Jahresgutachten 1990/91 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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Drucksache 11/8472 Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode<br />
Geldpolitik auf Stabilitätskurs<br />
29. An der auf Stabilität ausgerichteten Geldpolitik<br />
in den meisten Industrieländern hat sich nichts geändert.<br />
Betrachtet man das Gesamtjahr, so wurde jedoch<br />
von den Notenbanken (mit Ausnahme der Bank von<br />
Japan) keine weitere Verschärfung des geldpolitischen<br />
Kurses vorgenommen.<br />
Zu Jahresbeginn sah sich die Geldpolitik einiger<br />
wichtiger Industrieländer mit einer merklich beschleunigten<br />
Geldentwertung, allerdings von unterschiedlichen<br />
Ausgangswerten aus, konfrontiert.<br />
Gleichzeitig kam es zu einem Anstieg der langfristigen<br />
Zinsen, was als Zeichen für steigende Inflationserw-artungen<br />
interpretiert werden kann. Die Notenbanken<br />
zeigten sich entschlossen, gegen eine weitere<br />
Inflationsbeschleunigung vorzugehen. So erhöhten<br />
einige europäische Notenbanken (unter anderem in<br />
Belgien, Dänemark, den Niederlanden, Frankreich<br />
und Schweden) ihre Zinsen, nahmen sie aber im weiteren<br />
Jahresverlauf schrittweise wieder<strong>zur</strong>ück. In den<br />
Vereinigten Staaten kam der Prozeß einer vorsichtigen<br />
Lockerung des geldpolitischen Kurses vorübergehend<br />
ins Stocken; die "federal funds rate" verharrte<br />
bis Mitte Oktober bei rund 8 1 ':4 % • Erst als sich ein<br />
Komprorniß in den Haushaltsverhandlungen abzeichnete,<br />
schleuste die amerikanische Notenbank diesen<br />
Zins unter die 8%-Marke. Die Bank von Japan hob<br />
den Diskontsatz in mehreren Schritten auf numnehr<br />
6 % an, allerdings war dort der Zinserhöhungsprozeß<br />
im Vorjahr nur sehr zögernd in Gang gekommen, und<br />
es bestand allein schon angesichts der bis ins Frühjahr<br />
hinein anhaltenden Schwäche des Yen ein zinspolitischer<br />
Handlungsbedarf.<br />
Der Ölpreisschub in der zweiten Jahreshälfte hat die<br />
Stabilitätsaufgabe der Notenbanken deutlich erschwert.<br />
Die höheren Ölpreise haben sich rasch in<br />
höheren Preissteigerungsraten auf der Produzentenstufe<br />
und auf der Verbraucherstufe bemerkbar gemacht.<br />
Um die sich hierdurch ergebende Gefahr eines<br />
gegenseitigen Aufschaukelns von Preisen und Löhnen<br />
klein zu halten, wird die Geldpolitik, offiziellen<br />
Bekundungen zufolge, nicht von ihrem auf Stabilität<br />
des Geldwertes ausgerichteten Kurs abgehen. Die<br />
Bundesbank und die Notenbanken der Niederlande<br />
und Belgiens untermauerten Anfang N~vember ihre<br />
Stabilitätsabsichten durch eine Anhebung von Leitzinsen.<br />
30. Die GeldmengenenSwicklung reflektierte in erster<br />
linie die Zinsentwick.lung in den einzelnen Ländern.<br />
Wegen der erhöhten Opportunitätskosten der<br />
Geldhaltung expandierten die eng abgegrenzten<br />
Geldmengenaggregate in den Ländern mit gestiegenen<br />
kurzfristigen Zinsen in der Regel weniger schnell<br />
als zuvor, in einigen Ländern (Schweiz, Kanada) sanken<br />
sie sogar. In den Vereinigten Staaten nahm M1 als<br />
Folge der etwas niedrigeren kurzfristigen Zinsen in<br />
diesem Jahr wieder leicht zu, nachdem noch im<br />
Herbst des Vorjahres negative Zuwachsraten zu verzeichnen<br />
gewesen waren.<br />
In der Regel deutlich rascher expandierten die Geldmengen<br />
in weiter Abgrenzung (Mi plus Quasigeld).<br />
Insbesondere dort, wo die Zinsen merklich gestiegen<br />
sind, haben die Anleger Umschichtungen zugunsten<br />
der höherverzinslichen monetären Aktiva vorgenommen.<br />
Soweit außerdem Geldvermögen, das eigentlich<br />
für eine längerfristige Anlage vorgesehen war, vorübergehend<br />
"geparkt" wurde, überzeichnete der Zuwachs<br />
der weiten Geldmengenaggregate die Liquiditätsvorliebe<br />
der Wirtschaftssubjekte.<br />
31. Die zeitweilige Schwächung der D-Markim Rahmen<br />
des Europäischen Währungssystems eröffnete<br />
den Notenbanken einiger EWS-Länder Zinssenkungsspielräume,<br />
die diese auch nutzten. So hatte die<br />
italienische Notenbank schon an der Zinserhöhungsrunde<br />
im Herbst 1989 nicht teilgenonunen, und im<br />
Mai <strong>1990</strong> konnte sie ohne Gefahrfür den Wechselkurs<br />
der Lira den Diskontsatz um einen vollen Prozentpunkt<br />
senken. Auch andere Länder konnten den Zinsabstand<br />
<strong>zur</strong> Bundesrepublik verringern (Tabelle 5).<br />
Diese Entwicklung ist vor dem Hintergrund der weiteren<br />
Liberalisierung des Kapitalverkehrs in Europa<br />
zu sehen. Entgegen manchen Erwartungen wurden<br />
die Währungen der Länder, die Kapitalverkehrsbeschränkungen<br />
abgeschafit haben, nicht geschwächt,<br />
sondern gestärkt. Für die Kapitalanleger gewannen<br />
nämlich die Zinsdifferenzen bei nun freiem Kapitalverkehr<br />
zunehmend an Gewicht.<br />
Finanzpolitik: Keine weiteren<br />
KonsolidieRlngsfortschritte<br />
32. In diesemJahr gelangen der Finanzpolitik, in der<br />
Gesamtheit der Industrieländer, keine weiteren Fortschritte<br />
bei der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte.<br />
Deutlich höhere Defizite in den Vereinigten<br />
Staaten und in der Bundesrepublik verhinderten eine<br />
nochmalige Rückführung des durchschnittlichen<br />
Staatsdefizits. Dieses war zwischen 1983 und 1989 in<br />
den OECD-Ländern (ohne Island, Luxemburg, Portugal,<br />
Schweiz und Neuseeland) von 4,3 vH auf 1,2 vH in<br />
Relation zum Sozialprodukt gesunken. Hinter den<br />
Durchschnittswerten verbergen sich große Unterschiede<br />
zwischen den Ländern. Die Spannweite<br />
reichte <strong>1990</strong> von Überschüssen in der Größenordnung<br />
von 4 112 vH für Schweden und 3 vH für Japan bis zu<br />
Defiziten von 10 vH (Italien) beziehungsweise 18 vH<br />
(Griechenland). Problematisch ist insbesondere, daß<br />
gerade einige der Länder mit hohen Defiziten in den<br />
öffentlichen Haushalten zuletzt keine oder nur geringe<br />
Konsolidierungsfortschritte erzielten.<br />
33. Zukünftige Belastungen für die öffentlichen<br />
Haushalte werden sich aus den gestiegenen Zinsen<br />
ergeben. In diesem Jahr war davon nach Untersuchungen<br />
der OECD noch nicht viel sichtbar, da in der<br />
Regel einige Zeit vergeht, bis sich Zinserhöhungen in<br />
höheren Zinsbelastungen für die öffentlichen Haushalte<br />
niederschlagen. Diese Belastungen werden aber<br />
in den Ländern besonders schnell zunehmen, deren<br />
Staatsschuld vergleichsweise kurzfristig finanziert ist<br />
und deren Schuldenstand in Relation zum Sozialprodukt<br />
besonders hoch ist. Die Finanzpolitik muß auch<br />
aus diesem Grund darum bemüht sein, die Schulden<br />
Sozialprodukt-Relation zu senken oder zumindest zu<br />
stabilisieren.<br />
34. In den Haushaltsfehlbeträgen beziehungsweise<br />
Haushaltsüberschüssen dieses Jahres spiegeln sich<br />
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