Diese Ausgabe als PDF herunterladen - Service.bistumlimburg.de ...
Diese Ausgabe als PDF herunterladen - Service.bistumlimburg.de ...
Diese Ausgabe als PDF herunterladen - Service.bistumlimburg.de ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
BEITRÄGE<br />
172<br />
alle Menschen sehr viel gemeinsam.<br />
Die „gol<strong>de</strong>ne Regel“ gibt es nicht nur<br />
im Christentum, sie begegnet uns<br />
schon in <strong>de</strong>r griechischen Philosophie<br />
und auch im Buddhismus. Die meisten<br />
<strong>de</strong>r Zehn Gebote haben ihre Äquivalente<br />
in an<strong>de</strong>ren Religionen. Auch gibt<br />
es Verwandtschaften. Der Hinduglauben<br />
an das Karma etwa, <strong>de</strong>r behauptet,<br />
dass die guten und bösen Taten wie<strong>de</strong>r<br />
zu uns zurück kehren und nicht ohne<br />
Konsequenzen sind, ist gewiss nicht<br />
i<strong>de</strong>ntisch mit <strong>de</strong>m Glauben an ein göttliches<br />
Gericht, aber gewisse Verwandtschaften<br />
lassen sich fin<strong>de</strong>n. Und wenn<br />
man gera<strong>de</strong> zwischen <strong>de</strong>n konkurrieren<strong>de</strong>n<br />
monotheistischen Religionen<br />
die Gemeinsamkeiten anfängt zu quantifizieren,<br />
wird man feststellen, dass<br />
die Menge <strong>de</strong>ssen, was sie gemeinsam<br />
haben, sehr viel größer ist, <strong>als</strong> die Menge<br />
<strong>de</strong>ssen, was sie trennt.<br />
So weit, so gut. Ich habe selber die<br />
Errungenschaft <strong>de</strong>r „Universellen Erklärung<br />
<strong>de</strong>r Menschenrechte“ (1948)<br />
gefeiert und die Notwendigkeit einer<br />
Art globalen Ethik verteidigt. 6 Aber gera<strong>de</strong><br />
<strong>de</strong>r Blick auf die monotheistischen<br />
Religionen, die ja auch weite<br />
Strecken ihrer Geschichte gemeinsam<br />
haben, zeigt, dass diese Mengenlehre<br />
gera<strong>de</strong> nicht dazu führt, dass sie sich in<br />
die Arme sinken. Im Gegenteil: Wenn<br />
wir in Amerika an unseren Bürgerkrieg<br />
<strong>de</strong>nken, so wird man aus <strong>de</strong>m Abstand<br />
heraus gewiss sagen können, dass die<br />
Amerikaner, die sich in diesem erbitterten<br />
Bru<strong>de</strong>rkrieg gegenseitig umbrachten,<br />
aus heutiger Sicht sehr viel mehr<br />
gemeinsam hatten <strong>als</strong> die Frage, die sie<br />
entzweit hatte. Das vergleichsweise winzige<br />
Quantum <strong>de</strong>r Differenzen macht<br />
diese Differenzen umso toxischer, das<br />
scheinen die Konflikte in Nordirland<br />
und im Balkan, die Grausamkeiten<br />
zwischen Serben und Kroaten noch<br />
einmal zu zeigen. Es gibt so etwas wie<br />
die Sprengbombe <strong>de</strong>r kleinen Differenz.<br />
Die Differenz unter Brü<strong>de</strong>rn wird<br />
umso schmerzlicher und dramatischer<br />
empfun<strong>de</strong>n, je mehr sie sich <strong>als</strong> Brü<strong>de</strong>r<br />
fühlen. Al Fatah und Hamas, die palästinensischen<br />
Brü<strong>de</strong>r, greifen zur ultima ratio<br />
und bringen sich gegenseitig um.<br />
So scheint mir, gera<strong>de</strong> unter pragmatischen<br />
Rücksichten, das Projekt<br />
Weltethos ein blauäugiges Unternehmen<br />
zu sein. Es ist im besten Fall unschädlich,<br />
wenn sich alle gut Gesinnten<br />
dieser Welt auf <strong>de</strong>m kleinsten gemeinsamen<br />
Nenner treffen, aber sie wer<strong>de</strong>n<br />
nicht verhin<strong>de</strong>rn, dass die weniger gut<br />
Gesinnten ihre Differenzen mit <strong>de</strong>m<br />
Mittel <strong>de</strong>r Gewalt angehen.<br />
Zwischen <strong>de</strong>m lustigen, aber auch<br />
scharfsinnigen Wissenschaftstheoretiker<br />
Paul Feyerabend, einem Schüler<br />
Karl Poppers, und <strong>de</strong>m heiligen Vater,<br />
Papst Benedikt XVI., zwei Figuren, die<br />
in vieler Hinsicht unterschiedlicher<br />
nicht sein können, gibt es eine interessante<br />
Gemeinsamkeit. Bei<strong>de</strong> verweisen<br />
auf die zwingen<strong>de</strong> Voraussetzung <strong>de</strong>r<br />
Gewaltfreiheit, wenn <strong>de</strong>nn ein friedliches<br />
Nebeneinan<strong>de</strong>r unterschiedlicher<br />
Wahrheitsansprüche möglich sein soll.<br />
Paul Feyerabend bekennt sich zum wissenschaftstheoretischen<br />
Anarchismus.<br />
Damit meint er, dass es kein Dogma in<br />
<strong>de</strong>n Metho<strong>de</strong>n geben dürfe, die eine<br />
Wissenschaft zur Wissenschaft machen.<br />
Scharfsinnig und mit zwingen<strong>de</strong>r Logik<br />
zeigt er, dass alle wissenschaftliche Methodik<br />
auf einer dogmatischen Grun<strong>de</strong>ntscheidung<br />
beruht, <strong>de</strong>ren Zwang er<br />
aber ablehnt. Und so plädiert er, halb im<br />
Spaß und halb im Ernst, für eine „polizeilich<br />
garantierte Anarchie“. Er ist bei<br />
<strong>de</strong>m Problem gelan<strong>de</strong>t, das wir schon<br />
aus <strong>de</strong>r Ethnologie kennen gelernt haben.<br />
„Wo stehst Du?“, so muss sich <strong>de</strong>r<br />
Beobachter <strong>de</strong>r Religionen fragen, <strong>de</strong>r<br />
selbst keiner Religion angehört und nur<br />
ein Beobachter sein will. Und <strong>de</strong>r Polizist,<br />
<strong>de</strong>r die Anarchie davor bewahrt,<br />
dass sich die unterschiedlichen methodischen<br />
Wahrheitsansprüche gegenseitig<br />
an die Gurgel gehen, müsste sich<br />
auch fragen lassen: „Woher hast Du <strong>de</strong>in<br />
Gewaltmonopol, <strong>de</strong>ine Legitimation?“<br />
Wir alle erinnern uns, was für ein<br />
Schrecken weltweit zu beobachten war,<br />
<strong>als</strong> Benedikt XVI. in seiner so genannten<br />
„Regensburger Re<strong>de</strong>“ die Gewaltfrage<br />
auf die Tagesordnung setzte.<br />
Manche Moslems fühlten sich beleidigt,<br />
es gingen Kirchen in Flammen auf,<br />
und es kam sogar zu Aggressionen und<br />
zu Mor<strong>de</strong>n. Eine beson<strong>de</strong>re Pointe: die<br />
Frage an <strong>de</strong>n Islam: „Wie hältst Du es<br />
mit <strong>de</strong>r Gewalt?“ wur<strong>de</strong> ohne Worte<br />
beantwortet. An<strong>de</strong>re Antworten, ich<br />
<strong>de</strong>nke vor allem an die, welche vom<br />
saudischen Kronprinzen organisiert wor<strong>de</strong>n<br />
ist, <strong>de</strong>r ein interessantes Manifest<br />
muslimischer Geistlicher zustan<strong>de</strong><br />
brachte, waren ermutigend. Statt sich<br />
gegeneinan<strong>de</strong>r zu profilieren, sind Ansätze<br />
gesucht wor<strong>de</strong>n, mit <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />
Seite zu re<strong>de</strong>n. Auch das muss man<br />
Pragmatismus nennen, obwohl es um<br />
<strong>de</strong>n verbalen Austausch von Gedanken<br />
geht. Wenn wir vor <strong>de</strong>r Alternative<br />
stehen: Kämpfen o<strong>de</strong>r miteinan<strong>de</strong>r<br />
Sprechen, han<strong>de</strong>lt es sich nicht um<br />
<strong>de</strong>n bekannten Gegensatz von Theorie<br />
und Praxis, son<strong>de</strong>rn um zwei Formen<br />
von Praxis.<br />
Der „Plural <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>rne“, Mehrzahl<br />
<strong>de</strong>r Wahrheiten einer Mehrzahl<br />
von Religionen, ist für uns in Amerika<br />
ein Problem, das zu unserer Gründungsgeschichte<br />
gehört. Nach wie vor<br />
scheint mir die US-amerikanische Antwort<br />
aktuell zu sein. Die Geschichte<br />
Amerikas wird von uns <strong>als</strong> eine Geschichte<br />
<strong>de</strong>r Freiheit interpretiert, genauer<br />
gesagt, <strong>de</strong>r Religionsfreiheit. In<br />
Europa herrschte im 17. und 18. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />
kaum irgendwo Religionsfreiheit.<br />
Das, was wir heute zu <strong>de</strong>n Menschenrechten<br />
rechnen, und was viele<br />
Nationen wenigstens auf <strong>de</strong>m Papier<br />
unterschrieben haben, war dam<strong>als</strong> fast<br />
nirgendwo Realität. Im Allgemeinen<br />
bestimmten die Fürsten die Staatsreligion.<br />
Ich kann hier nicht das komplizierte<br />
Verhältnis zwischen geistlicher<br />
und politischer Macht in Europa rekonstruieren,<br />
wie ich höre wird es in diesem<br />
Halbjahr im Haus am Dom in<br />
Frankfurt beson<strong>de</strong>rs studiert.<br />
Die amerikanische Freiheitsbewegung<br />
hängt mit <strong>de</strong>r Flucht aus <strong>de</strong>m<br />
religiösen Zwang, <strong>de</strong>r in Europa<br />
herrschte, zusammen. Viele <strong>de</strong>r Pilgrim<br />
Fathers wünschten sich daher eine Verfassung,<br />
die nieman<strong>de</strong>n zwang, die eine<br />
o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Denomination anzunehmen.<br />
So kam es zu einer <strong>de</strong>utlichen Trennung<br />
von Staat und Religion. 7 Das führt bis<br />
heute allerdings nicht dazu, dass die Re-<br />
INFO 36 · 4/2007