'Loccumer Pelikan' 2/2003 als pdf-Datei - Religionspädagogisches ...
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grundsätzlich<br />
ler denkbaren Professionalisierung ist den pädagogischen Handlungsmöglichkeiten<br />
eine Grenze gezogen. Diese Grenze ist<br />
nicht nur technisch zu beschreiben, sondern sie hat etwas zu<br />
tun mit der unvermeidbaren Zerbrechlichkeit und mit der Unverfügbarkeit<br />
von Bildungs- und Erziehungsprozessen. In Bildungs-<br />
und Erziehungsprozessen sollen Menschen, denen –<br />
jedenfalls in der Perspektive des christlichen Glaubens – immer<br />
schon ohne jede Vorausleistung eine Personwürde zukommt,<br />
zu Subjekten ihrer Lebensgestaltung werden. Und doch<br />
wissen wir, dass wir auch <strong>als</strong> solche Subjekte niem<strong>als</strong> unser<br />
Leben vollständig „im Griff” haben.<br />
Vorhin habe ich aufgeklärtes Wissen und Vernunft nur im<br />
Zusammenhang mit lebenstragenden Gewissheiten <strong>als</strong> Bildungsziel<br />
anerkannt. Deshalb darf in einer Schule, die sich<br />
nicht nur <strong>als</strong> Erziehungs- und Ausbildungsinstitution versteht,<br />
sondern die sich der Bildung verpflichtet weiß, Religion nicht<br />
fehlen. Und zwar Religion nicht – jedenfalls nicht nur – <strong>als</strong><br />
thematischer Lernstoff, <strong>als</strong> kulturelles Wissen, sondern in einer<br />
positionellen Perspektive. Ein aufgeklärter Mensch ist, so<br />
erwarten wir es, einfach vernünftig. Aber erst ein zudem auch<br />
gewisser Mensch handelt gütig. Vernünftig und gütig zu werden:<br />
Menschen <strong>als</strong> dazu fähig anzusehen, das ist die Voraussetzung<br />
jeglicher Pädagogik an allen Lernorten. Von dieser<br />
Voraussetzung darf man sich auch durch die vielen Beweise<br />
des Gegenteils nicht abbringen lassen. Pädagogik ist immer<br />
darauf angewiesen, Menschen, und vor allem ja kleine, unfertige<br />
Menschen, <strong>als</strong> solche ernst zu nehmen, die sie noch<br />
nicht sind, die aber auf dem Wege sind, werden zu können,<br />
was sie noch nicht sind. Der Lohn für die damit verbundene<br />
menschenfreundliche Haltung stellt sich wahrscheinlich immer<br />
wieder so unverhofft ein, wie es der Goldmarie geschah,<br />
<strong>als</strong> sie nach der Lehrzeit bei der Frau Holle durch das Tor mit<br />
dem Goldregen wieder in ihre durchaus nicht heile Welt trat.<br />
Denjenigen, die in der ARO aus- und eingehen, wünsche ich<br />
für die nächsten 30 Jahre das Glück des Gelingens vieler solcher<br />
Durchgänge durch das Goldregen-Tor.<br />
Anmerkungen<br />
1. Im folgenden Gedankengang greife ich auf Formulierungen zurück aus meinem<br />
Aufsatz: Religionsunterricht <strong>als</strong> Werteerziehung? – Eine Problemanzeige;<br />
in: Zeitschrift für Ev. Ethik (ZEE) 4/2002, 256-269.<br />
2. Vgl. Richard Münchmeier, Jugend – Werte – Religion. Über die Lebenslage<br />
und die Probleme alltäglicher Lebensbewältigung von jungen Leuten heute;<br />
in: H. Rupp u.a. (Hg.), Zukunftsfähige Bildung und Protestantismus, Stuttgart<br />
2002, S. 125-139, hierzu bes. S. 125f. u. 136.<br />
3. Hierzu und zum folgenden Zusammenhang vgl. Michael Meyer-Blanck, Bildung<br />
und religiöse Bildung <strong>als</strong> Schlüssel zu den „Schlüsselqualifikationen”,<br />
und ders.: Aufgeklärte Gewissheit – christliche, islamische, staatsbürgerliche<br />
Identität <strong>als</strong> schulische Bildungsaufgabe (beides in http://<br />
people.freenet.de/meyer-blanck).<br />
4. Ernst Tugendhat, Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung. Sprachanalytische<br />
Interpretationen, Frankfurt/M. 1979, 31.<br />
5. Michael Meyer-Blanck, a.a.O.<br />
6. Donata Elschenbroich, Das Weltwissen der Siebenjährigen. Wie Kinder die<br />
Welt entdecken können, München 2001.<br />
7. Michael Meyer-Blanck, a.a.O.<br />
8. Gertrud Nunner-Winkler, in: H. Huber (Hg.), Sittliche Bildung. Ethik in Erziehung<br />
und Unterricht, Asendorf 1993, S. 105.<br />
9. Jean-Jacques Rousseau, Emile oder Über die Erziehung, Stuttgart 1963, S.<br />
265.<br />
10. Wolfgang Brezinka, Über Absicht und Erfolg der Erziehung, Konstanz 1969,<br />
S. 8.<br />
11. Alfred K. Treml, Ist Werteerziehung möglich? Möglichkeiten und Grenzen<br />
moralischer Bildung in einer pluralistischen Gesellschaft; in: H.-P. Burmeister/B.<br />
Dressler (Hg.), Werterziehung in der Pluralität? Herausfoderungen<br />
an Theologie und Pädagogik, Loccumer Protokolle 3/1996, S. 149. A. K.<br />
Treml verdanke ich auch das folgende Beispiel.<br />
12. Peter Petersen, Der kleine Jena-Plan, Frankfurt/M. 1980 [Orig. 1927], S. 34.<br />
13. „In der Schule der Moderne bildet der Unterricht und erzieht primär die Organisation.”<br />
(Jürgen Baumert, Deutschland im internationalen Bildungsvergleich;<br />
in: N. Killius u.a. (Hg.), Die Zukunft der Bildung, Frankfurt/M. 2002,<br />
S. 106).<br />
14. Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische<br />
Zivilisation, Frankfurt/M. 1984.<br />
15. Hartmut v. Hentig, Die Menschen stärken, die Sachen klären. Plädoyer für<br />
die Wiederherstellung der Aufklärung, Ditzingen 1985.<br />
Michael Meyer-Blanck<br />
Konfession. Kompetenz. Kultur* –<br />
Wofür qualifiziert der Religionsunterricht?<br />
Wenn man die vornehme und gerade darin eindringliche Art<br />
von Ernst Kampermann kennt und schätzt, das „milde Luthertum”<br />
Hannovers zu vertreten, in sachlicher und verbindlicher<br />
Menschlichkeit, dann sind meine drei Begriffe trotz des<br />
„dreigestrichenen K” vielleicht etwas zu theoretisierend: Konfession<br />
– Kompetenz – Kultur: Das klingt für den heutigen<br />
Anlass zu abstrakt, wie eine zur Verwaltungsdiktion geronnene<br />
Theologie oder wie der Jargon in Anträgen zur Drittmitteleinwerbung<br />
bei der DFG 1 . Als ich 1980 mit Ernst Kampermann<br />
über meine damaligen Dissertationspläne sprach, sagte<br />
er, wie wichtig für die Landeskirche promovierte Theologen<br />
sind, aber er fügte hinzu: „Das Wichtigste ist das nicht für<br />
einen Prediger des Evangeliums”. Das habe ich seitdem gelernt<br />
und im akademischen Betrieb auch nicht ganz verlernt:<br />
Die Theorie muss wissen, wovon sie denn eine Theorie ist,<br />
sonst wird sie blutleer. Dann wird die Deskription zur herme-<br />
* Vortrag anlässlich der Verabschiedung von Ernst Kampermann in Loccum am 30.10.2002.<br />
Loccumer Pelikan 2/03 65