Nr. 56 - Soziale Welt
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16 Unser Ausflugstipp<br />
Ein Blick in die Natur - Teil 3<br />
Im dritten Teil meiner Geschichte, möchte ich über die Geschehnisse im Herbst berichten<br />
Ganz langsam, fast über Nacht, vollzieht sich der Wechsel- der erste Vorbote ist der Frühnebel, der sich über die Landschaft<br />
legt und sich nur gemächlich aufl öst. So nach und nach verfärben sich die Blätter an den Bäumen und Sträuchern.<br />
Überall sieht man Scharen von Zugvögeln auf ihrem Weg Richtung Süden.<br />
Herbst<br />
tIm fahlen Licht der ersten Morgensonne<br />
steigen Nebel in dichten Schwaden über dem<br />
See auf. Hinter den Teichbinsen zeichnen<br />
sich verschwommen die Umrisse der Bäume<br />
ab. Noch schlafen viele Tiere, und tiefe Ruhe<br />
umgibt den bleiernen See. Nur eine Kolbenente<br />
erscheint und gleitet gespenstisch<br />
vorüber. Geräuschlos zerteilt er die glatte,<br />
schimmernde Wasserfläche. Auch unter ihrer<br />
dampfenden Oberfläche wird es ruhiger. In<br />
der Kühle des Herbstes läuft das Leben langsamer<br />
ab. Aus dem Erlengestrüpp lässt ein<br />
Rotkehlchen seine melodische, schwermütige<br />
Weise erklingen.<br />
Besonders im Röhricht der angrenzenden<br />
Feuchtwiese hat sich reichlich Tau niedergeschlagen.<br />
Winzige Wasserperlen hängen in<br />
den Netzen der vielen Spinnen und machen<br />
sie weithin sichtbar. Bewegungsunfähig verharrt<br />
die Mosaikjungfer auf einem Schilfhalm.<br />
Steif vor Kälte ist sie nicht in der Lage,<br />
die glitzernden Tautropfen von ihrem Körper<br />
abzuschütteln. Auch die Stockente schläft<br />
noch im Röhricht. Der Erpel hat sein prächtiges<br />
Hochzeitsgefieder abgelegt und ähnelt<br />
nun dem braungescheckten Weibchen.<br />
Langsam steigen die Nebel<br />
höher, die ersten Sonnenstrahlen<br />
treffen auf den See und<br />
zerreißen die grauen Schleier.<br />
Golden-braun-rote Herbsttöne<br />
der Blätter von Bäumen<br />
und Sträuchern spiegeln sich<br />
in der glatten Oberfläche – eine<br />
Sinfonie gedämpfter Farben.<br />
Die ganze Pracht der Seerosenblätter<br />
ist verschwunden.<br />
Ihre ausgefransten Ränder,<br />
die Fraßspuren der Schnecken<br />
und das welkende Grün lassen<br />
ihre einstige Schönheit nicht<br />
mehr erahnen. Die Wasserlinsen<br />
sinken langsam hinab in<br />
tiefere Wasserschichten. Dort<br />
werden sie die kühle Jahreszeit<br />
verbringen. Die freien Wasserflächen<br />
werden allmählich<br />
größer, und Herbstwinde zerren<br />
an den Resten noch übrig<br />
gebliebener See- und Teichrosenblätter.Die<br />
Rohrkolben<br />
quellen über von Tausenden<br />
winziger Samen, die mit einem haarigen<br />
Flugorgan ausgestattet sind. Wie lockere<br />
Wattebäusche haften sie noch eine Weile am<br />
Kolben, bis sie in der kühlen Herbstluft oft<br />
über große Entfernungen verdriftet werden.<br />
Auch tanzen kleinere Wolken der Distelwolle<br />
durch die Lüfte oder treiben auf der Wasseroberfläche<br />
davon. Gen Süden ziehende Scharen<br />
von Stieglitzen fallen im Röhricht ein,<br />
angelockt vom reichen Angebot der Samen:<br />
leuchtend gelbe und rote Farbkleckse inmitten<br />
der trockenen, absterbenden Schilfhalme.<br />
Große Mosaikjungfern patrouillieren<br />
majestätisch am<br />
Ufer und bewachen<br />
ihr Revier.<br />
Bei Vorüberfliegen<br />
ist das Rascheln<br />
ihrer Flügel deutlich<br />
zu hören. Aus<br />
der Luft erbeuten<br />
sie Köcherfliegen,<br />
Schwebfliegen oder<br />
Schmetterlinge,<br />
deren Flügel jetzt<br />
schon stark abgewetzt<br />
sind. Beute<br />
gibt es immer noch<br />
im Überfluss.<br />
Schwalben<br />
schießen anmutig<br />
flach über die Wasseroberfläche, um nach<br />
frisch geschlüpften Stechmücken zu schnappen.<br />
Ihre Jungen haben schon die Flucht vor<br />
dem drohenden Winter die lange Reise nach<br />
Süden angetreten. Ihre Eltern verweilen noch<br />
eine Weile bei uns, bis die ersten eiskalten<br />
Nächte den Strom der nachrückenden Insekten<br />
abreißen lassen.<br />
Viele Insekten versuchen dem drohenden<br />
Tod zu entgehen. Bevor zahlreiche Wasserinsekten<br />
selbst sterben, sicherten sie das Weiterleben<br />
ihrer Art. Sie haben Eier oder Larven<br />
hervorgebracht, die, gut ausgerüstet, den<br />
Winter überstehen werden, um in den ersten<br />
warmen Frühlingstagen zu neuen Leben zu<br />
erwachen. Manche Wasserkäferlarven verlassen<br />
das Wasser sogar und graben sich in der<br />
schlammigen Uferböschung ein. Dort verpuppen<br />
sie sich, und bis zum Frühjahr verwandeln<br />
sie sich unmerklich in einen, neuen<br />
glänzenden Käfer.<br />
Noch ist das Leben nicht völlig verstummt.<br />
An warmen Tagen geben sich die<br />
Frösche und Kröten ein letztes Stelldichein.<br />
Von der schwächer werdenden Sonne lassen<br />
sie sich ein letztes Mal erwärmen – ständig<br />
auf der Lauer nach vorüberfliegenden Insekten.<br />
Wird es aber kälter, verlangsamen sich<br />
ihre Bewegungen, und sie werden dann eine<br />
leichte Beute für die Graureiher. Bald müssen<br />
sie geeignete Schlupfwinkel unter Steinen<br />
oder Laubhaufen aufsuchen, und sicher vor<br />
Feinden fallen sie in die Winterstarre.<br />
Gerade jetzt, in der kühlen, feuchten Witterung,<br />
entfalten viele Moose ihre stärkste<br />
Lebenskraft. Als samtweiche, grüne Polster<br />
überziehen sie ganze Uferböschungen.<br />
Sie treiben gestielte Kapseln aus, in denen<br />
Tausende winziger Sporen gebildet werden.<br />
Unsichtbar für uns, werden sie an der Spitze<br />
der Sporenkapsel ausgeschüttelt. Umherstreifende<br />
Buch- und Grünfinkenscharen lassen<br />
sich zu einem kleinen Bad in den Pfützen am<br />
Ufer nieder, bevor sie erneut nach Sämereien<br />
Ausschau halten.<br />
Mit Macht entlauben jetzt die Herbststürme<br />
die Kronen der Bäume. Deren Stämme<br />
ragen nun düster und kahl in den Himmel.<br />
Die letzten goldgelben Blätter tanzen noch<br />
im Wind, bevor sie langsam zu Boden schaukeln<br />
und sich im Windschatten alter Bäume<br />
ansammeln. Plötzlich taucht aus dem Nichts<br />
ein orangeroter Fliegenpilz zwischen den<br />
Moospflanzen auf – ein leuchtender Fleck<br />
inmitten absterbender Pflanzen. Wenn die<br />
Herbststürme die kalte Jahreszeit einleiten,<br />
treffen neue Gäste am See ein. Zahlreiche<br />
Vogelarten rasten hier für ein paar Stunden<br />
oder Tage, bis sie mit frischen Kräften weiter<br />
nach Süden in ihre Winterquartiere ziehen.<br />
Friert es, erlischt auch das letzte Leben in<br />
den Blättern und Stängeln der Uferpflanzen.<br />
Doch nur die oberirdischen Triebe sterben<br />
ab. Rechtzeitig haben die Pflanzen lebenswichtige<br />
Nährstoffe in Wurzel und Knollen<br />
eingelagert – ausreichend um im kommenden<br />
Frühling sofort wieder austreiben zu<br />
können. Trockene und brüchige Halme werden<br />
nun Opfer von Wind und Wellen.<br />
Aber auf düstere, stürmische Tage folgen<br />
wieder frische, sonnige Tage, in denen nochmals<br />
für Augenblicke die ganze Farbenpracht<br />
aufflackert. Rasch aufeinander folgende und<br />
ineinander übergehende Töne goldener,<br />
orange, brauner und grüner Farben durchfluten<br />
die Wasseroberfläche.<br />
Nur eine Phase der Ruhe und der Erneuerung<br />
ist eingekehrt in Erwartung und Hoffnung<br />
auf die Wiederkehr der wärmenden,<br />
Leben spendenden Frühlingssonne.<br />
Ich hoffe Sie auch wieder zum letzten<br />
Teil meiner Geschichte, dem Winter, begrüßen<br />
zu dürfen.<br />
Mit freundlichen Grüßen<br />
Aribert Kirschner