politik, die Bildungserfolg und<br />
Bildungsgerechtigkeit alle<strong>in</strong> an Gymnasialbesuchs-<br />
und Gymnasialabsolventenquoten<br />
misst und damit dem<br />
<strong>Gymnasium</strong> alle<strong>in</strong> die Last aufbürdet,<br />
durch die immer weiter gesteigerte<br />
Produktion von Abiturienten für mehr<br />
»Bildungsgerechtigkeit« zu sorgen. Die<br />
Probleme, die das für die Funktionsfähigkeit,<br />
zu schweigen von der Qualität,<br />
des <strong>Gymnasium</strong>s mit sich br<strong>in</strong>gt,<br />
s<strong>in</strong>d Ihnen bekannt.<br />
Auf der anderen Seite, und das empf<strong>in</strong>de<br />
ich als viel gravierender, führt<br />
das zu e<strong>in</strong>er politischen Vernachlässigung<br />
der eigentlichen Probleme, die<br />
sich am anderen Ende des Bildungssystems<br />
stellen. Was passiert mit den<br />
Hauptschülern, die Mühe haben, e<strong>in</strong>fache<br />
Qualifikationsstufen zu erreichen<br />
oder am Ende ganz ohne Schulabschluss<br />
dastehen? Diese Frage ist<br />
<strong>in</strong>zwischen e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich im öffentlichen<br />
Bewusstse<strong>in</strong> präsent. E<strong>in</strong>e Antwort<br />
wurde noch nicht gefunden –<br />
nur e<strong>in</strong>e Alibilösung durch Symbolpolitik.<br />
Denn Symbolpolitik ist es, Hauptschulen<br />
nom<strong>in</strong>ell verschw<strong>in</strong>den zu<br />
lassen durch Zusammenlegung mit<br />
anderen Schularten. Aber die unverkennbaren,<br />
wenn auch <strong>in</strong> der politischen<br />
Diskussion durchaus übertrieben<br />
dargestellten Probleme der<br />
Hauptschulen lassen sich weder<br />
durch die Steigerung von Abiturientenquoten<br />
noch durch Veränderungen<br />
von Schulstrukturen lösen.<br />
<strong>Das</strong>s das nichts nützt, weiß man seit<br />
den siebziger Jahren, und e<strong>in</strong> Blick<br />
auf die vielen OECD-Länder, die andere<br />
Schulstrukturen, aber ähnliche und<br />
oft noch größere Probleme mit großen<br />
Gruppen von Risikoschülern haben<br />
– ich denke an Frankreich, die<br />
USA, Großbritannien –, könnte es<br />
noch e<strong>in</strong>mal bestätigen.<br />
Im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich ebenso<br />
wie im sozialhistorischen Rückblick<br />
könnte man sogar zu der Auffassung<br />
kommen, dass der Handlungsbedarf<br />
<strong>in</strong> der Frage der »Bildungsgerechtigkeit«<br />
gar nicht so groß ist, wie er <strong>in</strong><br />
der öffentlichen Diskussion ersche<strong>in</strong>t.<br />
Hier halte ich es mit Helmut Fend, ><br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
10<br />
VORTRAG Gymnasialtag 2010<br />
dem emeritierten Züricher Bildungsforscher<br />
und Nestor der deutschen<br />
Bildungsstatistik. Fend hat nüchtern<br />
festgestellt, dass auch die Schüler aus<br />
bildungsfernen Schichten, die am unteren<br />
Spektrum der schulischen Leistungsmöglichkeiten,<br />
am unterem<br />
Spektrum der Schularten und damit<br />
auch am unteren Spektrum der beruflichen<br />
Möglichkeiten positioniert s<strong>in</strong>d,<br />
Bildungs- und Lebenschancen haben,<br />
die ihnen vor wenigen Jahrzehnten<br />
noch verschlossen gewesen wären.<br />
Auch Menschen mit Bildungsabschlüssen<br />
weit unterhalb des Abiturs<br />
haben ihren Anteil am Wohlstand erhalten;<br />
und damit, so formuliert Fend<br />
zu Recht, »verliert das erreichbare Bildungs-<br />
und Berufsniveau an lebensgeschichtlicher<br />
Dramatik«. Wir müssen<br />
also ke<strong>in</strong> besonders schlechtes Gewissen<br />
haben, wenn wir Schüler mit e<strong>in</strong>em<br />
Hauptschulabschluss entlassen,<br />
denn auch diese Schüler haben die<br />
Option, e<strong>in</strong> vernünftiges und zufriedenstellendes<br />
Leben zu führen, um<br />
e<strong>in</strong>mal die m<strong>in</strong>imalistische PISA-Def<strong>in</strong>ition<br />
der Aufgabe von Schule aufzugreifen.<br />
(2) Schulstrukturen<br />
Aber selbst wenn die Bildungsungerechtigkeit<br />
tatsächlich so dramatisch<br />
und folgenreich wäre, wie es sich <strong>in</strong><br />
der öffentlichen Diskussion darstellt,<br />
dann stellt sich immer noch die Frage:<br />
was kann man denn tun? Bei nüchterner<br />
Betrachtung kommt man zu dem<br />
Ergebnis: fast nichts. Jedenfalls »fast<br />
nichts« , wenn man Bildungspolitiker,<br />
Bildungswissenschaftler oder Bildungsjournalist<br />
ist; e<strong>in</strong>iges allerd<strong>in</strong>gs,<br />
wenn man Lehrer<strong>in</strong> oder Lehrer an e<strong>in</strong>er<br />
Schule ist. Darauf will ich am Rande<br />
kurz e<strong>in</strong>gehen. Schließlich geht es<br />
im <strong>Gymnasium</strong> auch um die Lehrer.<br />
Im Vorfeld der gerade bevorstehenden<br />
PISA-Publikation hat es <strong>in</strong> Österreich,<br />
mehr als <strong>in</strong> Deutschland, heftige Vorabdiskussionen<br />
über die zu erwartenden<br />
Ergebnisse gegeben. In der Wiener<br />
Zeitung »Die Presse« las ich vorgestern<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kommentar den bemerkenswerten,<br />
<strong>in</strong> Deutschland noch<br />
nicht richtig angekommenen Satz: »Jeder<br />
e<strong>in</strong>zelne Lehrer, der nicht im<br />
Burn-out oder <strong>in</strong> der <strong>in</strong>neren Freizeitemigration<br />
endet, hat für die Qualität<br />
unseres Schulsystems mehr Bedeutung<br />
als jedes noch so geniale soziologische<br />
Argument für welches Organisationspr<strong>in</strong>zip<br />
auch immer.« Wir können<br />
noch so viele PISA-Studien haben<br />
und noch so viele Schulstrukturreformen<br />
haben, aber jeder e<strong>in</strong>zelne Lehrer<br />
leistet mehr für den Bestand e<strong>in</strong>es<br />
Schulsystems als e<strong>in</strong>e Schulstrukturreform«.<br />
So ist es wohl, und die erste<br />
Frage, die sich e<strong>in</strong>em Schulsystem<br />
stellt, ist die nach der Ausbildung, der<br />
Auswahl, der Qualifizierung, der Pflege<br />
und der Weiterbildung der Lehrkräfte<br />
<strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Schularten.<br />
Ansonsten s<strong>in</strong>d die E<strong>in</strong>flussmöglichkeiten<br />
der Schule auf die tatsächliche<br />
oder verme<strong>in</strong>tliche »Bildungsungerechtigkeit«<br />
nach me<strong>in</strong>er Auffassung<br />
weitgehend ausgereizt. Ungerechtigkeit<br />
ist, das weiß man schon länger,<br />
ke<strong>in</strong>e Frage des Schulsystems, sondern<br />
e<strong>in</strong>e des Gesellschaftssystems.<br />
Gegen die Disparitäten im Bildungswesen<br />
hat man sehr wenige Interventionsmöglichkeiten,<br />
das hat die westdeutsche<br />
wie die ostdeutsche Bildungspolitik<br />
gezeigt, die ja seit fast<br />
fünfzig Jahren kaum etwas anderes so<br />
sehr versucht hat, wie »Gerechtigkeit«<br />
im Bildungswesen herzustellen.<br />
Im Laufe dieser langen Experimentalgeschichte<br />
des deutschen Schulwesens<br />
hat man sich angewöhnt, Schulstrukturen<br />
zu verändern. Nach e<strong>in</strong>er<br />
gewissen Ruhephase <strong>in</strong> den neunziger<br />
Jahre erleben wir es fast wieder<br />
schuljährlich, dass neue Schulstrukturen<br />
<strong>in</strong> den Bundesländern e<strong>in</strong>geführt<br />
werden mit der Maßgabe, damit die<br />
Bildungsgerechtigkeit zu erhöhen. Ich<br />
nenne nur e<strong>in</strong> Beispiel aus Ihrem eigenen<br />
Bundesland Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong>.<br />
Hier wurde 1996 die, wie mir sche<strong>in</strong>t,<br />
durchaus vernünftig konzipierte »Duale<br />
Oberschule« als Schulversuch e<strong>in</strong>geführt.<br />
Sie wurde zehn Jahre lang erprobt;<br />
sie war erfolgreich – hat es je <strong>in</strong><br />
Deutschland e<strong>in</strong>en erfolglosen Schulversuch<br />
gegeben? –, sie wurde deshalb<br />
2006/2007 als Regelschule e<strong>in</strong>geführt<br />
– und sie wurde 2009/2010 wieder<br />
abgeschafft, weil sie aufgegangen<br />
ist <strong>in</strong> der Realschule plus. So sieht<br />
moderne Bildungspolitik <strong>in</strong> Deutschland<br />
aus, ke<strong>in</strong>eswegs nur <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong>.<br />
Auch anderswo zeichnen sich Umstrukturierungen<br />
des Schulwesens ab,<br />
die dem erklärten politischen Zweck<br />
dienen, »mehr Gleichheit« zu erzeugen.<br />
In Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen konnten<br />
wir gerade die Entstehung e<strong>in</strong>er neuen<br />
Schulart beobachten, die auch von<br />
der überregionalen Presse mit lebhafter<br />
Aufmerksamkeit verfolgt wurde: Es<br />
handelt sich um das »halbe <strong>Gymnasium</strong>«.<br />
Als solche wird uns die erste, gerade<br />
<strong>in</strong> Ascheberg im Münsterland <strong>in</strong><br />
Gründung begriffene »Geme<strong>in</strong>schaftsschule«<br />
Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalens von ihrem<br />
Bürgermeister vorgestellt. E<strong>in</strong><br />
halbes <strong>Gymnasium</strong> bedeutet: Schulangebote<br />
bis zur zehnten Klasse für<br />
Haupt- und Realschüler auf »gymnasialem<br />
Niveau«. Sie alle, die Sie hier<br />
sitzen, s<strong>in</strong>d Praktiker genug, um zu<br />
wissen, was der Öffentlichkeit gerne<br />
vorenthalten wird: dass nämlich solche<br />
Schulversuche seitens e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>teressierten<br />
Landesregierung massiv<br />
protegiert werden <strong>in</strong> Form von Ausstattungen,<br />
Klassengrößen, Lehrer-<br />
Schüler-Relationen, von denen andere<br />
Schulen nur träumen können. So<br />
auch hier: Den Pressemitteilungen<br />
kann man entnehmen, dass <strong>in</strong> dieser<br />
Schule die Zahl der Hauptschullehrer<br />
mehr als verdoppelt wird; aus ur-<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
Gymnasialtag 2010 PROF. DR. PETER J. BRENNER 11<br />
sprünglich 21 Hauptschullehrern werden<br />
jetzt fünfzig, der Klassenteiler<br />
wird auf 25 verr<strong>in</strong>gert. Aber ob das für<br />
e<strong>in</strong> »halbes <strong>Gymnasium</strong>« reicht?<br />
Die Abwälzung von schulpolitischen<br />
Entscheidungen auf die Kommunen<br />
ist übrigens e<strong>in</strong>e politische Strategie,<br />
die nicht nur <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen<br />
von den landespolitischen Entscheidungsträgern<br />
nach dem Desaster der<br />
Hamburger Schulpolitik unverblümt<br />
ausgesprochen wird. Sie ist e<strong>in</strong> Trend,<br />
der sich auch <strong>in</strong> anderen Politikfeldern<br />
durchsetzt. Politik, auch Schulpolitik,<br />
wird nicht mehr planmäßig<br />
und mit benennbaren, und damit konfliktträchtigen,<br />
politischen Zielsetzungen<br />
betrieben. Sie nimmt vielmehr die<br />
Gestalt e<strong>in</strong>e »Projektes« an, das mal so<br />
und mal so betrieben werden kann,<br />
sodass gewünschte schulpolitische<br />
Entscheidungen eben nur dort umgesetzt<br />
werden, wo die Akteure kooperationsbereit<br />
und die Themen nicht so<br />
kontrovers s<strong>in</strong>d. Parteipolitische Präferenzen<br />
spielen dabei kaum noch e<strong>in</strong>e<br />
Rolle; im Vordergrund stehen lokale<br />
und <strong>in</strong>dividuelle Interessen – das<br />
Interesse e<strong>in</strong>es Stadtrats an der Stadtentwicklung,<br />
das Interesse e<strong>in</strong>es Bürgermeisters<br />
an se<strong>in</strong>er Wiederwahl,<br />
das Interesse e<strong>in</strong>er Hauptschulrektor<strong>in</strong><br />
an e<strong>in</strong>er A 15-Stelle. <strong>Das</strong> können<br />
wir <strong>in</strong> den deutschen Bundesländern,<br />
<strong>in</strong> denen noch kontrovers über Bildungspolitik<br />
diskutiert wird, allenthalben<br />
beobachten,<br />
Es ist leicht ersichtlich, dass hier andere<br />
Erwägungen als solche der<br />
Schulpolitik, geschweige denn der Bildungswissenschaft<br />
e<strong>in</strong>e Rolle spielen.<br />
Hier geht es <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie um Standortpolitik<br />
– um den Versuch der Kommunen,<br />
sich durch formale schulische<br />
Angebote im Konkurrenzkampf der<br />
Städte und Geme<strong>in</strong>den um den Zuzug<br />
oder Verbleib junger Familien zu positionieren.<br />
Die Antwort ist immer die<br />
gleiche: es müssen möglichst hohe<br />
formale Schulabschlüsse an e<strong>in</strong>em<br />
Standort angeboten werden.<br />
Diese Entwicklung der schulpolitischen<br />
Praxis hat viele Facetten, erfreuliche<br />
wie problematische. Erfreulich<br />
ist, dass oft e<strong>in</strong> nüchterner Pragmatismus<br />
<strong>in</strong> die Schulpolitik kommt<br />
und sich die uralten ideologischen Fixierungen<br />
lösen; problematisch ist,<br />
dass es leicht zu faulen Kompromisslösungen<br />
kommt und man den Eltern<br />
Mogelpackungen anbietet und ihnen<br />
Versprechungen macht – »halbes<br />
<strong>Gymnasium</strong>« –, die auf Dauer nicht zu<br />
halten s<strong>in</strong>d. Und problematisch ist,<br />
dass damit die E<strong>in</strong>heitlichkeit des<br />
deutschen Schulsystems, mit der es<br />
aufgrund des Föderalismus ohneh<strong>in</strong><br />
nicht weit her ist, noch weiter ausgehöhlt<br />
wird, so dass am Ende die Differenzen<br />
zwischen den Schularten und<br />
den e<strong>in</strong>zelnen Schulen bis auf die lokale<br />
Ebene h<strong>in</strong>abreichen und sich der<br />
Wert e<strong>in</strong>es Zeugnisses erst dann erweist,<br />
wenn es sich auf dem Berufsmarkt<br />
bewähren muss.<br />
Die Praxis, Schulpolitik wesentlich als<br />
Schulstrukturpolitik zu betreiben, ist<br />
e<strong>in</strong>e Folge der Fehlentwicklung <strong>in</strong> der<br />
Gerechtigkeitsdiskussion, die sich, ich<br />
wiederhole es, darauf fixiert hat, Bildungsgerechtigkeit<br />
an der Expansion<br />
von höheren Bildungsabschlüssen zu<br />
messen. <strong>Das</strong>s dieser politische Denkansatz<br />
am aktuellen Stand der Gerechtigkeitsdiskussion<br />
vorbeizielt, habe<br />
ich angedeutet. <strong>Das</strong>s er aber auch<br />
nicht nur auf e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>tellektuellen Defizit,<br />
sondern vielleicht sogar nur auf<br />
e<strong>in</strong>em methodischen Denkfehler der<br />
statistischen Bildungsforschung beruht,<br />
will ich noch kurz von e<strong>in</strong>er anderen<br />
Seite aus beleuchten.<br />
Erreichte oder verfehlte »Bildungsgerechtigkeit«<br />
wird seit den siebziger<br />
Jahren wesentlich am Kriterium des<br />
Schulbesuchs und des erreichten Abschlusses,<br />
heute zudem noch durch<br />
Messen der erworbenen oder nicht<br />
erworbenen »Kompetenzen« def<strong>in</strong>iert.<br />
Vor allem, aber nicht nur die PISA-Studien<br />
haben dieser Betrachtungsweise<br />
zur politischen Diskursherrschaft verholfen<br />
und damit e<strong>in</strong>em Tunnelblick<br />
auf das Problemfeld »Bildungsgerechtigkeit«<br />
Vorschub geleistet, der wesentliche<br />
Aspekte der deutschen<br />
Schulwirklichkeit ausblendet.<br />
Die PISA-Studien, das ist bekannt,<br />
s<strong>in</strong>d punktuelle Momentaufnahmen,<br />
die abbilden, was für Kompetenzen<br />
an e<strong>in</strong>em bestimmten Tag e<strong>in</strong>es Schülerlebens<br />
gemessen werden konnten.<br />
Sie erfassen von den berühmten<br />
»150 000 Stunden« e<strong>in</strong>es Schülerlebens<br />
gerade mal e<strong>in</strong>en Vormittag. <strong>Das</strong> ist <strong>in</strong>teressant<br />
und vielleicht auch wichtig,<br />
aber dieses Verfahren bildet nur e<strong>in</strong><br />
sehr, sehr ger<strong>in</strong>ges Segment der<br />
Schulwirklichkeit ab. Es gibt ganz andere<br />
empirische Zugänge zu diesem<br />
Problemfeld, die auch zu anderen Ergebnissen<br />
h<strong>in</strong>sichtlich der Gerechtigkeit<br />
im deutschen Schulwesen kommen.<br />
Ich habe soeben Helmut Fend<br />
zitiert, der zu e<strong>in</strong>er entdramatisierenden<br />
Sicht auf das deutsche Schul- ><br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
12<br />
VORTRAG Gymnasialtag 2010<br />
wesen geraten hat. Dazu hat er guten<br />
Grund, denn se<strong>in</strong>e eigenen Forschungen<br />
liefern plausible Belege zu der<br />
Annahme, dass das deutsche Schulwesen<br />
ke<strong>in</strong>eswegs so ungerecht ist,<br />
wie ihm unterstellt wird. In e<strong>in</strong>er<br />
Langzeitstudie »LifE« – »Lebensverläufe<br />
von der späten K<strong>in</strong>dheit <strong>in</strong>s frühe<br />
Erwachsenenalter« – hat er die <strong>in</strong>dividuellen<br />
Bildungslaufbahnen über<br />
zwanzig Jahre h<strong>in</strong>weg verfolgt und ist<br />
zu e<strong>in</strong>em ganz erstaunlichen Befund<br />
gekommen – zu der Aussage, dass das<br />
deutsche Schulsystem sehr viel flexibler<br />
ist, als ihm geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> unterstellt<br />
wird. Fend konnte feststellen, dass<br />
dreißig Prozent der Schüler, welche<br />
um 1980 <strong>in</strong> der neunten Klasse e<strong>in</strong>e<br />
Hauptschule besuchten, im Alter von<br />
35 Jahren, also zwanzig Jahre später,<br />
e<strong>in</strong>en höheren als e<strong>in</strong>en Hauptschulabschluss<br />
aufweisen konnten; analog<br />
dazu erhielten auch dreißig Prozent<br />
der Realschüler e<strong>in</strong>en höheren als<br />
den Realschulabschluss, während 25<br />
Prozent der Gymnasiasten der neunten<br />
Klasse e<strong>in</strong>en niedrigeren Abschluss<br />
als das Abitur erhielten. <strong>Das</strong><br />
ist e<strong>in</strong>e bemerkenswerte empirische<br />
Revision der immer und immer wieder<br />
behaupteten »Durchlässigkeit<br />
nach unten«.<br />
Es besteht also großflächig die Möglichkeit,<br />
darauf will ich h<strong>in</strong>aus, zur<br />
Korrektur von Schullaufbahnen; e<strong>in</strong><br />
großer Teil der deutschen Schüler erfährt<br />
Bildungslaufbahnen, die über<br />
unser klassisches Verständnis vom gegliederten<br />
Bildungssystem h<strong>in</strong>ausgehen.<br />
Dieser strukturelle Aspekt des<br />
deutschen Schulwesens, der, so vermute<br />
ich, <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em anderen OECD-<br />
Land so ausgestaltet ist wie <strong>in</strong><br />
Deutschland, wird <strong>in</strong> der Diskussion<br />
über Bildungsungerechtigkeit völlig<br />
ignoriert. Es wird ignoriert, dass das<br />
deutsche Schulwesen nicht etwa<br />
»dreigliedrig« ist, sondern e<strong>in</strong>e unendliche<br />
Vielzahl von schulischen Bildungsmöglichkeiten,<br />
aber auch Möglichkeiten<br />
zum Nachholen von Bildungschancen<br />
anbietet.<br />
Es ist ja ke<strong>in</strong>eswegs immer nur e<strong>in</strong><br />
Signum des Scheiterns, wenn man e<strong>in</strong><br />
<strong>Gymnasium</strong> oder e<strong>in</strong>e Realschule verlässt<br />
und dann am Ende noch e<strong>in</strong>mal<br />
e<strong>in</strong>en Bildungsgang aufgreift und auf<br />
irgende<strong>in</strong>em der vielen Wege, die <strong>in</strong><br />
den e<strong>in</strong>zelnen Bundesländern zur<br />
Verfügung stehen, dann das nachholt,<br />
was zuvor versäumt wurde. Diese<br />
Möglichkeit des Nachholens, der Ausschöpfung<br />
von Optionen, die man ursprünglich<br />
<strong>in</strong> der eigenen Biographie<br />
nicht gehabt oder nicht wahrgenommen<br />
hat, ist e<strong>in</strong> zentrales Strukturmerkmal<br />
des deutschen Schulwesens,<br />
das <strong>in</strong> der öffentlichen Wahrnehmung<br />
überhaupt nicht präsent ist – und<br />
wenn, dann allenfalls als e<strong>in</strong>e Notund<br />
Verlegenheitslösung. <strong>Das</strong> aber ist<br />
es nicht. Denn dieses »Nachholen des<br />
Versäumten« kann man auch als e<strong>in</strong>e<br />
anthropologische Grundfigur deuten,<br />
wie es Otto Friedrich Bollnow <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />
gleichnamigen Aufsatz e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich<br />
beschrieben hat. Kurz gesagt: <strong>in</strong><br />
der vielgliedrigen, ausdifferenzierten<br />
und pluralistischen Struktur des deutschen<br />
Schulwesens, <strong>in</strong> der vor allem<br />
das Berufsschulwesen e<strong>in</strong>e maßgebliche<br />
Rolle spielt, hat jeder heute und<br />
seit Jahrzehnten schon die Möglichkeit,<br />
<strong>in</strong> jeder Phase des Jugend- und<br />
jungen Erwachsenenalters jede Schule<br />
zu besuchen und jeden Schulabschluss<br />
zu machen oder nachzuholen.<br />
Deshalb sollten wir uns nicht e<strong>in</strong>reden<br />
lassen, das deutsche Bildungswesen<br />
sei e<strong>in</strong>es der ungerechtesten der<br />
Welt. <strong>Das</strong> deutsche Schulwesen ist<br />
nicht e<strong>in</strong>es der ungerechtesten, sicher<br />
aber e<strong>in</strong>es der kompliziertesten der<br />
Welt – und kompliziert ist es gerade<br />
deshalb, weil es versucht, möglichst<br />
vielen Aspekten denkbarer Lebensläufe<br />
und Bildungslaufbahnen gerecht<br />
zu werden. Viele Probleme, die dem<br />
deutschen Schul- und Bildungswesen<br />
vorgeworfen werden, haben ihre Wurzeln<br />
gerade dar<strong>in</strong>, dass es versucht,<br />
im besonderen Maße »gerecht« zu<br />
se<strong>in</strong>.<br />
(3) Die Zukunft des <strong>Gymnasium</strong>s<br />
Drittens und abschließend stellt sich<br />
die Frage: Wo steht <strong>in</strong> diesem Gefüge<br />
e<strong>in</strong>es komplizierten Schulwesens das<br />
<strong>Gymnasium</strong> und welche Rolle wird es<br />
künftig spielen? Es lässt sich e<strong>in</strong>e Entwicklung<br />
beobachten, die seit langem<br />
manifest ist, aber weitgehend ignoriert<br />
wird: <strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> steht nicht unter<br />
Legitimationsdruck und erst recht<br />
nicht unter Existenzdruck; aber es<br />
steht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Konkurrenzkampf der<br />
Schularten. Es muss sich mit anderen<br />
Schularten vergleichen lassen; mehr<br />
noch: sich ihnen gegenüber behaupten,<br />
und zwar aus e<strong>in</strong>em ganz e<strong>in</strong>fachen,<br />
wichtigen und <strong>in</strong> der öffentlichen<br />
Wahrnehmung immer noch<br />
nicht richtig präsenten Grund: <strong>Das</strong><br />
<strong>Gymnasium</strong> hat das Abiturmonopol<br />
verloren.<br />
Die »Hochschulzugangsberechtigung«,<br />
wie man es heute genauer nennen<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
Gymnasialtag 2010 PROF. DR. PETER J. BRENNER 13<br />
muss, wird längst nicht mehr nur vom<br />
<strong>Gymnasium</strong> verliehen. Es gibt <strong>in</strong> den<br />
e<strong>in</strong>zelnen Bundesländern unterschiedliche,<br />
aber jedenfalls viele verschiedene<br />
Wege, die zu den Fachhochschulen<br />
und Universitäten führen.<br />
In Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> etwa kann die<br />
Allgeme<strong>in</strong>e Hochschulreife durch den<br />
Besuch von sieben verschiedenen<br />
Schularten sowie den Abschluss e<strong>in</strong>er<br />
Fachhochschule sowie schließlich als<br />
besonders befähigter Berufstätiger erworben<br />
werden; und zur Fachhochschulreife<br />
führen acht verschiedene<br />
Wege. Kurz, das <strong>Gymnasium</strong> hat, so<br />
sagt man wohl heute, im H<strong>in</strong>blick auf<br />
die Hochschulzugangsberechtigung<br />
se<strong>in</strong> »Alle<strong>in</strong>stellungsmerkmal« verloren.<br />
Die e<strong>in</strong>schlägigen Zahlen s<strong>in</strong>d leider<br />
statistisch nur sehr schlecht erfasst.<br />
Für Bayern kann ich sie Ihnen<br />
nennen: Über vierzig Prozent aller Studierenden<br />
an bayerischen Hochschulen<br />
haben ihre Studienberechtigung<br />
nicht über das <strong>Gymnasium</strong> erworben.<br />
<strong>Das</strong> ist e<strong>in</strong>e Konstellation, auf die das<br />
<strong>Gymnasium</strong> reagieren muss. Dazu<br />
gibt es e<strong>in</strong>ige Szenarien. <strong>Das</strong> e<strong>in</strong>e zielt<br />
auf die Wiederherstellung schulischer<br />
– ganz sicher nicht: sozialer – Exklusivität.<br />
Vor kurzem hat e<strong>in</strong> geschätzter<br />
Kollege bei e<strong>in</strong>er Tagung des Deutschen<br />
<strong>Philologenverband</strong>es <strong>in</strong> experimentellen<br />
Überlegungen den Gedankengang<br />
durchgespielt, dass man die<br />
Abiturientenquote wieder auf zwanzig<br />
Prozent, das wäre der Status der Zeit<br />
um 1970, senken könne. <strong>Das</strong> ist nicht<br />
realistisch und dazu wird es nicht<br />
kommen. Denn solche Szenarien s<strong>in</strong>d<br />
politisch nicht durchsetzbar, und es<br />
ist auch kaum anzunehmen, dass die<br />
Gymnasien sich auf e<strong>in</strong>e solche Exklusivitätspolitik<br />
e<strong>in</strong>lassen werden.<br />
Denn die hohen Schülerzahlen s<strong>in</strong>d ja<br />
nicht nur e<strong>in</strong> politisch erzeugtes Problem,<br />
sondern auch e<strong>in</strong>e süße Versuchung,<br />
der die Gymnasien selbst gerne<br />
nachgeben. Schließlich würde, das<br />
wissen Sie selbst am besten, e<strong>in</strong>e Reduktion<br />
der Schülerzahlen auch e<strong>in</strong>e<br />
Reduktion der Lehrer- und e<strong>in</strong>e Abnahme<br />
der Funktionsstellen bedeuten;<br />
und alle<strong>in</strong> das macht die zwanzig<br />
Prozent-Option schon zu e<strong>in</strong>em unrealistischen<br />
Szenario. Es wird so se<strong>in</strong><br />
und wird so bleiben, dass e<strong>in</strong> Großteil<br />
der Schüler nach der vierten oder<br />
vielleicht auch bald nach der sechsten<br />
Klasse auf das <strong>Gymnasium</strong> strebt<br />
und dass das <strong>in</strong> urbanen Ballungsräumen<br />
auch bis achtzig Prozent se<strong>in</strong><br />
können.<br />
Die Frage stellt sich also anders: Wie<br />
kann sich e<strong>in</strong> <strong>Gymnasium</strong> als Schulart<br />
behaupten gegenüber anderen Schularten,<br />
die ebenfalls Hochschulzugangsberechtigungen<br />
anbieten, die<br />
nicht immer gleichwertig s<strong>in</strong>d von ihrem<br />
juristischen Status her, aber tendenziell<br />
die gleichen Lebens- und Berufschancen<br />
eröffnen, wie sie vorher<br />
nur Abiturienten offen gestanden<br />
s<strong>in</strong>d?<br />
Diese Frage lässt sich nur dadurch beantworten,<br />
dass man ernsthaft über<br />
das <strong>in</strong>haltliche und didaktische Profil<br />
des <strong>Gymnasium</strong>s als e<strong>in</strong>er eigenen<br />
Schulart nachzudenken beg<strong>in</strong>nt.<br />
Wenn das <strong>Gymnasium</strong> <strong>in</strong> der Zukunft<br />
Bestand haben will, muss es deutlich<br />
machen, warum und wie es sich von<br />
den anderen Schularten und Schulabschlüssen<br />
unterscheidet. Dieser Frage<br />
will ich mich über e<strong>in</strong>em Umweg nähern,<br />
den mir Herr Blümke eben <strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>leitenden Worten mit der<br />
Information eröffnet hat, dass an den<br />
rhe<strong>in</strong>land-pfälzischen Gymnasien das<br />
Fach Late<strong>in</strong> wieder von 38 Prozent<br />
der Schüler belegt wird. Ich greife diese<br />
Information gerne auf, denn sie<br />
hängt zusammen mit den Erwägungen<br />
über die Zukunft des <strong>Gymnasium</strong>s,<br />
die ich hier und heute ohneh<strong>in</strong> anstellen<br />
wollte. Die klassischen Sprachen<br />
waren e<strong>in</strong>mal gleichermaßen Stolz<br />
wie Schrecken des <strong>Gymnasium</strong>s. Sie<br />
waren e<strong>in</strong>erseits das Proprium dieser<br />
Schulart, denn nur hier, am <strong>Gymnasium</strong>,<br />
ließ sich Late<strong>in</strong> oder gar Griechisch<br />
lernen. Über Late<strong>in</strong> haben<br />
sehr viele junge Leute aus den e<strong>in</strong>fachen<br />
Schichten, die man heute als<br />
»bildungsfern« bezeichnen würde,<br />
den Zugang geschafft zum höheren<br />
Bildungswesen. Zugleich waren die alten<br />
Sprachen aber auch Abschreckungs<strong>in</strong>strument<br />
par excellence, weil<br />
sie e<strong>in</strong> Anforderungsniveau def<strong>in</strong>ierten,<br />
dem nicht jeder gerecht wurde.<br />
<strong>Das</strong> können Sie sehr schön <strong>in</strong> Ulla<br />
Hahns autobiographischem Roman<br />
»<strong>Das</strong> verborgene Wort« von 2001<br />
nachlesen. Die <strong>in</strong> den fünfziger Jahren<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er niederrhe<strong>in</strong>ischen katholischen<br />
Kle<strong>in</strong>stadt aufgewachsene<br />
Schriftsteller<strong>in</strong> berichtet über ihre<br />
Bildungskarriere. Hier wird beschrieben,<br />
wie sich dieses K<strong>in</strong>d aus eigenem<br />
Willen gegen die Familie, mit<br />
Unterstützung des Pfarrers und des<br />
Lehrers hochgearbeitet hat, und zwar<br />
wesentlich durch exzessives Lesen<br />
und Late<strong>in</strong>lernen. <strong>Das</strong> Schulfach »Late<strong>in</strong>«<br />
war selektiv, aber, das ist die<br />
Po<strong>in</strong>te, es war nicht sozial selektiv.<br />
Es prämierte Fleiß und Diszipl<strong>in</strong>; und<br />
es war weit entfernt von allen Vor- ><br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
14<br />
VORTRAG Gymnasialtag 2010<br />
stellungen e<strong>in</strong>es unmittelbaren praktischen<br />
Nutzens. Die alten Sprachen<br />
konnten zum Medium des Bildungsaufstiegs<br />
werden, weil sie voraussetzungslos<br />
erlernbar waren und weder<br />
e<strong>in</strong>e spezielle »soziale Herkunft«<br />
noch e<strong>in</strong>e spezifische Begabung, sondern<br />
nur e<strong>in</strong>e spezifische Lerndiszipl<strong>in</strong><br />
und Bildungsaspiration voraussetzten.<br />
Und darauf käme es mir als erstes an,<br />
wenn ich aufgefordert wäre, das Profil<br />
des <strong>Gymnasium</strong>s, auch des <strong>Gymnasium</strong>s<br />
der Zukunft, zu beschreiben. In<br />
erster L<strong>in</strong>ie gehört dazu die Forderung,<br />
dass das <strong>Gymnasium</strong> – wie die<br />
anderen Schularten auf ihre Weise<br />
und ihren Ansprüchen gemäß auch –<br />
bestimmte Arbeitshaltungen und e<strong>in</strong>en<br />
bestimmten Habitus e<strong>in</strong>üben<br />
muss. <strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> richtet sich an<br />
Schüler, die bestimmte Bildungsaspirationen<br />
und Bildungsmotivationen<br />
mitbr<strong>in</strong>gen – das ist die Voraussetzung,<br />
denn »motivieren« kann man<br />
Schüler nur <strong>in</strong> sehr begrenztem Umfang,<br />
während es allerd<strong>in</strong>gs, das sei<br />
als kritische Anmerkungen vor e<strong>in</strong>er<br />
Versammlung von motivierten Lehrkräften<br />
gesagt, sehr leicht ist, Schüler<br />
zu demotivieren.<br />
Auf dieser Grundlage der mitgebrachten<br />
Bildungsaspirationen und Bildungsmotivationen<br />
müssen die Schüler<br />
des <strong>Gymnasium</strong>s dazu befähigt<br />
werden, bestimmte Leistungen selbstständig<br />
zu erbr<strong>in</strong>gen und diszipl<strong>in</strong>ierte<br />
Arbeitshaltungen zu erlernen. Ich<br />
spreche hier also vor allem anderen<br />
von e<strong>in</strong>er Sozialisation, die das <strong>Gymnasium</strong><br />
erbr<strong>in</strong>gen muss – heute wahrsche<strong>in</strong>lich<br />
mehr denn je, weil es sich<br />
zum guten Teil um e<strong>in</strong>e »nachholende<br />
Sozialisation« handelt; e<strong>in</strong>e Sozialisation,<br />
die nachholt, was im Elternhaus<br />
oft und zunehmend mehr versäumt<br />
wurde und was <strong>in</strong> der Konsum- und<br />
Medienwelt der Jugendlichen e<strong>in</strong>e immer<br />
ger<strong>in</strong>gere Rolle spielt.<br />
E<strong>in</strong>e grundlegende<br />
Diszipl<strong>in</strong> ist die Voraussetzung<br />
für alle<br />
erfolgreichen und anspruchsvollen<br />
Lernprozesse<br />
– und um<br />
die soll es ja im <strong>Gymnasium</strong><br />
gehen. Nun<br />
ist »Diszipl<strong>in</strong>« – auch<br />
durch den Massenerfolg<br />
von Büchern,<br />
welche die Probleme<br />
nicht zu Ende denken<br />
– <strong>in</strong> der heutigen pädagogisch-politischen<br />
Diskussion zu e<strong>in</strong>em<br />
Schreckenswort geworden, sodass ich<br />
hierzu e<strong>in</strong>en erläuternden Satz sagen<br />
muss: Die »diszipl<strong>in</strong>ierten« Verhaltensweisen,<br />
die das Funktionieren der modernen<br />
Gesellschaft und auch der modernen<br />
Demokratie überhaupt ermöglichen,<br />
s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em vielhundertjährigen<br />
Prozess, den die Historiker den<br />
»Prozess der Zivilisation» oder »Sozialdiszipl<strong>in</strong>ierung»<br />
nennen, mühsam erworben,<br />
e<strong>in</strong>geübt und <strong>in</strong>ternalisiert<br />
worden, bevor sie dann als »Sekundärtugenden«<br />
geschmäht werden konnten<br />
– von Leuten übrigens, denen diese<br />
Sekundärtugenden ganz gut getan hätten.<br />
Aber, Hermann Lübbe hat immer<br />
wieder darauf h<strong>in</strong>gewiesen, diese »sekundären<br />
Tugenden« s<strong>in</strong>d nichts anderes<br />
als Verhaltensweisen, die <strong>in</strong> modernen<br />
Lebenszusammenhängen e<strong>in</strong>e<br />
»funktionale Bedeutung« haben und<br />
ohne die moderne Lebenszusammenhänge<br />
nicht funktionieren können. <strong>Das</strong><br />
gilt auch für die Schule: Fleiß und Ordnung,<br />
Diszipl<strong>in</strong> und Pünktlichkeit s<strong>in</strong>d<br />
die Voraussetzungen ihres Erfolgs als<br />
Institution; aber es s<strong>in</strong>d auch die Voraussetzungen<br />
für den <strong>in</strong>dividuellen<br />
Bildungserfolgs e<strong>in</strong>es jeden e<strong>in</strong>zelnen<br />
Schülers – und je anspruchsvoller die<br />
schulischen Anforderungen s<strong>in</strong>d, desto<br />
wichtiger werden diese Voraussetzungen.<br />
Diese Voraussetzungen e<strong>in</strong>zuüben<br />
und sich davon nichts abhandeln<br />
zu lassen, wäre also die erste, die<br />
pädagogische Anforderung, die ich an<br />
das <strong>Gymnasium</strong> der Zukunft stellen<br />
würde.<br />
Sodann stellt sich mir die Frage nach<br />
den didaktischen Verfahren und den<br />
Inhalten des gymnasialen Lernens.<br />
Diese Frage lässt sich am besten vom<br />
Abschluss her beantworten – von der<br />
Überlegung ausgehend, welches Ziel<br />
denn e<strong>in</strong> gymnasialer Bildungsgang,<br />
der nach acht oder neun Jahren beendet<br />
ist, erreicht haben soll. Früher<br />
ließ sich die Frage e<strong>in</strong>fach beantworten:<br />
Die Absolventen e<strong>in</strong>es <strong>Gymnasium</strong>s<br />
sollten »studierfähig« se<strong>in</strong>. Dieses<br />
Ziel ist längst stillschweigend preisgegeben<br />
worden; die Universitäten haben<br />
sich darauf e<strong>in</strong>gerichtet, dass sie<br />
Studienanfänger bekommen, die erst<br />
noch studierfähig gemacht werden<br />
müssen, und der gesamte »Bologna-<br />
Prozess« an den deutschen Hochschulen<br />
lässt sich überhaupt nur unter<br />
dieser Prämisse verstehen.<br />
Aber unabhängig von Kriterium der<br />
Studierfähigkeit wird man doch sagen<br />
können, dass der größte Teil der Gymnasialabsolventen<br />
zur Funktionselite<br />
der künftigen Gesellschaft gehören<br />
wird. Sie werden Schlüsselpositionen<br />
<strong>in</strong> der Gesellschaft besetzen, <strong>in</strong> der<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
Gymnasialtag 2010 PROF. DR. PETER J. BRENNER 15<br />
Verwaltung, im Recht, im Wirtschaftsleben,<br />
<strong>in</strong> der Politik, im Journalismus,<br />
<strong>in</strong> den Medien. In diesen Schlüsselstellen<br />
müssen sie dazu beitragen,<br />
nicht nur die Funktionsfähigkeit der<br />
Gesellschaft zu gewährleisten, sondern<br />
auch ihre Weiterentwicklung zu<br />
ermöglichen. Darauf muss sie das<br />
<strong>Gymnasium</strong> vorbereiten, <strong>in</strong>dem es ihnen<br />
Grundfähigkeiten und -fertigkeiten,<br />
»Schlüsselqualifikationen«, vermittelt,<br />
die für jede erfolgreiche und anspruchsvolle<br />
Tätigkeit erforderlich<br />
s<strong>in</strong>d. Dazu gehören die Fähigkeit zur<br />
Selbstmotivation, die Fähigkeit, se<strong>in</strong> eigenes<br />
Leben, Denken und Handeln zu<br />
organisieren und die eigenen Lernprozesse<br />
zu steuern, dauerhaft und kont<strong>in</strong>uierlich<br />
zu arbeiten und Rückschläge<br />
zu verkraften. Sodann müssen die Absolventen<br />
e<strong>in</strong>es <strong>Gymnasium</strong>s die Fähigkeit<br />
besitzen, sich <strong>in</strong> abstrakten<br />
Symbolsystemen sicher bewegen zu<br />
können, seien es solche der Naturwissenschaften,<br />
der Sprachen, der Literatur<br />
oder auch der modernen Medienund<br />
Lebenswelt. Und schließlich sollen<br />
sie <strong>in</strong> die Zukunft vorausschauend<br />
denken können und nicht nur abarbeiten,<br />
was ihnen vorgegeben wird. <strong>Das</strong><br />
alles s<strong>in</strong>d formale Merkmale – persönliche<br />
Eigenschaften, Verhaltensdispositionen,<br />
e<strong>in</strong> bestimmter Habitus, den<br />
das <strong>Gymnasium</strong> bei se<strong>in</strong>e Absolventen<br />
hervorgebracht haben soll.<br />
<strong>Das</strong> ist aber noch nicht alles. Am Ende<br />
sollen die Gymnasiasten auch etwas<br />
»wissen«. Und damit betrete ich<br />
e<strong>in</strong>es der schwierigsten und merkwürdigsten<br />
Problemfelder der Bildungsdiskussion.<br />
Denn es gehört zu<br />
den Eigenarten der deutschen Schuldiskussion,<br />
dass sie buchstäblich seit<br />
Jahrzehnten die Frage, was denn <strong>in</strong><br />
der Schule gelernt werden soll, nicht<br />
mehr diskutiert, sondern diese Frage<br />
den Praktikern überlässt – den Lehrplangestaltern,<br />
den Schulbuchautoren<br />
und am Ende den e<strong>in</strong>zelnen Lehrkräften<br />
<strong>in</strong> den Fachkonferenzen und <strong>in</strong><br />
den Klassenzimmern. Es gehört seit<br />
langem zum vornehmen Ton der Bildungswissenschaft,<br />
das »Wissen« verächtlich<br />
zu machen und an se<strong>in</strong>e Stelle<br />
die »Schlüsselqualifikationen«, die<br />
<strong>in</strong>zwischen auch wieder etwas verblasst<br />
s<strong>in</strong>d, die »Kompetenzen«, die<br />
»Lernspiralen«, das »Lernen lernen«<br />
zu setzen.<br />
Aber man kann ke<strong>in</strong>en Unterricht<br />
über nichts halten, und e<strong>in</strong>e Schule,<br />
die jeden Tag Unterricht <strong>in</strong> zwei oder<br />
drei Dutzend Fächern für Schüler verschiedener<br />
Alterstufen und auch verschiedener<br />
Interessens- und Motivationslagen<br />
anzubieten hat, muss sich<br />
sehr sorgfältig darüber klar werden,<br />
nicht nur wie, sondern auch was <strong>in</strong><br />
diesen Fächern gelernt werden soll.<br />
Der Ersatz des <strong>in</strong>haltsschweren, trägen,<br />
materiellen Wissens durch luftige<br />
Kompetenzen ist sicher die Erbsünde<br />
der Schulreform <strong>in</strong> den siebziger Jahren<br />
gewesen, und das <strong>Gymnasium</strong> hat<br />
<strong>in</strong> ganz besonderem Maße an dieser<br />
Sünde teil. <strong>Das</strong>s Berufswissen veraltet<br />
und dass deshalb se<strong>in</strong> Erwerb auf der<br />
Schule nicht lohnt, mag richtig se<strong>in</strong>,<br />
auch wenn sich darüber von Fall zu<br />
Fall streiten ließe. Nicht darüber streiten<br />
aber lässt sich, dass e<strong>in</strong>e Gesellschaft<br />
ohne die kulturellen B<strong>in</strong>dekräfte<br />
e<strong>in</strong>es kanonisierten Wissens aus allen<br />
Kulturbereichen vom Zerfall bedroht<br />
ist. <strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> hat das früher<br />
e<strong>in</strong>mal gewusst, als es noch <strong>in</strong> der<br />
Bereitschaft zur entschlossenen Aneignung<br />
von großen und manchmal<br />
durchaus nutzlosen – Stichwort »Late<strong>in</strong>«<br />
– Wissensbeständen den Ausweis<br />
für höhere Bildung gesehen hatte.<br />
<strong>Das</strong> zielte durchaus nicht nur auf<br />
die <strong>in</strong>dividuelle Bildung oder gar nur<br />
auf Berufsbefähigung des e<strong>in</strong>zelnen<br />
Schülers; es zielte immer auch darauf,<br />
dass an jeder Schulart, und am <strong>Gymnasium</strong><br />
im besonderen Maße, Kulturgüter<br />
gepflegt und weiterentwickelt<br />
werden, die die Identität der Gesellschaft<br />
ausmachen und damit e<strong>in</strong>en<br />
Beitrag zur Stärkung der sozialen B<strong>in</strong>dekräfte<br />
leisten. Der gymnasiale Lehrplan<br />
muss also die schulische und die<br />
berufliche Qualifikation se<strong>in</strong>er Schüler<br />
e<strong>in</strong>betten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en kulturellen Kontext,<br />
der personale Identität und soziale Integration<br />
mite<strong>in</strong>ander verb<strong>in</strong>det.<br />
<strong>Das</strong> Spektrum dieser Wissensbestände<br />
ist leicht zu benennen. In ihrem<br />
Kern haben sie e<strong>in</strong>e lange Tradition;<br />
und sie werden auch <strong>in</strong> der aktuellen<br />
Diskussionen immer mal wieder aufgefrischt.<br />
Die Schule, jede Schule, vermittelt<br />
historisch-politische, mathematisch-naturwissenschaftliche<br />
– wir<br />
werden heute noch die <strong>in</strong>formationstechnologischen<br />
h<strong>in</strong>zufügen –, sprachliche<br />
und ästhetisch-expressive<br />
Kenntnisse und Fähigkeiten. In diesen<br />
Unterrichtsfeldern bewegt sich auch<br />
das <strong>Gymnasium</strong>; hier muss es sich def<strong>in</strong>ieren<br />
und positionieren, <strong>in</strong>dem es<br />
e<strong>in</strong>e gymnasiale Auswahl aus diesen<br />
unabsehbaren Wissensbeständen<br />
trifft und sie auf e<strong>in</strong>em gymnasialen<br />
Niveau unterrichtet.<br />
Um zum Schluss zu kommen: <strong>Das</strong><br />
<strong>Gymnasium</strong> wird sich <strong>in</strong> der Konkurrenz<br />
der Schularten nur dann behaupten<br />
können, wenn es auf diesem Wege<br />
e<strong>in</strong> curriculares und unterrichtsmethodisches<br />
Profil gew<strong>in</strong>nt. Es muss<br />
sich entscheiden, ob es allen alles lehren<br />
will oder ob es sich an e<strong>in</strong>e Schülerschaft<br />
mit gehobenen Ambitionen,<br />
gehobenen Leistungsansprüchen richtet,<br />
die bereit s<strong>in</strong>d, sich Exzellenz zu<br />
erwerben und entsprechende Anstrengungen<br />
zu unternehmen. <strong>Das</strong><br />
<strong>Gymnasium</strong> muss bereit se<strong>in</strong>, entgegen<br />
den Trends und entgegen den<br />
Versuchungen des bildungspolitischen<br />
Zeitgeists, an sich selbst und<br />
se<strong>in</strong>e Schüler klar def<strong>in</strong>ierte Leistungsanforderungen<br />
zu stellen, die<br />
sich auf e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache Formel br<strong>in</strong>gen<br />
lassen: Viel wissen und klar denken.<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
16<br />
EINFÜHRUNG IN DEN NACHMITTAG Gymnasialtag 2010<br />
Bartholome von der Aufsichts- und<br />
Dienstleistungsdirektion Trier.<br />
E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> den Nachmittag<br />
Zu Beg<strong>in</strong>n der Nachmittagsveranstaltung begrüßte der Landesvorsitzende<br />
Malte Blümke die Referenten des Nachmittags Bildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong><br />
Doris Ahnen und Professor David S. Di Fuccia vom Deutschen <strong>Philologenverband</strong><br />
und führte <strong>in</strong> die Thematik des Nachmittags e<strong>in</strong>.<br />
Me<strong>in</strong>e Damen und Herren,<br />
liebe Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen,<br />
zu dem zweiten Teil des Gymnasialtags<br />
»Die Zukunft des <strong>Gymnasium</strong>s«<br />
darf ich Sie ganz herzlich begrüßen.<br />
Heute Morgen haben wir uns mit der<br />
Zukunft des <strong>Gymnasium</strong>s aus wissenschaftlicher<br />
Sicht ause<strong>in</strong>andergesetzt.<br />
Wir haben dazu Professor Dr. Peter J.<br />
Brenner von der Technischen Universität<br />
München gehört, der uns e<strong>in</strong>e<br />
kritische Bestandsaufnahme der Situation<br />
des heutigen <strong>Gymnasium</strong>s geliefert<br />
hat. <strong>Das</strong> Fragezeichen h<strong>in</strong>ter<br />
se<strong>in</strong>em Vortragsmotto »<strong>Das</strong> deutsche<br />
<strong>Gymnasium</strong> – Schule mit Zukunft ?«<br />
haben wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong> deutliches Ausrufezeichen<br />
verwandeln können, zum<strong>in</strong>dest<br />
aus der Sicht des <strong>Gymnasium</strong>s.<br />
Bildung ist allerd<strong>in</strong>gs ohne Bildungspolitik<br />
nicht denkbar. Hier werden<br />
die Weichen gestellt und, vor allen<br />
D<strong>in</strong>gen, die notwendigen Ressourcen<br />
bereit gestellt. Als Vertreter der Legislative<br />
darf ich die Landtagsabgeordneten<br />
und bildungspolitischen<br />
Sprecher<strong>in</strong>nen der drei Landtagsfraktionen<br />
Ulla Brede-Hoffmann von<br />
der SPD, Bett<strong>in</strong>a Dickes von der CDU<br />
und Nicole Morsblech von der FDP<br />
herzlich begrüßen.<br />
Als Vertretung der Exekutive ist Bildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong><br />
Doris Ahnen zu uns<br />
gekommen und wird gleich e<strong>in</strong>e<br />
Grundsatzrede zum rhe<strong>in</strong>land-pfälzischen<br />
<strong>Gymnasium</strong> halten. Doris Ahnen<br />
wird begleitet von Barbara Mathea<br />
vom Bildungsm<strong>in</strong>isterium und Thomas<br />
Von den Verbänden und Gewerkschaften<br />
darf ich Gerhard Bold, den<br />
stellvertretenden Vorsitzenden des<br />
Deutschen Beamtenbundes, Bernd<br />
Karst und Wolfgang Wünschel vom<br />
Deutschen Realschullehrerverband,<br />
Wolfgang Kuert vom Elternforum Bildung<br />
Niedersachsen und Dr. Irmtraud<br />
Heym, die Vorsitzende des Elternvere<strong>in</strong>s<br />
Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> und Mitglied des<br />
Bildungsbündnisses Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong>,<br />
Dr. Dirk Hannowsky von der Landesvere<strong>in</strong>igung<br />
der Unternehmerverbände<br />
Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong>, vom <strong>Philologenverband</strong><br />
Professor Dr. David-S. Di Fuccia,<br />
Mitglied des Bundesvorstandes,<br />
Max Laveuve, Ehrenvorsitzender <strong>Philologenverband</strong><br />
Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong>, Hubert<br />
Schmitz, Ehrenvorsitzender <strong>Philologenverband</strong><br />
Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong>, Werner<br />
Schuff, Hofenfels-<strong>Gymnasium</strong><br />
Zweibrücken und Dr. Günther Serfas,<br />
Gauß-<strong>Gymnasium</strong> Worms sehr herzlich<br />
begrüßen.<br />
Bei der letzten Vertreterversammlung<br />
<strong>in</strong> Kaiserslautern hat Bildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong><br />
Doris Ahnen zum Schluss gesagt,<br />
wir wüssten ja nicht, was wir dem Bildungsm<strong>in</strong>isterium<br />
alles zu verdanken<br />
hätten; sie me<strong>in</strong>te damit natürlich den<br />
Erhalt des <strong>Gymnasium</strong>s und auch e<strong>in</strong>ige<br />
berufspolitische Entscheidungen,<br />
die wir natürlich gerne würdigen, wie<br />
auch den konstruktiven und allerd<strong>in</strong>gs<br />
auch kritischen Dialog, den wir<br />
seit Jahren mit der M<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> und<br />
den Vertreter<strong>in</strong>nen und Vertretern<br />
des Bildungsm<strong>in</strong>isteriums pflegen.<br />
Seit 1991 hat die Staatsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> Doris<br />
Ahnen verantwortliche Positionen<br />
im Bildungsm<strong>in</strong>isterium übernommen.<br />
Heute leitet sie das Superm<strong>in</strong>isterium<br />
Bildung, Wissenschaft, Jugend<br />
und Kultur und ist als profilierte Bildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong><br />
auch Sprecher<strong>in</strong> für<br />
die SPD-Bildungspolitik der Länder.<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
Gymnasialtag 2010 EINFÜHRUNG IN DEN NACHMITTAG 17<br />
Es ist nicht neu, dass die SPD <strong>in</strong>tegrative<br />
Schulsysteme präferiert, aktuell<br />
spricht man von längerem geme<strong>in</strong>samem<br />
Lernen. Deshalb ist es spannend,<br />
dass wir mit Prof. Dr. David-<br />
Samuel Di Fuccia gleichsam e<strong>in</strong>en Gegenpol<br />
dazu e<strong>in</strong>geladen haben. In se<strong>in</strong>em<br />
Vortrag »Die Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s<br />
<strong>in</strong> der Bildungsrepublik<br />
Deutschland« wird sich Professor Dr.<br />
Di Fuccia von der Universität Kassel,<br />
der sich trotz se<strong>in</strong>es jugendlichen Alters<br />
als Didaktiker im Fach Chemie e<strong>in</strong>en<br />
Namen gemacht hat, für das gegliederte<br />
Schulwesen e<strong>in</strong>setzen.<br />
Frau M<strong>in</strong>ister<strong>in</strong>, sie haben Ihren Vortrag<br />
so benannt: »Leistungsfähigkeit<br />
und Chancengleichheit: Die Rolle des<br />
<strong>Gymnasium</strong>s im rhe<strong>in</strong>land-pfälzischen<br />
Bildungssystem«<br />
Wir können uns sehr gut vorstellen,<br />
dass das <strong>Gymnasium</strong> <strong>in</strong> Deutschland<br />
und <strong>in</strong>sbesondere das <strong>Gymnasium</strong> <strong>in</strong><br />
Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> als älteste und erfolgreichste<br />
aller Schulformen zu e<strong>in</strong>em<br />
Zukunftsmodell <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em modernen<br />
Bildungssystem werden kann.<br />
Die rhe<strong>in</strong>land-pfälzischen Gymnasien<br />
s<strong>in</strong>d bei den <strong>in</strong>ternationalen Vergleichsuntersuchungen<br />
stets vorne zu<br />
f<strong>in</strong>den. Bei PISA 2006 haben sie im<br />
bundesweiten Vergleich der Gymnasien<br />
im Lesen, den Naturwissenschaften<br />
und <strong>in</strong> Mathematik die Plätze 2, 3<br />
und 7 belegt.<br />
Wenn 32 Prozent von fast 139 000<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler <strong>in</strong> diesem<br />
Schuljahr Late<strong>in</strong> lernen, dann zeigt<br />
dies unter anderem, dass das <strong>Gymnasium</strong><br />
sich se<strong>in</strong>en humanistischen<br />
Wurzeln verpflichtet fühlt und der<br />
philologischen Bildung und der Allgeme<strong>in</strong>bildung<br />
nach wie vor e<strong>in</strong>en hohen<br />
Stellenwert e<strong>in</strong>räumt.<br />
In ke<strong>in</strong>em anderen westdeutschen<br />
Bundesland ist der Zusammenhang,<br />
unabhängig von der sozialen Herkunft<br />
e<strong>in</strong> <strong>Gymnasium</strong> zu besuchen, so ger<strong>in</strong>g,<br />
wie an den Gymnasien <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong>.<br />
Letztlich geht es um die<br />
Frage der Chancengleichheit. Selbstverständlich<br />
muss e<strong>in</strong> demokratisches<br />
Schulsystem e<strong>in</strong> möglichst hohes<br />
Maß an Chancengleichheit gewährleisten.<br />
Hier braucht es ke<strong>in</strong>e<br />
ständigen Schulstrukturveränderungen.<br />
Bei konsequenter Sprach- und<br />
Leseförderung <strong>in</strong> Deutsch haben<br />
Schüler mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund die<br />
gleichen Bildungschancen wie Schüler<br />
ohne Migrationsh<strong>in</strong>tergrund, wie<br />
die PISA-Teilstudie »Herkunftsbed<strong>in</strong>gte<br />
Disparitäten im Bildungswesen« beweist.<br />
Da es aber e<strong>in</strong>e absolute Chancengleichheit<br />
nicht gibt – und die gab es<br />
auch nicht im Schulsystem der DDR<br />
–, dann ist es besser, von Chancengerechtigkeit<br />
zu sprechen. <strong>Das</strong> bedeutet,<br />
dass jeder das Recht hat, gemäß<br />
se<strong>in</strong>en Begabungen und Anstrengungen<br />
e<strong>in</strong>e bestmögliche Förderung<br />
zu erhalten und dass er dazu<br />
<strong>in</strong> die Lage versetzt wird, se<strong>in</strong>e Fähigkeiten,<br />
Fertigkeiten und Kenntnisse<br />
bestmöglich zu entwickeln und zu<br />
entfalten.<br />
Deshalb muss das <strong>Gymnasium</strong> der<br />
Zukunft e<strong>in</strong>e Leistungsschule bleiben,<br />
die den sozialen Aufstieg<br />
durch Leistung ermöglicht.<br />
Wie kann das <strong>Gymnasium</strong> diese Anforderungen<br />
erfüllen?<br />
Die Unterf<strong>in</strong>anzierung der Schulen,<br />
vor allem der Gymnasien, immer neue<br />
Strukturveränderungen, bildungspolitischer<br />
Aktionismus, e<strong>in</strong>e verfehlte<br />
Lehrerbildung im Zuge des Bolognaprozesses,<br />
e<strong>in</strong>e umstrittene Reform<br />
des Lehrerfortbildungs<strong>in</strong>stitutes, fragwürdige<br />
Qualitätssicherungsmaßnahmen<br />
und gesellschaftspolitisch motivierte<br />
Infragestellungen des gegliederten<br />
Schulsystems lassen allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>en<br />
rapiden Niveauverlust befürchten<br />
und beh<strong>in</strong>dern die Leistungsfähigkeit<br />
und Funktionsfähigkeit der Gymnasien,<br />
deren Kerngeschäft für uns nach<br />
wie vor der Unterricht se<strong>in</strong> muss!<br />
Wir s<strong>in</strong>d sehr gespannt, wie die Landesregierung<br />
die Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s<br />
<strong>in</strong> der Zukunft, vor allem nach<br />
der Landtagswahl am 27. März <strong>2011</strong>,<br />
sieht und freuen uns deshalb auf Ihren<br />
Vortrag, sehr geehrte Frau M<strong>in</strong>ister<strong>in</strong>.<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
18<br />
VORTRAG Gymnasialtag 2010<br />
Leistungsfähigkeit und<br />
Chancengleichheit: Die Rolle<br />
des <strong>Gymnasium</strong>s im rhe<strong>in</strong>landpfälzischen<br />
Bildungssystem<br />
Bildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> Doris Ahnen<br />
Rede von M<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> Doris Ahnen beim Gymnasialtag des <strong>Philologenverband</strong>es<br />
Sehr geehrter Herr Blümke,<br />
sehr geehrte Damen und Herren,<br />
gerne habe ich die E<strong>in</strong>ladung angenommen,<br />
aus Anlass des Gymnasialtages<br />
des <strong>Philologenverband</strong>es mit Ihnen geme<strong>in</strong>sam<br />
zu erörtern, welche Rolle das<br />
<strong>Gymnasium</strong> aktuell und künftig im Rahmen<br />
des gesamten Bildungssystems<br />
spielen kann und spielen soll. <strong>Das</strong>s es<br />
e<strong>in</strong>e sehr wichtige Rolle ist, daran besteht<br />
für mich ke<strong>in</strong> Zweifel.<br />
Es ist e<strong>in</strong> zentrales Ziel rhe<strong>in</strong>land-pfälzischer<br />
Bildungspolitik, möglichst vielen<br />
Menschen die aktive Teilhabe an Bildung<br />
zu ermöglichen – von der K<strong>in</strong>dertagesstätte<br />
über Schulen und Hochschulen<br />
bis h<strong>in</strong> zu Weiterbildungse<strong>in</strong>richtungen.<br />
Gleiche Bildungschancen<br />
s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> zentraler Maßstab für soziale<br />
Gerechtigkeit und Chancengleichheit <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er Gesellschaft. Bildung ermöglicht<br />
Teilhabe am gesellschaftlichen Leben,<br />
Bildung eröffnet Chancen. Menschen<br />
müssen deshalb unabhängig von ihrer<br />
sozialen Herkunft Zugang zu e<strong>in</strong>er guten<br />
Bildung auf fachlich wie pädagogisch<br />
hohem Niveau erhalten.<br />
In diesem S<strong>in</strong>ne s<strong>in</strong>d für mich Leistungsfähigkeit<br />
und Chancengleichheit<br />
zwei Seiten e<strong>in</strong>er Medaille. <strong>Das</strong> gilt für<br />
das Bildungssystem <strong>in</strong>sgesamt, aber<br />
auch für das <strong>Gymnasium</strong> im Besonderen.<br />
Und dazu gibt es ke<strong>in</strong>e Alternative.<br />
Leistungsfähigkeit ohne Chancengleichheit<br />
wäre <strong>in</strong> hohem Maße unsozial. Darüber<br />
h<strong>in</strong>aus muss man ganz nüchtern<br />
sagen: Wir können es uns re<strong>in</strong> wirtschaftlich<br />
betrachtet gar nicht leisten,<br />
Menschen im Verlauf der Ausbildungskette<br />
zu verlieren.<br />
Chancengleichheit ohne Leistungsfähigkeit<br />
dagegen würde unseren jungen<br />
Menschen die Möglichkeit verbauen,<br />
hochqualifizierte Arbeitsplätze auszufüllen.<br />
Auch das ist sozial- wie bildungspolitisch<br />
und ökonomisch nicht akzeptabel.<br />
Der Vorsitzende des Deutschen <strong>Philologenverband</strong>es<br />
hat das so formuliert:<br />
»Chancengerechtigkeit erreicht man im<br />
Bildungswesen am besten durch <strong>in</strong>dividuelle<br />
Förderung jedes E<strong>in</strong>zelnen auf der<br />
e<strong>in</strong>en Seite und das klare Bekenntnis zu<br />
Qualität und Leistung auf der anderen<br />
Seite!«<br />
Leistungsfähigkeit und Chancengleichheit<br />
– das ist aus me<strong>in</strong>er Sicht die große<br />
Herausforderung an das <strong>Gymnasium</strong><br />
der Zukunft.<br />
Ich würde übrigens eher vom »<strong>Gymnasium</strong><br />
der Zukunft« sprechen als von der<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
Gymnasialtag 2010 BILDUNGSMINISTERIN DORIS AHNEN 19<br />
»Zukunft des <strong>Gymnasium</strong>s«. Denn es<br />
geht ja nicht primär darum, e<strong>in</strong>e<br />
Schulart zu pflegen und möglichst gut<br />
<strong>in</strong> die Zukunft zu geleiten. Es geht aus<br />
me<strong>in</strong>er Sicht gerade umgekehrt darum<br />
zu prüfen, was das <strong>Gymnasium</strong><br />
<strong>in</strong> der Zukunft leisten soll und muss<br />
und welche Rolle es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er sich verändernden<br />
Bildungs- und Schullandschaft<br />
spielen soll.<br />
Diese Frage ist übrigens nicht neu. Ich<br />
b<strong>in</strong> sogar der Überzeugung, dass es<br />
gerade die Stärke der Schulart <strong>Gymnasium</strong><br />
ausmacht, diese Frage immer<br />
wieder neu zu stellen und immer wieder<br />
neu zu beantworten. In der Antrittsrede<br />
e<strong>in</strong>es neu bestellten Schulleiters<br />
e<strong>in</strong>es <strong>Gymnasium</strong>s aus dem<br />
Schuljahr 1901/1902 heißt es bezeichnenderweise:<br />
»Wie soll das <strong>Gymnasium</strong><br />
diese ihm ... gestellte Aufgabe lösen,<br />
wenn es <strong>in</strong> Wahrheit e<strong>in</strong> modernes<br />
<strong>Gymnasium</strong> se<strong>in</strong> will, welches sich<br />
nicht stolz abwendet von den Bedürfnissen<br />
der Gegenwart.« 1<br />
Wenn man heute diese Frage beantworten<br />
will, ist es durchaus s<strong>in</strong>nvoll,<br />
sich zunächst darauf zu bes<strong>in</strong>nen,<br />
welches die Stärken der Schulart<br />
<strong>Gymnasium</strong> s<strong>in</strong>d und wie man diese<br />
Stärken für die Aufgaben der Zukunft<br />
nutzen kann.<br />
<strong>Das</strong>s das <strong>Gymnasium</strong> ausgeprägte<br />
Stärken hat, ist für mich übrigens ke<strong>in</strong>e<br />
Frage. Sie zeigen sich sowohl <strong>in</strong> Bereichen,<br />
<strong>in</strong> denen sich Gymnasien besonders<br />
profilieren, als auch im<br />
»Kerngeschäft« von Schule, nämlich<br />
beim Kompetenzerwerb <strong>in</strong> zentralen<br />
Fächern.<br />
1 Bericht des <strong>Gymnasium</strong>s zu Stendal über<br />
das Schuljahr 1901/1902, erstattet vom<br />
Direktor Dr. A. Zehme. – Antrittsrede des<br />
Direktors: »Ziel und Aufgabe des <strong>Gymnasium</strong>s<br />
nach den neuen Lehrplänen von<br />
1901.«<br />
Im ersten Bereich möchte ich als Beispiel<br />
die Erfolge bei der Begabtenförderung<br />
oder im MINT-Bereich nennen. So<br />
haben aktuell schon zwölf rhe<strong>in</strong>landpfälzische<br />
Gymnasien nach e<strong>in</strong>em bundesweiten<br />
Auswahlverfahren den Titel<br />
MINT-EC-Schule (Mathematisch-naturwissenschaftliches<br />
Excellence-Center)<br />
erhalten. In dem alle zwei Jahre stattf<strong>in</strong>denden<br />
Wettbewerb für MINT-EC-Schulen<br />
»Siemens Award«, <strong>in</strong> dem die überzeugendsten<br />
pädagogischen und methodischen<br />
Konzepte ausgezeichnet<br />
werden, s<strong>in</strong>d rhe<strong>in</strong>land-pfälzische Gymnasien<br />
immer unter den Siegern gewesen.<br />
2008 g<strong>in</strong>gen drei von zehn Preisen<br />
nach Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong>. <strong>Das</strong> ist e<strong>in</strong> wirklich<br />
beachtlicher Erfolg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em zukunftsrelevanten<br />
Bereich.<br />
Die Erfolge im zweiten Bereich, dem<br />
Kompetenzerwerb aller Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schüler, bestätigen unter anderem<br />
die nationalen und <strong>in</strong>ternationalen<br />
Tests. Ohne die Ergebnisse überbewerten<br />
zu wollen, kann man es<br />
schon als Erfolg ansehen, dass Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />
über alle Schularten h<strong>in</strong>weg<br />
<strong>in</strong> PISA 2006 im Vergleich zu den beiden<br />
ersten PISA-Durchgängen <strong>in</strong> den<br />
Jahren 2000 und 2003 <strong>in</strong> allen drei untersuchten<br />
Aufgabenfeldern deutliche<br />
Kompetenzzuwächse auf von Anfang<br />
an gutem Niveau verzeichnen konnte,<br />
die jeweils über dem bundesweiten<br />
Zuwachs lagen.<br />
Bei den Platzierungen der Bundesländer<br />
lag Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> <strong>in</strong> allen drei<br />
untersuchten Aufgabenfeldern im ersten<br />
Drittel. Die Gymnasien nahmen <strong>in</strong><br />
den Naturwissenschaften und im Lesen<br />
mit e<strong>in</strong>em dritten und e<strong>in</strong>em zweiten<br />
Platz sogar Spitzenpositionen e<strong>in</strong>.<br />
Dabei muss man sagen, dass die Lesekompetenz<br />
<strong>in</strong> den Gymnasien auch <strong>in</strong><br />
den vorherigen Studien hoch war. In<br />
den Naturwissenschaften und <strong>in</strong> Mathematik<br />
dagegen s<strong>in</strong>d von 2000 über<br />
2003 bis 2006 deutliche Zuwächse zu<br />
verzeichnen. Dem <strong>Gymnasium</strong> ist es<br />
also gelungen, das hohe Leistungsniveau<br />
noch zu steigern. Und das bei<br />
gleichzeitiger Expansion der Schülerzahl.<br />
<strong>Das</strong> will ich an dieser Stelle ausdrücklich<br />
hervorheben.<br />
Auch mit den Ergebnissen, die die<br />
Überprüfung des Erreichens der Bildungsstandards<br />
<strong>in</strong> Deutsch, Englisch<br />
und Französisch <strong>in</strong> den Jahren 2008<br />
und 2009 erbrachten, können wir sehr<br />
zufrieden se<strong>in</strong>.<br />
Insgesamt zeigen die Ergebnisse der<br />
<strong>in</strong>ternationalen Erhebungen, dass <strong>in</strong><br />
den Schulen <strong>in</strong> der Regel sehr gute<br />
Arbeit geleistet wird. Und dafür möchte<br />
ich an dieser Stelle Ihnen, me<strong>in</strong>e<br />
Damen und Herren, stellvertretend<br />
für alle Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen <strong>in</strong><br />
den Schulen, ganz ausdrücklich danken.<br />
Gute Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für<br />
Schulen s<strong>in</strong>d wichtig. Gute Lehrpläne<br />
und Standards zusammen mit regelmäßiger<br />
Evaluation helfen, Qualität zu<br />
sichern. Aber all das wird erst lebendig<br />
und für die Schüler<strong>in</strong>nen und<br />
Schüler wirksam durch fachlich wie<br />
pädagogisch qualifizierte und engagierte<br />
Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer.<br />
Sie können sicher se<strong>in</strong>, me<strong>in</strong>e Damen<br />
und Herren, dass die Leistungen, die<br />
Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer tagtäglich <strong>in</strong><br />
ihrer wichtigen Aufgabe erbr<strong>in</strong>gen,<br />
von der rhe<strong>in</strong>land-pfälzischen Landesregierung<br />
<strong>in</strong> hohem Maße wertgeschätzt<br />
werden. Und Sie können sicher<br />
se<strong>in</strong>, dass die Gymnasien durch<br />
das Bildungsm<strong>in</strong>isterium dar<strong>in</strong> unterstützt<br />
werden, auch die Herausforderungen<br />
der Zukunft gut zu bewältigen.<br />
Wir haben e<strong>in</strong> großes Interesse daran,<br />
für alle Schulen und speziell auch für<br />
die Gymnasien gute Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />
zu schaffen, damit sie ihren<br />
Bildungs- und Erziehungsauftrag erfüllen<br />
können.<br />
Aus diesem Grund haben wir <strong>in</strong><br />
Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Punkten<br />
durchaus Entscheidungen getroffen,<br />
die sich vom Ma<strong>in</strong>stream der anderen<br />
Länder unterscheiden, weil wir der ><br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
20<br />
VORTRAG Gymnasialtag 2010<br />
Überzeugung s<strong>in</strong>d, so bessere Grundlagen<br />
für e<strong>in</strong>e qualitativ hochwertige<br />
gymnasiale Bildung für viele Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schüler schaffen zu können.<br />
Als erstes Beispiel möchte ich das<br />
achtjährige <strong>Gymnasium</strong> nennen. Der<br />
verantwortungsvolle Umgang mit der<br />
Lebenszeit junger Menschen war und<br />
ist dabei für die rhe<strong>in</strong>land-pfälzische<br />
Landesregierung e<strong>in</strong> wichtiger Qualitätsmaßstab<br />
schulischer Bildung.<br />
Aber wir wissen und berücksichtigen<br />
auch, dass Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler<br />
unterschiedlich s<strong>in</strong>d und dass die Bewältigung<br />
der Unterrichts<strong>in</strong>halte <strong>in</strong><br />
kürzerer Zeit durchaus besondere Anforderungen<br />
stellt. Deshalb haben wir<br />
das achtjährige <strong>Gymnasium</strong> nicht flächendeckend<br />
e<strong>in</strong>geführt, sondern an<br />
ausgewählten Standorten. Lehrkräfte,<br />
Eltern und Schulträger entscheiden<br />
geme<strong>in</strong>sam.<br />
<strong>Das</strong> war sicher e<strong>in</strong>e der schwierigsten<br />
Entscheidungen <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Verantwortungsbereich,<br />
für die ich jahrelang<br />
um politische Akzeptanz kämpfen<br />
musste.<br />
Wir wissen auch und berücksichtigen,<br />
dass die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler,<br />
die sich für den verkürzten Weg entscheiden,<br />
e<strong>in</strong>e besondere Förderung<br />
brauchen. Deshalb haben wir das<br />
achtjährige <strong>Gymnasium</strong> mit e<strong>in</strong>er verpflichtenden<br />
Ganztagsschule verbunden.<br />
<strong>Das</strong> schließt e<strong>in</strong>e angemessene<br />
Mittagspause und e<strong>in</strong> ordentliches<br />
Mittagessen mit e<strong>in</strong>. Ke<strong>in</strong> Land hat<br />
bessere Bed<strong>in</strong>gungen für G 8-Schulen!<br />
Wir wissen, dass sowohl die Lehrkräfte<br />
als auch die Schulträger Unterstützung<br />
bei der Umsetzung des achtjährigen<br />
<strong>Gymnasium</strong>s brauchen. Deshalb unterstützen<br />
wir die achtjährigen Gymnasien<br />
materiell durch F<strong>in</strong>anzmittel und<br />
Lehrerstunden, aber auch <strong>in</strong> der Entwicklung<br />
geeigneter pädagogischer<br />
Konzepte. Und wir unterstützen die<br />
Schulträger durch e<strong>in</strong>e großzügige Förderung<br />
erforderlicher Baumaßnahmen.<br />
Wir hatten uns vorgenommen, im Verlauf<br />
dieser Legislaturperiode rund<br />
fünfzehn Gymnasien mit achtjährigem<br />
Bildungsgang zu etablieren. Dieses<br />
Ziel haben wir mit siebzehn G 8 GTS-<br />
Gymnasien <strong>in</strong> vollem Umfang erreicht.<br />
Und das auf freiwilliger Basis!<br />
Nur dort, wo die Schulgeme<strong>in</strong>schaft<br />
und der Schulträger dies wollten und<br />
die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen erfüllt waren,<br />
wurde e<strong>in</strong> achtjähriges <strong>Gymnasium</strong><br />
mit Ganztagsschule errichtet.<br />
E<strong>in</strong> weiteres Beispiel ist die Qualitätssicherung<br />
beim Abitur. Auch <strong>in</strong> diesem<br />
Punkt hat Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> e<strong>in</strong>en<br />
anderen Weg e<strong>in</strong>geschlagen als die<br />
Mehrheit der Länder. Und ich sage Ihnen<br />
ganz offen: Entscheidend ist für<br />
mich, ob Veränderungen e<strong>in</strong>en Qualitätsgew<strong>in</strong>n<br />
br<strong>in</strong>gen.<br />
<strong>Das</strong> sehe ich derzeit beim Zentralabitur<br />
nicht. Schon im Zusammenhang mit<br />
der TIMSS-Studie wurde festgestellt,<br />
dass »ke<strong>in</strong>e konsistenten Zusammenhänge<br />
zwischen Organisationen der Abiturprüfung<br />
und Fachleistungen« zu erkennen<br />
s<strong>in</strong>d. Auch neuere Untersuchungen<br />
ergeben, dass die Annahme,<br />
zentrale Abiturprüfungen hätten »generell<br />
e<strong>in</strong>e stärkere Standardisierungsfunktion«,<br />
nicht belegt werden kann. 2<br />
In Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> haben wir e<strong>in</strong> klar<br />
geregeltes zentrales Verfahren zur<br />
Qualitätssicherung <strong>in</strong> der Abiturprüfung,<br />
das sich über viele Jahre gut bewährt<br />
hat. Es wird im engen Kontakt<br />
mit den Fachleuten aus den Schulen<br />
regelmäßig auf die Notwendigkeit von<br />
Weiterentwicklungen überprüft.<br />
Grundlage s<strong>in</strong>d die bundesweit geltenden<br />
E<strong>in</strong>heitlichen Prüfungsanforderungen<br />
für das Abitur (EPA). Damit ist<br />
auch e<strong>in</strong>e Vergleichbarkeit über das<br />
Land h<strong>in</strong>aus gegeben. Gerade haben<br />
wir das Verfahren zur Überprüfung<br />
und Auswahl der Aufgaben für die<br />
schriftliche Abiturprüfung <strong>2011</strong> abgeschlossen,<br />
und ich kann feststellen,<br />
dass sich die Ergebnisse <strong>in</strong> der Summe<br />
wirklich sehen lassen können.<br />
Über das Engagement der Lehrer<strong>in</strong>nen<br />
und Lehrer wurde schon so manche<br />
Innovation auf besserem Weg <strong>in</strong><br />
2 Untersuchung von Frau Prof. Dr. Isabell<br />
von Ackeren u.a. »Abituraufgaben <strong>in</strong> zentralen<br />
und dezentralen Prüfungsverfahren.<br />
Analysen zur Steuerungswirkung adm<strong>in</strong>istrativer<br />
Vorgaben« von Anfang 2010<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
Gymnasialtag 2010 BILDUNGSMINISTERIN DORIS AHNEN 21<br />
die Schulen gebracht als durch von<br />
oben verordnete zentrale Aufgabenstellungen.<br />
Mit geradezu naiver Begeisterung<br />
wird jetzt gerade wieder e<strong>in</strong><br />
bundesweites Abitur diskutiert. Ich<br />
werde dabei den E<strong>in</strong>druck nicht los,<br />
dass es sich um e<strong>in</strong>e bloße Ersatzdebatte<br />
handelt. Würde es e<strong>in</strong>geführt,<br />
hätten wir am Ende sicherlich ähnlich<br />
wie am Ende bei G 8 e<strong>in</strong>e Debatte<br />
über den Profilverlust der Schulen <strong>in</strong><br />
den Ländern! Deshalb me<strong>in</strong>e ich, dass<br />
<strong>in</strong> dieser Debatte um das Zentralabitur<br />
– auch von Seiten der Verbände –<br />
frühzeitig mitdiskutiert werden muss!<br />
Auch bei den Neuregelungen zur<br />
gymnasialen Oberstufe, die uns durch<br />
den Beschluss der Kultusm<strong>in</strong>isterkonferenz<br />
von 2008 aufgegeben waren,<br />
haben wir eigene Akzente gesetzt. Unser<br />
Ziel war es, Bewährtes zu erhalten<br />
und Neuerungen mit Augenmaß vorzunehmen.<br />
Ich will hier nicht die Details<br />
erläutern, aber e<strong>in</strong>ige zentrale<br />
Beispiele nennen.<br />
Die Struktur der Grund- und Leistungsfächer<br />
hat sich <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<br />
<strong>Pfalz</strong> gut bewährt, sodass wir sie beibehalten<br />
wollen. Auch die Anzahl von<br />
drei Leistungsfächern wird sich nicht<br />
verändern. Ich sehe ke<strong>in</strong>en Vorteil dar<strong>in</strong>,<br />
wenn fünf oder sechs Fächer auf<br />
»erhöhtem Anforderungsniveau« zu<br />
belegen s<strong>in</strong>d, wie das <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Ländern<br />
der Fall ist. Und wenn alle Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schüler beispielsweise<br />
Mathematik auf erhöhtem Anforderungsniveau<br />
belegen müssen, frage<br />
ich mich schon, was dann »erhöhtes<br />
Anforderungsniveau« bedeutet.<br />
Auch die möglichen Leistungsfachkomb<strong>in</strong>ationen<br />
werden beibehalten,<br />
denn sie gewährleisten die angestrebte<br />
<strong>in</strong>dividuelle Schwerpunktsetzung<br />
nach Begabung und Interesse.<br />
Die Stärkung des Kernbereichs setzen<br />
wir <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> durch die Abiturprüfungsprofile<br />
um.<br />
Die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler können<br />
damit ihren Schwerpunkt entweder<br />
im sprachlichen oder im mathematisch-naturwissenschaftlichen<br />
Bereich<br />
setzen. Der gesellschaftswissenschaftliche<br />
Bereich ist dabei immer e<strong>in</strong>geschlossen.<br />
Den gesellschaftswissenschaftlichen<br />
Bereich haben wir außerdem gestärkt,<br />
<strong>in</strong>dem künftig zwei Fächer aus<br />
diesem Bereich zu belegen s<strong>in</strong>d. Dah<strong>in</strong>ter<br />
steht die Überzeugung, dass e<strong>in</strong>e<br />
solide politisch-historische Bildung<br />
unverzichtbar für alle Jugendlichen<br />
ist.<br />
E<strong>in</strong> fünftes Prüfungsfach ist nur dort<br />
verb<strong>in</strong>dlich, wo auf Grund der Leistungsfachkomb<strong>in</strong>ation<br />
mit vier Prüfungsfächern<br />
ke<strong>in</strong>es der Prüfungsprofile<br />
abgedeckt werden kann. <strong>Das</strong> geschieht<br />
mit Rücksicht auf die Schulen.<br />
Ich freue mich über die Stellungnahme<br />
des <strong>Philologenverband</strong>es, der die<br />
Neuregelungen mit der Überschrift<br />
»Behutsame Weiterentwicklung der<br />
MSS« kommentierte.<br />
<strong>Das</strong> zeigt mir, dass wir <strong>in</strong> diesem für<br />
die Gymnasien so wichtigen Bereich<br />
geme<strong>in</strong>same Schwerpunkte und Leitl<strong>in</strong>ien<br />
sehen.<br />
Lassen Sie mich nun auf das Thema<br />
der Versorgung der Gymnasien mit<br />
qualifizierten Lehrkräften zu sprechen<br />
kommen. <strong>Das</strong> ist e<strong>in</strong> wichtiger Punkt,<br />
damit die Gymnasien ihre Aufgaben<br />
erfüllen können.<br />
Mit Lehrkräfteversorgung me<strong>in</strong>e ich<br />
sowohl die E<strong>in</strong>stellungen <strong>in</strong> den Vorbereitungsdienst<br />
als auch die E<strong>in</strong>stellungen<br />
<strong>in</strong> den Schuldienst.<br />
Ich will mich hier um e<strong>in</strong>e realistische<br />
E<strong>in</strong>schätzung bemühen, auch um jungen<br />
Menschen verantwortbare Signale<br />
zu geben. Zurzeit gibt es unbestritten<br />
Engpässe, vor allem <strong>in</strong> den Mangelfächern<br />
wie Mathematik, Physik, Kunst<br />
oder Musik. Aber mir liegt auch etwas<br />
daran, dass die Entwicklungen der<br />
letzten Jahre zur Kenntnis genommen<br />
und auch <strong>in</strong> die Zukunft projiziert<br />
werden.<br />
Schauen wir uns zunächst die Studiensem<strong>in</strong>are<br />
an. Im Schuljahr 2009/<br />
2010 s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sgesamt 120 neue Ausbildungsplätze<br />
für das Lehramt an Gymnasien<br />
<strong>in</strong> drei neuen Teildienststellen<br />
<strong>in</strong> Altenkirchen, Daun und Landau geschaffen<br />
worden. Zum 1. Februar <strong>2011</strong><br />
kommen durch den Vollausbau des<br />
Sem<strong>in</strong>ars <strong>in</strong> Landau nochmals vierzig<br />
weitere Plätze h<strong>in</strong>zu. <strong>Das</strong> bedeutet,<br />
dass aktuell zu jedem Term<strong>in</strong> durchschnittlich<br />
250 Ausbildungsplätze angeboten<br />
werden können. Damit haben<br />
wir die Ausbildungskapazitäten seit<br />
2000 mehr als verdoppelt.<br />
Mit diesem Ausbau geht e<strong>in</strong> Effekt e<strong>in</strong>her,<br />
der <strong>in</strong> der Regel gar nicht so<br />
wahrgenommen wird, der aber für e<strong>in</strong><br />
Flächenland wie Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />
durchaus Bedeutung hat. Mit dem<br />
Ausbau der gymnasialen Studiensem<strong>in</strong>are<br />
s<strong>in</strong>d nahezu alle Gymnasien und<br />
IGSen mit Oberstufe Ausbildungsschulen.<br />
<strong>Das</strong> ist e<strong>in</strong> nicht zu unterschätzender<br />
Vorteil gerade für Schulen <strong>in</strong> weniger<br />
dicht besiedelten Regionen. Zum e<strong>in</strong>en<br />
werden über die Ausbildung von<br />
Referendar<strong>in</strong>nen und Referendaren<br />
erfahrungsgemäß auch Impulse für<br />
die Weiterentwicklung von Schule<br />
transportiert. Zum anderen zeigt sich<br />
auch, dass junge Lehrkräfte eher e<strong>in</strong>e<br />
Schule außerhalb der Ballungsräume<br />
wählen, wenn sie dort schon ihre Referendarzeit<br />
verbracht haben. Deswegen<br />
haben wir gerade außerhalb der<br />
Ballungsräume die Sem<strong>in</strong>arkapazitäten<br />
ausgeweitet.<br />
Durch die deutliche Erweiterung der<br />
Ausbildungskapazitäten ist es <strong>in</strong> den<br />
letzten Jahren auch gelungen, allen<br />
Bewerber<strong>in</strong>nen und Bewerbern mit<br />
Bedarfsfächern e<strong>in</strong>en Platz anzu- ><br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
22<br />
VORTRAG Gymnasialtag 2010<br />
bieten. Wenn dennoch e<strong>in</strong>mal wenige<br />
Plätze nicht besetzt werden konnten,<br />
so liegt das e<strong>in</strong>fach an der Tatsache,<br />
dass es leider immer wieder Bewerber<strong>in</strong>nen<br />
und Bewerber gibt, die so spät<br />
absagen, dass trotz mehrfacher Nachrückverfahren,<br />
die noch bis kurz nach<br />
Ausbildungsbeg<strong>in</strong>n durchgeführt werden,<br />
e<strong>in</strong> Besetzen dieses Platzes nicht<br />
mehr möglich ist.<br />
<strong>Das</strong>s Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> im H<strong>in</strong>blick auf<br />
die Lehrkräfteversorgung auf dem<br />
richtigen Weg ist, zeigen auch die Studierendenzahlen.<br />
Betrug die Zahl der<br />
Lehramtsstudierenden im Jahr 2000<br />
noch 8403, so ist sie im Studienjahr<br />
2010 auf über 17 000 angestiegen.<br />
Kommen wir zur Unterrichtsversorgung<br />
der Gymnasien. Auch da, denke<br />
ich, sprechen die Zahlen für sich. Sie<br />
alle s<strong>in</strong>d sicher über die Unterrichtsversorgung<br />
im laufenden Schuljahr <strong>in</strong>formiert.<br />
Die Soll-Ist-Differenz an den Gymnasien<br />
beträgt 2,2 Prozent und hat damit<br />
den niedrigsten Stand seit neun Jahren<br />
erreicht. <strong>Das</strong> war angesichts steigender<br />
Schülerzahlen und angesichts<br />
des bundesweiten Mangels an Lehrkräften<br />
e<strong>in</strong> gewaltiger Kraftakt. Die<br />
Unterrichtsversorgung nicht nur zu<br />
halten, sondern sogar schrittweise zu<br />
verbessern, war nur möglich durch e<strong>in</strong>e<br />
kont<strong>in</strong>uierliche E<strong>in</strong>stellungspolitik<br />
über viele Jahre h<strong>in</strong>weg. Seit mehr als<br />
fünf Jahren wurden im Bereich der<br />
Gymnasien <strong>in</strong> jedem Schuljahr zwischen<br />
450 und 500 Lehrkräfte (Personen)<br />
e<strong>in</strong>gestellt. Dabei s<strong>in</strong>d die Seitene<strong>in</strong>steiger<br />
noch nicht mitgezählt.<br />
<strong>Das</strong> Seitene<strong>in</strong>steigerprogramm bietet<br />
seit Jahren e<strong>in</strong>e deutliche Unterstützung<br />
gerade <strong>in</strong> Mangelfächern.<br />
Alle<strong>in</strong> zu Beg<strong>in</strong>n des laufenden Schuljahres<br />
wurden beispielsweise zwölf<br />
Seitene<strong>in</strong>steiger mit Physik/Chemie<br />
e<strong>in</strong>gestellt, acht mit Mathematik, zwei<br />
mit Informatik, aber auch vier mit Bildender<br />
Kunst und drei mit Musik.<br />
Ich weiß, dass viele Gymnasien mit<br />
diesen Seitene<strong>in</strong>steigern sehr zufrieden<br />
s<strong>in</strong>d, weil sie gute und hervorragend<br />
qualifizierte Lehrkräfte gewonnen<br />
haben.<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus haben wir alle Möglichkeiten<br />
genutzt, um die <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />
ausgebildeten Lehrkräfte<br />
auch im Land zu halten. So werden<br />
seit mehreren Jahren jeweils zum<br />
1. Februar bereits Lehrkräfte im Vorgriff<br />
auf das folgende Schuljahr e<strong>in</strong>gestellt.<br />
Der Erfolg unserer kont<strong>in</strong>uierlichen<br />
E<strong>in</strong>stellungspolitik zeigt sich übrigens<br />
auch dar<strong>in</strong>, dass Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> bei<br />
der Altersgruppe der Lehrkräfte unter<br />
35 Jahren mit e<strong>in</strong>em Anteil von zwanzig<br />
Prozent deutlich an der Spitze aller<br />
Bundesländer liegt. 34,8 Prozent<br />
der rhe<strong>in</strong>land-pfälzischen Lehrer<strong>in</strong>nen<br />
und Lehrer <strong>in</strong> der Sekundarstufe<br />
I ist jünger als vierzig Jahre, während<br />
es bundesweit nur 24,3 Prozent<br />
s<strong>in</strong>d.<br />
Ich möchte aber auch noch e<strong>in</strong>en anderen<br />
Punkt nennen, nämlich die Unterstützung<br />
großer Gymnasien. Aufgrund<br />
der steigenden Schülerzahlen<br />
und der großen Nachfrage nach dem<br />
gymnasialen Bildungsgang s<strong>in</strong>d die<br />
Gymnasien <strong>in</strong> den letzten Jahren im<br />
Schnitt immer größer geworden.<br />
Im letzten Schuljahr hatten wir landesweit<br />
acht Gymnasien mit mehr als<br />
1400 Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern.<br />
<strong>Das</strong> br<strong>in</strong>gt zusätzliche Herausforderungen,<br />
die wir sehen und auf die wir<br />
mit mehreren Maßnahmen reagiert<br />
haben.<br />
Zum e<strong>in</strong>en haben wir seit dem Schuljahr<br />
2006/2007 schrittweise die Schulleitungsanrechnung<br />
für große Gymnasien<br />
erhöht, da die Schulleitungsaufgaben<br />
an sehr großen Gymnasien<br />
nicht nur quantitativ, sondern auch<br />
qualitativ ausgeweitet s<strong>in</strong>d.<br />
Speziell für sehr große Oberstufen<br />
wurde auch die Schulleitungsanrechnung<br />
für die MSS-Leitung von vier auf<br />
bis zu sechs Stunden erhöht.<br />
140 zusätzliche A 15-Stellen für die<br />
Gymnasien haben ermöglicht, dass<br />
Gymnasien, die <strong>in</strong> den letzten Jahren<br />
deutlich gewachsen s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>e weitere<br />
Studiendirektorenstelle <strong>in</strong> Anspruch<br />
nehmen können.<br />
Daneben wurden auch die Beförderungsmöglichkeiten<br />
von A 13 nach<br />
A 14 deutlich erhöht. Waren es 2002<br />
noch 177 Stellen für die Gymnasien,<br />
s<strong>in</strong>d es <strong>in</strong> diesem Jahr 242 – jeweils<br />
ohne den Pool. <strong>Das</strong> ist e<strong>in</strong>e Steigerung<br />
um fast vierzig Prozent.<br />
Direkt auf den Unterricht wirkt sich<br />
die Erhöhung der Schwerpunktstunden<br />
aus, die <strong>in</strong> der VV Unterrichtsorganisation<br />
vom Januar dieses Jahres<br />
festgeschrieben ist.<br />
Danach können Gymnasien mit mehr<br />
als 24 Klassen <strong>in</strong> der Sekundarstufe I<br />
das e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halbfache an Schwerpunktstunden<br />
<strong>in</strong> Anspruch nehmen, Gym-<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
Gymnasialtag 2010 BILDUNGSMINISTERIN DORIS AHNEN 23<br />
nasien mit mehr als 36 Klassen sogar<br />
das Doppelte.<br />
Me<strong>in</strong>e Damen und Herren, ich denke,<br />
diese Beispiele können zeigen, dass<br />
wir die rhe<strong>in</strong>land-pfälzischen Gymnasien<br />
auf allen Ebenen dabei unterstützen,<br />
ihre wichtige und anspruchsvolle<br />
Aufgabe zu erfüllen. Ich kann deshalb<br />
wirklich nicht nachvollziehen,<br />
wie man zu der Aussage kommen<br />
kann: »Die Förderung von Gymnasien<br />
ist <strong>in</strong> den vergangenen Jahren im Vergleich<br />
zu den politisch gewollten<br />
Schularten extrem vernachlässigt worden.«<br />
3<br />
Ich b<strong>in</strong> der Auffassung, dass mit solch<br />
e<strong>in</strong>er Aussage vor allem Vorurteile gepflegt<br />
werden. Ich schätze das <strong>Gymnasium</strong><br />
und, wie <strong>in</strong> der Vergangenheit,<br />
können Sie sich auch für die Zukunft<br />
sicher se<strong>in</strong>, dass wir Sie unterstützen<br />
werden. Wir wollen beispielsweise die<br />
demografischen Spielräume, die sich<br />
aufgrund des Rückgangs der Schülerzahlen<br />
<strong>in</strong> den kommenden Jahren ergeben,<br />
für das Schulsystem nutzen.<br />
<strong>Das</strong> gilt selbstverständlich auch für<br />
das <strong>Gymnasium</strong>.<br />
3 Blick <strong>in</strong>s <strong>Gymnasium</strong> Nr. 227, Artikel<br />
»Gymnasiale Bildung ist gefährdet«<br />
Lassen Sie mich e<strong>in</strong> paar Anmerkungen<br />
zur Schulstrukturreform machen,<br />
mit der wir nicht nur auf die demografische<br />
Entwicklung reagiert haben,<br />
sonder mit der wir auch pädagogische<br />
Ziele verb<strong>in</strong>den: Mehr <strong>in</strong>dividuelle<br />
Förderung, mehr Durchlässigkeit<br />
zu höheren Abschlüssen, e<strong>in</strong>e bessere<br />
Berufsorientierung und e<strong>in</strong>en guten<br />
Übergang <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e berufliche Zukunft.<br />
Die Gesamtschülerzahl an den allgeme<strong>in</strong>bildenden<br />
Schulen <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<br />
<strong>Pfalz</strong> s<strong>in</strong>kt seit 2004 kont<strong>in</strong>uierlich<br />
und zwar mit zunehmender Geschw<strong>in</strong>digkeit.<br />
In den Grundschulen<br />
macht sich der Rückgang der Schülerzahlen<br />
schon seit Ende der neunziger<br />
Jahre bemerkbar, vorübergehend abgeschwächt<br />
durch die Flexibilisierung<br />
des E<strong>in</strong>schulungsalters. In der Sekundarstufe<br />
I aller Schularten s<strong>in</strong>ken die<br />
Schülerzahlen seit 2004, und lediglich<br />
<strong>in</strong> der gymnasialen Oberstufe ist aktuell<br />
noch e<strong>in</strong> leichter Anstieg zu verzeichnen.<br />
Der zweite Aspekt, der e<strong>in</strong>e Schulstrukturänderung<br />
erforderlich gemacht<br />
hat, ist die Bedeutung, die Bildung<br />
künftig <strong>in</strong> unserer Gesellschaft<br />
haben wird. Der Zusammenhang von<br />
Ausbildungsniveau und Arbeitsplatzsicherheit<br />
wird sich <strong>in</strong> Zukunft noch<br />
weiter verfestigen. Unsere wirtschaftliche<br />
Konkurrenzfähigkeit und damit<br />
unser wirtschaftlicher Wohlstand werden<br />
immer mehr von der Generierung<br />
und Anwendung wissenschaftlich-technischen<br />
Wissens abhängen.<br />
Dies bedeutet, dass <strong>in</strong> Zukunft die<br />
Qualität der Bildungsabschlüsse noch<br />
mehr als heute schon über die Lebenschancen<br />
der Menschen entscheiden<br />
wird. H<strong>in</strong>zu kommt, dass <strong>in</strong><br />
Deutschland bereits jetzt e<strong>in</strong> Mangel<br />
an hoch qualifizierten Fachkräften besteht,<br />
der sich durch die demografische<br />
Entwicklung noch verstärken<br />
wird, wenn es uns nicht gel<strong>in</strong>gt, mehr<br />
Jugendliche als bisher <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e hoch<br />
qualifizierende Ausbildung zu br<strong>in</strong>gen.<br />
Um es an e<strong>in</strong>em Beispiel deutlich zu<br />
machen: Die Zahl der Studienanfänger<strong>in</strong>nen<br />
und -anfänger <strong>in</strong> den Ingenieurwissenschaften<br />
ist seit 1997 stetig<br />
gestiegen – von knapp 60 000 auf fast<br />
100 000. Aber das wird mehr als kompensiert<br />
durch den steigenden Bedarf<br />
an hoch qualifizierten Fachleuten und<br />
durch die absehbar zurückgehenden<br />
Schülerzahlen. So meldete Focus im<br />
Sommer dieses Jahres, dass es im Juni<br />
für Ingenieure 59 000 offene Stellen,<br />
aber nur 25 000 Bewerber<strong>in</strong>nen und<br />
Bewerber gab.<br />
Die Antwort kann nur lauten: Alle<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler müssen so<br />
gefördert werden, dass sie ihre Potenziale<br />
bestmöglich ausschöpfen können.<br />
<strong>Das</strong> bedeutet auch: Wir dürfen<br />
niemanden verlieren, und alle Schularten<br />
müssen ihre Schüler<strong>in</strong>nen und<br />
Schüler zu möglichst hoch qualifizierenden<br />
Abschlüssen führen. Prof.<br />
Manfred Prenzel, seit 2009 Gründungsdekan<br />
der School of Education<br />
an der TU München beschreibt es so:<br />
»Wir müssen die Durchlässigkeit nach<br />
oben erhöhen.«<br />
Wir müssen aber auch ermöglichen,<br />
dass es unterschiedliche Wege zum<br />
gleichen Ziel gibt. K<strong>in</strong>der und Jugendliche<br />
lernen unterschiedlich schnell,<br />
sie lernen auf unterschiedliche Weisen,<br />
sie entwickeln sich <strong>in</strong> unterschiedlichen<br />
Schritten. Darauf müssen<br />
wir reagieren, <strong>in</strong>dem beispielsweise<br />
das Abitur auf unterschiedlichen<br />
Wegen – natürlich bei gleichem Qualitätsanspruch<br />
– erworben werden<br />
kann.<br />
Die neue Schulstruktur <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<br />
<strong>Pfalz</strong> ist auf diese Ziele h<strong>in</strong> ausgelegt.<br />
Wir wollen klare Wege, gute Perspektiven,<br />
bessere Aufstiegsmöglichkeiten<br />
und damit auch e<strong>in</strong> Mehr an Chan- ><br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
24<br />
VORTRAG Gymnasialtag 2010<br />
cengleichheit. Zentrale Punkte s<strong>in</strong>d<br />
dabei:<br />
• E<strong>in</strong>e verstärkte <strong>in</strong>dividuelle Förderung,<br />
• mehr Zeit und Möglichkeiten zur<br />
Orientierung,<br />
• Aufstiegsorientierung durch e<strong>in</strong>e<br />
große Durchlässigkeit zu höheren<br />
Bildungsabschlüssen,<br />
• zusätzliche Qualifikationsmöglichkeiten<br />
für Studium und Berufsausbildung<br />
durch die Fachoberschule<br />
an der Realschule plus und<br />
• e<strong>in</strong>e drastische Reduzierung der<br />
Zahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss.<br />
Über diese Punkte besteht auch e<strong>in</strong><br />
weitgehender Konsens mit den Betroffenen.<br />
Die Gymnasien haben <strong>in</strong> der neuen<br />
Schulstruktur e<strong>in</strong>en wichtigen Platz<br />
und müssen ihn auch haben. <strong>Das</strong><br />
sieht der Deutsche <strong>Philologenverband</strong><br />
übrigens ganz ähnlich. Insoweit<br />
will ich se<strong>in</strong>e Presseerklärung vom 4.<br />
November zitieren, wonach man »e<strong>in</strong>e<br />
klare Schulstruktur anstrebe, <strong>in</strong> der es<br />
neben dem <strong>Gymnasium</strong> … e<strong>in</strong>en weiteren<br />
Weg geben müsse, der möglichst<br />
ohne Umwege und Brüche bis zur<br />
Hochschulreife führen kann.« Ich b<strong>in</strong><br />
froh, wenn sich diese Positionsbeschreibung<br />
auch die Philologen <strong>in</strong><br />
Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> zu eigen machen und<br />
uns damit auf unserem Weg unterstützen.<br />
Angesichts dieser Positionierung<br />
b<strong>in</strong> ich aber zuversichtlich, dass wir<br />
Sie davon überzeugen können, dass<br />
die Weiterentwicklung der Schulstruktur<br />
zum e<strong>in</strong>en objektiv notwendig war<br />
und zum anderen weder das <strong>Gymnasium</strong><br />
benachteiligt noch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Rolle<br />
und Bedeutung an den Rand<br />
drängt.<br />
Die Herausforderungen an das <strong>Gymnasium</strong><br />
der Zukunft sehe ich wesentlich<br />
<strong>in</strong> der Aufgabe, die gestiegene<br />
Nachfrage nach dem gymnasialen Bildungsgang<br />
positiv aufzunehmen und<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ausgewogenen Gesamtkonzept<br />
Leistungsfähigkeit und Chancengleichheit<br />
mite<strong>in</strong>ander zu verb<strong>in</strong>den.<br />
Zur Leistungsfähigkeit gehört es, die<br />
Qualität gymnasialer Bildung zu erhalten,<br />
sie aber jeweils zeitgemäß auszugestalten.<br />
Da stellt sich die Frage: Was<br />
gehört heute und <strong>in</strong> naher Zukunft<br />
zur »allgeme<strong>in</strong>en Hochschulreife«?<br />
Ich f<strong>in</strong>de es <strong>in</strong> diesem Zusammenhang<br />
sehr <strong>in</strong>teressant und angemessen,<br />
dass die Jungen Philologen ihre<br />
jüngste Veröffentlichung »Dynamisches<br />
Leitbild für das <strong>Gymnasium</strong> der<br />
Zukunft« nennen.<br />
Denn das signalisiert, dass dieses Leitbild<br />
nicht starr ist, sondern die jeweiligen<br />
gesellschaftlichen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />
aufnehmen muss. Und da<br />
hat sich e<strong>in</strong>iges verändert, um nur<br />
Stichworte zu nennen:<br />
Geändert haben sich die Familienstrukturen,<br />
die Lebenswelt der Jugendlichen<br />
oder die Strukturen und<br />
Anforderungen der Arbeitswelt. Wir<br />
müssen uns dem Umgang mit e<strong>in</strong>er<br />
Vielfalt unterschiedlicher Werte und<br />
konkurrierenden Autoritäten stellen,<br />
ohne beliebig zu werden. Multikulturalität<br />
und Integration halten neue Herausforderungen<br />
für alle bereit.<br />
Damit muss man auch neu darüber<br />
nachdenken, was konstituierend für<br />
die allgeme<strong>in</strong>e Hochschulreife ist.<br />
Sicher s<strong>in</strong>d wir uns schnell e<strong>in</strong>ig darüber,<br />
dass die Beschreibung im sog.<br />
Tutz<strong>in</strong>ger Maturitätskatalog von 1958<br />
heute nicht mehr der Maßstab se<strong>in</strong><br />
kann, wenn dort etwa unter dem <strong>in</strong>haltlichen<br />
M<strong>in</strong>imum aufgeführt wird:<br />
»Liebhabermäßiges Betrachten der anschaulichen<br />
Natur und Zugang zur biologischen<br />
Betrachtungsweise«.<br />
Heute wird häufig kritisiert, unter<br />
dem E<strong>in</strong>fluss der Wirtschaft werde<br />
nur noch auf das »verwertbare Wissen«<br />
Wert gelegt. Ziel sei nicht die<br />
Hochschulreife, sondern der »Homo<br />
oeconomicus«. Auch das kann selbstverständlich<br />
nicht der Bildungsauftrag<br />
des <strong>Gymnasium</strong>s se<strong>in</strong>.<br />
Zur allgeme<strong>in</strong>en Hochschulreife gehört<br />
auch deutlich mehr, als <strong>in</strong> den <strong>in</strong>ternationalen<br />
Schulleistungstests untersucht<br />
werden kann.<br />
Ich möchte <strong>in</strong> diesem Zusammenhang<br />
noch e<strong>in</strong> weiteres Missverständnis<br />
ausräumen. Die Bildungsstandards<br />
zielen nicht darauf ab, Kompetenzen<br />
ohne Inhalte zu vermitteln, wie gelegentlich<br />
behauptet wird. Abgesehen<br />
davon, dass das auch gar nicht möglich<br />
wäre: Inhalte und Kompetenzen,<br />
Wissen und Können gehören untrennbar<br />
zusammen. Aber welche Kompetenzen<br />
und welche Inhalte unverzichtbar<br />
s<strong>in</strong>d, das kann sich schon im Lauf<br />
der Zeit verändern. Und deshalb<br />
muss diese Diskussion auch immer<br />
wieder neu geführt werden.<br />
Wir fördern sie zum Beispiel, <strong>in</strong>dem<br />
wir schulische Expert<strong>in</strong>nen und Experten<br />
damit beauftragen, auf der<br />
Grundlage der Bildungsstandards<br />
Rahmenlehrpläne zu entwickeln, die<br />
die Basis für die Arbeit <strong>in</strong> den Schulen<br />
darstellen.<br />
Die Leistungsfähigkeit des <strong>Gymnasium</strong>s<br />
wird sich <strong>in</strong> Zukunft aber auch<br />
daran messen lassen müssen, <strong>in</strong> welchem<br />
Umfang es gel<strong>in</strong>gt, mit der vorhandenen<br />
Heterogenität konstruktiv<br />
umzugehen und alle Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schüler möglichst gut zu fördern.<br />
Damit wären wir bei der zweiten Herausforderung<br />
an die Gymnasien: Neben<br />
der Leistungsfähigkeit e<strong>in</strong> besonderes<br />
Augenmerk auf Chancengleichheit<br />
zu legen.<br />
<strong>Das</strong> heißt zum Beispiel, dass Jungen<br />
und Mädchen gleichermaßen jeweils<br />
dort Förderung und Unterstützung er-<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
Gymnasialtag 2010 BILDUNGSMINISTERIN DORIS AHNEN 25<br />
fahren müssen, wo sie es am dr<strong>in</strong>gendsten<br />
benötigen. Wir s<strong>in</strong>d da <strong>in</strong><br />
Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> erfreulicherweise<br />
schon erfolgreicher als die meisten<br />
anderen Länder. PISA 2006 ergab zum<br />
Beispiel, dass die Mädchen mit ihren<br />
Leistungen im Bereich Naturwissenschaften<br />
und <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> der Mathematik<br />
nahezu gleichauf mit den<br />
Jungen liegen.<br />
Es gibt <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> zwischen<br />
Jungen und Mädchen <strong>in</strong> diesem Bereich<br />
ke<strong>in</strong>e statistisch bedeutsamen<br />
Kompetenzunterschiede. Und bei der<br />
Überprüfung des Erreichens der Bildungsstandards<br />
war die Geschlechterdifferenz<br />
beim Lese- und Hörverstehen<br />
Französisch <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />
am ger<strong>in</strong>gsten von den sechs untersuchten<br />
Ländern.<br />
<strong>Das</strong> ist e<strong>in</strong>e sehr erfreuliche Entwicklung.<br />
Aber sie darf nicht darüber h<strong>in</strong>wegtäuschen,<br />
dass gerade hier auch<br />
noch große Herausforderungen liegen.<br />
Es ist nach wie vor notwendig, alle<br />
Anstrengungen zu unternehmen, um<br />
Mädchen und junge Frauen <strong>in</strong> höherem<br />
Maße für naturwissenschaftlichtechnische<br />
Studiengänge und Berufe<br />
zu gew<strong>in</strong>nen. Und ebenso notwendig<br />
ist es, dass wir uns sehr nachdrücklich<br />
Gedanken über e<strong>in</strong>e wirksamere<br />
Förderung und Motivation der Jungen<br />
und jungen Männer Gedanken machen.<br />
Sie s<strong>in</strong>d beim Schulabbruch<br />
über- und beim Abitur deutlich unterrepräsentiert.<br />
Chancengleichheit bedeutet aber vor<br />
allem, dass Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler<br />
mit unterschiedlichem sozialem H<strong>in</strong>tergrund<br />
die gleichen Chancen auf höherqualifizierende<br />
Bildungsabschlüsse<br />
haben müssen.<br />
Auch da hat PISA 2006 gegenüber<br />
2000 Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> erfreuliche erste<br />
Erfolge besche<strong>in</strong>igt. Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />
war e<strong>in</strong>es der wenigen Länder, <strong>in</strong> denen<br />
die Abnahme der sozialen Disparitäten<br />
der Bildungsbeteiligung statistisch<br />
bedeutsam war. Bei den relativen<br />
Chancen, unabhängig von der sozialen<br />
Herkunft e<strong>in</strong> <strong>Gymnasium</strong> zu besuchen,<br />
hat Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> die<br />
günstigsten Werte unter den westdeutschen<br />
Bundesländern erzielt. Aber es<br />
besteht noch ke<strong>in</strong> Grund, sich auf diesen<br />
ersten Erfolgen auszuruhen. Denn<br />
immer noch haben bei e<strong>in</strong>er vergleichbaren<br />
Sprach- und Lesekompetenz<br />
K<strong>in</strong>der aus Akademikerfamilien<br />
e<strong>in</strong>e mehr als zweie<strong>in</strong>halbmal so große<br />
Chance, e<strong>in</strong> <strong>Gymnasium</strong> zu besuchen,<br />
wie K<strong>in</strong>der aus Facharbeiterfamilien.<br />
Es bleibt also e<strong>in</strong>e Aufgabe, weiter an<br />
der Entkopplung von Sozialstatus und<br />
Bildungserfolg zu arbeiten. Die Gymnasien<br />
spielen bei der Bewältigung<br />
dieser Aufgabe e<strong>in</strong>e wichtige Rolle.<br />
Wer für Leistungsfähigkeit ist, muss<br />
diese Aufgabe mit voller Kraft annehmen.<br />
Me<strong>in</strong>e Damen und Herren, ich möchte<br />
abschließend e<strong>in</strong>en Blick auf das<br />
Plakat zu dieser Veranstaltung werfen.<br />
Da f<strong>in</strong>de ich die Verben amare, delectare<br />
und emendare. Ich habe das<br />
für mich so <strong>in</strong>terpretiert: Es gibt viele<br />
Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer <strong>in</strong> den Gymnasien,<br />
die ihren Beruf lieben, denen<br />
das Unterrichten Freude macht, und<br />
die deshalb bemüht s<strong>in</strong>d, ihre Aufgabe<br />
immer noch besser zu erfüllen.<br />
Deshalb b<strong>in</strong> ich davon überzeugt,<br />
dass das <strong>Gymnasium</strong> <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<br />
<strong>Pfalz</strong> nicht nur e<strong>in</strong>e Schule mit Zukunft<br />
ist, wie Herr Prof. Brenner es<br />
ausdrückt. <strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> ist e<strong>in</strong>e<br />
wichtige, unverzichtbare Säule im<br />
rhe<strong>in</strong>land-pfälzischen Bildungssystem.<br />
Aber das <strong>Gymnasium</strong> von morgen ist<br />
e<strong>in</strong> anderes als das <strong>Gymnasium</strong> von<br />
gestern. Es muss sich verändern, aber<br />
im Niveau nicht reduzierten Qualitätsanforderungen<br />
stellen. Die rhe<strong>in</strong>landpfälzische<br />
Landesregierung wird es<br />
dabei unterstützen.<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
26<br />
VORTRAG Gymnasialtag 2010<br />
Die Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s <strong>in</strong> der<br />
Bildungsrepublik Deutschland<br />
Prof. Dr. David-S. Di Fuccia<br />
Vortrag von Professor Dr. David-S. Di Fuccia, Deutscher <strong>Philologenverband</strong><br />
Sehr geehrte Frau M<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> Ahnen,<br />
sehr geehrter Herr Vorsitzender Blümke,<br />
me<strong>in</strong>e sehr geehrten Damen und Herren,<br />
»Die Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s <strong>in</strong> der Bildungsrepublik<br />
Deutschland« reflektieren<br />
zu wollen bedeutet aus me<strong>in</strong>er Sicht<br />
1. den Blick darauf zu legen, welche<br />
Rolle oder welche Rollen das <strong>Gymnasium</strong><br />
bisher <strong>in</strong> der deutschen Bildungslandschaft<br />
<strong>in</strong>negehabt hat,<br />
2. Welche – möglicherweise – zusätzliche<br />
oder neue Rolle es gerade aktuell hat,<br />
3. und was daraus für die Rolle des<br />
<strong>Gymnasium</strong>s <strong>in</strong> der Zukunft folgt.<br />
Diesem chronologischen Ansatz möchte<br />
ich folgen und daher zunächst danach<br />
fragen, welche Rolle das <strong>Gymnasium</strong><br />
bisher im Kontext der deutschen<br />
Bildungslandschaft ausgefüllt hat.<br />
Prof. Tenorth hat diese Rolle <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
sehr bemerkenswerten Artikel unlängst<br />
beschrieben, als die der »Leit<strong>in</strong>stitution«,<br />
das <strong>Gymnasium</strong> sei also die Leit<strong>in</strong>stitution<br />
des deutschen Bildungs- oder doch<br />
zum<strong>in</strong>dest des deutschen Schulwesens.<br />
Dies kann man als e<strong>in</strong>e Situationsbeschreibung<br />
ansehen oder man kann<br />
sich fragen, warum dem <strong>Gymnasium</strong> offenkundig<br />
e<strong>in</strong>e solche Rolle zukommt.<br />
Wenn man sich zunächst danach fragt,<br />
ob die Situationsbeschreibung zutrifft,<br />
so wird man, wie Tenorth auch, schnell<br />
feststellen, dass das <strong>Gymnasium</strong> sozusagen<br />
der Fixpunkt jeder Schuldebatte<br />
ist. Selbst überzeugte Gegner des <strong>Gymnasium</strong>s<br />
beziehen sich <strong>in</strong> ihren Argumentationen<br />
immer auf das <strong>Gymnasium</strong>,<br />
die Anforderungen und Abschlüsse<br />
des <strong>Gymnasium</strong>s strukturieren die Debatten<br />
und man kann zusammenfassend<br />
sagen: <strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> kann man<br />
mögen oder nicht, aber offenkundig<br />
kann man es bildungspolitisch nicht<br />
ignorieren – und genau das ist e<strong>in</strong> Charakteristikum<br />
e<strong>in</strong>er Leit<strong>in</strong>stitution.<br />
Damit stellt sich nun aber unmittelbar<br />
die nächste Frage, nämlich die, warum<br />
das <strong>Gymnasium</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er solchen Position<br />
ist. Diese Frage lässt sich aus me<strong>in</strong>er<br />
Sicht dadurch beantworten, dass man<br />
zunächst feststellt, dass der spezifisch<br />
deutsche Bildungsbegriff e<strong>in</strong>er ist, der<br />
uns allen leicht von der Zunge geht, von<br />
dem jeder von uns e<strong>in</strong>en eher gefühlsmäßigen<br />
E<strong>in</strong>druck hat, der sich aber extrem<br />
schlecht objektiv def<strong>in</strong>ieren lässt.<br />
<strong>Das</strong> sehen Sie schon daran, dass man –<br />
fast gleich erfolgreich – zwei Bücher<br />
schreiben und verkaufen kann, nämlich<br />
»Bildung« von Schwanitz und »Die andere<br />
Bildung« von Fischer.<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
Gymnasialtag 2010 PROF. DR. DAVID-S. DI FUCCIA 27<br />
Wenn aber explizite Def<strong>in</strong>itionen<br />
schwer oder unmöglich s<strong>in</strong>d, dann<br />
treten nicht selten implizite an ihren<br />
Platz. Und so sche<strong>in</strong>t es mir auch hier<br />
zu se<strong>in</strong>:<br />
Bildung wird <strong>in</strong> weiten Teilen implizit<br />
als das verstanden, was am <strong>Gymnasium</strong><br />
vermittelt wird oder zum<strong>in</strong>dest<br />
werden sollte. <strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> ist mith<strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong> »konkretes Modell« des abstrakten<br />
Bildungsbegriffs und da sich<br />
dieses konkrete Modell <strong>in</strong> der Vergangenheit<br />
bewährt hat, besteht e<strong>in</strong> unausgesprochener<br />
Konsens darüber,<br />
dass das <strong>Gymnasium</strong> quasi das<br />
Fleisch ist, das aus dem Wort Bildung<br />
geworden ist.<br />
<strong>Das</strong>s diese Annahme gerechtfertigt ist,<br />
sehen Sie daran, dass die allergrößte<br />
Mehrzahl aller als »gebildet« geltender<br />
Menschen das <strong>Gymnasium</strong> durchlaufen<br />
haben und umgekehrt das Abitur<br />
nach wie vor als Nachweis von Bildung<br />
gilt.<br />
Wenn das <strong>Gymnasium</strong> aber e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong><br />
anerkannte Konkretisierung des<br />
Bildungsbegriffs ist, so ist unmittelbar<br />
klar, dass das <strong>Gymnasium</strong> Leit<strong>in</strong>stitution<br />
des Bildungswesens ist und se<strong>in</strong><br />
muss, denn das System der zum<strong>in</strong>dest<br />
schulischen Bildung orientiert<br />
sich zwangsläufig an der konkreten<br />
Form von Bildung, die das <strong>Gymnasium</strong><br />
darstellt.<br />
Aber auch etwas anderes leuchtet sofort<br />
e<strong>in</strong>: nämlich dass das <strong>Gymnasium</strong><br />
<strong>in</strong> dem Moment <strong>in</strong> den Fokus der Kritik<br />
gerät, <strong>in</strong>dem sich entweder e<strong>in</strong>e<br />
andere Interpretation von Bildung<br />
durchsetzt oder aber das Ziel der Bildung<br />
als solches nicht mehr unumstritten<br />
ist.<br />
Und genau so e<strong>in</strong>e Zeit haben wir <strong>in</strong><br />
den letzten zehn Jahren mit Aufkommen<br />
der »Literacy«-Debatte miterlebt.<br />
Gerade die Tatsache, dass Bildung<br />
nicht leicht konkret def<strong>in</strong>ierbar ist, hat<br />
im Zusammenhang mit dem Wunsch,<br />
Schulleistungen mess- und vergleichbar<br />
zu machen, zu der Notwendigkeit<br />
geführt, e<strong>in</strong> anderes Konzept zu wählen.<br />
Nicht die im Individuum still und<br />
manchmal lange gärende Bildung, die<br />
vielleicht erst im Alter von fünfzig Jahren<br />
den Wert e<strong>in</strong>es <strong>in</strong> der Schule gelernten<br />
Eichendorff-Gedichtes erkennen<br />
lässt, kann man messen, sondern<br />
nur, was der Schüler ganz konkret<br />
und sofort beobachtbar zeigt.<br />
<strong>Das</strong> ist e<strong>in</strong>e ärgerliche messtechnische<br />
Beschränkung, die man hätte gelassen<br />
zur Kenntnis nehmen können.<br />
Hat man aber nicht!<br />
In e<strong>in</strong>er Art vorauseilenden Gehorsams<br />
hat man PISA-Ergebnisse, also<br />
Literacy-Ergebnisse, gezeigte Handlungen,<br />
mehr oder weniger diskussionslos<br />
als »neue Konkretisierung« von<br />
Bildung aufgefasst – übrigens e<strong>in</strong>e Interpretation,<br />
die von vielen Wissenschaftlern<br />
im Kontext der PISA-Studie<br />
selbst prom<strong>in</strong>ent kritisiert wird.<br />
Durch diese »Neudef<strong>in</strong>ition« des Bildungsbegriffs<br />
musste nun notwendig<br />
das <strong>Gymnasium</strong> als »alte Def<strong>in</strong>ition« <strong>in</strong><br />
die Kritik geraten und Sie alle wissen<br />
besser als ich, wie umfangreich und<br />
teilweise auch heftig dies geschah.<br />
Es geschah aber – und auch das gehört<br />
zum Rückblick auf die Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s<br />
– auch etwas anderes: nämlich<br />
e<strong>in</strong>e rapide Anpassung des <strong>Gymnasium</strong>s<br />
an das »neue Ziel«. Innerhalb<br />
kürzester Zeit gelang es dem <strong>Gymnasium</strong>,<br />
der neuen Bildungskonkretisierung<br />
gerecht zu werden und erfreuliche<br />
PISA-Leistungsdaten zu liefern.<br />
<strong>Das</strong> an sich ist praktisch beachtenswert,<br />
es sche<strong>in</strong>t mir aber vor allem<br />
theoretisch <strong>in</strong>teressant zu se<strong>in</strong>:<br />
Zwischen der Veröffentlichung der<br />
PISA 2000-Ergebnisse und der Erhe-<br />
><br />
Zur Person:<br />
Prof. Dr. David-Samuel<br />
Di Fuccia<br />
Professor für Didaktik der Chemie<br />
an der Universität Kassel<br />
Geboren 1975 <strong>in</strong> Lüdenscheid<br />
Nach Schule und Zivildienst Studium<br />
der Fächer Mathematik<br />
und Chemie für die Lehrämter<br />
der Sekundarstufen I und II an<br />
der Universität Dortmund, 1996<br />
bis 2001 Stipendiat der Studienstiftung<br />
des deutschen Volkes,<br />
2003 erstes Staatsexamen,<br />
2007 Promotion zum Dr. paed.<br />
2003 bis 2010 wissenschaftlicher<br />
Angestellter am Lehrstuhl<br />
für Didaktik der Chemie I der<br />
Universität Dortmund, 2004 Mitglied<br />
der Aufgabenkommission<br />
der 36. Internationalen Chemie-<br />
Olympiade. Seit Mai 2006 Mitglied<br />
der ständigen Kommission<br />
für Lehre, Studium und Studienreform<br />
des Senats der Universität<br />
Dortmund. Seit Oktober<br />
2008 Vorsitzender dieser Kommission.<br />
Seit März 2010 Professor<br />
für Didaktik der Chemie an<br />
der Universität Kassel.<br />
Seit 2001 Mitglied im Vorstand<br />
der Jungen Philologen, seit<br />
2004 stellvertretender Vorsitzender<br />
der Jungen Philologen im<br />
Deutschen <strong>Philologenverband</strong><br />
(DPhV), 2006 bis 2009 Vorsitzender<br />
der Jungen Philologen im<br />
DPhV. Derzeit kooptiertes Mitglied<br />
des Vorstandes des Deutschen<br />
<strong>Philologenverband</strong>es.<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
28<br />
VORTRAG Gymnasialtag 2010<br />
bung PISA 2003 lagen etwa zehn Monate.<br />
In diesen zehn Monaten hatten<br />
noch ke<strong>in</strong>e bildungspolitischen Reformen<br />
gegriffen, der Unterricht war<br />
noch nicht kompetenzorientiert umgestellt,<br />
neue Schulbücher noch nicht<br />
geschrieben und man hört, dass so<br />
mancher Rahmenlehrplan (oder wie<br />
die <strong>in</strong> verschiedenen Ländern nun<br />
heißen) bis heute nicht fertig gestellt<br />
wurde.<br />
Es kann also angenommen werden,<br />
dass die Verbesserung der Ergebnisse<br />
der Gymnasien nicht alle<strong>in</strong> auf solche<br />
äußeren Maßnahmen der Umsteuerung<br />
zurückgeführt werden können,<br />
vielmehr zeigt diese schnelle Anpassung<br />
etwas anderes:<br />
Es zeigt, dass die Konkretisierung des<br />
Bildungsbegriffs durch das <strong>Gymnasium</strong><br />
vergleichsweise problemlos <strong>in</strong> der<br />
Lage ist, so etwas wie den Literacy-Begriff<br />
zu <strong>in</strong>tegrieren.<br />
Mit anderen Worten: Die Art, wie das<br />
<strong>Gymnasium</strong> Bildung repräsentiert, ist<br />
umfassend und anpassungsfähig genug,<br />
um den Literacy-Gedanken aufzunehmen<br />
und zu <strong>in</strong>tegrieren, womit<br />
das <strong>Gymnasium</strong> – wie oft <strong>in</strong> der Vergangenheit<br />
– gezeigt hat, dass es den<br />
Geist dessen, was mit Bildung gedacht<br />
ist, offenbar gut repräsentiert und daher<br />
mit e<strong>in</strong>em gewissen Recht auch<br />
Leit<strong>in</strong>stitution des Bildungswesens ist.<br />
Aber noch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er anderen H<strong>in</strong>sicht<br />
sche<strong>in</strong>t mir das <strong>Gymnasium</strong> mit e<strong>in</strong>igem<br />
Recht als Leit<strong>in</strong>stitution im Bildungsbereich<br />
zu gelten: Bildung, das<br />
ist heute Konsens, ist der entscheidende<br />
Faktor für den sozialen Aufstieg.<br />
Und die E<strong>in</strong>führung des Leistungspr<strong>in</strong>zips<br />
und nicht zuletzt der Schulnoten<br />
hatten genau dies zum Ziel: Bildungschancen<br />
nicht mehr vom Stand,<br />
von der Geburt, abhängig zu machen,<br />
sondern von der <strong>in</strong>tellektuellen Leistungsfähigkeit<br />
und Leistungswilligkeit<br />
des E<strong>in</strong>zelnen.<br />
<strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> verkörpert das Leistungspr<strong>in</strong>zip<br />
nun <strong>in</strong> besonderer Weise,<br />
weil es se<strong>in</strong>en Schüler<strong>in</strong>nen und<br />
Schülern e<strong>in</strong>erseits Höchstleistungen<br />
abverlangt, andererseits aber auch die<br />
Möglichkeit bietet, Höchstleistungen<br />
überhaupt zu zeigen und sich sozusagen<br />
e<strong>in</strong>en eigenen Weg des sozialen<br />
Aufstiegs zu eröffnen.<br />
Vor diesem H<strong>in</strong>tergrund lassen Sie<br />
mich das hier auch sagen – s<strong>in</strong>d öffentliche<br />
Äußerungen, unser Schulsystem<br />
verfolge den Zweck, drei Stände<br />
zu bilden oder zu verfestigen – ärgerlich<br />
und unverständlich.<br />
Was man wissen sollte, ist: Die Möglichkeit<br />
des sozialen Aufstiegs Fähiger<br />
und Williger ist für den Fortbestand<br />
e<strong>in</strong>er Gesellschaft, die sich immer<br />
weiter modernisiert, wesentlich. Und<br />
bei allem, was wir heute diskutieren,<br />
muss e<strong>in</strong>es doch anerkannt werden:<br />
<strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> war und ist die Schule<br />
des sozialen Aufstiegs.<br />
Wer es erfolgreich durchläuft, das<br />
hat nicht zuletzt die LIFE-Studie von<br />
Prof. Fend gezeigt, hat beste Zukunftschancen<br />
und das <strong>Gymnasium</strong><br />
hat es <strong>in</strong> der Vergangenheit wie ke<strong>in</strong>e<br />
andere Bildungs<strong>in</strong>stitution <strong>in</strong><br />
Deutschland geschafft, die Zahl derer,<br />
die es erfolgreich durchlaufen<br />
haben, zu erhöhen.<br />
Heute ergreifen – die Übergangsquote<br />
auf die Gymnasien zeigt das – mehr<br />
Menschen als je zuvor die Chancen<br />
auf Aufstieg durch Bildung. Und die<br />
wachsende Zahl derjenigen, die das<br />
<strong>Gymnasium</strong> erfolgreich durchlaufen,<br />
zeigt auch, dass es den Gymnasien gel<strong>in</strong>gt,<br />
diesen Aufstieg zu organisieren,<br />
wenngleich hier vor e<strong>in</strong>er Begeisterung<br />
der Zahlen zu warnen ist:<br />
Der wirkliche Mechanismus des sozialen<br />
Aufstiegs war und ist der Aufstieg<br />
durch Bildung, nicht aber der Aufstieg<br />
durch Abschluss.<br />
Wer glaubt, Aufstiegschancen zu vergrößern,<br />
<strong>in</strong>dem er dadurch mehr Abschlüsse<br />
vergibt, dass er das Bildungsniveau<br />
senkt, der irrt sich nicht<br />
nur, sondern der handelt fahrlässig:<br />
Auf diese Weise merken die Schüler<br />
nämlich immer später, dass es Zeit ist,<br />
etwas zu tun – und <strong>in</strong>zwischen nicht<br />
selten zu spät. Wer das Abitur, »so gerade<br />
eben«, ohne zu lernen, geschafft<br />
hat, wird im Studium entweder ganz<br />
schnell se<strong>in</strong>e Strategie ändern müssen<br />
oder ganz langsam vorwärts kommen<br />
oder abbrechen.<br />
Ne<strong>in</strong>, die Vergangenheit hat gezeigt:<br />
Der Aufstieg durch Bildung funktioniert<br />
– e<strong>in</strong> Aufstieg durch Abschluss<br />
wird aber nur den Ausstieg verzögern.<br />
Spätestens jetzt ist es dann also an<br />
der Zeit, uns der Frage zu widmen,<br />
was die Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s heute<br />
ist. Vieles ergibt sich aus dem, was ich<br />
bisher rückschauend gesagt habe, viele<br />
dieser Rollen erfüllt das <strong>Gymnasium</strong><br />
auch heute, aber gerade im Blick<br />
auf die aktuellen bildungspolitischen<br />
Diskussionen möchte ich e<strong>in</strong>en eher<br />
systemtheoretischen Punkt hervorhe-<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
Gymnasialtag 2010 PROF. DR. DAVID-S. DI FUCCIA 29<br />
ben, und zwar den, dass es offenbar<br />
e<strong>in</strong>e wesentliche Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s<br />
heute ist, <strong>in</strong> gewisser Weise e<strong>in</strong><br />
Skandal zu se<strong>in</strong> – und zwar e<strong>in</strong> großer<br />
und e<strong>in</strong> öffentlicher.<br />
Dieser Skandal sche<strong>in</strong>t mir nun dar<strong>in</strong><br />
zu liegen, dass das <strong>Gymnasium</strong> alle<strong>in</strong><br />
durch se<strong>in</strong>e Existenz und damit verbunden<br />
der Existenz anderer Schulformen<br />
e<strong>in</strong> sozusagen nicht zu übersehendes<br />
Zeichen des Leistungspr<strong>in</strong>zips ist.<br />
Alle<strong>in</strong> durch se<strong>in</strong>e Existenz stellt das<br />
<strong>Gymnasium</strong> also jedem, der es betrachtet,<br />
jedem, der darüber spricht,<br />
die Frage: »Wie hältst du es mit dem<br />
Leistungspr<strong>in</strong>zip?«<br />
Der Skandal besteht nun dar<strong>in</strong>, dass<br />
sich diese Frage nicht beantworten,<br />
nicht e<strong>in</strong>mal besprechen lässt, ohne<br />
dass man zum<strong>in</strong>dest sich selbst, besser<br />
aber noch allen anderen Rechenschaft<br />
über se<strong>in</strong> Menschenbild abgibt.<br />
<strong>Das</strong> Leistungspr<strong>in</strong>zip hat nämlich gerade<br />
den Zweck, Unterschiede bei<br />
Menschen sichtbar zu machen und<br />
mit Folgen zu belegen und von daher<br />
stellt sich <strong>in</strong> bildungspolitischen Zusammenhängen<br />
eigentlich immer die<br />
Frage, wie man mit der Unterschiedlichkeit<br />
der Menschen umgeht.<br />
Damit s<strong>in</strong>d bildungspolitische Fragen<br />
per se ideologisch und es ist aus me<strong>in</strong>er<br />
Sicht halbherzig, m<strong>in</strong>destens aber<br />
aussichtslos, sie »unideologisch« beantworten<br />
zu wollen. Betrachtet man die<br />
aktuellen Diskussionen, so stellt man<br />
genau das fest: Debatten um das <strong>Gymnasium</strong><br />
br<strong>in</strong>gen genau diese Ideologien<br />
zum Vorsche<strong>in</strong> und genau das ist<br />
e<strong>in</strong>e wichtige Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s<br />
heute. Die Situation des Bildungssystems<br />
ist dabei die, dass es notwendig<br />
mit Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern zu tun<br />
hat, die mit unterschiedlichen Voraussetzungen<br />
<strong>in</strong> das System e<strong>in</strong>treten.<br />
Dies mag man bedauern, doch so lange<br />
K<strong>in</strong>der geboren werden und Eltern<br />
haben, ist das m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong> Fakt.<br />
Als Anhänger e<strong>in</strong>es christlichen Menschenbildes<br />
würde ich persönlich<br />
noch ergänzen: Die Individualität ist<br />
e<strong>in</strong>e grundsätzliche Eigenschaft des<br />
Menschen als Geschöpf.<br />
Aber selbst wenn man dem nicht<br />
folgt: Die Eltern und das Umfeld werden<br />
genügen, um die K<strong>in</strong>der beim<br />
Schule<strong>in</strong>tritt so verschieden se<strong>in</strong> zu<br />
lassen, dass man darauf reagieren<br />
muss.<br />
Und hier wird es nun ideologisch und,<br />
beim Blick auf so manche öffentliche<br />
Debatte, auch kritisch. Besonders kritisch<br />
wird es da, wo von »Restschule«<br />
gesprochen wird, wo also ganz offenbar<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler, die ke<strong>in</strong>en<br />
bestimmten Schulabschluss erreichen,<br />
als Rest, also als faktisch oder<br />
zum<strong>in</strong>dest potenziell »weniger wertvoll«<br />
betrachtet werden, oder wo man<br />
feststellen muss, dass ihnen e<strong>in</strong>e Art<br />
gesellschaftlicher Stigmatisierung unvermeidbar<br />
bevorsteht.<br />
<strong>Das</strong> bedeutet, dass also der Wert des<br />
Individuums zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> hohen Teilen<br />
vom Abschluss bestimmt wird, den<br />
es im Bildungssystem erhält. Wenn<br />
man dies so glaubt oder aber befürchtet,<br />
dass es allgeme<strong>in</strong> so gesehen wird,<br />
dann gibt es nur e<strong>in</strong>e Konsequenz: die<br />
E<strong>in</strong>setzung kompensatorischer Maßnahmen<br />
mit dem Ziel der Angleichung<br />
des Leistungsniveaus bei gleichzeitiger<br />
Ausweitung der Absolventenzahlen.<br />
Damit würde das Leistungspr<strong>in</strong>zip<br />
aber faktisch außer Kraft gesetzt.<br />
Aber was wären die Folgen?<br />
Wohlgemerkt unterstelle ich niemandem,<br />
den gesellschaftlichen Wert e<strong>in</strong>es<br />
Menschen von se<strong>in</strong>em Abschluss<br />
abhängig zu machen, aber ich habe<br />
den E<strong>in</strong>druck, irgendwie glauben<br />
dann doch viele, dies sei die Mehrheitsme<strong>in</strong>ung<br />
der Bevölkerung.<br />
Was also wären die Folgen: Aus me<strong>in</strong>er<br />
Sicht gibt es m<strong>in</strong>destens zwei Folgen.<br />
Zum e<strong>in</strong>en wird durch die Aushöhlung<br />
des Leistungspr<strong>in</strong>zips die der<br />
Bevölkerung unterstellte E<strong>in</strong>schätzung<br />
vom Zusammenhang von Wert und<br />
Abschluss quasi gebilligt und damit<br />
der Bevölkerung e<strong>in</strong> Menschenbild<br />
entweder unterstellt, oder doch zum<strong>in</strong>dest<br />
angeboten, das me<strong>in</strong>er festen<br />
Überzeugung nach gesellschaftlich<br />
untragbar ist.<br />
Zum anderen aber h<strong>in</strong>terlässt die Aushöhlung<br />
des Leistungspr<strong>in</strong>zips e<strong>in</strong>e<br />
Regelungslücke. Aufstieg muss wieder<br />
anders organisiert werden und wir erleben<br />
hier e<strong>in</strong>en partiellen Rückfall <strong>in</strong><br />
die Zeit, wo der soziale Status durch<br />
Geburt geregelt war.<br />
Dieser Mechanismus ist heute dafür<br />
verantwortlich, dass es e<strong>in</strong>en sich<br />
massiv ausweitenden Trend zu Privatschulen<br />
gibt. Die Eltern, die sich kümmern<br />
und es sich leisten können, schicken<br />
ihr K<strong>in</strong>d auf die Privatschule,<br />
weil sie dort bessere Bildungs- und<br />
Aufstiegschancen vermuten!<br />
Die Eltern kümmern sich und können<br />
es sich leisten – das ist Aufstieg durch<br />
Geburt! ><br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
30<br />
VORTRAG Gymnasialtag 2010<br />
Ne<strong>in</strong>, das <strong>Gymnasium</strong> steht <strong>in</strong> solchen<br />
Diskussionen pars pro toto für etwas<br />
anderes, und ganz grundsätzlich für<br />
e<strong>in</strong> anderes Bild vom Menschen als<br />
Individuum, das ganz unabhängig von<br />
se<strong>in</strong>em Schulabschluss und von se<strong>in</strong>en<br />
schulischen Leistungen e<strong>in</strong>en immer<br />
gleichen, höchsten Wert hat.<br />
Jede Schüler<strong>in</strong> und jeden Schüler <strong>in</strong><br />
diesem S<strong>in</strong>ne Wert zu schätzen heißt,<br />
sie und ihn bei der Entfaltung se<strong>in</strong>er<br />
Stärken und bei Behebung se<strong>in</strong>er<br />
Schwächen zu unterstützen, ihnen<br />
aber auch das Recht auf Verschiedenheit<br />
zuzugestehen.<br />
<strong>Das</strong> heißt dann auch, die Existenz e<strong>in</strong>es<br />
<strong>Gymnasium</strong>s und eben auch anderer<br />
Schulformen nicht als e<strong>in</strong> Zeichen<br />
ungerechter oder ungerechtfertigter<br />
Verh<strong>in</strong>derung von Bildungschancen zu<br />
sehen, sondern die Existenz des <strong>Gymnasium</strong>s<br />
als Stachel im Fleisch der Gesellschaft<br />
zu verstehen, dessen Stechen<br />
uns daran er<strong>in</strong>nert, dass unsere<br />
Gesellschaft gerade darauf aufbaut,<br />
dass Menschen nicht nur verschieden<br />
s<strong>in</strong>d, sondern auch verschieden se<strong>in</strong><br />
dürfen – und dass das nichts an ihrem<br />
<strong>in</strong>dividuellen Wert ändert, sondern<br />
dass ihnen <strong>in</strong> ihrer Verschiedenheit gerade<br />
Gleichbehandlung (nicht aber<br />
Gleichheit!) garantiert ist.<br />
Diese zutiefst ideologische Frage immer<br />
wieder aufflammen zu lassen ist,<br />
aus me<strong>in</strong>er Sicht, heute e<strong>in</strong>e besondere<br />
Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s als Leit<strong>in</strong>stitution<br />
des Bildungssystems.<br />
Aus dieser besonderen aktuellen Rolle<br />
heraus ergibt sich dann me<strong>in</strong>es Erachtens<br />
nach auch, was die zukünftige<br />
Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s <strong>in</strong> der Bildungsrepublik<br />
Deutschland se<strong>in</strong> soll,<br />
wird oder muss, womit ich zum letzten<br />
Teil me<strong>in</strong>er Ausführungen komme.<br />
Die Rolle e<strong>in</strong>er Leit<strong>in</strong>stitution besteht<br />
nämlich vor allem dar<strong>in</strong>, immer wieder<br />
auch selbstkritisch zu prüfen, ob<br />
man denn noch <strong>in</strong> die richtige Richtung<br />
leitet, oder ob auch Kurskorrekturen<br />
nötig s<strong>in</strong>d.<br />
Ich habe gerade versucht, die besondere<br />
Situation des Umgangs mit Verschiedenartigkeit<br />
bei Wahrung und<br />
Betonung der Gleichwertigkeit sozusagen<br />
theoretisch zu beschreiben, aber<br />
dieses vom <strong>Gymnasium</strong> vertretene<br />
und symbolisierte Konzept verlangt<br />
auch nach praktischer Umsetzung im<br />
schulischen Alltag.<br />
Ganz konkret heißt das, dass es die<br />
Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s <strong>in</strong> Zukunft<br />
se<strong>in</strong> wird, <strong>in</strong> enger Abstimmung mit<br />
den anderen schulischen Angeboten<br />
des Bildungssystems optimale Angebote<br />
für verschiedene – aber gleichwertige<br />
– Lerntypen zu entwickeln<br />
und anzubieten. Prof. Olbertz, der frühere<br />
Wissenschaftsm<strong>in</strong>ister Sachsen-<br />
Anhalts und jetziger Präsident der<br />
Humboldt-Universität Berl<strong>in</strong> hat das<br />
e<strong>in</strong>mal so umschrieben: Es gehe um<br />
die richtige Schule für jeden statt um<br />
e<strong>in</strong>e Schule für alle.<br />
Diese <strong>in</strong>haltliche Überlegung, die den<br />
Schüler und se<strong>in</strong> Lernverhalten <strong>in</strong> den<br />
Mittelpunkt stellt – ist aus me<strong>in</strong>er Sicht<br />
wesentlich bedeutsamer für die qualitative<br />
Weiterentwicklung des Schulsystems<br />
als so manche strukturelle Frage.<br />
Verschiedenen Lerntypen gerecht zu<br />
werden, heißt, koord<strong>in</strong>iert verschiedene<br />
Wege durch die differenzierten<br />
Angebote des Bildungssystems, aber<br />
eben auch verschiedene Lernmöglichkeiten<br />
für e<strong>in</strong> und denselben Bildungs<strong>in</strong>halt<br />
anzubieten.<br />
Es bedarf ganz zweifellos guter Absprachen<br />
unter den verschiedenen Schulenformen,<br />
viel Koord<strong>in</strong>ierungsarbeit<br />
und e<strong>in</strong>er langen Entwicklungs- und<br />
E<strong>in</strong>führungsphase, aber e<strong>in</strong> Bildungssystem,<br />
das den Grundsatz der Verschiedenartigkeit<br />
bei Gleichwertigkeit<br />
ernst nimmt, bietet eben auch unterschiedliche<br />
Lernwege, die verschiedenen<br />
Schülertypen gerecht werden.<br />
Damit eng verbunden ist e<strong>in</strong>e Rolle,<br />
die das <strong>Gymnasium</strong> aus me<strong>in</strong>er Sicht<br />
zukünftig gut im Bildungssystem spielen<br />
kann, nämlich die, die Selbstverantwortung<br />
se<strong>in</strong>er Schüler<strong>in</strong>nen und<br />
Schüler für ihren Lernprozess <strong>in</strong> besonderer<br />
Weise e<strong>in</strong>zufordern und zu<br />
fördern. Es mag den e<strong>in</strong> oder anderen<br />
verwundert haben, dass ich bisher<br />
nicht von der allgeme<strong>in</strong>en Hochschulreife<br />
gesprochen habe – ich will es<br />
nun hier, beim Ausblick – tun.<br />
Und zwar möchte ich fragen, wor<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />
allgeme<strong>in</strong>e Hochschulreife bestehen<br />
kann, angesichts e<strong>in</strong>es Hochschulsektors,<br />
der sich immer weiter<br />
und immer unübersichtlicher ausdifferenziert,<br />
bis h<strong>in</strong> <strong>in</strong> duale Studiengänge,<br />
die man zum Teil kaum noch<br />
als zum Hochschulsystem gehörig<br />
identifizieren kann.<br />
Die Antwort auf diese Frage sche<strong>in</strong>t<br />
mir <strong>in</strong> der Mischung aus etwas zu bestehen,<br />
das üblicherweise als traditionell<br />
und bewährt wahrgenommen wird<br />
und etwas, was plötzlich sehr neu zu<br />
se<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>t: nämlich aus Allgeme<strong>in</strong>bildung<br />
und Selbstverantwortung. Allgeme<strong>in</strong>bildung,<br />
wie sie das <strong>Gymnasium</strong><br />
immer angestrebt hat, ist die folgerichtige<br />
Antwort auf gleich zwei Anforderungen<br />
der Zeit: Zum e<strong>in</strong>en der, e<strong>in</strong>e<br />
allgeme<strong>in</strong>e Hochschulreife zu vergeben<br />
und zum anderen der, darauf reagieren<br />
zu müssen, dass man ehrlicher<br />
Weise nicht die leiseste Ahnung hat,<br />
welches Wissen dem heutigen Fünftklässler<br />
wohl beim E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong> se<strong>in</strong><br />
Master-Studium nützlich se<strong>in</strong> könnte.<br />
Genau deshalb ist Allgeme<strong>in</strong>bildung<br />
e<strong>in</strong> wichtiges Ziel: als breite Basis, die<br />
e<strong>in</strong> gewisses Grundwissen zum<strong>in</strong>dest<br />
für e<strong>in</strong>e Fülle von Studiengängen darstellt<br />
und als die Konfrontation mit Inhalten,<br />
die den Geist tra<strong>in</strong>ieren und fit<br />
machen für Aufgaben, an die wir heute<br />
noch gar nicht denken. Jürgen Kaube<br />
von der Frankfurter Allgeme<strong>in</strong>en<br />
Zeitung hat auf die Frage, warum man<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
Gymnasialtag 2010 PROF. DR. DAVID-S. DI FUCCIA 31<br />
<strong>in</strong> der Schule eigentlich Mathematik<br />
lernen müsste, geantwortet: »Weil es<br />
schwer ist.«<br />
Me<strong>in</strong>e Damen und Herren, ich habe<br />
Mathematik studiert und sage ihnen,<br />
er hat <strong>in</strong> doppeltem S<strong>in</strong>ne Recht: Mathematik<br />
ist schwer und gerade deshalb<br />
muss es unterrichtet werden!<br />
Es gibt wenige re<strong>in</strong> nützlichkeitsbezogene<br />
Gründe dafür, Mathematik zu lernen,<br />
die meisten Menschen kommen<br />
mit Rechnen aus, was etwas durchaus<br />
anderes ist, viele heute sogar damit,<br />
dass man sie <strong>in</strong> die korrekte Bedienung<br />
e<strong>in</strong>es Taschenrechners e<strong>in</strong>weist. Ne<strong>in</strong>,<br />
Mathematik zu lernen – oder sagen wir<br />
Goethes Faust zu lesen – ist nicht direkt<br />
nützlich, aber es ist Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g für das Gehirn,<br />
Schule des Denkens.<br />
Und es stimmt mich etwas bedenklich,<br />
dass die Allgeme<strong>in</strong>bildung als Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsmöglichkeit<br />
für das Gehirn unter<br />
Rechtfertigungsdruck steht, während<br />
das Lösen von Sudokus als Gehirnjogg<strong>in</strong>g<br />
erster Klasse quasi anerkannt ist.<br />
Somit ergibt sich e<strong>in</strong>e wichtige Rolle<br />
des <strong>Gymnasium</strong>s <strong>in</strong> der Zukunft: quasi<br />
modernen E<strong>in</strong>fügungen von Themen<br />
zu Lasten von Inhalten der Allgeme<strong>in</strong>bildung<br />
kritisch gegenüberzustehen<br />
– aber nicht aus Traditionalismus<br />
sondern gerade aus Zugewandtheit<br />
zur Zukunft, um die Bedeutung der<br />
Allgeme<strong>in</strong>bildung wieder deutlicher<br />
zu machen und sich nicht unter<br />
Rechtfertigungsdruck sche<strong>in</strong>bar aktueller<br />
Nützlichkeit stellen zu lassen.<br />
Denn was aktuell nützlich ist, ist für<br />
unsere Schüler von heute morgen<br />
schon von gestern.<br />
Gerade vor dem H<strong>in</strong>tergrund der sich<br />
immer weiter und immer schneller<br />
verändernden Struktur der Berufs- und<br />
Hochschullandschaft und angesichts<br />
der Tatsache, dass wir immer weniger<br />
vorher sagen können, welches Wissen<br />
morgen wichtig ist, kommt dem <strong>Gymnasium</strong><br />
<strong>in</strong> Zukunft aber auch die Aufgabe<br />
zu, den Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern<br />
die Übernahme von Verantwortung<br />
für ihr eigenes Lernen stärker zu<br />
ermöglichen, sie dabei zu unterstützen<br />
aber auch zu überprüfen.<br />
Die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler werden<br />
zukünftig viel öfter als noch bisher<br />
nach der Schule mit völlig neuen Inhalten<br />
konfrontiert werden, die sie<br />
sich selbst anlernen müssen. Wenn<br />
sie dann erst anfangen, ihr eigenes<br />
Lernen zu erleben, ihren Lerntyp kennen<br />
zu lernen, ist es vielleicht zu spät.<br />
Viele Gymnasien haben sich hier auf<br />
den Weg gemacht, aber ich sage hier<br />
auch deutlich: »Lernen lernen«, »Methodentra<strong>in</strong><strong>in</strong>g«<br />
und »Projektarbeiten«<br />
s<strong>in</strong>d hier nur Anfänge und Trockenschwimmen.<br />
Selbstverantwortung bedeutet<br />
auch, dass es die Möglichkeit<br />
geben muss, zu scheitern.<br />
Die Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s <strong>in</strong> der Zukunft<br />
muss aus me<strong>in</strong>er Sicht auch dar<strong>in</strong><br />
bestehen, Selbstverantwortung für<br />
das Lernen nach und nach kontrolliert<br />
an Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler zu<br />
vergeben und ihnen dann ab e<strong>in</strong>em<br />
bestimmten Zeitpunkt deutlich zu machen,<br />
dass Schule immer mehr e<strong>in</strong><br />
Angebot ist und immer weniger e<strong>in</strong>e<br />
Rundumversorgung.<br />
Wenn ich heute Erstsemesterstudierende<br />
erlebe, die nach e<strong>in</strong>em Stundenplan<br />
fragen, die e<strong>in</strong>e Korrektur ihrer Hausaufgaben<br />
erwarten und glauben, für die<br />
Klausur genug gelernt zu haben, wenn<br />
sie alle Folien der Vorlesung auswendig<br />
gelernt haben, so sche<strong>in</strong>t mir diese<br />
Nachsteuerung im H<strong>in</strong>blick auf Allgeme<strong>in</strong>bildung<br />
und Selbstverantwortung<br />
auf dem Weg zur allgeme<strong>in</strong>en Hochschulreife<br />
mehr als notwendig.<br />
All das – diese erweiterte Rolle des<br />
<strong>Gymnasium</strong>s – können die Gymnasien<br />
aber nicht aus sich heraus alle<strong>in</strong><br />
und nebenbei erfüllen. Vielmehr ist<br />
zweierlei vonnöten: Zum e<strong>in</strong>en – und<br />
auch das gehört me<strong>in</strong>es Erachtens zur<br />
zukünftigen Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s –<br />
muss sich das <strong>Gymnasium</strong> zukünftig<br />
mehr noch als schon heute als Schule<br />
im Netzwerk begreifen. E<strong>in</strong>e regelmäßige<br />
und enge Kooperation mit anderen<br />
Formen weiterführender Schulen,<br />
Grundschulen, Hochschulen, Betrieben<br />
aber auch Polizei, Jugendhilfe<br />
und natürlich Eltern wird e<strong>in</strong> wesentlicher<br />
Erfolgsfaktor der Zukunft se<strong>in</strong><br />
und das Wesen von Schulleitung zukünftig<br />
entscheidend prägen.<br />
Der Aufbau und die Pflege solcher<br />
Netzwerke, ebenso wie das Ausfüllen<br />
der zuvor skizzierten Anteile der zukünftigen<br />
Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s, also<br />
der Ausrichtung auf Lerntypen und<br />
der Stärkung der Selbstverantwortung,<br />
erfordern aber auch e<strong>in</strong>e une<strong>in</strong>geschränkte<br />
Unterstützung von Seiten<br />
von Staat und Gesellschaft.<br />
Es muss dabei jedem klar se<strong>in</strong>: E<strong>in</strong>e<br />
Vernachlässigung der Gymnasien<br />
schadet dem gesamten Bildungssystem,<br />
e<strong>in</strong>e Unterstützung der Gymnasien<br />
nützt der gesamten Gesellschaft.<br />
Dabei ist e<strong>in</strong>e angemessene Ausstattung<br />
mit Sach- und Personalmitteln, e<strong>in</strong>e<br />
Unterstützung bei der immer weiter<br />
ausufernden Verwaltung und e<strong>in</strong>e<br />
Pflege der Gebäude ebenso wichtig,<br />
wie die Wertschätzung der Arbeit der<br />
Gymnasien und ihrer Lehrer<strong>in</strong>nen<br />
und Lehrer durch Politik und Gesellschaft.<br />
<strong>Das</strong> deutsche Bildungssystem<br />
zeichnet sich dadurch aus, dass auf allen<br />
Ebenen Menschen mit viel Empathie,<br />
Begeisterung und Zugewandtheit<br />
zu den K<strong>in</strong>dern und Jugendlichen so<br />
manche strukturelle Unzulänglichkeit<br />
ausgleichen – das <strong>Gymnasium</strong> macht<br />
da ke<strong>in</strong>e Ausnahme. Dies zur Kenntnis<br />
zu nehmen, öffentlich zu machen<br />
und geme<strong>in</strong>sam an Verbesserungen<br />
zu arbeiten, das ist nicht nur ebenfalls<br />
Teil der zukünftigen Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s,<br />
sondern Aufgabe für uns alle.<br />
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
32<br />
PODIUMSDISKUSSION Gymnasialtag 2010<br />
Die Zukunft des <strong>Gymnasium</strong>s<br />
<strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />
Zusammenfassung der Podiumsdiskussion<br />
Josef Zeimentz<br />
Zentraler Punkt am späteren Nachmittag war die neunzigm<strong>in</strong>ütige Podiumsdiskussion<br />
mit den Vertreter<strong>in</strong>nen der Landtagsparteien.<br />
Auf dem Podium:<br />
Die bildungspolitischen Sprecher<strong>in</strong>nen<br />
der Landtagsfraktionen:<br />
• Ulla Brede-Hoffmann (SPD)<br />
• Bett<strong>in</strong>a Dickes (CDU)<br />
• Nicole Morsblech (FDP)<br />
• Malte Blümke, Vorsitzender des<br />
<strong>Philologenverband</strong>es Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />
Diskussionsleitung:<br />
Elvire Kuhn, stellvertretende Landesvorsitzende<br />
des <strong>Philologenverband</strong>es<br />
Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />
Vorbemerkung:<br />
Anstelle e<strong>in</strong>er Wiedergabe im<br />
Wortlaut werden im Folgenden die<br />
wesentlichen Aussagen der Teilnehmer<br />
der Podiumsdiskussion zu<br />
den angesprochenen Hauptthemen<br />
zusammengefasst. Die Reihenfolge<br />
der Redebeiträge wurde<br />
nicht geändert, um den Charakter<br />
der Diskussionsrunde zu erhalten.<br />
DIE REDAKTION<br />
Thema Schulstruktur und<br />
Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />
Diskussionsleiter<strong>in</strong> Elvire Kuhn eröffnet<br />
die Diskussion mit e<strong>in</strong>er Frage an<br />
Ulla Brede-Hoffmann (SPD):<br />
»Können Sie sagen, ob und wieweit Sie<br />
im Falle e<strong>in</strong>er Wiederwahl weitere Veränderungen<br />
bei der Schulstruktur sozusagen<br />
<strong>in</strong> der Schublade liegen haben?<br />
Was uns vor allem <strong>in</strong>teressiert: Wie<br />
sieht es mit dem Bestand des <strong>Gymnasium</strong>s<br />
aus? Bleibt es weiterh<strong>in</strong> bei dem<br />
<strong>Gymnasium</strong> ab der fünften Klasse?<br />
Ulla Brede-Hoffmann (SPD) legt bei<br />
ihrer Antwort zunächst Wert auf die<br />
Feststellung, dass für ihre Partei schon<br />
<strong>in</strong> der zu Ende gehenden Legislaturperiode<br />
gegolten habe, nichts zu tun, was<br />
nicht schon vorher angekündigt worden<br />
sei. Genauso werde auch <strong>in</strong> der<br />
nächsten Wahlperiode verfahren und<br />
»nichts aus dem Hut gezaubert werden.«<br />
Wörtlich fährt sie fort: »Deswegen kann<br />
ich Ihnen sagen: Der große Schritt der<br />
Schulstrukturreform, den wir für diese<br />
Legislaturperiode angekündigt haben<br />
und den wir <strong>in</strong> dieser Legislaturperiode<br />
vorgenommen haben, war zwar e<strong>in</strong> großer<br />
Schritt, aber es war e<strong>in</strong> vorsichtiger<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
Gymnasialtag 2010 ZUSAMMENFASSUNG 33<br />
Schritt, der versucht hat, die Beteiligten<br />
mitzunehmen, niemanden zu<br />
überfordern und vor allen D<strong>in</strong>gen, soweit<br />
es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er solchen Reform irgend<br />
machbar ist, nichts gegen die Beteiligten<br />
zu entscheiden und zu regeln,<br />
sondern mit ihnen zusammen<br />
die Lösungen zu erarbeiten.<br />
In diesem Konstrukt war auch das<br />
<strong>Gymnasium</strong> e<strong>in</strong> wichtiger Partner, e<strong>in</strong><br />
wichtiger Gesprächspartner, und wie<br />
Sie alle wissen, haben wir das System<br />
des <strong>Gymnasium</strong>s lediglich an e<strong>in</strong>,<br />
zwei Stellen, die aber nichts wirklich<br />
mit der Schulstrukturreform zu tun<br />
hatten, beim Vorziehen der zweiten<br />
Fremdsprache, bei der Reform der<br />
MSS, die durch e<strong>in</strong>e Beschlusslage<br />
der Kultusm<strong>in</strong>isterkonferenz geboten<br />
war, verändert. Ansonsten haben wir<br />
das <strong>Gymnasium</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Struktur<br />
und se<strong>in</strong>er Bedeutung erhalten und<br />
haben die Bildungswege, die das<br />
<strong>Gymnasium</strong> vor allen D<strong>in</strong>gen durch<br />
die MSS dann ermöglicht, erhalten<br />
und stabilisiert und beabsichtigen<br />
auch nicht <strong>in</strong> der vor uns liegenden<br />
Legislaturperiode, dort Änderungen<br />
durchzuführen.<br />
Es wird sicherlich <strong>in</strong> den nächsten<br />
fünf Jahren an pädagogischen Fragen,<br />
an e<strong>in</strong>zelnen kle<strong>in</strong>en Schritten, an Fragen<br />
der Schulstrukturreform <strong>in</strong> der<br />
Umsetzung dessen, was wir begonnen<br />
haben, Weiterentwicklungen geben.<br />
Es ist aber nicht beabsichtigt, an der<br />
Struktur des <strong>Gymnasium</strong>s, an dem<br />
Vorhandense<strong>in</strong> des <strong>Gymnasium</strong>s, an<br />
dem E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong>s <strong>Gymnasium</strong> <strong>in</strong> Klasse<br />
5 irgendetwas Grundlegendes zu ändern.«<br />
Zu e<strong>in</strong>em möglichen Koalitionspartner<br />
DIE GRÜNEN erklärt Ulla Brede-<br />
Hoffmann:<br />
»Wie das aussehen würde, wenn wir<br />
e<strong>in</strong>en Koalitionspartner GRÜNE haben,<br />
können wir leider heute nicht<br />
richtig eruieren, weil DIE GRÜNEN<br />
nicht am Tisch sitzen und ich Ihnen<br />
sagen muss, dass wir ke<strong>in</strong>erlei Gesprächsverhandlungen,<br />
Programmstudien<br />
bis jetzt gemacht haben und<br />
auch sicherlich nicht machen werden<br />
vor e<strong>in</strong>em vorliegenden Wahlergebnis,<br />
und ich wirklich überhaupt nicht<br />
sagen kann, was die Schwerpunkte im<br />
Bildungsbereich bei den GRÜNEN<br />
s<strong>in</strong>d. Außer Pressemeldungen, die Sie<br />
kennen und die ich kenne, kenne ich<br />
auch nichts. Und von daher kann ich<br />
Ihnen nicht sagen, was passieren würde,<br />
wären die GRÜNEN nach e<strong>in</strong>er<br />
Landtagswahl zusammen mit uns im<br />
Boot.«<br />
Auch auf Nachfrage der Diskussionsleiter<strong>in</strong><br />
Elvire Kuhn und den H<strong>in</strong>weis<br />
auf andere Bundesländer, wo nach<br />
den Wahlen e<strong>in</strong>e Koalitionsregierung<br />
mit den GRÜNEN gebildet worden sei<br />
und es zu e<strong>in</strong>schneidenden Veränderungen<br />
<strong>in</strong> der Schulstruktur gekommen<br />
sei, betont Ulla Brede-Hoffmann,<br />
dass diese Frage vor den Wahlen<br />
nicht akut sei.<br />
Dabei wendet sie sich auch gegen die<br />
abwertende Verwendung des Begriffes<br />
E<strong>in</strong>heitsschule, der <strong>in</strong> der Vergangenheit<br />
mit se<strong>in</strong>em Verweis auf die<br />
nationale E<strong>in</strong>heit immer positiv belegt<br />
gewesen sei, heutzutage aber plötzlich<br />
<strong>in</strong> Komb<strong>in</strong>ation mit der Schule als<br />
e<strong>in</strong> »Kampfbegriff gegen etwas« verwendet<br />
werde.<br />
Auf die Frage zur Schulstruktur geht<br />
Nicole Morsblech (FDP) bei ihrer<br />
Antwort zu den Plänen ihrer Partei<br />
zur Schulstruktur zunächst auf den<br />
vorangegangenen Redebeitrag von Ulla<br />
Brede-Hoffmann (SPD) e<strong>in</strong> und<br />
stellt unter anderem fest: »Ich glaube<br />
schon, dass man verorten kann, wo<br />
die SPD steht und wo DIE GRÜNEN<br />
stehen im H<strong>in</strong>blick auf Strukturentwicklungen,<br />
zum<strong>in</strong>dest gibt es D<strong>in</strong>ge,<br />
die <strong>in</strong> Programmen verschriftlicht<br />
s<strong>in</strong>d, und es gibt schon e<strong>in</strong> Landtagswahlprogramm<br />
der GRÜNEN beispielsweise.<br />
Da steht wörtlich dr<strong>in</strong>:<br />
»Wir arbeiten <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> für<br />
e<strong>in</strong>e Schule für alle und die GRÜNEN<br />
wollen die abschluss- und schulartbezogene<br />
Ausbildung durch e<strong>in</strong>e auf<br />
Stufen bezogene Ausbildung<br />
ersetzen.« Da geht es um die Lehrerausbildung<br />
für die Primarstufe Klassen<br />
1 bis 4, die Sekundarstufe und die<br />
Sekundarstufe I und die Sekundarstufe<br />
II.« Auch die SPD habe zum<strong>in</strong>dest<br />
auf Bundesebene e<strong>in</strong> Grundsatzprogramm<br />
beschlossen, <strong>in</strong> dem steht:<br />
»Wir werben daher für e<strong>in</strong> Schulsystem,<br />
<strong>in</strong> dem K<strong>in</strong>der so lange wie möglich<br />
zusammen und vone<strong>in</strong>ander lernen.<br />
Dies ist am besten zu erreichen<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Schule bis zur<br />
zehnten Klasse.«<br />
Nicole Morsblech (FDP) hält <strong>in</strong> ihrer<br />
weiteren Antwort auf den Redebeitrag<br />
ihrer Vorredner<strong>in</strong> fest, dass manche<br />
Veränderungen auch <strong>in</strong> der Vergangenheit<br />
ziemlich überraschend auf<br />
die Tagesordnung gekommen seien,<br />
so auch die jüngste Schulsstrukturreform:<br />
»Denn die kam an e<strong>in</strong>em sonst<br />
relativ friedfertigen Herbsttag aus<br />
dem Fax, diese neue Struktur, und die<br />
hat vorher ke<strong>in</strong>er im schulischen<br />
Raum wirklich diskutiert.«<br />
Zu den Plänen ihrer eigenen Partei zu<br />
Veränderungen der Schulstruktur erklärt<br />
Morsblech: »Mit der FDP hätten<br />
Sie zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e Garantie,<br />
dass wir ke<strong>in</strong>e weiteren Strukturveränderungen<br />
mitmachen.«<br />
Sie ergänzt: »Welchen Anteil an Wissenserwerb<br />
wir brauchen, welchen<br />
Anteil an Kompetenzerwerb wir brauchen,<br />
was überhaupt <strong>in</strong> Zukunft Studierfähigkeit<br />
bedeuten soll, all das<br />
s<strong>in</strong>d Fragen, die müssen eigentlich<br />
grundlegend se<strong>in</strong> für jede Entwicklung<br />
dessen, was wir im schulischen<br />
Bereich vorhaben und auch grundsätzlich<br />
geklärt werden, bevor man<br />
das <strong>Gymnasium</strong> weiterentwickeln<br />
kann. Und ich hätte mich gerne <strong>in</strong> ><br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
34<br />
PODIUMSDISKUSSION Gymnasialtag 2010<br />
den letzten fünf Jahren über diese<br />
Fragen unterhalten. Stattdessen haben<br />
wir fünf Jahre lang Verschiebebahnhof<br />
gemacht, haben fünf Jahre lang<br />
ideologische Diskussionen um Strukturen<br />
geführt und uns eben nicht<br />
mehr über Qualität unterhalten und<br />
auch nicht mehr über Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />
schulischen Lernens und<br />
nicht mehr über Inhalte von gutem<br />
Unterricht und dessen, was Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schüler brauchen, um ihren<br />
künftigen Lebensweg gestalten zu können.<br />
Und ich glaube, da muss der Fokus<br />
<strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie wieder h<strong>in</strong>.«<br />
Bett<strong>in</strong>a Dickes (CDU) führt zur<br />
Schulstruktur aus: »Die Frage, wie<br />
geht es denn weiter mit Schulstruktur,<br />
wenn die CDU – und ich gehe mal davon<br />
aus – nicht alle<strong>in</strong>e regieren wird,<br />
ist natürlich auch immer e<strong>in</strong>e Frage<br />
des Kompromisses, das muss man<br />
klar und deutlich sagen. Aber man<br />
muss natürlich auch mit Grundsätzen<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Verhandlung h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gehen. Der<br />
Grundsatz für uns lautet: Ke<strong>in</strong>e neue<br />
Schulstrukturreform <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<br />
<strong>Pfalz</strong>, sondern erst mal Ruhe an der<br />
Schulfront.«<br />
Dickes (CDU) hält fest, für ihre Partei<br />
gelte, dass man zunächst e<strong>in</strong>mal für<br />
e<strong>in</strong>ige Jahre die Schulen <strong>in</strong> Ruhe arbeiten<br />
lassen müsse, bevor immer<br />
wieder neue Reformen durchgeführt<br />
würden. Wichtig seien dabei aber gute<br />
Rahmenbed<strong>in</strong>gungen: »Und da hat<br />
gerade das <strong>Gymnasium</strong> sehr großen<br />
Nachholbedarf«, so Bett<strong>in</strong>a Dickes<br />
(CDU). Sie stellt zu dem oft gehörten<br />
Vorwurf e<strong>in</strong>er mangelnden Förderung<br />
von Schülern an den Gymnasien fest:<br />
»Wenn ich heute weiß, ich habe am<br />
<strong>Gymnasium</strong> für e<strong>in</strong>e Gruppe dreißig<br />
Unterrichtsstunden zur Verfügung,<br />
aber <strong>in</strong> der IGS für e<strong>in</strong>e vergleichbare<br />
Zahl von Schülern 41 Stunden, da<br />
bleibt schon die Frage, wie das <strong>Gymnasium</strong><br />
den Auftrag der <strong>in</strong>dividuellen<br />
Förderung mit solch großen Klassen<br />
und so wenigen Lehrerstunden gerecht<br />
werden soll. Und ich denke, da<br />
müssen wir dr<strong>in</strong>gend etwas tun.«<br />
Zum Fakt, dass auch viele CDU-Landräte<br />
Gesamtschulen für ihren Bereich<br />
beantragt hätten, erklärt Bett<strong>in</strong>a Dickes<br />
unter anderem: »Ich kann aber<br />
auch die Landräte bis zu e<strong>in</strong>em gewissen<br />
Punkt verstehen, die durch die<br />
Schulstrukturreform relativ überfahren<br />
waren, überhaupt nicht wussten,<br />
was sie unter e<strong>in</strong>er Realschule plus zu<br />
verstehen hatten und dann im ersten<br />
Moment gesagt haben, bei der IGS<br />
weiß ich, was es ist, die Realschule<br />
plus macht mir Angst. Und wir erleben<br />
ja auch an zu vielen Stellen zu<br />
viel Unruhe. Insoweit wählen wir zunächst<br />
e<strong>in</strong>mal die Integrierte Gesamtschule.«<br />
Bett<strong>in</strong>a Dickes hält fest, dass ihre Partei<br />
im Falle e<strong>in</strong>er Regierungsbeteiligung<br />
neben dem <strong>Gymnasium</strong> e<strong>in</strong>e<br />
zweite, praxisorientierte Säule haben<br />
möchte, ohne Strukturreform, aber<br />
mit gleichen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen.<br />
Insgesamt möchte sie e<strong>in</strong>e rechtliche<br />
Gleichstellung von Realschule plus<br />
und Integrierter Gesamtschule; diese<br />
führe auch zu e<strong>in</strong>er Aufwertung der<br />
Kooperativen Realschule plus.<br />
Thema Klassenmesszahlen<br />
Elvire Kuhn hält als Diskussionsleiter<strong>in</strong><br />
zu diesem Unterthema zunächst<br />
fest, dass hier das <strong>Gymnasium</strong><br />
schlechter behandelt werde als andere<br />
Schularten. So liege am <strong>Gymnasium</strong><br />
seit Jahrzehnten die Klassenmesszahl<br />
bei dreißig, e<strong>in</strong>e Lehrkraft habe<br />
also 180 bis 200 Schüler, e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuelle<br />
Förderung des E<strong>in</strong>zelnen sei so<br />
unmöglich. Bei der neuen Realschule<br />
plus aber gelte <strong>in</strong> den E<strong>in</strong>gangsklassen<br />
e<strong>in</strong>e wesentlich ger<strong>in</strong>gere Klassenmesszahl.<br />
Ulla Brede-Hoffmann (SPD) wehrt<br />
sich <strong>in</strong> ihrem Beitrag zu diesem Thema<br />
zunächst gegen den Vorwurf, <strong>in</strong><br />
den letzten fünf Jahren seien nur Debatten<br />
um Strukturen, nicht aber über<br />
Inhalte geführt worden.<br />
Sie erklärt: »Wir haben <strong>in</strong> den letzten<br />
fünf Jahren die Qualitätsdebatte rhe<strong>in</strong>land-pfälzischer<br />
Schulen <strong>in</strong> den Mittelpunkt<br />
gestellt.« Zur Begründung verweist<br />
sie unter Buhrufen aus dem Publikum<br />
zunächst auf die Gründung<br />
der AQS, mit deren Hilfe <strong>in</strong> den zurückliegenden<br />
Jahren e<strong>in</strong> Orientierungsrahmen<br />
erarbeitet worden sei.<br />
Diese seien als Standards durch die<br />
KMK <strong>in</strong> den Bundesländern vere<strong>in</strong>bart<br />
und für Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> »heruntergebrochen<br />
und auf unsere verschiedenen<br />
Schularten passgenau h<strong>in</strong><br />
entwickelt« worden. Insgesamt halte<br />
sie es nicht für angemessen, e<strong>in</strong>e Qualitätsdebatte<br />
zu führen und dabei den<br />
Menschen, die diese Qualitätsdiskussionen<br />
geführt, die Qualitätsstandards<br />
und -rahmen erarbeitet, die Programme<br />
gemacht haben, e<strong>in</strong>fach ihre Kom-<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
Gymnasialtag 2010 ZUSAMMENFASSUNG 35<br />
petenz abzusprechen. Diese Arbeit sei<br />
ja auch von Erfolg gekrönt worden,<br />
denn, so Ulla Brede-Hoffmann, haben<br />
bei den letzten Tests »rhe<strong>in</strong>land-pfälzische<br />
Schulen überdurchschnittliche<br />
Fortschritte gemacht, wir waren auf<br />
Platz 2 bei der Überprüfung der Erreichung<br />
der <strong>in</strong> der KMK vere<strong>in</strong>barten<br />
Bildungsstandards. Und das <strong>Gymnasium</strong><br />
hat dabei besonders gut abgeschnitten.<br />
Ich weiß nicht, <strong>in</strong>wiefern<br />
man das als ke<strong>in</strong>e Qualitätsdebatte<br />
und als sich-nicht-mit-Inhalten-beschäftigen<br />
behandeln kann«, so Brede-Hoffmann.<br />
Dies gelte auch für die<br />
vorgezogene zweite Fremdsprache<br />
und ähnliches.<br />
Zum Vorwurf der Schlechterbehandlung<br />
des <strong>Gymnasium</strong>s und dem steigenden<br />
Zulauf von Schülern an die<br />
Gymnasien führt Ulla Brede-Hoffmann<br />
(SPD) aus: »Die Gymnasien <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />
haben, das spricht nicht gegen<br />
die Gymnasien, das beschreibt e<strong>in</strong>en<br />
Status Quo, <strong>in</strong> diesem Schuljahr<br />
im Vergleich zum vergangenen Schuljahr<br />
die Großzahl von 300 Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schülern mehr, 300 Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schüler Zuwachs im <strong>Gymnasium</strong><br />
gegenüber dem letzten Schuljahr.<br />
Ich würde das jetzt nicht als e<strong>in</strong>e<br />
Abstimmung mit den Füßen h<strong>in</strong> zum<br />
<strong>Gymnasium</strong> bezeichnen, sondern sagen,<br />
das <strong>Gymnasium</strong> hat e<strong>in</strong>e stabile<br />
Schülerzahl.«<br />
Zur steigenden Heterogenität der<br />
Gymnasien verweist Ulla Brede-Hoffmann<br />
(SPD) auf ihre eigene Schulzeit:<br />
<strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> habe schon immer<br />
e<strong>in</strong>e heterogene Schülerpopulation<br />
gehabt und »schon damals war die<br />
Heterogenität unter uns Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schülern im <strong>Gymnasium</strong> riesengroß,<br />
und das war gut und schön, und<br />
ich möchte das nicht missen, auch<br />
nicht <strong>in</strong> der Rücker<strong>in</strong>nerung mit soviel<br />
unterschiedlichen Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schülern zusammengewesen zu<br />
se<strong>in</strong>...«<br />
Brede-Hoffmann (SPD) erklärt, das<br />
<strong>Gymnasium</strong> werde nicht schlechter<br />
behandelt als die anderen Schularten.<br />
Es habe <strong>in</strong> den letzten Jahren »konsequent<br />
von Jahr zu Jahr e<strong>in</strong>e etwas ger<strong>in</strong>gere<br />
durchschnittliche Klassengröße«<br />
aufzuweisen. Mit Bezug auf die<br />
Klassengrößen habe sich mit Ausnahme<br />
der Klasse 5 und Klasse 6 <strong>in</strong> den<br />
neuen Realschulen plus und den<br />
Klassen 1 und 2 <strong>in</strong> den Grundschulen<br />
<strong>in</strong> allen Schularten derzeit nichts an<br />
den Klassenmesszahlen geändert:<br />
»Dafür fehlt uns schlicht und e<strong>in</strong>fach<br />
das Geld«.<br />
Brede-Hoffmann (SPD) erklärt weiter:<br />
»Wir versuchen, diesen Schulen und<br />
<strong>in</strong>sbesondere auch unseren Gymnasien<br />
immer wieder und immer mehr<br />
Stunden zur Verfügung zu stellen, und<br />
die Gymnasien haben genauso Anteil<br />
an den Förder- und Differenzierungsstundenpools,<br />
wie unsere anderen<br />
Schularten auch, und es stimmt<br />
schlicht auch e<strong>in</strong>fach nicht, dass sie<br />
nicht auch Förder- und Differenzierungsstunden,<br />
auch Sprachförderstunden<br />
<strong>in</strong> den Klassen 5 und 6 zugewiesen<br />
bekommen, wenn sie sie beantragen.<br />
<strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> ist deswegen<br />
ke<strong>in</strong> Stiefk<strong>in</strong>d der Landesregierung.<br />
Und lassen Sie mich sagen, dass wir<br />
es mit großer Begeisterung betrachten,<br />
dass unsere Gymnasien hoch<br />
qualifizierte Arbeit machen, dass<br />
rhe<strong>in</strong>land-pfälzische Studierende gute<br />
Universitätsstudierende s<strong>in</strong>d, wenn<br />
sie von unseren Schulen kommen<br />
und dass sie mitnichten sich als Stiefk<strong>in</strong>der<br />
behandelt fühlen.«<br />
Thema Unterrichtsversorgung<br />
und Haushaltskonsolidierung<br />
Bett<strong>in</strong>a Dickes (CDU) geht zu diesem<br />
Punkt zunächst noch e<strong>in</strong>mal auf die<br />
Qualitätsdebatte e<strong>in</strong> und unterstreicht<br />
ihre Auffassung mit dem konkreten<br />
Beispiel e<strong>in</strong>er Schule, e<strong>in</strong>er Realschule<br />
plus <strong>in</strong> ihrem Kreis: »Wir haben an<br />
dieser Realschule plus das Fach NAWI<br />
e<strong>in</strong>geführt, die zweite Fremdsprache<br />
bzw. die zweite Fremdsprache als<br />
Wahlpflichtfach <strong>in</strong> der Klasse 6. Wir<br />
haben zwei Kollegien zusammengeführt,<br />
zwei Schülerschaften, wir haben<br />
die AQS gehabt, s<strong>in</strong>d Schwerpunktschule<br />
geworden, wir haben<br />
»Ke<strong>in</strong>er ohne Abschluss« bekommen<br />
und die Lernmittelausleihe nebenbei<br />
auch, und da bleibt die Frage bei vier<br />
Konferenzen pro Woche, wie diese<br />
Schule noch qualitativ weiterarbeiten<br />
soll, wie diese Lehrer Unterricht vorbereiten<br />
oder sich vielleicht noch mit<br />
dem Schüler beschäftigen sollen.«<br />
Deshalb sei es dr<strong>in</strong>gend Zeit, dass<br />
»wir Luft zum Atmen <strong>in</strong> den Schulen<br />
und dazu mehr Lehrer bekommen.«<br />
Zu der Frage der Unterrichtsversorgung<br />
mit Lehrern <strong>in</strong> den Schulen und<br />
zur Frage der Haushaltskonsolidierung<br />
erklärt Bett<strong>in</strong>a Dickes (CDU), es<br />
komme darauf an, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Haushalt<br />
Prioritäten zu setzen, und diese Prioritäten<br />
lägen ganz klar im Bereich der<br />
Bildung: »Wir haben <strong>in</strong> den vergangenen<br />
Jahren immer wieder Vorschläge<br />
gemacht, wie wir mehr Lehrer <strong>in</strong> den<br />
Schulen f<strong>in</strong>anzieren können. Wir haben<br />
grundsätzlich gegenf<strong>in</strong>anziert und<br />
trotzdem e<strong>in</strong>gespart, und diesen Weg<br />
werden wir auch weitergehen. Wir haben<br />
gesagt, dass wir e<strong>in</strong>e hundertprozentige<br />
Unterrichtsversorgung <strong>in</strong> den<br />
Schulen haben möchten, wir haben<br />
des Weiteren gesagt, dass wir für al- ><br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
36<br />
PODIUMSDISKUSSION Gymnasialtag 2010<br />
le Schularten e<strong>in</strong>en verlässlichen Vertretungspool<br />
wollen, damit wir von<br />
der derzeitigen Praxis der Vertretungslehrer,<br />
die immer mal wieder<br />
hier für drei Monate oder dort für e<strong>in</strong><br />
halbes Jahr beschäftigt werden, wegkommen.«<br />
Malte Blümke, Landsvorsitzender<br />
des <strong>Philologenverband</strong>es, greift an<br />
dieser Stelle <strong>in</strong> die Diskussion e<strong>in</strong> und<br />
verweist darauf, dass Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />
laut kürzlich veröffentlichter Zahlen<br />
des sogenannten Bildungsmonitors<br />
5100 Euro pro Schüler aufwende, während<br />
im Durchschnitt aller Bundesländer<br />
5400 Euro pro Schüler aufgewendet<br />
würden. Damit liege Rhe<strong>in</strong>land-<br />
<strong>Pfalz</strong> an zwölfter Stelle unter den Bundesländern<br />
bei den Bildungsausgaben.<br />
Zur Stellung des <strong>Gymnasium</strong>s unter<br />
den übrigen Schularten verweist Malte<br />
Blümke darauf, dass das <strong>Gymnasium</strong><br />
weiterh<strong>in</strong> den höchsten Unterrichtsausfall<br />
habe. Er fährt fort: »Wir<br />
haben im <strong>Gymnasium</strong> rund zehn Prozent<br />
Lehrkräfte, die eben nicht die<br />
volle Fakultas haben. <strong>Das</strong> ist e<strong>in</strong> Und<strong>in</strong>g,<br />
dass wir da zum Beispiel Studenten<br />
e<strong>in</strong>setzen müssen. <strong>Das</strong> kann<br />
doch ke<strong>in</strong>e Qualitätssicherung se<strong>in</strong>!«<br />
Zudem hätten die Gymnasien mit 27<br />
Schülern pro Klasse die größten Klassen<br />
und e<strong>in</strong>e Zuweisung von 0,02 Lehrerstunden<br />
pro Schüler gegenüber<br />
0,56 an den Gesamtschulen. Dies sei<br />
e<strong>in</strong>e Benachteiligung, die nicht e<strong>in</strong>fach<br />
so weggewischt werden könne,<br />
denn »wenn Gelder da s<strong>in</strong>d für <strong>in</strong>tegrierte<br />
Systeme, dann müssten die<br />
Gymnasien diese auch haben.«<br />
1. Reihe v.l.n.r.: Malte Blümke, Bildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> Doris Ahnen,<br />
Elvire Kuhn, Barbara Mathea, Prof. Dr. Peter J. Brenner<br />
Insgesamt bemängelt der Vorsitzende<br />
des <strong>Philologenverband</strong>es, dass von<br />
dem e<strong>in</strong>gesetzten Geld zu wenig »unten<br />
ankomme«. Stattdessen werde es<br />
<strong>in</strong> fragwürdige Aktionen wie die AQS<br />
(E<strong>in</strong>sparungsmöglichkeit: zwanzig Millionen<br />
Euro) oder <strong>in</strong> teure Werbemaßnahmen<br />
der Landesregierung gesteckt,<br />
ganz zu schweigen von dem<br />
neuen Fortbildungs<strong>in</strong>stitut, für das im<br />
neuen Haushalt 22 Millionen Euro<br />
vorgesehen seien.<br />
»Und da schauen Sie mal, was kommt<br />
bei uns als Lehrerfortbildungsveranstaltung<br />
an? Gymnasiale Lehrerfortbildungsveranstaltungen?<br />
<strong>Das</strong> ist e<strong>in</strong>e<br />
Katastrophe! Da gibt es fast überhaupt<br />
nichts! Deswegen muss man das Institut<br />
abschaffen«, erklärt Blümke unter<br />
dem Beifall des Auditoriums und<br />
schlägt vor: »Besser wäre es, Bildungsgutsche<strong>in</strong>e<br />
auszugeben. Dann könnten<br />
sich die Lehrkräfte die Lehrerfortbildung,<br />
die sie für ihren Unterricht<br />
benötigen, dort selbst e<strong>in</strong>kaufen, wo<br />
es ihnen auch etwas br<strong>in</strong>gt.«<br />
Thema Unterrichtsversorgung,<br />
Sparmaßnahmen<br />
Nicole Morsblech (FDP) kritisiert,<br />
dass das Land Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> es <strong>in</strong><br />
der Vergangenheit versäumt habe,<br />
Sparmöglichkeiten zu nutzen, besonders<br />
auch <strong>in</strong> den Jahren, <strong>in</strong> denen die<br />
E<strong>in</strong>nahmen »sprudelten«. <strong>Das</strong> habe<br />
der Rechnungshofbericht 2008 aufgezeigt.<br />
»Und trotzdem hat es diese Landesregierung<br />
geschafft, die Nettoneuverschuldung<br />
noch e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> die Höhe<br />
zu treiben, das heißt, man hat<br />
noch neue Schulden draufgesattelt.«<br />
Deshalb sei es völlig unklar, wie unter<br />
diesen Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>e Schuldenbremse<br />
durchgesetzt werden könne:<br />
»Und da spreche ich noch nicht e<strong>in</strong>mal<br />
D<strong>in</strong>ge wie den Nürburgr<strong>in</strong>g und<br />
das Schlosshotel an.«<br />
Auch im Bildungshaushalt gebe es Reserven,<br />
die ausgeschöpft werden<br />
könnten. So müsse auch die Schulbuchausleihe<br />
mit ihren Kosten von<br />
vierzig Millionen Euro eventuell noch<br />
e<strong>in</strong>mal auf den Prüfstand. Dort seien<br />
alle<strong>in</strong> für Verwaltungskosten 2,3 Millionen<br />
Euro veranschlagt und dieses<br />
Geld »hätte man möglicherweise auch<br />
als Reserve gehabt, um es lieber <strong>in</strong><br />
zusätzliches Personal und <strong>in</strong> vernünftigen<br />
Unterricht zu <strong>in</strong>vestieren.«<br />
E<strong>in</strong>en weiteren Kritikpunkt sieht<br />
Morsblech (FDP) <strong>in</strong> der Qualifikation<br />
der Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer. Hier sei<br />
das <strong>Gymnasium</strong> nach ihrer Ansicht<br />
am stärksten von der Reform betroffen:<br />
»Sie trifft das <strong>Gymnasium</strong> <strong>in</strong>s<br />
Mark, wenn sowohl die schulartspezifische<br />
Ausbildung zurückgefahren<br />
wird als auch die fachspezifische Ausbildung.<br />
Und es wird dann zunehmend<br />
schwieriger, e<strong>in</strong>en qualifizierten<br />
Unterricht <strong>in</strong> der Schule zu gewährleisten.«<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
Gymnasialtag 2010 ZUSAMMENFASSUNG 37<br />
Dies gelte auch für die Qualifikation<br />
der neu E<strong>in</strong>zustellenden. Es sei zwar<br />
zu begrüßen, dass die Kapazität der<br />
Studiensem<strong>in</strong>are jetzt ausgeweitet<br />
worden sei, aber diese Maßnahme<br />
komme jetzt viel zu spät.<br />
Bedenklich sei die Qualifikation der<br />
neu e<strong>in</strong>gestellten Personen. Dazu habe<br />
die M<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> selbst mitgeteilt,<br />
»dass <strong>in</strong>sgesamt 1529 Lehrkräfte neu<br />
e<strong>in</strong>gestellt wurden, über alle Schularten<br />
h<strong>in</strong>weg, und dass davon <strong>in</strong>sgesamt<br />
1120 Lehrer über das 2. Staatsexamen<br />
verfügten«, die anderen nicht. »<strong>Das</strong><br />
s<strong>in</strong>d 409 Lehrer«, so Morsblech, » ohne<br />
2. Staatsexamen, die dieses Jahr<br />
neu e<strong>in</strong>gestellt wurden. Man kommt<br />
dann auf 26,7 Prozent Menschen, die<br />
jetzt neu e<strong>in</strong>gestellt worden s<strong>in</strong>d im<br />
Lehrerberuf, die nicht über das 2.<br />
Staatsexamen verfügen. Und ich glaube«,<br />
so Nicole Morsblech (FDP) an<br />
die Adresse der anwesenden Gymnasiallehrer<strong>in</strong>nen<br />
und Gymnasiallehrer,<br />
»das ist etwas, das Sie vor massive Herausforderungen<br />
stellt, wenn Sie diese<br />
Menschen im Schulalltag auch <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>er<br />
Form mitnehmen müssen.«<br />
Dabei seien die Probleme der Mangelfächer<br />
noch überhaupt nicht berücksichtigt.<br />
»Deshalb wäre es mir auch<br />
sehr wichtig, dass wir gerade an die<br />
Mangelfächer noch e<strong>in</strong>mal wirklich<br />
auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er konzertierten Aktion<br />
rangehen und besonderen Wert darauf<br />
legen, dass wir an diesen Stellen<br />
zusätzlich ausbilden.«<br />
Thema Lehrerbildung,<br />
Praktikantenflut<br />
Malte Blümke (PhV): »<strong>Das</strong> ist die<br />
schlechteste Baustelle, die die Landesregierung<br />
verursacht hat. Die konsekutive<br />
Lehrerbildung von M<strong>in</strong>ister<br />
Zöllner und Professor Saterdag haben<br />
wir von Anfang an massiv kritisiert,<br />
und es ist ja noch viel schlimmer gekommen,<br />
als wir befürchtet haben.<br />
Diese Lehrerbildung ist gescheitert,<br />
das kann man nun wirklich sagen.<br />
Man hat im letzten Jahr 2009 Detailkorrekturen<br />
vorgenommen, aber das<br />
greift nicht. Die Studenten können <strong>in</strong><br />
diesem System überhaupt nicht s<strong>in</strong>nvoll<br />
studieren. Die Studenten haben<br />
fünfzehn bis zwanzig Prüfungen pro<br />
Semester. Sie haben Wochenstundenpläne<br />
von 25 Wochenstunden und<br />
mehr, das macht ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n! Die Studenten<br />
werden ganz eng geführt, müssen<br />
Module studieren, und wenn sie<br />
das e<strong>in</strong>e Modul nicht haben, dann<br />
dürfen sie <strong>in</strong> das andere Modul nicht<br />
h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. <strong>Das</strong> ist ke<strong>in</strong> akademisches Studium<br />
mehr! Und die Praktika funktionieren<br />
vorne und h<strong>in</strong>ten nicht. Die sogenannten<br />
Fachpraktika s<strong>in</strong>d überhaupt<br />
ke<strong>in</strong>e Fachpraktika, wie sich<br />
jetzt herausgestellt hat, weil gar ke<strong>in</strong><br />
Fachleiter mehr beteiligt ist, sondern<br />
es werden Hilfsfachleiter dafür rekrutiert.<br />
<strong>Das</strong> M<strong>in</strong>isterium hat diese noch<br />
nicht, will sie aber noch im nächsten<br />
Frühjahr anwerben und damit dann<br />
die Praktika betreuen lassen.<br />
Wir fordern e<strong>in</strong> sauberes akademisches<br />
Studium <strong>in</strong> zwei Fächern, Abschaffung<br />
der Bachelorstruktur, denn<br />
der Bachelor ist für e<strong>in</strong>en Lehrer total<br />
irrelevant, er br<strong>in</strong>gt überhaupt nichts,<br />
Aufgabe der Polyvalenz – das hat<br />
Sachsen ja jetzt gemacht – Reduzierung<br />
der Anzahl der Praktika, Umwandlung<br />
der Fachpraktika zu echten<br />
Fachpraktika, und wir brauchen e<strong>in</strong><br />
m<strong>in</strong>destens achtzehnmonatiges Referendariat,<br />
geleitet von hauptamtlichen<br />
Fachleitern.«<br />
Ulla Brede-Hoffmann (SPD) geht zunächst<br />
auf die Redebeiträge der Vorredner<br />
e<strong>in</strong>; zum Thema Haushalt verweist<br />
sie darauf, dass der Bildungshaushalt<br />
im Gegensatz zum Gesamthaushalt<br />
nicht um e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb Prozent<br />
zurückgefahren, sondern im nächsten<br />
Doppelhaushalt um sechs Prozent<br />
aufgestockt werde.<br />
Bezüglich der Schulbuchausleihe erläutert<br />
sie, dass nicht nur Kosten von<br />
vierzig Millionen Euro anfielen, sondern<br />
auf der anderen Seite auch E<strong>in</strong>nahmen<br />
stünden.<br />
Insgesamt gehe es bei diesem Programm<br />
darum, »mehr soziale Gerechtigkeit<br />
für unsere Eltern zu schaffen,<br />
mehr Eltern die Chance zu geben,<br />
nicht so viel für ihre Schulbücher auszugeben.«<br />
Ziel der Maßnahme sei es, nicht nur<br />
den Hartz-IV-Eltern bei der Anschaffung<br />
von Schulbüchern zu helfen,<br />
sondern »andere Eltern auch <strong>in</strong> den<br />
»Genuss« von sozialen Zuschüssen zu<br />
br<strong>in</strong>gen und diesen Eltern auch die<br />
große Bürde der Kosten durch Schulbücher<br />
etwas zu erleichtern: »Sie kriegen<br />
es ja nicht für Null, diese Eltern,<br />
sondern sie müssen e<strong>in</strong> Drittel des<br />
Preises bezahlen«, so Brede-Hoffmann<br />
(SPD). Dies sei e<strong>in</strong> Beitrag zur sozialen<br />
Gerechtigkeit.<br />
Zu den E<strong>in</strong>stellungszahlen und zum<br />
Vertretungspool:<br />
Für e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>stellung <strong>in</strong>s Beamtenverhältnis<br />
sei für sie nach wie vor das 2.<br />
Staatsexamen notwendig, aber die<br />
vorgelegten Zahlen »s<strong>in</strong>d die Zahlen<br />
aller E<strong>in</strong>stellungen <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong>,<br />
und da s<strong>in</strong>d die PES- und sonstigen<br />
Vertretungsverträge mit dabei.« In vielen<br />
Fällen seien voll ausgebildete<br />
Lehrkräfte auf dem Lehrerarbeitsmarkt<br />
leider nicht zu f<strong>in</strong>den.<br />
Ulla Brede-Hoffmann (SPD) erklärt<br />
zum angeführten Vertretungspool,<br />
dass dieser <strong>in</strong> den Grundschulen<br />
wohl funktionieren könne, <strong>in</strong> den<br />
Gymnasien mit den verschiedenen<br />
Fächerverb<strong>in</strong>dungen sei er <strong>in</strong> dieser<br />
Form aber nicht realisierbar, um alle<br />
kurzfristig ausfallenden Stunden<br />
wirklich auffangen zu können. Deswegen<br />
sei ihre Partei gegen e<strong>in</strong>en solchen<br />
Vertretungspool für weiter- ><br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
38<br />
PODIUMSDISKUSSION Gymnasialtag 2010<br />
führende Schulen. Er sei nicht f<strong>in</strong>anzierbar.<br />
An dieser Stelle verweist die Diskussionsleiter<strong>in</strong><br />
Elvire Kuhn auf die nur<br />
noch begrenzt zur Verfügung stehende<br />
Zeit und gibt die Mikrofone frei für<br />
Fragen aus dem Publikum:<br />
1. Publikumsfrage: Wie sieht es<br />
mit G 8 aus, wie sieht es mit der<br />
AQS aus, wie sieht es mit der Lehrerbildungsreform<br />
aus? Und wie sehen<br />
Sie <strong>in</strong>sgesamt die Entwicklung<br />
auch der Realschule plus, besonders<br />
unter dem Aspekt der Wahrung<br />
der Qualität?<br />
Bett<strong>in</strong>a Dickes (CDU): »Ich versuche<br />
es so kurz wie möglich zu machen,<br />
Längeres können Sie dann im Wahlprogramm<br />
nachlesen. Wir sprechen uns<br />
für e<strong>in</strong>e Wahlfreiheit bei G 8 und G 9<br />
aus. Wir haben derzeit im Land BEGYS-<br />
Gymnasien, und wir möchten e<strong>in</strong>e Ausweitung<br />
dieser BEGYS-Gymnasien auf<br />
ganz Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong>, möchten aber bei<br />
dieser Umwandlung e<strong>in</strong>e Rückkehr<br />
zum Abitur am Ende des vollen Schuljahres,<br />
das heißt, e<strong>in</strong> volles Abitur<br />
nach acht oder ganzen neun Jahren.<br />
Bei der AQS geht es ganz schnell: Sie<br />
wird abgeschafft.<br />
Zur Frage der Lehrerbildung: Wir<br />
sprechen uns, was die Praktika betrifft,<br />
für e<strong>in</strong> Praxissemester aus, um<br />
auch die Schulen zu entlasten von der<br />
derzeitigen Praktikantenschwemme,<br />
die Sie erleben. Also gerade aus den<br />
Gymnasien hören wir, vierzig Praktikanten<br />
sitzen im Flur und man weiß<br />
nicht, woh<strong>in</strong> damit. Dafür hätten wir<br />
gerne e<strong>in</strong> von Fachleuten begleitetes<br />
Praxissemester. Wir möchten e<strong>in</strong>e<br />
Rückkehr zum Staatsexamen und e<strong>in</strong>e<br />
Abkehr vom Bachelor-Master-System,<br />
das sich auch aus unserer Sicht nicht<br />
bewährt hat <strong>in</strong> der Lehrerbildung,<br />
und wir sprechen uns ganz klar für<br />
e<strong>in</strong> schulartbezogenes Studium ab<br />
dem 1. Semester aus.<br />
Zur letzten Frage der Realschule plus:<br />
Wir möchten, dass die Realschule<br />
plus gestärkt wird. Wir möchten e<strong>in</strong>e<br />
positive Realschule plus, die auch<br />
von den Eltern anerkannt wird. <strong>Das</strong><br />
heißt für uns, dass wir das praxisorientierte<br />
Profil der Realschule plus<br />
stärken, dass wir bei der IGS e<strong>in</strong> praxisorientiertes<br />
Profil e<strong>in</strong>führen, um<br />
diese Schulen auch gleichzustellen,<br />
dass beide Schulen auch dementsprechend<br />
gleiche Ressourcen haben und<br />
dass beide Schulen, um auch das<br />
<strong>Gymnasium</strong> zu stärken, so stark werden,<br />
dass wir sagen, beide Schulen<br />
können Schüler bis zum Abitur führen,<br />
müssen es aber nicht. Auch das<br />
ist e<strong>in</strong>e ganz klare Ansage: Wir möchten<br />
nicht, dass jeder Schüler Abitur<br />
macht, aber Eltern müssen wissen,<br />
dass, egal welche Schule sie für ihr<br />
K<strong>in</strong>d wählen, diese Schule ihr K<strong>in</strong>d<br />
bis zum Abitur führen kann.<br />
H<strong>in</strong>zu kommen für uns zentrale Abschlussprüfungen<br />
für alle Bildungsgänge<br />
für die Berufsreife, die mittlere<br />
Reife und für das Abitur.«<br />
Nicole Morsblech (FDP): »Auch wir<br />
haben beschlossen, dass wir für das<br />
G 8 e<strong>in</strong>e Wahlfreiheit für die Schulen<br />
möchten. Wir hatten das <strong>in</strong> dem letzten<br />
Programm auch anders beurteilt<br />
und haben <strong>in</strong> der Tat gesehen, dass es<br />
dort, wo das G 8 flächendeckend e<strong>in</strong>geführt<br />
wurde, so massive Probleme<br />
gibt, dass es s<strong>in</strong>nvoller ist, auf differenzierte<br />
Lösungen zu setzen, die<br />
auch vor Ort getragen werden können.<br />
Für die AQS würde ich mir wünschen,<br />
dass man <strong>in</strong> der Tat Qualität auch weiterh<strong>in</strong><br />
evaluiert <strong>in</strong> Schulen, dass aber<br />
die AQS unabhängig wird und nicht<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
Gymnasialtag 2010 ZUSAMMENFASSUNG 39<br />
mehr e<strong>in</strong>e Stabsstelle der Schulaufsicht<br />
ist.<br />
Und es wird auch wichtig se<strong>in</strong>, dass<br />
<strong>in</strong>haltlich reformiert wird, was da evaluiert<br />
wird, denn ich glaube, e<strong>in</strong>e Evaluation,<br />
die zum Beispiel fachdidaktische<br />
Inhalte überhaupt nicht <strong>in</strong> den<br />
Blick nimmt, sagt wenig über die Qualität<br />
des Unterrichts aus und ist auch<br />
wenig hilfreich für denjenigen, der se<strong>in</strong>e<br />
Unterrichts<strong>in</strong>halte an den Schüler<br />
oder die Schüler<strong>in</strong> br<strong>in</strong>gen möchte.<br />
Ob im Unterricht mal gelacht wird, ist<br />
zwar auch e<strong>in</strong> nettes Qualitätskriterium,<br />
weist aber auch <strong>in</strong> die Richtung,<br />
die wir <strong>in</strong> der Lehrerbildung zum Teil<br />
beobachten, nämlich e<strong>in</strong>e Aufweichung<br />
fachlicher Inhalte und schulartspezifischer<br />
Inhalte, auch da kann ich<br />
mich me<strong>in</strong>er Kolleg<strong>in</strong> anschließen.<br />
Wir wollen zurück zur schulartspezifischen<br />
Ausbildung und möchten auch<br />
die fachlichen Inhalte wieder deutlich<br />
gestärkt wissen. <strong>Das</strong>s man von dem<br />
Bologna-Prozess <strong>in</strong>sgesamt wieder herunterkommt,<br />
das wage ich allerd<strong>in</strong>gs<br />
zu bezweifeln <strong>in</strong> der strukturellen Frage.<br />
Zur Frage der Schulstruktur: Wir wollen<br />
e<strong>in</strong>e Garantie geben für die bestehenden<br />
Schulformen und möchten<br />
das System erst e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> Ruhe lassen.«<br />
Insgesamt, so Morsblech (FDP), sei<br />
man mit der Entwicklung der letzten<br />
Jahre mit immer mehr <strong>in</strong>tegrierten<br />
Systemen gerade auch vor dem H<strong>in</strong>tergrund<br />
der Vergleichsstudien wie<br />
PISA nicht zufrieden, aber »nichtsdestotrotz<br />
haben wir die Strukturen jetzt<br />
so, wie sie s<strong>in</strong>d«, und deshalb sei ihre<br />
Partei auch für zentrale oder teilzentrale<br />
Abschlussprüfungen, auch für<br />
die mittleren Abschlüsse, »weil man<br />
sich gar nicht mehr behelfen kann <strong>in</strong><br />
diesem Struktur-Kuddelmuddel mit<br />
den unterschiedlichen Qualitäten, wie<br />
wir sie zur Zeit haben. Ich kenne<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler, die sagen,<br />
zur Oberstufe wechsle ich lieber an<br />
die IGS, weil ich mir me<strong>in</strong>en Abi-<br />
Schnitt nicht kaputt machen möchte<br />
und den NC für XY schaffen will.«<br />
Insgesamt komme es <strong>in</strong> der Zukunft<br />
darauf an, viel mehr noch auf qualitative<br />
Ergebnisse zu achten und dabei<br />
auch noch e<strong>in</strong>mal die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />
ganz massiv <strong>in</strong> den Mittelpunkt<br />
zu stellen. »Und da s<strong>in</strong>d im Moment<br />
die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen an den<br />
Gymnasien und an den Berufsbildenden<br />
Schulen am schlechtesten.«<br />
Letzteren komme e<strong>in</strong>e Schlüsselrolle<br />
zu, denn nicht jeder müsse Abitur machen,<br />
und im dualen Berufsausbildungssystem<br />
gebe es »viele gute Wege,<br />
um zu e<strong>in</strong>em beruflichen Erfolg zu<br />
kommen.«<br />
Die Berufsbildende Schule sei e<strong>in</strong>e Alternative<br />
zum <strong>Gymnasium</strong>, das e<strong>in</strong>e<br />
allgeme<strong>in</strong>bildende und vor allem für<br />
e<strong>in</strong> Universitätsstudium qualifizierende<br />
Funktion unbed<strong>in</strong>gt behalten sollte.<br />
2. Publikumsfrage: Wird das Fach<br />
NAWI nach den Wahlen weiterh<strong>in</strong><br />
Bestand haben?<br />
Ulla Brede-Hoffmann (SPD) erklärt<br />
dazu, sie hätten das Fach e<strong>in</strong>geführt,<br />
fänden es ganz wichtig »als Vorbereitung<br />
auf tiefergehende Lernprozesse<br />
<strong>in</strong> späteren Jahren <strong>in</strong> den naturwissenschaftlichen<br />
und mathematischen<br />
Fächern« und sie seien deshalb auch<br />
weiterh<strong>in</strong> für dieses Fach.<br />
Zu G 8 erklärt Brede-Hoffmann (SPD),<br />
sie hätten ursprünglich geplant, fünfzehn<br />
derartige Gymnasien e<strong>in</strong>zuführen,<br />
dann aber siebzehn G 8-Gymnasien<br />
e<strong>in</strong>geführt, wovon allerd<strong>in</strong>gs fünf<br />
private Gymnasien seien.<br />
Zur AQS erkärt Ulla Brede-Hoffmann<br />
(SPD): »Wir haben sie e<strong>in</strong>geführt. In<br />
der ganzen Europäischen Union evaluiert<br />
man se<strong>in</strong>e Schulsysteme. Ich<br />
kann mir schlecht vorstellen, dass wir<br />
als Rhe<strong>in</strong>land-Pfälzer sagen: Wir brauchen<br />
das nicht!«<br />
Zur Lehrerbildungsreform weist Brede-Hoffmann<br />
(SPD) die Auffassung zurück,<br />
dass diese gescheitert sei. Im<br />
Gegenteil: »Die meisten Bundesländer<br />
s<strong>in</strong>d im Moment dabei, das rhe<strong>in</strong>landpfälzische<br />
Lehrerbildungsmodell zu<br />
übernehmen«, so Ulla Brede-Hoffmann<br />
(SPD). So schlecht könne es also<br />
nicht se<strong>in</strong>.<br />
Zur Kritik am Bachelor-Master-System<br />
erklärt Brede-Hoffmann (SPD), viele<br />
der Kritikpunkte am Bolgna-Prozess<br />
sprächen ihr »aus dem Herzen«, aber<br />
»dieser Bologna-Prozess, das ist ke<strong>in</strong><br />
Prozess, den sich Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />
ausgedacht hat, sondern auch dieser<br />
ist e<strong>in</strong> europäischer Prozess. In allen<br />
europäischen Ländern ist dieser Prozess<br />
abgelaufen. Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> hat<br />
sich dem wie alle anderen Bundesländer<br />
der Bundesrepublik genauso<br />
gestellt.«<br />
Die Hochschulen seien aufgefordert,<br />
»das Beste daraus zu machen« und<br />
viele hätten diese Erwartungen auch<br />
übertroffen, aber bei E<strong>in</strong>zelfragen wie<br />
der Anzahl der Module gebe es noch<br />
Schwierigkeiten, die gelöst werden<br />
müssten.<br />
Brede-Hoffmann (SPD) fährt fort:<br />
»Zentrale Abschlussprüfungen wird es<br />
mit der SPD nicht geben. Wir glauben<br />
nicht, dass sie e<strong>in</strong>e Qualitätsentwicklung<br />
durch e<strong>in</strong> zentrales Abitur h<strong>in</strong>kriegen;<br />
Sie kriegen eher den Drang<br />
h<strong>in</strong> zu mehr Auswendiglernen und<br />
mehr Vorbereiten. Die <strong>in</strong>dividuellen<br />
Profile, die Schulen sich geben und<br />
nach denen Schulen Schüler ausbilden<br />
und ihnen regionale und sonstige<br />
Vorteile verschaffen, wirkliche Vorteile<br />
verschaffen, die gehen bei zentralen<br />
Abschlussprüfungen restlos den<br />
Bach h<strong>in</strong>unter.« ><br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
40<br />
PODIUMSDISKUSSION Gymnasialtag 2010<br />
Bett<strong>in</strong>a Dickes (CDU) zu NAWI: »Ich<br />
war kritisch bei der E<strong>in</strong>führung des<br />
Faches. Seit me<strong>in</strong> Sohn das Fach NA-<br />
WI hatte, b<strong>in</strong> ich überzeugt davon,<br />
dass ich das Fach nicht möchte. Wir<br />
bekennen uns klar zum Fachpr<strong>in</strong>zip<br />
<strong>in</strong> den Naturwissenschaften und<br />
möchten das auch gerne bei NAWI zurückführen.«<br />
Die dritte Publikumsfrage ist e<strong>in</strong>e<br />
Doppelfrage und ist zunächst an<br />
die Vertreter<strong>in</strong> der SPD als Fraktion<br />
der regierenden Landtagspartei<br />
gerichtet.<br />
Zunächst wird bei der Fragestellung<br />
die Schulbuchausleihe aus<br />
pädagogischer Sicht kritisiert, da<br />
die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler entgegen<br />
aller Lernziele ihrer Methodentra<strong>in</strong><strong>in</strong>gse<strong>in</strong>heiten<br />
ke<strong>in</strong>e Bemerkungen<br />
mehr <strong>in</strong> ihre Bücher<br />
schreiben dürfen. Für den Fragesteller<br />
wäre deshalb e<strong>in</strong> Gutsche<strong>in</strong>system<br />
wesentlich besser gewesen.<br />
Der zweite Teil der Frage wird e<strong>in</strong>geleitet<br />
mit e<strong>in</strong>em Zitat des Bundesvorsitzenden<br />
des Deutschen<br />
<strong>Philologenverband</strong>es, der mit Blick<br />
auf die Bildungssituation <strong>in</strong> ganz<br />
Deutschland gesagt hat: »Man<br />
kann das <strong>Gymnasium</strong> auf zweierlei<br />
Weise attackieren, bekämpfen,<br />
schwächen: E<strong>in</strong>mal von außen, <strong>in</strong>dem<br />
man ihm die Orientierungsstufe<br />
nimmt, <strong>in</strong>dem man ihm das dreizehnte<br />
Schuljahr nimmt oder von<br />
<strong>in</strong>nen, <strong>in</strong>dem man ihm Aufgaben<br />
zuweist, die es nicht bewältigen<br />
kann.«<br />
Deshalb lautet die Frage: »Haben<br />
Sie vor, weiterh<strong>in</strong> solche Aufgaben,<br />
wie die Inklusion beispielsweise,<br />
dem <strong>Gymnasium</strong> <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<br />
<strong>Pfalz</strong> zuzuschreiben?«<br />
Ulla Brede-Hoffmann (SPD) kann<br />
das pädagogische Argument im Zusammenhang<br />
mit der Schulbuchausleihe<br />
nachvollziehen, verweist aber<br />
auf ihre eigene Schulzeit und die ihrer<br />
K<strong>in</strong>der mit und ohne Schulbuchausleihe<br />
und erklärt: »Also, ich glaube<br />
nicht, dass es e<strong>in</strong> unüberw<strong>in</strong>dbarer<br />
Nachteil für rhe<strong>in</strong>land-pfälzische K<strong>in</strong>der<br />
ist, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em System mit Büchern<br />
zu arbeiten, wie die meisten K<strong>in</strong>der <strong>in</strong><br />
der Bundesrepublik das <strong>in</strong> den zurückliegenden<br />
Jahren, Jahrzehnten,<br />
zum Teil seit dem 2. Weltkrieg gemacht<br />
haben.«<br />
Insgesamt sei die neue Schulbuchausleihe<br />
<strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> »e<strong>in</strong> großer<br />
Schritt voran zu mehr sozialer Gerechtigkeit«<br />
und dies sei ihrer Partei<br />
<strong>in</strong> der Güterabwägung wichtiger.<br />
E<strong>in</strong>e »Bekämpfung des <strong>Gymnasium</strong>s«,<br />
wie vom Fragesteller angedeutet,<br />
weist Ulla Brede-Hoffmann (SPD) zurück<br />
und verweist darauf, dass Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />
<strong>in</strong>zwischen das e<strong>in</strong>zige<br />
Bundesland mit dreizehn Jahren bis<br />
zum Abitur sei, auch werde die Orientierungsstufe<br />
nicht »abgetrennt«.<br />
Die Entscheidung zur Inklusion gehe<br />
auf die UN-Beh<strong>in</strong>dertenrechtskonvention<br />
zurück, und dies sei für sie »die<br />
denkbar höchste Ebene überhaupt«.<br />
In der Umsetzung gehe es nun <strong>in</strong><br />
Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> um e<strong>in</strong> »sowohl-alsauch«.<br />
Im Vordergrund stehe immer<br />
der Elternwunsch. Und zu den beteiligten<br />
Schulen, auch den Gymnasien,<br />
erklärt Brede-Hoffmann (SPD): »Wir<br />
werden ke<strong>in</strong>e Zwangssysteme durchführen,<br />
so wie wir an anderen Stellen<br />
auch ke<strong>in</strong>e Zwangssysteme haben<br />
wollen. Wir wollen freiwillige Ganztagsschulen,<br />
wir wollen freiwillige Systeme<br />
<strong>in</strong> der Förderung, die wir auch<br />
auf Grund des Elternwillens strukturieren.«<br />
Bett<strong>in</strong>a Dickes (CDU) verweist zum<br />
Themenkomplex darauf, dass im Zuge<br />
der Strukturreform an den Gymnasien<br />
e<strong>in</strong>ige Orientierungsstufen zwangsweise<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ungewollten Verbund mit<br />
den neuen Realschulen plus gehalten<br />
werden. Mit ihrer Partei werde es solche<br />
zwangsweisen geme<strong>in</strong>samen Orientierungsstufen<br />
nicht geben.<br />
Zur Frage der Inklusion erklärt sie:<br />
»Es ist ja vorgesehen vom M<strong>in</strong>isteri-<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
Gymnasialtag 2010 ZUSAMMENFASSUNG 41<br />
um, dass <strong>in</strong>sbesondere K<strong>in</strong>der mit<br />
ganzheitlicher Bee<strong>in</strong>trächtigung <strong>in</strong> die<br />
Gymnasien kommen sollen. Ich kann<br />
es mir wirklich nicht vorstellen, wie<br />
die Lehrer dies schaffen sollen, und<br />
wie die Schüler mit e<strong>in</strong>er Bee<strong>in</strong>trächtigung<br />
<strong>in</strong> diesem System zurechtkommen<br />
sollen.«<br />
Dies gelte umso mehr, wenn die räumlichen<br />
Gegebenheiten nicht vorhanden<br />
seien. »K<strong>in</strong>der mit e<strong>in</strong>er solch<br />
starken Bee<strong>in</strong>trächtigung brauchen e<strong>in</strong>e<br />
<strong>in</strong>tensive Förderung und e<strong>in</strong>e bestmögliche<br />
Förderung, und die kann ich<br />
mir nicht im allgeme<strong>in</strong>bildenden System<br />
vorstellen.«<br />
Nicole Morsblech (FDP) betont <strong>in</strong><br />
diesem Zusammenhang, »dass e<strong>in</strong><br />
Mensch mit e<strong>in</strong>er Beh<strong>in</strong>derung und<br />
e<strong>in</strong>er Bee<strong>in</strong>trächtigung so selbstbestimmt<br />
wie möglich <strong>in</strong> unserer Gesellschaft<br />
und auch so teilhabeberechtigt<br />
wie möglich und auch auf gleicher<br />
Augenhöhe leben und se<strong>in</strong> Leben führen<br />
soll, wie das nur irgend möglich<br />
ist.«<br />
Schwerpunktschulen seien, »weil wir<br />
gerade da, wo es darum geht, solche<br />
Menschen dann auch gut aufzunehmen,<br />
besonders viel Motivation und<br />
Engagement brauchen.«<br />
Der Vorsitzende des <strong>Philologenverband</strong>es,<br />
Malte Blümke, bedankt sich<br />
zum Schluss der Podiumsdiskussion<br />
für die engagierten Beiträge, bei den<br />
Referenten des Tages für ihre richtungsweisenden<br />
Vorträge und bei den<br />
teilnehmenden Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer<br />
aus dem ganzen Land, dass sie<br />
sich trotz schlechter Wetterlage so<br />
v.l.n.r.: Prof. Dr. David-S. Di Fuccia, Bildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> Doris Ahnen,<br />
Barbara Mathea, Elvire Kuhn, Malte Blümke<br />
viel Zeit genommen haben: »Der Tag<br />
ist gut zu Ende gegangen. Er ist sehr<br />
lebhaft zu Ende gegangen. Wir haben<br />
ihn gut begonnen heute mit dem Referat<br />
von Professor Dr. Peter J. Brenner.<br />
Und nachmittags haben uns die beiden<br />
Vorträge von Bildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong><br />
Doris Ahnen und Professor Dr. David<br />
Samuel Di Fuccia doch ganz wesentlich<br />
weitergebracht <strong>in</strong> der Frage, über<br />
die Zukunft des <strong>Gymnasium</strong>s nachzudenken.<br />
Der nächste Gymnasialtag<br />
wird sich dann folgerichtig mit dem<br />
<strong>Gymnasium</strong> <strong>in</strong> der Zukunft beschäftigen.<br />
Wo dies am besten geschehen könne,<br />
lasse sich fast immer nur <strong>in</strong>dividuell<br />
klären. »Und gerade das <strong>Gymnasium</strong><br />
mit se<strong>in</strong>em besonderen Auftrag stößt<br />
da schnell an se<strong>in</strong>e Grenzen.« Problematisch<br />
sei es, wenn Gymnasien von<br />
der ADD e<strong>in</strong>fach mit der Tatsache<br />
konfrontiert würden, dass sie nun<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
42<br />
PRESSEMITTEILUNG Gymnasialtag 2010<br />
Leistungsschule <strong>Gymnasium</strong><br />
als Modell für die Zukunft<br />
Der erste Gymnasialtag des <strong>Philologenverband</strong>es Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> zur »Zukunft des <strong>Gymnasium</strong>s« <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>z<br />
stieß bei mehr als 180 Teilnehmer<strong>in</strong>nen und Teilnehmern aus allen Gymnasien des Landes und zahlreichen<br />
Gästen aus Politik, Wirtschaft, Schule, Hochschule und Medien auf großes Interesse.<br />
Malte Blümke, Vorsitzender des<br />
<strong>Philologenverband</strong>es, betonte<br />
zu Beg<strong>in</strong>n der Veranstaltung:<br />
»<strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />
kann als älteste und erfolgreichste aller<br />
Schularten zu e<strong>in</strong>em Zukunftsmodell<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em modernen Bildungssystem<br />
werden.« Denn dem <strong>Gymnasium</strong><br />
<strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> gel<strong>in</strong>ge es im Zusammenspiel<br />
mit den anderen Schularten,<br />
Leistungsfähigkeit und Chancengerechtigkeit<br />
mite<strong>in</strong>ander zu vere<strong>in</strong>en.<br />
Die Unterf<strong>in</strong>anzierung der Schulen,<br />
ständige Strukturveränderungen<br />
und der bildungspolitische Aktionismus<br />
beh<strong>in</strong>derten allerd<strong>in</strong>gs die Leistungsfähigkeit<br />
und Funktionsfähigkeit<br />
des <strong>Gymnasium</strong>s. Blümke forderte:<br />
»<strong>Das</strong> <strong>Gymnasium</strong> der Zukunft muss<br />
e<strong>in</strong>e Schule bleiben, die den sozialen<br />
Aufstieg durch Leistung ermöglicht.«<br />
Im Mittelpunkt des Vormittags stand<br />
e<strong>in</strong> Vortrag von Professor Dr. Peter J.<br />
Brenner von der Carl-von-L<strong>in</strong>de-Akademie<br />
der TU München zum Thema<br />
»<strong>Das</strong> deutsche <strong>Gymnasium</strong> – Schule<br />
mit Zukunft?« Prof. Brenner verwies<br />
auf die ständigen Veränderungen der<br />
letzten Jahrzehnte und bemerkte zur<br />
aktuellen Debatte um die Bildungsgerechtigkeit.<br />
»<strong>Das</strong> deutsche Schulsystem<br />
ist nicht das ungerechteste System<br />
der Welt, wohl aber e<strong>in</strong> sehr kompliziertes<br />
System.« Denn es sei darauf<br />
angelegt und <strong>in</strong> der Lage, den unterschiedlichen<br />
Begabungen gerecht zu<br />
werden.<br />
Bildungsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> Doris Ahnen<br />
sprach zum Thema »Leistungsfähigkeit<br />
und Chancengleichheit und der<br />
Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s im rhe<strong>in</strong>landpfälzischen<br />
Bildungssystem« und hielt<br />
fest, Ziel der Landesregierung sei es,<br />
möglichst vielen Menschen die Teilnahme<br />
an Bildung zu ermöglichen.<br />
Sie bezeichnete es als e<strong>in</strong>en Fehler,<br />
wenn heute Leistungsfähigkeit und<br />
Chancengerechtigkeit gegene<strong>in</strong>ander<br />
ausgespielt würden. »Denn Leistungsfähigkeit<br />
ohne Chancengleichheit ist<br />
höchst unsozial und wegen der Verschwendung<br />
von Ressourcen auch<br />
ökonomisch kaum vermittelbar«, so<br />
die M<strong>in</strong>ister<strong>in</strong>. Ahnen würdigte die<br />
»ausgeprägten Stärken« des <strong>Gymnasium</strong>s,<br />
so zum Beispiel bei der Begabtenförderung,<br />
im naturwissenschaftlichen<br />
Bereich (MINT) oder bei den<br />
Fremdsprachen und sprach der Lehrerschaft<br />
ihren Dank aus.<br />
Professor Dr. David-S. Di Fuccia vom<br />
Deutschen <strong>Philologenverband</strong> verwies<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Vortrag zur Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s<br />
auf das <strong>Gymnasium</strong> als Ort<br />
der Bildung und des sozialen Aufstiegs.<br />
»Bildung, Leistungsfähigkeit und<br />
Leistungswilligkeit gehören zusammen<br />
und gewährleisten im <strong>Gymnasium</strong> zum<br />
ersten Mal <strong>in</strong> der Geschichte e<strong>in</strong>en<br />
Aufstieg unabhängig von der sozialen<br />
Herkunft«, so Prof. Di Fuccia.<br />
Die Podiumsdiskussion mit den bildungspolitischen<br />
Sprecher<strong>in</strong>nen der<br />
Landtagsfraktionen Ulla-Brede Hoffmann<br />
(SPD), Bett<strong>in</strong>a Dickes (CDU),<br />
Nicole Morsblech (FDP) und dem<br />
Vorsitzenden des <strong>Philologenverband</strong>es<br />
Malte Blümke stand ganz im Zeichen<br />
der kommenden Landtagswahlen.<br />
In e<strong>in</strong>er lebhaften und teilweise<br />
hitzigen Diskussionsrunde wurden<br />
u.a. die Themen Schulstruktur, Qualitäts-<br />
kontrolle (AQS), Unterrichtsversorgung<br />
und Lehrerbildung kontrovers<br />
diskutiert.<br />
Josef Zeimentz, Pressereferent<br />
Pressemitteilung vom 30. November 2010<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
Gymnasialtag 2010 PROGRAMM & IMPRESSUM 43<br />
Gymnasialtag<br />
»Die Zukunft des <strong>Gymnasium</strong>s«<br />
Montag, 29. November 2010<br />
Erbacher Hof | Grebenstraße 24 - 26 | 55116 Ma<strong>in</strong>z<br />
Programm:<br />
9:30 Uhr E<strong>in</strong>treffen/Kaffee<br />
10:00 bis 10:15 Uhr Eröffnung und Begrüßung<br />
Malte Blümke, Vorsitzender des <strong>Philologenverband</strong>es<br />
Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />
10:15 bis 12:00 Uhr »<strong>Das</strong> deutsche <strong>Gymnasium</strong> –<br />
Schule mit Zukunft?«<br />
Prof. Dr. Peter J. Brenner, München<br />
Vortrag mit Diskussion<br />
12:00 Uhr Mittagspause<br />
13:30 bis 15:00 Uhr »Leistungsfähigkeit und Chancengleichheit:<br />
Die Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s im<br />
rhe<strong>in</strong>land-pfälzischen Bildungssystem«<br />
Doris Ahnen, M<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> für Bildung, Wissenschaft,<br />
Jugend und Kultur Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />
15:00 Uhr Kaffeepause<br />
»Die Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s <strong>in</strong> der<br />
Bildungsrepublik Deutschland«<br />
Professor Dr. David-S. Di Fuccia,<br />
Deutscher <strong>Philologenverband</strong><br />
15:30 bis 17:00 Uhr »Die Zukunft des <strong>Gymnasium</strong>s<br />
<strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong>«<br />
Podiumsdiskussion mit den bildungspolitischen<br />
Sprecher<strong>in</strong>nen der Landtagsfraktionen:<br />
• Ulla Brede-Hoffmann (SPD),<br />
• Bett<strong>in</strong>a Dickes (CDU),<br />
• Nicole Morsblech (FDP)<br />
• und dem Vorsitzenden des <strong>Philologenverband</strong>es<br />
Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong>, Malte Blümke<br />
IMPRESSUM<br />
ZEITSCHRIFT DES<br />
PHILOLOGENVERBANDES<br />
RHEINLAND-PFALZ<br />
Herausgeber:<br />
<strong>Philologenverband</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />
Fritz-Kohl-Straße 13<br />
55122 Ma<strong>in</strong>z<br />
Tel.: 06131/384310<br />
Fax: 06131/37 11 07<br />
eMail: <strong>in</strong>fo@philologenverband.de<br />
Redaktion:<br />
Josef Zeimentz<br />
Entwurf Titelgrafik/Plakat:<br />
Josef Zeimentz<br />
Alle Fotos der Veranstaltung:<br />
Josef Zeimentz<br />
Satz:<br />
Pädagogik & Hochschul Verlag<br />
Graf-Adolf-Straße 84<br />
40210 Düsseldorf<br />
Tel.: 02 11/1795965<br />
Fax: 02 11 / 1 79 59 45<br />
eMail: he<strong>in</strong>emann@dphv-verlag.de<br />
Druck:<br />
Druckerei Adis GmbH<br />
Budenheimer Weg 27<br />
55262 Heidesheim<br />
Tel.: 06132 / 95 20 20<br />
Besuchen Sie uns im Internet:<br />
www.philologenverband.de<br />
Leitung: Elvire Kuhn, stellvertretende Landesvorsitzende<br />
<strong>Philologenverband</strong> Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong><br />
17:00 Uhr Ende der Veranstaltung<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>
FÄCHERVERBINDENDE UNTERRICHTSREIHEN<br />
Interdiszipl<strong>in</strong>ärer Unterricht für die Schule von morgen<br />
Interdiszipl<strong>in</strong>ärer Unterricht für die Schule von morgen<br />
BUNDESARBEITSGEMEINSCHAFT DER JUNGEN PHILOLOGEN<br />
1. Auflage 2002, DIN A 4,<br />
146 Seiten, Klebeb<strong>in</strong>dung<br />
H<strong>in</strong>sichtlich der von Bildungspolitikern<br />
immer wieder erhobenen Forderung<br />
nach fächerverb<strong>in</strong>dendem<br />
Unterricht ist anzumerken, dass<br />
anspruchsvoller Unterricht sehr oft<br />
per se bereits fächerverb<strong>in</strong>dend<br />
ist. Zugleich ersche<strong>in</strong>t die Forderung,<br />
den fächerverb<strong>in</strong>denden<br />
Aspekt im Unterricht noch deutlicher<br />
hervortreten zu lassen, als<br />
nicht unbegründet. Vor diesem<br />
H<strong>in</strong>tergrund haben verschiedene<br />
Mitglieder der Bundes-AG diesen<br />
Ratgeber entworfen, <strong>in</strong>dem sie eigene<br />
fächerverb<strong>in</strong>dende Unterrichtsreihen<br />
beschrieben und so<br />
aufbereitet haben, dass <strong>in</strong>teressierte<br />
Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen<br />
Anregungen für ihren Unterricht<br />
erhalten. »Aus der Praxis – für die<br />
Praxis« lautet das Motto dieses<br />
Ratgebers.<br />
Der Ratgeber ist zu e<strong>in</strong>em Preis<br />
von 7,50 EUR * für Mitglieder und<br />
10,– EUR * für Nichtmitglieder des<br />
<strong>Philologenverband</strong>es zu bestellen<br />
bei der Geschäftstelle des <strong>Philologenverband</strong>es<br />
Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> ·<br />
Fritz-Kohl-Straße 13 · 55122 Ma<strong>in</strong>z<br />
Tel.: 0 61 31 / 38 43 10<br />
eMail: <strong>in</strong>fo@philologenverband.de<br />
* zzgl. Porto und Verpackung<br />
METHODENTRAINING – FÜR DIE SCHULE VON MORGEN<br />
Kreativität und Wissen<br />
Methoden<br />
für die Schule von morgen<br />
Kreativität<br />
und<br />
Wissen<br />
tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g<br />
BUNDESARBEITSGEMEINSCHAFT DER JUNGEN PHILOLOGEN<br />
4. Auflage 2001, DIN A 4,<br />
128 Seiten, Klebeb<strong>in</strong>dung<br />
Aus der Ause<strong>in</strong>andersetzung mit<br />
dem aktuellen Thema der Pädagogik<br />
– man mag es Methodentra<strong>in</strong><strong>in</strong>g,<br />
Arbeitstechniken oder das<br />
»Lernen lernen« nennen – entstand<br />
dieser Ratgeber für e<strong>in</strong> Methodentra<strong>in</strong><strong>in</strong>g.<br />
Es geht um das Erlernen und zielorientierte<br />
Anwenden von Arbeitsund<br />
Lerntechniken, die Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schüler jeden Tag <strong>in</strong> fast<br />
jedem Unterricht anwenden, dies<br />
jedoch mehr oder weniger bewusst<br />
und damit auch mehr oder weniger<br />
effektiv. Die Anwendung dieser<br />
Lern- und Arbeitstechniken gezielt<br />
zu reflektieren und durch weiterführende<br />
H<strong>in</strong>weise das Lernen und<br />
Arbeiten der Schüler<strong>in</strong>nen und<br />
Schüler im Unterricht effektiver<br />
und effizienter zu gestalten, ist<br />
das Ziel dieser von der Bundesarbeitsgeme<strong>in</strong>schaft<br />
der Jungen Philologen<br />
herausgegebenen Veröffentlichung.<br />
Methodentra<strong>in</strong><strong>in</strong>g<br />
kann zur Lösung dieser Fragen<br />
und Probleme e<strong>in</strong>en Beitrag leisten,<br />
versteht sich jedoch nicht als<br />
Rezeptbuch und schon gar nicht<br />
als »Allheilmittel«. Vielmehr handelt<br />
es sich um seit Jahren <strong>in</strong> der<br />
Praxis bewährte Unterrichtsmaterialien,<br />
die bewusst für die Schulpraxis<br />
ausgewählt und zusammengestellt<br />
wurden. Aus vielfältigen Erfahrungen<br />
<strong>in</strong> allen Jahrgangsstufen<br />
des <strong>Gymnasium</strong>s und <strong>in</strong> der Erwachsenenbildung<br />
mit Kursen zu<br />
Arbeits- und Lerntechniken kann<br />
bestätigt werden, dass das Buch<br />
Methodentra<strong>in</strong><strong>in</strong>g den »Elchtest«<br />
der Praxis bestanden hat.<br />
Der Ratgeber ist zu e<strong>in</strong>em Preis<br />
von 7,50 EUR * für Mitglieder und<br />
10,– EUR * für Nichtmitglieder des<br />
<strong>Philologenverband</strong>es zu bestellen<br />
bei der Geschäftstelle des <strong>Philologenverband</strong>es<br />
Rhe<strong>in</strong>land-<strong>Pfalz</strong> ·<br />
Fritz-Kohl-Straße 13 · 55122 Ma<strong>in</strong>z<br />
Tel.: 0 61 31 / 38 43 10<br />
eMail: <strong>in</strong>fo@philologenverband.de<br />
* <strong>in</strong>kl. Porto und Verpackung