Jahresgutachten 1990/91 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode Drucksache 11/8472<br />
diagnostizieren zu wollen, welche Kapazitäten bereits<br />
unrettbar obsolet geworden sind. Man hat sich daher<br />
darauf einzustellen, daß alle diese vorläufigen Annahmen<br />
über Stand und Entwicklung des Produktionspotentials<br />
im Osten Deutschlands korrigiert werden<br />
müssen, sobald verläßliche Daten und Berechnungen<br />
vorliegen.<br />
83'. Wirtschaftspolitische Strategien wie die potentialorientierte<br />
Geldmengenregel mit vorab verkündetem<br />
Geldmengenziel müßten geändert oder ganz aufgegeben<br />
werden, wenn ihre Tauglichkeit in Zweifel<br />
stünde und wenn es bessere Strategien gäbe. Die mit<br />
der Erweitenmg des Währungsgebiets und den damit<br />
verbundenen Unsicherheiten geschaffenenneuen Bedingungen<br />
sprechen jedoch nicht gegen die Beibehaltung<br />
eines potentialorientierten Geldmengenziels<br />
und dessen Vorankündigung. Sie legen es aber nahe,<br />
einer Verbesserung des Infonnationsstandes Rechnung<br />
zu tragen, nötigenfalls auch das Geldmengenziel<br />
zu korrigieren, wenn neue Informationen dies erfordern.<br />
Dies gehört <strong>zur</strong> Konzeption einer potentiaJorientierten<br />
Geldpolitik, wie sie der Sachverständigenrat<br />
vertritt. Eine bessere, im praktischen Test erhärtete<br />
Strategie der Geldpolitik sehen wir nicht.<br />
84*. Das Kernproblem liegt in der Diagnose. Nur<br />
wenn zweifelsfrei erkennbar ist, daß die dem Geldmengenziel<br />
zugrunde liegenden Annahmen falsch<br />
waren, ist die Korrektur des Zielpfades geboten. Die<br />
Diagnose wird wohl auch im nächsten Jahr dadurch<br />
erschwert sein, daß noch keine fundierten Schätzungen<br />
über den Umfang des ProduktionspotentiaJs oder<br />
über die Kassenhaltungsgewohnheiten in Ostdeutschland<br />
vorliegen werden. Es gilt daher, andere<br />
Beurteilungsmaßstäbe als die bisher üblichen zu verwenden.<br />
Anhaltspunkte für strukturelle Änderungen<br />
im Geldangebotsprozeß und für Instabilitäten in der<br />
Geldnachfrage können sich in der Geldmarktentwicklung<br />
zeigen.<br />
85'. Die Zielvorgabe für das Jabr 19<strong>91</strong> hat sich auf<br />
die gesamte in Deutschland umlaufende Zentralbankgeldmenge<br />
zu beziehen. Für die neuen Bundesländer<br />
gehen wir von der Annahme aus. daß ihr Produktionspotential<br />
etwa 10 vH des westdeutschen beträgt. Die<br />
bereinigte Zentralbankgeldmenge, die unseren überlegungen<br />
zugrunde liegt, hat sich im Zuge der Erweiterung<br />
des Währungsgebietes um etwa lt vH erhöht.<br />
Diesen Anstieg halten wir für stabilitätskonfonn.<br />
Bei einer mittelfristigen Zunahme des Produktionspotentials,<br />
die wir, nominal-gerechnet, auf 5 vH veranschlagen,<br />
halten wir alles in allem eine Zuwachsrate<br />
von 5 vH für die bereinigte Zentralbankgeldmenge<br />
für angemessen. Als Ausgangspunkt für den Zielpfad<br />
nehmen wir das Niveau, das sich unter Berücksichtigung<br />
des Niveausprungs aus unserem letzten <strong>Jahresgutachten</strong><br />
und der Erweiterung des Währungsgebietes<br />
ergibt.<br />
Tarifpolitik am zusammenwachsenden<br />
Arbeitsmarkt: Unterschiedliche Strategien<br />
(Ziffern 402fl.)<br />
86'. Eine einheitliche Tarilpolitik kann es 19<strong>91</strong> im<br />
gesamtdeutschen Wirtschaftsraum nicht geben. Zu<br />
unterschiedlich sind die wirtscbaftlichen Ausgangslagen,<br />
die Entwicklungsperspektiven und Arbeitsmarktbedingungen<br />
heider deutscher Teilräume.<br />
87'. Die Lobnpolitik in Westdeutschland muß wieder<br />
stabilitätspolitische Perspektiven eröffnen. Es muß<br />
erreicht werden, daß die Distanz zwischen der aktuellen<br />
und der stabilitätsgerechten Lohnsteigerungsrate<br />
nicht größer wird, sondern kleiner. Die Nominallöhne<br />
sollen mit der Zuwachsrate der gesamtwirtschaftlichen<br />
Arbeitsproduktivität ansteigen; der Preisanstieg<br />
sollte allenfalls mit einem Wert unterhalb der erwarteten<br />
Preissteigerungsrate berücksichtigt werden.<br />
Wir erneuern daher unseren Vorschlag, mehrjährige<br />
Lohnabschlüsse mit einer sukzessive sinkenden Preiskomponente<br />
abzuschließen. Die Lohnpolitik muß die<br />
Alternative sehen; wenn sie nicht selbst erreicht, daß<br />
die Lohnsteigerungen nüt dem Produklivitätsfortschritt<br />
in Einklang bleiben, werden früher oder später<br />
die Marktkräfte dazu zwingen. überböhte Lohnsteigerungen<br />
führen bei einer der Geldwertstabilität verpflichteten<br />
Geldpolitik auf die Dauer in eine Rezession.<br />
Beschäftigungseinbußen werden dann den<br />
Lohnauftrieb dämpfen.<br />
88*. Im Osten Deutschlands steht das lohnpolitische<br />
Barometer auf Stunn. Es drohen 19<strong>91</strong> Lohnsteigerungen,<br />
die weit über das hinausgehen könnten, was vertretbar<br />
ist, wenn man nicht nur die Höhe des Einkommens,<br />
sondern auch die Entwicklung der Beschäftigung<br />
ins Blickfeld nimmt:<br />
Der krasse Einkommensrückstand gegenüber<br />
Westdeutschland weckt das Verlangen nach einem<br />
raschen Aufholprozeß. Viele Arbeitnehmer<br />
werden es nicht einsehen, daß ihre Nominallöhne<br />
im vereinten Deutschland so weit hinter denen im<br />
Westen <strong>zur</strong>ückstehen.<br />
Viele ostdeutsche Unternehmen, besonders im<br />
Berliner Raum und im Bereich der ehemaligen innerdeutschen<br />
Grenze, werden vennutlich nicht<br />
anders können, als hohe westdeutsche Löhne zu<br />
zahlen, wenn sie leistungsfälüge Arbeitskräfte balten<br />
und gewinnen wollen.<br />
Die organisierte Tarifpolitik steht in diesem Klima unter<br />
erheblichem Marktdruck. Anders als in Westdeutschland,<br />
wo die Effektivlohnsteigerungen im allgemeinen<br />
nur wenig über den tariflich vereinbarten<br />
Lohnsteigerungen liegen, werden die Marktkräfte in<br />
Ostdeutschland für ein rasches Voraneilen der Efteklivlöhne<br />
sorgen. Um nicht die Führungsrolle für die<br />
Lohnentwicklung zu verlieren, wird die Tarifpolitik<br />
versucht sein, auch gegen bessere ökonomische Einsicht<br />
ein rasantes Tempo bei den Lohnanhebungen<br />
vorzulegen.<br />
89*. Dennoch: Es muß tür eine ökonomisch angemessene<br />
Tarifpolitik geworben werden. Lohnanhebungen,<br />
die die realwirtschaftliche Leistungskraft<br />
ignorierten, versetzten der marktwirtschaftlichen Erneuerung<br />
in der ehemaligen DDR einen Schlag. Die<br />
Unternehmen dort müssen sich auf die Anforderungen<br />
des Weltmarktes in einem mühsamen Anpassungsprozeß<br />
umstellen; in dieser Phase ist das Risiko<br />
des Scheiterns besonders groß. Lohnsteigerungen, die<br />
über die Leistungskraft der Betriebe hinausgingen,<br />
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