Nr. 56 - Soziale Welt
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10 LOKALES<br />
Von Neufundland bis zum Affentor<br />
25 Jahre Werkstatt Frankfurt – Qualifizierung für Arbeitslose – Eigene Betriebe<br />
Die Werkstatt Frankfurt hat sich von einem kleinen städtischen Projekt zu einem sozialen Unternehmen mit 10 Betrieben<br />
entwickelt, in denen Arbeitslose beschäftigt und qualifiziert werden. Mit dem Programm “Frankfurter Weg zur Berufsausbildung“<br />
ist auch ein Berufsabschluss möglich. Das jüngste Projekt der Werkstatt ist ein „smart“-Lebensmittelmarkt.<br />
Im März 2009 wurde in Eckenheim der<br />
„smart“-Lebensmittelmarkt eröffnet.<br />
„Unser Markt in der Porthstraße 11 bietet<br />
endlich wieder ortsnah alles, was man zum<br />
Leben braucht. Wir sind stolz darauf, dass<br />
wir den Menschen in Eckenheim dieses Angebot<br />
machen können, und so die Nahversorgung<br />
verbessern helfen“, heißt es bei der<br />
Werkstatt Frankfurt. Sie betreibt den kleinen<br />
Supermarkt, dessen Größe von 445 qm für<br />
die großen Lebensmittel-Filialisten nicht<br />
mehr interessant ist. smart ist ein Vollsortimenter.<br />
Die Ware kommt unter anderem von<br />
Rewe und der Bio-Gärtnerei, die die Werkstatt<br />
in Oberrad betreibt. Auf Gewinne aus<br />
dem Projekt ist der gemeinnützige Verein<br />
nicht aus. Vielmehr geht es auch bei smart<br />
darum, arbeitslosen Menschen eine qualifizierende<br />
Beschäftigung zu bieten.<br />
Die Mitarbeiter des Marktes nehmen an<br />
einem Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramm<br />
teil. Noch in diesem Jahr können<br />
sie über den so genannten „Frankfurter Weg<br />
zum Berufsabschluss“ eine Qualifikation zum<br />
Einzelhandelskaufmann/-kauffrau beginnen.<br />
Für den regulären Ausbildungsmarkt wären<br />
sie zu alt. Rund drei Viertel der Lohnkosten<br />
finanziert die Werkstatt Frankfurt mit Fördermitteln<br />
der Stadt und der Arbeitsagentur.<br />
„Die Werkstatt Frankfurt ist einer der<br />
ältesten und größten Organisationen in<br />
Deutschland, die sich mit der Integration,<br />
der Beschäftigung und Qualifizierung von<br />
Langzeitarbeitslosen befasst“, sagt Conrad<br />
Skerutsch, Geschäftsführer der Werkstatt,<br />
die vor kurzem 25-jähriges Jubiläum feierte.<br />
1984 hat die Stadt Frankfurt den Verein<br />
„Werkstatt Frankfurt e.V.“ gegründet mit<br />
dem Zweck, Arbeitsgelegenheiten für Arbeitslose<br />
zu schaffen und sie wieder in den<br />
Arbeitsmarkt zu integrieren. Seither hat<br />
sich die Werkstatt zu einem sozialen Unternehmen<br />
mit zehn Betrieben entwickelt, die<br />
zurzeit 1363 Menschen Arbeits- und Qualifizierungsmöglichkeiten<br />
bieten. 182 Stammmitarbeiter<br />
beschäftigt die Werkstatt. An der<br />
Spitze des Vereins steht laut Satzung der jeweilige<br />
Sozialdezernent der Stadt Frankfurt.<br />
„Die Werkstatt Frankfurt hat sich in den<br />
letzten Jahren fundamental gewandelt. Wir<br />
haben den Frankfurter Weg zum Berufsabschluss<br />
entwickelt, eine eigene Modemarke<br />
kreiert, die für ihr Recycling einen Umweltpreis<br />
bekommen hat, haben uns in aktuelle<br />
arbeitsmarktpolitische Debatten eingebracht<br />
und viele kreative Ideen umgesetzt“, sagt<br />
Skerutsch. Kerngeschäft sei nach wie vor<br />
die Integration arbeitsloser Menschen in<br />
den Arbeitsmarkt. „Die praktische Tätigkeit<br />
unserer Betriebe ist stark auf Umweltschutz<br />
und Ressourcenschonung orientiert“, ergänzt<br />
Christian Jungk, Leiter Betriebe der Werkstatt<br />
Frankfurt.<br />
Neben dem Recyclingzentrum Frankfurt<br />
betreibt die Werkstatt das Second-Hand-<br />
Möbelkaufhaus Neufundland, die Bioland-<br />
Gärtnerei in Oberrad, den Stadtteilservice<br />
ffmtipptopp und die Affentor Manufaktur,<br />
in der ausgefallene<br />
Taschen aus Reststoffen<br />
genäht werden.<br />
Das Tower-Café<br />
bei Bonames und<br />
das Licht & Luftbad<br />
in Niederrad,<br />
beide ebenfalls von<br />
der Werkstatt und<br />
damit von Arbeitslosen<br />
betrieben, sind<br />
dazu gedacht, den Stadtmenschen Erholung<br />
in der Natur zu bieten.<br />
Zusammen mit dem Rhein-Main-Jobcenter<br />
und der Berta-Jourdan-Schule führt die<br />
Beschäftigungsgesellschaft darüber hinaus<br />
ein Bildungsprojekt für angehende Erzieherinnen<br />
durch. Arbeitslose Bezieher von ALG<br />
II können sich bei entsprechender Eignung<br />
zu Erzieherinnen bzw. Erziehern ausbilden<br />
lassen. Das Projekt ist Anfang dieses Jahres<br />
gestartet.<br />
Die Werkstatt Frankfurt hat sich in den<br />
letzten Jahren mit vielfältigen und innovativen<br />
Aktivitäten als Beschäftigungsgesellschaft<br />
etabliert. Menschen in den arbeitsmarktpolitisch<br />
umstrittenen 1,50 Euro-Jobs zu beschäftigen,<br />
gehört auch dazu, ist aber längst nicht<br />
alles. „Die Werkstatt Frankfurt wird häufig<br />
als ein Akteur angesehen, der nur so genannte<br />
Ein-Euro-Jobs organisiert“, sagt Skerutsch.<br />
„Das tut sie auch, aber für Menschen, die ein<br />
solches Training brauchen und wollen, um<br />
sich wieder in die Arbeitswelt einzufinden.“<br />
Er ist jedenfalls überzeugt davon, dass mit<br />
dem Frankfurter Weg zum Berufsabschluss<br />
ein Programm zur Verfügung steht, das für<br />
einen Großteil der Langzeitarbeitslosen eine<br />
echte und nachhaltige Ausstiegsperspektive<br />
aus Hartz IV bedeutet.<br />
liz<br />
Die Betriebe der Werkstatt Frankfurt<br />
Angebunden an die Nidda und eingebunden<br />
in das Naturschutzgebiet des Frankfurter<br />
Grüngürtels ist der ehemalige Hubschrauberlandeplatz<br />
besonders an den Wochenenden<br />
ein beliebtes Ausflugsziel für Radfahrer,<br />
Wanderer und Naturbegeisterte. Der ehemalige<br />
Tower des Hubschrauberlandeplatzes<br />
wurde zum Tower-Café (1995 eröffnet) umgebaut.<br />
So wie im Schmankerl & Co, einem<br />
Café im Bürgerhaus<br />
Griesheim, werden<br />
im Tower-Café erwerbslose<br />
Menschen<br />
zu Köchen und Restaurantfachkräften<br />
weitergebildet.<br />
In der Affentor-<br />
Manufaktur arbeiten<br />
25 Nähhelferinnen<br />
unter der<br />
Anleitung von zwei Schneider-Meisterinnen.<br />
Sie erlernen den Umgang mit unterschiedlichen<br />
Stoffen und Materialien und nähen<br />
Einkaufstaschen, kleine Beutel und Laptop-<br />
Taschen. Verkauft werden die Produkte in<br />
einem Laden in der Frankfurter Innenstadt<br />
(Fahrgasse 23), in der Nähe des Museums für<br />
Moderne Kunst.<br />
Hoher Anteil an Ungelernten in Frankfurt<br />
Frankfurter Weg zum Berufsabschluss<br />
Der Frankfurter Weg ist eine Gemeinschaftsinitiative<br />
der Industrie- und Handelskammer<br />
Frankfurt, der Handwerkskammer<br />
und der Werkstatt Frankfurt, um Arbeitslosen<br />
(25 bis 45 Jahre) zu einem qualifizierten<br />
Berufsabschluss zu verhelfen. In den Betrieben<br />
der Werkstatt Frankfurt, in Praktika<br />
und in Lerngruppen werden die Teilnehmer<br />
in drei Stufen und über insgesamt drei Jahre<br />
auf den Berufsabschluss vorbereitet.<br />
Der Frankfurter Weg wird vom Rhein-<br />
Main-Jobcenter finanziell unterstützt.<br />
„Menschen bis zu einem Alter von 45 Jahren<br />
erhalten ihre zweite Chance“, sagt Werkstatt-<br />
Leiter Skerutsch zu der Gemeinschaftsinitiative,<br />
die im Jahre 2006 gestartet wurde. Im<br />
Jahr 2008 bestanden die ersten 7 Teilnehmer<br />
am Frankfurter Weg die Kammerprüfungen.<br />
2009 haben 50 Menschen erfolgreich den<br />
Frankfurter Weg absolviert.<br />
Der Betrieb Bauwerk bietet eine ganze Palette<br />
an Dienstleistungen rund um die Sanierung<br />
und Modernisierung von Häusern und<br />
Wohnungen.<br />
ffmtipptopp ist ein Stadtteilservice mit<br />
Ortsdiener. Unter Leitung der Werkstatt<br />
Frankfurt und in enger Kooperation mit der<br />
Stadt Frankfurt, Stabsstelle Sauberes Frankfurt,<br />
sind zurzeit rund 75 Langzeitarbeitslose<br />
(Hartz IV-Empfänger) als Ortsdiener in den<br />
Stadtteilen eingesetzt. Sie kümmern sich als<br />
„Hausmeister des Stadtteils“ um das Erscheinungsbild<br />
der Stadt. Sie melden wilde Abfallablagerungen<br />
und Graffiti und entfernen Abfallkleinmengen<br />
aus dem öffentlichen Raum.<br />
Sie melden Defekte an öffentlichen Verkehrsund<br />
Beleuchtungseinrichtungen den entsprechenden<br />
Ämtern. Sie sind Ansprechpartner<br />
für die Bürger und Geschäftsleute der Stadtteile,<br />
in denen sie eingesetzt sind.<br />
Das Second-Hand-Warenhaus Neufundland<br />
bietet auf 600 qm Fläche ein breites<br />
Angebot an Möbeln und Wohn-Accessoires.<br />
Hier werden den Mitarbeitern die Möglichkeit<br />
zur Qualifizierung zum Fachlagerist/in,<br />
Fachkraft für Lagerlogistik, Verkäufer/-in;<br />
Einzelhandelskauffrau/mann geboten.<br />
Das Recyclingzentrum (Frankfurt Griesheim)<br />
sammelt gebrauchte Elektrogeräte,<br />
setzt sie wieder instand oder gewinnt daraus<br />
wertvolle Rohstoffe. Qualifizierungsberufe:<br />
Elektroniker/in Energie- und Gebäudetechnik,<br />
Informationselektroniker/-in,<br />
Berufskraftfahrer/-in<br />
Die Bioland-Gärtnerei (Gärtnersiedlung<br />
Frankfurt Oberrad) baut Gemüse nach biologischen<br />
Gesichtspunkten an und verkauft<br />
im eigenen Laden und auf dem Markt in Offenbach.<br />
Hier wird die Qualifizierung zum/<br />
zur Gärtner/in im Gemüsebau angeboten.<br />
Bider und Text: Werkstatt Frankfurt e.V.<br />
Wir haben uns vom Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur der Goethe-Universität Frankfurt<br />
am Main – kurz IWAK - einmal die genauen Zahlen heraussuchen lassen. Bundesweit sind 6,7<br />
Millionen Erwerbstätige im Status der An- und Ungelernten. Hinzurechnen muss man noch<br />
einmal fast 1,4 Millionen An- und Ungelernte, die arbeitslos sind. Zusammen sind es also über 8<br />
Millionen betroffene Menschen. Fast die Hälfte dieser 8 Millionen Menschen sind im Alter von 25<br />
bis 50 Jahre – und kommt einerseits nicht für eine Erstausbildung, aber sehr wohl dem Grunde<br />
nach für eine Nachqualifizierung, in Betracht.<br />
In Frankfurt sind es 91.000 An- und Ungelernte (hiervon 74.000 erwerbstätig). Frankfurt<br />
liegt mit 22 % Anteil an allen Erwerbstätigen spürbar höher als der Bundesdurchschnitt mit 18<br />
%. Dies liegt ganz offenkundig an dem hohen Anteil von Migranten an den Frankfurter Erwerbstätigen.<br />
Migranten haben einen deutlich überproportionalen Anteil an der Gruppe der An- und<br />
Ungelernten. Er beträgt bundesweit 20 % und in Frankfurt liegt der Anteil der Migranten an der<br />
Gruppe der An- und Ungelernten bei 44 %. Der Grund hierfür ist die fehlende Anerkennung im<br />
Ausland erworbener Ausbildungen.“<br />
Conrad Skerutsch, Leiter der Werkstatt Frankfurt, bei der Fachtagung „Da geht noch viel! Wie<br />
aus An- und Ungelernten dringend benötigte Fachkräfte werden können“, am 02.09.2009 in<br />
Frankfurt.