04 S T A D T S T A D T 05 G E M E I N S C H A F T F R A N K F U R T spielzeit 2013/14 G E M E I N S C H A F T F R A N K F U R T Erstmal raus auf d e n P l a t z , zu den Andern! <strong>Frankfurt</strong>er Rendezvous von Schorsch Kamerun Uraufführung Juni 2014 die Wemgehört Stadt? Schorsch Kamerun im Gespräch mit Nargess Eskandari-Grünberg Kamerun: Gerade geht es in meinen Projekten um die Frage: Gibt es ein neues WIR? Ich glaube, wir erleben derzeit die Renaissance einer kollektiven physischen Begegnung. Das Stadtprojekt »<strong>Frankfurt</strong>er Rendezvous« wird im Juni 2014 auf dem Willy-Brandt-Platz den Versuch unternehmen, die unterschiedlichen kulturellen Milieus <strong>Frankfurt</strong>s komprimiert in einer Art Modell- und Stimmenpark sicht- und hörbar zu machen. Was passiert, wenn die Menschen <strong>Frankfurt</strong>s vor der Euro-Skulptur künstlich und distanzlos gemischt werden? Eskandari-Grünberg: Wir sagen ja immer, die Stadt ist der Ort der Begegnung, wo Menschen sich treffen. In <strong>Frankfurt</strong> leben wir in einer der multikulturellsten, vielfältigsten Städte der Welt, mit über 170 Nationen und sehr vielen Subkulturen. Mit unserem Kulturangebot erreichen wir jedoch nur einen Teil der Menschen. Jetzt könnte man sagen, der andere Teil interessiert sich nicht für Hochkultur. Oder wir stellen die Frage, was wir ändern müssen, damit das Publikum in den Kultureinrichtungen die Vielfalt unserer Stadt widerspiegelt. Deswegen bin ich gespannt darauf, wie Sie es mit Ihrem Stadtprojekt schaffen, Menschen unterschiedlicher Herkunft und Biografie in einen Dialog zu bringen. dender Aktualität. Wie zum Beispiel der Tahrir-Platz in Kairo oder der Taksim-Platz in Istanbul. Nur, wie entsteht eigentlich dieses Zusammenkommen? Und das wäre auch die Frage an Sie: Lässt es sich lenken, wie integriert wird, oder kann das nur eigenständig passieren? Eskandari-Grünberg: Ich denke, vor Ort zu gehen, ist ein guter Ansatz, um Kultureinrichtungen zu öffnen. Als Integrationsdezernentin kümmere ich mich um eine Stadt, die vielfältig ist. Integration bedeutet, die Stadt gemeinsam zu gestalten. Wir müssen Wege schaffen, dass die Menschen sagen: Ich partizipiere, ich interessiere mich und entscheide mit. Kamerun: Die zentrale Frage ist doch, wie schafft es die Stadtregierung, diese Möglichkeiten von Begegnung »von oben« und gleichzeitig »unautoritär« herzustellen? Das ist ja auch ein Anliegen bei unserem Projekt, dass es nicht als »geführt« aufgefasst wird. Eskandari-Grünberg: Es geht darum, Partizipation gezielt zu fördern. Vielfalt kann sich im öffentlichen Raum durch Kunst, durch die Benennung von Straßen und Plätzen oder durch eine einladende Gestaltung von Gebäuden ausdrücken. Straßen, Plätze, Grünanlagen und öffentliche Gebäude sind identitätsstiftende Symbole und können Begegnung und Selbstdarstellung unterschiedlicher Gruppen fördern und ausdrücken. Integration heißt kreativ sein. Kamerun: Aber wer ist hier eigentlich kreativ? Muss nicht eigentlich erst mal derjenige, der dort lebt, Kreativität hervorbringen? Das ist doch das Problem von Stadtplanung, würde ich sagen, vielleicht auch von Integration: Gegenden müssen wachsen, von sich aus, damit sie authentisch sind. Vielleicht ist diese Art von stadtplanerischer »Methodenbereitstellung« gar nicht möglich – sondern die Menschen müssen selbst auf die Idee kommen, zu gestalten. Wünsche lassen sich schlecht von anderen vorempfinden. Eskandari-Grünberg: Wir müssen Menschen über ihre Teilhabemöglichkeiten informieren und sie befähigen, mitzuentscheiden und mitzugestalten. Das verstehe ich unter Chancengleichheit. Kamerun: Und was sind mögliche Konzepte für eine solche Politik? Eskandari-Grünberg: Unser Integrationskonzept nennt dazu eine ganze Reihe von konkreten Ansätzen: Menschen sollen sich etwa schnell und wohnortnah über ihren Stadtteil informieren und sich an der Gestaltung ihres Umfelds beteiligen können. Dafür gilt es an geeigneten Orten Anlaufstellen zu schaffen, die gut erreichbar und angemessen ausgestattet sind. Wir müssen die Kompetenz im Umgang mit Vielfalt und das gemeinsame Verantwortungsbewusstsein der Be wohnerinnen und Bewohner stärken und der Wahrnehmung Kamerun: Wir verlängern das <strong>Schauspiel</strong>haus <strong>Frankfurt</strong> auf den Willy-Brandt-Platz und öffnen es gleichzeitig dadurch. Verwandte Orte sind ja gerade von entscheivon Quartieren als »Problem-Stadtteilen« entgegenwirken. Kamerun: Sollte Politik dort eingreifen? Wenn ein Areal, weil Firmen ausziehen, leer steht – wer darf da was drin machen als nächstes? Ich wäre dafür, die Umliegenden mitzunehmen und zu befragen. Ich glaube, dass es Gegenden gibt, die um einen Bestand kämpfen. Sie wollen sich von alleine entwickeln und gar nicht schnell verändern. Rasante Entwicklungen sind fast immer ökonomisch gedacht. Eskandari-Grünberg: Es geht darum, sich klarzumachen, dass wir in einer sich ständig verändernden Welt leben. Inzwischen ist es zum Beispiel chic, im ehemaligen Arbeiterviertel Gallus zu leben. Da kommt eine neue Klientel, die das ursprüngliche Quartier massiv verändert. Das Gallus steht nun vor der Aufgabe, sich neu zu definieren. Hier muss Politik dafür sorgen, dass die unterschiedlichen Bedürfnisse aller berücksichtigt werden, damit ein neues WIR entstehen kann. Kamerun: Ist das eine deutsche Eigenart? Wenn man nach Berlin-Hellersdorf schaut: Da gibt es ein geschlossenes WIR, welches Zuzüge von Flüchtlingen verhindern will. Eskandari-Grünberg: Ich glaube, es geht genau darum, das auszusprechen: Dieses WIR ist immer vielfältig und nie homogen. Dieser Tatsache müssen wir uns in einer Demokratie stellen. Kamerun: Ist das überhaupt möglich, ein WIR-Empfinden zu fördern? Womit? Eskandari-Grünberg: Mit Teilhabe. Wir möchten eine integrative Stadtplanung fördern, die den Bürger meint. Dazu müssen unterschiedliche Akteure wie Stadtteilinitiativen, Vereine, Schulen und Kitas, Senioren- und Kultureinrichtungen oder Religionsgemeinschaften in den Prozess der Stadtplanung eingebunden werden. Wenn wir es nicht schaffen, sozusagen von oben diese Offenheit zu haben, dann schaffen wir es auch von unten nicht. Kamerun: Ich befürchte, weil diese Beweglichkeit nicht mehr glaubwürdig ist, erleben wir ein so starkes Comeback von direkter Demokratie. Dass die Leute keinen Bock mehr haben auf dieses Gefühl: Egal, wer da oben rumwurschtelt, es ist sowieso immer gleich. Wie fühlt man sich also ernst genommen? Ich muss spüren, dass sich da jemand wirklich interessiert und nicht nur innerhalb seiner Legislaturperiode. Das ist übrigens in der Liebe sehr ähnlich. Ich fühle mich nur dann ernst genommen und geliebt, wenn ich spüre, da ist jemand bei mir. Die Stadtplanung imitiert zum Teil auch die Liebe. Auch die Stadtplanung sagt: »Wir haben hier diese ›spannende‹, multikulturelle Gegend, die ist für alle lebenswert!« – und deswegen wird sie erfolgreich. Das ist schon ein bisschen betrügerisch. Ich glaube, man muss wirklich da sein. Und das ist auch wieder etwas, was wir dringend brauchen als Gegenmittel in unserer überkomplexen Zeit, in dieser »Entfremdung 2.0« im Medienzeitalter: Raus auf den Platz, zu den Anderen! Eskandari-Grünberg: Ja, man muss das Ernstnehmen wirklich meinen und in Taten umsetzen. Kamerun: Es geht nur mit Eigeninteresse. Wenn ich mich nicht interessiere, habe ich auch keine Lust. – Übrigens, die Leute ernst zu nehmen, das behauptet ja erst mal jeder Politiker. Man muss es dann halt beweisen. Auch als Politiker muss ich da sein. Eskandari-Grünberg: Im Grunde gehört genau diese ganze Diskussion, die wir hier gerade führen, in den öffentlichen Raum. Kamerun: Aber das ist Teil unserer Form. Wir werden da nicht nur mit <strong>Schauspiel</strong>ern auflaufen und vorher Menschen aus der Stadt befragt haben, die dann »nachgespielt« werden. Wir machen es komplett mit allen. Denn der Anwohner beschreibt seine Interessen am besten ganz selbst. Eskandari-Grünberg: Ich finde das sehr spannend, wir sollten über eine gemeinsame Veranstaltung nachdenken.