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'Loccumer Pelikan' 2/2003 als pdf-Datei - Religionspädagogisches ...

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grundsätzlich<br />

mich dreifach zu beschreiben suchen, inwiefern Religion Lehrende<br />

und Lernende kompetent machen kann.<br />

2.1 Religion <strong>als</strong> Tradition<br />

Die erste Leistung der Religion bezieht sich auf Religion <strong>als</strong><br />

Tradition. Diese Leistung der Religion für die Erziehung ist<br />

kulturhistorisch und kulturhermeneutisch. Diese Zuordnung<br />

findet im allgemeinen bildungspolitischen Diskurs am ehesten<br />

Zustimmung: Heranwachsende sollen die eigene Tradition<br />

besser verstehen lernen, <strong>als</strong>o auch die biblischen Bezüge<br />

von Dichtung, Musik und Malerei. Die Schule sorgt darüber<br />

hinaus allgemein für eine Kultur des Gedenkens und für das<br />

Bewusstsein von der eigenen Geschichte. Und gerade das geht<br />

nicht ohne den Bezug auf Religion. Man kann so die Tradition<br />

der Freiheit nicht verstehen ohne die Tradition der christlichen<br />

Freiheit.<br />

2.2 Religion und Integration<br />

Die zweite Leistung der Religion für die Erziehung bezieht<br />

sich auf die Integration unterschiedlicher Prägungen und Standpunkte.<br />

Die Schule sorgt dafür, dass Grenzen, dass Traditionen<br />

nicht trennen müssen, sondern zusammenführen können.<br />

Man kann dies die moralpädagogische Zuordnung von Schule<br />

und Religion nennen. Bemühungen um Integration bleiben<br />

oberflächlich ohne den Bezug auf Religion. Denn Integration<br />

beruht ja nicht auf gutem Willen und moralischen Appellen,<br />

sondern auf der Klärung von Sachverhalten. Man kann z.B.<br />

unterschiedliche Verständnisse des Staates nur dann wirklich<br />

begreifen, wenn man weiß, was Sünde und Freiheit im Christentum<br />

und was rechte Leitung und Rechtsschulen im Islam<br />

sind. Zur gesellschaftlichen Integration von Muslimen in Europa<br />

kann es erst kommen, wenn die „Freiheit eines Christenmenschen”<br />

(Luther) 5 und das islamische Eintreten für Gerechtigkeit<br />

6 in ihren grundlegenden Unterschieden verstanden sind.<br />

2.3 Religion und das Denken in Übergängen<br />

Die dritte Leistung der Religion für die Erziehung besteht in<br />

der Nötigung zum grenzüberschreitenden Denken. Das Denken<br />

von Religion sorgt für diese spezifische Qualifikation,<br />

die in modernen Gesellschaften immer wichtiger wird. Religion<br />

denkt grundsätzlich das, was das Denken überschreitet.<br />

Im Denken Gottes unterscheidet sich das Denken damit<br />

von sich selbst. Das kann zu Verengungen führen, wenn damit<br />

Denkmöglichkeiten begrenzt werden sollen und Denkverbote<br />

ausgesprochen werden. Das hat es in allen Religionen<br />

immer wieder gegeben. Aber gerade das Bewusstsein<br />

von dieser Gefahr provoziert zum grenzüberschreitenden<br />

Denken. Gerade für den Dialog der Religionen gilt: Wer die<br />

Grenzen ignoriert, steht in der Gefahr, das Gebiet des anderen<br />

ungewollt zu verletzen und dabei Abwehr, Isolation oder<br />

gar Aggression hervorzurufen. Nur wer Grenzen kennt und<br />

achtet, kann sie vorsichtig überschreiten.<br />

Bei der Metapher der Grenze und der Grenzüberschreitung<br />

ist noch eine Unterscheidung zu treffen. Die Grenze der Persönlichkeit<br />

des anderen Menschen muss in pädagogischen<br />

Prozessen und auch in interreligiösen Begegnungen stets gewahrt<br />

bleiben. Mögliche Verletzungen des anderen müssen<br />

in Rechnung gestellt und so vermieden werden. Nicht umsonst<br />

ist die Metapher der „Grenzverletzung” in den letzten<br />

Jahren besonders im Zusammenhang des sexuellen Missbrauchs<br />

angesprochen worden. Im Sinne der Persönlichkeitsrechte<br />

sind Grenzen zu beachten. Aber im Sinne des gemeinsamen<br />

Ringens um eine Sache müssen Grenzen, wenn auch<br />

im Bewusstsein der damit verbundenen Gefahren, überschritten<br />

werden. Dann gilt es, den Standpunkt des anderen versuchsweise<br />

einzunehmen und danach auch zu kritisieren.<br />

Sonst steht die Metapher der Beachtung von Grenzen in der<br />

Gefahr einer schwachen Toleranz, bei der jeder hinter seiner<br />

Grenze stehen bleibt und das Terrain sichert, anstatt sich zum<br />

anderen vorzuwagen und umgekehrt dem anderen Einlass<br />

zu gewähren. Das ernsthafte Gespräch über das, was unbedingt<br />

angeht, ist aber immer mit Gefahren verbunden. Dies<br />

muss man wissen.<br />

Aber: wahrhaft religiös sein heißt schließlich auch, keine<br />

menschlichen Grenzen <strong>als</strong> letztgültig anerkennen. Wer religiös<br />

ist, muss mit Spannungen umgehen lernen. Juden, Christen<br />

und Muslime kennen gleichermaßen den universellen Anspruch<br />

der eigenen Überzeugung und den universellen Anspruch<br />

der fremden Überzeugung. Sozialwissenschaftliches<br />

und politisches Denken kann versuchen, dies auszugleichen<br />

und durch einen allgemeinen Begriff von Religion zu vereinheitlichen.<br />

Wer aber selbst religiös ist, dem ist dieser Weg<br />

versperrt, jedenfalls in dem Moment, da er sich <strong>als</strong> religiöses<br />

Subjekt (und nicht <strong>als</strong> Wissenschaftler) äußert. Dann nämlich<br />

weiß ich mich <strong>als</strong> Glaubender an einen universellen Anspruch<br />

Gottes gebunden und gleichzeitig an alle Menschen <strong>als</strong> Gottes<br />

Geschöpfe verwiesen. Ich kann dabei die anderen nicht<br />

überzeugen, aber auch nicht ignorieren. Ich kann sie nicht<br />

vereinnahmen, aber auch nicht verachten durch eine Form<br />

von schwacher, gleichgültiger Toleranz. Ich bin vielmehr gezwungen,<br />

in Spannungen und Übergängen zu denken.<br />

Der religiöse Mensch wird den anderen mit seiner Überzeugung<br />

wertschätzen, auch wenn er dessen Überzeugung <strong>als</strong><br />

solche für f<strong>als</strong>ch hält. Und er muss die eigene Überzeugung<br />

für richtig halten, aber gleichzeitig unter den Verdacht stellen,<br />

Ideologie zu sein, nachträgliche Begründung für allzu<br />

menschliche Interessen. Wie ich gezeigt habe, ist dies nicht<br />

nur und nicht einmal primär der Fall aus pädagogischen oder<br />

aus politischen Gründen. Es ergibt sich aus theologischen<br />

Gründen, aus dem Denken Gottes selbst. Denn das Denken<br />

Gottes unterscheidet die Universalität Gottes immer von der<br />

eigenen partikularen Gottesvorstellung.<br />

Man wird noch einen Schritt weiter gehen können. Denn es<br />

gilt ja auch an diejenigen zu denken, die eine religiöse Überzeugung<br />

für sich selbst explizit zurückweisen. Auch den nicht<br />

religiösen Schülerinnen und Schülern kommt das Denken<br />

von Religion insofern zugute, <strong>als</strong> von der Religion her zwischen<br />

der Würde des Menschen und der Überzeugung des<br />

Menschen unterschieden wird. Dies ist eine Parallele zur erwähnten<br />

Präambel des Grundgesetzes 7 : Diese begrenzt den<br />

Zugriff des Staates auf die Bürger. Das Thema Religion in<br />

der Schule begrenzt den Zugriff der Pädagogik auf die Schüler.<br />

Religion kann verhindern, dass die Pädagogik ideologieanfällig<br />

und zur Erlösungslehre wird.<br />

Für die Zukunft muss darum sicher gestellt werden, dass erstens<br />

Religion in der Schule <strong>als</strong> wichtige Sozialisationsinstanz<br />

68 Loccumer Pelikan 2/03

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