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'Loccumer Pelikan' 2/2003 als pdf-Datei - Religionspädagogisches ...

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praktisches<br />

ten. Hausaufgabe zur erweiterten Vorbereitung<br />

auf den Besuch in der Medizinischen<br />

Hochschule wird sein, dass die<br />

Lernenden die in der Unterrichtseinheit<br />

notierten offenen Fragen- und Problemkomplexe<br />

auf das Expertengespräch hin<br />

fixieren und mit den in der letzten Stunde<br />

formulierten Fragen verbinden.<br />

Reflexion der gesamten<br />

Unterrichtseinheit<br />

Die Einstellung der Lernenden<br />

zur Gentechnik<br />

Die negative Einstellung der Lernenden<br />

gegenüber einer Einflussnahme theologischer<br />

Argumente in Fragen der Gentechnik<br />

hat sich im Laufe der Einheit<br />

nicht grundlegend verändert. Trotzdem<br />

hat sich meiner Ansicht nach eine Veränderung<br />

in der Denkweise der Lernenden<br />

wie folgt entwickelt. So stellte eine<br />

Schülerin bei der Hypothesenbildung zu<br />

Beginn der Einheit noch fest, dass der<br />

Einfluss der Religion in der Gesellschaft<br />

bereits verschwunden sein müsse, weil<br />

keine ethische Position mehr erkennbar<br />

sei. Aus diesem Grunde sei die Kirche<br />

nicht mehr in der Lage, in tagespolitischen<br />

Themen wie der Genforschung<br />

mitreden zu können. Durch die Auseinandersetzung<br />

mit Psalm 139 und den<br />

Schöpfungsberichten, die innerhalb dieser<br />

Diskussion von der ‘Kirche’ <strong>als</strong> Argumente<br />

vorgebracht werden, erkannten<br />

die Lernenden trotz anfänglicher Skepsis,<br />

dass hier sehr wohl ethische Überlegungen<br />

behandelt werden, die, bezogen<br />

auf die embryonale Stammzellforschung,<br />

wichtige ethische Begründungsfundamente<br />

bieten können, die sogar in<br />

ähnlicher Form von anderen Positionen<br />

wie der philosophischen Ethik verwendet<br />

werden. Wenn diese Schülerin in der<br />

Diskussion über den nationalen Ethikrat<br />

meinte, dass in diesem nicht nur<br />

Theologen sitzen dürften, zeigt dies, dass<br />

sie die theologischen Argumente für sich<br />

zwar logisch und in der Debatte für wichtig<br />

hält, jedoch aufgrund des geringen<br />

Stellenwertes der Religion in der Gesellschaft<br />

daran zweifelt, dass sie mit einer<br />

theologischen Argumentation Gehör finden<br />

würde. Aber die Tatsache, dass auch<br />

Theologen in der Diskussion mitsprechen<br />

müssen, wird zu diesem Zeitpunkt<br />

der Unterrichtsreihe nicht mehr in Frage<br />

gestellt. Die Lernenden haben erkannt,<br />

dass sie an christlichen Argumentationen<br />

persönliche Kriterien ethischer<br />

Urteilsbildung entwickeln konnten. Sie<br />

haben entdeckt, dass die christliche Position<br />

einen Beitrag in der öffentlichen<br />

Diskussion leisten und hier weiterführende<br />

Einsichten eröffnen kann, dass jedoch<br />

ihrer Meinung nach ‘Religion’ allgemein<br />

keinen bedeutenden Stellenwert<br />

in der Gesellschaft hat. Im Hinblick auf<br />

die pessimistische Auffassung der Möglichkeiten<br />

eigener Einflussnahme in der<br />

Öffentlichkeit könnte man auf die Langzeitwirkung<br />

der Unterrichtsreihe, auf die<br />

weitere Auseinandersetzung der Schüler<br />

mit der Thematik und ihrer persönlichen<br />

Reifung, hoffen. Ein Erkenntnisschritt,<br />

der hier noch folgen müsste wäre, durch<br />

das Expertengespräch mit Herrn Neitzke<br />

angestoßen, dass sich die Lernenden<br />

bewusst <strong>als</strong> Teil der Gesellschaft wahrnehmen<br />

und das Selbstvertrauen aufbringen,<br />

ihre Meinung öffentlich vorzubringen<br />

und stichhaltig zu vertreten.<br />

Die menschliche<br />

M3<br />

Verbrauch menschlicher Embryonen<br />

Hier sind wir bei dem zweiten ethischen Aspekt des britischen<br />

Parlamentsbeschlusses. Es ist von „therapeutischem<br />

Klonen” die Rede. Aber das ist leider eine semantische Irreführung.<br />

Was hier mit menschlichen Embryonen geschieht,<br />

ist nicht Therapie, sondern das Gegenteil: Sie werden getötet,<br />

und zwar werden bestimmte existierende Embryonen<br />

getötet im Dienst wissenschaftlicher Verfahren, die vielleicht<br />

einmal in Zukunft einer unbestimmten Zahl von Menschen<br />

zu einem besseren Leben verhelfen werden. Und dies, obwohl<br />

die Wissenschaft bereits auf dem besten Wege ist, mit<br />

Stammzellen, die erwachsenen Menschen entnommen werden,<br />

das gleiche Ziel zu erreichen.<br />

Der ethische Einwand dagegen ist klar: Es handelt sich um<br />

einen Verstoß gegen die Menschenwürde, die es verbietet,<br />

Menschen ausschließlich <strong>als</strong> Mittel den Zwecken anderer<br />

Menschen zu unterwerfen. Hiergegen wird geltend gemacht,<br />

Menschen im Frühstadium ihrer Existenz seien keine Menschen<br />

und hätten folglich keine Menschenwürde. Der englische<br />

Parlamentsbeschluss beruht nicht auf dieser These, sondern<br />

auf der in der britischen Gesetzgebung maßgebenden<br />

Ansicht, das Menschsein des Embryos beginne mit der so<br />

genannten Nidation, der Einnistung der befruchteten Eizelle<br />

in der Gebärmutter vierzehn Tage nach der Empfängnis. Ich<br />

will diese Position hier nicht diskutieren. Die Auffassung derer,<br />

die einen Dammbruch mit unabsehbaren Konsequenzen<br />

befürchten, könnte vielleicht in England <strong>als</strong> übertrieben angesehen<br />

werden. In Deutschland ist sie es nicht.<br />

(...)<br />

Es klingt kompliziert, aber es präzisiert nur die Intuition der<br />

meisten Menschen, wenn D. Wiggins schreibt: „Person ist<br />

jedes Lebewesen, das einer Spezies angehört, deren typische<br />

Mitglieder intelligente Wesen sind, ausgestattet mit<br />

Vernunft und Reflexion, und die durch ihre physische Ausstattung<br />

typischerweise befähigt sind, sich selbst zu verschiedenen<br />

Zeiten und an verschiedenen Orten <strong>als</strong> dieselben<br />

denkenden Individuen zu betrachten” (Sameness and<br />

Substance, Oxford 1980).<br />

Wenn die Dinge so liegen, erübrigen sich scholastische Spekulationen<br />

über den zeitlichen Beginn der Personalität. Thomas<br />

von Aquin glaubte an die Verdrängung einer ersten<br />

vegetativen Seele durch die von Gott erschaffene geistige<br />

und unsterbliche im dritten Monat. Das englische Parlament<br />

glaubt an den fünfzehnten Tag des Lebens. All diese Spekulationen<br />

sind müßig. Die befruchtete Eizelle enthält das<br />

vollständige DNA-Programm. Der Anfang eines jeden von<br />

uns liegt im Unvordenklichen. Zu jedem Zeitpunkt ist es<br />

geboten, das, was von Menschen gezeugt, sich autonom<br />

auf eine erwachsene Menschengestalt hin entwickelt, <strong>als</strong><br />

„jemanden” zu betrachten, der nicht <strong>als</strong> „etwas” , zum Beispiel<br />

<strong>als</strong> Organersatzlager zugunsten anderer, und seien<br />

sie noch so leidend, ausgeschlachtet werden darf. Auch<br />

die Unterkühlungs-experimente in den nation<strong>als</strong>ozialistischen<br />

Konzentrationslagern geschahen bekanntlich zugunsten<br />

anderer Leidender.<br />

(...)<br />

Robert Spaemann<br />

DIE ZEIT, 18. Januar 2001<br />

88 Loccumer Pelikan 2/03

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