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Dokfest-Katalog (PDF) - Bali, Filmladen, Gloria - Kassel

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130<br />

MONITORING<br />

Anja Saran<br />

Das Wachtel-starter-set<br />

<strong>Kassel</strong> 2010 / 2 Monitore, Computer, Verstärker, 2 Lautsprecher (15:20 Min.)<br />

Eine junge Frau sitzt mit dem Rücken zum Betrachter an einem braunen<br />

Holztisch in einer Küche� Auf dem Tisch steht ein weißer Behälter, der nicht<br />

näher definiert werden kann� Sie scheint auf etwas zu warten� Von draußen<br />

drängt die absolute Dunkelheit durch das Fenster und kontrastiert mit<br />

der grellen Lichtsituation in der Küche� Es ist kurz vor Mitternacht, nur das<br />

Ticken der Küchenuhr ist deutlich hörbar� So überträgt sich in dieser Eingangssequenz<br />

die Spannung und Erwartungshaltung der jungen Frau,<br />

dargestellt durch die Künstlerin, auf den Betrachter�<br />

Erst mit der zeitversetzten Einblendung der rechten Projektion wird die<br />

Situation aufgelöst: Zu beobachten ist, wie die junge Frau aus der vorherigen<br />

Szene mit dem Bleistift behutsam einzelne Wachteleier kennzeichnet<br />

und diese danach in den weißen Behälter, einen speziellen Brüter, legt� Mit<br />

dem Ausschlüpfen der Wachtelküken, begibt sich Anja Saran in eine pseudo-naturwissenschaftliche<br />

Versuchsanordnung, die das Verhältnis des<br />

Menschen zur Natur in den Mittelpunkt rückt� Die Wohnung der Künstlerin<br />

dient dabei als konkreter Schauplatz für die Aufzucht von Wachteln�<br />

Ergänzt wird das Experiment durch performative Inszenierungen der<br />

Künstlerin in drei verschiedenen Rollen: als junge Frau, fürsorgliche Bäuerin<br />

und mutige Jägerin�<br />

Im Wohnzimmer hat die Künstlerin den Wachtelküken eine künstliche<br />

Idylle als Surrogat eingerichtet: Ein grüner Teppich dient als Rasenersatz,<br />

ein kleines Holzhäuschen mit Stroh bietet Nestwärme, eine tief hängende<br />

Wärmelampe fungiert als Sonnenersatz, eine Fototapete mit Wolkenmotiv<br />

ergänzt die Bauernhof-Kulisse� Nun tritt erstmals die Figur der fürsorglichen<br />

Bäuerin auf� Sie trägt einen langen dunklen Rock, eine weiße Bluse<br />

und ihr überlanges Haar fällt offen und natürlich� Die eingefangenen Kamerabilder<br />

offenbaren dem Betrachter Szenen der übertriebenen Zuneigung<br />

zwischen der Wachtel-Übermutti und ihren Zöglingen� Das Aufwachsen<br />

der Wachteln wird nicht, wie in Tierdokumentationen üblich,<br />

von naturwissenschaftlichen Zusatzinformationen aus dem Off kommentiert,<br />

sondern wirkt situativ� Die Wachteln sind flügge geworden, bevölkern<br />

die Wohnung der Künstlerin und betrachten diese als ihr natürliches<br />

Umfeld� Eingeblendet werden Alltagsszenen aus dem ausufernden Wachtelhaushalt,<br />

verbunden mit viel Dreck, Chaos und Arbeit� Die Kamera zeigt<br />

das Interieur als Skulpturenlandschaft und als Ergebnis einer kollektiven<br />

Performance von Mensch und Tier�<br />

Sodann taucht die dritte Figur auf: eine bewaffnete Jägerin� Immer wieder<br />

schleicht sie durch die verschiedenen Zimmer, sucht nach verräterischen<br />

Spuren der Wachteln, legt das Gewehr an, und schießt� Mit der Einblendung<br />

der Küche als Schauplatz endet die Jagd abrupt: Dort bereitet die<br />

Bäuerin einige Wachteln kulinarisch vor� Das Experiment endet mit der<br />

Beseitigung der Spuren und der Rückkehr in die vermeintliche Normalität�<br />

Zurück bleibt die ungestillte Sehnsucht nach einem Leben in und mit der<br />

Natur und vielleicht die Inspiration zu einer eigenen Wachtel-Aufzucht –<br />

nur noch einen Mausklick entfernt�<br />

Cynthia Krell<br />

A young woman is sitting at a brown wooden table in the kitchen with her<br />

back to the observer. A white box that cannot be identified is standing on the<br />

table. She seems to be waiting for something. Absolute darkness finds its way<br />

through the window and contrasts the dazzling light in the kitchen. It is close to<br />

midnight. Only the ticking of the kitchen clock is audible. In this first scene the<br />

excitement and expectations of the young woman who is impersonated by the<br />

artist will also be felt by the viewer.<br />

Only with the delayed fade-in of the right projection the situation can be clarified:<br />

We see the young woman from the scene before marking quail eggs with a<br />

pencil and placing them in a white box, a special breeder. With the hatching of<br />

the quail chicks, Anja Saran begins a pseudo-scientific experiment that focuses<br />

on the relationship between man and nature. The artist’s apartment serves as<br />

the tangible scene for the rearing of quails. The experiment is complemented<br />

with performative elements. The artist herself is seen in three different roles: as<br />

the young woman, the caring farmer and the courageous hunter.<br />

In the living room the artist installed an artificial idyll for the quail chicks in full<br />

surrogate: a green carpet serves as lawn substitute, a little wooden house with<br />

straw offers the warmth of a nest, a low hanging heat lamp functions as a sun<br />

alternative, a photo tapestry with clouds completes the farm scenery. Now the<br />

character of the caring farmer enters for the first time. She is wearing a long,<br />

dark skirt, a white blouse and her overlong loose hair falls very naturally. Scenes<br />

of excessive affection between the quail mother and her pupils are revealed to<br />

the viewer. Unlike the voice-over explaining scientific background information<br />

we know from documentaries about animals, the growing up of the quails is<br />

shown situationally. The quails are fledged now, inhabit the whole apartment<br />

of the artist and take it as their natural habitat. Every day scenes of the uncontrollable<br />

quail household with lots of dirt, chaos and labor are shown. The<br />

camera shows the interior as a sculptural landscape and result of a collective<br />

performance of man and animal.<br />

Thereafter, the next character appears: the armed hunter. Again and again she<br />

sneaks through the rooms in the search of trails of the quails. She raises the<br />

gun to the shoulder and shoots. With the fade-in to the kitchen the hunt ends<br />

abruptly. There, the hunter prepares the quails as a culinary dish. The experiment<br />

ends with the clearance of all traces and the return to normality. What<br />

remains is the unfulfilled longing for a life with and within nature and the possible<br />

inspiration for an own quail breeding – only a mouse click away.

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