Natur« und »Kultur«: Von Inbegriffen zu Reflexionsbegriffen1
Natur« und »Kultur«: Von Inbegriffen zu Reflexionsbegriffen1
Natur« und »Kultur«: Von Inbegriffen zu Reflexionsbegriffen1
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Christoph Hubig<br />
»Natur« <strong>und</strong> »Kultur«: <strong>Von</strong> <strong>Inbegriffen</strong> <strong>zu</strong> Reflexionsbegriffen 1<br />
1. Einleitung<br />
Daß die Auseinanderset<strong>zu</strong>ngen um eine Naturalisierung der Kultur oder eine Kulturalisierung<br />
der Natur bisweilen dramatische Züge weltanschaulicher Kontroversen annehmen, ist in der<br />
f<strong>und</strong>amentalen Aporie unseres Weltverhältnisses begründet: Einerseits zielen unsere<br />
Erkenntnisbemühungen auf die Freilegung unseres Status <strong>und</strong> unserer Verortung in der Welt.<br />
Die humane Kultur soll als besonderer Seinsbereich innerhalb der Welt transparent werden,<br />
eingeb<strong>und</strong>en in einen geschlossenen Zusammenhang des Prozessierens. Wird dieser<br />
Zusammengang als durch Naturanlagen, Naturkonstanten, Naturgesetze einschließlich<br />
derjenigen evolutionärer Prozesse bestimmt erachtet, geht es um unsere Einbettung in die<br />
Natur, um unsere Kultur als Teil der Natur, um uns als ein Stück Natur, wie wir es<br />
insbesondere in unserer Leiblichkeit angeblich unmittelbar <strong>zu</strong> erfahren vermögen. Ansätze<br />
dieser Art sind im weitesten Sinne monistisch; sie suchen nach dem einen Gr<strong>und</strong>. Auch<br />
unsere Erkenntnisbemühungen sollen hierdurch bestimmt sein. Freilich folgt <strong>zu</strong>nächst aus<br />
dem Leibniz’schen »Nichts ist ohne Gr<strong>und</strong>« (für alle x gilt, daß es ein y gibt, sodaß y Gr<strong>und</strong><br />
für x) nicht, daß es einen Gr<strong>und</strong> y gibt, sodaß für alle x gilt, daß y Gr<strong>und</strong> für x ist. Ferner<br />
zeigen sowohl unterschiedlich modellierte basale Naturkonzepte etwa bei Spinoza, Schelling<br />
oder Whitehead als auch Versuche eines »weichen Naturalismus« 2 oder eines »weichen<br />
Kulturalismus«, der Kant mit Darwin versöhnen will 3 - Versuche also, unsere auf mentale<br />
Repräsentationen gestützten Weltverhältnisse in die (evolutive) Gesamtwelt <strong>zu</strong> integrieren –<br />
die Unverzichtbarkeit eines modellierenden Zugriffs. Gleiches gilt für Charakterisierungen<br />
der Kultur als »hervorgebracht Natürliches« (Gilbert Simondon, Serge Moscovici) oder als<br />
das »natürlich Künstliche« (Helmuth Plessner). 4 Alle Versuche dieser Art stehen unter der<br />
1 Dieser Beitrag erschien erstmals in: Zeitschrift für Kulturphilosophie, Heft 1/2011,<br />
2 Wolfgang Detel, „Forschungen über Hirn <strong>und</strong> Geist“, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie [im folgenden:<br />
DZPhil] 52/6 (2004), 891-920.<br />
3 Jürgen Habermas, „Verantwortliche Urheberschaft <strong>und</strong> das Problem der Willensfreiheit“, in: Dt. Zs. f.<br />
Philosophie 54/5 (2006), 669-707.<br />
4 Gilbert Simondon, Du mode de l’existence des objets techniques, Paris 1958, 256; Serge Moscovici, Versuch<br />
über die menschliche Geschichte der Natur, Frankfurt/M., 1982, 43; Helmuth Plessner, Die Stufen des<br />
1
Begründungshypothek, die Hegel bereits gegen Spinoza geltend gemacht hat: <strong>zu</strong> erklären, wie<br />
das Verhältnis desjenigen Geistes, der diese Prozesse eines Weltverhältnisses als Teil der<br />
Welt modelliert, als Moment eben des derart Modellierten erfaßt werden kann. Dieser<br />
Aufgabe stellen sich Anthropologen durchaus. Sie suchen – ohne daß der Wert ihrer<br />
Forschungserträge in Frage gestellt werden sollte – in unterschiedlicher Weise <strong>zu</strong> erfassen,<br />
etwa wie aus »überprägnanten« Erscheinungen als Präsentationen (Gehlen) 5 Repräsentationen<br />
werden, also aus Dingen »Sachen«. Dabei wird mit Begriffen wie »Projektion« oder<br />
»Rückprojektion« gearbeitet (z.B. bereits bei Ernst Kapp) 6 oder mannigfach weiter<br />
differenzierenden Erklärungen bis hin <strong>zu</strong> solchen auf neurologischer Basis, die das<br />
Zustandekommen von Weltverhältnissen betreffen. Die Identifizierung von Dingen oder<br />
Ereignissen bzw. Ereignisfolgen/Prozessen als Sachen entlastet jedoch nicht von dem<br />
Problem, daß keine Erkenntnis über die Sache ab<strong>zu</strong>lösen wäre von dem Wissen, das der<br />
Erklärende von sich selbst bzw. seinem Repräsentationssystem hat. Ein solches Wissen<br />
basiert auf der Unterstellung von Kompetenzen als Fähigkeiten <strong>zu</strong> erkennen, die sich ihrer<br />
selbst bewußt sind. Hier scheiden sich freilich die Geister: ob in naiv-idealistischer Weise der<br />
Geist als »Bildhauer der Welt« mit dieser Welt sein Verhältnis <strong>zu</strong> ihr selbst festlegt, oder, von<br />
seinen Ergebnissen kontemplativ <strong>zu</strong>rücktretend, sich bloß als Steno- oder Seismograph<br />
erachtet, oder er sich (mit Hegel) als Trieb gewahr wird, der durch die Hemmung seiner<br />
Begierde Natur als Restriktion erfährt, die er schrittweise bearbeitet <strong>und</strong> in seinem Sinne –<br />
<strong>zu</strong>gleich mit sich – bildet.<br />
Damit kommen wir <strong>zu</strong> dem »Andererseits« der Aporie: Alle Versuche, unsere<br />
Weltverhältnisse als Teil der Welt <strong>zu</strong> begreifen, rücken uns in die Position, mit den<br />
unterschiedlichen Optionen eines solchen Begreifens umgehen <strong>zu</strong> müssen. Es ist mit seinen<br />
Alteritäten <strong>zu</strong> konfrontieren, in deren Lichte Leistungen <strong>und</strong> Grenzen ersichtlich werden;<br />
Bewertungen (unter welchen Maßstäben?) sind vor<strong>zu</strong>nehmen etc. Die Reflexion vermag sich<br />
nur selbst <strong>zu</strong> potenzieren, nicht aber in die Welt <strong>zu</strong> integrieren, die ihr eigentliches<br />
Erkenntnisziel ist.<br />
Sowohl hinter den Leitdifferenzen, unter denen Kulturkonzepte verhandelt werden, als auch<br />
denjenigen, die <strong>zu</strong>r Abgren<strong>zu</strong>ng von Konzepten der Natur führen, verbergen sich<br />
unterschiedliche Stufen potenzierter Reflexion: Wenn »Kultur« unter der Leitdifferenz<br />
Organischen <strong>und</strong> der Mensch, Gesammelte Schriften, hrsg. von Günter Dux et al., Bd. 4, Frankfurt/M. 1980,<br />
385, 391.<br />
5 Arnold Gehlen, Urmensch <strong>und</strong> Spätkultur, Frankfurt/M., 1977, 138.<br />
6 Ernst Kapp, Gr<strong>und</strong>linien einer Philosophie der Technik. Zur Entstehungsgeschichte der Kultur aus neuen<br />
Gesichtspunkten, Düsseldorf 1978, 26, 96.<br />
2
»Kultur-Zivilisation« konturiert wird, verdankt sich diese einer erst-stufigen Reflexion als<br />
Selbstvergewisserung des sich objektivierenden Geistes, der sich durch die »Sachzwänge« der<br />
notwendiger Weise ein<strong>zu</strong>setzenden Mittel eingeschränkt sieht (»Tragödie der Kultur« <strong>und</strong><br />
»Kulturpessimismus«) oder – jetzt nicht in Ansehung der Begren<strong>zu</strong>ng durch die Mittel,<br />
sondern in Berücksichtigung ihres Potenzials – sich fortlaufend weitere Bedingungen seiner<br />
Entfaltung erarbeitet (»Kulturoptimismus«). Wird das Kulturkonzept im Horizont der<br />
Leitdifferenz »Kultur-Lebenswelt« gefaßt, zeugt dies von einer höherstufigen Reflexion, die<br />
bereits auf ein Weltverhältnis als (selbstverständlicher) Lebenswelt absieht <strong>und</strong> Formen der<br />
Kulturalisierung (»Ordnung«) einer solchen Lebenswelt auf ihre Leistungen <strong>und</strong> Grenzen hin<br />
untersucht, als Verhältnis <strong>zu</strong> einem Verhältnis. Wird schließlich Kultur als »Einspruch« dem<br />
»System« gegenübergestellt, so werden – in weiterer Höherstufigkeit – funktionale<br />
Ordnungsleistungen der Kulturalisierung von Weltverhältnissen mit den – aus ihrer Sicht<br />
kontingenten – alternativen Sinnverständnissen bezüglich dessen, was »Funktion« sei,<br />
konfrontiert, also »Funktion« reflektiert. Diese Konfrontation ist ihrerseits reflektierbar in<br />
Konzepten der »Inter-« oder »Transkulturalität« etc. 7<br />
Eine analoge Stufung findet sich in einschlägigen Konzeptionen von »Natur«: Als<br />
Unmittelbarkeit einer Verfasstheit, in die wir gestellt sind <strong>und</strong> deren Wirken wir an uns selbst<br />
<strong>und</strong> an unserer Umwelt erfahren, erscheint sie als genetisches <strong>und</strong> qualitiatives Sosein ohne<br />
unser Zutun (natura naturans <strong>und</strong> natura naturata), als uns gegenüberstehendes Subjekt von<br />
Wachstums- <strong>und</strong> Entwicklungsprozessen bzw. ihren Resultaten. In höherstufiger Reflexion<br />
auf unser Verhältnis <strong>zu</strong> dieser Instanz erscheint sie als obstat, als Restriktion, die sich – als<br />
Widerfahrnis – unseren diese Natur erkennen- <strong>und</strong> gestaltenwollenden Eingriffen widersetzt,<br />
unsere Generalisierungen unterläuft, die Prognosen <strong>und</strong> unsere geplanten Eingriffe scheitern<br />
läßt (bis hin <strong>zu</strong> einer »Rache der Natur«). Eine potenzierte Reflexion hierauf, die einer<br />
solchen »Natürlichkeit« einen wenigstens negativen Wert <strong>zu</strong>sprechen will in dem Sinne, dass<br />
derart indisponible Bedingungen nicht <strong>zu</strong> tangieren sind, entdeckt schnell unsere Projektionen<br />
bei der Modellierung einer solchen »Als-ob-Natur«, die wir als ökonomisches Subjekt (»sie<br />
tut nichts umsonst«), züchtendes Subjekt einer Selektion, komplexitätssteigerndes Subjekt<br />
(Komplexität ist ein subjektives Maß des Erkenntnisaufwandes relativ <strong>zu</strong> einer<br />
paradigmatischen Erkenntnisbasis), kurz: als »Technik der Natur« begreifen. Wird diese<br />
Technomorphizität der Naturkonzepte, der die Naturwissenschaften ihre enormen Erfolge<br />
7 Zum Überblick über diese Leitdifferenzen s. Christoph Hubig, „Kulturbegriff – Abgren<strong>zu</strong>ng, Leitdifferenzen,<br />
Perspektiven“, in: Technik <strong>und</strong> Kultur. Bedingungs- <strong>und</strong> Beeinflussungsverhältnisse, hrsg. von Gerhard Bause<br />
<strong>und</strong> Armin Grunwald, Karlsruhe 2010, 55-65.<br />
3
verdanken, ihrerseits als Ausweis der Natürlichkeit dieses Welt<strong>zu</strong>griffs herausgestellt <strong>und</strong><br />
damit der Realismus der Naturwissenschaften gerechtfertigt, finden wir uns in der ersten<br />
Dimension der Aporie wieder. Denn was soll heißen, daß die Natur erfolgreich sei?<br />
Wie auch immer – der Rest eines »W<strong>und</strong>erns« verbleibt auf beiden Seiten der Aporie: Der<br />
Konstruktivist, der, mit Kant gesprochen, der Natur ihre Gesetze vorschreibt, muß, mit Kant,<br />
»bew<strong>und</strong>ern« 8 , daß sein von ihm gestaltetes theoretisches <strong>und</strong> praktisches Naturverhältnis<br />
erfolgreich ist; der Realist hat sich darüber <strong>zu</strong> w<strong>und</strong>ern, daß die Natur vorgesehen hat, daß wir<br />
sie adäquat erkennen können. Erklärungsversuche dieser W<strong>und</strong>er (oder W<strong>und</strong>erlichkeiten)<br />
finden sich auf weltanschaulicher Ebene, will man nicht zirkulär argumentieren in dem Sinne:<br />
»Die Natur hat diejenigen kulturellen Bestrebungen selektiert, die das Natürliche als<br />
deterministischen Selektionsprozeß begreifen <strong>und</strong> sich entsprechend anpassen« oder: »Die<br />
Kultur ist die Gesamtheit der gegenstands-konstitutiven Konstruktionsschemata, die in einer<br />
Kultur als Schemata anerkannt sind«.<br />
Da solche existentiellen Bekenntnisse oder zirkelhafte Ausgangsprämissen nicht Sache der<br />
Philosophie sein sollten, stehen die nachfolgenden Überlegungen unter bescheideneren<br />
Ansprüchen: Ich gehe davon aus, daß die unter den großen Titeln »Kultur/Kulturalismus« <strong>und</strong><br />
»Natur/Naturalismus« diskutierten Konzepte von Weltverhältnissen theoretischer <strong>und</strong><br />
praktischer Art (Konstruktivismus/Realismus, Libertarismus/Determinismus bzw.<br />
»evolutionäre Ethik«) elementar dem Interesse einer – handlungs- <strong>und</strong><br />
planungsermöglichenden – Sicherung, einer Stabilisierung unserer Weltbezüge geschuldet<br />
sind. Diese Sicherung müssen wir erbringen, weil wir sie nicht vorfinden mangels gegebener<br />
Orientierung <strong>und</strong> angetroffener Ausstattung.<br />
Wir müssen uns orientieren <strong>und</strong> unsere Lebensbedingungen selbst erarbeiten. Hierfür steht<br />
<strong>zu</strong>nächst einmal elementar die Technik im weitesten Sinne, also als Intellektual-, Sozial- <strong>und</strong><br />
Realtechnik, als deren Erfinderin im mythischen Kontext die »Kopfgeburt« Athene steht.<br />
Solcherlei Technik kann auf die äußere <strong>und</strong> innere Natur (»Selbsttechnik«) des Menschen<br />
bezogen sein <strong>und</strong> bestimmt <strong>zu</strong>gleich die Herkunft elementarer Kulturkonzepte als<br />
Cultura/Ackerbau oder cultura animi.<br />
Entsprechend will ich versuchen, »Natur« <strong>und</strong> »Kultur« <strong>zu</strong>nächst einmal von »Technik« her<br />
<strong>zu</strong> beleuchten, nicht in der Absicht, technomorphe Natur- oder Kulturkonzepte geltend <strong>zu</strong><br />
machen, sondern das Interesse an »Sicherung« in seine Verästelungen <strong>zu</strong> verfolgen. Dieser<br />
Zugriff erscheint angemessen, weil sowohl auf naturalistischer Seite die Bef<strong>und</strong>e <strong>und</strong> ihre<br />
8 Immanuel Kant, „Erste Fassung der Einleitung <strong>zu</strong>r Kritik der Urteilskraft“, in: Werke in 6 Bänden, hrsg. von<br />
Wilhelm Weischedel, Bd. 5, Darmstadt 1964, 193, 197.<br />
4
Generalisierungen sich dem Zugriff einer technisch-experimentellen Naturerschließung<br />
verdanken (die – aus diesem Gr<strong>und</strong>e – dieser Bef<strong>und</strong>e technisch »anwendbar« macht), <strong>und</strong><br />
auf kulturalistischer Seite die Kulturkonzepte in Abgren<strong>zu</strong>ng von einer Natur entworfen<br />
werden, die als Gegen- oder Korrekturinstanz ex negativo entwickelt wird. Dabei soll in<br />
einem ersten Schritt deutlich werden, daß »Technik«, »Natur« <strong>und</strong> »Kultur« in objektstufiger<br />
Verwendung den Charakter von <strong>Inbegriffen</strong> haben: Sie werden als kategorial inhomogene<br />
Inbegriffe eingesetzt werden, ohne daß hinlänglich auf ein für solche Inbegriffe notwendiges<br />
»einheitliches Interesse« <strong>und</strong> ein daraus resultierendes »einheitliches Bemerken«, wie Husserl<br />
in seiner Charakterisierung von <strong>Inbegriffen</strong> betont hat, 9 abgehoben wird. (Es wird mit den<br />
Begriffen <strong>und</strong> kaum an den Begriffen gearbeitet – das bestimmt den Pluralismus der<br />
Meinungen.) Die Untersuchung dieses einheitlichen Bemerkens bei jenen objektstufigen<br />
Charakterisierungen von Natur <strong>und</strong> Kultur führt uns auf bestimmte modale Inferenzen der<br />
Gr<strong>und</strong>begriffe, die uns veranlassen, in einem zweiten Schritt das Konzept der Medialität<br />
geltend <strong>zu</strong> machen, wie es für Natur einschließlich der menschlichen Natur eine lange<br />
Tradition aufweist, darüber hinaus aber in neuerer Zeit auch für Technik <strong>und</strong> Kultur in<br />
Anschlag gebracht wird: Gr<strong>und</strong>begriffe wie »Ursache-Wirkung«, »Mittel-Zweck«, »Set<strong>zu</strong>ngsinnhaftes<br />
Gebilde (Text)« erweisen sich als korrelativ in dem Sinne, daß die Wirklichkeit des<br />
einen von der Möglichkeit des anderen abhängt. Der Raum dieser Möglichkeit ist das, was als<br />
Medium/Medialität <strong>zu</strong> begreifen ist. Dabei wird deutlich werden, daß die Unterscheidungen,<br />
die sowohl unter den <strong>Inbegriffen</strong> als auch den Konzepten jeweiliger Medialität angebracht<br />
werden, nicht solche zwischen Gegenständen, sondern solche an Gegenständen bzw.<br />
Gegenstandsbereichen sind. Dies verweist uns abschließend auf die Problematik ihres<br />
Einsatzes als Reflexionsbegriffe, die nicht auf die Vorstellungen referieren, sondern Namen<br />
für Strategien sind, unter denen Vorstellungen erzeugt werden. Damit findet sich m.E. ein<br />
Instrumentarium, welches uns erlaubt, die einschlägigen Entwicklungen <strong>zu</strong> diagnostizieren,<br />
ohne ontologische Begründungshypotheken übernehmen <strong>zu</strong> müssen. An die Stelle einer<br />
ontologischen Begründung hat dann diejenige einer praktischen Rechtfertigung unter der Idee<br />
subjektiver Freiheit <strong>zu</strong> treten, die auch der erfolgreichst arbeitende Neurophysiologe oder<br />
Evolutionsbiologie nicht weg<strong>zu</strong>diskutieren vermag. <strong>Von</strong> diesem Standpunkt aus wird<br />
ersichtlich werden, daß unsere Intuition einer wie immer gearteten Einbettung von Kultur in<br />
die Natur als deren besonderer Seinsbereich immer auf einem Verhältnis <strong>zu</strong> einer solcherart<br />
erfahrenen <strong>und</strong> modellierten Natur beruht, welches durch das Naturkonzept selbst nicht<br />
9 Edm<strong>und</strong> Husserl, „Philosophie der Arithmetk“, in: Gesammelte Werke, Bd. 12, hrsg. von Lothar Eley, Den<br />
Haag 1970, 23, 74.<br />
5
abgedeckt sein kann. Das ist eine Gr<strong>und</strong>architektonik, wie sie sich in vielen Facetten von<br />
Hegels Kritik an Spinoza bis <strong>zu</strong> den Paradoxien der Selbstbezüglichkeit immer wieder findet.<br />
2. »Technik«, »Natur«, »Kultur« als Inbegriffe<br />
Werfen wir also <strong>zu</strong>nächst einen Blick auf geläufige Konzepte von Technik, Natur <strong>und</strong> Kultur,<br />
in denen deren Charakter als objektstufiger Inbegriff ersichtlich wird. Ohne Anspruch auf<br />
Vollständigkeit lassen sich für Technik entsprechend ihrer von Max Weber vorgenommenen<br />
allgemeinen Charakterisierung 10 als Inbegriff der Mittel (1) Fertigkeiten, (2) Verfahren <strong>und</strong><br />
Routinen als types, (3) das Wissen über diese Verfahren, (4) die Aktualisierung der Verfahren<br />
als konkreter Mitteleinsatz (token) <strong>und</strong> schließlich (5) die Gesamtheit künstlich produzierter<br />
Gebilde anführen. 11 Während Max Weber ein für diesen Inbegriff konstitutives einheitliches<br />
Interesse <strong>und</strong> Bemerken nur lapidar im planvollen Handeln sah, brachte Martin Heidegger –<br />
wohl unter dem Eindruck seiner Gespräche mit Werner Heisenberg – dieses Interesse schärfer<br />
auf den Begriff: das Interesse spezifisch menschlicher Technik läge neben der Steuerung in<br />
der Sicherung, 12 die eben Erwartbarkeit, Verfügbarkeit, Antizipierbarkeit, Bestellbarkeit <strong>und</strong><br />
Planen ermöglicht. In der Sprache des Ingenieurs ist dies der Bereich der Regelung, wie er<br />
von dem Klassiker der Kybernetik, Ross W. Ashby, in dreifacher Weise bestimmt wurde,<br />
nämlich (1) als statische Verteidigung, statischer Schutz vor störenden Einflüssen, (2) als<br />
Kompensation von Störungen qua Störgrößenaufschaltung unter Modellen solcher Störungen<br />
<strong>und</strong> (3) – dies ist der engere Begriff der Regelung im Sinne der DIN 19226 – als Nut<strong>zu</strong>ng der<br />
störungsbedingten Abweichung von einer Sollgröße als rückgekoppelten <strong>zu</strong>sätzlichen<br />
Steuerungsimpuls. 13 Alle diese Regelungsformen sind seit der neolithischen Revolution in<br />
den technischen Systemen vorfindlich <strong>und</strong> machen – mit graduellen Übergängen – den<br />
Unterschied zwischen dem instrumentellen Agieren höherer Spezies <strong>und</strong> spezifisch<br />
menschlicher Technik aus. Diese Sicherung besteht mithin in der Einbettung instrumentellen<br />
Handelns in technische Systeme. Sie findet ihr Analogon in der Einbettung in<br />
intellektualtechnische Systeme der Zeichenverwendung <strong>und</strong> -deutung bis hin <strong>zu</strong> Theorien<br />
sowie der Einbettung in sozialtechnische Systeme der Normierung von Interaktionen. Deshalb<br />
10 Max Weber, Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft, Tübingen 1921/1976, 32.<br />
11 Christoph Hubig, Die Kunst des Möglichen, Bd. 1, Bielefeld 2006, 28.<br />
12 Martin Heidegger, Die Technik <strong>und</strong> die Kehre, Pfullingen 1962, 18, 27.<br />
13 William Ross Ashby, Einführung in die Kybernetik, Frankfurt/M. 1974, 290.<br />
6
konnte Heidegger formulieren: »Das Wesen der Technik ist nichts Technisches«, 14 <strong>zu</strong> lesen<br />
als: Das Wesen der Technik ist nichts Instrumentelles, sondern liegt in ihrem Charakter als<br />
Gestell, welches sowohl die Natur überformt als auch den Menschen herausfordert, wenn er<br />
sein Handeln gelingen lassen will. Ashby formulierte ganz in diesem Sinne: »Perfekte<br />
Regelung [– heideggerianisch: Sicherung –] macht das Gelingen der Steuerung möglich«. 15<br />
Auf technikhistorische Irrtümer im Rahmen von Heideggers Diagnose möchte ich hier jetzt<br />
nicht weiter eingehen – so ist z.B. die von ihm zitierte Wassermühle als Gegeninstanz <strong>zu</strong>m<br />
Wasserkraftwerk im Rhein ebenfalls ein geregeltes System; der Unterschied liegt in der<br />
Umlenkung von Kräften hin <strong>zu</strong>r Wandlung von Kräften.<br />
Analoge Schichtungen finden wir nun auch im Inbegriff der Natur, der als Inbegriff des<br />
Wirkens <strong>zu</strong> fassen wäre, welches ohne Zutun des Menschen oder allenfalls auf dessen<br />
Veranlassung hin eintritt <strong>und</strong> diese Veranlassung ermöglichen soll. So erscheint Natur (1) als<br />
Gesamtheit der Kräfte <strong>und</strong> Substanzen in Gestalt von Dispositionen <strong>und</strong> Restriktionen, (2) als<br />
Gesetzmäßigkeit von Verläufen, (3) als Inhalt von Hypothesen über jene beiden, (4) als<br />
Gesamtheit realer Wirkungen einschließlich evolutionärer Prozesse <strong>und</strong> schließlich (5) als<br />
Gesamtheit solchermaßen entstandener, entwickelter <strong>und</strong> »gewachsener« Gestalten, wobei die<br />
Charakterisierung als gewachsen im Unterschied <strong>zu</strong> dem technischen Produzieren einen noch<br />
unbestimmten Aspekt des Nicht-Disponiblen vorläufig charakterisieren soll. Das »einheitliche<br />
Interesse <strong>und</strong> Bemerken«, welches diese kategorial inhomogenen Momente eines<br />
solchermaßen grob skizzierten Inbegriffs <strong>zu</strong>sammenhält, ist die Fixierung auf eine Arché als<br />
Titel für nicht-anthropogene Prinzipien <strong>und</strong> Gesetzmäßigkeiten, die <strong>zu</strong>sammen eine gegebene<br />
Ordnung ausmachen, die ihrerseits der Topos ist, unter dem Natur als Ganzheit begriffen<br />
wird. Dieser Auffassung liegt jedoch, wie es insbesondere Edm<strong>und</strong> Husserl herausgearbeitet<br />
<strong>und</strong> Heidegger <strong>zu</strong>m Gr<strong>und</strong><strong>zu</strong>g seiner Metaphysik-Kritik gemacht hat, bereits ein<br />
technomorphes Naturverständnis <strong>zu</strong>gr<strong>und</strong>e, insofern nämlich, als die Natur als transzendentes<br />
Subjekt, personalisiert im Schöpfer, säkularisiert in Schöpfung oder Evolution, gedacht wird,<br />
so dass Hans Michael Baumgartner sinngemäß ausführen konnte: Das Wesen der Natur ist<br />
nichts Natürliches. 16<br />
Ähnlich facettenreich erscheint Kultur als Inbegriff der Traditionsbildung. Dieser umfaßt –<br />
unterschiedlich fokussiert in den verschiedenen kulturphilosophischen Ansätzen – (1)<br />
14 Heidegger, Die Technik <strong>und</strong> die Kehre, 20f.<br />
15 William Ross Ashby, Einführung in die Kybernetik, Frankfurt/M. 1974, 290.<br />
16 Hans Michael Baumgartner, Natur aus der Perspektive spekulativer <strong>und</strong> kritischer Philosophie, in: Natur als<br />
Gegenstand der Wissenschaften, hrsg. von Ludger Honnefelder, Freiburg/München 1992, 244.<br />
7
dingliche, epistemische <strong>und</strong> normative Schemata als gesetzte Ordnungen <strong>und</strong> Dispositive, 17<br />
(2) die Institutionalisierungsprozesse, die Prozesse des Setzens, (3) ein kanonisiertes<br />
Orientierungswissen hierüber einschließlich eines reflexiven Wissens über unterschiedliche<br />
Konzepte von Kultur überhaupt, (4) ein Sich-Orientieren unter solchen Ordnungen als deren<br />
»strategische Wiederauffüllungen« (Foucault) <strong>und</strong> schließlich (5) alle Gebilde, die als<br />
sinnhaft, nämlich als Objektivationen des Geistes, als nachvollziehbare Resultate eines<br />
solchen Sich-Orientierens, erscheinen – »Texte« i.w.S. 18 Ein einheitliches Interesse <strong>und</strong><br />
Bemerken zielt auf eine Tradierung der Sicherung menschlicher Existenz als Ermöglichung<br />
ihrer Permanenz, konkreter, wie es Peter Janich einmal formuliert hat, auf die Tradierung<br />
situations- <strong>und</strong> personeninvarianter Praxen als Schemata, 19 wobei hier Schellings<br />
Charakterisierung von Schema als sinnlich-anschaubarer Regel paßt. 20 Wissend nicht nur um<br />
die Unterschiedlichkeit von Kulturen, sondern auch unter dem Eingeständnis einer Alterität<br />
kultureller Auffassungen darüber, was Kultur überhaupt sei, wäre analog <strong>zu</strong> den Aperçu’s,<br />
daß das Wesen der Technik nichts Technisches <strong>und</strong> das Wesen der Natur nichts Natürliches<br />
sei, hier an<strong>zu</strong>merken, daß das Wesen der Kultur sehr wohl etwas Kultürliches ist.<br />
Bild 1: Analogie der Inbegriffe<br />
17 Michel Foucault, Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen <strong>und</strong> Wahrheit, Berlin 1978; hier<strong>zu</strong> Christoph<br />
Hubig, „‚Dispositiv‘ als Kategorie“, in: Internationale Zeitschrift für Philosophie 1 (2000), 34-47.<br />
18 Hubig, Die Kunst des Möglichen, 240ff.<br />
19 Peter Janich, „Die Struktur technischer Innovationen“, in: Dirk Hartmann, Peter Janich (Hg.), Die<br />
kulturalistische Wende, Frankfurt/M. 1998, 129-177, hier 37f.<br />
20 Friedrich Wilhelm Josef Schelling, Sämmtliche Werke, hrsg. von K.F.A. Schelling, Bd. I/3, Stuttgart 1856-61,<br />
510.<br />
8
Technik<br />
Natur<br />
Kultur<br />
Potenzial<br />
Fertigkeiten<br />
Gesamtheit der Kräfte als<br />
Dispositionen<br />
Schemata als<br />
Dispositive<br />
Regelung des<br />
Prozessierens<br />
Verfahren als types<br />
Gesetzmäßigkeiten von<br />
Verläufen<br />
Institutionalisierungsprozesse<br />
Repräsentation<br />
Wissen über diese<br />
Verfahren<br />
hypothetische<br />
Naturgesetze<br />
kanonisiertes<br />
Orientierungswissen<br />
Verwirklichung<br />
Aktualisierung<br />
dieser Verfahren<br />
Eintretende Wirkungen,<br />
einschl. derjenigen<br />
evolutionärer Prozesse<br />
Sich-Orientieren /<br />
Strategische<br />
Wiederauffüllung<br />
Ergebnisse<br />
(Wirklichkeit)<br />
Gesamtheit künstlich<br />
produzierter<br />
Gebilde<br />
Gesamtheit gewachsener<br />
Gebilde<br />
Gesamtheit sinnhafter<br />
Gebilde (»Texte«)<br />
Der Einsatz dieser Inbegriffe oder fokussierter Teilelemente dieser Inbegriffe in den<br />
gegenwärtigen Debatten bringt eine ganze Reihe von Problemen mit sich, die in<br />
unterschiedlicher Weise bearbeitet werden. So wird erstens immer wieder auf Äquivokationen<br />
im Zuge der Verwendung von Teilbegriffen jener kategorial inhomogenen Inbegriffe<br />
verwiesen, <strong>und</strong> man versucht entsprechend, das Problem definitorisch <strong>zu</strong> bereinigen. Daraus<br />
resultiert die erwähnte Vielfalt von Ansätzen, die sich untereinander nichts <strong>zu</strong> sagen haben,<br />
weil sie mit den Begriffen <strong>und</strong> nicht an den Begriffen arbeiten. Dramatischer gestaltet sich<br />
jedoch die Situation, wenn mit unterschiedlich fokussierten Teilbegriffen jener Inbegriffe eine<br />
Modellierung von Verhältnissen zwischen jenen Bereichen des Technischen, des Natürlichen<br />
<strong>und</strong> des Kultürlichen vorgenommen wird. Objektstufige Abgren<strong>zu</strong>ngen oder ein<br />
objektstufiger Aufweis von Einbettung, von Bedingtheit <strong>und</strong> »Wechselwirkungen« von Natur,<br />
Technik <strong>und</strong> Kultur lassen sich unschwer auf die jeweiligen Fokussierungen <strong>zu</strong>rückführen<br />
<strong>und</strong> mit Hinweis auf das jeweils nicht Erfaßte konterkarieren. Dies gilt etwa für technische,<br />
geregelte Systeme in ihrem Status als naturwissenschaftliche Experimente – Francis Bacons<br />
»vexatio naturae artis« – im Kontrast <strong>zu</strong> möglichen Störungen durch eine externe<br />
»ursprüngliche« Natur, oder den Aufweis zivilisatorisch-kultureller Bedingungen für<br />
dasjenige, was wir als die »Natur« unseres Leibes erfahren, oder die Modellierung von<br />
Supervenienzen, Auf- <strong>und</strong> Abwärtskausalitäten in der Gehirn-Geist-Interaktion etc.. In der<br />
Regel wird hierbei auf den eigenen Standpunkt, von dem aus die Modellierungen<br />
vorgenommen werden, in <strong>zu</strong> geringem Maße reflektiert, ja im Gegenteil: Es werden unter<br />
9
plausibel erscheinenden Gr<strong>und</strong>annahmen dogmatische Systeme aufgebaut, wie sie<br />
insbesondere die philosophische Anthropologie prägen, <strong>und</strong> es wird dabei objektstufig ein<br />
jeweilig so oder so gefaßtes Gr<strong>und</strong>verhältnis zwischen Mensch als technischem Subjekt,<br />
seiner Natur <strong>und</strong> seiner Kultur unterstellt. So erscheint mal der Mensch als biologisches<br />
Mängelwesen oder als kulturinitiierendes Überschußwesen (Arnold Gehlen vs. Ernst Kapp)<br />
oder Kultur <strong>und</strong> Technik erscheinen als Krönung oder als Katastrophe der Evolution (Jacques<br />
Ellul vs. Franz Wuketits). 21 Diese Meinungsvielfalt verdankt sich einem verborgenen<br />
Technomorphismus, in dessen Lichte der Mensch oder die Evolution als technisches Problem<br />
erscheinen, welches mittels Technik gelöst werden soll bzw. kann bzw. wird. Das spricht<br />
nicht gegen Technomorphismus überhaupt, sondern nur gegen dessen unreflektierte<br />
Hypostasierung.<br />
Letztlich scheitern jene monistischen Ansätze an der Unmöglichkeit der Selbstverortung des<br />
denkenden Subjektes im gedachten System <strong>und</strong> ersetzen das kantische »Bew<strong>und</strong>ern«<br />
bestimmter Erkenntnisleistungen des Subjekts, die unter diesen Modellierungen möglich sind,<br />
durch ein blindes Vertrauen auf die Triftigkeit plausibilitäts- oder induktionsgestützter<br />
Generalisierungen.<br />
Versuchen wir daher, etwas weiter an den Begriffen <strong>zu</strong> arbeiten.<br />
3. Modale Inferenzen der korrelativen Gr<strong>und</strong>begriffe für Technik, Natur, Kultur<br />
Innerhalb der Bereiche von Technik, Natur <strong>und</strong> Kultur wird das konkrete Prozessieren jeweils<br />
mit zwei korrelativen Gr<strong>und</strong>begriffen gefaßt. Für die Technik scheinen mir dies Mittel <strong>und</strong><br />
Zweck <strong>zu</strong> sein, für die Natur Ursache <strong>und</strong> Wirkung <strong>und</strong> für die Kultur Set<strong>zu</strong>ng <strong>und</strong> Resultat<br />
dieser Set<strong>zu</strong>ng: sinnhaftes Gebilde. Ich will dabei auf bestimmte modale Inferenzen abheben,<br />
die die Spezifik jener Bereiche näher <strong>zu</strong> erhellen erlauben, als es die für sich dastehenden<br />
Gr<strong>und</strong>begriffe m.E. vermögen. Denn diese Gr<strong>und</strong>begriffs-Paare, mit denen innerhalb dieser<br />
Teilbereiche operiert wird, erlauben für sich gesehen gerade nicht die Modellierung eines<br />
Verhältnisses zwischen den Teilbereichen Technik, Natur, Kultur. Ein flüchtiger Blick zeigt<br />
nämlich sogleich, daß Mittel als Ursachen <strong>und</strong> Zwecke als Wirkungen oder physische<br />
Ursachen als Mittel für Steuerungseffekte als Zwecke <strong>und</strong> kultürliche Set<strong>zu</strong>ngen wiederum<br />
als Mittel oder Ursachen <strong>zu</strong>r Erzeugung sinnhafter Gebilde als Zwecke oder Wirkungen<br />
21 S. hier<strong>zu</strong> die Darstellung in: Hubig, Die Kunst des Möglichen, Kap. 2-3.<br />
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erachtet werden können. Wie dieses Erachten geartet ist, legt dann fest, was als worin<br />
eingebettet oder durch was bedingt gedacht wird.<br />
Betrachtet man hingegen modale Inferenzen dieser korrelativen Gr<strong>und</strong>begriffe, so kommen<br />
unterschiedliche Möglichkeitsräume in den Blick, die erlauben, diese Bereiche über einen<br />
jeweils unterschiedlichen Typ von Medialität genauer <strong>zu</strong> charakterisieren. Für die Technik<br />
heißt dies <strong>zu</strong>nächst, daß Zwecke nur solche sind bei unterstellter Herbeiführbarkeit (sonst<br />
sprechen wir von bloßen Wünschen). Mittel sind nur solche bei unterstellter Dienlichkeit für<br />
einen Zweck, also nicht als Dinge oder Ereignisse per se. Herbeiführbarkeit <strong>und</strong> Dienlichkeit<br />
sind modale Inferenzen, die noch potenzierbar sind, wenn die Herbeiführbarkeit qua<br />
möglicher Mittel unterstellt wird bzw. die Dienlichkeit für mögliche Zwecke. Analog verhält<br />
es sich mit Ursache <strong>und</strong> Wirkung, sofern sie nicht als ceteris paribus regelmäßige Sukzession,<br />
sondern naturgesetzlich modelliert werden: Wirkung wird als Wirkung einer Ursache unter<br />
deren modaler Inferenz einer möglichen Kraft, als Potential, gedacht, die sich in der Wirkung<br />
aktualisiert, <strong>und</strong> dies nur unter der Bedingung, daß die Natur der Substanz, in der sich die<br />
Kraft aktualisiert, als Disposition, erlaubt, daß die Ursache diese Wirkung zeitigt. Die<br />
kultürliche Korrelation zwischen Set<strong>zu</strong>ng <strong>und</strong> ihrem Ergebnis, dem sinnhaften Gebilde zeigt<br />
für den Bereich der Kultur analoge modale Inferenzen für Set<strong>zu</strong>ng <strong>und</strong> sinnhaftes Gebilde.<br />
Eine Set<strong>zu</strong>ng gilt nur als eine solche, wenn sie innerhalb eines Schemas, eines Codes im<br />
weitesten Sinne als dessen Aktualisierung möglich ist, <strong>und</strong> ein Gebilde ist nur dann sinnhaft,<br />
wenn eine Einstellung als Verhältnis des Verstehens <strong>zu</strong> einem solchen Gebilde aktualisiert<br />
werden kann. Die dieses f<strong>und</strong>ierende Möglichkeit ist diejenige der Intentionalität als<br />
Fähigkeit <strong>zu</strong>m Sich-Orientieren, des sich Ins-Verhältnis-Setzens <strong>zu</strong> (Sinn-)Optionen als<br />
Schemata.<br />
Die korrelativen Gr<strong>und</strong>begriffe sind in allen drei Bereichen also deshalb korrelativ, weil der<br />
eine Begriff jeweils eine Aktualisierung einer Möglichkeit ist, die als Potential unter dem<br />
jeweils anderen Begriff mit thematisiert ist. Mittel <strong>und</strong> Zwecke hängen <strong>zu</strong>sammen qua<br />
Herbeiführbarkeit <strong>und</strong> Dienlichkeit, Ursache <strong>und</strong> Wirkung qua Kraft als Potenzial <strong>und</strong><br />
Disposition <strong>zu</strong>r Aktualisierung der Kraft, Set<strong>zu</strong>ng <strong>und</strong> sinnhaftes Gebilde qua Schema/Code<br />
<strong>und</strong> Intentionalität. Die drei Bereiche Technik, Natur, Kultur unterscheiden sich mithin durch<br />
unterschiedliche modale Inferenzen ihrer korrelativen Gr<strong>und</strong>begriffe; Inferenzen, die die<br />
Korrelation als eine jeweilig spezifische erscheinen lassen <strong>und</strong> allesamt durch<br />
Dispositionsprädikate bezeichnet werden.<br />
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Bild 2: Gr<strong>und</strong>begriffe <strong>und</strong> modale Inferenzen<br />
korrelative Gr<strong>und</strong>begriffe<br />
modale Interferenzen<br />
Technik Mittel – Zweck Dienlichkeit – Herbeiführbarkeit<br />
Natur Ursache – Wirkung Kraft als<br />
Potenzial<br />
– Disposition <strong>zu</strong>r<br />
Aktualisierung<br />
jener Kraft<br />
Kultur Set<strong>zu</strong>ng – sinnhaftes<br />
Gebilde<br />
Codierbarkeit/<br />
Sinnhaftigkeit,<br />
Schema<br />
– Intentionalität/<br />
Fähigkeit <strong>zu</strong>m<br />
Sich-Orientieren<br />
Ich schlage nun vor, für eine Untersuchung des Verhältnisses dieser drei Bereiche auf jene<br />
Dispositionen ab<strong>zu</strong>heben. Hierfür bietet sich an, das Konzept der Medialität in Anschlag <strong>zu</strong><br />
bringen, weil unter diesem Konzept klassischerweise jene Ermöglichungsverhältnisse<br />
material diskutiert werden.<br />
4. Medium als »eigentliche« <strong>und</strong> »absolute« Metapher<br />
Was haben wir überhaupt <strong>zu</strong> erwarten, wenn nun »Medium« oder »Medialität« ins Felde<br />
geführt werden, um die Klärung weiter<strong>zu</strong>bringen? Wenn von den Verfechtern der<br />
unterschiedlichen Medienphilosophien vorwurfsvoll darauf verwiesen wird, daß Medien<br />
»bislang den blinden Fleck der Philosophie abgegeben« hätten, wird gerade der Gr<strong>und</strong><br />
angesprochen, warum es keine buchstäbliche Medienphilosophie geben kann. 22 Unsere<br />
Intuition, die auf ein Vermittelndes abzielt, das jene vorhin angesprochenen Konnexe<br />
her<strong>zu</strong>stellen vermag, wird enttäuscht, sofern wir uns von diesem Vermittelnden selbst eine<br />
Vorstellung machen wollen, wo es sich doch nur in seinen Resultaten zeigt. Beim<br />
Philosophieren müßte diese Vorstellung die Vorstellung ihrer eigenen Möglichkeit in Gänze<br />
mit einschließen. Daß wir uns mit Metaphern behelfen, wenn solche Möglichkeiten<br />
vorgestellt werden sollen, wie z.B. derjenigen des »Raumes des Möglichen«, führt diese<br />
Schwierigkeiten vor. Und so ist auch Medium <strong>zu</strong>nächst nichts als eine Metapher, <strong>und</strong> zwar<br />
eine technomorphe Metapher (wie der Begriff »Metapher« selbst), die einen Eindruck, wie er<br />
22 Jochen Hörisch, „Der blinde Fleck in der Philosophie: Medien“, in: DZPhil 5 (2003), 888-890.<br />
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ei Herstellungs- oder Schöpfungsprozessen gezeitigt wird, auf andere Seinsbereiche<br />
überträgt. Freilich ist diese Metapher keine bloß ursprüngliche Metapher mit heuristischer<br />
Leistung, die dann in Begriffe übersetzbar wäre, sondern eher im Sinne von Bruno Snell <strong>und</strong><br />
Josef König eine eigentliche Metapher als Ausdruck für eine Instanz erfahrener Wirkungen,<br />
eine absolute Metapher als Ausdruck für eine gr<strong>und</strong>legende Formierung unseres Denkens, der<br />
wir nicht entrinnen können. 23 In der Tradition wird diese Metapher eingesetzt <strong>zu</strong>r<br />
Charakterisierung ursprünglicher basaler Vermittlungselemente äußerer Art der Natur<br />
(Wasser, Luft), auch des Leibes (z.B. bei Paracelsus), ferner aber auch <strong>und</strong> gerade, worauf<br />
Hegel hinweist, für innere oder geistige Vermittlungsinstanzen, wie sie beispielsweise die<br />
Sprache ausmacht im Bereich der Kultur. 24 Diese Doppelung findet sich bereits in der<br />
Ursprungsszene der Medialität, Platons Timaios, in der diese einerseits als Chora, Raum<br />
umherschweifender Ursachen bindungsloser Kausalität charakterisiert wird, andererseits als<br />
Schüttelsieb, nach Maßgabe dessen diese Ursachen überhaupt unterscheidbar werden. 25<br />
Jedenfalls vermitteln diese Medien irgendwie zwischen Schöpfer <strong>und</strong> Schöpfung oder<br />
zwischen Schöpfung als Akt <strong>und</strong> Geschöpf als dessen Resultat, <strong>und</strong> sie aktualisieren sich als<br />
irgendwie geartete Botschaft ihrer Verfaßtheit in der Wirklichkeit des Resultats. Sie sind, wie<br />
es im Timaios heißt, nur über einen »Bastard-Schluß«, 26 modern: eine Abduktion<br />
erschließbar, auf die, wie Hegel formuliert, »reale Möglichkeit […], worin diese<br />
Bestimmungen alle sind« 27 oder noch prägnanter bei ihm auf ein »Auch von Eigenschaften«,<br />
welche sich als Überraschung oder Enttäuschung, jedenfalls als Widerfahrnis im intendierten<br />
Resultat offenbaren. 28<br />
Die bislang vage charakterisierte unmittelbare, natürliche Medialität ist sowohl als äußere als<br />
auch als innere von alters her Gegenstand von Versuchen einer technischen Überformung, die<br />
ihr den Widerfahrnischarakter nehmen soll. Es entstehen, wie u.a. Hans Freyer<br />
nachgezeichnet hat, »sek<strong>und</strong>äre Systeme«, die die Sicherheit der Zielrealisierung, die<br />
Sicherheit des Gelingens überhaupt, gewährleisten sollen. So führt Hans Freyer neben<br />
anderem die Artifizialisierung der Stoffe <strong>und</strong> Kräfte (qua Wandlung <strong>und</strong> Speicherung) an,<br />
einschließlich unseres Körpers, wodurch die Effektivität der Zielrealisierung erhöht wird.<br />
23 Josef König, „Bemerkungen <strong>zu</strong>r Metapher“, in: Kleine Schriften, hrsg. von Günter Dahms, Freiburg 1994,<br />
156-176; Bruno Snell, Die Entdeckung des Geistes. Studien <strong>zu</strong>r Entstehung des europäischen Denkens bei den<br />
Griechen, Göttingen 1946; Hans Blumenberg, Theorie des Unbegrifflichen, Frankfurt/M. 2007.<br />
24 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Wissenschaft der Logik, Frankfurt/M. 1969, 431.<br />
25 Platon, „Timaiois“, in: Platons Werke (griechisch/deutsch), hrsg. von Fr. W. Wagner, Leipzig 1845, 51c.<br />
26 Platon, Timaiois, 52b.<br />
27 Hegel, Wissenschaft der Logik, 431.<br />
28 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, hrsg. von Johannes Hoffmeister, Hamburg<br />
1957, 91.<br />
13
Ferner verweist er auf die <strong>zu</strong>nehmende Organisierung <strong>und</strong> Delegation der Arbeitsprozesse,<br />
unter der die Effizienz als Aufwandsminimierung vergrößert wird. Schließlich hebt er,<br />
ähnlich wie Heidegger, ab auf die damit verb<strong>und</strong>ene Herausforderung an den Menschen<br />
selbst, die Zivilisierung als notwendige Unterdrückung <strong>und</strong> Transformation der Triebe<br />
einschließlich entsprechend funktionalisierter Triebausbrüche in Gestalt künstlicher<br />
Erlebniskulturen wie Abenteuerurlaub etc. – eine Funktionalisierung des Menschen, die in die<br />
Systemfunktionalität eingeb<strong>und</strong>en sein muß, wollte man nicht auf die entsprechenden<br />
Systemleistungen verzichten. 29 Diese Dominanz des Technischen präge die moderne Kultur.<br />
Jene allgemeinen Charakterisierungen, verb<strong>und</strong>en mit den für die kulturpessimistische Szene<br />
der ersten Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts typischen durchaus scharfsinnigen Diagnosen <strong>und</strong><br />
Prognosen, laden da<strong>zu</strong> ein, <strong>zu</strong> einer Analyse der Binnenstruktur der Medialität weiter<strong>zu</strong>gehen,<br />
aus der vielleicht Impulse für eine weitere Klärung unserer Fragestellung resultieren könnten.<br />
Wie beim Einsatz derart allgemeiner Konzepte <strong>zu</strong> erwarten, haben wir bislang kein besonders<br />
spektakuläres Ergebnis. Der Versuch einer Systematisierung bestimmter<br />
Argumentationslinien der Medienphilosophien läßt jedoch deutliche Analogien zwischen den<br />
Binnenstrukturen der Medialität für die Bereiche der Technik, Kultur <strong>und</strong> der Natur<br />
ersichtlich werden, was nicht überrascht angesichts der technomorphen Verfaßtheit der<br />
Naturkonzepte, sowohl – im weiteren Sinne – im theoria-Paradigma der Antike als auch – im<br />
engeren Sinne – im interventionistischen Paradigma Bacon’scher Naturwissenschaft.<br />
Deutliche Unterschiede werden jedoch erkennbar für den Bereich der Kultur, die in neuerer<br />
Zeit, z.B. bei Ernst Wolfgang Orth, ebenfalls als Medium modelliert wird. 30 Beginnen wir mit<br />
dem einfachen Fall technischer Medialität, orientiert am technischen Handlungsvoll<strong>zu</strong>g.<br />
Auf einer ersten Ebene wird ein Möglichkeitsraum als Raum der Realisierung möglicher<br />
Zwecke unterstellt, <strong>und</strong> zwar <strong>zu</strong>nächst im Sinne einer potenziellen Ermöglichung. Diese<br />
basiert als äußere Medialität auf der Unterstellung von Ursächlichkeit angeboten, den<br />
»umherschweifenden Ursachen« der platonischen Chora, »lose gekoppelten Ursachen«, wie<br />
Niklas Luhmann in Übernahme der Formulierung Fritz Heiders sie nennt, 31 als<br />
Möglichkeitsraum <strong>zu</strong>nächst der Trennung von Ursachen. Die Unterscheidbarkeit dieser<br />
trennbaren Ursachen macht die Dimension innerer Medialität auf dieser Ebene aus. Platons<br />
Metapher des Schüttelsiebs als Ordnungsinstanz steht für das vom Subjekt bzw. den<br />
29 Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, Berlin 1955.<br />
30 Ernst Wolfgang Orth, Was ist <strong>und</strong> was heißt „Kultur“? Dimensionen der Kultur <strong>und</strong> Medialiät der<br />
menschlichen Orientierung. Würzburg 2000, 29ff.<br />
31 Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft Bd.1, Frankfurt/M. 1998; vgl. Hubig, Die Kunst des<br />
Möglichen, 155f.<br />
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Demiurgen in Anschlag gebracht Instrument, nach Maßgabe dessen die umherschweifenden<br />
Ursachen identifizierbar werden.<br />
Neben dieser ersten Ebene potenzieller Ermöglichung liegt nun eine zweite Ebene des<br />
Medialen, die als Wirklichkeitsraum der Realisierung möglicher Zwecke, also der realen<br />
Ermöglichung, <strong>zu</strong> erachten ist. Im medientheoretischen Jargon spricht man hier von einer<br />
»Performanz des Medialen«; gemeint ist seine Verfaßtheit in konkreten technischen<br />
Systemen. 32 Als Beispiel für den Übergang von der ersten <strong>zu</strong>r zweiten Ebene sei aus dem<br />
künstlerisch-technischen Bereich das Verhältnis der dreidimensionalen Perspektive, unter der<br />
Größen, Abstände <strong>und</strong> Bewegungsdauern identifiziert werden, hin <strong>zu</strong>r Installation einer<br />
Guckkasten-Bühne oder eines Fotoapparates erwähnt, die einen realen Möglichkeitsraum für<br />
die Wahrnehmung entsprechend überformter <strong>und</strong> modifizierter Effekte abgibt. Die äußere<br />
Seite derartiger medialer Performanz ist durch die Infrastruktur der jeweiligen technischen<br />
Systeme (einschließlich der messtechnischen Systeme, die die experimentelle Naturforschung<br />
ermöglichen) gegeben, ihre innere Seite durch entsprechend unterstellte Funktionsideen.<br />
(Wenn wir dies einmal auf ein prosaisches <strong>und</strong> elementares Beispiel technischer Medialität<br />
herunter buchstabieren, würde sich etwa für ein Schienenverkehrssystem als Element einer<br />
Kultur des Reisens folgendes ergeben: Ein solches System ermöglicht das Erreichen von<br />
bestimmten Reisezielen <strong>und</strong> verunmöglicht das Erreichen anderer Ziele unter Nut<strong>zu</strong>ng der im<br />
System bereitgestellten Mittel <strong>zu</strong> anderen als den vorgesehenen Zeitpunkten. Ein solches<br />
System sei ein Medium des entsprechenden Verkehrs. Auf der Ebene potenzieller<br />
Ermöglichung (1) ist seine äußere Medialität gegeben u.a. durch die maximale Steigfähigkeit<br />
des Verkehrsmittels, seine innere Medialität durch den Stand des jeweiligen technischen<br />
Knowhows. Auf der Ebene realer Ermöglichung (2) wäre die äußere Medialität u.a. durch die<br />
Verfaßtheit des realen Schienennetzes <strong>und</strong> den Zustand der Fahrzeuge realisiert, die innere<br />
Medialität u.a. durch die – etwa im Fahrplan ausgedrückten - Funktionsideen. Zu ergänzen<br />
wäre diese Aufzählung durch die Angabe der institutionellen <strong>und</strong> organisatorischen<br />
Verfaßtheiten der Betreiber <strong>und</strong> Nutzer des Systems.) Dieser Raum der Realisierung<br />
möglicher Zwecke macht, um einen beliebten aber <strong>und</strong>ifferenziert verwendeten Topos in der<br />
Medialitätsdiskussion an<strong>zu</strong>bringen, die »Spuren für …« einer Realisierung aus, die »Bahnen«<br />
– einem Vorschlag Eugen Finks folgend. 33 In diesem Raum findet qua instrumentellem<br />
Handeln eine Aktualisierung der Möglichkeiten statt, eine, wie Niklas Luhmann es ausdrückt:<br />
32 Sybille Krämer, „Das Medium als Spur <strong>und</strong> als Apparat“, in: Dies. (Hg.), Medium, Computer, Realität,<br />
Wirklichkeitsvorstellungen <strong>und</strong> neue Medien, Frankfurt/M. 2000, 29.<br />
33 Eugen Fink, Nähe <strong>und</strong> Distanz, Freiburg 1976, 184-186.<br />
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»feste Kopplung« zwischen den medialen Elementen (so wie im natürlichen Medium der Luft<br />
beim Versuch akustischer Kommunikation die lose gekoppelten Luftmoleküle angestoßen<br />
<strong>und</strong> dirigiert werden, um das Beispiel des Aristoteles 34 <strong>zu</strong> erwähnen). Ergebnis dieser<br />
Aktualisierung (3) ist die Erfahrung einer Differenz zwischen dem intendierten <strong>und</strong> dem<br />
realisierten Zweck (Hegel spricht hier von einer Differenz zwischen dem subjektiven <strong>und</strong> dem<br />
objektiven Zweck), 35 wobei in dieser Differenzerfahrung die Medien Spuren hinterlassen im<br />
Sinne einer »Spur von …«. Diese Enttäuschung veranlaßt einen abduktiven Schluß (4) auf die<br />
Verfaßtheit des Mediums, seine Surplus-Eigenschaften (Hegels »Auch von Eigenschaften«)<br />
<strong>und</strong> seine Restriktionen, <strong>und</strong> veranlaßt im Bereich des Technischen dann ggf. eine weitere<br />
Überformung <strong>und</strong> Umarbeitung der technischen Systeme als Medien.<br />
Die jeweilige Unterscheidung zwischen Mittel <strong>und</strong> Medium, wobei Mittel die Aktualisierung<br />
des Mediums ist, ist allerdings abhängig vom eingenommenen Standpunkt der Betrachtung<br />
<strong>und</strong> Wertung: Ein Haus kann als geeignetes manifestes Mittel <strong>zu</strong>m Schutz vor Witterung <strong>und</strong><br />
<strong>zu</strong>gleich als ungeeignetes Medium – Möglichkeitsraum - des Wohnens als »Kultur« erachtet<br />
werden. Eine E-mail ist ein Mittel <strong>zu</strong> Überbringung einer Beileidsbek<strong>und</strong>ung <strong>und</strong> <strong>zu</strong>gleich ein<br />
Medium, das bestimmte Dimensionen des Austauschs persönlicher Anteilnahme restringiert.<br />
Bezüglich der Konzeptualisierung von Natur als Medium lassen sich nun deutliche Analogien<br />
<strong>zu</strong> jenem Vierer-Schritt feststellen; die Analogie fällt enger oder weiter aus, je nachdem, ob<br />
Natur im interventionistischen Paradigma seit Bacon als experimentell-technomorph verfaßte<br />
Natur gedacht wird, oder in ontologischer Konzeptualisierung als »experimentierend«-<br />
evolutionärer Gesamtorganismus. Die Ebene potenzieller Ermöglichung, hier von Wirkungen<br />
überhaupt, wäre in gleicher Architektonik <strong>zu</strong> entfalten wie für die Technik. Für die Ebene<br />
realer Ermöglichung, diejenige medialer Performanz, wäre im interventionistischen<br />
Paradigma die experimentelle Anordnung als technisches System an<strong>zu</strong>setzen, unter der<br />
Wirkungen als Effekte auftreten können; ihre Aktualisierung wäre das kausale Prozessieren<br />
selbst, <strong>und</strong> die Störungen, die dann einschlägige Abduktionsschlüsse <strong>und</strong> eine Reflexion auf<br />
die Systembedingungen provozieren, wären die nicht exhaurierbaren abweichenden<br />
Resultate. Im ontologisch-evolutionistischen Paradigma wäre auf einer Ebene medialer<br />
Performanz von natürlichen Systemen, etwa Organismen, <strong>zu</strong> sprechen, deren äußere<br />
Medialität durch die einschlägigen adaptions- oder präadaptionsfähigen Infrastrukturen, ihre<br />
innere Medialität durch die unterstellten funktionalen Erfordernisse (»Überleben«) der<br />
34 De Anima, 435b 25-435a 10.<br />
35 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Wissenschaft der Logik, Frankfurt/M. 1969, 3. Buch, 2. Abschn., 3. Kap.<br />
Teleologie.<br />
16
Adaption begriffen wird. Ergebnis ihrer Aktualisierung im kausalen Prozessieren wäre die<br />
Reaktion auf Störungen des entsprechenden Fließgleichgewichts, welche entweder <strong>zu</strong> dessen<br />
Wiederherstellung oder <strong>zu</strong>m Untergang des Organismus führt. Analog <strong>zu</strong>r<br />
standpunktabhängigen Unterscheidung zwischen Mittel <strong>und</strong> Medium im Bereich der Technik<br />
findet sich hier die standpunktunabhängige Unterscheidung zwischen Ursache <strong>und</strong> Medium:<br />
Stickstoffhypertrophie ist eine Ursache für das Ableben eines Baumes <strong>und</strong> Medium der<br />
Regeneration des Waldes. Je nachdem nun, ob Natur als Medium im weiteren Sinne<br />
technomorph gedacht wird als das jedem technisch orientierten Zugriff Vorausliegende, oder<br />
im engeren Sinne technomorph als in ihrem So-Sein technisch induziert, stellt sich das<br />
Verhältnis natürlicher Medialität <strong>zu</strong> technischer Medialität unterschiedlich dar. Dies schließt<br />
die Option ein, die Medialität der Natur als Konzept für dasjenige <strong>zu</strong> reservieren, was sich als<br />
unbestimmte Alterität in Gestalt der Störungen, Überraschungen, Hemmungen bemerkbar<br />
macht. Ein solches Konzept ist seinerseits negativ technomorph: Das nicht Verfügbare<br />
erscheint im Lichte von Ansprüchen auf technischen Zugriff. Nichtverfügbarkeit absolut <strong>und</strong><br />
ggf. als normativ geladenes Konzept – etwa im Sinne einer »Ehrfurcht vor der Schöpfung«,<br />
als Tabu etc. – <strong>zu</strong> thematisieren, ist in dieser Konstellation nicht möglich. Wir werden hierauf<br />
später <strong>zu</strong>rückkommen.<br />
Wenn wir unter dieser Architektonik als Leitfaden nun weiter suchen im Bereich einer als<br />
Medium konzeptualisierten Kultur, wie sie – wie bereits erwähnt – Ernst W. Orth in<br />
phänomenologischer Absicht entwickelt hat, ergibt sich ein komplexeres Bild. Die Frage<br />
richtet sich nach den medialen Vorausset<strong>zu</strong>ngen eines Sich-Orientierens, welches als<br />
Aktualisierung jener Möglichkeiten begriffen wird. Auf der ersten Ebene, derjenigen<br />
potenzieller Ermöglichung, wäre dies der Raum potenzieller Bedeutungsträger, dessen äußere<br />
Medialität durch das, was überhaupt tradiert ist (im Unterschied <strong>zu</strong>m nicht Tradierten <strong>und</strong><br />
Vergessenen), <strong>und</strong> dessen innere Medialität angelegt ist in den Kriterien, unter denen wir<br />
Sinnhaftes von Sinnlosem unterscheiden. Die Performanz dieser Medialität als realer<br />
Ermöglichung wäre gegeben durch die realen, epistemischen <strong>und</strong> normativen Schemata oder<br />
Dispositive (Foucault), als in ihrer Einheit anschaubare Regeln, <strong>zu</strong> denen man in ein<br />
Verhältnis treten kann. 36 Der Übergang exemplifiziert sich etwa im Unterschied zwischen<br />
bloßen »Räumen« hin <strong>zu</strong> traditionsgeladenen »Orten« (– eine Leitdifferenz wie sie<br />
neuerdings fruchtbar für die Analyse des Cyberspace eingesetzt wird, in dem lediglich noch<br />
Räume bereitgestellt werden, was manche veranlaßt, hier von einem Kulturverlust,<br />
36 Vgl. Anmerkung 16.<br />
17
mindestens aber von einer Deinstitutionalisierung <strong>zu</strong> sprechen). Wenn nun die Möglichkeit,<br />
<strong>zu</strong> solchen Schemata in ein Verhältnis <strong>zu</strong> treten, in der Wirklichkeit des Sich-Orientierens<br />
aktualisiert ist, dann wird im Unterschied <strong>zu</strong> den bisher besprochenen Bereichen<br />
Widerständigkeit in ganz unterschiedlicher Weise erfahrbar: Sie kann <strong>zu</strong>nächst auftreten in<br />
Gestalt von Sanktionen derjenigen Institutionen, die als Dispositive der Macht das<br />
Überschreiten der bereitgestellten Möglichkeitsräume bekämpfen, kompensieren, die Räume<br />
immunisieren. Es kann aber auch <strong>und</strong> gerade Widerständigkeit erfahren werden seitens einer<br />
Natur, auch derjenigen unseres Leibes, die sich – als Leid - unvermittelt <strong>zu</strong> Wort meldet. Und<br />
schließlich kann Widerständigkeit auftreten in Gestalt des »Einspruchs« anderer Kulturen,<br />
wie es Dirk Baecker nennt, infolge dessen die Orientierung sich als Bedrohung anderer<br />
Orientierungen erfährt, als störende Umwelt einer anderer Kultur. 37 Die hierdurch provozierte<br />
Reflexion läßt die Eigenart der medialen Verfaßtheit der je eigenen Kultur ersichtlich werden,<br />
was <strong>zu</strong> Modifikationen, Destruktionen oder einer ggf. gewaltsamen Affirmation derjenigen<br />
Tradition führt, die für die entsprechende Kultur konstitutiv ist. Schließlich finden wir auch<br />
hier die standpunktabhängige Einschät<strong>zu</strong>ng des Orientierungsaktes als Mittel oder Medium:<br />
Er kann Manifestation, z.B. des Ignorierens einer Sanktion, sein <strong>und</strong> auch <strong>zu</strong>gleich in seiner<br />
Intentionalität Medium für das Aushöhlen einer Tradition oder ihre Transformation, etwa im<br />
Zuge der von Foucault so bezeichneten »strategischen Wiederauffüllung« 38 von Leerstellen<br />
der Macht durch individuelle Subjekte mit abweichenden Intentionen (z.B. die Entstehung<br />
krimineller Milieus in den Haftanstalten).<br />
Unsere Überlegungen bezüglich einer Auffassung von Technik, Natur <strong>und</strong> Kultur als Medien<br />
sind insgesamt gesehen bislang genauso objektstufig geblieben wie der Einsatz der<br />
einschlägigen Inbegriffe. Freilich wurde in Berücksichtigung der jeweiligen modalen<br />
Inferenzen der Definitionsbereich erweitert <strong>und</strong> strukturiert. In Abhängigkeit der jeweiligen<br />
Charakterisierung vom erkennenden Standpunkt kann etwas jeweils als Mittel oder<br />
technisches Medium, Ursache oder Medium der Natur, Orientierung oder kultürliches<br />
Medium erachtet werden. Dann wird in jeweils spezifischer Weise versucht, eine Wirklichkeit<br />
des Produzierens, des kausalen Prozessierens oder des Sich-Orientierens ein<strong>zu</strong>setzen, um<br />
abduktiv eine partielle Vorstellung derjenigen Instanzen <strong>zu</strong> gewinnen, die diese<br />
Verwirklichung ermöglichen. Solcherlei verweist uns darauf, daß hier Unterscheidungen nicht<br />
37 Dirk Baecker, „Kommunikation im Medium der Information, in: Rudolf Maresch, Niels Weber (Hg.),<br />
Kommunikation, Medien, Macht, Frankfurt/M. 1999, 174-191, hier 59f.; Niklas Luhmann, Gesellschaftsstruktur<br />
<strong>und</strong> Semantik, Frankfurt/M. 1999, 48.<br />
38 Foucault, Dispositive der Macht, 126.<br />
18
zwischen Gegenständen <strong>und</strong> Gegenstandsbereichen, sondern an bestimmten Gegenständen<br />
vorgenommen werden. Was ist der logische Ort dieser Unterscheidungen an Gegenständen?<br />
Aus der Verwendung der Inbegriffe von Technik, Natur, Kultur konnten wir entnehmen, daß<br />
ein einheitliches Interesse oder Bemerken unterstellt werden muß. Dieses Interesse ist<br />
dasjenige an einer Bestimmung jeweils spezifischer Faktoren einer Sicherung des<br />
Verhältnisses zwischen dem Subjekt <strong>und</strong> seinem Gegenstandsbereich. Es geht also um ein<br />
Verhältnis <strong>zu</strong> einem Verhältnis. Objektstufige Charakterisierungen sind abkünftig <strong>und</strong> stehen<br />
unter dieser Einheitlichkeit des Bemerkens. Es sind Vorstellungen, die unter jenen<br />
Verhältnissen produziert werden. Wie kommen diese Verhältnisse <strong>zu</strong> den Verhältnissen<br />
<strong>zu</strong>stande? Entsprechend der anfangs erwähnten Aporie könnte die erste Antwort eines<br />
Naturalismus, der hier in die »überschwängliche Metaphysik« Schellings umschlägt, lauten:<br />
Die Natur liegt »als äußere Welt vor uns aufgeschlagen, um in ihr die Geschichte unseres<br />
Geistes wieder<strong>zu</strong>finden«. 39 Ihr Ganzes ist so beschaffen, daß es die Struktur des Ich »als<br />
Verhältnis eines Verhältnisses im Verhältnis <strong>zu</strong> sich <strong>und</strong> <strong>zu</strong> anderen <strong>und</strong> <strong>zu</strong>r Welt <strong>zu</strong> stehen«<br />
hervorgebracht hat <strong>und</strong> einschließt. 40 Die zweite Seite des Dilemmas, die die<br />
Unhintergehbarkeit reflexiver Distanz herausstellt, findet sich paßgenau in der Formulierung<br />
des Schelling-Kritikers Kierkegaard:<br />
»Der Mensch ist Geist. Doch was ist Geist? Geist ist das Selbst. Doch was ist das<br />
Selbst? Das Selbst ist ein Verhältnis, das sich <strong>zu</strong> sich selbst verhält, oder es ist in<br />
diesem Verhältnis jenes, daß dieses <strong>zu</strong> sich selbst verhält; das Selbst ist nicht das<br />
Verhältnis, sondern daß sich das Verhältnis <strong>zu</strong> sich selbst verhält. [...] Ein solches<br />
Verhältnis, das sich <strong>zu</strong> sich selbst verhält, ein Selbst, muß sich entweder selbst gesetzt<br />
haben oder durch ein Anderes gesetzt sein.<br />
Ist das Verhältnis, das sich <strong>zu</strong> sich selbst verhält, durch ein Anderes gesetzt, dann ist<br />
das Verhältnis zwar das Dritte, doch dieses Verhältnis, das Dritte, ist dann wiederum<br />
ein Verhältnis <strong>und</strong> verhält sich <strong>zu</strong> dem, was das ganze Verhältnis gesetzt hat«. 41<br />
Kurz: Es bleibt das sich potenzierende Verhältnis. Verhältnisse dieser Art lassen sich nun<br />
näher untersuchen, <strong>und</strong> zwar mit Blick auf ihre vorstellungsermöglichende Kraft. Diese <strong>zu</strong><br />
erfassen, werden so genannte Reflexionsbegriffe eingesetzt, <strong>und</strong> zwar in zweifacher Weise.<br />
39 Friedrich Wilhelm Josef Schelling, Allgemeine Übersicht der neuesten philosophischen Literatur, Historischkritische<br />
Ausgabe Bd. I, 4, Stuttgart 1988, 110.<br />
40 Baumgartner, Natur aus der Perspektive spekulativer <strong>und</strong> kritischer Philosophie, 252.<br />
41 Søren Kierkegaard, Die Krankheit <strong>zu</strong>m Tode, Stuttgart 1997, 13 f. (Herv. C.H.)<br />
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5. »Technik«, »Kultur« <strong>und</strong> »Natur« als Reflexionsbegriffe<br />
Zunächst setzen wir Termini ein, die lebensweltliches (oder natur- oder<br />
kulturwissenschaftliches) Handeln <strong>und</strong> lebensweltliche (oder wissenschaftliche)<br />
Erkenntnisgewinnung, bei der ja vielfältige Prädikate eingesetzt werden, unter bestimmten<br />
tertia comparationis beschreiben. Sie sortieren als Metaprädikate unsere Vorstellungen, die<br />
dem objektstufig-prädikativen Begriffsgebrauch, der sich auf dasjenige richtet, »was es gibt«,<br />
<strong>zu</strong>gr<strong>und</strong>e liegen. Entsprechend der Kantischen Terminologie handelt es sich um einen Typ<br />
logischer Reflexionsbegriffe als conceptus comparationis. Dabei läßt sich, folgt man Peter<br />
Janich, Armin Grunwald <strong>und</strong> Yannik Julliard 42 eine erste Unterscheidung, diejenige nämlich<br />
zwischen »Technik« <strong>und</strong> »Natur« einziehen: »Technik« als Reflexionsterminus zeigt dieser<br />
Auffassung von Reflexion gemäß an, »ob wir uns sprachlicher Mittel bedienen, die unser<br />
eigenes poietisch-handwerkliches wie sprachlich-begriffliches Handeln betreffen«, eben<br />
Methoden <strong>zu</strong>r Absicherung, Regelung des Steuerns. Der Begriff »Natur« dagegen zeige an,<br />
daß wir »solche (sprachliche) Mittel benutzen, die das Widerfahrnishafte, am Gelingen <strong>und</strong><br />
Mißlingen unserer technischen Handlungen Gelernte« betreffen, das, was das technisch<br />
Mögliche <strong>und</strong> das technisch Unmögliche (im prädikativen Sinne) bestimmt. In dieser Fassung<br />
drücken Reflexionsbegriffe also höherstufige Vorstellungen von denjenigen Vorstellungen<br />
aus, die durch prädikative Ausdrücke vermittelt werden. Reflexion, so könnte man auch<br />
sagen, wird als Auffinden von Metaprädikaten aufgefaßt. »Natur« <strong>und</strong> »Technik« sind<br />
demnach Begriffe für die Konzeptualisierung von Operationen an Gegenständen, nicht<br />
Begriffe der Unterscheidung zwischen Gegenständen. Es wird ferner deutlich, daß »Natur« in<br />
ihrer Konzeptualisierung abhängt von »Technik« als primärem Reflexionsbegriff, weil sie ex<br />
negativo charakterisiert wird. Was das »Technische« betrifft, kann dann unterschieden<br />
werden zwischen nicht tradiertem <strong>und</strong> nicht geregeltem poietischem nennendem Zugriff auf<br />
Gegenstände <strong>und</strong> tradiertem <strong>und</strong> geregeltem poietischen <strong>und</strong> (dann) begrifflichem Zugriff.<br />
Tradiert <strong>und</strong> geregelt werden solche Zugriffe unter dem Interesse, Bedingungen eines<br />
weiteren Disponierens bereit<strong>zu</strong>stellen. Solche Bedingungen machen dann die oben erwähnten<br />
realen, epistemischen <strong>und</strong> normativen Schemata des objektstufigen Handelns aus. Die<br />
42 Peter Janich, Kultur <strong>und</strong> Methode, Frankfurt/M. 2006, 44f.; Armin Grunwald, Yannik Julliard, „Technik als<br />
Reflexionsbegriff – Überlegungen <strong>zu</strong>r semantischen Struktur des Redens über Technik, in: Philosophia naturalis<br />
42, 127-157.<br />
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Gesamtheit dieser Schemata ist dann als »Kultur« im Sinne eines eben solchen logischen<br />
Reflexionsbegriffes, also als Metaprädikat <strong>zu</strong> begreifen.<br />
Während die erwähnten Metaprädikate als logische Reflexionsbegriffe gemeinsame<br />
Intensionen von Unterscheidungen an Gegenständen benennen, führt Kant einen weiteren Typ<br />
von Reflexionsbegriffen ins Feld, die sich nicht direkt auf Vorstellungen beziehen <strong>und</strong><br />
deshalb in seiner Liste von Vorstellungen nicht auftauchen. 43 Es handelt sich nicht um Titel<strong>und</strong><br />
Sortierworte, sondern Namen für Regeln eines bestimmten Gebrauchs von<br />
Erkenntnisvermögen als Ensemble von Strategien, unter denen jenes Vergleichen von<br />
Vorstellungen (bei den logischen Reflexionsbegriffen) stattfindet. Solcherlei ist Thema einer<br />
»transzendentalen Reflexion«, als derjenigen Überlegung bzw. Handlung, die (irgendwie)<br />
gegebene Vorstellungen mit den Bedingungen ihrer Möglichkeit, also den jeweiligen<br />
Erkenntniskräften bzw. -vermögen »<strong>zu</strong>sammenbringt«. Eine solche transzendentale Reflexion<br />
ist also Vorausset<strong>zu</strong>ng der logischen Reflexion; den Katalog der Hinsichtnahmen in<br />
Zuordnung <strong>zu</strong> den Erkenntniskräften als rationalem <strong>und</strong> empirischem Vermögen, also<br />
Verstand <strong>und</strong> Sinnlichkeit, bezeichnet Kant als transzendentale Topik. Unter ihren<br />
Gesichtspunkten kann ein Gegenstand der Erkenntnis in Hinsicht auf die Erkenntniskräfte, die<br />
seine Identifizierung ermöglichen, diskutiert werden – dies betrifft mithin unseren<br />
theoretischen Naturbe<strong>zu</strong>g. Hier »bew<strong>und</strong>ern« wir die Leistung unserer Erkenntniskräfte, die<br />
uns eine »Als-ob-Natur« als quasi rational agierende, teleologisch verfaßte Ganzheit<br />
vor<strong>zu</strong>stellen erlauben. Da »Technik« <strong>und</strong> »Kultur« nun nicht einen theoretischen, sondern<br />
einen praktischen Weltbe<strong>zu</strong>g meinen, ist an dieser Stelle Kant unter Beibehaltung seiner<br />
Architektur <strong>zu</strong> ergänzen bzw. <strong>zu</strong> modifizieren: Es wäre hier also der Be<strong>zu</strong>g dieser<br />
Reflexionsbegriffe <strong>zu</strong> unserem Handlungsvermögen als Vermögen der Freiheit her<strong>zu</strong>stellen<br />
bzw. <strong>zu</strong> unseren Vorstellungen hiervon. Die basale Vorstellung im Zusammenhang mit<br />
»Handeln« ist die Vorstellung der Disponibilität von Mittel- <strong>und</strong> Zweckset<strong>zu</strong>ngen. Einen<br />
empirischen Nachweis des Vermögens der Freiheit kann es gar nicht geben, will man nicht<br />
der von Kant aufgezeigten Amphibolie der Reflexionsbegriffe, hier: der Verwechslung des<br />
transzendentalen mit dem empirischen Gebrauch, der »Sensifizierung der Begriffe« – wie sie<br />
den Psychologisten <strong>und</strong> Neurologen unterläuft – erliegen. Daß wir subjektive Freiheit als<br />
Konzept unterstellen, erfahren wir daran, daß wir beim Handeln Hemmungen als Provokation<br />
empfinden. »Technik« als transzendentaler Reflexionsbegriff würde ausdrücken, daß wir<br />
Verfahren, Fähigkeiten, Vollzüge <strong>und</strong> deren Resultate nach Maßgabe ihrer Disponibilität<br />
43 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 376.<br />
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zw. Verfügbarkeit relativ <strong>zu</strong> unserem Freiheitsanspruch identifizieren – Hegels »List der<br />
Vernunft«, 44 die sich auf diese Weise erfährt. Wenn aber nun diese Disponibilität im Lichte<br />
einer Reflexion auf unseren Freiheitsanspruch mit ihren Grenzen konfrontiert wird, kann das<br />
Andere ihrer selbst ebenfalls mit einem Reflexionsbegriff belegt werden, der <strong>zu</strong>nächst das<br />
Negative von Disponibilität ausdrückt. Sowohl »Natur« als auch »Kultur« stehen für<br />
dasjenige, was prima facie im singulären Akt technischer Realisierung als nicht disponibel<br />
erscheint, freilich in unterschiedlicher Weise.<br />
Im ersten Falle, im Falle von »Natur«, handelt es sich um abduktiv erschlossene (mithin<br />
unsicher unterstellte) Wirkschemata bezüglich der Realisierung unseres Freiheitsanspruchs.<br />
Kant denkt diese Dimension (in der Kritik der Urteilskraft) unter dem Titel des »Erhabenen«,<br />
das unsere Erkenntnisvermögen <strong>und</strong> unsere Handlungsmacht übersteige <strong>und</strong> sich in der »Lust<br />
an der Unlust« artikuliert, die wir verspüren, wenn wir nicht real unterliegen, sondern ein<br />
Unterliegen nur als möglich – aus der Distanz – betrachten. Die aktuale Einschät<strong>zu</strong>ng eines<br />
solchen Unterliegens ist jedoch relativ <strong>zu</strong>m Stand der (Intellektual-<strong>und</strong> Real-)Technik <strong>und</strong> der<br />
Ausprägung der Kultur: Was früher »als unvorgreiflich« oder als natürliches Schicksal<br />
erachtet wurde, erscheint im Lichte neuer Optionen des Modellierens <strong>und</strong> Handelns als<br />
gestaltbar bzw. in seinen Wirkungen ggf. als Resultat eines Unterlassens, welches ebenfalls<br />
ein Handeln ist. Der Aufweis von Determinanten unseres Kalkulierens, Fühlens <strong>und</strong> Agierens<br />
setzt uns sogleich in ein neues Verhältnis <strong>zu</strong> diesen mit der Maßgabe, die Disponibilität der<br />
Determinanten <strong>zu</strong> reflektieren. (Im Kapitel »Beobachtende Vernunft« von Hegels<br />
Phänomenologie des Geistes wird gezeigt, wie der Geist in Reflexion seiner<br />
Naturbeobachtung seine eigenen Ansprüche an seinen Naturbe<strong>zu</strong>g freilegt <strong>und</strong> im Zuge dieser<br />
Arbeit über eine Diagnose seiner Klassifikationskriterien <strong>und</strong> Modellierung von<br />
Entwicklungsstufen der Organismen – Naturgeschichte – auf die eigenen normativen<br />
Gr<strong>und</strong>lagen seiner Systembildung stößt.<br />
Im zweiten Falle, im Falle von »Kultur«, geht es um Schemata der Mittel-Zweck-<br />
Verknüpfung, unter denen bestimmte gewünschte Sachverhalte allererst als Handlungszwecke<br />
so oder so denkbar werden. Die Anerkennung solcher Schemata kann verweigert werden,<br />
sofern Handlungszwecke nicht gesetzt oder Gratifikationen (bzw. Sanktionen) als unerheblich<br />
erachtet werden. Wenn auf Handlungsfreiheit verzichtet wird, können jene<br />
institutionalisierten Schemata ignoriert werden <strong>und</strong> die »Geburt der (Handlungs-)Freiheit aus<br />
der Entfremdung« der Institutionen (Arnold Gehlen) findet nicht statt. Mit »Natur« liegt<br />
44 Hegel, Wissenschaft der Logik, Kap. Teleologie.<br />
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mithin eine abgrenzende, mit »Kultur« eine affirmative Selbstbeschreibung derjenigen<br />
Handlungssysteme vor, in denen Technik eingesetzt wird nach jeweiliger Maßgabe unserer<br />
(situativen) Auffassung subjektiver positiver Handlungsfreiheit. »Technik«, (ex negativo-)<br />
»Natur« <strong>und</strong> »Kultur« als transzendentale Reflexionsbegriffe drücken mithin den Be<strong>zu</strong>g<br />
einschlägiger Vorstellungen <strong>zu</strong> unserem Handlungsvermögen aus. Die Anerkennung von<br />
etwas als nicht disponibel (»Natur«), bedingt nicht disponibel, sofern die Realisierung eines<br />
konkreten Zweckes für erforderlich gehalten wird (»Kultur«), <strong>und</strong> disponibel (»Technik«)<br />
beruht auf einer Entscheidung, da sie selbst nicht erkenntnismäßig <strong>zu</strong> f<strong>und</strong>ieren ist, wie Kant<br />
für die Domäne der Erkenntnisvermögen bereits betont. Eine solche Entscheidung ist in<br />
unserem Fall nur unter normativen Gesichtspunkten <strong>zu</strong> rechtfertigen. Daß solche<br />
Rechtfertigungen unter unterschiedlicher normativer Orientierung erfolgen können, erklärt,<br />
warum im Zuge der Problem- <strong>und</strong> Ideengeschichte unter einer wechselnden Bewertung von<br />
wechselnden Erfahrungen der Disponibilität oder Nicht-Disponibilität »Natur«, »Technik«<br />
<strong>und</strong> »Kultur« jeweils unterschiedlich gefaßt wurden, letztlich als Manifestation reflexiver<br />
Kultur.<br />
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