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Dokfest-Katalog (PDF) - Bali, Filmladen, Gloria - Kassel

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Jessica Schäfer<br />

ohne titel<br />

Frankfurt am Main 2009 / Video-Projektor, DVD-Player, Verstärker, 2 Lautsprecher (7:45 Min.)<br />

Die Szenerie des Videos ist schnell erfasst� Über den Boden einer Straßenbahn<br />

rollen während der Fahrt unendlich viele weiße Kugeln� Trotzdem<br />

bleibt der Blick haften� Wie hypnotisiert stehe ich vor der Projektion, mit<br />

leicht geöffnetem Mund, so dass ich mich irgendwann frage, ob jemand<br />

bemerkt, wie ich eigenartig abwesend und gleichzeitig höchst aufmerksam<br />

für das, was sich da vor meinen Augen abspielt, in meinem Gang durch die<br />

Ausstellung angehalten habe�<br />

Die weißen Murmeln rollen über den Boden und bilden dabei je nach den<br />

leichten Unebenheiten des Untergrundes Gruppen, bleiben in ihrem Lauf<br />

unvermittelt stehen, um sich dann zu entscheiden in die entgegengesetzte<br />

Richtung zu bewegen� So wenden sie sich teilweise im Schwung und folgen<br />

dabei einem Bogenlauf� Die schiere Masse der Kugeln wirkt dabei wie ein<br />

Schwarm� Der Bildausschnitt des Videos ist so gewählt, dass oft nur Teile der<br />

Innenausstattung der Straßenbahn zu sehen sind� Zumeist ist man von einem<br />

bewegten Kugelfeld umgeben, als würde man sich selbst mitten im<br />

Schwarm befinden� Diese Nähe und die Kontinuität der Bewegung bewirken<br />

bei mir selbst unter anderem das Innehalten� Dabei spielt auch die Tonspur<br />

eine wichtige Rolle� Der gleichmäßige Klang der rollenden Kugeln,<br />

rauscht wie die Brandung der Wellen am Strand, allmählich auf und ab und<br />

wirkt dabei ausgesprochen beruhigend�<br />

Straßenbahn und Kugeln, so selbstverständlich sie hier zusammenwirken,<br />

sind eigentlich absurd gegeneinandergestellt� Sie erscheinen unpassend an<br />

diesem Ort, wie Duchamps Kohlesäcke (1938) an der Decke eines Ausstellungsraumes<br />

oder bedrohlich wie seine fallenartigen Fadenverspannungen<br />

(1942) vor Gemälden� Schäfers Murmeln würden für potentielle Fahrgäste,<br />

die hier allerdings, mit Ausnahme des sich außerhalb des Bildes befindenden<br />

Betrachters, nicht auszumachen sind, eine enorme Gefahr darstellen�<br />

Als Stolperfalle bergen sie auch humorvolle Assoziationen� Wie eine Art abstrakter<br />

Bildstörung bahnen sich die weißen Kugelwolken ihren Weg durch<br />

das Bild und markieren eine andere Bildebene als die des „gefilmten“ Straßenbahnbodens�<br />

Ihre Funktion gleicht darin einem dynamisch, ungegenständlichen<br />

Bildaufbau, der sich mit Ansätzen aus der kinetischen Kunst<br />

vergleichen ließe oder solchen künstlerischen Ansätzen, wie denen der<br />

Gruppe Zero, Licht und Bewegung im Kunstwerk lebendig werden zu� Da<br />

sich das Schwanken der Bahn nicht auf den Raum des Betrachters erstreckt,<br />

erfüllen die Kugeln die Funktion, Bewegung zu illustrieren� Das Kamerabild<br />

bleibt still� Dass die Bahn fährt, wird nur in der Spur, entlang derer die Murmeln<br />

durch das Bild rollen, deutlich�<br />

Als weißes Rauschen drängen sich die Kugeln wie eine Bildstörung in den<br />

Vordergrund� Die starre Ansicht des Untergrundes und das flinke Darüberhinwegeilen<br />

der weißen Punkte wirken als Bildinformationen konträr und<br />

tendieren dazu, mich in meiner Fokussierung schlichtweg zu überfordern�<br />

Ich verliere mich in der Entscheidung, ob ich mich auf den Boden konzentriere<br />

oder meinen Blick dem unentwegten Murmelstrom folgen lasse�<br />

Holger Birkholz<br />

Û The scenario of the video is quickly understood. An infinite number of white<br />

marbles are rolling across the floor of a moving train. Nevertheless, the attention<br />

is drawn to it. Hypnotized I stand in front of the projection, my mouth slightly<br />

open. At one point, I begin to ask myself, if somebody realizes how I stopped in my<br />

walk around the exhibition to absently observe what is happening before me in a<br />

strangely absent yet intense way.<br />

The white marbles are rolling across the floor, form groups according to the slight<br />

irregularities of the floor, stop abruptly in their movement just to continue their<br />

run into the opposite direction. They turn around in their drive and follow a curvature.<br />

The enormous amount of marbles appears like a swarm. The frame of the<br />

video is chosen in a way that only parts of the interior of the train can be seen.<br />

Most of the time one is surrounded by a moving field of marbles, as if one was in<br />

the middle of the swarm. This closeness and continuity of movement cause me to<br />

pause. The soundtrack plays an important part in this as well. The monotonous<br />

sound of the rolling marbles reminds one of rolling waves in a continuous up and<br />

down. It is very calming.<br />

Train and marbles, though here they naturally interact with one another, are<br />

actually of opposite character. They appear inappropriate for this place, like<br />

Duchamp’s coal sack (1938) at the ceiling of an exhibition space, or threatening<br />

like his trap-like thread weavings (1942) in front of paintings. Schäfer's marbles<br />

would mean great danger to passengers who, except of the viewer outside the<br />

image, are missing. As a trip hazard they allow humorous associations. As an<br />

abstract image interference the white clouds of marbles push their way through<br />

the image frame and mark an additional image layer beyond the one of the<br />

train floor that is filmed. Their function equals a dynamic, non-objective image<br />

structure that is comparable to approaches of kinetic art or the group zero, where<br />

light and movement become alive in the art work. Since the swaying of the train<br />

does not effect the space of the viewer, the marbles fulfill the function to illustrate<br />

movement. The camera angle remains static. That the train is moving can only be<br />

realized by the way the marbles roll across the picture.<br />

Acting as white noise, the marbles are taking the center like an image interference.<br />

The static view of the ground and the swift speed of the white dots across it<br />

appear as a contrary image information and tend to overstrain my focusing. I get<br />

lost in the decision whether I should concentrate on the floor or follow the stream<br />

of rolling marbels with my view.<br />

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