Das Gymnasium in Rheinland-Pfalz 1-2011 - Philologenverband ...
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VORTRAG Gymnasialtag 2010<br />
Ne<strong>in</strong>, das <strong>Gymnasium</strong> steht <strong>in</strong> solchen<br />
Diskussionen pars pro toto für etwas<br />
anderes, und ganz grundsätzlich für<br />
e<strong>in</strong> anderes Bild vom Menschen als<br />
Individuum, das ganz unabhängig von<br />
se<strong>in</strong>em Schulabschluss und von se<strong>in</strong>en<br />
schulischen Leistungen e<strong>in</strong>en immer<br />
gleichen, höchsten Wert hat.<br />
Jede Schüler<strong>in</strong> und jeden Schüler <strong>in</strong><br />
diesem S<strong>in</strong>ne Wert zu schätzen heißt,<br />
sie und ihn bei der Entfaltung se<strong>in</strong>er<br />
Stärken und bei Behebung se<strong>in</strong>er<br />
Schwächen zu unterstützen, ihnen<br />
aber auch das Recht auf Verschiedenheit<br />
zuzugestehen.<br />
<strong>Das</strong> heißt dann auch, die Existenz e<strong>in</strong>es<br />
<strong>Gymnasium</strong>s und eben auch anderer<br />
Schulformen nicht als e<strong>in</strong> Zeichen<br />
ungerechter oder ungerechtfertigter<br />
Verh<strong>in</strong>derung von Bildungschancen zu<br />
sehen, sondern die Existenz des <strong>Gymnasium</strong>s<br />
als Stachel im Fleisch der Gesellschaft<br />
zu verstehen, dessen Stechen<br />
uns daran er<strong>in</strong>nert, dass unsere<br />
Gesellschaft gerade darauf aufbaut,<br />
dass Menschen nicht nur verschieden<br />
s<strong>in</strong>d, sondern auch verschieden se<strong>in</strong><br />
dürfen – und dass das nichts an ihrem<br />
<strong>in</strong>dividuellen Wert ändert, sondern<br />
dass ihnen <strong>in</strong> ihrer Verschiedenheit gerade<br />
Gleichbehandlung (nicht aber<br />
Gleichheit!) garantiert ist.<br />
Diese zutiefst ideologische Frage immer<br />
wieder aufflammen zu lassen ist,<br />
aus me<strong>in</strong>er Sicht, heute e<strong>in</strong>e besondere<br />
Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s als Leit<strong>in</strong>stitution<br />
des Bildungssystems.<br />
Aus dieser besonderen aktuellen Rolle<br />
heraus ergibt sich dann me<strong>in</strong>es Erachtens<br />
nach auch, was die zukünftige<br />
Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s <strong>in</strong> der Bildungsrepublik<br />
Deutschland se<strong>in</strong> soll,<br />
wird oder muss, womit ich zum letzten<br />
Teil me<strong>in</strong>er Ausführungen komme.<br />
Die Rolle e<strong>in</strong>er Leit<strong>in</strong>stitution besteht<br />
nämlich vor allem dar<strong>in</strong>, immer wieder<br />
auch selbstkritisch zu prüfen, ob<br />
man denn noch <strong>in</strong> die richtige Richtung<br />
leitet, oder ob auch Kurskorrekturen<br />
nötig s<strong>in</strong>d.<br />
Ich habe gerade versucht, die besondere<br />
Situation des Umgangs mit Verschiedenartigkeit<br />
bei Wahrung und<br />
Betonung der Gleichwertigkeit sozusagen<br />
theoretisch zu beschreiben, aber<br />
dieses vom <strong>Gymnasium</strong> vertretene<br />
und symbolisierte Konzept verlangt<br />
auch nach praktischer Umsetzung im<br />
schulischen Alltag.<br />
Ganz konkret heißt das, dass es die<br />
Rolle des <strong>Gymnasium</strong>s <strong>in</strong> Zukunft<br />
se<strong>in</strong> wird, <strong>in</strong> enger Abstimmung mit<br />
den anderen schulischen Angeboten<br />
des Bildungssystems optimale Angebote<br />
für verschiedene – aber gleichwertige<br />
– Lerntypen zu entwickeln<br />
und anzubieten. Prof. Olbertz, der frühere<br />
Wissenschaftsm<strong>in</strong>ister Sachsen-<br />
Anhalts und jetziger Präsident der<br />
Humboldt-Universität Berl<strong>in</strong> hat das<br />
e<strong>in</strong>mal so umschrieben: Es gehe um<br />
die richtige Schule für jeden statt um<br />
e<strong>in</strong>e Schule für alle.<br />
Diese <strong>in</strong>haltliche Überlegung, die den<br />
Schüler und se<strong>in</strong> Lernverhalten <strong>in</strong> den<br />
Mittelpunkt stellt – ist aus me<strong>in</strong>er Sicht<br />
wesentlich bedeutsamer für die qualitative<br />
Weiterentwicklung des Schulsystems<br />
als so manche strukturelle Frage.<br />
Verschiedenen Lerntypen gerecht zu<br />
werden, heißt, koord<strong>in</strong>iert verschiedene<br />
Wege durch die differenzierten<br />
Angebote des Bildungssystems, aber<br />
eben auch verschiedene Lernmöglichkeiten<br />
für e<strong>in</strong> und denselben Bildungs<strong>in</strong>halt<br />
anzubieten.<br />
Es bedarf ganz zweifellos guter Absprachen<br />
unter den verschiedenen Schulenformen,<br />
viel Koord<strong>in</strong>ierungsarbeit<br />
und e<strong>in</strong>er langen Entwicklungs- und<br />
E<strong>in</strong>führungsphase, aber e<strong>in</strong> Bildungssystem,<br />
das den Grundsatz der Verschiedenartigkeit<br />
bei Gleichwertigkeit<br />
ernst nimmt, bietet eben auch unterschiedliche<br />
Lernwege, die verschiedenen<br />
Schülertypen gerecht werden.<br />
Damit eng verbunden ist e<strong>in</strong>e Rolle,<br />
die das <strong>Gymnasium</strong> aus me<strong>in</strong>er Sicht<br />
zukünftig gut im Bildungssystem spielen<br />
kann, nämlich die, die Selbstverantwortung<br />
se<strong>in</strong>er Schüler<strong>in</strong>nen und<br />
Schüler für ihren Lernprozess <strong>in</strong> besonderer<br />
Weise e<strong>in</strong>zufordern und zu<br />
fördern. Es mag den e<strong>in</strong> oder anderen<br />
verwundert haben, dass ich bisher<br />
nicht von der allgeme<strong>in</strong>en Hochschulreife<br />
gesprochen habe – ich will es<br />
nun hier, beim Ausblick – tun.<br />
Und zwar möchte ich fragen, wor<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />
allgeme<strong>in</strong>e Hochschulreife bestehen<br />
kann, angesichts e<strong>in</strong>es Hochschulsektors,<br />
der sich immer weiter<br />
und immer unübersichtlicher ausdifferenziert,<br />
bis h<strong>in</strong> <strong>in</strong> duale Studiengänge,<br />
die man zum Teil kaum noch<br />
als zum Hochschulsystem gehörig<br />
identifizieren kann.<br />
Die Antwort auf diese Frage sche<strong>in</strong>t<br />
mir <strong>in</strong> der Mischung aus etwas zu bestehen,<br />
das üblicherweise als traditionell<br />
und bewährt wahrgenommen wird<br />
und etwas, was plötzlich sehr neu zu<br />
se<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>t: nämlich aus Allgeme<strong>in</strong>bildung<br />
und Selbstverantwortung. Allgeme<strong>in</strong>bildung,<br />
wie sie das <strong>Gymnasium</strong><br />
immer angestrebt hat, ist die folgerichtige<br />
Antwort auf gleich zwei Anforderungen<br />
der Zeit: Zum e<strong>in</strong>en der, e<strong>in</strong>e<br />
allgeme<strong>in</strong>e Hochschulreife zu vergeben<br />
und zum anderen der, darauf reagieren<br />
zu müssen, dass man ehrlicher<br />
Weise nicht die leiseste Ahnung hat,<br />
welches Wissen dem heutigen Fünftklässler<br />
wohl beim E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong> se<strong>in</strong><br />
Master-Studium nützlich se<strong>in</strong> könnte.<br />
Genau deshalb ist Allgeme<strong>in</strong>bildung<br />
e<strong>in</strong> wichtiges Ziel: als breite Basis, die<br />
e<strong>in</strong> gewisses Grundwissen zum<strong>in</strong>dest<br />
für e<strong>in</strong>e Fülle von Studiengängen darstellt<br />
und als die Konfrontation mit Inhalten,<br />
die den Geist tra<strong>in</strong>ieren und fit<br />
machen für Aufgaben, an die wir heute<br />
noch gar nicht denken. Jürgen Kaube<br />
von der Frankfurter Allgeme<strong>in</strong>en<br />
Zeitung hat auf die Frage, warum man<br />
Heft 1/<strong>2011</strong>