Wirtschaftswoche Ausgabe vom 29.09.2014 (Vorschau)
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40<br />
29.9.2014|Deutschland €5,00<br />
4 0<br />
4 1 98065 805008<br />
Börsenguru Marc Faber<br />
„Wir stehen vor turbulenten Zeiten“<br />
Deutsches Übernahmefi eber<br />
Teuer, riskant, aber nötig<br />
Willkommen in<br />
Deutschland<br />
Wie sich die Flüchtlingspolitik ändern muss<br />
Schweiz CHF 8,20 | Österreich €5,30 | Benelux€5,30 | Griechenland€6,00 | GroßbritannienGBP 5,40 | Italien€6,00 | Polen PLN27,50 | Portugal€6,10 | Slowakei €6,10 | Spanien€6,00 | Tschechische Rep. CZK200,- | Ungarn FT 2140,-<br />
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Einblick<br />
Ein klassischer Fall von Diskriminierung: Die Zeitarbeit<br />
wird stranguliert und verteufelt. Das alte Lohndrücker-Klischee<br />
ist überholt. Von Henning Krumrey<br />
Jagd auf ein Phantom<br />
FOTO: WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
Es wird wieder versprochen. Diesmal<br />
geht’s zugunsten der Unternehmer<br />
und Manager. Genug sei<br />
es nun mit sozialdemokratischer<br />
Umverteilung und Regulierung, versicherte<br />
die Bundeskanzlerin der versammelten<br />
Wirtschaft beim „Tag der Deutschen<br />
Industrie“. Auch die Ankündigung<br />
des zuständigen Ministers, mehr für die<br />
Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu<br />
tun, soll die Gemüter beruhigen.<br />
Vorsicht ist geboten: Der kleinere Koalitionär<br />
arbeitet weiter an genau jenen Belastungen,<br />
die Union und SPD im Regierungsvertrag<br />
aufgeschrieben haben – und<br />
auf den ja auch die CSU pocht, wenn es um<br />
die Durchsetzung der Maut geht. Was in<br />
der Koalitionsbibel steht, das geschehe.<br />
Entsprechend zählte Wirtschaftsminister<br />
Sigmar Gabriel vergangene Woche auch die<br />
„Regulierung von Zeit- und Leiharbeit“ als<br />
erstes der kommenden Vorhaben auf, mit<br />
denen die Genossen ihre Bilanz als führende<br />
Sozialingenieure des Landes aufpolieren<br />
wollen. Wer sich die Realität ansieht, muss<br />
sich allerdings fragen: Warum nur? Die<br />
Zahl der Zeitarbeiter stagniert bei gut<br />
800 000, zwei Prozent aller Beschäftigten.<br />
Unter dem Druck drohender Regulierung<br />
hat sich die Branche gewandelt: Hat<br />
Tarifverträge abgeschlossen mit, ja: mit<br />
DGB-Gewerkschaften. Hat einen Mindestlohn<br />
für ihre Betriebe akzeptiert und das<br />
Verbot, Zeitarbeiter als Streikbrecher einzusetzen.<br />
Die Zementierung eines Kartells<br />
hat zwar nichts mit Marktwirtschaft zu tun,<br />
hilft aber dem betrieblichen Frieden. Seit<br />
zwei Jahren gelten in mehr als einem halben<br />
Dutzend Branchen Tarifzuschläge, die<br />
den Wettbewerb durch Zeitarbeiter weiter<br />
einschränken. Stufenweise steigen mit zunehmender<br />
Verweildauer im Betrieb die<br />
Vergütungen der Leihkräfte, nach neun<br />
Monaten auf maximal 150 Prozent des Tariflohns<br />
in der Zeitarbeit. Der Abstand zum<br />
Stammmitarbeiter am Bandplatz oder<br />
Computer nebenan schmilzt dahin.<br />
Das Ergebnis ist beachtlich: 90 Prozent<br />
aller Zeitarbeiter, meldet die Bundesagentur<br />
für Arbeit, sind normal sozialversichert.<br />
Ebenfalls 90 Prozent arbeiten Vollzeit.<br />
Rund 80 Prozent sind unbefristet eingestellt.<br />
Nichts also von prekären Jobs. Nur<br />
knapp ein Zehntel ist geringfügig beschäftigt.<br />
Gerade mal 43 000 Menschen haben<br />
nur diesen einen Minijob. Kündigungsschutz?<br />
Ganz normal. Der Koalitionsvertrag<br />
ist also in weiten Teilen erfüllt und<br />
überholt, eine gesetzliche Regelung gar<br />
nicht mehr nötig.<br />
Die Politik ficht das nicht an. Im Gegenteil:<br />
Die Jagd auf das Phantom geht weiter.<br />
In seinem zum Jahresende geplanten Gesetzentwurf<br />
will das Arbeitsministerium<br />
noch die gleiche Bezahlung wie im Entleihbetrieb<br />
nach neun Monaten durchsetzen.<br />
Und obendrauf festschreiben, dass jeder<br />
Einsatz nach spätestens 18 Monaten abzubrechen<br />
ist – obwohl die Leiharbeiter dann<br />
doch gar keine unfaire Konkurrenz mehr<br />
sein können, weil sie ja schon seit einem<br />
Dreivierteljahr genauso bezahlt werden<br />
wie die regulären Kollegen.<br />
(K)EIN FALL FÜRS AGG<br />
Das gefährdet die gesamte Volkswirtschaft,<br />
weil die Flexibilität sinkt. Der betriebliche<br />
Aufwand steigt, weil die 18-Monate-Grenze<br />
eingespielte Arbeitsabläufe zerschlägt:<br />
Beim Ersatz für Elternzeitler genauso wie<br />
bei Spezialistenprojekten.<br />
Wenn es sich um vollkommen normale<br />
Arbeitsplätze handelt – Vollzeit, sozialversicherungspflichtig,<br />
mit Tarifvertrag, Mindestlohn<br />
und Kündigungsschutz – warum<br />
sollte dieser Wirtschaftszweig dann anders<br />
behandelt werden als jeder andere? Nur<br />
weil der Arbeitgeber kein Elektro-, Handels-<br />
oder Automobilunternehmen ist,<br />
sondern eine Zeitarbeitsfirma? Warum<br />
sollten hier Einschränkungen nötig sein?<br />
Hier wird eine Branche gezielt diskriminiert.<br />
Es wird definiert, dass das sozialversicherungspflichtige<br />
Vollzeit-Arbeitsverhältnis<br />
bei der Zeitarbeit minderwertig sei,<br />
obwohl es von Bezahlung und Arbeitsvertragsgestaltung<br />
dem im Entleihbetrieb entspricht.<br />
Ein Schmuddeljob eben. Doch keine<br />
politische Korrektheit jault auf.<br />
Schade: Die Zugehörigkeit zu einer<br />
bestimmten Branche fällt nicht unter das<br />
Antidiskriminierungsgesetz .<br />
n<br />
WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 3<br />
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Überblick<br />
Menschen der Wirtschaft<br />
6 Seitenblick Bangen am Hamburger Hafen<br />
8 BMW: Sparkurs und Schlussverkauf<br />
9 Deutsche Flughäfen: US-Beamte sollen<br />
kontrollieren | Rüstung: Union protestiert<br />
10 Interview: Spotify-Deutschland-Chef Stefan<br />
Zilch will neue Tarife | SMS: Berater geholt<br />
12 Amazon: Flatrate für E-Books | Air Berlin:<br />
Finanzchef geht | TUI: Anteile verkauft<br />
14 Uber: Bußgeld gegen Fahrer | Glücksspiel:<br />
Streit um Oddset | Liberale: Namensärger<br />
16 Chefsessel | Start-up Talocasa<br />
18 Chefbüro Thomas Lange, Geschäftsführer<br />
von Lange Assets & Consulting<br />
Politik&Weltwirtschaft<br />
20 Flüchtlinge Der Zustrom überfordert die<br />
Städte | Neuer EU-Streit über Lastenteilung |<br />
Welche Arbeitschancen haben Asylanten? |<br />
Wie die Türkei hilft | Interview: Der<br />
Entwicklungshilfeminister Gerd Müller<br />
über deutsche Pflichten und Chancen<br />
32 Finanzen Wolfgang Schäuble will ein weiteres<br />
Steuerschlupfloch schließen<br />
34 Forum Karl-Heinz Neumann fordert mehr<br />
Tempo beim Ausbau des Breitbandnetzes<br />
35 Global Briefing<br />
36 Hongkong Die Occupy-Bewegung fordert<br />
die Zentralregierung in Peking heraus<br />
38 Madagaskar Symrise sichert sich den Vanille-Nachschub<br />
– durch Entwicklungshilfe<br />
40 Berlin intern<br />
Der Volkswirt<br />
42 Kommentar | New Economics<br />
43 Deutschland-Konjunktur<br />
44 Warum eigentlich... steigert Vertrauen das<br />
Wirtschaftswachstum?<br />
46 Weltwirtschaft Norwegen schwächelt<br />
47 Denkfabrik ifo-Präsident Hans-Werner<br />
Sinn über die Bail-out-Politik der EZB<br />
Unternehmen&Märkte<br />
50 Firmenübernahmen Was die Einkaufstour<br />
in den USA den deutschen Konzernen bringt<br />
56 Interview: Kasper Rorsted Der Henkel-<br />
Chef will den Konzern digitalisieren<br />
60 Luxus Weil China schwächelt, expandieren<br />
deutsche Hersteller nun nach Japan<br />
62 Bombardier Die Kanadier haben sich im<br />
Kampf gegen Airbus und Boeing verflogen<br />
66 Serie: Turnarounder (IV) Wie es Sky schaffen<br />
will, in Deutschland Geld zu verdienen<br />
70 Henschel Ein Ingenieur will die gefallene<br />
Industrie-Ikone wieder beleben<br />
72 Motorräder Ducati fährt auf Asien ab<br />
74 Serie: Fit for Future (III) Worauf Mittelständler<br />
bei einer Fusion achten müssen<br />
Technik&Wissen<br />
78 Drohnen Vom Start-up bis zu Konzernen wie<br />
Deutsche Post und Google: Sie alle setzen<br />
auf den Durchbruch der fliegenden Roboter<br />
84 Autotest Rennfahrerin Jutta Kleinschmidt<br />
unterwegs im Hybridsportwagen BMW i8<br />
87 Valley Talk<br />
Titel Flüchtlinge<br />
Der Zustrom von Hilfsbedürftigen nach<br />
Deutschland kam zu plötzlich, um sich<br />
darauf vorzubereiten, sagen Politiker.<br />
Doch Recherchen in Unterkünften und<br />
zuständigen Behörden zeigen: Wo<br />
es schiefläuft, ist die Verwaltung meist<br />
selbst schuld. Seite 20<br />
Fliegende Helfer<br />
Staudämme kontrollieren,<br />
Medikamente verteilen,<br />
Bootsflüchtlinge retten – all das<br />
erledigen künftig Drohnen.<br />
Seite 78<br />
Der große Vertrauensindex<br />
Von Amazon bis Zwilling: Ein Exklusivtest von 863 Unternehmen<br />
aus 54 Branchen zeigt, welchen Marken die Deutschen vertrauen.<br />
Und wie sie das Vertrauen ihrer Kunden gewinnen. Seite 88<br />
Run auf die Claims<br />
Noch nie gaben deutsche Konzernlenker<br />
wie Siemens-Chef Joe Kaeser so viel Geld<br />
aus für Firmenübernahmen in den USA.<br />
Die Shoppingtour kommt spät, ist teuer,<br />
aber nötig. Die Aussichten auf erfolgreiche<br />
Fusionen sind gut, auch wenn es<br />
hie und da knirschen wird. Seite 50<br />
TITELFOTO: CHRIS GRODOTZKI<br />
4 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Nr. 40, 29.9.2014<br />
»Ohne Aktien ist riskanter«<br />
Kult-Investor Marc Faber stemmt sich mit Papieren von<br />
Energieunternehmen, Schweizer Blue Chips, Minenaktien und<br />
Gold gegen die von ihm erwartete Geldentwertung. Seite 100<br />
Management&Erfolg<br />
88 Vertrauensindex Von Amazon bis Zwilling:<br />
Welchen Marken Deutschlands Kunden<br />
vertrauen | Interview: Warum Management-<br />
Professor Peter Maas Vertrauen für überlebenswichtig<br />
hält<br />
Geld&Börse<br />
100 Interview: Marc Faber Die Investorenlegende<br />
sorgt sich über zunehmende Ungleichheit<br />
und kauft Energieversorger<br />
106 Gold Aufstocken statt abbauen ist angesagt<br />
108 Börsengang Anleger reißen sich um Rocket<br />
Internet, doch die Aktie ist hochriskant<br />
110 Schweiz Papiere von Kantonalbanken versprechen<br />
sichere Renditen<br />
111 US-Aktien Apple ist immer noch ein Kauf<br />
112 Steuern und Recht Fiskus mit hohen Strafzinsen<br />
| Günstige Scheidung | Mietpreisbremse<br />
| Angestelltendaten in der Cloud<br />
114 Geldwoche Kommentar: IPO-Fieber |<br />
Trend der Woche: Konjunktur und Börse |<br />
Dax-Aktien: Siemens, Merck | Hitliste: Branchen<br />
| Aktien: Roche, KWS Saat | Zertifikate:<br />
Alibaba short | Anleihe: Egger | Investmentfonds:<br />
Leonardo Universal | Chartsignal:<br />
China-Aktien | Relative Stärke: Allianz<br />
Perspektiven&Debatte<br />
122 Klimawandel Die Erderwärmung<br />
verschiebt die Anbaugebiete für Wein<br />
126 Kost-Bar<br />
Rubriken<br />
3 Einblick, 128 Leserforum,<br />
129 Firmenindex | Impressum, 130 Ausblick<br />
FOTOS: PR, LAIF/WOLFGANG STAHR, EGILL BJARKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE; ILLUSTRATION: ZSUZSANNA ILIJIN<br />
n Kapitalismus-Debatte Daniel Stelter, Ökonom<br />
und Autor, kritisiert Thomas Piketty. Der Franzose<br />
habe in seinem gefeierten Werk „Das Kapital im<br />
21. Jahrhundert“ Denkfehler begangen. Stelter<br />
glaubt nicht, dass die Reichen viel reicher werden.<br />
Denn Piketty übersehe die ebenfalls gewachsenen<br />
Schulden. wiwo.de/stelter<br />
Weinwanderung<br />
Winzer weltweit leiden zunehmend<br />
unter extremen Wetterbedingungen.<br />
Setzt sich die Erderwärmung fort,<br />
verschiebt sich die Weltkarte des Weins.<br />
Seite 122<br />
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wirtschaftswoche<br />
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plus.google.com/<br />
+wirtschaftswoche<br />
n Lesen Sie Ihre WirtschaftsWoche<br />
weltweit auf iPad oder iPhone:<br />
In dieser <strong>Ausgabe</strong> sehen Sie ein<br />
Video von Jutta Kleinschmidts<br />
Testfahrt im neuen BMW<br />
i8. Außerdem das<br />
Chefbüro in einer<br />
360-Grad-Ansicht.<br />
wiwo.de/apps<br />
WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 5<br />
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Seitenblick<br />
SCHIFFFAHRT<br />
Baggern für den<br />
Wohlstand<br />
Mehr als 90 Prozent des Welthandels laufen über den<br />
Seeweg. Über die Zukunft von Deutschlands größtem<br />
Hafen, Hamburg, wird am Donnerstag entschieden.<br />
18 270Standardcontainer<br />
kann das größte Frachtschiff der Welt laden: die<br />
Maersk Mc-Kinney Moeller. Hamburg, Deutschlands<br />
größten Hafen, meidet es. Die Hansestadt muss sich<br />
mit der Alexander von Humboldt begnügen; das Schiff<br />
fasst bis zu 16 000 Stahlkisten – aber nicht, wenn es<br />
Hamburg ansteuert. Voll beladen bliebe es stecken.<br />
Die Elbe ist nicht tief genug. Dabei planen die Reeder<br />
schon Frachter für 22 000 Container.<br />
2600Seiten enthält das Werk, das<br />
Hamburg fürs Planverfahren zum Ausbau der Elbe<br />
erstellt hat. 204 Millionen Euro will die Stadt investieren,<br />
268 Millionen Euro stellt der Bund im Etat 2014<br />
bereit, weitere 25 Millionen für 2015. Beantragt hat<br />
Hamburg den Ausbau schon 2002. Doch ob und wann<br />
er beginnt, entscheidet am Donnerstag das Bundesverwaltungsgericht.<br />
Die Umweltschutzverbände<br />
BUND und Nabu haben gegen das Projekt geklagt.<br />
260 000Jobs hängen<br />
am Hamburger Hafen. 9,3 Millionen Container wurden<br />
dort 2013 umgeschlagen. Damit liegt die Stadt<br />
hinter Europas Spitzenreiter Rotterdam mit 11,6 und<br />
vor Antwerpen mit 8,5 Millionen Containern. Dort<br />
laufen die neuen Riesenfrachter schon ein. Und beide,<br />
Holländer und Belgier, bauen ihre Strecken für<br />
Güterzüge nach Deutschland aus. Rüstet Hamburg<br />
nicht nach, heißt es: Tschüss Zukunft.<br />
hermann.olbermann@wiwo.de<br />
6 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Leichtgewicht<br />
Die MSC Livorno vor Hamburg-Övelgönne. Im Hafen<br />
davor musste sie einige Container zurücklassen<br />
FOTO: LAIF/CHRISTOPH PAPSCH<br />
WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 7<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
Vor dem Start des<br />
Umbaus ausgestiegen<br />
Ex-BMW-Manager Krüger<br />
AUTOHANDEL<br />
Schlussverkauf bei BMW<br />
Um Vertriebskosten zu senken, reorganisiert<br />
der Autohersteller sein Niederlassungsnetz<br />
in Deutschland. Auch seinen<br />
Händlern macht er mächtig Dampf.<br />
BMW baut den Vertrieb in Deutschland radikal um.<br />
Die Niederlassungen in Kassel, Dresden und Göttingen<br />
sollen nach Möglichkeit verkauft werden,<br />
andere nach dem Vorbild der BMW-Tochter Automag<br />
GmbH künftig direkt von der Konzernzentrale<br />
in München geführt werden – die Beschäftigten<br />
verlören dann die Sonderzahlungen der BMW AG<br />
wie Erfolgsbeteiligung und Betriebsrente. Die Konzernführung<br />
verspricht sich von der organisatorischen<br />
Zusammenfassung der Verkaufsstellen und<br />
Werkstätten „Effizienzsteigerungen“ – sowie drastische<br />
Einsparungen bei den Personalkosten. Ende<br />
des Jahres soll das Programm abgeschlossen sein.<br />
Die Beschäftigten in den 20 deutschen BMW-Niederlassungen<br />
mit ihren 56 Betriebsstätten zittern.<br />
Das Programm, das von dem inzwischen zur Nissan-<br />
Nobelmarke Infiniti gewechselten Deutschland-Chef<br />
Roland Krüger entwickelt wurde, sieht vor, die<br />
Niederlassungen zu sechs Verbünden zusammenzufassen<br />
und die Zuständigkeiten neu zu ordnen:<br />
München leitet den Süden, Berlin den Verbund Ost,<br />
Hamburg den Verbund Nord, Düsseldorf den Westen,<br />
Stuttgart den Südwesten und Frankfurt den Verbund<br />
Mitte. „Die restlichen Niederlassungen haben quasi<br />
den Status von Filialen“, erklärt der Betriebsratsvorsitzende<br />
einer großen BMW-Niederlassung.<br />
Günther Niedernhuber, BMW-Finanzchef und<br />
kommissarischer Vertriebschef Deutschland, ist<br />
künftig der direkte Vorgesetzte der kaufmännischen<br />
Leiter in den Niederlassungen. Die Kompetenzen<br />
der Niederlassungsleiter werden beschnitten; Filialleiter<br />
überflüssig. Von den 20 BMW-Niederlassungen,<br />
prognostizieren Betriebsräte, würden langfristig<br />
nur fünf große erhalten bleiben: München, Berlin,<br />
Hamburg, Düsseldorf und eventuell Stuttgart.<br />
Auch an anderer Stelle regiert der Rotstift. „BMW<br />
möchte in den Niederlassungen eigene Mitarbeiter<br />
durch Leiharbeitskräfte ersetzen“, kritisiert der<br />
Betriebsratsvorsitzende der Münchner Niederlassung,<br />
Norbert Zaja. Laufend beantrage das Unternehmen<br />
beim Betriebsrat Zeitarbeitskräfte.<br />
Grund ist der verschärfte Wettbewerb auf dem<br />
Markt für Premiumautos. Die neuen Kompaktmodelle<br />
von Mercedes machen dem 1er-BMW und der<br />
Tochtermarke Mini zu schaffen. Um den Absatz zu<br />
stabilisieren, hatte Krüger vor seinem Abgang noch<br />
ein neues Margensystem eingeführt, das den freien,<br />
meist familiengeführten BMW-Betrieben für jedes<br />
Quartal ehrgeizige Absatzziele setzt. „Seitdem<br />
haben wir viermal im Jahr Schlussverkauf“, klagt ein<br />
Händler aus dem Rheinland. Um das Preissystem<br />
zu erfüllen, würden Neuwagen teils unter Einkaufspreis<br />
„verramscht:Darüber gehen wir kaputt.“<br />
franz.rother@wiwo.de, ulrike duhm<br />
Freud und Leid<br />
Händlerzufriedenheit mit<br />
der Umsatzrendite 2014<br />
nach Schulnotensystem<br />
Tendenz steigend<br />
Tendenz fallend<br />
Jaguar<br />
Mercedes<br />
Seat<br />
Volkswagen<br />
Audi<br />
Ford<br />
Opel<br />
Porsche<br />
BMW<br />
Mini<br />
1 2 34 56<br />
Quelle: IFA, Eurotax Schwacke<br />
8 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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DEUTSCHE FLUGHÄFEN<br />
Fingerabdruck vorm Abflug<br />
Die USA wollen eigene Beamte<br />
an deutschen Flughäfen stationieren.<br />
Die Amerikaner sollen<br />
hier Fingerabdrücke und Porträtfotos<br />
von Reisenden aufnehmen,<br />
die in die USA fliegen.<br />
Außerdem sollen diese Passagiere<br />
sagen, wohin sie fahren,<br />
warum sie fahren und wie lange<br />
sie bleiben. Das geht aus einer<br />
Richtlinie des US-Ministeriums<br />
für Innere Sicherheit hervor. Ihr<br />
Titel: „Preclearance Expansion“.<br />
Das Bundesinnenministerium<br />
in Berlin bestätigt, dass die<br />
US-Behörden das Thema „anlässlich<br />
einer Zusammenkunft<br />
zu einem anderen Thema angesprochen“<br />
hätten.<br />
Der Einreise-Check werde im<br />
Schnitt 30 bis 120 Minuten dauern,<br />
heißt es im dem US-Papier.<br />
Er soll nach der üblichen Sicherheitskontrolle<br />
am Flughafen<br />
erfolgen. Bei zwei Prozent<br />
der Passagiere sei eine zweite<br />
Inspektion erforderlich, die bis<br />
zu zwei Stunden dauern könne.<br />
Derzeit kontrollieren US-Beamte<br />
schon an 15 Flughäfen in<br />
sechs Ländern. Von 2015 an<br />
wollen die USA mit weiteren<br />
Staaten über die Stationierung<br />
ihrer Beamten verhandeln. Ziel<br />
sei es, mögliche Gefahren „zum<br />
frühstmöglichen Zeitpunkt“ zu<br />
identifizieren.<br />
Positionierung gesucht<br />
Innenminister de Maizière<br />
Nach Kenntnis des Bundesinnenministeriums<br />
haben die<br />
USA mit den Niederlanden,<br />
Großbritannien, Frankreich<br />
und Schweden „Verbindung<br />
aufgenommen“. Das Haus von<br />
Thomas de Maizière habe<br />
noch „keine abschließende Positionierung“<br />
vorgenommen,<br />
stehe „dem Ansinnen gleichwohl<br />
äußerst zurückhaltend<br />
gegenüber“.<br />
christian.schlesiger@wiwo.de | Berlin,<br />
rüdiger kiani-kreß<br />
Aufgeschnappt<br />
Gedränge im Airbus Wenn der<br />
philippinische Billigflieger Cebu<br />
Pacific Air im Oktober seinen<br />
Dienst zwischen Manila und Riad<br />
startet, wird es eng. 436 Passagiere<br />
kann die Airline in ihrem<br />
neuen Airbus A330-300 befördern,<br />
mehr als jede andere Gesellschaft.<br />
Zum Vergleich: Die<br />
Lufthansa steckt höchstens 221<br />
Reisende in ihren A330-300.<br />
Auch nach Sydney will Cebu so<br />
fliegen. Cebu-Chef Garry Kongshot:<br />
„Schlussendlich ist der Jet<br />
sehr gemütlich.“<br />
3000 Koffer für Berlin Auf<br />
Berlins neuem Flughafen BER<br />
bewegt sich was. Die Flughafengesellschaft<br />
FBB will die Gepäckanlage<br />
testen. Dafür möchte<br />
sie 3000 Koffer kaufen, neu-<br />
wertig, mit stabilem Griff und<br />
gefüllt, gerne auch mit Socken,<br />
Handtüchern oder T-Shirts. Den<br />
Auftrag hat die FBB jetzt ausgeschrieben.<br />
Im Jahr 2012 hatte<br />
sie die Förderbänder schon einmal<br />
zum Laufen gebracht – mit<br />
15 000 Koffern. Die hatte sie<br />
geliehen.<br />
RÜSTUNGSEXPORTE<br />
Aufschrei in<br />
der CDU/CSU<br />
In der CDU und CSU formiert<br />
sich Widerstand gegen den Plan<br />
von Bundeswirtschaftsminister<br />
Sigmar Gabriel (SPD), die Rüstungsexporte<br />
zu beschränken.<br />
Die Außen-, Verteidigungs- und<br />
Wirtschaftspolitiker der CDU/<br />
CSU-Bundestagsfraktion warnen<br />
in einem gemeinsamen Positionspapier,<br />
da Gabriel<br />
häufiger Exporte in bestimmte<br />
Regionen oder Länder verhindere,<br />
stünden Kompetenzen<br />
und Jobs auf dem Spiel. Und:<br />
„Deutschlands Verteidigungsfähigkeit<br />
wird ohne leistungsfähige<br />
Sicherheits- und Verteidigungsindustrie<br />
gefährdet“, heißt<br />
es im Entwurf für die Fraktion.<br />
Das sei „ein ernsthaftes sicherheits-<br />
und außenpolitisches<br />
Risiko“.<br />
CDU-Außenpolitikerin<br />
Elisabeth Motschmann begründet:<br />
„Wir können die Menschenrechte<br />
und unsere Sicherheit<br />
nur schützen, wenn wir die<br />
bestmögliche Ausrüstung haben<br />
– hier im Land.“ Gabriel<br />
müsse sich mit der Union einigen.<br />
„Er kann das nicht allein<br />
entscheiden. Wir sind der Koalitionspartner<br />
und haben zum<br />
Teil eine andere Sicht.“<br />
cordula.tutt@wiwo.de I Berlin<br />
FOTOS: OLIVER FARYS, MARC-STEFFEN UNGER, INTERFOTO/TV-YESTERDAY, UHH BAUMANN<br />
350<br />
300<br />
250<br />
200<br />
* 2013; Quelle: Daad<br />
Ausländische Studierende<br />
in Deutschland (in Tausend)<br />
Die Welt zu Gast im Hörsaal<br />
Woher die meisten ausländischen Studenten an<br />
deutschen Unis kommen*<br />
150 97 99 01 03 05 07 09 11 13 14<br />
Russland<br />
China<br />
10 912<br />
25 564<br />
Indien<br />
Österreich<br />
7255 8655<br />
Bulgarien<br />
6764<br />
WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 9<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
INTERVIEW Stefan Zilch<br />
»Uns kennt<br />
jetzt die<br />
Hausfrau«<br />
Der Deutschland-Chef<br />
des Streamingdienstes<br />
Spotify will Werbung<br />
besser steuern und<br />
plant Familientarife.<br />
Herr Zilch, Spotify verärgert<br />
die Kunden: Hip-Hop-Fans<br />
bekommen Werbung für Schlager,<br />
Schlagerfans Werbung für<br />
Hip-Hop. Was läuft schief?<br />
Das ist eine Technologiefrage.<br />
Wir haben bisher ein System<br />
benutzt, das nie dafür gedacht<br />
war. Doch wir bauen das gerade<br />
um. Künftig wird es möglich<br />
sein, Werbung so zu steuern,<br />
dass sie zum Musikkonsum<br />
passt. Wir können auch einzelne<br />
Playlists thematisch ansteuern.<br />
Bei Musik, die die Leute am<br />
Morgen hören, kann man Cornflakes<br />
oder Nutella bewerben,<br />
die Alkoholmarke läuft in den<br />
Partylisten am Samstag.<br />
Wann ist es so weit?<br />
Wir testen gerade viel mit Adidas,<br />
um Musik zum Laufen<br />
anzubieten. Die mobilen Werbeformate<br />
laufen auch schon,<br />
alles andere wird schrittweise<br />
bis Jahresende umgestellt.<br />
Spotify bietet Werbekunden<br />
auch neue Formate wie Videospots<br />
an. Wie stark steigen<br />
dadurch die Einnahmen?<br />
Wir erwarten eine Verdoppelung<br />
der Werbeumsätze. Sowohl<br />
durch die neuen Möglichkeiten<br />
und weil die Nutzerzahlen<br />
so rasant wachsen. Im<br />
Frühjahr hatten wir 40 Millionen<br />
aktive Nutzer weltweit,<br />
doch wir wachsen sehr schnell<br />
– vor allem im Mobilbereich. So<br />
beträgt die durchschnittliche<br />
Nutzungsdauer heute 146 Minuten<br />
pro Tag, vor wenigen<br />
Monaten waren es noch knapp<br />
über 90 Minuten.<br />
Und in Deutschland?<br />
Die Anzahl der Musikstreamer<br />
in Deutschland hat sich laut<br />
Branchenverband Bitkom von<br />
2013 auf 2014 verdreifacht, die<br />
Einnahmen für die Musikindustrie<br />
stiegen um 77 Prozent im<br />
ersten Halbjahr.<br />
Hat sich auch die Zahl der<br />
deutschen Spotify-Nutzer<br />
verdreifacht?<br />
Wir können uns nicht beschweren<br />
und sind klarer Marktführer.<br />
Im letzten Jahr kannten uns nur<br />
junge Musikfans, mittlerweile<br />
nutzt auch die Hausfrau bei mir<br />
im zweiten Stock Spotify. Musikstreaming<br />
wird von einem<br />
Nischenprodukt zum Massenphänomen.<br />
Bislang waren über<br />
die Hälfte der Nutzer unter 30.<br />
Doch das ändert sich gerade,<br />
wir wachsen jetzt am stärksten<br />
bei den über 30-Jährigen. Die<br />
Entwicklung ist ähnlich wie bei<br />
Facebook.<br />
Und Ihre jüngeren Kunden<br />
wechseln zu Konkurrenten wie<br />
Beats, das Apple gekauft hat?<br />
Beats gibt es nur in den USA,<br />
selbst Apples iTunes Radio ist in<br />
Deutschland nicht verfügbar.<br />
Unsere Nutzer haben andere<br />
Sorgen: Ich bekomme immer<br />
DER MUSIKLIEFERANT<br />
Zilch, 38, leitet seit dem Start<br />
in Deutschland das hiesige<br />
Geschäft des schwedischen<br />
Musikstreamingdienstes Spotify.<br />
Das Unternehmen erzielte im<br />
Vorjahr weltweit einen Umsatz<br />
von über 500 Millionen Euro.<br />
mehr Beschwerden, warum<br />
wir keinen Familientarif haben.<br />
Und warum nicht?<br />
Zehn Euro im Monat sind okay,<br />
aber 40 Euro bei einer Familie<br />
mit vier Nutzern tatsächlich<br />
ein bisschen viel. In Schweden<br />
und den USA gibt es daher<br />
schon einen Familientarif,<br />
auch in Deutschland ist der<br />
geplant. Wann es so weit ist,<br />
hängt von den Verhandlungen<br />
mit der Musikindustrie ab.<br />
In Schweden verdienen die<br />
Musiklabels inzwischen mehr<br />
mit Streaming als mit dem<br />
Verkauf von CDs und MP3.<br />
Wann ist es in hier so weit?<br />
Im ersten Halbjahr stammten<br />
sieben Prozent der Einnahmen<br />
aus Streaming. Für 2018 prognostiziert<br />
der Konsumforscher<br />
GfK 36 Prozent. Ich glaube,<br />
2020 könnten es über 50 Prozent<br />
sein.<br />
Strebt Spotify an die Börse?<br />
Das entscheiden unsere Chef-<br />
Strategen in Schweden.<br />
oliver.voss@wiwo.de<br />
SMS<br />
Berater<br />
geholt<br />
Über vier Jahrzehnte hatte<br />
Heinrich Weiss seine Hüttentechnikfirma<br />
SMS geführt, bis<br />
er 2013 an die Spitze des Aufsichtsrats<br />
wechselte. Jetzt das:<br />
Beim Umbau des von der Stahlkrise<br />
gebeutelten Unternehmens<br />
will sich der 72-jährige<br />
Eigentümer in vierter Generation<br />
nicht alleine auf seinen Geschäftsführer<br />
Burkard Dahmen<br />
verlassen. Weiss hat dem gelernten<br />
Betriebswirt die Unternehmensberatung<br />
Boston Consulting<br />
(BCG) zur Seite gestellt.<br />
„SMS baut das Unternehmen<br />
neu auf, BCG soll dabei methodisch<br />
helfen“, heißt es aus SMS-<br />
Kreisen.<br />
Neben der Konzentration der<br />
Düsseldorfer Verwaltung und<br />
anderer Niederlassungen im<br />
niederrheinischen Mönchengladbach<br />
würden alle Prozesse<br />
durchforstet, um bis 2017 jährlich<br />
250 Millionen Euro an Kosten<br />
zu sparen, heißt es. Wie viele<br />
der rund 7000 Jobs in<br />
Deutschland dadurch wegfielen,<br />
stehe noch nicht fest. Auch<br />
Einschnitte bei der Bezahlung<br />
seien noch kein Thema. „Wenn<br />
durch Kürzungen von Sozialleistungen<br />
Stellen erhalten<br />
werden können, werden wir allerdings<br />
darüber reden“, heißt<br />
es aus dem Unternehmen.<br />
reinhold.boehmer@wiwo.de<br />
Einschnitte bei der Bezahlung<br />
SMS-Gesellschafter Weiss<br />
FOTOS: PR, CARO FOTOAGENTUR/SEPP SPIEGL<br />
10 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
AMAZON<br />
Flatrate für E-Books<br />
In den USA bietet Amazon<br />
seit Kurzem eine Flatrate für<br />
E-Books an. Nun will Deutschland-Chef<br />
Ralf Kleber solch<br />
ein Bücher-Abo auch hier starten.<br />
Gegen einen festen monatlichen<br />
Betrag können Kunden<br />
dann beliebig viele E-Books<br />
ausleihen und lesen. In den<br />
USA verlangt Amazon dafür<br />
9,99 Dollar monatlich. Die Einführung<br />
von Kindle Unlimited<br />
in Deutschland plane der<br />
US-Konzern zur Frankfurter<br />
Buchmesse, die am 8. Oktober<br />
beginnt, heißt es in Verlagskreisen.<br />
Amazon äußerte sich<br />
nicht zu dem Projekt. Zum<br />
Deutschland-Start sind offenbar<br />
aber nur wenige der gro-<br />
AIR BERLIN<br />
Finanzchef<br />
gesucht<br />
Air Berlin braucht einen neuen<br />
Finanzvorstand. Ulf Hüttmeyer<br />
wechselt zum Großaktionär<br />
Etihad nach Abu Dhabi. Dort soll<br />
der 41-Jährige Beteiligungen<br />
der Airline verwalten, zu denen<br />
neben Air Berlin Alitalia und die<br />
irische Aer Lingus gehören. Air<br />
Berlin wollte sich hierzu nicht<br />
äußern. Ein Nachfolger für den<br />
Manager, der 2006 kam und vorher<br />
die Firmenkundenberatung<br />
der Commerzbank in Berlin leitete,<br />
ist noch nicht gefunden.<br />
„Doch die Suche läuft“, heißt es<br />
in Unternehmenskreisen. Im<br />
Unternehmen gilt der Wechsel<br />
nicht als Rauswurf, sondern als<br />
Aufstieg. „Einen festen Fürsprecher<br />
in der oft recht wankelmütigen<br />
Etihad-Zentrale zu<br />
haben kann uns nur guttun“, so<br />
Unternehmenskreise.<br />
Doch Branchenkenner kommentieren<br />
die Personalie kritischer.<br />
„Hüttmeyer wurde eher<br />
weg- als hochgelobt, denn er<br />
wirkte nicht in allen Details des<br />
Unternehmens sattelfest und<br />
musste zu oft seine Prognosen<br />
berichtigen“, kritisiert ein Analyst.<br />
„Gefragt ist jetzt jemand,<br />
der die Sparanstrengungen von<br />
Air Berlin endlich glaubwürdig<br />
vermitteln kann.“<br />
ruediger.kiani-kress@wiwo.de<br />
Aufbruch in den<br />
Orient Finanzvorstand<br />
Hüttmeyer<br />
ßen Verlagshäuser mit ihren<br />
Titeln vertreten.<br />
Das Verhältnis zu Amazon<br />
ist belastet, weil der US-Konzern<br />
von der Verlagsgruppe<br />
Bonnier höhere Rabatte für<br />
E-Books fordert. Eine Einigung<br />
steht noch aus. „Wir sind<br />
weiter in intensiven Verhandlungen“,<br />
sagt Bonnier-Geschäftsführer<br />
Christian Schumacher-Gebler.<br />
Kleinere Anbieter wie der<br />
Münchner Verlag Dotbooks<br />
wollen sich indes an Amazons<br />
Flatrate beteiligen. „Wir machen<br />
da mit, das Flatrate-Lesen<br />
ist ein Modell der Zukunft“, sagt<br />
Verlegerin Beate Kuckertz.<br />
peter.steinkirchner@wiwo.de<br />
Lesen ohne Ende Amazons<br />
Deutschland-Chef Kleber<br />
TUI<br />
Abflug bei<br />
Air Berlin<br />
Beim Umbau des Reisekonzerns<br />
TUI agiert Vorstandschef<br />
Friedrich Joussen ohne falsche<br />
Sentimentalität. Jüngstes<br />
Beispiel: TUI steigt bei Air Berlin<br />
aus. Dafür hat TUI Anfang<br />
des Monats erneut Aktien verkauft<br />
und hält nun weniger als<br />
vier Prozent. In absehbarer Zeit<br />
will der Reisekonzern auch die<br />
restlichen Aktien abstoßen.<br />
„Die Reduzierung ist lange geplant<br />
und wird sukzessive umgesetzt“,<br />
so TUI. 2009 hatte TUIs<br />
britische Tochter TUI Travel 20<br />
Prozent an Air Berlin bekommen<br />
als Gegenleistung dafür,<br />
dass Air Berlin 14 Flugzeuge der<br />
defizitären TUIfly übernahm.<br />
Zudem wollte sich TUI günstige<br />
Flüge sichern. Doch die Atmosphäre<br />
ist abgekühlt. Air Berlin<br />
möchte die TUIfly-Flieger kündigen,<br />
weil die Airline beim Betrieb<br />
pro Jahr bis zu 100 Millionen<br />
Euro draufzahlt. TUI<br />
beharrt auf Vertragserfüllung.<br />
ruediger.kiani-kress@wiwo.de<br />
DREI FRAGEN...<br />
...zum Breitbandausbau<br />
Alexander<br />
Dobrindt<br />
44, Bundesminister<br />
für<br />
Verkehr und<br />
digitale Infrastruktur<br />
n Was können Schienen,<br />
Autobahnen und Bundesstraßen<br />
zum digitalen<br />
Wandel beitragen?<br />
Staatliche Infrastruktur kann<br />
das Fundament für den digitalen<br />
Wandel sein. Ich werde<br />
deshalb Regelungen auf den<br />
Weg bringen, die digitale Innovationen<br />
und Fortschritt fördern:<br />
Wir wollen Genehmigungsverfahren<br />
vereinfachen<br />
und Bauarbeiten an Straßen<br />
und Schienen besser mit dem<br />
Breitbandausbau verzahnen.<br />
Deutschland muss Treiber der<br />
digitalen Revolution sein.<br />
n Der Industrie geht der<br />
Ausbau zu langsam.<br />
Deshalb habe ich die Netzallianz<br />
Digitales Deutschland gegründet.<br />
Gemeinsam mit der<br />
Telekommunikations- und<br />
Netzwirtschaft erarbeiten wir<br />
ein Kursbuch für den Ausbau<br />
des schnellen Internets. Dazu<br />
gehören bessere Rahmenbedingungen<br />
und Förderregeln<br />
für unterversorgte Gebiete,<br />
die wirtschaftlich nicht erschlossen<br />
werden können.<br />
Frequenzen, die wir 2015 vergeben,<br />
stehen für eine bessere<br />
Breitbandversorgung zur<br />
Verfügung.<br />
n Was muss die deutsche<br />
Wirtschaft tun, um den<br />
Netzausbau voranzutreiben?<br />
Die Bereitschaft der Wirtschaft,<br />
kräftig zu investieren,<br />
ist da, über die notwendigen<br />
Rahmenbedingungen verhandeln<br />
wir im Rahmen der Netzallianz<br />
Digitales Deutschland.<br />
Die Netzte selbst werden aber<br />
privat betrieben.<br />
christian.schlesiger@wiwo.de | Berlin<br />
FOTOS: IMAGO/PLUSPHOTO, PR, ULLSTEIN BILD/REUTERS/FABRIZIO BENSCH<br />
12 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
UBER<br />
Bußgeld in<br />
München<br />
Der umstrittene Fahrtenvermittler<br />
Uber bekommt jetzt<br />
auch in München Probleme.<br />
Die Stadtverwaltung leitete gegen<br />
das US-Unternehmen ein<br />
Bußgeldverfahren ein. „Wir gehen<br />
juristisch gegen die Fahrer<br />
und das Unternehmen vor“, sagt<br />
Sebastian Groth, Leiter der<br />
Abteilung Sicherheit und Ordnung.<br />
Damit setzt München anders<br />
als andere Städte auf Abschreckung.<br />
Hamburg und<br />
Berlin etwa untersagten zwar<br />
den Uber-Dienst Uber Pop,<br />
aber das Verbot des Taxikonkurrenten<br />
wurde bis zur rechtlichen<br />
Klärung ausgesetzt. Uber<br />
vermittelt über Smartphones<br />
Fahrdienste gegen Provision.<br />
Die Münchner Behörde stellte<br />
in mehreren Fällen Verstöße<br />
gegen das Personenbeförderungsgesetz<br />
fest. Fahrer seien<br />
etwa ohne Personenbeförderungsschein<br />
unterwegs gewesen.<br />
„Wichtig ist uns, auch das<br />
Unternehmen Uber zur Verantwortung<br />
zu ziehen“, sagt Groth.<br />
Fahrern von Uber Pop und dem<br />
Unternehmen drohen Bußgelder<br />
von 20 000 Euro und mehr.<br />
Noch folgt die mündliche Anhörung.<br />
Dann kommt in Kürze<br />
die Entscheidung.<br />
christian.schlesiger@wiwo.de<br />
NEUE LIBERALE<br />
Ärger um<br />
Namen<br />
Erst am letzten Septemberwochenende<br />
von enttäuschten<br />
FDP-Anhängern in Hamburg<br />
gegründet, hat die Partei Neue<br />
Liberale um die ehemalige<br />
FDP-Landesvorsitzende Sylvia<br />
Cantel schon Ärger. „Ich habe<br />
schon seit Anfang 2013 über eine<br />
neue Partei mit dem Namen<br />
Neue Liberale nachgedacht“,<br />
Altliberale<br />
schneller<br />
Cantel<br />
29.09. Deutsche Bahn Ulrich Homburg, im Bahn-Vorstand<br />
für den Personenverkehr verantwortlich, will<br />
am Montag über neue Preise informieren. Allerdings<br />
hat Bahn-Chef Rüdiger Grube vor zwei<br />
Wochen angekündigt: „Im Fernverkehr bleiben die<br />
Preise für die Mehrheit unserer Kunden stabil.“<br />
Einige Details dürften sich ändern, damit die Bahn<br />
besser auf die wachsende Konkurrenz durch die<br />
Fernbusse reagieren kann.<br />
30.09. Konjunktur Die Bundesagentur für Arbeit berichtet<br />
am Dienstag, wie sich der deutsche Arbeitsmarkt<br />
im September entwickelt hat. Im August registrierte<br />
sie 2,9 Millionen Erwerbslose, 30 000<br />
weniger als im Vormonat und 44 000 weniger als<br />
ein Jahr zuvor. Über den Arbeitsmarkt in der EU informiert<br />
die EU-Statistikbehörde Eurostat. Außerdem<br />
veröffentlicht sie die Vorabschätzung über die<br />
Entwicklung der Preise im Euro-Raum. Im August<br />
stiegen sie um 0,4 Prozent.<br />
01.10. Zalando Der Berliner<br />
Online-Händler will am<br />
Mittwoch an die Börse gehen.<br />
Für die <strong>Ausgabe</strong> der<br />
Aktien hatte Zalando eine Preisspanne von 18,00<br />
bis 22,50 Euro festgelegt.<br />
02.10 Euro Der Rat der Europäischen Zentralbank tagt<br />
am Donnerstag in Neapel. Am vergangenen Mittwoch<br />
hatte EZB-Chef Mario Draghi gesagt: „Die<br />
Zinsen werden niedrig bleiben.“ Ziel sei es, „die<br />
Teuerungsrate wieder auf knapp unter zwei Prozent<br />
zu bringen“. Im August betrug sie 0,4 Prozent.<br />
Elbvertiefung Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet,<br />
ob die Elbe vertieft werden darf, wie dies<br />
Hamburg und der Bund planen. Dagegen haben<br />
die Umweltverbände BUND und Nabu geklagt.<br />
sagt Michaela Merz. Die ehemalige<br />
FDP-Politikerin wechselte<br />
dann zwar zur AfD, wo sie<br />
im Bundesvorstand saß, nun jedoch<br />
austrat. Aber Merz besitzt<br />
die Internet-Adressen neueliberale.com<br />
und neueliberale.eu.<br />
„Ich erwarte Vorschläge, wie<br />
der mögliche Konflikt in Bezug<br />
auf den Namen gelöst<br />
werden kann“, sagt<br />
Merz. Ein Gespräch<br />
TOP-TERMINE VOM 29.09. BIS 05.10.<br />
soll die Lage klären, denn sie<br />
wünsche keinen Konflikt, „aber<br />
notfalls werde ich gegen die<br />
Eintragung der Marke Widerspruch<br />
einlegen“, sagt Merz. Die<br />
neue Partei ist im Netz auf die<br />
Adresse neueliberale.info ausgewichen.<br />
Die gleiche Domain<br />
mit der Endung .de hat<br />
2012 der Unternehmer<br />
Amir Roughani<br />
registrieren lassen.<br />
Das FDP-Mitglied hat<br />
mit der neuen Partei<br />
nichts zu tun.<br />
oliver.voss@wiwo.de<br />
GLÜCKSSPIEL<br />
Bitter<br />
verzockt<br />
Bei der Auswahl der künftig zugelassenen<br />
Wettanbieter ist es<br />
zu merkwürdigen Beschlüssen<br />
gekommen. Ausweislich des<br />
Protokolls der entscheidenden<br />
Sitzung der 16 Bundesländer,<br />
in der die 20 Konzessionen vergeben<br />
wurden, hatten zunächst<br />
fünf Länder dafür gestimmt,<br />
den Bewerber ODS Oddset zu<br />
streichen. Ihre Begründung:<br />
Da an der Tochter etlicher<br />
staatlicher Lottogesellschaften<br />
indirekt auch Sportverbände<br />
beteiligt sind, sei das Trennungsgebot<br />
des Glücksspielstaatsvertrages<br />
verletzt. Danach<br />
darf ein Organisator von<br />
Sportveranstaltungen keine<br />
Wetten anbieten.<br />
Wetter-Gott Ex-Nationaltorhüter<br />
Kahn wirbt für Tipico<br />
Als der geplante Ausschluss<br />
keine Mehrheit fand, stimmten<br />
schließlich nur zwei Bundesländer<br />
gegen die Gesamtliste. Die<br />
anderen stellten ihre vorher geäußerten<br />
rechtlichen Bedenken<br />
offensichtlich hintan. 15 Bewerber<br />
wurden nicht berücksichtigt,<br />
unter anderem der Branchenführer<br />
Tipico, der derzeit mit Ex-<br />
Nationaltorhüter Oliver Kahn<br />
wirbt. Einige der unterlegenen<br />
Anbieter haben den Vollzug der<br />
Konzessionsentscheidung vorläufig<br />
gerichtlich gestoppt.<br />
henning.krumrey@wiwo.de | Berlin<br />
FOTOS: PICTURE-ALLIANCE/DPA/BODO MARKS, SPORT MOMENTS/PASCHERTZ, CORBIS/DEMOTIX/CHRISTIAN SCHNEBEL<br />
14 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
CHEFSESSEL<br />
START-UP<br />
BMW<br />
Franciscus van Meel, 48,<br />
ist künftig für den Sport bei<br />
BMW verantwortlich. Der<br />
Holländer übernahm in<br />
München als Nachfolger von<br />
Friedrich Nitschke, 59, die<br />
Leitung von BMW M. Der<br />
Spezialist für Elektromobilität<br />
und Allradantriebe hatte<br />
die zurückliegenden 18 Jahre<br />
für den Konkurrenten Audi<br />
gearbeitet und zuletzt die<br />
Audi-Tochter Quattro geführt.<br />
Reibereien mit Technikvorstand<br />
Ulrich Hackenberg<br />
hatten ihm dort jedoch<br />
den Spaß verleidet. Als neuer<br />
Quattro-Chef ist bereits der<br />
Österreicher Heinz Hollerweger,<br />
61, bestellt.<br />
BDI<br />
Ulrich Grillo, 55, soll den<br />
Bundesverband der Deutschen<br />
Industrie (BDI) auch<br />
in den nächsten beiden<br />
Jahren führen. Das BDI-<br />
Präsidium schlug den Duisburger<br />
Unternehmer für eine<br />
zweite Amtszeit vor, die BDI-<br />
Mitgliederversammlung<br />
stimmt am 24. November in<br />
geheimer Wahl ab. Das Ergebnis<br />
dürfte wie <strong>vom</strong> Präsidium<br />
gewünscht ausgehen.<br />
Grillo ist seit Januar 2013<br />
BDI-Präsident.<br />
AURUBIS<br />
Peter Willbrandt, 52, seit<br />
Anfang 2012 Chef der größten<br />
europäischen Kupferhütte,<br />
hört auf. Sein Vertrag läuft am<br />
31. März aus, eine Verlängerung<br />
lehnt Willbrandt aus<br />
„persönlichen Gründen“ ab.<br />
Mit der gleichen Begründung<br />
hatte schon sein Vorgänger<br />
Bernd Drouven, 59, aufgegeben.<br />
Beide kamen wohl<br />
nicht mit dem Großaktionär<br />
Salzgitter klar. Trotzdem<br />
wechselte Drouven danach<br />
in den Aufsichtsrat. Nun<br />
soll er für maximal ein Jahr<br />
wieder Vorstandsvorsitzender<br />
werden.<br />
TELEGATE<br />
Elio Schiavo, 51, gibt den<br />
Chefposten des bayrischen<br />
Kommunikationsdienstleisters<br />
am 10. Oktober ab und wechselt<br />
zu Apple in die USA. Der Italiener<br />
gilt als Experte für das Vermarkten<br />
von Daten. Neuer Chef<br />
von Telegate wird der 43-jährige<br />
Franz Peter Weber, bisheriger<br />
Finanzvorstand.<br />
IKEA<br />
15 000 Kunden,<br />
oft auch 20 000 strömen täglich ins erste Ikea-Haus, das der<br />
Möbelriese in einer Fußgängerzone betreibt: in Hamburg-Altona.<br />
Es ist die bestbesuchte Ikea-Filiale Deutschlands. Die anderen<br />
ziehen nur 7000 bis 15 000 Besucher an. Allerdings gibt ein Kunde<br />
in Altona im Schnitt nur 30 Euro aus, 50 Euro weniger als üblich.<br />
TALOCASA<br />
Hilfe bei der Maklersuche<br />
Sebastian Wagner (Mitte) möchte im Immobiliengeschäft mitmischen,<br />
versteht aber wenig von Immobilien. Sein Metier ist das<br />
Online-Shopping, 2007 entwickelte er die Rabattplattform Urdeal.<br />
Jetzt will der 34-Jährige gleich zwei Probleme der Maklerbranche<br />
lösen: Wie erkennen Kunden, ob ein Makler seriös ist? Und wie<br />
finden Makler genügend Objekte? Gemeinsam mit Matthias<br />
Frenzel (links) und Miguel Ruth (rechts), die für das Maklernetzwerk<br />
Engel & Völkers gearbeitet hatten, gründete Wagner das<br />
Unternehmen Talocasa. Im April ging es in der Schweiz online, vor<br />
einem Monat in Deutschland.<br />
Das Start-up sucht für Käufer und Verkäufer die passenden<br />
Makler. Wechselt ein Objekt dann den Besitzer, kassiert Talocasa<br />
bis zu 35 Prozent der Maklerprovision. „Wir haben einen Pool von<br />
4000 Maklern“, sagt Wagner. Die Auswahl erfolgt nach Kriterien<br />
wie Erfahrung, Mitgliedschaft im Branchenverband oder dem Ruf<br />
am Markt. Den Ansatz findet Christian Schmid-Burgk von der Verbraucherzentrale<br />
Hamburg zwar richtig, aber er fordert von den<br />
Jungunternehmern mehr Transparenz darüber, warum wer in den<br />
Pool kommt. Bis Ende<br />
Fakten zum Start<br />
Investitionen Geld von Hanse<br />
Ventures und Unterstützern im<br />
mittleren 7-stelligen Bereich<br />
Einnahmen von der Maklerprovision<br />
bis zu 35 Prozent<br />
Gewinn erstmals im Januar 2016<br />
des Jahres will Talocasa<br />
auch in Österreich starten.<br />
Die Branche könnte<br />
es freuen. Die Akquise<br />
von Objekten, sagt Christian<br />
Osthus <strong>vom</strong> Immobilienverband<br />
IVD, mache<br />
die meiste Arbeit.<br />
franz hubik | mdw@wiwo.de<br />
FOTOS: PR<br />
16 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Menschen der Wirtschaft | Chefbüro<br />
Thomas Lange<br />
Geschäftsführer von Lange Assets & Consulting<br />
Ein Blick aus dem Fenster genügt,<br />
schon sieht Vermögensverwalter<br />
Thomas Lange, 48,<br />
was sich im Zentrum der Hamburger<br />
Geschäftswelt tut. Sein<br />
Büro liegt am Neuen Wall, der<br />
Edelmeile der Stadt, im fünften<br />
Stock. Hochhäuser gibt es hier<br />
nicht. 286 Quadratmeter, die<br />
gesamte fünfte Etage, beansprucht<br />
sein Unternehmen.<br />
2005 hat er die Vermögensverwaltung<br />
Lange Assets & Consulting<br />
gegründet, gemeinsam<br />
mit den Verlagserben Axel Sven<br />
Springer und John Jahr junior<br />
sowie dem Rechtsanwalt Oliver<br />
Heine. „Ich bin unter<br />
den Gesellschaftern<br />
die ärmste Maus“,<br />
sagt Lange, obwohl er<br />
genau davon lebt –<br />
von der Vermehrung<br />
von Vermögen. Er<br />
betreut nicht nur betuchte<br />
Privatleute,<br />
360 Grad<br />
In unseren App-<br />
<strong>Ausgabe</strong>n finden<br />
Sie an dieser<br />
Stelle ein interaktives<br />
360°-Bild<br />
sondern auch Stiftungen,<br />
Fonds und die Vermögensverwaltung<br />
der Sparkasse Holstein.<br />
Meist berät er die Kunden<br />
in seinem Büro. Die Sessel sind<br />
kardinalsblau, einige rot. „Blau<br />
steht für Verlässlichkeit“, sagt<br />
Lange, „Rot für progressiv.“ Die<br />
drei Fotos hinter dem Schreibtisch<br />
zeigen den Sänger<br />
Leonard Cohen,<br />
die Schauspielerin<br />
Idil Üner und den<br />
Schriftsteller Salman<br />
Rushdi. „Persönlichkeiten,<br />
die dadurch<br />
auffallen, dass sie<br />
nichts verschweigen“,<br />
begründet Lange die Auswahl.<br />
„Das ist auch unser Credo: Wir<br />
haben eine Meinung und treten<br />
für sie ein.“ Auf dem Fenstersims<br />
hocken im Zwergenformat<br />
Waldorf und Statler, die<br />
Alten aus der „Muppet Show“.<br />
„Sie erinnern mich an einen<br />
meiner früheren Arbeitgeber.“<br />
Der gelernte Bankkaufmann<br />
und studierte Betriebswirt hatte<br />
einst für die Dresdner Bank<br />
und das Bankhaus Wölbern gearbeitet.<br />
„Wenn ich mich mal<br />
ärgere, gucke ich auf die Alten<br />
und weiß: Es war richtig, mich<br />
selbstständig zu machen.“<br />
hermann.olbermann@wiwo.de<br />
FOTO: ARNE WEYCHARDT FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
18 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Ein Bett im Bierzelt<br />
FLÜCHTLINGE | Der Zustrom von Hilfsbedürftigen nach Deutschland kam zu plötzlich,<br />
um sich darauf vorzubereiten, sagen Politiker. Doch Recherchen in Unterkünften<br />
und zuständigen Behörden zeigen: Wo es schiefläuft, ist die Verwaltung selbst schuld.<br />
In den Fokus rückt dabei ausgerechnet ein vermeintliches Musterland.<br />
Es ist 12.45 Uhr, höchste<br />
Zeit für eine Mittagspause.<br />
Doch Michaela Vogelreuther<br />
wird schon im<br />
Vorzimmer aufgehalten.<br />
„Chefin!“, ruft ihr die Sekretärin<br />
entgegen, „Sie müssen ganz dringend<br />
noch mal raus zur Unterkunft, da<br />
gibt’s Probleme, Läuse oder so!“ Vogelreuther<br />
atmet kurz und hörbar aus und bricht<br />
die Pause erst mal ab. Sie kehrt um, greift<br />
zum Telefon.<br />
Was Michaela Vogelreuther zurzeit erlebt,<br />
ist nicht normal in deutschen Behörden,<br />
doch in diesem Sommer ist es vielerorts<br />
zum Alltag geworden. Vogelreuther<br />
leitet das Sozialamt der Stadt Fürth, ihre<br />
Zuständigkeiten reichen von Seniorenarbeit<br />
über Behindertenbetreuung bis zum<br />
Wohngeld. Doch momentan geht es nur<br />
um eines: Flüchtlinge. Vogelreuther erinnert<br />
sich, wie sie an einem Mittwoch Anfang<br />
des Monats den Anruf des Bürgermeisters<br />
bekam: „Servus Michaela, wir<br />
müssen bis Freitag 300 Flüchtlinge unterbringen.“<br />
– „300? Diesen Freitag?“ – „Sicher.<br />
Sonst stellen die uns die Leute einfach<br />
vorm Rathaus ab, das haben die in den<br />
Neunzigerjahren schon mal so gemacht.“<br />
In den vergangenen Monaten sind immer<br />
mehr Flüchtlinge nach Deutschland<br />
gekommen. Ukraine, Syrien, Irak, Somalia<br />
– die Krisen der mittelfernen und entlegenen<br />
Welt, sie sind auf einmal ganz nah. In<br />
einem einzigen Zug von Verona nach Rosenheim<br />
wurden vor einiger Zeit gleich 100<br />
Flüchtlinge aufgegriffen. Nahe Flensburg<br />
stoppte die Polizei einen Reisebus mit 85<br />
Entwurzelten auf dem Weg nach Skandinavien.<br />
Bei Straubing kümmerte die Polizei<br />
sich um ein gutes Dutzend Personen, die<br />
auf dem Standstreifen der Autobahn herumirrten.<br />
Mit einem Lkw seien sie direkt<br />
aus der Türkei gekommen, gaben die<br />
Flüchtlinge zu Protokoll. Die meisten aber<br />
melden sich von selbst, ohne Vorwarnung<br />
stehen sie an der Tür einer beliebigen deutschen<br />
Behörde. Insgesamt beantragten<br />
zwischen Januar und August 115 737 Menschen<br />
in Deutschland Asyl, 62,5 Prozent<br />
mehr als im gleichen Zeitraum 2013. „Wir<br />
müssen uns darauf einrichten, dass uns<br />
das Flüchtlingsproblem in den nächsten<br />
Jahren in Deutschland fordern wird“, sagt<br />
»In der<br />
Unterkunft gibt’s<br />
Probleme ,<br />
Läuse oder so!«<br />
Verantwortung drückt (siehe Seite 25).<br />
Aber es stimmt nicht, dass dies allein der<br />
Grund ist für das Chaos hierzulande.<br />
SPIEL MIT DER TÜR<br />
Markus Märtens ist ein bisschen verdutzt,<br />
wenn er Geschichten wie die von Michaela<br />
Vogelreuther aus Fürth hört. Sicher, sein<br />
Blick auf das Problem ist ein begrenzter,<br />
doch er ist gerade deshalb interessant. „Die<br />
Zahl der Asylbewerber steigt ziemlich<br />
schnell, aber noch reichen unsere Kapazitäten<br />
aus“, sagt Märtens. Er ist Sozialdezernent<br />
in Leverkusen. Die Stadt zwischen<br />
Köln und Düsseldorf ist mit dem Nürnberger<br />
Nachbarort Fürth ganz gut zu vergleichen.<br />
Beide Städte haben eine ähnliche<br />
Größe, auch die Immobilienmärkte ähneln<br />
sich. Nachfrage und Mieten steigen, wenn<br />
auch nicht auf das Niveau der benachbarten<br />
Zentren. Umso unterschiedlicher ist<br />
die Lage der Flüchtlinge in den beiden<br />
Kommunen.<br />
Der Läusealarm führt Frau Vogelreuther<br />
an den Nordrand der Stadt, wo Autobahn<br />
und Autohäuser ein unwirtlich rauschendes<br />
Stillleben bilden. Hier steht das ehemalige<br />
Möbelhaus des Unternehmens Höffner,<br />
nur an einem verblassenden Schild<br />
über dem Eingang („Hier geht’s zu den besten<br />
Preisen“) ist das noch zu erkennen. Das<br />
Gelände ist mit einem Bauzaun umzingelt.<br />
Eine typische Brache, wären da nicht zwei<br />
Kinder, die mit der Automatiktür spielen.<br />
Auf, zu, auf, zu, immer wieder. Ein junger<br />
Mann vollführt auf dem Parkplatz Kampfsportübungen.<br />
„Mit der Herrichtung des<br />
Möbelhauses konnten wir all die Menschen<br />
unterbringen, die uns zugewiesen wurden“,<br />
sagt Amtsleiterin Vogelreuther. 300 Men-<br />
CSU-Entwicklungshilfeminister Gerd Müller<br />
(siehe Interview Seite 30). Aus den vereinzelten<br />
Beschwerden von Kommunen<br />
und Ländern wird währenddessen ein immer<br />
lauter anschwellender Wehgesang: So<br />
viele Flüchtlinge, wie soll das gehen? Der<br />
Bund müsse helfen, mehr Geld geben. Die<br />
anderen europäischen Staaten sollten sich<br />
stärker engagieren. Alleine aber sei es auf<br />
keinen Fall zu schaffen.<br />
Es stimmt, dass Deutschland so viele<br />
Flüchtlinge aufnimmt wie kein anderes<br />
Land der Europäischen Union. Es stimmt<br />
auch, dass manch großes Land sich um die »<br />
FOTO: WOLF HEIDER-SAWALL FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE; ILLUSTRATION: KRISTINA DÜLLMANN<br />
20 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Mehr Not als Lösung<br />
300 Flüchtlinge musste die<br />
Leiterin des Fürther Sozialamts,<br />
Michaela Vogelreuther, in einem<br />
Möbelhaus unterbringen<br />
WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 21<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Paris-<br />
Saarbrücken<br />
Paris-Offenburg<br />
»<br />
Noch Platz<br />
im Osten<br />
Übersicht der Erstaufnahmeeinrichtungen<br />
in Deutschland<br />
Trier<br />
240<br />
280<br />
Bremen<br />
Bramsche<br />
Bielefeld<br />
NORDRHEIN-WESTFALEN<br />
4835<br />
5634<br />
RHEINLAND-<br />
PFALZ<br />
Dortmund<br />
Offenburg<br />
1 über Flensburg; 2 Vogelfluglinie;<br />
Quelle: Bundesländer und Bundespolizei<br />
Hamburg-Dänemark 1<br />
Hamburg<br />
Gießen<br />
400<br />
450<br />
SCHLESWIG-HOLSTEIN<br />
NIEDERSACHSEN<br />
HESSEN<br />
Neumünster<br />
2060<br />
2030<br />
Frankfurt<br />
am Main<br />
2650<br />
4150<br />
974<br />
2100<br />
1500<br />
2500<br />
Braunschweig<br />
Nostorf-Horst<br />
982<br />
806<br />
SACHSEN-<br />
ANHALT<br />
Halberstadt<br />
Friedland<br />
1180<br />
1474<br />
SAARLAND<br />
Lebach<br />
Zirndorf<br />
Saarbrücken BADEN-<br />
WÜRTTEMBERG<br />
1370 Karlsruhe<br />
1211<br />
Stuttgart<br />
Hamburg-Schweden 2<br />
Schwerin<br />
THÜRINGEN<br />
BAYERN<br />
800<br />
626<br />
Eisenberg<br />
Nürnberg<br />
München<br />
MECKLENBURG-<br />
VORPOMMERN<br />
2910<br />
5921<br />
400<br />
306<br />
Berlin<br />
Chemnitz<br />
Rosenheim<br />
Verona (Italien)-<br />
Brenner-Rosenheim<br />
2015<br />
2200<br />
BRANDENBURG<br />
SACHSEN<br />
XX<br />
XX<br />
1350<br />
1325<br />
Eisenhüttenstadt<br />
1700<br />
1600<br />
= Standort einer<br />
Erstaufnahmeeinrichtung<br />
= die wichtigsten<br />
Reiserouten<br />
= Kapazität<br />
der Erstaufnahmeeinrichtungen<br />
des Landes<br />
= aktuelle<br />
Belegung<br />
Noch nicht am Gipfel<br />
Asyl-Erstanträge in Deutschland pro Monat<br />
20000<br />
16 000<br />
12 000<br />
8000<br />
4000<br />
im Jahr 2014*<br />
5579<br />
im Jahr 2013<br />
20639<br />
0<br />
Januar<br />
Dezember<br />
* Sept. bis Dez. 2014: eigene Schätzung auf Basis der durchschnittlichen<br />
monatlichen Veränderung gegenüber<br />
dem Vorjahreszeitraum (+59,5 %); Quelle: BAMF<br />
9218<br />
schen leben in dem Gebäude, und aus<br />
Sicht der Stadtverwaltung ist der fast fensterlose<br />
Kasten ein echter Glücksfall. Der Inhaber<br />
zog einen neuen Boden ein, stattete<br />
das Gebäude mit Stockbetten und Beleuchtung<br />
aus. In wenigen Tagen, auf eigene<br />
Rechnung. Um ein wenig Privatsphäre zu<br />
simulieren, sind mithilfe von Bauzäunen<br />
jeweils vier Stockbetten zu einem Schlafraum<br />
abgegrenzt. „Das ist richtig gut geworden“,<br />
sagt Vogelreuther. Man kann das<br />
zynisch finden – oder daraus rückschließen<br />
auf die Zustände in anderen Unterkünften.<br />
In Leverkusen stehen in den Möbelhäusern<br />
nur Möbel, für die Menschen gibt es<br />
hier Wohnungen. Dabei musste die Industriestadt<br />
am Rhein im August gut 400<br />
Flüchtlinge aufnehmen, rund 50 Prozent<br />
mehr als im Vorjahresmonat. „Die Vorlaufzeit,<br />
mit der wir über Zugänge unterrichtet<br />
werden, beträgt meist nur ein paar Tage“, berichtet<br />
Sozialdezernent Märtens. Neuankömmlinge<br />
landen zunächst in einer zentralen<br />
Gemeinschaftsunterkunft, von dort<br />
werden sie innerhalb weniger Wochen in<br />
Wohnungen vermittelt, wo sie für die Restdauer<br />
des Asylverfahrens bleiben. Massenunterkünfte<br />
für die Langfristunterbringung<br />
gibt es nicht. „Leverkusener Modell“ heißt<br />
das, Flüchtlingsexperten ist es bundesweit<br />
ein Begriff, seit die Stadt vor zehn Jahren mit<br />
einem Schlag ihre Gruppenunterkünfte<br />
schloss. Stattdessen bezahlt sie zwei Mitarbeiter,<br />
die den Flüchtlingen bei der Wohnungssuche<br />
helfen. „Sollte sich der Zustrom<br />
weiter erhöhen, dann werden auch wir neue<br />
Gruppenunterkünfte einrichten müssen“,<br />
räumt Märtens ein. „Wir haben in dieser<br />
Woche unsere Kapazitätsgrenze erreicht.“<br />
SCHLAGBAUM UND SCHLANGE<br />
Dass sich die vermeintlich ähnlichen Städte<br />
Fürth und Leverkusen so deutlich unterscheiden,<br />
zeigt, dass nicht der Flüchtlingsstrom<br />
an sich schuld ist an den chaotischen<br />
Zuständen – sondern der Umgang<br />
mit den Asylsuchenden. Die Verantwortung<br />
für die Unterbringung liegt grundsätzlich<br />
bei den Ländern, und auf dieser Ebene<br />
liegen auch die Ursachen für die meisten<br />
Probleme. Einmal wöchentlich zeigen die<br />
sich derzeit am eindrucksvollsten: montags,<br />
neun Uhr in Deutschland.<br />
Denn das komplexe System der Unterbringung<br />
hat einen Flaschenhals, der um<br />
diese Uhrzeit besonders eng ist: die Erstaufnahmestellen.<br />
Wenn montags die Registrierungsstellen<br />
des Bundesamts für Migration<br />
und Flüchtlinge (BAMF) öffnen,<br />
wachsen die Schlangen. Eine verschlossene<br />
Tür, ein heruntergelassener Schlagbaum<br />
und zwei Mitarbeiter eines privaten<br />
Sicherheitsdienstes, so werden die Neuankömmlinge<br />
im Dortmunder Stadtteil Hacheney<br />
begrüßt. Auf dem ehemaligen Gelände<br />
einer Gehörlosenschule befindet<br />
sich eine der beiden Erstaufnahmeeinrichtungen<br />
des Landes Nordrhein-Westfalen.<br />
Ein Schild weist den Weg zum Anmeldebüro.<br />
Vor der Tür liegen Plastiktüten mit Kleidung,<br />
ein paar veraltete und abgenutzte<br />
Koffer und zusammengerollte Isomatten.<br />
Gut zehn Leute stehen auf dem Gang, weitere<br />
25 Asylsuchende drängen sich in einem<br />
kleinen, kahlen Zimmer. Es herrscht<br />
Betrieb, aber kein Chaos.<br />
FOTOS: PICTURE-ALLIANCE/DPA (3); ILLUSTRATION: KRISTINA DÜLLMANN<br />
22 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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1 2<br />
3<br />
1 | Spaziergang zum Klohaus Flüchtlinge<br />
auf einem Kasernengelände in Heidelberg<br />
2 | Warten auf Essen Andrang vor der<br />
Kantine der Zirndorfer Aufnahmeeinrichtung<br />
3 | Betten statt Schulbänke Notunterkunft<br />
in der Feuerwehrschule Bruchsal<br />
Grundsätzlich stehen Asylbewerbern<br />
zwei Wege offen, um ihr Begehren vorzutragen.<br />
Sie können sich an die Polizei wenden<br />
oder an die Erstaufnahmeeinrichtungen<br />
der Bundesländer (siehe Karte). Der<br />
Unterschied liegt allein darin, dass sie in<br />
ersterem Fall von der Polizei zur nächstgelegenen<br />
Erstaufnahme gebracht werden.<br />
Dort gibt es dann Außenstellen des BAMF,<br />
dessen Beamte die Bewerber registrieren.<br />
Damit beginnt der Prozess der Unterbringung,<br />
der theoretisch hervorragend geregelt<br />
ist – und praktisch täglich scheitert.<br />
In der Theorie verteilt das BAMF die<br />
Flüchtlinge gleich bei der Ankunft mittels<br />
eines IT-Systems, das den hoffnungsvollen<br />
Name „Easy“ trägt, auf die Bundesländer –<br />
entsprechend der Einwohnerzahl und<br />
Wirtschaftskraft. Dort bleiben die Asylbewerber<br />
bis zu drei Monate in den Erstaufnahmen,<br />
sodass die Anhörung im Asylverfahren<br />
dort stattfinden kann. Danach geht<br />
es in die Kommunen, wo die Bewerber den<br />
Ausgang des Verfahrens abwarten.<br />
BAYERN: ANLAUFSTELLE NUMMER 1<br />
In der Praxis hakt es im System schon an<br />
Punkt 1, Registrierung und Verteilung. In<br />
Zirndorf bei Nürnberg ist die Polizei bereits<br />
morgens in Position. Drei Mannschaftswagen<br />
stehen vor dem Eingangstor der Erstaufnahme,<br />
auf dem Innenhof drängen sich<br />
mindestens 50 Menschen vor der Kantine.<br />
Auf der schmalen Freifläche neben den<br />
vier Gebäuderiegeln sind weiße Bierzelte<br />
aufgebaut, wie man sie von Volksfesten<br />
kennt. Bald kommt der erste Bus, das Tor<br />
öffnet sich kurz, schließt dahinter schnell<br />
wieder. Wieder 60 Menschen mehr, die<br />
sich auf dem Innenhof drängen. Die ehemalige<br />
Kaserne ist für 650 Menschen ausgelegt,<br />
im Moment übernachten dort 1200.<br />
Der Bus kommt aus einer der Not-Außenstellen,<br />
welche die Bezirksregierung Mittelfranken<br />
rund um Zirndorf eingerichtet hat;<br />
eine davon ist das Möbelhaus in Fürth.<br />
In Bayern melden sich zurzeit so viele<br />
Flüchtlinge, dass das Bundesamt mit der<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 23<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
»<br />
Registrierung nicht nachkommt. Denn<br />
die Asylbewerber kommen entsprechend<br />
ihrer Reiserouten und Präferenzen an. Das<br />
hat zwei Folgen: Im Süden, in Berlin und<br />
den Großstädten im Westen ist der Zulauf<br />
besonders hoch. Das heißt zwar nicht, dass<br />
diese Länder überproportional viele<br />
Flüchtlinge aufnehmen, aber schon, dass<br />
sich hier besonders viele melden. Solange<br />
Easy aber nicht gesprochen hat, muss Bayern<br />
die Flüchtlinge bei sich behalten. In<br />
den Notlagern werden die Menschen versorgt,<br />
für die Registrierung zu den BAMF-<br />
Außenstellen in Zirndorf und München<br />
gebracht. Das kostet Zeit. Bloß: Auch für<br />
die bayrische Regierung sind diese Ströme<br />
an sich nichts Neues.<br />
„Die Regierung hat den Kopf in den<br />
Sand gesteckt, als der wachsende Flüchtlingsstrom<br />
längst absehbar war“, klagt Sozialamtsleiterin<br />
Vogelreuther. Sie erinnert<br />
sich gut an das Jahr 2010. Im Frühling wies<br />
die Bezirksregierung die Kommune an, eine<br />
große Gemeinschaftsunterkunft zu<br />
schließen, sie werde nicht mehr gebraucht.<br />
„Dabei war längst absehbar, dass<br />
die Zahl der Flüchtlinge wieder steigen<br />
würde“, so Vogelreuther. Nur Monate später<br />
folgte die Kehrtwende: Die Stadt wurde<br />
aufgefordert, neue Unterkünfte zu benennen.<br />
Da waren die Gebäude längst verkauft.<br />
An diesem Beispiel zeigt sich nicht<br />
nur, wie schlecht die Planung in manchen<br />
Bundesländern läuft, sondern auch, wie<br />
spezielle bürokratische Strukturen die Organisation<br />
lähmen. Grundsätzlich gilt: Je<br />
mehr die Kommunen zu sagen haben,<br />
desto besser klappt es.<br />
In keinem anderen Bundesland ist die<br />
Unterbringung von Flüchtlingen so hierarchisch<br />
geregelt wie in Bayern, mit Abstrichen<br />
gilt das für Baden-Württemberg. Wie<br />
in allen Bundesländern gibt es zwar eine<br />
Quotenregelung, mit der die Flüchtlinge<br />
über das Land verteilt werden. Auf die Zuweisungen<br />
selbst haben Städte und Gemeinden<br />
aber kaum Einfluss. Die Bezirksregierungen<br />
tragen die Kosten, entscheiden<br />
dafür aber auch allein, welche Unterkünfte<br />
zum Zug kommen. Sie sollten mindestens<br />
50 Plätze bieten, Privatwohnungen<br />
sind grundsätzlich unzulässig, außer die<br />
Flüchtlinge bezahlen selbst. Die Kommunen<br />
haben kein Mitspracherecht, sondern<br />
nur die Pflicht, Vorschläge zu machen. Auf<br />
dem Papier geht es den Asylbewerbern in<br />
Bayern dann so gut wie nirgendwo sonst:<br />
Der Freistaat gibt besonders viel Geld für<br />
Flüchtlinge aus, 2014 werden es 220 Millionen<br />
Euro sein, Nordrhein-Westfalen<br />
Das wird noch schön<br />
Integration gelingt, wenn Asylsuchende<br />
normale Wohnungen bekommen, sagt<br />
Leverkusens Sozialdezernent Märtens<br />
kommt mit 110 Millionen Euro aus. Auch<br />
sieben Quadratmeter Schlaffläche pro Person<br />
sind im Vergleich groß bemessen.<br />
STANDARDS BRÖCKELN<br />
„Die Vorgaben der Regierung sind so hoch,<br />
dass die meisten unserer Vorschläge abgelehnt<br />
werden“, sagt Vogelreuther. Die Bewerber<br />
aber laufen trotzdem auf. Die Regierung<br />
setzte deshalb in den vergangenen<br />
Monaten verstärkt auf das Mittel der<br />
Zwangszuweisung: Wenn nicht genug Plätze<br />
da sind, bekommen die Städte einfach<br />
Personen zugewiesen – Standards spielen<br />
dann keine Rolle mehr. Sozialdezernentin<br />
Vogelreuther muss dann nehmen, was sie<br />
auf die Schnelle bekommen kann, mietet<br />
Pensionen und Monteursunterkünfte an.<br />
Nachdem sie die Notlager wie im Möbelhaus<br />
verlassen haben, müssen die Flüchtlinge<br />
dort zu siebt oder acht in einem<br />
Raum ausharren, bis über den Asylantrag<br />
entschieden ist – was Jahre dauern kann.<br />
Das ist unmenschlich, teuer obendrein.<br />
Mithilfe einiger<br />
Bauzäune wird<br />
drinnen Privatsphäre<br />
simuliert<br />
Bei Michaela Vogelreuther rief vor einiger<br />
Zeit ein Makler an, um den Kontakt zu<br />
einem Investor aus Singapur zu vermitteln.<br />
„Der wollte hier Immobilien kaufen, um<br />
sie an uns zu vermieten“, erinnert sie sich.<br />
Er hatte von einem Tagessatz von 60 Euro<br />
gehört. Vogelreuther wimmelte ihn ab, sagt<br />
aber auch: „Auf dem Land sind solche<br />
Preise durchaus möglich.“ Wo es nur eine<br />
Handvoll Pensionen gibt, die überhaupt<br />
gemietet werden können, bleiben den Gemeinden<br />
kaum Optionen.<br />
Dass es auch anders gehen könnte, zeigt<br />
sich in Rheinland-Pfalz. Auch hier ist die<br />
Erstaufnahme überlastet, auf Zelte und andere<br />
Notlager konnte bisher aber verzichtet<br />
werden. Bereits 2012 hat das Land begonnen,<br />
die Erstaufnahmestelle in Trier zu<br />
erweitern, im Februar konnte eine neue<br />
Unterkunft bezogen werden. Anfang 2015<br />
öffnet wohl eine weitere Außenstelle des<br />
BAMF, das kleine Rheinland-Pfalz hätte<br />
dann so viele Registrierungsstellen wie<br />
Bayern. „Wir haben die Schätzungen des<br />
BAMF und den gleichzeitig in unserer Erstaufnahmeeinrichtung<br />
registrierten Anstieg<br />
der Flüchtlingszahlen immer sehr ernst genommen“,<br />
sagt Integrationsministerin Irene<br />
Alt (Grüne), „daher kommen wir mit<br />
den derzeitigen Flüchtlingszugängen relativ<br />
gut zurecht.“ Von einer besonderen Betroffenheit<br />
einzelner Bundesländer will sie<br />
nichts wissen: „Die Aufgabe der Flüchtlingsaufnahme<br />
ist auf alle Länder nach<br />
Steueraufkommen und Bevölkerungszahl<br />
gleich verteilt – die geografische Lage eines<br />
Bundeslandes spielt keine Rolle.“<br />
Auch die Unterbringung in den Kommunen<br />
gelingt in Rheinland-Pfalz fast flächendeckend,<br />
gerade weil das Land keine<br />
Vorgaben macht. Die Ministerin rät lediglich<br />
dazu, Wohnungen zu mieten, statt<br />
Großunterkünfte zu bauen. Dass die Städte<br />
sich daran halten, hat einen pragmatischen<br />
Grund: Es ist billiger. Anders als<br />
Bayern übernimmt das Land Rheinland-<br />
Pfalz keine Kosten, sondern stellt den<br />
Kommunen eine Pauschale zur Verfügung.<br />
Wie sie damit klarkommen, ist ihre<br />
Sache. Natürlich gibt es auch aus Bundesländern,<br />
in denen die Unterbringung den<br />
Kommunen überlassen ist, Negativbeispiele.<br />
Gerade dann, wenn die Zuschüsse<br />
des Landes niedrig sind, wie es in Nordrhein-Westfalen<br />
der Fall ist. Doch in diesen<br />
Ländern ist das Versagen punktuell,<br />
nicht flächendeckend.<br />
Länderübergreifend hingegen ist auffällig,<br />
wie viele Fehler durch mangelhafte Kooperation<br />
gelöst werden könnten.<br />
»<br />
FOTO: DOMINIK ASBACH FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE; ILLUSTRATION: KRISTINA DÜLLMANN<br />
24 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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ASYLPOLITIK<br />
Not der Welt<br />
Trotz jahrelanger Debatten nehmen<br />
EU-Staaten immer noch unterschiedlich<br />
viele Asylbewerber auf.<br />
Wo sich Asylbewerber melden<br />
Länder mit der höchsten...<br />
...pro 100000<br />
Einwohner<br />
Schweden<br />
Malta<br />
Schweiz<br />
Norwegen<br />
Österreich<br />
Luxemburg<br />
Ungarn<br />
Belgien<br />
Deutschland<br />
Zypern<br />
Zahl der Bewerber...<br />
...insgesamt<br />
...und niedrigsten Aufnahmequote (2013*)<br />
Portugal<br />
Tschechien<br />
Estland<br />
Rumänien<br />
Slowakei<br />
Lettland<br />
Spanien<br />
Slowenien<br />
Litauen<br />
Irland<br />
568 (54270)<br />
533 (2245)<br />
265 (21305)<br />
236 (11930)<br />
207 (17500)<br />
199 (1070)<br />
190 (18895)<br />
189 (21030)<br />
158 (126705)<br />
145 (1255)<br />
5 (500)<br />
7 (695)<br />
7 (95)<br />
8 (1495)<br />
8 (440)<br />
10 (195)<br />
10 (4485)<br />
13 (270)<br />
14 (400)<br />
20 (920)<br />
* Zahlen gerundet,<br />
Quelle: Eurostat<br />
Bundesinnenminister Thomas de Maizière<br />
(CDU) macht Druck: Gemeinsam mit<br />
seinen Amtskollegen aus Polen, Spanien,<br />
Frankreich und Großbritannien dringt er<br />
in einem Brief an die EU-Kommission auf<br />
eine bessere Lastenverteilung in der europäischen<br />
Asylpolitik. Beim nächsten<br />
Treffen der EU-Innenminister im Oktober<br />
müsse dieses Thema dringend behandelt<br />
werden.<br />
Die Zahlen sprechen für sich: Im vergangenen<br />
Jahr wurden 70 Prozent aller<br />
Asylbewerber in der EU in nur fünf von<br />
insgesamt 28 Ländern registriert: in<br />
Deutschland, Frankreich, Schweden, Italien<br />
und Großbritannien. Rund zehn<br />
Länder nehmen dagegen kaum Fremde<br />
auf, moniert die EU-Kommission.<br />
Nach wie vor gilt das Prinzip, dass<br />
Schutzbedürftige Asyl in dem Land beantragen<br />
müssen, in dem sie die EU zuerst<br />
betreten. Doch die Bundesregierung<br />
vermutet, dass es manche Länder mit der<br />
Erfassung von Flüchtlingen nicht so genau<br />
nehmen und diese gerne weiterziehen<br />
lassen. In Berlin gehen viele davon<br />
aus, dass für jedes dritte Asylgesuch des<br />
vergangenen Jahres ein anderer EU-Staat<br />
zuständig gewesen wäre. Im vierten<br />
Quartal seien es sogar mehr als 50 Prozent<br />
aller Verfahren gewesen.<br />
GROSSE UNTERSCHIEDE<br />
Aus Sicht der Flüchtlinge kann es rational<br />
sein, nicht in dem Land Asyl zu beantragen,<br />
in dem sie zuerst in der EU ankommen.<br />
Die Lebensbedingungen variieren<br />
stark zwischen den EU-Mitgliedstaaten,<br />
und auch bei den Chancen, anerkannt zu<br />
werden, herrschen große Unterschiede.<br />
Schweden und Italien beispielsweise haben<br />
vergangenes Jahr mehr Asylbewerber<br />
aufgenommen als abgewiesen.<br />
De Maizière und seine Amtskollegen<br />
fordern die EU-Kommission nun auf, Modelle<br />
für eine freiwillige Umverteilung der<br />
Asylbewerber unter den<br />
Mitgliedstaaten zu prüfen.<br />
Dass Modelle ohne<br />
Zwang jedoch etwas an<br />
dem gegenwärtigen Ungleichgewicht ändern<br />
könnten, darf bezweifelt werden.<br />
Der künftige EU-Kommissionspräsident<br />
Jean-Claude Juncker hat das Problem erkannt:<br />
„Selbst als der reichste Kontinent<br />
der Welt ist Europa nicht in der Lage, es<br />
mit der Not der ganzen Welt aufzunehmen.“<br />
Er fordert einheitliche Regeln,<br />
damit Asylbewerber in jedem EU-Staat<br />
vergleichbare Chancen auf Asyl haben.<br />
Zuständig wird dafür Dimitris Avramopoulos<br />
sein, der den Begriff Migration sogar<br />
offiziell in seinem Kommissars-Titel<br />
führt. Der frühere Außen- und Verteidigungsminister<br />
Griechenlands, sollte sich<br />
mit den Problemen der Asylpolitik auskennen.<br />
Sein Heimatland erfüllt nicht die<br />
Mindeststandards bei der Flüchtlingsaufnahme,<br />
hat der Europäische Gerichtshof<br />
für Menschenrechte festgestellt. Andere<br />
EU-Länder dürfen deswegen niemanden<br />
dorthin zurückschicken.<br />
silke.wettach@wiwo.de | Brüssel<br />
WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 25<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
»<br />
ARBEITSMARKT<br />
»Die wollen ihren Beitrag leisten«<br />
Für die deutsche Einwanderungspolitik spielten Flüchtlinge bislang so gut wie<br />
keine Rolle. Das sollte sich ändern, raten Fachleute.<br />
Maliks Lieblingsstück enthält seine Geschichte,<br />
im wahrsten Sinne des Wortes.<br />
In einer Sitzbank hat er Holzlatten verbaut,<br />
die aus dem Camp stammen, in<br />
dem er zuerst hauste, als er nach Berlin<br />
kam. In der Bank steckt ein Teil von ihm.<br />
Nun sitzt Malik in einer Werkstatt am<br />
Berliner Spreeufer und sagt in stockendem<br />
Deutsch: „Ich möchte hier bleiben.<br />
Mir gefällt es hier.“ Cucula heißt das Bildungsprojekt,<br />
in dem er Sinn und Beschäftigung<br />
gefunden hat. Zusammen mit<br />
drei weiteren Flüchtlingen lernen sie hier,<br />
puristische Holzmöbel zu fertigen. Sie kamen<br />
aus Mali und dem Niger, schafften<br />
es nach Sizilien, nun Berlin. Auf ihren<br />
Handys haben sie noch die Fotos von<br />
Schlepperbooten, die neben ihnen in den<br />
Wellen versanken.<br />
Barbara Meyer, die Initiatorin des Projekts,<br />
darf Malik und den anderen allerdings<br />
keine Arbeitsverträge geben, nur<br />
Praktika. Doch aus der „Utopie“, wie sie<br />
es nennt, soll ein Ausbildungsbetrieb werden,<br />
der sich nicht über private Spenden,<br />
sondern aus dem Verkauf der Designer-<br />
Möbel finanziert. „Wir wollen kein Wohlfahrtsprojekt<br />
sein“, sagt sie, „sondern<br />
wirtschaftlich richtig funktionieren.“<br />
Ein Projekt wie Cucula ist selten. Denn<br />
das deutsche Asylrecht ist strikt: In den<br />
ersten neun Monaten nach Einreise dürfen<br />
Asylbewerber keine Arbeit aufnehmen.<br />
Um dies legal zu umgehen, muss<br />
man kreativ sein, wie in Berlin. Vor wenigen<br />
Tagen erst stimmte der Bundesrat einem<br />
neuen Asylrecht zu: Die Verbotsfrist<br />
wird nun auf drei Monate gesenkt.<br />
Lageso, das klingt nach einem dieser<br />
Markenartikel der Wirtschaftswunderzeit,<br />
wie Haribo oder Eduscho, ein Eis am Stiel<br />
könnte so heißen. Doch das Landesamt für<br />
Gesundheit und Soziales, kurz Lageso, ist<br />
eine gewittergraue Waschbetonfestung,<br />
zehn Stockwerke hoch, auf einem ehemaligen<br />
Krankenhausgelände in Berlin-Moabit.<br />
Hier empfängt die Hauptstadt ihre<br />
Asylbewerber. Auf einem asphaltierten<br />
Vorplatz gibt es seit Kurzem zusätzliche<br />
Holz ist die Hoffnung<br />
„Cucula“ bedeutet zusammenbringen und<br />
aufpassen. Ein passender Name für ihr Projekt,<br />
fanden Malik (Mitte) und seine Freunde<br />
Containerbüros, um mehr Asylsuchende<br />
gleichzeitig bearbeiten zu können. Davor<br />
eine Schlange. Drinnen im Amt weitere<br />
Schlangen. Der Chef des Lageso, Franz Allert,<br />
wird von manchem Kollegen mittlerweile<br />
mit folgendem Satz begrüßt: „Mit dir<br />
will ich nicht tauschen.“<br />
In Moabit kommen zurzeit pro Monat so<br />
viele Flüchtlinge an wie 2007 während des<br />
gesamten Jahres. Allert und seine Mitarbeiter<br />
müssen jetzt innerhalb Wochen neue<br />
„Ein Fortschritt“, urteilt der Migrationsexperte<br />
Klaus Zimmermann <strong>vom</strong> Forschungsinstitut<br />
zur Zukunft der Arbeit.<br />
„Deutschland sollte früher und gezielter<br />
nach qualifizierten Flüchtlingen suchen,<br />
die wir gut gebrauchen könnten.“ Auch Arbeitgeberpräsident<br />
Ingo Kramer plädiert<br />
„angesichts unserer wachsenden Fachkräfteprobleme“<br />
dafür, die Potenziale von Asylsuchenden<br />
und Geduldeten„sinnvoll zu<br />
nutzen“. Er sagt: „Bevor wir Menschen auf<br />
staatliche Sozialleistungen verweisen, sollten<br />
wir ihnen so schnell wie möglich einen<br />
Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen,<br />
damit sie aus eigener Kraft ihren<br />
Lebensunterhalt verdienen.“<br />
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat<br />
bereits die ersten Schritte gemacht. Im<br />
Frühjahr startete die BA mit dem Bundesamt<br />
für Migration und Flüchtlinge<br />
(BAMF) ein Modellprojekt in sechs Städten,<br />
das besonders geeignete Asylbewerber<br />
frühzeitig an reguläre Jobs heranführen<br />
soll. Seit Kurzem ist noch Berlin<br />
dabei. 270 Flüchtlinge nehmen daran<br />
teil, vor allem Syrer, Iraker und Afghanen.<br />
Das BAMF sucht gezielt nach qualifizierten<br />
Flüchtlingen, außerdem sollte die<br />
Chance auf einen positiven Asylbescheid<br />
hoch sein.<br />
DER BEDARF IST DA<br />
Reinhold Demel, Geschäftsführer der<br />
Augsburger Agentur für Arbeit, hat sehr<br />
positive Erfahrungen gemacht: „Die<br />
Flüchtlinge sind hoch motiviert. Die wollen<br />
ihren eigenen Beitrag leisten und sich<br />
nicht <strong>vom</strong> Staat aushalten lassen.“ Unter<br />
Demels 50 Teilnehmern haben rund 40<br />
Prozent einen Hochschulabschluss, sogar<br />
ein Kinderarzt aus Syrien ist darunter. Die<br />
Arbeitslosenquote in Augsburg liegt bei<br />
unter fünf Prozent, der Bedarf an gut ausgebildeten<br />
Kräften ist also groß.<br />
Gemeinsam mit Jobvermittlern und<br />
Dolmetschern wird für jeden Teilnehmer<br />
eine Integrationsstrategie erarbeitet, ein<br />
Sprachkurs organisiert und der Papierkram<br />
vorbereitet, um ausländische Zeugnisse<br />
anerkennen zu lassen. Mehr als ein<br />
Praktikum in Betrieben kann aber auch<br />
die Agentur während der Sperrfrist nicht<br />
vermitteln. „Wir sammeln wichtige Erfahrungen“,<br />
sagt Demel trotzdem, „und die<br />
Asylbewerber nutzen die Monate des<br />
Wartens sinnvoll.“<br />
max.haerder@wiwo.de I Berlin<br />
Betten zu Hunderten organisieren. Sie<br />
fahnden nach ungenutzten Schulen, Kasernen,<br />
Polizei-Wohnheimen oder anderen<br />
irgendwie geeigneten Behausungen.<br />
Ideal für eine Umnutzung wären leer stehende<br />
Seniorenheime, aber so etwas gibt<br />
es in Berlin quasi nicht mehr. „Groß-Unterkünfte<br />
sind immer nur die zweite Wahl“,<br />
findet Allert. Aber anders, das macht er<br />
auch deutlich, werden die Ströme in Berlin<br />
kaum zu bewältigen sein.<br />
»<br />
FOTO: ANDREAS CHUDOWSKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE; ILLUSTRATION: KRISTINA DÜLLMANN<br />
26 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
TÜRKEI<br />
Stacheldraht im Grünen<br />
Seit fast vier Jahren nimmt die Republik bereitwillig Zigtausende Flüchtlinge<br />
auf, die Versorgung läuft vorbildlich – doch jetzt droht plötzlich Ärger.<br />
ob Lieferanten die vereinbarten Preise<br />
einhalten und wie die Flüchtlinge über die<br />
Runden kommen. Ihre größte Sorge ist indes<br />
die Finanzierung des Programms: Bis<br />
15. Oktober könne das WFP die 220 000<br />
Flüchtlinge versorgen, sagt Semen, „danach<br />
geht uns das Geld aus“.<br />
Nur ein kleiner Teil der Flüchtlinge lebt<br />
in Lagern, die meisten kommen bei Verwandten<br />
unter. Aber auch das heizt soziale<br />
Probleme an: Reiche Einwanderer<br />
treiben die Wohnungspreise hoch, arme<br />
heuern illegal als Tagelöhner an. „Die<br />
Folge sind Lohndumping und steigende<br />
Preise“, sagt Yasar Aydin von der Stiftung<br />
Wissenschaft und Politik. „Das gefährdet<br />
den sozialen Frieden.“<br />
Jenseits der Hügel, unweit von Gaziantep,<br />
verlief einst unsichtbar die grüne Grenze<br />
zu Syrien. Nun trennen Rollen aus Stacheldraht<br />
den Krieg <strong>vom</strong> Frieden. Der<br />
Strom illegaler Flüchtlinge ist den türkischen<br />
Behörden zu viel geworden – die<br />
Grenzanlagen wurden in jüngster Zeit<br />
teils sogar mit Mauern befestigt.<br />
Seit Beginn des Kriegs in Syrien vor<br />
dreieinhalb Jahren nahm die Türkei 1,5<br />
Millionen Menschen auf, in Deutschland<br />
suchten nicht einmal 30 000 Zuflucht. Mit<br />
Leistungen in Höhe von 1,6 Milliarden<br />
Dollar ist die Türkei das weltweit drittgrößte<br />
Geberland für Flüchtlingshilfe –<br />
nach den USA und Großbritannien, vor<br />
Deutschland. Hilfsorganisationen loben<br />
den Katastrophenschutz, der die Ankömmlinge<br />
an den Grenzen registriert<br />
und auf 22 Lager verteilt. So effizient die<br />
Hilfe organisiert ist – sie gerät an ihre<br />
Grenzen: Der IS-Terror treibt nun auch<br />
Flucht in die Freiheit<br />
Täglich fliehen Tausende Syrer und irakische<br />
Kurden vor den Terror-Milizen der IS über<br />
die Grenzen in die sichere Türkei<br />
Menschen aus dem kurdischen Nordirak<br />
zur Flucht. Das erschöpft die Ressourcen<br />
und heizt soziale Spannungen an.<br />
Zuletzt habe sich die Lage deutlich verschärft,<br />
sagt Nesrin Semen, die für das<br />
World Food Programme (WFP) der UN in<br />
Gaziantep arbeitet. „In den Lagern sind<br />
die Kapazitäten überstrapaziert, weil zu<br />
schnell zu viele Flüchtlinge ankommen.“<br />
Jeder Migrant erhält eine Art EC-Karte<br />
mit einem Guthaben von 85 Lira – etwa<br />
30 Euro – pro Monat für Brot, Wasser,<br />
Reis oder Fleisch. „Der Betrag ist knapp<br />
bemessen, aber ausreichend für die<br />
Grundversorgung im Notfall.“ Die Helferin<br />
aus Nürnberg prüft täglich in den Lagern,<br />
DROHT DER NATO-BÜNDNISFALL?<br />
In jüngster Zeit gab es bereits Angriffe auf<br />
Einwanderer. Die Regierung, sagt Aydin,<br />
stecke im Dilemma: Geben die Behörden<br />
den Flüchtlingen Asyl, würde allein die<br />
Aufnahme ins Gesundheitssystem Milliarden<br />
kosten. Duldet man weiter die „irreguläre<br />
Migration“, bleibt Schwarzarbeit<br />
nicht aus.<br />
Derweil bröckelt die Stabilität der Türkei;<br />
insbesondere die Kurdenfrage birgt<br />
Sprengstoff: Unterstützt Präsident Recep<br />
Tayyip Erdogan die Minderheit im Kampf<br />
gegen IS, bringt er die Nationalisten gegen<br />
sich auf. Überlässt er sie sich selbst,<br />
könnte das deren Integration gefährden –<br />
Erdogans große innenpolitische Leistung.<br />
Die verbotene Arbeiterpartei PKK rief bereits<br />
zum Kampf gegen den Staat auf. Der<br />
Westen sollte deswegen der Türkei finanziell<br />
und mit der Aufnahme von Flüchtlingen<br />
helfen, sagen Experten wie Yasar<br />
Aydin. Wenn sich der IS-Krieg erst auf das<br />
Territorium der Türkei verlagert, hilft kein<br />
Stacheldraht – dann hätte es der Westen<br />
mit dem Nato-Bündnisfall zu tun.<br />
florian.willershausen@wiwo.de | Berlin<br />
»<br />
Die Sache ist nur: Es stimmt nicht<br />
ganz. Nicht weit entfernt im Brandenburger<br />
Erstaufnahmelager in Eisenhüttenstadt<br />
sind noch Plätze frei. In Sachsen-<br />
Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und<br />
Thüringen sind es jeweils mehr als 100.<br />
Während die Unterkünfte in Bayern (103<br />
Prozent) und Hamburg (116 Prozent)<br />
überbelegt sind, ist in Mecklenburg-Vorpommern<br />
(–24 Prozent) und Thüringen<br />
(–18 Prozent) noch jeder fünfte Platz frei.<br />
Insgesamt sind 11 der 16 Erstaufnahmen<br />
überlastet, doch nur in vier Ländern ist die<br />
Kapazität um mehr als 50 Prozent überschritten.<br />
Doch das merkt in der deutschen<br />
Bürokratie keiner. Das Easy-System<br />
kennt nur den regulären Länderschlüssel;<br />
dass fast alle ostdeutschen Länder noch<br />
Kapazitäten haben, während anderswo<br />
selbst die Zelte überquellen, sagt es nicht.<br />
Als vor zwei Wochen die Aufnahmeeinrichtungen<br />
in NRW wegen Masern vorübergehend<br />
geschlossen werden mussten,<br />
sprach die Regel: zum nächstgelegenen<br />
Erstaufnahmelager schicken. So fuhren<br />
drei Busse nach Gießen, ins übervolle Aufnahmelager<br />
des Landes Hessen.<br />
Nichts ist einfach in diesem System, weil<br />
vieles so Easy ist.<br />
n<br />
konrad.fischer@wiwo.de, max haerder | Berlin,<br />
tim rahmann<br />
Lesen Sie weiter auf Seite 30 »<br />
FOTO: REUTERS/STRINGER; ILLUSTRATION: KRISTINA DÜLLMANN<br />
28 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
»20 000 verkraften«<br />
INTERVIEW | Gerd Müller Der Entwicklungshilfeminister warnt vor<br />
einer Flüchtlingskatastrophe und fordert mehr deutsche Hilfe.<br />
DER CHEFENTWICKLER<br />
Müller, 59, ist seit 2013 Bundesminister für<br />
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.<br />
Dem Deutschen Bundestag gehört<br />
der CSU-Politiker seit 1994 an. Zuvor war<br />
er ab 1989 Mitglied des Agrarausschusses<br />
im Europäischen Parlament.<br />
Herr Minister, Bootsflüchtlinge aus dem<br />
Mittelmeer, Sinti und Roma aus Rumänien,<br />
Bürgerkriegsflüchtlinge aus der<br />
Ukraine, Vertriebene aus Syrien und<br />
dem Irak. Was kann, was muss Deutschland<br />
tun, um diese Not zu lindern?<br />
Wir erleben gerade die schlimmste<br />
Flüchtlingskatastrophe der letzten 50<br />
Jahre. Einen Steinwurf von der europäischen<br />
Grenze entfernt, rund um den Syrien-Krieg,<br />
sind 10,8 Millionen Menschen<br />
auf der Flucht. Die Uno sagt: Mit<br />
der bisherigen Hilfe bringen wir die Menschen<br />
nicht über den Winter. Was hilft es,<br />
wenn wir militärisch für Ruhe und Frieden<br />
sorgen und hinter der Front Hunderttausende<br />
sterben?<br />
Muss Ihr Etat aufgestockt werden?<br />
Die aktuelle Flüchtlingskrise ist mit den<br />
bisherigen Haushaltsmitteln nicht zu bewältigen.<br />
Ich habe gerade noch einmal<br />
ein Sonderprogramm Flüchtlinge mit<br />
170 Millionen Euro aufgelegt, durch interne<br />
Umschichtungen. Wir brauchen eine<br />
entsprechende Verstärkung des BMZ-<br />
Etats für Infrastruktur, etwa bei der Wasserversorgung<br />
oder Gesundheitseinrichtungen<br />
für Millionen von Flüchtlingen.<br />
Ich bin zuversichtlich, dass der Haushaltsausschuss<br />
und der Finanzminister<br />
uns unterstützen.<br />
Hunderttausende fliehen aus Syrien<br />
und dem Irak in die Türkei. Werden wir<br />
weitere Kriegsflüchtlinge nach Deutschland<br />
holen?<br />
Die grundlegende Lösung liegt nicht in<br />
der dauerhaften Aufnahme von Flüchtlingen<br />
in Deutschland. Aber wer kommt,<br />
den müssen wir mit offenen Herzen aufnehmen.<br />
Hinter jedem Schicksal steckt<br />
enormes Leid. Wenn der Libanon mit<br />
vier Millionen Einwohnern 1,5 Millionen<br />
Flüchtlinge aufnehmen kann, dann werden<br />
wir wohl 20 000 Flüchtlinge aus dem<br />
Kriegsgebiet verkraften.<br />
Was wollen Sie vor Ort tun?<br />
Wir müssen unsere Anstrengungen in Syrien,<br />
Kurdistan, Afghanistan, Eritrea, Libyen<br />
steigern. Das sind die Hauptherkunftsländer,<br />
von dort kommen drei Viertel<br />
aller Flüchtlinge und Asylbewerber in<br />
Europa und auch in Deutschland. Eritreer<br />
sind eine der größten Gruppen, die nach<br />
Deutschland kommen. In Äthiopien sind<br />
100 000 registrierte Flüchtlinge aus Eritrea.<br />
Deshalb habe ich ganz aktuell Äthiopien<br />
zehn Millionen Euro für Bildungsprojekte<br />
für Flüchtlinge aus Eritrea zugesagt, damit<br />
die Menschen dort Lebensperspektiven<br />
entwickeln können und nicht erneut zur<br />
Flucht gezwungen werden.<br />
Müssen wir unsere Hilfe auf Regionen<br />
konzentrieren, aus denen Wanderungsdruck<br />
Richtung Europa entstehen könnte?<br />
Bitte nicht die Regionen gegeneinander<br />
ausspielen! Die bisherige Entwicklungszusammenarbeit<br />
ist notwendig und eine gewinnbringende<br />
Investition. Da sind deutsche<br />
Unternehmen beteiligt, mit ganz erheblichen<br />
Rückflüssen. Für Ebola- oder<br />
Vertreibungsopfer müssen wir die Mittel<br />
verstärken. Künftig muss gezielt in den<br />
Ländern investiert werden, aus denen<br />
sich die Flüchtlinge in Scharen aufmachen<br />
nach Europa.<br />
Es wirkt, als reagierten wir immer nur<br />
auf akute Krisen.<br />
Wir dürfen Entwicklungsarbeit nicht als<br />
Reparaturbetrieb für akute Krisen verstehen.<br />
Wir müssen langfristig investieren<br />
in das Verhindern von Konflikten, in<br />
eine funktionierende staatliche Infrastruktur.<br />
Das wurde bisher massiv vernachlässigt.<br />
Das sieht man in Libyen, Syrien,<br />
im Irak – und ich habe große Sorge<br />
um Afghanistan.<br />
Warum?<br />
In Afghanistan geht der Westen schnell –<br />
ich meine: zu schnell – raus. In Kundus<br />
weht bereits die Fahne der Taliban. Wir<br />
dürfen in Afghanistan nicht denselben<br />
Fehler machen, den die Amerikaner im<br />
Irak gemacht haben: ein Land ohne stabile<br />
Strukturen sich selbst überlassen. Libyen<br />
beispielsweise wurde bombardiert<br />
– Regime Change. Und was kam danach?<br />
Kann man mit Brunnenbau den Aufstieg<br />
einer radikal-islamistischen Miliz wie IS<br />
verhindern?<br />
Brunnenbau – das ist ein altes Klischee,<br />
das schon lange nicht mehr auf unsere Arbeit<br />
zutrifft. Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik<br />
müssen Hand in Hand<br />
arbeiten. Wie zieht man Steuern ein; wie<br />
verwaltet sich eine Region? Wie entstehen<br />
ein funktionierendes Gesundheitssystem,<br />
neue Schulen? Wir bilden Bürgermeister<br />
aus. Wir müssen Strukturen aufbauen:<br />
Verwaltung, Gerichte, Sicherheit. Sonst<br />
brechen diese Staaten nach wenigen Jahren<br />
zusammen. Wenn wir Staaten politisch<br />
und gesellschaftlich stark machen,<br />
können sie den Anfeindungen von Banden<br />
und Milizen widerstehen.<br />
Ist das eine deutsche Aufgabe?<br />
Wir brauchen eine bessere Koordinierung<br />
der Hilfe aus Europa, da läuft vieles<br />
nebeneinander her. Wenn wir nicht viel<br />
stärker in der Region Mittlerer und Naher<br />
Osten sowie Nordafrika investieren,<br />
dann werden künftig nicht 5000 Flüchtlinge<br />
am Tag über das Mittelmeer und<br />
aus Marokko an die spanische Grenze<br />
kommen wie bisher, sondern 50 000. Wir<br />
können das Flüchtlingsproblem nicht<br />
dadurch bewältigen, dass wir die Zäune<br />
höher ziehen.<br />
n<br />
henning.krumrey@wiwo.de Berlin<br />
FOTO: PHOTOTHEK/THOMAS KOEHLER; ILLUSTRATION: KRISTINA DÜLLMANN<br />
30 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Wiener Melange<br />
LIZENZEN | Finanzminister Wolfgang Schäuble will ein Steuerschlupfloch<br />
schließen – möglicherweise zugunsten der Forschung.<br />
Einer macht es vor Schäuble und sein Österreich-Kollege Spindelegger<br />
Ikea ist zwar ein schwedischer Konzern.<br />
Doch die hohen Lizenzgebühren, die die<br />
deutsche Tochter für die Nutzung von<br />
Marke und Verkaufssystem zahlt, fließen an<br />
eine niederländische Ikea-Stiftung. Der<br />
Vorteil: In Deutschland kann das etwas andere<br />
Einrichtungshaus kräftig Steuern sparen,<br />
weil die Lizenzausgaben den – so kaum<br />
noch vorhandenen – Gewinn schmälern. In<br />
den Niederlanden fließen die entsprechenden<br />
Lizenzeinnahmen in eine sogenannte<br />
Lizenzbox – eine besondere rechtliche<br />
Konstruktion, für die ein spezieller Steuersatz<br />
von nur fünf Prozent gilt – statt regulär<br />
25 (oder knapp 30 in Deutschland). Auch<br />
Google nutzt die holländische Lizenzbox,<br />
um seine europäischen Gewinne zum<br />
Schnäppchentarif zu versteuern.<br />
Solchen Steuerschlupflöchern wollen<br />
die Regierungen der G20- und OECD-Länder<br />
seit über zwei Jahren ein Ende bereiten.<br />
Alle paar Monate treffen sie sich deswegen,<br />
vor einer Woche waren sie im australischen<br />
Cairns. Am OECD-Sitz in Paris ringen<br />
Hunderte Experten um eine Lösung.<br />
Doch bei der Lizenzbox verteidigen Niederländer,<br />
Luxemburger und Briten zäh ihre<br />
Lockangebote für Unternehmen.<br />
»...werden wir<br />
nationale Abwehrmaßnahmen<br />
ergreifen müssen«<br />
Finanzminister Schäuble vor der IHK Berlin<br />
Vor Kurzem platzte einem der beteiligten<br />
Finanzminister der Kragen. In einer<br />
Nacht-und-Nebel-Aktion ließ er von seinen<br />
Beamten Gegenmaßnahmen erarbeiten<br />
und diese von der großen Koalition absegnen<br />
– die sogenannte Lizenzschranke<br />
war geboren. Seit diesem Frühjahr dürfen<br />
Unternehmen ihre Lizenzgebühren, wenn<br />
diese ins Ausland fließen und dort mit weniger<br />
als zehn Prozent versteuert werden,<br />
nicht mehr daheim als Betriebsausgaben<br />
deklarieren.<br />
Das Lizenzschranken-Land heißt Österreich.<br />
Es war Bundesfinanzminister Michael<br />
Spindelegger (ÖVP), der das beliebte<br />
Steuerschlupfloch kurz und bündig zustopfte.<br />
Sein deutscher Amtskollege Wolfgang<br />
Schäuble (CDU) bemüht sich derweil<br />
noch um eine internationale Lösung.<br />
Aber auch Schäubles Langmut ist begrenzt.<br />
Sein Ministerium arbeitet bereits<br />
an einem Bündel von „Abwehrmaßnahmen“,<br />
sollten die diplomatischen Bemühungen<br />
keine Erfolge zeigen. Dabei erfinden<br />
seine Beamten das Rad nicht neu. Vielmehr<br />
dient der kleine experimentierfreudigere<br />
Nachbar Österreich offenkundig als<br />
Vorbild – fast so wie bei der Pkw-Maut.<br />
Das Finanzministerium in Wien hat eine<br />
ganze Melange aus positiven und negativen<br />
Anreizen gegen grenzüberschreitende<br />
Steuergestalter geschaffen. Die Lizenzschranke<br />
ist da nur ein Instrument von<br />
mehreren. So überprüfen die Finanzbeamten<br />
jede Lizenzzahlung ins Ausland penibel<br />
auf ihre sachliche Berechtigung. Neben<br />
der Peitsche bieten die Österreicher aber<br />
auch Zuckerbrot – in Form einer steuerlichen<br />
Förderung von Aufwendungen für<br />
Forschung und Entwicklung.<br />
„SCHRECKLICHE DEBATTE“<br />
Was die Österreicher indes nicht haben, ist<br />
eine Lizenzbox. Auch in Berlin gilt die Einführung<br />
einer Lizenzbox – oder einer Patentbox,<br />
in der nur die Lizenzgebühren aus<br />
Patenten zum Spartarif besteuert werden –<br />
als äußerst unwahrscheinlich. Die Steuerausfälle<br />
will sich Schäuble auf dem Weg<br />
zum ausgeglichenen Bundeshaushalt<br />
nicht leisten, und überdies würden auch<br />
die Bundesländer nicht auf ihre anteiligen<br />
Steuereinnahmen verzichten.<br />
Es geht überdies ums Prinzip. „Diese Patentbox-Debatte<br />
ist ganz schrecklich“, sagt<br />
der finanzpolitische Sprecher der SPD-<br />
Bundestagsfraktion, Lothar Binding. Wenn<br />
Deutschland damit auch noch anfinge,<br />
würden „am Ende alle Steuereinnahmen<br />
verlieren“. Ein solches Totrüsten wäre mit<br />
dem Koalitionspartner SPD nicht zu machen.<br />
Er sieht sich durch den Koalitionsvertrag<br />
gestärkt. Darin heißt es : „Auch wollen<br />
wir sicherstellen, dass der steuerliche<br />
Abzug von Lizenzaufwendungen mit einer<br />
angemessenen Besteuerung der Lizenzerträge<br />
im Empfängerland korrespondiert.<br />
Im Vorgriff auf diese internationale Regelung<br />
werden wir in Deutschland erforderlichenfalls<br />
gesetzgeberisch voranschreiten.“<br />
Binding plädiert nun für eine Lizenzschranke<br />
à la Austria oder eine Quellensteuer<br />
(die es ebenfalls in Österreich in Bezug<br />
auf Drittländer außerhalb der EU gibt).<br />
Bei einer Quellenbesteuerung müssten<br />
beispielsweise die deutschen Ikea- oder<br />
FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />
32 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Discount-Angebote<br />
Wie einzelne Länder Einkünfte aus Lizenzen<br />
und Patenten besteuern (in Prozent)<br />
Malta<br />
Zypern<br />
Liechtenstein<br />
Niederlande<br />
Luxemburg<br />
Belgien<br />
Schweiz<br />
Ungarn<br />
Großbritannien<br />
Portugal<br />
Spanien<br />
Frankreich<br />
Deutschland<br />
0,0<br />
2,5<br />
2,5<br />
5,0<br />
5,7<br />
6,8<br />
8,8*<br />
9,5<br />
10,0<br />
11,5<br />
15,0<br />
15,0<br />
29,6<br />
*Kanton Niedwalden; Quelle: Bundesregierung, Jones Day<br />
Charme, dass es unter Berücksichtigung<br />
einer Anlaufdauer bis zur praktischen Patentverwertung<br />
von oft fünf Jahren frühestens<br />
in der nächsten Legislaturperiode zu<br />
Steuerausfällen käme.<br />
Ein anderes, nicht ganz so restriktives<br />
Modell umfasst F&E-<strong>Ausgabe</strong>n im technologischen<br />
Bereich. Jobst Wilmanns, Leiter<br />
Transfer Pricing beim Prüfungs- und Beratungsunternehmen<br />
Deloitte, berichtet von<br />
entsprechenden Diskussionen um mögliche<br />
Steuerrabattierungen. Für Prognosen<br />
über mögliche Steuerausfälle fehlen allerdings<br />
volkswirtschaftliche Daten. In Industriekreisen<br />
spricht man von weniger als einer<br />
Milliarde Euro, die bei patentbasierter<br />
Steuerförderung dem Fiskus entgingen.<br />
Das wiederum entspricht fast genau der<br />
Starbucks-Ableger sofort rund 30 Prozent<br />
Steuer an den hiesigen Fiskus abführen,<br />
sobald sie ihre Lizenzgebühren in die Niederlande<br />
oder in ein anderes Steuerparadies<br />
überweisen. Damit wäre der Spareffekt<br />
dahin. Für den grünen Finanzexperten<br />
Thomas Gambke hätte diese Variante<br />
ebenfalls „Charme“.<br />
Jedoch gibt es auch Risiken und Nebenwirkungen.<br />
In Österreich führe die Schranke<br />
bei betroffenen Unternehmen dazu,<br />
dass sich bei einer Lizenzzahlung von acht<br />
Prozent des Umsatzes das Ergebnis um<br />
zwei Prozent verschlechtere, sagt Andreas<br />
Stefaner von der Beratungsgesellschaft EY<br />
in Wien. Für eine österreichische Tochtergesellschaft<br />
wäre dies ein beträchtlicher<br />
Wettbewerbsnachteil beispielsweise gegenüber<br />
einem bulgarischen Werk. „Bleibt<br />
Österreich mit seiner Lizenzschranke allein,<br />
gefährdet dies die Wettbewerbsfähigkeit<br />
der österreichischen Wirtschaft“, warnt<br />
Stefaner. Darüber hinaus sieht er „massive<br />
verfassungs- und EU-rechtliche Bedenken,<br />
wenn der volle Betriebsausgabenabzug<br />
nicht mehr gewährleistet ist“.<br />
EINE MILLIARDE IN DER TASCHE<br />
Die Wiener Regierung erhofft sich allein<br />
von der Lizenzschranke Mehreinnahmen<br />
von rund 100 Millionen Euro im Jahr. Auf<br />
Deutschland hochgerechnet, könnte eine<br />
solche Lizenzschranke ungefähr eine Milliarde<br />
Euro pro Jahr einbringen. Das macht<br />
jeden Finanzpolitiker sinnlich. Deshalb arbeitet<br />
Schäubles Truppe intensiv an der<br />
Vorbereitung einer Lizenzschranke bezie-<br />
hungsweise an einer entsprechenden<br />
Quellensteuer. Probleme mit dem EU-<br />
Recht und dem Grundgesetz, die der<br />
Münchner EY-Experte Christian Ehlermann<br />
auch für Deutschland sieht, hält<br />
man im Ministerium für eingrenzbar. Mit<br />
der Milliarde in der Tasche könnte Schäuble<br />
auch ein anderes Versprechen einlösen<br />
und die steuerliche Forschungsförderung<br />
ausbauen.<br />
Zwar soll es eine allgemeine Förderung<br />
sämtlicher privaten Forschungs- und Entwicklungsausgaben<br />
(F&E) nicht geben, da<br />
dies mit zu hohen Steuerausfällen verbunden<br />
wäre. Aber eine Begünstigung ausgewählter<br />
F&E-Aktivitäten käme Schäuble<br />
gut zupass. Ein Modell wäre, nur die Lizenzzahlungen<br />
für neue Patente steuerlich<br />
zu begünstigen. Das hätte für Schäuble den<br />
Summe, die durch eine Lizenzschranke zusätzlich<br />
in die Staatskasse käme.<br />
Doch wie beim Vorbild Österreich wird<br />
es Schäuble nicht bei Lizenzschranke und<br />
Steuerrabatt belassen wollen. Im Kampf<br />
gegen die grenzüberschreitenden Steuergestalter<br />
sollen die Finanzbeamten noch<br />
strenger als bisher die Unternehmensabschlüsse<br />
prüfen. Lizenzzahlungen ins Ausland<br />
– insbesondere für Marken- und Vertriebsrechte<br />
– will das Bundeszentralamt<br />
für Steuern in Bonn genau auf Plausibilität<br />
und Sinnhaftigkeit kontrollieren.<br />
Eigentlich würde Schäuble diese Maßnahmen<br />
gern im OECD-weiten Rahmen<br />
beschließen. Der nationale Alleingang,<br />
den der Minister nun vorbereiten lässt, ist<br />
für ihn nur die zweitbeste Lösung. n<br />
christian.ramthun@wiwo.de | Berlin<br />
WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 33<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
»Breitbandagenda 2030«<br />
FORUM | Beim Ausbau von superschnellen Glasfasernetzen hinkt Deutschland gewaltig hinterher. Vom<br />
Staat mitgegründete Netzgesellschaften könnten den Rückstand aufholen. Von Karl-Heinz Neumann<br />
Die Bundesregierung hat in ihrer Digitalen<br />
Agenda noch einmal die<br />
Ziele der Breitbandstrategie bekräftigt:<br />
Bis 2018 sollen die Telekommunikationsnetze<br />
so ausgebaut werden,<br />
dass jeder Bürger und jedes Unternehmen<br />
Zugang zu einem Breitbandanschluss<br />
mit einer Download-Geschwindigkeit<br />
von mindestens 50 Megabit pro<br />
Sekunde hat.<br />
Der Blick auf 2018 greift jedoch zu kurz.<br />
Wir müssen auch in Deutschland die Frage<br />
stellen, wie unsere Telekommunikationsinfrastruktur<br />
die heute technisch mögliche<br />
Leistungsfähigkeit erreicht, die die digitale<br />
Wirtschaft des 21. Jahrhunderts benötigt.<br />
Experten sind sich einig, dass nur eine bis<br />
in die Wohnungen der Endkunden durchgehende<br />
Glasfaserinfrastruktur (FTTH)<br />
restriktionsfrei die Bedürfnisse der Zukunft befriedigen kann.<br />
In Deutschland sind wir noch nicht sehr weit beim Aufbau solch<br />
einer zukunftsfähigen FTTH-Glasfaserinfrastruktur: Gerade einmal<br />
2,6 Prozent aller Haushalte können heute einen FTTH-Anschluss<br />
erhalten. Damit liegt Deutschland weit unter dem EU-<br />
Durchschnitt von 12,3 Prozent und weist eine der niedrigsten<br />
Netzabdeckungsraten auf. Führende Länder wie Schweden und<br />
Dänemark haben bereits eine FTTH-Abdeckung von 45 Prozent.<br />
Neumann, 60,<br />
ist Direktor des<br />
Wissenschaftlichen<br />
Instituts für Infrastruktur<br />
und Kommunikationsdienste.<br />
Ausbau stockt<br />
Verlegung von<br />
Glasfaserkabeln<br />
FLÄCHENDECKENDES GLASFASERNETZ BIS 2030<br />
Es ist verständlich, dass die Politik ihre Ziele für Legislaturperioden<br />
definiert. Für den strukturellen Umbau von volkswirtschaftlicher<br />
Infrastruktur reichen derartige Zeitperspektiven aber nicht<br />
aus. Für den Bereich der Energienetze haben wir dies erkannt. Die<br />
aktuellen Trassenplanungen erfolgen hier für einen Zeitraum bis<br />
2050. Ein flächendeckendes Glasfasernetz kann in<br />
Deutschland bis zum Jahr 2030 aufgebaut sein; dies<br />
sollte das über 2018 hinausgehende neue und weitere<br />
Ziel der Breitbandpolitik werden.<br />
Nach Berechnungen des Wissenschaftlichen Instituts<br />
für Infrastruktur und Kommunikationsdienste<br />
kostet der (hier relevante) Aufbau einer flächendeckenden<br />
Glasfaserinfrastruktur rund 45 Milliarden Euro,<br />
wenn man bereits getätigte relevante Investitionen<br />
berücksichtigt. Dies bedeutet bis 2030 einen Investitionsbedarf<br />
von drei Milliarden Euro pro Jahr. Die Investitionen<br />
aller Betreiber müssten um gut 50 Prozent pro<br />
Jahr im Vergleich zum heutigen Niveau steigen.<br />
Die Analyse des Investitionsbedarfs zeigt, dass auch<br />
die Perspektive 2030 für ein flächendeckendes Glasfasernetz<br />
ehrgeizig ist. Ein derartiges Ziel ist<br />
nicht mit dem bisherigen „inkrementellen<br />
Ansatz“ des Netzausbaus erreichbar. Es<br />
bedarf eines „disruptiven Ansatzes“, um<br />
das flächendeckende Glasfasernetz zu erreichen.<br />
Was könnten die Elemente eines<br />
derartigen disruptiven Ansatzes sein?<br />
1. Breitbandförderung konzentriert sich<br />
heute auf die Förderung der Mitverlegung<br />
von Leerrohren und Glasfasern, die in den<br />
Verteilerschränken auf den Bürgersteigen<br />
enden. Wesentlich zielführender ist es,<br />
wenn die begrenzten Mittel der staatlichen<br />
Breitbandförderung ausschließlich<br />
in den Aufbau von FTTH-Netzen fließen.<br />
2. Frequenzauktionserlöse fließen bislang<br />
überwiegend dem allgemeinen<br />
Staatshaushalt zu. Auktionen als Frequenzvergabeverfahren<br />
könnten wieder stärker an Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn die<br />
daraus generierten Mittel dem Sektor nicht entzogen, sondern für<br />
Real-Investitionen wieder zugeführt werden.<br />
3. Der Bund ist heute direkt und indirekt noch mit über 30 Prozent<br />
an der Deutschen Telekom beteiligt. Nicht nur aus ordnungspolitischen<br />
Gründen ist es überzeugender, wenn der Bund sich<br />
von weiteren Anteilen trennt. Der Wert reicht mehr als aus, um die<br />
Wirtschaftlichkeitslücke des Glasfaserausbaus zu schließen.<br />
4. Disruptive Ansätze des Glasfasernetzaufbaus in Ländern wie<br />
Neuseeland, Australien oder Singapur sehen ein wesentlich direkteres<br />
Engagement des Staates vor. Durch Gründung und Beteiligung<br />
an Glasfasernetzgesellschaften setzt der Staat in diesen<br />
Ländern seine Infrastrukturziele unmittelbar um. Der<br />
Bund müsste eine Holdinggesellschaft gründen, die<br />
sich an regionalen Glasfasernetzgesellschaften als<br />
Minderheitsgesellschafterin beteiligt. Alle Netzbetreiber<br />
in ihrer Region werden eingeladen, ihre bestehenden<br />
Netze in die Glasfasergesellschaft als Sacheinlage<br />
einzubringen. Der Bund finanziert die Holdinggesellschaft<br />
mit Privatisierungserlösen aus dem Verkauf<br />
von Telekom-Anteilen. Spätestens fünf Jahre nach<br />
dem Aufbau von Glasfasernetzen privatisiert der<br />
Bund seine Beteiligungen an den Regionalgesellschaften<br />
wieder.<br />
Es ist Zeit, die Perspektive auf die Zeit nach 2018 zu<br />
richten. Nur so entsteht eine realistische Chance für einen<br />
flächendeckenden Glasfaserausbau bis 2030. n<br />
FOTO: CARO/SEEBERG, PR<br />
34 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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SHANGHAI | Die<br />
Goldene Woche, ein<br />
kollektiver Urlaub,<br />
ist alles andere als<br />
golden. Von Philipp<br />
Mattheis<br />
Urlaub von<br />
Amts wegen<br />
FOTOS: JOHANN SEBASTIAN KOPP, WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, XXXXXXX<br />
An meinem ersten chinesischen<br />
Herbstfest wollte<br />
ich mich den Sitten des<br />
Landes anpassen, nahm<br />
Urlaub und fuhr nach<br />
Hangzhou. Das ist eine<br />
bekannte Stadt an einem geschichtsreichen<br />
See. Ich hatte mir eine beschauliche<br />
Kleinstadt am Wasser vorgestellt, mit Ruhe<br />
und Natur. Ich kam in eine Acht-Millionen-Stadt,<br />
in der es für mich nur noch ein<br />
Mehrbettzimmer in einer Jugendherberge<br />
gab. Vor den Restaurants türmte sich<br />
der Müll. Um den See schoben sich Menschenketten<br />
in Tippelschritten, die entweder<br />
auf ihrem Smartphone spielten,<br />
sich hektisch etwas in den Mund stopften<br />
oder ihren Kindern hinterher schrien. Für<br />
den individualistisch geprägten, lärmsensitiven<br />
Mitteleuropäer kann so etwas eine<br />
traumatische Erfahrung sein.<br />
Schuld daran hat eine Behörde namens<br />
NFA, das Nationale Ferienamt. Die<br />
verordnet ihren Bürgern zwei Ferienwochen<br />
im Jahr: Die Goldene Woche im<br />
Herbst und eine zweite Woche um das<br />
Chinesische Neujahrsfest im Winter. Urlaub<br />
zu anderen Zeiten? Untersagt! Also<br />
fahren zwischen dem 1. und 7. Oktober<br />
gut 450 Millionen Menschen gleichzeitig<br />
zur Großen Mauer, zum See nach Hangzhou<br />
oder in den Nationalpark Jiuzhaigou,<br />
und hinterlassen dort insgesamt<br />
Hunderte Tonnen von Müll. Die freien Tage<br />
müssen die Chinesen an den nächsten<br />
Wochenenden vor- und nacharbeiten,<br />
weswegen die meisten nach den Ferien<br />
erst recht urlaubsreif sind.<br />
Für Ausländer gilt die Regelung zum<br />
Glück nicht. In diesem Jahr gehe ich<br />
deswegen ins Büro und arbeite – in Ruhe,<br />
es sind ja alle weg.<br />
Philipp Mattheis ist Korrespondent<br />
der WirtschaftsWoche in Shanghai.<br />
WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 35<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Für die Freiheit<br />
Occupy-Initiator<br />
Tai (Mitte) lässt<br />
sich mit Gleichgesinnten<br />
aus<br />
Protest den<br />
Kopf rasieren<br />
Nur eine von neun<br />
HONGKONG | Die Demokratie-Bewegung Occupy Central sieht sich<br />
als Vorkämpfer für mehr Freiheit in China – ein Irrtum.<br />
Benny Tai trägt ein schwarzes Hemd,<br />
auf dem etwa dort, wo sein Herz<br />
ist, eine gelbe Schleife leuchtet.<br />
„Schwarz steht dafür, dass wir das Vertrauen<br />
verloren haben“, sagt er. „Gelb ist die<br />
Hoffnung.“ Der Jura-Professor sitzt in seinem<br />
kleinen Büro am Campus der Universität<br />
von Hongkong. Hinter ihm lehnt seine<br />
Gitarre, auf der steckt ein Hut. Als Zeichen<br />
seines Protests hat er sich den Kopf kahl rasieren<br />
lassen, gemeinsam mit zwei anderen<br />
Aktivisten der „Occupy-Central-with-<br />
Love-and-Peace“-Bewegung.<br />
Mitte September sind wieder Tausende<br />
seinem Aufruf gefolgt und friedlich durch<br />
Hongkong gezogen, um für mehr Demokratie<br />
zu demonstrieren. Alle trugen sie<br />
Schwarz und die gelbe Schleife. Es kam zu<br />
Festnahmen, aber es gab keine Gewalt. Darauf<br />
legt Tai Wert. Die schärfste Drohung<br />
der Occupy-Bewegung ist eine Sitzblockade,<br />
um das Bankenviertel lahmzulegen.<br />
gung war bis jetzt ein inoffizielles Internet-<br />
Referendum, bei dem sich 800 000 Hongkonger<br />
für die freie Nominierung aussprachen.<br />
Die Regierung in Peking bezeichnet<br />
das Referendum als illegal.<br />
Am Sonderstatus Hongkongs hat Peking<br />
kein Interesse – im Gegenteil, die aktuelle<br />
Politik zielt darauf ab, die Stadt zu marginalisieren.<br />
Wirtschaftlich stellt das Festland<br />
Hongkong ohnehin in den Schatten. Vor 30<br />
Jahren kam Hongkong auf zwölf Prozent<br />
der chinesischen Wirtschaftsleistung, jetzt<br />
sind es nur noch drei Prozent. Schon lange<br />
hat die Stadt ihre Rolle als größter Containerhafen<br />
Chinas an Shanghai verloren.<br />
Sollte die Regierung tatsächlich eines<br />
Tages den Yuan freigeben und Kapitalverkehrskontrollen<br />
abschaffen, dürfte Hongkong<br />
auch seine Rolle als Finanzzentrum<br />
an Shanghai abgeben. Nicht zuletzt<br />
machen interne Probleme der liberalen<br />
Enklave zu schaffen. So leben in der<br />
Stadt mit den meisten Milliardären weltweit<br />
15 Prozent der Bevölkerung unter der<br />
Armutsgrenze. Die Immobilienpreise steigen<br />
immer weiter, was zu einem nicht<br />
geringen Teil auch an chinesischen Investoren<br />
liegt.<br />
Für Unternehmen wartet der Stadtstaat<br />
mit attraktiven Bedingungen auf: eine Flat<br />
Tax in Höhe von 16,5 Prozent, geringe<br />
Bürokratie und keine Import- und Exportzölle.<br />
Vor allem Letzteres hat Hongkong in<br />
den vergangenen Jahren zu einem Shoppingparadies<br />
für Festlandchinesen werden<br />
FREIE KANDIDATENWAHL<br />
Als die britische Kronkolonie 1997 zurück<br />
an die Volksrepublik fiel, sicherte Peking<br />
der Stadt unter dem Slogan „Ein Land, zwei<br />
Systeme“ für 50 Jahre eine gewisse Autonomie<br />
zu und versprach auch, 2017 den Regierungschef<br />
der Stadt frei wählen zu lassen.<br />
Die Pläne stehen nach wie vor. Nur will<br />
Peking die zwei oder drei Kandidaten, die<br />
sich zur Wahl stellen, selbst aussuchen.<br />
Occupy Central dagegen fordert freie Kandidatenwahl.<br />
Der größte Coup der Bewelassen.<br />
2013 strömten mehr als 40 Millionen<br />
von ihnen in die Stadt, um sich mit<br />
iPhones oder Louis-Vuitton-Taschen einzudecken,<br />
für die sie auf dem Festland Luxussteuer<br />
von bis zu 30 Prozent zahlen<br />
müssen. Bei den Einwohnern von Hongkong<br />
sind die Besucher aus dem Festland<br />
aus all diesen Gründen nicht sehr beliebt.<br />
Doch die Sorgen der Occupy-Bewegung<br />
reichen weiter. Nach und nach hat Peking<br />
in den vergangenen Jahren die Schrauben<br />
enger angezogen, die Pressefreiheit eingeschränkt<br />
und die Eigenständigkeit der Justiz<br />
verringert. Einen globalen Finanzstandort<br />
ohne Pressefreiheit und unabhängige<br />
Justiz aber halten viele für unmöglich.<br />
Noch seien die Vorteile Hongkongs gegenüber<br />
dem Festland für viele Unternehmen<br />
eindeutig, sagt Wolfgang Ehmann, stellvertretender<br />
Geschäftsführer der Auslandshandelskammer<br />
in Hongkong, fügt aber<br />
hinzu: „Langfristig ist der kosmopolitische<br />
Charakter der Stadt in Gefahr.“<br />
Peking schafft Fakten und setzt auf eine<br />
Integration der Stadt ins boomende Perlflussdelta.<br />
Gerade wird im Stadtteil<br />
Kowloon an einem Anschluss ans Hochgeschwindigkeitsnetz<br />
gearbeitet. Gleichzeitig<br />
entsteht derzeit eine gigantische Brücke<br />
nach Macao und ins Festland. „Hongkong<br />
wird eine von neun Metropolen Südchinas<br />
werden und dabei Stück für Stück seine<br />
Sonderstellung verlieren“, prophezeit Stefan<br />
Kracht von der Unternehmensberatung<br />
Fiducia in Hongkong. „Das aber muss<br />
nicht schlecht für die Stadt sein.“ Wirtschaftlich<br />
könne Hongkong dabei viel gewinnen,<br />
vor allem Zugang zu den vielen<br />
Konsumenten in Südchina.<br />
MARGINALISIERUNG VERHINDERN<br />
Politisch möchte die Occupy-Bewegung<br />
genau diese Einbindung und damit verbundene<br />
Marginalisierung verhindern.<br />
Warum, fragt Benny Tai, könne Hongkong<br />
nicht eine Pionierrolle für den Rest Chinas<br />
sein? „Hier gibt es Rechtsstaatlichkeit und<br />
eine Zivilgesellschaft. Das ist doch genau<br />
das, was Peking langfristig auf dem Festland<br />
aufbauen will!“<br />
Tatsächlich zählt es zu den erklärten Zielen<br />
Xi Jinpings, die Rechtsstaatlichkeit weiter<br />
aufzubauen. Aber von den bürgerlichen<br />
Freiheiten ist auf dem Festland nach wie<br />
vor nichts zu spüren. Ein ähnlicher Protest<br />
wie die Occupy-Central-Bewegung auf<br />
dem Festland ist für Tai undenkbar. „Das<br />
würde ich niemanden raten“, sagt er. „Viel<br />
zu gefährlich!“<br />
n<br />
philipp.matheis@wiwo.de | Shanghai<br />
FOTO: REUTERS/TYRONE SIU<br />
36 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Kampf um die Schoten<br />
MADAGASKAR | Weltweit steigt die Nachfrage nach dem Edelgewürz Vanille. Wie sich das deutsche<br />
Unternehmen Symrise durch Entwicklungshilfe den Nachschub sichert.<br />
Begehrter Rohstoff Der madagassische<br />
Vanillefarmer René Totoantsarika lässt seine<br />
Pflanzen gut versteckt im Urwald wachsen<br />
– als Schutz vor Dieben<br />
ßendes Wasser, die medizinische Versorgung<br />
ist ein Albtraum und die nächste größere<br />
Stadt eine 90-minütige Autofahrt entfernt.<br />
Wenn der Vanillefarmer morgens um<br />
sieben Uhr sein Tagwerk beginnt, muss er<br />
sich folglich über viele Dinge Sorgen machen,<br />
Räuber eingeschlossen. Nur über eines<br />
nicht:dass er keinen Abnehmer für seine<br />
Vanille finden könnte.<br />
EMOTIONALE BINDUNG<br />
Früher hat er die geernteten Schoten bisweilen<br />
an windige Zwischenhändler verkauft,<br />
heute kommt sein bevorzugter Geschäftspartner<br />
aus dem niedersächsi-<br />
Die kleine Parzelle, mit der René Totoantsarika<br />
seinen Lebensunterhalt<br />
bestreitet, ist gut versteckt und für<br />
Außenstehende schwer zu finden. Der Weg<br />
führt vorbei an Reisfeldern, durch Tümpel<br />
und Gestrüpp, in dem es von Geckos und<br />
unerfreulich großen Tausendfüßlern wimmelt;<br />
dann geht es einen steilen, unwegsamen<br />
Hang hinauf. Der 48-Jährige hat seine<br />
Machete dabei. Man weiß ja nie. Vor der<br />
letzten Ernte sind Plünderer mit Gewehren<br />
durch die Gegend gezogen, um Pflanzen<br />
zu stehlen. Denn was sich in Totoantsarikas<br />
verborgenem Privaturwald hochrankt,<br />
ist das nach Safran wertvollste Gewürz der<br />
Welt: Vanille.<br />
Der Bauer lebt in Maroambiny, einem<br />
Dorf im Norden Madagaskars. Er wohnt<br />
mit Frau und zwei kleinen Kindern in einer<br />
Holzhütte, es gibt weder Strom noch flieschen<br />
Holzminden. Es ist der MDax-Konzern<br />
Symrise, einer der weltgrößten Hersteller<br />
von Duft- und Aromastoffen – und<br />
der erste und einzige deutsche Investor<br />
auf Madagaskar. Das Unternehmen verarbeitet<br />
die Vanille vor Ort zu einem Extrakt,<br />
mit dem später große Lebensmittelhersteller<br />
Pudding und Eis verfeinern. „Früher<br />
kamen und gingen die Vanillekäufer.<br />
Die Symrise-Leute sind die ersten, die geblieben<br />
sind“, sagt Totoantsarika.<br />
Beim Ankaufspreis, der je nach Ernte<br />
deutlich schwanken kann, lässt das Unternehmen<br />
zwar nicht mit sich handeln. „Da<br />
orientieren wir uns an der Marktlage“, sagt<br />
Symrise-Manager Clemens Tenge, der<br />
den Titel „Global Competence Director“<br />
trägt und die Vanilleaktivitäten des Konzerns<br />
auf Madagaskar koordiniert. Trotzdem<br />
ist die Geschäftsbeziehung zu Toto-<br />
FOTOS: GIZ/GUY STUBBS, DDP IMAGES/PICTURE PRESS<br />
38 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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antsarika und den rund 7000 anderen<br />
Bauern, mit denen der Konzern kooperiert,<br />
eher unkonventionell. Die Bauern<br />
haben keine festen Lieferverträge und<br />
könnten auch einen anderen Abnehmer<br />
wählen. Symrise versucht aber, durch diverse<br />
freiwillige Hilfen und Sozialleistungen<br />
eine emotionale Bindung zu schaffen,<br />
damit die Bauern nicht so leicht auf die<br />
Idee kommen, ihre Schoten woanders loszuschlagen.<br />
80 Prozent der<br />
weltweit geernteten<br />
Vanille kommt aus<br />
Madagaskar<br />
KOOPERATION MIT DER REGIERUNG<br />
Dabei hilft dem Unternehmen ein Projekt<br />
der deutschen Bundesregierung, die versucht,<br />
in Madagaskar den aus dem Bauwesen<br />
bekannten Public-Private-Partnership-Gedanken<br />
auf die Entwicklungshilfe<br />
zu übertragen. Die Deutsche Gesellschaft<br />
für Internationale Zusammenarbeit (GIZ)<br />
ist mit Symrise und dem niederländischbritischen<br />
Konzern Unilever eine Kooperation<br />
eingegangen, um die Lebensbedingungen<br />
der Vanillebauern zu verbessern.<br />
Dazu zählen effizientere Anbaumethoden,<br />
eine finanzielle Unterstützung von<br />
46 Grundschulen der Region und der Aufbau<br />
von drei landwirtschaftlichen Berufsschulen.<br />
Das Programm läuft bis Ende<br />
2016, das Bundesministerium für wirtschaftliche<br />
Zusammenarbeit und Entwicklung<br />
übernimmt 680 000 Euro, Unilever<br />
steuert 400 000 Euro bei und Symrise<br />
303 000 Euro.<br />
Die Holzmindener spenden pro Kilo<br />
angekaufter Vanille einen Geldbetrag an<br />
die örtlichen Elternorganisationen für<br />
Schulbücher und bessere Lehrergehälter.<br />
In Notfällen gibt Symrise den Bauern zudem<br />
„Reiskredite“: Die Familien erhalten<br />
gratis Reis, den sie nach der nächsten Ernte<br />
mit Vanille bezahlen. Die wichtigste<br />
Maßnahme aber ist: GIZ, Unilever und<br />
Symrise haben zusammen mit einem einheimischen<br />
Versicherungsunternehmen<br />
und der NGO Planet Finance eine Krankenversicherung<br />
für die Bauern aufgebaut.<br />
„Viele können sich so erstmals überhaupt<br />
eine medizinische Behandlung<br />
leisten“, sagt GIZ-Landesdirektor Alan<br />
Walsch.<br />
Natürlich ist es nicht nur christliche<br />
Nächstenliebe, die die Unternehmen umtreibt:<br />
Sie sichern sich mit ihrem sozialen<br />
Engagement den Nachschub für einen begehrten<br />
Rohstoff. Die globale Nachfrage<br />
steigt beständig, die Anbaufläche ist begrenzt<br />
– und 80 Prozent der weltweit verkauften<br />
Vanille kommt aus Madagaskar.<br />
Das Problem: Anders als Reis, der<br />
mehrfach geerntet werden kann, reift die<br />
Vanille nur einmal im Jahr. Einen Großteil<br />
ihres Jahreseinkommens bekommen die<br />
Vanillefarmer daher an einem einzigen<br />
Tag ausgezahlt, wenn sie ihre frisch geernteten<br />
Schoten an einem von der Regierung<br />
festgelegten Markttag in der Küstenstadt<br />
Sambava anbieten. Wird das Haushaltsgeld<br />
vorher knapp, bleibt vielen Bauern<br />
oft nur ein Weg: Sie verkaufen halbreife<br />
„grüne“ Vanille an Zwischenhändler, oft<br />
zu einem Fünftel des später erzielbaren<br />
Preises. Die frühe Ernte senkt aber die<br />
Qualität, für Symrise ist der Rohstoff damit<br />
verloren – und den Bauern fehlt es<br />
später erst recht an Geld. „Wir haben daher<br />
ein Interesse an wohlhabenden Bauern“,<br />
sagt Symrise-Manager Tenge.<br />
„Wohlhabend“ ist zwar nicht gerade<br />
das, was Besuchern in Maroambiny als<br />
Erstes einfällt. Madagaskar zählt zu den<br />
ärmsten Staaten der Welt, 92 Prozent der<br />
22 Millionen Einwohner müssen von weniger<br />
als zwei Dollar pro Tag leben. Vanillebauern<br />
indes bringen es in guten Jahren<br />
auf das Vierfache.<br />
Und das Geschäft wird auch künftig<br />
weiterlaufen. Am 13. Oktober nimmt südlich<br />
von Sambava eine neue Symrise-Fabrik<br />
die Arbeit auf. Über eine Million Euro<br />
haben die Niedersachsen in Gebäude und<br />
Anlagen investiert. Auf dem 45 Hektar<br />
großen Betriebsgelände will das Unternehmen<br />
künftig 200 Tonnen Vanilleschoten<br />
pro Jahr zu Extrakt verarbeiten – doppelt<br />
so viel wie in seiner 150 Kilometer<br />
entfernten alten Produktionsstätte,<br />
die jetzt demontiert<br />
wird. Zur Eröff-<br />
»<br />
39<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
»<br />
nung reist Vorstandschef Heinz-Jürgen<br />
Bertram an, auch der deutsche Botschafter<br />
hat sich angesagt.<br />
Es ist ein durchaus mutiger Schritt, denn<br />
Symrise investiert in einer aus deutscher<br />
Sicht ökonomischen Diaspora. Dies liegt<br />
nicht allein daran, dass die neue Fabrik bisher<br />
nur über einen holprigen Feldweg zu erreichen<br />
ist und auf sandigem Untergrund<br />
im nordmadagassischen Niemandsland<br />
liegt. Es gibt auf der Insel kein weiteres deutsches<br />
Unternehmen und erst recht keine<br />
Außenhandelskammer, die Investoren beraten<br />
könnte. Die deutsche Botschaft, in anderen<br />
Staaten meist mit einen Wirtschaftsattaché<br />
versehen, besteht auf Madagaskar aus<br />
zwei Personen – dem Botschafter und seinem<br />
Stellvertreter. Nach einem Putsch 2009,<br />
der einen Discjockey an die Macht brachte<br />
und das Land ins Chaos stürzte, wurden die<br />
Kontakte auf ein Minimum reduziert. Erst<br />
nachdem im Januar ein neuer demokratisch<br />
92 Prozent der<br />
Einwohner leben<br />
von weniger als<br />
zwei Dollar pro Tag<br />
gewählter Präsident mit dem klangvollen<br />
Namen Hery Rajaonarimampianina sein<br />
Amt antrat, kommen die Kontakte mit der<br />
ehemaligen französischen Kolonie langsam<br />
wieder in Gang.<br />
Im Tagesgeschäft muss sich Symrise<br />
gleichwohl selber helfen. Die meisten Bauteile<br />
der neuen Fabrik etwa mussten aus<br />
Deutschland importiert werden. Ein großes<br />
Problem ist auch die Energieversorgung –<br />
es gibt in Sambava kein für industrielle<br />
Zwecke geeignetes Stromnetz und kein<br />
Kraftwerk weit und breit. „Wir haben daher<br />
improvisiert“, sagt Manager Tenge. Genauer:<br />
Die neue Fabrik wurde mit Dieselgeneratoren<br />
und einem mächtigen Holzofen bestückt.<br />
Viele Vanillebauern transportieren<br />
ihre Ware nämlich mit selbst gebastelten<br />
Bambusflößen den Fluss Lokoho hinunter.<br />
Bisher ließen sie die Flöße danach in den<br />
Indischen Ozean treiben. Künftig kauft ihnen<br />
Symrise die Flöße ab – und verfeuert<br />
das Holz anschließend im Fabrikofen.<br />
Wer mag, kann auch dies als Beitrag<br />
zu einer nachhaltigen Entwicklung verstehen.<br />
n<br />
bert.losse@wiwo.de<br />
BERLIN INTERN | Politiker streiten um Plastiktüten,<br />
Glühbirnen und Lebkuchen. Es geht um Nostalgie<br />
und Misstrauen gegen den Markt. Von Cordula Tutt<br />
Verbohrt bis verboten<br />
Oje, er hat sie weggeschmissen.<br />
Flott flatterte die Tüte in der Sylter<br />
Spätsommerbrise davon. So<br />
etwas bleibt hängen. Schleswig-<br />
Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig<br />
(SPD) mixte sich in beuliger Freizeitkluft<br />
erst den Eis-Cocktail und schüttete ihn<br />
dann übern Kopf, er sprang sogar kopfüber<br />
ins Meer. Es war aber die Eiswürfeltüte,<br />
für die es Kommentare hagelte.<br />
Gegner der Plastiktüte, Freunde der alten<br />
Glühbirne und Kämpfer gegen zu zeiti-<br />
Diesmal ohne Tüte Ministerpräsident<br />
Torsten Albig vor landestypischer Kulisse<br />
ges Weihnachtsgebäck zeigen dieser Tage,<br />
dass sie Themen setzen in einer Republik,<br />
die andere Probleme nicht hat oder verdrängt.<br />
Sie stehen für den Wunsch, dass<br />
das Leben doch bitte geordnet und übersichtlich<br />
sein soll. Es ist die Sehnsucht nach<br />
der guten alten Zeit – wann genau war die<br />
eigentlich? – oder einfach ein Misstrauen<br />
gegen den Markt und die Freiheit Einzelner.<br />
Vordergründig geht es um Umweltschutz,<br />
wenn Bundestagsabgeordnete wie<br />
Detlev Pilger (SPD) „ein EU-weites Verbot“<br />
für Plastiktüten fordern. Wenn Menschen<br />
wie auf dem stillgelegten Berliner Flughafen<br />
Tempelhof 30 000 Tüten zum Ausrufezeichen<br />
verketten. Die Grünen wollen seit<br />
2011 Plastiktüten am besten verbieten. 76<br />
nutzt jeder Durchschnittsdeutsche im Jahr.<br />
Ist ja auch nicht in Ordnung. Einmal gebraucht<br />
landet etliches Plastik auf Jahre im<br />
Grünen, im Gully oder im Meer. Doch besser<br />
wäre, Tütenfreunde zahlen zu lassen.<br />
Mindestens das, was es kostet, dass aus<br />
Beuteln in Büschen wieder eine saubere<br />
Sache wird. Klappt in Irland oder Kalifornien.<br />
Die „scandal bags“ (so nennt mancher<br />
auf Englisch die Knistertüten, weil deren<br />
Inhalt sichtbar bleibt) sind fast restlos<br />
fort, Stofftaschen wieder da.<br />
Die Sehnsucht nach Überschaubarkeit<br />
und ein klares Bild des Gegners treiben<br />
auch die Alternative für Deutschland (AfD)<br />
in den Verbraucherschutz. Überschaubar,<br />
das war früher. Gegner ist die EU. Die ist bürokratisch<br />
und reguliert zu viel in Deutschland.<br />
Parteichef Bernd Lucke lehnt sich<br />
dagegen öffentlich mit der Glühbirne auf –<br />
und verkauft sie gleich mit. 10er-Pakete für<br />
jeweils 9,99 Euro sind im AfD-Shop der<br />
Kassenschlager. Weil die Birnen Stromfresser<br />
sind, gilt seit 2009 ein EU-weites Verbot.<br />
Lagerbestände werden noch verhökert<br />
– etwa an die AfD. Anderswo liegen nur<br />
LED-Leuchten mit komplizierten Leuchtstärken,<br />
Wattzahlen und Spektralkurven im<br />
Regal.<br />
Dabei finden die meisten Energiesparen<br />
gut, schon weil’s Geld spart. Überzeugender<br />
als starre Verbote (und putzige Reaktionen<br />
der AfD) wäre auch hier: Lasst den<br />
Geldbeutel entscheiden. Effiziente Staubsauger<br />
und Autos könnten sich schon sichtbar<br />
im Laden besser rechnen als Energiefresser.<br />
Die lassen sich per Abgabe<br />
belasten. Solche Anreize würden die überflüssige<br />
Debatte um 1600-Watt-Sauger<br />
gleich mit wegputzen.<br />
Mündige Verbraucher entscheiden auch<br />
selbst, ob sie im September oder erst zum<br />
Glühwein im Advent einen Lebkuchen oder<br />
Stollen in den Mund nehmen wollen. Eine<br />
Umfrage ließ uns jetzt wissen, ein Drittel<br />
der Deutschen wünscht, der Verkauf der<br />
Weihnachtsspezereien solle erst im November<br />
beginnen. Was für Probleme.<br />
Toleranz? Nicht mal gesellschaftlich können<br />
sich die Grünen dazu gerade durchringen.<br />
Da geißelte die Bundestagsabgeordnete<br />
Sylvia Kotting-Uhl ein Dirndl der<br />
Parlamentarischen Staatssekretärin<br />
Dorothee Bär (CSU) als „rückständig“.<br />
Früher gönnten andere den Grünen ihre<br />
Turnschuhe und Rauschebärte nicht.<br />
FOTOS: WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, AGENTUR FOCUS/GÖTZ SCHLESER<br />
40 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Der Volkswirt<br />
KOMMENTAR | Statt einer Rezession<br />
droht Russland „nur“ Stagnation.<br />
Putin kann den Sanktionen trotzen.<br />
Von Florian Willershausen<br />
Stirb langsam<br />
Tief im Westen hat sich<br />
jemand übel verkalkuliert.<br />
Trotz scharfer<br />
Wirtschaftssanktionen,<br />
mit denen EU und USA die<br />
Russen zum Rückzug aus der<br />
Ukraine zwingen wollen, wächst<br />
deren Wirtschaft weiter. Die<br />
Weltbank hat nun ihre Wachstumsprognose<br />
für 2015 zwar<br />
merklich nach unten korrigiert<br />
– statt um 1,5 Prozent soll das<br />
Bruttoinlandsprodukt (BIP) nur<br />
noch um 0,3 Prozent zunehmen.<br />
Auch für 2016 steht nur<br />
ein Miniplus von 0,4 Prozent in<br />
den Prognosen. Zu wenig für<br />
ein Schwellenland, das bei Infrastruktur-<br />
und Anlageinvestitionen<br />
weit mehr aufzuholen<br />
hat als China oder Brasilien.<br />
HOHE DEVISENRESERVE<br />
Dennoch ist man im Westen enttäuscht:<br />
Ein Wachstum um die<br />
null Prozent bedeutet Stagnation,<br />
nicht aber Rezession. Es<br />
droht kein ökonomischer Notstand,<br />
der Kremlchef Wladimir<br />
Putin die Knie schlottern lässt<br />
und die Rückgabe der Krim oder<br />
ein Ende des Zündelns in der<br />
Ostukraine erzwingen würde.<br />
Kritischer als heute war die Lage<br />
Russlands in der Finanzkrise ab<br />
2008, als es mit dem BIP zeitweise<br />
um fast acht Prozent bergab<br />
ging (auch weil der Ölpreis<br />
im Keller war). Damals schaffte<br />
es der Kreml, die Krisenfolgen<br />
mit der Umverteilung von Haushaltsmitteln<br />
und Reserven kleinzuhalten<br />
– und diesmal dürfte<br />
ihm das erst recht gelingen.<br />
Denn der Ölpreis, Sanktionen<br />
hin oder her, rangiert einigermaßen<br />
stabil über 100 Dollar pro<br />
Barrel, derweil die Zentralbank<br />
Reserven in Höhe von 465 Milliarden<br />
Dollar hortet. Die ließen<br />
sich notfalls einsetzen, wenn<br />
Unternehmen in Schieflage geraten<br />
– etwa der hoch verschuldete<br />
staatliche Ölriese Rosneft,<br />
der den Staat mangels Zugang<br />
zu westlichem Kapital um gut 30<br />
Milliarden Euro anpumpte.<br />
Auf kurze Sicht werden die<br />
Sanktionen Putins Regime also<br />
nicht in den Kollaps treiben.<br />
Langfristig freilich ist das auf der<br />
bloßen Verteilung von Petromilliarden<br />
basierende Wirtschaftsmodell<br />
nicht lebensfähig. Putin<br />
duldet ein investitionsfeindliches<br />
Klima mit Rechtsunsicherheit<br />
und Korruption, das Neuinvestitionen<br />
abwürgt. In der Folge<br />
hinken die Russen dem Fortschritt<br />
im Rest der Welt hinterher<br />
– und keiner merkt so recht,<br />
wie Putins borniertes Herrschaftsmodell<br />
zum Grab für den<br />
Wohlstand im Lande wird.<br />
Putins Unberechenbarkeit<br />
und weniger die Sanktionen sind<br />
denn auch der Grund, weshalb<br />
die Weltbank auf Jahre ein Nullwachstum<br />
für Russland sieht:<br />
„Die politische Unsicherheit<br />
über den ökonomischen Kurs,<br />
den das Land einschlagen wird,<br />
wirft lange Schatten auf die mittelfristigen<br />
Aussichten Russlands“,<br />
heißt es in ihrem jüngsten<br />
Bericht.<br />
ZIELE VERFEHLT<br />
Indes war nie erklärtes Ziel der<br />
Sanktionsbefürworter, der<br />
russischen Volkswirtschaft zu<br />
schaden. Vielmehr zielen Teilembargos<br />
und Finanzmarktrestriktionen<br />
darauf, des Kremls<br />
kaschierten Angriff auf die Nachbarschaft<br />
zu stoppen. Doch prorussische<br />
Separatisten kontrollieren<br />
Teile des Landes, die Krim<br />
ist russisch – und der Westen<br />
muss sich langsam eingestehen,<br />
dass Sanktionen ihre Ziele verfehlen.<br />
NEW ECONOMICS<br />
Keine Deflation in Sicht<br />
Eine neue Studie zeigt: Die Angst vor einem<br />
dauerhaft sinkenden Preisniveau in der Währungsunion<br />
ist unbegründet.<br />
Kaum ein Tag vergeht, an dem<br />
nicht ein Notenbanker oder<br />
Bankanalyst davor warnt, die<br />
Währungsunion drohe in eine<br />
Phase mit sinkenden Preisen zu<br />
rutschen. Das Horrorszenario,<br />
dass die Deflationswarner beschwören,<br />
lautet etwa so: Die<br />
maue Konjunktur drücke die<br />
langfristigen Inflationserwartungen<br />
nach unten. Das treibe<br />
die erwarteten Realzinsen nach<br />
oben und bremse die Investitionen.<br />
Konjunktur und Preise<br />
gingen dadurch weiter auf Talfahrt.<br />
Im Gefolge der Deflation<br />
wachse die reale Schuldenlast<br />
der Bürger und Unternehmen,<br />
Masseninsolvenzen drohten.<br />
BLICK AUF JAPAN<br />
Doch nun entlarvt eine aktuelle<br />
Studie der Ökonomen Volker<br />
Wieland, Mitglied im Rat der<br />
fünf Wirtschaftsweisen, und<br />
Maik Wolters, Forscher am Institut<br />
für Weltwirtschaft (IfW) in<br />
Kiel, das Gerede von der Deflationsspirale<br />
als Panikmache.*<br />
Wieland und Wolters greifen bei<br />
ihrer Analyse auf das Konzept<br />
der Phillips-Kurve zurück. Diese<br />
beschreibt den Zusammenhang<br />
zwischen Inflation, gesamtwirtschaftlicher<br />
Aktivität und Inflationserwartungen.<br />
Unter Verweis<br />
auf empirische Studien argumentieren<br />
die Autoren, dass die<br />
Phillips-Kurve einen nicht linearen<br />
Verlauf aufweist. Das<br />
heißt:Der Einfluss der Konjunktur<br />
auf die Inflation variiert, je<br />
nachdem ob sich die Wirtschaft<br />
in einer Hoch- oder Niedriginflationsphase<br />
befindet. So neigen<br />
die Unternehmen in Hochinflationsphasen<br />
eher dazu, ihre<br />
Absatzpreise in Reaktion auf<br />
* Volker Wieland, Maik Wolters: Is there a<br />
Threat of Self-Reinforcing Deflation in<br />
the Euro-Area? A View through the Lens<br />
of the Phillips Curve, Kiel Policy Brief 79<br />
Schwankungen der Konjunktur<br />
zu ändern als in Niedriginflationsphasen.<br />
Ein Beispiel dafür<br />
ist Japan. Die Unternehmen<br />
dort haben ihre Preise Ende der<br />
Neunzigerjahre lediglich moderat<br />
gesenkt, obwohl die Konjunktur<br />
damals schlecht lief.<br />
Daher ist Japan eine Deflations-<br />
Rezessionsspirale erspart geblieben,<br />
die Preise sanken nur<br />
moderat. Ökonometrische Berechnungen<br />
für Japan zeigen,<br />
dass bei einem Absinken des Inflationstrends<br />
um ein Prozent<br />
der Einfluss der Konjunktur auf<br />
die Inflation um 0,06 Prozent<br />
sinkt. Übertragen auf die Euro-<br />
Zone bedeutet dies, dass in der<br />
aktuellen Niedriginflationsphase<br />
ein Rückgang der gesamtwirtschaftlichen<br />
Kapazitätsauslastung<br />
um ein Prozent die<br />
Teuerungsrate nur um 0,074<br />
Prozentpunkte drückt. „Eine<br />
sich selbst verstärkende Deflation<br />
ist daher sehr unwahrscheinlich“,<br />
urteilen die Autoren der<br />
Studie. Gegen eine Deflation<br />
spreche zudem, dass die Inflationserwartungen<br />
nach gängigen<br />
Messkonzepten deutlich über<br />
null Prozent lägen. Dazu komme,<br />
dass die jüngste Schwäche<br />
des Euro die Inflation nach oben<br />
treibe.<br />
malte.fischer@wiwo.de<br />
Noch nicht bei Null<br />
Inflationsrate in Deutschland und<br />
in der Euro-Zone in Prozent<br />
3,0<br />
2,5<br />
2,0<br />
1,5<br />
1,0<br />
0,5<br />
Deutschland<br />
Euro-Zone<br />
0 2012 2014<br />
Quelle: Eurostat, Destatis<br />
FOTO: JOHANN SEBASTIAN KOPP FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
42 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
KONJUNKTUR DEUTSCHLAND<br />
Gegenwind für die<br />
Exportwirtschaft<br />
Der alte Rekord fiel im vergangenen<br />
Juli: Erstmals knackte<br />
die deutsche Ausfuhrwirtschaft<br />
die 100-Milliarden-Euro-Marke<br />
beim Umsatz. Insgesamt<br />
nahmen die Exporteure stolze<br />
101 Milliarden Euro ein , das<br />
waren 8,5 Prozent mehr als im<br />
Vorjahresmonat.<br />
Ob es in den kommenden<br />
Monaten neue Spitzenwerte<br />
geben wird, ist allerdings fraglich.<br />
Denn die labile Konjunktur<br />
in der Euro-Zone sowie die<br />
politischen Krisen im Nahen<br />
Osten und in der Ukraine belasten<br />
zunehmend das Klima.<br />
Die Exporterwartungen der<br />
deutschen Unternehmen im<br />
verarbeitenden Gewerbe fielen<br />
im August von 7,6 auf 5,8 Saldenpunkte,<br />
vor allem weil deutsche<br />
Autobauer und Zulieferer<br />
deutlich schwächere Auslandsgeschäfte<br />
befürchten.<br />
Der <strong>vom</strong> Münchner ifo Institut<br />
exklusiv für die Wirtschafts-<br />
Woche erstellte Exportklimaindex<br />
ist im August sogar zum<br />
dritten Mal in Folge gesunken<br />
und erreicht nur noch 0,11 Saldenpunkte<br />
(siehe Grafik). Der<br />
Indikator bündelt den realen<br />
Außenwert des Euro – also die<br />
preisliche Wettbewerbsfähigkeit<br />
der Ausfuhrwirtschaft –<br />
sowie das Konsum- und Geschäftsklima<br />
auf unseren wichtigsten<br />
Absatzmärkten. Zwar<br />
legte im August die preisliche<br />
Aufwärtstrend beendet<br />
Exportklima und Ausfuhren<br />
0,25<br />
0,20<br />
0,15<br />
0,10<br />
0,05<br />
0<br />
–0,05<br />
–0,10<br />
–0,15<br />
–0,20<br />
–0,25<br />
Exporte (real,<br />
saisonbereinigt,<br />
Veränderung zum<br />
Vorjahr in Prozent)<br />
Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands<br />
gegenüber dem Vormonat<br />
deutlich zu: Der Euro wertete<br />
gegenüber dem Dollar um<br />
1,6 Prozent ab. Auf der anderen<br />
Seite jedoch brach das Unternehmens-<br />
und Verbrauchervertrauen<br />
in vielen Industriestaaten<br />
ein. Vor allem in Europa<br />
zeigen sich die Wirtschaftsakteure<br />
deutlich pessimistischer.<br />
In Italien etwa ging das<br />
Unternehmens- und Verbrauchervertrauen<br />
den dritten<br />
Monat in Folge zurück, auch<br />
Frankreich, die Niederlande,<br />
Griechenland, Polen und<br />
Tschechien meldeten ein Minus.<br />
Optimistischer beurteilten<br />
zuletzt hingegen US-Unternehmen<br />
die Zukunft.<br />
Exportklimaindikator<br />
1<br />
¹ Geschäfts- und Konsumklima auf den wichtigsten Absatzmärkten Deutschlands sowie<br />
realer Außenwert des Euro (Indexpunkte); Quelle: ifo<br />
bert.losse@wiwo.de<br />
2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014<br />
1,5<br />
1,0<br />
0,5<br />
0<br />
–0,5<br />
–1,0<br />
–1,5<br />
–2,0<br />
–2,5<br />
–3,0<br />
–3,5<br />
Geschäftsklima<br />
trübt sich ein<br />
Die Perspektiven für die deutsche<br />
Wirtschaft trüben sich<br />
weiter ein. Der Geschäftsklimaindex<br />
des Münchner ifo Instituts<br />
ist im September von<br />
106,3 auf 104,7 Zähler gefallen.<br />
Nach dem fünften Rückgang in<br />
Folge hat das viel beachtete<br />
Konjunkturbarometer nun den<br />
tiefsten Stand seit April 2013 erreicht.<br />
Analysten hatten zuvor<br />
ein deutlich geringeres Minus<br />
erwartet. Die rund 7000 befragten<br />
Unternehmen schätzten sowohl<br />
ihre aktuelle Lage als auch<br />
die Aussichten für die kommenden<br />
sechs Monate pessimistischer<br />
ein als noch im Monat<br />
zuvor.<br />
Das dürfte auch Folgen für<br />
das deutsche Wirtschaftswachstum<br />
haben. „Nach dem schwachen<br />
zweiten Quartal werden<br />
wir wahrscheinlich auch ein<br />
schwaches drittes Quartal haben“,<br />
sagt ifo-Konjunkturexperte<br />
Klaus Wohlrabe.<br />
Volkswirtschaftliche<br />
Gesamtrechnung<br />
Real. Bruttoinlandsprodukt<br />
Privater Konsum<br />
Staatskonsum<br />
Ausrüstungsinvestitionen<br />
Bauinvestitionen<br />
Sonstige Anlagen<br />
Ausfuhren<br />
Einfuhren<br />
Arbeitsmarkt,<br />
Produktion und Preise<br />
Industrieproduktion 1<br />
Auftragseingänge 1<br />
Einzelhandelsumsatz 1<br />
Exporte 2<br />
ifo-Geschäftsklimaindex<br />
Einkaufsmanagerindex<br />
GfK-Konsumklimaindex<br />
Verbraucherpreise 3<br />
Erzeugerpreise 3<br />
Importpreise 3<br />
Arbeitslosenzahl 4<br />
Offene Stellen 4<br />
Beschäftigte 4, 5<br />
2012 2013<br />
Durchschnitt<br />
0,4<br />
0,8<br />
1,0<br />
–4,0<br />
–1,4<br />
3,4<br />
3,2<br />
1,4<br />
2012 2013<br />
Durchschnitt<br />
–0,9<br />
–4,2<br />
0,1<br />
3,3<br />
105,0<br />
46,7<br />
5,9<br />
2,0<br />
1,6<br />
2,1<br />
2896<br />
478<br />
29355<br />
0,1<br />
0,9<br />
0,4<br />
–2,4<br />
–0,2<br />
3,0<br />
0,9<br />
1,5<br />
–0,2<br />
2,5<br />
0,2<br />
–0,2<br />
106,9<br />
50,6<br />
6,5<br />
1,5<br />
–0,1<br />
–2,5<br />
2950<br />
457<br />
29722<br />
II/13 III/13 IV/13 I/14 II/14<br />
Veränderung zum Vorquartal in Prozent<br />
0,8<br />
0,6<br />
0,0<br />
2,3<br />
3,0<br />
0,0<br />
1,4<br />
1,3<br />
Mai<br />
2014<br />
–1,6<br />
–1,7<br />
–0,2<br />
–1,1<br />
110,4<br />
52,3<br />
8,5<br />
0,9<br />
–0,8<br />
–2,1<br />
2904<br />
475<br />
30145<br />
1 Volumen, produzierendes Gewerbe, Veränderung zum Vormonat in Prozent; 2 nominal, Veränderung zum Vormonat in<br />
Prozent; 3 Veränderung zum Vorjahr in Prozent; 4 in Tausend, saisonbereinigt; 5 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte;<br />
alle Angaben bis auf Vorjahresvergleiche saisonbereinigt; Quelle: Thomson Reuters<br />
0,3<br />
0,7<br />
0,6<br />
–0,5<br />
1,8<br />
0,2<br />
0,7<br />
1,7<br />
Juni<br />
2014<br />
0,4<br />
–2,7<br />
1,0<br />
1,0<br />
109,7<br />
52,0<br />
8,6<br />
1,0<br />
–0,8<br />
–1,2<br />
2911<br />
483<br />
30234<br />
0,5<br />
–0,8<br />
–0,1<br />
2,1<br />
0,7<br />
0,2<br />
1,7<br />
0,7<br />
Juli<br />
2014<br />
1,9<br />
4,6<br />
–1,4<br />
4,7<br />
108,0<br />
52,4<br />
8,9<br />
0,8<br />
–0,8<br />
–1,7<br />
2900<br />
484<br />
–<br />
0,7<br />
0,8<br />
0,4<br />
2,1<br />
4,1<br />
1,2<br />
0,0<br />
0,5<br />
Aug.<br />
2014<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
106,3<br />
51,4<br />
8,9<br />
0,8<br />
–<br />
–<br />
2901<br />
495<br />
–<br />
–0,2<br />
0,1<br />
0,1<br />
–0,4<br />
–4,2<br />
0,1<br />
0,9<br />
1,6<br />
Sept.<br />
2014<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
104,7<br />
50,3<br />
8,6<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
Letztes Quartal<br />
zum Vorjahr<br />
in Prozent<br />
0,8<br />
1,0<br />
1,0<br />
2,1<br />
0,7<br />
1,6<br />
2,5<br />
4,1<br />
Letzter Monat<br />
zum Vorjahr<br />
in Prozent<br />
2,6<br />
5,0<br />
1,0<br />
8,5<br />
–3,1<br />
–1,6<br />
22,9<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–1,5<br />
9,5<br />
1,9<br />
WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 43<br />
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Der Volkswirt<br />
WARUM EIGENTLICH...<br />
...fördert menschliches Vertrauen das<br />
Wirtschaftswachstum?<br />
Kann zu viel Misstrauen schädlich sein? Kollegen im Meeting<br />
Wenn Konjunkturexperten an<br />
ihren Analysen feilen, schauen<br />
sie sich nicht nur harte Fakten<br />
an: Zum Instrumentenkasten<br />
gehören mittlerweile auch Indizes<br />
zum Verbraucher- und Unternehmervertrauen.<br />
Auch auf<br />
den Finanzmärkten spielt Vertrauen<br />
eine große Rolle und<br />
beschäftigt die Analysten. Der<br />
Datendienstleister Thomson<br />
Reuters gibt seit Kurzem einen<br />
„Trust-Index“ heraus, bei dem<br />
Forscher das Vertrauen in die<br />
Top 50 der globalen Finanzinstitutionen<br />
messen.<br />
Doch wie wirkt der Faktor<br />
Vertrauen konkret auf eine<br />
Volkswirtschaft? Der Ökonom<br />
Paul Whiteley von der Universität<br />
Essex hat drei Gründe identifiziert,<br />
warum interpersonelles<br />
Vertrauen das Wachstum fördern<br />
kann. Erstens: Vertrauen<br />
reduziert die Transaktionskosten.<br />
Für einen erfolgreichen Geschäftsabschluss<br />
müssen die<br />
beteiligten Unternehmen Anbahnungs-,<br />
Abwicklungs- und<br />
Kontrollkosten einkalkulieren,<br />
die umso höher ausfallen, desto<br />
suspekter einem der Partner ist.<br />
Zweitens hilft gegenseitiges<br />
Vertrauen, Probleme kollektiven<br />
Handelns wie das Trittbrettfah-<br />
MEHR ZUM THEMA<br />
Wie wichtig Kundenvertrauen<br />
für Hersteller<br />
ist lesen Sie auf Seite 88<br />
rerphänomen zu lösen. Dieses<br />
entsteht, wenn man <strong>vom</strong> Nutzen<br />
eines Gemeinschaftsguts profitiert,<br />
ohne eine Gegenleistung<br />
erbringen zu müssen. Mehr<br />
noch als bei Bereitstellungsproblemen<br />
rein öffentlicher Güter<br />
hilft Vertrauen bei Aneignungsproblemen<br />
sogenannter Allmendegüter.<br />
Hier kommt es zu<br />
einer Übernutzung von prinzipiell<br />
für alle zugänglichen Ressourcen<br />
oder Gütern.<br />
Interpersonelles<br />
Vertrauen kann<br />
in diesem Fall helfen,<br />
dass Personen<br />
auf individuelle<br />
Nutzenmaximierung verzichten<br />
und sogar Kosten in Kauf nehmen,<br />
um eine kollektive Lösung<br />
zu stabilisieren. Bestes Beispiel:<br />
die Überfischung der Meere. Es<br />
ist schwer, zu kontrollieren, ob<br />
einzelne Fischer mehr fangen,<br />
als sie gemäß einer Quote dürfen.<br />
Der behördliche Aufwand<br />
ist groß. Gäbe es genügend Vertrauen<br />
unter den Fischern, dass<br />
sich alle an ihre Fangmengen<br />
halten, würde sich das Problem<br />
von selbst lösen.<br />
Der dritte Grund für die<br />
wachstumsfördernde Wirkung<br />
von Vertrauen ist, dass sogenannte<br />
Prinzipal-Agent-Probleme<br />
in Ländern mit hohem<br />
Vertrauensniveau signifikant<br />
geringer sind. Arbeitgeber in<br />
den OECD-Ländern können<br />
sich zum Beispiel eher darauf<br />
verlassen, dass Arbeitnehmer<br />
ihre Arbeit ordentlich machen<br />
und zu ihren Arbeitsverträgen<br />
stehen. Dies ist ökonomisch relevant,<br />
weil eine ständige Kontrolle<br />
der Effektivität und Qualität<br />
der Mitarbeiter mit hohen<br />
Kosten verbunden wäre.<br />
Die Ökonomen Stephen<br />
Knack und Paul Zak haben zudem<br />
herausgefunden, dass die<br />
Qualität des Bildungssystems<br />
und der Abbau ökonomischer<br />
Ungleichheit das Vertrauen fördern.<br />
Die Wissenschaftler stellten<br />
fest, dass das Vertrauen in<br />
sozial und ökonomisch homogenen<br />
Gesellschaften höher ist<br />
und diese auch deshalb höhere<br />
Wachstumsraten aufweisen.<br />
Die Faustregel der Ökonomen:<br />
Steigt der Anteil der Menschen,<br />
die ihre Mitbürger<br />
generell für vertrauenswürdig<br />
halten,<br />
um 15 Prozent<br />
an, erhöht sich das<br />
Pro-Kopf-Wachstum<br />
um ein Prozent.<br />
Doch es gibt auch andere<br />
Auffassungen. In saturierten<br />
Volkswirtschaften mit hohem<br />
Vertrauensniveau kann ein weiterer<br />
Vertrauenszuwachs die<br />
wirtschaftliche Dynamik sogar<br />
bremsen, sagt der Ökonom<br />
Felix Roth von der Universität<br />
Göttingen. Gesellschaften mit<br />
sehr hohem Vertrauensniveau<br />
seien eher in der Lage, unbequeme<br />
Reformen zu blockieren.<br />
„Wenn Bürger sich untereinander<br />
mehr vertrauen,<br />
können sie sich eher zu einer<br />
sozialen Bewegung zusammen-<br />
schließen, um Reformbemühungen<br />
der Regierung zu verhindern“,<br />
sagt Roth. Anders sei<br />
dies bei Ländern mit geringem<br />
interpersonellen Vertrauen.<br />
Diese hätten einen signifikanten<br />
Wachstumsanstieg zu verzeichnen,<br />
wenn das Vertrauensniveau<br />
steigt. „Vertrauen stellt<br />
hier eine Art Substitut dar und<br />
wirkt sich vor allem in Systemen<br />
ohne effizientes Rechtssystem<br />
positiv auf das Wachstum aus,<br />
etwa in Entwicklungsländern.“<br />
LEGITIMITÄT GEFÄHRDET<br />
Wissenschaftler unterscheiden<br />
mehrere Formen von Vertrauen.<br />
„Interpersonelles Vertrauen beruht<br />
auf alltäglichen Interaktionen<br />
zwischen Menschen, die<br />
sich fremd sind. Systemisches<br />
Vertrauen beruht auf dem Vertrauen<br />
in Institutionen wie Regierung,<br />
Parlament, aber auch<br />
das Wirtschaftssystem“, sagt<br />
Roth. Er hat herausgefunden,<br />
dass die Finanz- und Euro-Krise<br />
zwar keinen europaweiten Abfall<br />
des Vertrauensniveaus erzeugte,<br />
es aber große Unterschiede zwischen<br />
den EU-Ländern gibt. So<br />
wies Deutschland Ende 2012 ein<br />
höheres systemisches Vertrauensniveau<br />
auf als vor der Krise.<br />
In Spanien, Griechenland,<br />
Portugal und Irland ist das Vertrauen<br />
in die nationalen und<br />
EU-Institutionen jedoch stark<br />
gesunken. Und das hat Folgen,<br />
meint Roth. „Geringes systemisches<br />
und institutionelles Vertrauen<br />
gefährdet die Legitimität<br />
der Institutionen und das Vorhaben<br />
der Staaten, ihre Haushalte<br />
zu sanieren.“ Er warnt:„Strukturreformen<br />
sind meist zum Scheitern<br />
verurteilt, wenn die Bevölkerung<br />
ihren Regierungen das<br />
Vertrauen entzieht.“<br />
nils heisterhagen | politik@wiwo.de<br />
FOTO: GETTY IMAGES<br />
44 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Der Volkswirt<br />
WELTWIRTSCHAFT Norwegen<br />
Ende eines Märchens<br />
Mit Öl haben es die Norweger zu Reichtum geschafft. Doch die Reserven<br />
schrumpfen – und in der Wirtschaft gibt es kaum Alternativen.<br />
In neonfarbener Arbeitskluft,<br />
mit weißem Helm und Sicherheitsbrille<br />
mischte sich<br />
Tord Lien unter die Arbeiter. Es<br />
war ein Termin nach seinem<br />
Geschmack:Auf dem Ölfeld<br />
Ekofisk in der norwegischen<br />
Nordsee eröffnete der Ölminister<br />
eine neue Bohrplattform. In<br />
seiner Rede wählte der Politiker<br />
der rechtspopulistischen Fortschrittspartei<br />
markige Worte:<br />
„Hier steht ein Grundpfeiler für<br />
den Aufstieg Norwegens zur<br />
Energienation.“<br />
Das war 2013. Ein Jahr später<br />
dürfte Lien ein wenig von seinem<br />
Optimismus verloren haben.<br />
Denn die Ölindustrie des<br />
Landes ist ins Schlingern geraten.<br />
In den ersten sieben Monaten<br />
des Jahres brachen die<br />
staatlichen Einnahmen aus der<br />
Petroleumsteuer um 20 Prozent<br />
im Vergleich zum Vorjahr ein.<br />
Bis Ende des Jahres sollen bis zu<br />
4,5 Milliarden Euro weniger an<br />
den Staat fließen als gedacht –<br />
wegen geringerer Produktion,<br />
aber auch wegen des sinkenden<br />
Ölpreises. Die Petroleumsteuer<br />
müssen alle Unternehmen zahlen,<br />
die Öl und Gas vor der norwegischen<br />
Küste fördern. Sie ist<br />
der größte Posten bei den norwegischen<br />
Staatseinnahmen –<br />
und ein Indikator für den Zustand<br />
der gesamten Branche.<br />
RESERVEN FÜR 9 JAHRE<br />
„Norwegen ist noch immer zu<br />
stark von der Ölbranche abhängig“,<br />
warnt Elisabeth Andrae,<br />
Ökonomin bei Commerzbank<br />
Research. Öl und Gas machten<br />
2013 knapp 60 Prozent aller Exporte<br />
aus. Eine nachhaltige Diversifizierung<br />
der Wirtschaft,<br />
von der Politik immer mal wieder<br />
angekündigt, ist bislang<br />
ausgeblieben.<br />
Die wichtigste Ölmesse des<br />
Landes (Offshore Northern Sea)<br />
stand in diesem Jahr zwar unter<br />
dem Motto „Change“. Doch der<br />
Ölminister möchte <strong>vom</strong> Wandel<br />
nicht viel wissen. Sein Credo:<br />
„Wir müssen unsere Ölproduktion<br />
erhöhen, um unseren<br />
Wohlfahrtsstaat zu finanzieren.“<br />
Liens Ziel ist es, die Produktion<br />
auf 90 Prozent des heutigen Niveaus<br />
zu halten. Doch wie soll<br />
das gehen? Seit 2000 ist die Ölproduktion<br />
stark rückläufig;<br />
jährlich wird heute nur noch<br />
die Hälfte aus dem Meeresboden<br />
vor der Küste geholt wie damals.<br />
Nach Analysen der US-<br />
Energiebehörde EIA liegen vor<br />
Noch guter Dinge Ölminister Tord Lien<br />
(rechts) beim Besuch einer Ölplattform<br />
Norwegen ist eines der reichsten<br />
Länder der Welt...<br />
BIP pro Kopf<br />
(in 1000 Dollar)<br />
1 Luxemburg<br />
2 Norwegen<br />
3 Katar<br />
4 Schweiz<br />
5 Australien<br />
6 Dänemark<br />
7 Schweden<br />
8 Singapur<br />
9 USA<br />
10 Kanada<br />
.<br />
18 Deutschland<br />
Quelle: IWF, BP<br />
110,4<br />
100,3<br />
100,2<br />
81,3<br />
64,9<br />
59,2<br />
57,9<br />
54,8<br />
53,1<br />
52,0<br />
45,0<br />
Norwegen nur noch 5,83 Milliarden<br />
Barrel Ölreserven, die<br />
sich nach heutigem Stand technisch<br />
und wirtschaftlich ausbeuten<br />
ließen. Bei der aktuellen<br />
Ausbeutungsgeschwindigkeit<br />
von knapp 1,8 Millionen Barrel<br />
pro Tag würde das nur noch für<br />
knapp neun Jahre reichen.<br />
Zwar hofft das norwegische<br />
Energieministerium auf weitere<br />
6,4 Milliarden Barrel in entdeckten<br />
Feldern. Allerdings<br />
sind diese Zahlen unsicher.<br />
Hinzu kommt:Einige der Quellen<br />
können in den nächsten<br />
Jahren kaum angezapft werden<br />
– aus Kostengründen. Vielversprechende<br />
Funde liegen in<br />
...doch die Quelle des Wohlstands<br />
ist in Gefahr<br />
Norwegische Ölproduktion pro Tag<br />
(in 1000 Barrel)<br />
3500<br />
3000<br />
2500<br />
2000<br />
1500<br />
2000<br />
2013<br />
arktischen Gewässern, etwa der<br />
Barentssee. Doch angesichts<br />
rückläufiger Weltmarktpreise<br />
und teurer Technologie ist ein<br />
Ausbau riskant. Im Juni kündigte<br />
der Konzern Statoil überraschend<br />
zwei Verträge mit Bohrplattformen.<br />
Ein mit Gazprom<br />
begonnenes Großprojekt in der<br />
Barentssee – das Gasfeld Stockmann<br />
– liegt seit 2011 auf Eis.<br />
Das norwegische Statistikamt<br />
rechnet für 2015 mit einem<br />
Rückgang der Investitionen in<br />
die Ölbranche um 7,5 Prozent.<br />
Manche Analysten befürchten<br />
sogar einen Einbruch um bis zu<br />
20 Prozent. Ein Grund dafür sei,<br />
dass einige Projekte bereits in<br />
der letzten Investitionsphase<br />
stünden, während neue Felder<br />
nicht so schnell erschlossen<br />
werden wie geplant.<br />
20 000 JOBS IN GEFAHR<br />
Im Februar verkündete Statoil<br />
Sparmaßnahmen in Höhe von<br />
knapp einer Milliarde Euro. Bis<br />
zu 1400 Stellen könnten wegfallen.<br />
Bjørn Asle Teige, Chef des<br />
Gewerkschaftsverbandes YS,<br />
fürchtet sogar noch größere<br />
Konsequenzen: „Vorsichtig geschätzt<br />
könnten bis zu 10 000<br />
Stellen verschwinden.“ Beziehe<br />
man alle Dienstleister ein,<br />
könnte die Branche um bis zu<br />
20 000 Stellen ärmer werden. In<br />
Norwegen arbeiten 250 000<br />
Menschen in der Ölindustrie.<br />
Dabei war es das Öl, das Norwegen<br />
zu einem der reichsten<br />
Länder der Welt gemacht hat.<br />
Das „Ölmärchen“, wie das prosperierende<br />
Zeitalter mit fossilen<br />
Brennstoffen in Norwegen genannt<br />
wird, begann Mitte der<br />
Siebzigerjahre, als große Funde<br />
ausländische Investoren anlockten.<br />
Durch den Ölboom<br />
stieg das Pro-Kopf-Einkommen<br />
von 3600 auf 72 200 Euro.<br />
Wirklich verarmen dürften<br />
die Nordländer daher auch bei<br />
einer anhaltenden Krise nicht:<br />
Der norwegische Staatsfonds,<br />
in den die Petroleumsteuer<br />
fließt, verwaltet immer noch<br />
rund 680 Milliarden Euro.<br />
matthias streit | politik@wiwo.de<br />
FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA/SCANPIX<br />
46 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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DENKFABRIK | Mit den angekündigten Käufen von kreditbesicherten Wertpapieren<br />
übernimmt die Europäische Zentralbank die Ausfallrisiken der Banken und überträgt<br />
sie auf die Steuerzahler. Damit überschreitet die EZB erneut ihr geldpolitisches Mandat.<br />
Die Bundesregierung ist verpflichtet, dagegen vorzugehen. Von Hans-Werner Sinn<br />
Mutation zur Bad Bank<br />
FOTOS: ROBERT BREMBECK FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, SIMONE M. NEUMANN<br />
Gegen den Protest der<br />
Bundesbank greift<br />
die Europäische Zentralbank<br />
(EZB) den<br />
Banken Südeuropas ein weiteres<br />
Mal unter die Arme. Sie<br />
will ihnen einen Teil ihrer toxischen<br />
Kreditforderungen<br />
gegen den privaten Sektor abnehmen,<br />
um sie für die Bankenunion<br />
fit zu machen. Dazu<br />
sollen die Banken ihre Kreditforderungen<br />
zu ABS-Papieren<br />
bündeln und an die EZB verkaufen.<br />
Am liebsten würde<br />
die EZB nur die besseren<br />
Tranchen dieser Papiere erwerben<br />
und der Europäischen<br />
Investitionsbank den Schrott<br />
überlassen. Da aber die Politik<br />
nicht mitmacht, wird sie sich<br />
die Hände selbst schmutzig<br />
machen müssen – und zur<br />
Bail-out-Behörde mutieren.<br />
DIE FINGER VERBRANNT<br />
Die EZB begann als eine Zentralbank,<br />
die Geldpolitik betreibt.<br />
Sie gewährte den nationalen<br />
Mitgliedszentralbanken<br />
das Recht, lokalen Geschäftsbanken<br />
gegen hohe Sicherheiten<br />
kurzfristig gerade so viel<br />
Geld zu leihen, wie als Transaktionsmittel<br />
in den jeweiligen<br />
Ländern benötigt wurde. Aber<br />
schon als im Jahr 2008 die Finanzkrise<br />
ausbrach, gewährte<br />
sie den Ländern Südeuropas<br />
und Irlands fiskalische Ersatzkredite<br />
für die wegbrechenden<br />
privaten Kredite, die aus dem<br />
Ausland gekommen waren. Sie<br />
erlaubte es den nationalen Notenbanken<br />
der sechs europäischen<br />
Krisenländer nicht nur,<br />
das Geld zu drucken und an die<br />
Banken zu verleihen, das für<br />
die Liquiditätsversorgung im Inneren<br />
benötigt wurde, sondern<br />
gab ihnen eine Druckerlaubnis<br />
für weitere 1000 Milliarden Euro<br />
(Target-Kredit). Damit konnten<br />
die Bürger dieser Länder ihre<br />
Auslandsschulden tilgen sowie<br />
ausländische Vermögenswerte<br />
und Güter erwerben.<br />
Dann wies der EZB-Rat die Notenbanken<br />
seiner Mitgliedsländer<br />
an, den Krisenstaaten für 223<br />
Milliarden Euro direkt Kredit zu<br />
gewähren (SMP-Programm), und<br />
gab ein unbegrenztes Schutzversprechen<br />
für deren Staatspapiere<br />
ab (OMT-Programm). Das<br />
senkte die Zinsen, zu denen sich<br />
die Krisenländer verschulden<br />
konnten, und setzte die Verschuldungslawine<br />
wieder in Gang.<br />
»Die Politik<br />
dürfte stillhalten<br />
und die Mandatsüberschreitung<br />
der EZB<br />
verharmlosen«<br />
Diese Maßnahmen dienten<br />
dem Bail-out, also der Rettung<br />
überschuldeter Banken und<br />
Staaten sowie ihrer internationalen<br />
Gläubiger. Sie lenkten aber<br />
auch neues Investitionskapital<br />
wieder dahin, wo es eigentlich<br />
nicht hinwollte, weil sich Investoren<br />
bereits die Finger verbrannt<br />
hatten.<br />
So umfassend die Maßnahmen<br />
waren, sie könnten sich gegenüber<br />
dem, was nun kommt, als<br />
zweitrangig erweisen. Die EZB<br />
betritt mit der direkten Kreditvergabe<br />
an den Privatsektor ein wesentlich<br />
größeres Feld als jemals<br />
zuvor. Dass der EZB-Präsident<br />
ankündigt, er wolle die EZB-Bilanz<br />
schon im ersten Schritt um<br />
eine Billion Euro erhöhen, zeigt,<br />
wohin die Reise geht.<br />
Viele private Kreditnehmer<br />
Südeuropas, allen voran Unternehmen<br />
der Bau- und Immobilienwirtschaft,<br />
stehen nach dem<br />
Platzen der Immobilienblase am<br />
Rande der Pleite. Mit ihnen tun<br />
es ihre Banken. Mit den ABS-<br />
Käufen werden die absehbaren<br />
Abschreibungsverluste der Banken<br />
sozialisiert – und es werden<br />
Risiken von vielen Hunderten von<br />
Milliarden Euro von den Gläubigern<br />
dieser Banken auf die Steuerzahler<br />
in der Euro-Zone übertragen.<br />
Die EZB mutiert, wie der<br />
Ex-Bundesbank-Präsident und<br />
jetzige UBS-Chef Axel Weber<br />
feststellt, zur Bad Bank.<br />
Die EZB begründet ihre ABS-<br />
Käufe mit einer angeblichen Deflationsgefahr.<br />
Doch angesichts<br />
einer immer noch vorhandenen,<br />
wenn auch schwachen Inflation<br />
(die Kerninflationsrate liegt bei<br />
0,9 Prozent), wirkt dieses Argument<br />
vorgeschoben. Im Übrigen<br />
ist die Deflation für Südeuropa<br />
keine Gefahr, sondern notwendige<br />
Voraussetzung für die Wiederherstellung<br />
der Wettbewerbsfähigkeit.<br />
Es geht in Wahrheit um<br />
eine fiskalische Rettungsmaßnahme,<br />
die in den Bereich der<br />
Wirtschaftspolitik gehört und<br />
der EZB nicht zusteht. Abermals<br />
überschreitet die EZB ihr<br />
Mandat, das dem Vertrag von<br />
Maastricht zufolge auf die<br />
Geldpolitik beschränkt ist und<br />
wirtschaftspolitische Maßnahmen<br />
explizit untersagt. Eine<br />
Mandatsüberschreitung hatte<br />
das Bundesverfassungsgericht<br />
bereits wegen des OMT-Programms<br />
konstatiert.<br />
VON MERKEL GEDECKT<br />
Doch wiederum dürfte die Politik<br />
stillhalten und die Mandatsüberschreitung<br />
dulden und öffentlich<br />
verharmlosen. Wie<br />
schon beim OMT-Programm<br />
werden die Regierungen der<br />
Euro-Zone der EZB sogar dankbar<br />
sein, dass sie sich nicht mit<br />
ihren knausrigen Parlamenten<br />
herumschlagen müssen. Das<br />
„whatever it takes“ hätte Mario<br />
Draghi nie gewagt, wenn er dafür<br />
im Juni 2012 nicht die Rückendeckung<br />
der Regierungschefs<br />
und speziell von Angela<br />
Merkel erhalten hätte. So jedenfalls<br />
die Aussage des ehemaligen<br />
italienischen Regierungschefs<br />
Mario Monti am<br />
18. September 2014 in Rom.<br />
Das Problem ist nur, dass das<br />
Verfassungsgericht der Bundesregierung<br />
im Februar ausdrücklich<br />
verboten hat, Mandatsüberschreitungen<br />
tatenlos<br />
zuzusehen, geschweige denn<br />
sie zu billigen. Sie ist vielmehr<br />
verpflichtet, dagegen vorzugehen.<br />
Tut sie es nicht, kann sie<br />
jeder Bürger vor dem Verfassungsgericht<br />
dazu zwingen.<br />
Hans-Werner Sinn ist Präsident<br />
des ifo Instituts und Ordinarius<br />
an der Ludwig-Maximilians-<br />
Universität in München.<br />
WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 47<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Wettlauf um die Claims<br />
FIRMENÜBERNAHMEN | Das Trauma der gescheiterten Fusionen in den USA ist passé.<br />
Deutsche Konzerne zahlen Spitzenpreise für Rekordakquisitionen in den Vereinigten<br />
Staaten, weil sie spät dran sind. Dafür sind sie besser vorbereitet als früher. Und<br />
Alternativen gibt es kaum, auch wenn es im Einzelfall noch kräftig knirschen dürfte.<br />
Das Wunderwerk hört auf das<br />
graue Kürzel LNGO und passt<br />
in einen Standardschiffscontainer.<br />
Doch die Maschine hat<br />
es in sich. Sie kann täglich<br />
mehr als 22 000 Liter Erdgas verflüssigen<br />
und so transportfähig machen. Zum Einsatz<br />
kommen soll sie auf den zahlreichen<br />
neuen Schiefergasfeldern in den USA, die<br />
nicht an Pipelines angeschlossen sind.<br />
Wenn die Anlage nicht mehr gebraucht<br />
wird, lässt sie sich ohne größeren Aufwand<br />
zum nächsten Bohrloch verfrachten.<br />
Zusammengeschraubt haben die Anlage<br />
Ingenieure des amerikanischen Unternehmens<br />
Dresser-Rand. Das hat noch weitere<br />
Maschinen im Angebot, die Erdgas fördern<br />
und transportieren. Seit die USA mithilfe<br />
von Wasser und umstrittenen Chemikalien<br />
immer mehr Öl und Gas aus tiefen Gesteinsschichten<br />
schwitzen, sind Anlagen<br />
aus dem texanischen Houston ein Renner.<br />
Das sollen sie künftig für Siemens werden.<br />
Nachdem der Münchner Technologiekonzern<br />
schon vor Jahren Interesse an<br />
Dresser-Rand bekundet hatte, schlug Konzernchef<br />
Joe Kaeser in der Nacht zum<br />
Montag vergangener Woche zu. Umgerechnet<br />
5,8 Milliarden Euro wollen die Bayern<br />
für die Übernahme lockermachen.<br />
Damit reiht sich Siemens ein in einen<br />
Aufkauf historischen Ausmaßes (siehe<br />
Grafik Seite 55). Innerhalb von nicht einmal<br />
zwei Wochen haben sich deutsche<br />
Konzerne US-Unternehmen für hohe Milliardenbeträge<br />
unter den Nagel gerissen.<br />
Neben Siemens jagten der Darmstädter<br />
Pharmakonzern Merck, der Autozulieferer<br />
ZF Friedrichshafen und der Softwareriese<br />
SAP den Wert deutscher Firmenübernahmen<br />
in den USA auf ein jährliches Allzeithoch<br />
von 69 Milliarden Dollar. US-Zeitungen<br />
von „Wall Street Journal“ bis „New York<br />
Times“ berichteten verwundert wie anerkennend<br />
über die „deutsche Shoppingtour“.<br />
Was wie ein lockerer Durchmarsch anmutet,<br />
ist vielfach teuer erkauft und birgt<br />
gewaltige Risiken. Wer sich in den USA engagiert,<br />
der betritt gefährliches Gelände.<br />
Das zeigten in der jüngeren Vergangenheit<br />
schauderhafte Fälle wie die misslungene<br />
Fusion von Daimler und Chrysler und der<br />
VOLLE ENERGIE<br />
Mit der Übernahme von Dresser-Rand will<br />
Siemens-Chef Joe Kaeser am Öl- und<br />
Gasboom in den USA mitverdienen. Dafür<br />
zahlt er einen extrem hohen Preis<br />
gescheiterte Angriff der Deutschen Post<br />
auf die US-Marktführer UPS und Fedex.<br />
Doch die Erinnerung an diese Niederlagen<br />
ist verblasst, die Lage deutlich anders<br />
als vor 10, 15 Jahren. Speisten sich Übernahmen<br />
damals vielfach aus Großmannssucht,<br />
gibt es heute für sie gute Gründe.<br />
Deutsche Unternehmen haben sich in den<br />
vergangenen Krisenjahren wackerer geschlagen<br />
als viele internationale Wettbewerber<br />
und reichlich Bargeld angehäuft,<br />
das sie nun sinnvoll einsetzen wollen. Die<br />
Zinsen sind historisch niedrig und wirken<br />
gleich doppelt: Zum einen fehlen den Unternehmen<br />
attraktive Möglichkeiten, gehortete<br />
Milliarden profitabel anzulegen,<br />
zum andern lassen sich Zukäufe so selten<br />
günstig finanzieren.<br />
WIEDER VERTRAUEN<br />
Dass der Blick da vor allem nach Amerika<br />
geht, ist nur konsequent. In Europa sind<br />
die konjunkturellen Aussichten für weiteres<br />
Wachstum begrenzt, größere Zukäufe<br />
verhindert zudem das strenge Kartellrecht.<br />
Die USA dagegen haben sich erholt und<br />
bieten nicht zuletzt dank niedriger Energiekosten<br />
und mäßiger Löhne auch Industrieunternehmen<br />
verlockende Perspektiven.<br />
Und anders als etwa asiatische<br />
Schwellenländer gelten sie als politisch<br />
und rechtlich verlässlich.<br />
Hinterhergeworfen bekommen die Unternehmen<br />
ihre US-Wunschkandidaten<br />
deswegen allerdings nicht. Denn das gute<br />
Übernahmeklima hat sich längst herumgesprochen<br />
und die Bewertungen der US-<br />
Unternehmen in die Höhe getrieben. Zudem<br />
macht der im Vergleich zum Dollar<br />
zuletzt gefallene Euro-Kurs Zukäufe für<br />
»<br />
FOTO: LAIF/WOLFGANG STAHR<br />
50 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Warum deutsche Konzerne<br />
jetzt in den USA zuschlagen<br />
• Stagnierender Absatz in Europa<br />
• Wachstum und Reindustrialisierung in den USA<br />
• Fallende Energiepreise durch Schiefergas und Öl<br />
• Volle Konzernkassen<br />
• Geringe Finanzierungskosten durch niedrige Zinsen<br />
Auf Allzeithoch<br />
Firmenkäufe deutscher Unternehmen in den USA<br />
(Volumen in Milliarden Dollar)<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
96 98 00 02 04 06 08 10 12 14<br />
WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 51<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
Gefährliches Gelände<br />
WAGNIS AMERIKA<br />
Fast zehn Milliarden Euro gibt ZF-Chef<br />
Stefan Sommer für den Kauf des<br />
US-Autozulieferers TRW aus. Die Produkte<br />
passen gut zusammen – die Kulturen auch?<br />
deutsche Unternehmen zusätzlich teuer.<br />
Die Preise, die Merck, Siemens und Co.<br />
bezahlen, gelten zumindest als sportlich.<br />
Letztlich gibt es für deutsche Konzerne<br />
aber kaum eine Alternative, wenn sie weiter<br />
international wachsen und in der Weltspitze<br />
mitmischen wollen.<br />
Der Übernahmeboom kommt spät, aber<br />
gewaltig. In den vergangenen Monaten<br />
hatten deutsche Konzernlenker Investmentbanker<br />
und andere Berater bisweilen<br />
an den Rand der Verzweiflung gebracht.<br />
Die konnten noch so sehr schwärmen, wie<br />
verlässlich sich das volkswirtschaftliche<br />
Umfeld stabilisiert habe und wie sehr die<br />
niedrigen Leitzinsen die Kredite für Firmenübernahmen<br />
verbilligt hätten. Die Unternehmenschefs<br />
blieben unbeeindruckt.<br />
Gab es ein attraktives Ziel, blockierten zudem<br />
die Aufsichtsräte die Milliarden. Zu<br />
groß war die Sorge, dass eine große Krise<br />
wie 2008 einen Strich durch optimistische<br />
Rechnungen machen könnte.<br />
So kam es, dass deutsche Unternehmen<br />
noch 2013 vergleichsweise läppische 19<br />
Milliarden Dollar für Firmen im Ausland<br />
ausgaben. Von der weltweit bewunderten<br />
Stärke der hiesigen Industrie war da nicht<br />
viel zu spüren. Im Gegenteil: Ausländische<br />
Käufer griffen in Deutschland zu. Die größte<br />
Transaktion 2013 war die Übernahme<br />
von Kabel Deutschland durch den britischen<br />
Mobilfunkkonzern Vodafone.<br />
Nun aber ist das Vertrauen in den Chefetagen<br />
und den Aufsichtsräten zurück.<br />
„Die Rahmenbedingungen für Akquisitionen<br />
sind schon seit über zwei Jahren günstig,<br />
aber deutsche Unternehmen waren zunächst<br />
sehr vorsichtig. Jetzt nutzen sie die<br />
Position der Stärke um sich Marktzugang<br />
und Marktanteile zu sichern“, sagt Ken Oliver<br />
Fritz, Co-Chef der Investmentbank Lazard<br />
in Deutschland. „Deutsche Unternehmen<br />
haben lange auch international auf<br />
organisches Wachstum gesetzt und ergänzen<br />
die Strategie jetzt durch Übernahmen.<br />
Auch die Kapitalmärkte honorieren<br />
Wachstumsschritte“, meint auch Berthold<br />
Fürst, Leiter des deutschen Geschäfts mit<br />
Fusionen und Übernahmen bei der Deutschen<br />
Bank.<br />
Dass die deutschen Konzernbosse dafür<br />
tief in die Kasse greifen, ist offenbar Teil des<br />
Kalküls. „Angesichts der niedrigen Basiszinsen<br />
sind Prämien für attraktive Zielunternehmen<br />
unvermeidlich“, sagt Banker<br />
Erfolge und Misserfolge deutscher Unternehmen bei der Übernahme<br />
amerikanischer Wettbewerber<br />
Übernahmen<br />
Daimler/Chrysler<br />
(1998)<br />
Deutsche Post/<br />
Airborne<br />
(2003)<br />
Lufthansa/JetBlue<br />
(2008)<br />
Adidas/Reebok<br />
(2005)<br />
Bertelsmann/Random<br />
House (1998)<br />
Aldi Nord/Trader<br />
Joe's (1978)<br />
Quelle: eigene Recherchen<br />
Ziel<br />
Aufbau des weltgrößten<br />
Autokonzerns<br />
Angriff auf UPS und Fedex<br />
in den USA<br />
Kooperation mit Service-<br />
Führer, mehr Unabhängigkeit<br />
Angriff auf Nike<br />
Einstieg in US-Markt<br />
US-Rivalen und Lidl zuvorkommen<br />
Folgen<br />
Trennung 2007, circa zehn<br />
Milliarden Euro Schaden<br />
Ausstieg aus US-Express-<br />
Geschäft, schätzungsweise rund<br />
zehn Milliarden Euro Schaden<br />
Erwartungen nicht erfüllt,<br />
Ausstieg 2017<br />
Quälend lange Sanierung,<br />
sinkende Konzernmarge<br />
Heute größter Buchkonzern<br />
der Welt<br />
US-Geschäft ist Wachstumstreiber<br />
für Aldi<br />
Fazit<br />
Fürst. „Viele Unternehmen verfügen schon<br />
lange über hohe Barreserven und stehen<br />
zunehmend unter Druck, diese sinnvoll<br />
einzusetzen“, sagt Alexander Doll, Co-Chef<br />
der britischen Bank Barclays in Deutschland.<br />
Verglichen mit Aktienrückkäufen<br />
und der Anlage des Geldes zum Minizins,<br />
ist die Übernahme eines Konkurrenten oft<br />
die sinnvollste Lösung.<br />
VERDAMMT HOCH<br />
Das gilt auch für Siemens. Der Konzern hat<br />
gut acht Milliarden Euro flüssig, drei Milliarden<br />
bringt der Verkauf seiner Beteiligung<br />
an der Hausgerätegruppe BSH an Bosch<br />
zusätzlich rein. Der Konzern steht vor einem<br />
Neuanfang, der Kauf von Dresser-<br />
Rand ist die wohl letzte Möglichkeit, am<br />
Boom der Schiefergas- und Ölförderung in<br />
den USA mitzuverdienen. Wenn die<br />
Münchner das wollten, dann müssten sie<br />
„unbedingt jetzt“ zuschlagen, sagt ein Unternehmensberater.<br />
„In maximal zwei Jahren<br />
sind die Claims verteilt, um eigene Kapazitäten<br />
aufzubauen und Technik zu entwickeln,<br />
fehlt die Zeit.“ Allerdings sei der<br />
Preis, mit dem Siemens den Schweizer Rivalen<br />
Sulzer deutlich überbot und dem US-<br />
Rivalen General Electric zuvorkam, „verdammt<br />
hoch“.<br />
Der aktuelle Kaufrausch hat aber nicht<br />
nur die Preisempfindlichkeit in deutschen<br />
Vorstandsetagen herabgesetzt. Auch andere<br />
dortige Gepflogenheiten haben ihren<br />
Schrecken verloren und gelten als kalkulierbares<br />
Risiko. „Die Unternehmen nehmen<br />
mit ihren Akquisitionen auch rechtliche<br />
Risiken in Kauf. Dazu zählen etwa das<br />
amerikanische Schadensersatzrecht mit<br />
seinen hohen Strafzahlungen und die<br />
komplexen Vorgaben der Börsenaufsicht<br />
SEC“, sagt Nikolaos Paschos, auf Übernahmen<br />
spezialisierter Anwalt bei der Kanzlei<br />
Linklaters in Düsseldorf.<br />
Auch Statistiken, nach denen die meisten<br />
Fusionen ihre Ziele nicht erreichen,<br />
hemmen den Drang nach Größe kaum.<br />
„Das Vorgehen bei Übernahmen hat sich<br />
in den vergangenen zehn Jahren deutlich<br />
professionalisiert“, sagt Matthias Rückriegel,<br />
Partner bei der Unternehmensberatung<br />
Roland Berger. Früher glaubten Vorstände<br />
noch, dass ihre Arbeit mit dem Abschluss<br />
des Kaufvertrages erledigt sei. Das<br />
hat sich geändert. „Viele haben heute mehr<br />
internationale Führungskräfte und stehen<br />
anderen Unternehmenskulturen offener<br />
gegenüber“, sagt Rückriegel.<br />
So hat der deutsche Softwarekonzern<br />
SAP längst ein zweites festes Quartier in<br />
»<br />
FOTO: DDP IMAGES/DAPD/DANIEL MAURER; INFOGRAFIK: STEFFEN MACKERT<br />
52 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Teuer, riskant, aber nötig<br />
Was die Großübernahmen deutscher Konzerne in den USA bringen<br />
Siemens (D)<br />
(Oil & Gas)<br />
Umsatz: 5,2 Mrd €<br />
Gewinn*: 433 Mio €<br />
Hauptprodukte:<br />
Turbinen, Kompressoren,<br />
Pumpen, Anlagen zur<br />
Öl- und Gasförderung<br />
$<br />
Übernahmepreis<br />
7,6<br />
Mrd.<br />
Dresser-Rand (USA)<br />
Umsatz: 2,3 Mrd €<br />
Gewinn*: 244 Mio €<br />
Hauptprodukte:<br />
Anlagen zur Förderung<br />
von Schiefergas und -öl<br />
sowie zur Gasverflüssigung;<br />
Ausrüstung für Raffinerien<br />
Logik: Siemens verschafft sich ein starkes Standbein<br />
im boomenden Geschäft mit der Förderung von Öl<br />
und Schiefergas in den USA.<br />
Chancen: Über Dresser-Rand kann Siemens künftig<br />
weitere Produkte wie etwa Automatisierungstechnik<br />
verkaufen.<br />
Risiken: Amortisation des hohen Kaufpreises<br />
Fazit: Ab 2016 rechnet Siemens mit einer weiter<br />
anziehenden Konjunktur in der Öl- und Gasförderung.<br />
SAP (D)<br />
Umsatz: 16,8 Mrd €<br />
Gewinn*: 4,5 Mrd €<br />
Hauptprodukte:<br />
Firmensoftware<br />
$<br />
Übernahmepreis<br />
8,3<br />
Mrd.<br />
Concur<br />
Technologies (USA)<br />
Umsatz: ca. 544 Mio €<br />
Verlust: 17,4 Mio. €<br />
Hauptprodukte:<br />
Software für Firmenreisen,<br />
Cloud Computing<br />
Logik: Stärkung des Geschäfts mit Cloud Computing.<br />
Chancen: Großes Wachstum der Geschäftsreise-<br />
Software im Cloud-Markt mit Concur als Marktführer.<br />
Risiken: Verschuldung verdoppelt sich, weniger<br />
Spielraum für weitere Zukäufe.<br />
Fazit: SAP erreicht neue Kunden im US-Markt, die<br />
sich auch für andere SAP-Produkte interessieren<br />
könnten.<br />
ZF<br />
Friedrichshafen (D)<br />
Umsatz: 16,8 Mrd €<br />
Gewinn*: 756 Mio €<br />
Hauptprodukte:<br />
Getriebe, Dämpfer,<br />
Fahrwerksysteme<br />
$<br />
Übernahmepreis<br />
13,5<br />
Mrd.<br />
TRW Automotive<br />
(USA)<br />
Umsatz: 12,7 Mrd €<br />
Gewinn*: 891,2 Mio €<br />
Hauptprodukte:<br />
Elektrische Lenkungen,<br />
ABS, Fahrerassistenzsysteme<br />
Logik: Anschluß an Bosch und Continental, stärkere<br />
Position gegenüber Autoherstellern, schließt technologische<br />
Lücken in der Elektronik, stärkere Präsenz in<br />
den USA und China.<br />
Chancen: Erweiterung der Produktpalette, stärker in<br />
regionalen Märkten wie den USA und China.<br />
Risiken: Unterschiedliche Firmenkulturen, Fusion<br />
bindet enorme Managementkapazitäten.<br />
Fazit: Erfolg hängt davon ab, wie schnell die künftige<br />
Unternehmensstruktur und neue Verantwortlichkeiten<br />
installiert werden.<br />
Bayer (D)<br />
Umsatz: 40,2 Mrd €<br />
Gewinn*: 4,9 Mrd €<br />
Bekannte Marken:<br />
Aspirin, Alka Seltzer,<br />
Rennie, Bepanthen<br />
$<br />
Übernahmepreis<br />
14,2<br />
Mrd.<br />
Merck & Co (USA)<br />
Umsatz (OTC): 1,4 Mrd €<br />
Gewinn**: 495 Mio €<br />
Bekannte Marken:<br />
Scholl (Fußpflege),<br />
Claritin (Allergiemittel)<br />
Logik: Ausbau des Geschäfts mit frei verkäuflichen<br />
Medikamenten.<br />
Chancen: Gute Ergänzung der Produktpalette,<br />
stabiles und margenstarkes Geschäft mit<br />
rezeptfreien Medikamenten.<br />
Risiken: Hoher Preis, dadurch wachsende<br />
Verschuldung.<br />
Fazit: Logischer Schritt auf dem Weg zur angepeilten<br />
Weltmarktführerschaft im Geschäft mit nicht<br />
verschreibungspflichtigen Präparaten.<br />
Merck (D)<br />
Umsatz: 10,7 Mrd €<br />
Gewinn*: 1,6 Mrd €<br />
Hauptprodukte:<br />
Medikamente, Flüssigkristalle,<br />
Chemikalien<br />
$<br />
Übernahmepreis<br />
17,0<br />
Mrd.<br />
Sigma-Aldrich (USA)<br />
Umsatz: 2,1 Mrd €<br />
Gewinn*: 515 Mio €<br />
Hauptprodukte:<br />
Laborausrüstung,<br />
Chemikalien<br />
Logik: Stärkung des Laborgeschäfts, Ergänzung zum<br />
2010 übernommenen US-Hersteller Millipore.<br />
Chancen: Einnahmen für Laborausstattung sind<br />
verlässlicher als Erträge aus dem riskanteren<br />
Pharmageschäft.<br />
Risiken: Netto-Finanzverschuldung dürfte von<br />
2 auf bis zu 15 Milliarden Euro explodieren.<br />
Fazit: Nach Rückschlägen bei neuen Medikamenten<br />
Aussicht auf ruhigeres Fahrwasser.<br />
* vor Zinsen und Steuern (Ebit); ** vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda); Quelle: Unternehmen, eigene Recherche<br />
WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 53<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
den USA. Der weltweit führende Anbieter<br />
für Unternehmenssoftware hat 8,3 Milliarden<br />
Dollar für das US-Unternehmen<br />
Concur ausgegeben – die bisher größte<br />
Übernahme der Firmengeschichte. Concur<br />
programmiert Software zur Buchung und<br />
Abrechnung von Reisen. Interessant ist das<br />
für SAP nicht so sehr deshalb, weil die USA<br />
weiter der mit Abstand größte Softwaremarkt<br />
sind, sondern vor allem weil sich die<br />
Vorgänge bei Concur komplett internetbasiert<br />
abspielen. Dort, in der sogenannten<br />
Cloud, sieht SAP-Chef Bill McDermott die<br />
Zukunft seines Unternehmens.<br />
KULTURELL RISKANT<br />
Seit 2007 hat SAP etliche Zukäufe in Milliardenhöhe<br />
gestemmt. Dabei erschienen<br />
auch die Preise für Unternehmen namens<br />
Successfactors und Ariba zunächst hoch.<br />
Inzwischen haben sich die Zukäufe aber<br />
als richtig und sogar relativ günstig erwiesen.<br />
Und die Nordbadener wissen nun, wie<br />
man große Brocken halbwegs reibungsund<br />
geräuschlos integriert. Zudem weilt<br />
Aufsichtsratschef und Konzernübervater<br />
Hasso Plattner einen großen Teil seiner<br />
Zeit in den USA, während der Amerikaner<br />
Wolke mit Aussicht<br />
SAP war schon vor dem Kauf von Concur<br />
teils amerikanisch, teils deutsch, mit<br />
Bill McDermott an der Konzern- und Hasso<br />
Plattner an der Aufsichtsratsspitze<br />
McDermott den Konzern <strong>vom</strong> beschaulichen<br />
badischen Walldorf aus steuert – eine<br />
beispiellose Konstellation.<br />
Auch für den Darmstädter Pharma- und<br />
Chemiekonzern Merck sind die USA kein<br />
vermintes Gelände mehr. Bereits 2010 hatte<br />
das Unternehmen zugeschlagen und für<br />
fünf Milliarden Euro den Laborausrüster<br />
Millipore übernommen. Verglichen mit<br />
dem aktuellen Zukauf, war das fast ein<br />
Klacks. Die Übernahme des US-Laborausrüsters<br />
Sigma Aldrich für umgerechnet 13<br />
Milliarden Euro ist der größten Zukauf in<br />
seiner fast 350-jährigen Geschichte. Merck<br />
will damit seine Stellung im weltweiten Geschäft<br />
mit Laborreagenzien und vor allem<br />
seine Marktposition in Nordamerika ausbauen.<br />
Dort erzielten die Darmstädter derzeit<br />
nur etwa 19 Prozent ihres Jahresumsatzes<br />
von etwa elf Milliarden Euro.<br />
Obwohl die USA mit Abstand der größte<br />
Markt sind, waren Übernahmen großer<br />
Pharmaunternehmen bisher die Ausnahme.<br />
Den Startschuss zum großen Sprung<br />
über den Teich gab im Frühjahr dieses Jahres<br />
Bayer-Chef Marijn Dekkers, indem er<br />
das Geschäft mit rezeptfreien Medikamenten<br />
<strong>vom</strong> US-Konzern Merck & Co. übernahm.<br />
Der hat nichts mit Merck in Darmstadt<br />
zu tun, besitzt aber bekannte Marken<br />
wie das Fußpflege-Label Scholl.<br />
Mit größerer Spannung als bei Siemens,<br />
SAP oder Merck werden Branchenkenner<br />
beobachten, wie sich der Getriebehersteller<br />
ZF mit seiner Erwerbung in den USA<br />
schlagen wird. Zwar gilt Experten die Elek-<br />
FOTO: LAIF/VU/NICK CUBBIN, PR (5)<br />
Kleiner, wendiger, schneller...<br />
Die künftigen neun Divisionen von Siemens und ihre Bedeutung für den Konzern nach der Übernahme von Dresser-Rand<br />
Divisionen:<br />
Produkte und<br />
Anwendungen:<br />
Angestrebte<br />
Marge<br />
(in Prozent):<br />
POWER AND GAS<br />
11–15<br />
Gasturbinen,<br />
Dampfturbinen,<br />
Energiegewinnung<br />
aus Schiefergas<br />
WIND POWER AND<br />
RENEWABLES<br />
5–8<br />
Windkraftanlagen<br />
ENERGY MANAGEMENT<br />
11–15<br />
Stromübertragung,<br />
Kraftwerkssteuerung,<br />
Transformatoren<br />
BUILDING<br />
TECHNOLOGIES<br />
8–11<br />
Gebäudesicherheit,<br />
Brandschutz,<br />
Gebäudeautomatisierung<br />
Zuständigkeit<br />
im Vorstand:<br />
Lisa Davis<br />
Lisa Davis<br />
Lisa Davis<br />
Roland Busch<br />
Divisionen:<br />
Produkte und<br />
Anwendungen:<br />
Angestrebte<br />
Marge<br />
(in Prozent):<br />
Zuständigkeit<br />
im Vorstand:<br />
DIGITAL FACTORY PROCESS INDUSTRIES<br />
FINANCIAL SERVICES MOBILITY<br />
AND DRIVES<br />
Software zur<br />
Steuerung von<br />
Fertigungsprozessen,<br />
Industrieroboter<br />
14–20 8–12 15–20 6–9<br />
Klaus Helmrich Klaus Helmrich Ralf Thomas<br />
Industrieautomatisierung<br />
Finanzdienstleistungen<br />
Hochgeschwindigkeitszüge,<br />
U-Bahnen,<br />
Straßenbahnen,<br />
Zugleitsysteme<br />
Roland Busch<br />
Quelle: Siemens<br />
54 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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tronik- und Digitalexpertise von TRW Automotive<br />
als „komplementär“ zur ZF-Produktpalette,<br />
der US-Zweig ergänzt also das<br />
bisherige Geschäft. Zudem schließt das<br />
Unternehmen aus Friedrichshafen am Bodensee<br />
sowohl bei der Größe als auch bei<br />
der Digitalisierung des Autos zu den<br />
Marktführern Bosch und Continental auf.<br />
Doch ob die zehn Milliarden Euro – die<br />
mit Abstand größte Übernahme in der fast<br />
100-jährigen Firmengeschichte – sich auszahlen,<br />
wird sich bei ZF und TRW auf dem<br />
Gebiet der Firmenkultur entscheiden. Mit<br />
einem Umsatz von fast 13 Milliarden Euro<br />
wenig kleiner, ist TRW ein börsennotiertes<br />
Unternehmen, das nach den Regeln und<br />
Erfordernissen des Kapitalmarktes tickt,<br />
während ZF als Stiftungsunternehmen<br />
agiert, mit Friedrichshafens Oberbürgermeister<br />
im Aufsichtsrat. Der Zusammenschluss<br />
sei deshalb „kulturell riskant“, sagt<br />
der Manager einer internationalen Unternehmensberatung.<br />
„Das wird knirschen.“<br />
Experten gehen davon aus, dass die<br />
Großübernahmen in den USA in naher Zukunft<br />
nicht die einzigen bleiben werden.<br />
Zwar werde der Boom nicht mit gleicher<br />
Intensität weitergehen. Da sich an den<br />
Weltweit auf Wachstumssuche<br />
Zukäufe deutscher Unternehmen im Ausland<br />
(Volumen in Mrd. US-Dollar)<br />
2007<br />
2008<br />
2009<br />
2010<br />
2011<br />
2012<br />
2013<br />
2014<br />
Quelle: Dealogic<br />
34<br />
37<br />
25<br />
43<br />
19<br />
62<br />
Rahmenbedingungen bis auf Weiteres wenig<br />
ändern dürfte, würde es aber immer<br />
wieder auch zu Mammuttransaktionen<br />
speziell in den USA kommen.<br />
Denn die Vereinigten Staaten durchleben<br />
gerade eine Reindustrialisierung, die<br />
sich zu einer Zeitenwende entwickeln<br />
dürfte. Seit 2010 kletterte die Zahl der US-<br />
Jobs in der industriellen Fertigung um<br />
rund 600 000 – Tendenz: weiter so. Von<br />
2015 werden die Gesamtkosten der Produktion<br />
in den USA laut einer Studie von<br />
Boston Consulting nicht mehr höher sein<br />
97<br />
165<br />
als in China. Die USA wären dann einer der<br />
günstigsten Produktionsstandorte der<br />
Welt. Die Lohnstückkosten in den USA<br />
sind seit 2000 nahezu unverändert, auch<br />
bei den Energiepreisen werden sie international<br />
kaum noch unterboten. Das Wachstum<br />
der Bevölkerung von derzeit 318 auf<br />
rund 400 Millionen Amerikaner im Jahr<br />
2050 dürfte zudem für einen ausreichenden<br />
Nachschub an Arbeitskräften sorgen.<br />
Aspiranten, die dies für Akquisitionen in<br />
den USA nutzen wollen, gibt es genug. Der<br />
Duisburger Standhandelskonzern Klöckner<br />
& Co hat die USA zum „Kernwachstumsmarkt“<br />
erklärt. Über 50 Standorte hat<br />
das Unternehmen in den USA bereits. Das<br />
ist Konzernchef Gisbert Rühl („Die USA<br />
sind der bessere Industriestandort“) nicht<br />
genug. „Wir schauen uns laufend Übernahmekandidaten<br />
in den USA an“, heißt es<br />
aus Rühls Umfeld.<br />
Das Trauma der „Heirat im Himmel“, wie<br />
Ex-Daimler-Chef Jürgen Schrempp 1998<br />
den Flop mit Chrysler pries, ist passé. Dafür<br />
suchen die deutschen Konzernchefs in<br />
den USA jetzt den Erfolg auf Erden. n<br />
cornelius.welp@wiwo.de | Frankfurt, michael kroker,<br />
jürgen salz, martin seiwert | New York, reinhold böhmer<br />
...und extravagant<br />
Eigenständig außerhalb der Konzernstruktur<br />
Division:<br />
Produkte und<br />
Anwendungen:<br />
Angestrebte<br />
Marge<br />
(in Prozent):<br />
Zuständigkeit<br />
im Vorstand:<br />
HEALTHCARE<br />
15–19<br />
Ultraschall,<br />
Computertomografen,<br />
Magnetresonanztomografen,<br />
Labordiagnostik<br />
Hermann Requardt<br />
Dass Siemens-Chef Joe Kaeser sich bei<br />
der Neuorganisation des zuletzt behäbigen<br />
Technologiekonzerns nicht mit kosmetischen<br />
Korrekturen begnügt, hat er wenige<br />
Tage vor Inkrafttreten der künftigen Organisation<br />
am 1. Oktober bewiesen. Zum einen<br />
griff er sich den amerikanischen Ausrüster<br />
der Öl- und Gasindustrie Dresser-Rand. Der<br />
soll zusammen mit der ebenfalls frisch erworbenen<br />
Gasturbinensparte von Rolls-<br />
Royce die künftige Division Power and Gas<br />
entscheidend stärken. Zum anderen überließ<br />
er die 50 Prozent an der BSH Bosch<br />
Siemens Hausgeräte GmbH dem bisherigen<br />
Partner Bosch und trennte sich damit endgültig<br />
von allen Konsumgütern.<br />
Eine „Operation an Haupt und Gliedern“<br />
nennt Kaeser den gravierendsten Konzernumbau<br />
in den vergangenen 25 Jahren.<br />
Neun statt zuvor vier Sektoren umfasst Siemens<br />
nun. Das Unternehmen soll dadurch<br />
flinker und weniger bürokratisch werden.<br />
Eine der großen Neuerungen ist die Aufgliederung<br />
der Energiesparte in drei Divisionen<br />
sowie die Verlagerung deren Zentrale in<br />
die USA unter der Amerikanerin Lisa Davis.<br />
Damit wird das Energiegeschäft in den Vereinigten<br />
Staaten, auf dem Heimat-Turf des US-<br />
Erzrivalen General Electric, eines der großen<br />
Siemens-Zukunftsfelder.<br />
Zum großen Gewinnbringer hat Kaeser die<br />
Digitalisierung der Industrie erkoren und das<br />
Geschäft in einer eigenen Division untergebracht.<br />
Im April verkündeten die Münchner<br />
eine Kooperation mit McAfee, dem amerikanischen<br />
Anbieter von Sicherheitssoftware.<br />
Eine Sonderrolle spielt künftig die Medizintechnik,<br />
die sich in den kommenden Jahren<br />
durch neue Verfahren und den Einsatz<br />
der IT radikal verändern dürfte. Um schnell<br />
reagieren zu können, befreit Kaeser das<br />
hoch lukrative Geschäft von den Konzernstrukturen<br />
und lässt die extravagante Division<br />
künftig ohne formalen Beschluss im<br />
Vorstand über Investitionen entscheiden.<br />
Auch einen Börsengang schließt Kaeser<br />
nicht aus.<br />
FORDERUNGEN ERFÜLLT<br />
Bei Analysten kommt das neue Geschäftstableau<br />
durchweg gut an. „Im Grunde<br />
macht er genau das, was wir immer gefordert<br />
haben“, sagt Wolfgang Donie von der<br />
Nord/LB. Bei den mehr als 360 000 Mitarbeitern<br />
dagegen herrscht große Verunsicherung.<br />
Insgesamt 11 600 Arbeitsplätze<br />
sind von der Neuorganisation betroffen,<br />
vor allem in der Verwaltung und im Management.<br />
Wie viele Stellen wegfallen, ist<br />
immer noch unklar.<br />
Trotzdem tragen die Arbeitnehmervertreter<br />
den Umbau im Grundsatz mit.<br />
„Wenn am Ende wirklich ein entscheidender<br />
Bürokratieabbau steht, unterstützen<br />
wir das“, sagt ein Gewerkschafter.<br />
matthias.kamp@wiwo.de | München<br />
WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 55<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»Wir sind zwar alt,<br />
aber auch modern«<br />
INTERVIEW | Kasper Rorsted Der Henkel-Chef will in Russland trotz<br />
der Ukraine-Krise weiter wachsen und setzt auf Digitalisierung.<br />
Herr Rorsted, vor rund einer Woche hat<br />
Henkel den US-amerikanischen Klebstoffspezialisten<br />
Bergquist mit einem Umsatz<br />
von rund 130 Millionen Euro übernommen<br />
– die vierte Akquisition binnen<br />
weniger Monate. Warum wieder nur etwas<br />
Kleines anstelle eines großen Coups?<br />
Wir haben allein im zweiten Quartal 2014<br />
Unternehmen im Gesamtwert von mehr als<br />
1,2 Milliarden Euro übernommen. Und jetzt<br />
kommt noch Bergquist hinzu. Das ist aus<br />
meiner Sicht eine beträchtliche Größenordnung.<br />
Bei Klebstoffen sind wir schon weltweit<br />
führend. Da kommt es für uns weniger<br />
auf Marktanteil oder Umsatzgröße an.<br />
Sondern?<br />
Mit Bergquist bekommen wir Zugang zu<br />
einer Technologie, die uns bisher weitgehend<br />
gefehlt hat – vereinfacht: Wärmedämmung<br />
durch Klebstoffe. Sie kennen ja<br />
das Phänomen, dass Smartphones oder<br />
Tablets bei längerem Surfen und Laden<br />
heiß werden. Genau dagegen bietet Bergquist<br />
Lösungen an und ist auf diesem Gebiet<br />
sogar Weltmarktführer. Mit den anderen<br />
Zukäufen haben wir unser Kerngeschäft<br />
bei Waschmitteln in Europa und im<br />
Friseurgeschäft in den USA gestärkt. Natürlich<br />
können wir uns vorstellen, in der Zukunft<br />
noch deutlich größere Zukäufe zu tätigen.<br />
Aber es muss dementsprechend etwas<br />
Passendes auf dem Markt sein.<br />
Müssen Sie nicht endlich mal wieder<br />
im Kosmetikgeschäft groß zuschlagen,<br />
in dem Henkel mit 3,5 Milliarden Euro<br />
Umsatz im Vergleich zu L’Oréal oder<br />
Beiersdorf mit Nivea recht klein ist.<br />
Was man von uns erwartet, ist, dass wir die<br />
Ziele erreichen, die wir uns von 2012 bis<br />
2016 gesteckt haben. Also beispielsweise<br />
den Konzernumsatz von heute gut 16 Milliarden<br />
auf 20 Milliarden zu steigern und dabei<br />
den Gewinn pro Aktie im Schnitt um<br />
zehn Prozent pro Jahr zu erhöhen. Als Vorstandsvorsitzender<br />
sollte man sehr vorsichtig<br />
sein, sein Handeln an den Wünschen<br />
Dritter auszurichten, auch wenn das<br />
Analysten oder Journalisten sind. Denn die<br />
können morgen oder übermorgen ihre<br />
Meinung einfach ändern. Aber so kann<br />
man kein Unternehmen führen.<br />
In Ihrem angesprochenen Vier-Jahres-<br />
Plan ist Russland eine der großen Wachstumssäulen<br />
und mit mehr als einer<br />
Milliarde Euro Umsatz schon heute der<br />
viertgrößte Markt für Henkel hinter<br />
den USA, Deutschland und China. Soll<br />
es mit Blick auf die Ukraine-Krise und<br />
die Sanktionen dabei bleiben?<br />
Ja, dabei wird es bleiben. Wir werden immer<br />
mit Krisen in unseren Märkten zu tun<br />
haben, gerade in den Schwellenländern.<br />
Das gilt ja auch für bestimmte Regionen im<br />
Nahen und Mittleren Osten. Wir sind seit<br />
1990 in Russland aktiv. Seitdem erleben wir<br />
dort die vierte Krise. Mit dem Risiko müssen<br />
wir kalkulieren. Wir bauen derzeit die<br />
neunte Fabrik in Russland,<br />
ein Klebstoffwerk in Novosibirsk,<br />
3000 Kilometer östlich<br />
von Moskau. Und es<br />
werden ganz bestimmt<br />
noch weitere Fabriken hinzukommen.<br />
Sie waren im Juni, ein<br />
Vierteljahr nach dem<br />
Anschluss der Krim an<br />
Russland, in Ihrer Zentrale<br />
in Moskau. Wie waren Ihre<br />
Eindrücke?<br />
Die Stimmung war schon zu<br />
diesem Zeitpunkt eingetrübt.<br />
Aber nach meinem<br />
Eindruck stand die Bevölkerung<br />
hinter Präsident Wladimir<br />
Putin. Das ist aber<br />
nun auch schon wieder drei<br />
Monate her. Ich stehe in<br />
ständigem Kontakt mit unserem Management<br />
in Russland und der Ukraine. Wir beschäftigen<br />
rund 1000 Mitarbeiter in der<br />
Ukraine und etwa 2500 in Russland. Die Sicherheit<br />
und Gesundheit unserer Mitarbeiter<br />
stehen für uns an erster Stelle. Dann<br />
erst schauen wir uns die Auswirkungen auf<br />
das Geschäft an.<br />
Gab oder gibt es denn konkrete Bedrohungen<br />
für Leib und Leben?<br />
DER DIGITALISIERER<br />
Rorsted, 52, war 2008<br />
der erste Henkel-Chef, der<br />
nicht aus Deutschland<br />
kam und dazu noch branchenfremd<br />
war. Der Däne<br />
startete nach dem Wirtschaftsstudium<br />
in Kopenhagen<br />
seine berufliche<br />
Laufbahn in der IT-Branche<br />
bei Oracle. Dann wechselte<br />
er zu Compaq und ging<br />
nach der Übernahme<br />
durch Hewlett-Packard<br />
(HP) zur neuen Mutterfirma.<br />
2005 wurde er von<br />
außen in die Geschäftsführung<br />
bei Henkel geholt.<br />
Im April 2008 übernahm<br />
Rorsted den Vorstandsvorsitz<br />
von Ulrich Lehner.<br />
Bisher nicht. Aber wir haben es unseren<br />
Mitarbeitern in der Ukraine ermöglicht,<br />
während der Unruhen auf dem Maidan<br />
nicht im Büro in Kiew, sondern von zu<br />
Hause aus zu arbeiten. In der Südostukraine<br />
haben wir keinen Standort, aber es wurde<br />
den dortigen Mitarbeitern im Vertrieb<br />
angeboten, die Region zu verlassen und<br />
von anderen Städten aus zu arbeiten.<br />
Welche Auswirkungen hat die Krise auf<br />
das Geschäft?<br />
Die Russland-Krise betrifft nicht nur Russland<br />
oder die Ukraine, sondern ganz Osteuropa.<br />
Hier sind zum einen die negativen<br />
Währungseinflüsse ein Thema. Unabhängig<br />
davon spüren wir aber auch organisch<br />
ein nachlassendes Wachstum in der gesamten<br />
Region. Dadurch wird sich in der<br />
zweiten Jahreshälfte das Gewinnwachstum<br />
im Konzern abschwächen.<br />
Dennoch weichen Sie kein Jota von Ihrer<br />
Jahresprognose ab, beim Umsatz organisch<br />
um drei bis fünf Prozent zu wachsen<br />
und die Gewinnmarge leicht auf 15,5<br />
Prozent zu steigern. Wie soll das gehen?<br />
Wir stehen weiter zu unseren Zielen für das<br />
laufende Jahr. Wir müssen eben mehr als<br />
früher zwischen langfristigen Strategien<br />
und kurzfristigen Anpassungen balancieren.<br />
Wenn der Umsatz nicht<br />
so wächst wie geplant, muss<br />
man eben die <strong>Ausgabe</strong>n anders<br />
steuern. So schauen<br />
wir uns jetzt natürlich noch<br />
intensiver an, wo wir kurzfristig<br />
die variablen Kosten<br />
reduzieren können...<br />
...und das heißt genau?<br />
Wir schauen uns alle Kosten<br />
an, <strong>vom</strong> Einkauf über Reiseund<br />
Werbekosten bis hin zu<br />
<strong>Ausgabe</strong>n für externe Beratung.<br />
Kürzungen bei den<br />
langfristigen Investitionen<br />
wird es nicht geben. Im Gegenteil:<br />
Wir werden in diesem<br />
Jahr zwischen 500 und<br />
550 Millionen Euro in Standorte<br />
und Infrastruktur investieren.<br />
Das ist so viel wie in<br />
keinem der anderen sechs Jahre, in denen<br />
ich die Verantwortung bei Henkel habe.<br />
Wird es denn Veränderungen bei der<br />
Belegschaft geben, etwa durch Kurzarbeit,<br />
Ausnutzung von Arbeitszeitkonten<br />
oder Vorruhestandsregelungen?<br />
Nichts davon ist geplant. Es gibt keine Abbauprogramme,<br />
eben weil wir uns frühzeitig<br />
auf die Veränderungen eingestellt haben.<br />
Wir haben 2012 ausdrücklich „schnelle<br />
»<br />
FOTO: FRANK BEER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
56 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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»Virtuelles Führen<br />
wird immer wichtiger<br />
und ist nicht<br />
einfach. Das muss<br />
gelernt werden«<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
Marktveränderung“ als Megatrend identifiziert<br />
und unsere Strategie bis 2016 darauf<br />
aufgebaut. Denn eines ist doch klar: Nach<br />
der Finanzkrise 2008 ist – außer vielleicht<br />
2011 – nie wieder wirklich Ruhe in Politik<br />
und Wirtschaft eingekehrt. Und so wird das<br />
wohl auch bleiben. Umso mehr müssen wir<br />
uns auf unsere Stärken konzentrieren und<br />
unser langfristiges Ziel, führend in Marken<br />
und Technologien sein. Das geht nur, wenn<br />
wir besser als die Wettbewerber sind.<br />
Das sagen alle Unternehmenschefs. Was<br />
wollen Sie konkret besser machen als Ihre<br />
Wettbewerber?<br />
Unsere Mitarbeiter, die Menschen, die die<br />
Produkte entwickeln und verkaufen, sind<br />
der entscheidende Faktor.<br />
... auch wieder was, das jeder Manager<br />
behaupten würde.<br />
Wir sagen das nicht nur, wir handeln auch<br />
danach. Wir haben beispielsweise ein Führungskräfteprogramm<br />
zusammen mit der<br />
amerikanischen Harvard Business School<br />
in Boston entwickelt, das alle unsere 150<br />
Top-Manager absolvieren.<br />
Was sollen Ihre Spitzenleute dort lernen?<br />
Ganz wichtig ist uns Führung. Nicht nur die<br />
Frage, wie führe ich Mitarbeiter, sondern<br />
auch, wie führe ich mich selbst. Nur mit<br />
besseren Führungskräften werden wir auch<br />
bessere Produkte auf den Markt bringen.<br />
Was müssen wir uns darunter vorstellen.<br />
Der Wandel, der sich in der Art der Kommunikation<br />
vollzieht, betrifft auch das<br />
Führungsverhalten. Ich sehe meine Kollegen<br />
aus dem Vorstand oder dem Top-<br />
Management persönlich nur sehr unregelmäßig.<br />
Und so geht es vielen Kollegen, die<br />
internationale Teams leiten. Das heißt,<br />
man muss virtuell führen, über E-Mails<br />
oder Videokonferenzen. Das wird immer<br />
wichtiger, ist zugleich aber überhaupt nicht<br />
einfach. Das muss gelernt werden.<br />
Was ist so schwierig daran?<br />
Um virtuell zu führen, muss ich meine Mitarbeiter<br />
persönlich kennen, auch wenn sie<br />
rund um den Globus verstreut sind. Und<br />
dabei gilt dann auch noch die Konzernsprache<br />
Englisch. Das heißt, der überwiegende<br />
Teil der Mitarbeiter spricht oder<br />
schreibt nicht in seiner Muttersprache. Nur<br />
wenn ich mein Gegenüber persönlich kenne,<br />
ist es nicht von Bedeutung, wenn eine<br />
Ambitionierter Fahrplan<br />
Die Ziele des Henkel-Konzerns bis 2016<br />
16,3<br />
20<br />
Konzernumsatz<br />
(in Milliarden<br />
Euro)<br />
7,2<br />
Umsatz in den<br />
Wachstumsmärkten<br />
2<br />
(in Milliarden Euro)<br />
2013 2016<br />
10 +10 +10 1<br />
Gewinn<br />
je Vorzugsaktie<br />
(in Prozent)<br />
1 durchschnittliches jährliches Wachstum 2013 bis 2016;<br />
2 z.B. Brasilien, China, Indien, Russland; Quelle: Henkel<br />
E-Mail nicht perfekt formuliert ist. Ich muss<br />
lernen, kein Wort auf die Goldwaage zu legen<br />
und dass nicht so entscheidend ist, wie<br />
etwas gesagt wird, sondern was. Das geht<br />
nur, wenn Sie zuvor Vertrauen geschaffen<br />
haben. Technologie ersetzt das niemals.<br />
Virtuelles Führen ist nur ein kleiner Ausschnitt<br />
aus einer großen Digitalisierungsoffensive,<br />
die Sie Henkel verordnet<br />
haben. Was haben Sie vor?<br />
Die Digitalisierung geht von den typischen<br />
IT-Themen wie der Vereinheitlichung von<br />
Prozessen und Daten über die Veränderungen<br />
in der Arbeitswelt wie durch virtuelles<br />
Führen. Hinzu kommt die Ausweitung<br />
der E-Commerce-Aktivitäten für unsere<br />
Industriekunden im Klebstoffgeschäft<br />
und natürlich die Interaktion mit den Endkunden<br />
bei Waschmitteln oder Kosmetik.<br />
Die Unternehmen, die am besten die Digitalisierung<br />
ausnutzen, werden einen deutlichen<br />
Vorteil im Wettbewerb haben.<br />
Heißt Interaktion mit dem Endkunden,<br />
dass Henkel in letzter Instanz selber Pril,<br />
Persil oder Schwarzkopf-Shampoo über<br />
das Internet verkaufen wird?<br />
Nein, das haben wir nicht vor. Wir suchen<br />
primär den Dialog mit dem Kunden, wir<br />
wollen ihm neue Produkte vorstellen und<br />
Tipps rund um das Produkt geben. Und wir<br />
hätten natürlich auch gerne ein Feedback<br />
von ihm. Dafür mussten wir früher viel<br />
mehr in Marktforschung investieren. Heute<br />
können wir uns hier Facebook oder<br />
Twitter zunutze machen.<br />
»Kürzungen bei den langfristigen<br />
Investitionen wird es nicht geben«<br />
Bedienen Sie sich dazu der Daten von<br />
Google oder Facebook?<br />
Im Moment machen wir das alles ohne Kooperation<br />
mit anderen Unternehmen und<br />
kaufen auch keine Daten. Natürlich muss<br />
man dazu Menschen im Unternehmen haben,<br />
die das Thema verstehen und umsetzen<br />
können. Die Teams bauen wir seit zwei<br />
Jahren aus unseren eigenen Reihen auf.<br />
Konzerne wie Bosch oder die Deutsche<br />
Telekom kooperieren bei der Digitalisierung<br />
ihres Geschäfts mit Start-ups aus<br />
diesem Metier oder kaufen sich diese<br />
sogar ein. Machen Sie das auch?<br />
Nein, das machen wir nicht. Wir bauen das<br />
in Eigenregie auf.<br />
Sie trauen einem fast 150-jährigen Urgestein<br />
wie Henkel tatsächlich zu, in den<br />
eigenen Reihen eine Start-up-Mentalität<br />
zu entwickeln?<br />
Wir sind zwar schon alt, aber wir sind auch<br />
modern. Wir können Mitarbeiter mit den<br />
entsprechenden Fähigkeiten und Interessen<br />
fördern und befördern. Das ist dann<br />
eben ein Stück weit Henkel-Kultur. Wir haben<br />
ein sechsköpfiges Digital-Council eingerichtet,<br />
das direkt an den Vorstand berichtet.<br />
Und meine Vorstandskollegen und<br />
ich fliegen im November für eine Woche<br />
nach Palo Alto in die US-Internet-Hochburg<br />
Silicon Valley und besuchen dort die<br />
maßgeblichen Unternehmen...<br />
...Sie als bekennender Facebook-<br />
Verweigerer?<br />
Stimmt. Privat mache ich einen großen Bogen<br />
darum. Ich stehe berufsbedingt schon<br />
genug in der Öffentlichkeit. Ein wenig Privatsphäre<br />
sollte schon bleiben.<br />
Wie weit ist die Digitalisierung bei Ihnen<br />
persönlich angekommen. Bestellen Sie<br />
sich, wenn Sie die Woche über fernab von<br />
Ihrer Familie leben, schon mal per<br />
Smartphone eine Pizza oder Sushi?<br />
Nein, Essen bestelle ich nicht online. Aber<br />
Bücher und Bekleidung vielfach schon.<br />
Auch Zeitungen und Zeitschriften lese ich<br />
fast nur noch digital. Und mit meinen beiden<br />
ältesten Söhnen, die seit Kurzem in Kalifornien<br />
studieren, kommuniziere ich über<br />
Facetime, der Videotelefonie von Apple.<br />
Verraten Sie uns Ihre drei Lieblings-Apps?<br />
Die Lufthansa-App, weil ich eben sehr viel<br />
fliege, den Nachrichten-Dienst WhatsApp,<br />
auch um mit den Kindern in Kontakt zu<br />
bleiben, und Herzrasen.<br />
Ist das eine Flirt-App für Top-Manager?<br />
(Lacht) Nein, meine Lieblings-Fußball-<br />
App, weil ich gerne über aktuelle Spiele<br />
und Spielstände informiert bin.<br />
n<br />
mario.brueck@wiwo.de, reinhold böhmer<br />
58 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Wahre Werte<br />
LUXUS | Deutsche Hersteller reagieren auf die sinkende Nachfrage<br />
in China, nachdem Peking die Hatz auf Korruption und Protz bei<br />
Parteikadern eröffnet hat – und bauen ihre Präsenz in Japan aus.<br />
Die Schmuckmanufaktur Wellendorff<br />
aus dem Badischen Pforzheim<br />
scheut keinen Aufwand. Wer in der<br />
Bar des Fünf-Sterne-Hotels Ritz-Carlton in<br />
Tokio einen Cocktail „Wellendorff“ genießt,<br />
erhält ein Champagnerglas, auf dessen<br />
Rand eine Mischung aus Goldstaub und<br />
Zucker schimmert. Dazu gibt es die eindrucksvolle<br />
Aussicht aus dem 45. Stock auf<br />
das Lichtermeer von Japans Hauptstadt.<br />
Mit dem kostenlosen Drink wirbt Wellendorff<br />
für die Schmuckboutique, die das<br />
Unternehmen Anfang Oktober im Erdgeschoss<br />
des Hotels offiziell eröffnet. Die Rin-<br />
ge aus der Wellendorff-Kollektion tragen<br />
den gleichen Namen wie die für den Cocktail<br />
verwendeten Zutaten Hibiskus, Lavendel<br />
und Vanille. „Mit kleinen, persönlichen<br />
Dingen wollen wir den großen Unterschied<br />
machen“, sagt der für Japan zuständige Geschäftsführer<br />
Peter Kesselmann.<br />
Die Ladeneröffnung durch Wellendorff<br />
in Japan markiert eine Trendwende für die<br />
deutschen Luxushersteller. Edle Autos,<br />
Kameras, Schreibgeräte oder Taschen<br />
made in Germany feiern gerade Verkaufsrekorde<br />
in Nippon. Die expansive Wirtschaftspolitik<br />
von Premierminister Shinzo<br />
Abe, auch Abenomics genannt, hat das Inselland<br />
aus seinem Dornröschenschlaf<br />
nach Finanzkrise und Tsunami-Katastrophe<br />
geweckt. Die Abwertung des Yen trieb<br />
die Firmengewinne nach oben, und der<br />
starke Anstieg der Aktienkurse fachte die<br />
Konsumfreude der Vermögenden im Inland<br />
an. Damit gehört Japan trotz rasch alternder<br />
Bevölkerung laut einer neuen Studie<br />
der Unternehmensberatung McKinsey<br />
aktuell zu den „gesündesten“ Luxusmärkten<br />
der Welt.<br />
LUXUSNATION JAPAN<br />
McKinsey-Konkurrent Bain erwartet beim<br />
Absatz von Nobelwaren in Japan deshalb<br />
in diesem Jahr ein währungsbereinigtes<br />
Plus von neun bis elf Prozent, so viel wie in<br />
keiner anderen Weltregion. Der Jahresauftakt<br />
verlief vielversprechend. In den Monaten<br />
vor der Erhöhung der Verbrauchsteuer<br />
im April konnten einige Marken ihren Umsatz<br />
mehr als verdoppeln, und die Absatzdelle<br />
danach ist schon überwunden. „Wir<br />
Pflicht zum<br />
eigenen Flagship-Store<br />
Leica verkauft<br />
Kameras in Japan<br />
mithilfe traditionell<br />
gekleideter<br />
Geishas<br />
FOTO: LEICA, WELLENDORFF<br />
60 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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haben in Japan ein Rekordjahr<br />
hingelegt“, sagt Jérôme Lambert,<br />
Chef der angeschlagenen<br />
Hamburger Edelmarke<br />
Montblanc, die zum<br />
Schweizer Luxusgüterimperium<br />
Richemont gehört. Nicht<br />
nur Schreibgeräte, auch die eigenen<br />
Uhren und Lederwaren<br />
entwickelten sich hervorragend.<br />
Die Inselnation leuchtet für die Luxusproduzenten<br />
umso heller, je klarer wird,<br />
dass beim Nachbarn China die Zeiten des<br />
rasanten Wachstums vorbei sind. 2011 war<br />
der Umsatz der Branche im Reich der Mitte<br />
noch um 20 Prozent nach oben geschossen.<br />
Die Konsumenten kauften schnell und<br />
zahlten hohe Preise. Doch seit seinem<br />
Machtantritt vor zwei Jahren greift Staatspräsident<br />
Xi Jinping gegen Korruption<br />
durch, um den Unmut im Volk über zur<br />
Schau gestellten Reichtum von Beamten<br />
und Kadern zu dämpfen.<br />
Staatsbedienstete müssen sich nun einschränken,<br />
um nicht in Ungnade bei der<br />
Parteiführung zu fallen: Sie müssen sich<br />
bei den offiziellen Gelagen zurückhalten,<br />
dürfen nicht mehr allzu üppige Geschenke<br />
annehmen und müssen auch auf Bestechungsgeld<br />
und die anschließenden Einkäufe<br />
in Luxustempeln verzichten. Dadurch<br />
ist der Absatz von Uhren aus der<br />
Schweiz, Bordeaux-Weinen und Cognac<br />
aus Frankreich sowie Mode aus Italien eingebrochen.<br />
Dior, Cartier und andere veranstalteten<br />
Sonderverkäufe für ausgewählte<br />
Kunden, um ihre Lager zu leeren. Daraufhin<br />
stagnierte der Luxusumsatz in China<br />
2013 inflationsbereinigt auf dem Niveau<br />
des Vorjahrs, 2014 verläuft bisher ähnlich.<br />
Kirschblüten in Gold gefasst<br />
Diesen Ring aus 18 Karat Gold hat Wellendorff<br />
zur Eröffnung der Boutique in Japan<br />
entworfen und verkauft ihn auch nur dort.<br />
Preis<br />
12 300 Euro<br />
SHOWROOM MIT SEELE<br />
Der unerwartete Tiefschlag erinnert die erfolgsverwöhnte<br />
Branche nun daran, dass<br />
Japan nach den USA weiterhin der weltgrößte<br />
Luxusmarkt ist. „Den japanischen<br />
Markt zu vernachlässigen wäre daher<br />
falsch, zumal wir weitere Potenziale sehen“,<br />
sagt Montblanc-Chef Lambert. Der<br />
japanische Kunde sei ein Connaisseur, der<br />
Sammlerstücke und Maßanfertigungen<br />
hoch schätze.<br />
Allerdings dürfen die Luxushersteller<br />
nicht hoffen, das ausbleibende Wachstum<br />
in China einfach in Japan wettmachen zu<br />
können. Denn dort läuft das Geschäft anders<br />
als im bevölkerungsreichsten Land<br />
der Welt. Zwar geben Nippons Konsumenten<br />
im Schnitt doppelt so viel Geld für Nobelprodukte<br />
aus wie ein Europäer und kaufen<br />
Teures auch schon in jüngeren Jahren.<br />
Doch so einfach wie die Chinesen lassen<br />
sich die Japaner nicht das Geld aus der Tasche<br />
ziehen, sondern verlangen von den<br />
Herstellern Einsatz.<br />
Ohne ein eigenes Flaggschiff-Geschäft in<br />
teurer Lage gibt es für internationale Anbieter<br />
keine Präsenz in Nobelkaufhäusern<br />
wie Mitsukoshi. Vorgemacht hat es Leica.<br />
Der letzte deutsche Kamerahersteller testete<br />
2006 den Aufbau eigener Geschäfte zuerst<br />
in Japan und exportierte das Konzept<br />
dann von Japan in die ganze Welt. Heute<br />
macht Leica in seinen je acht eigenen Boutiquen<br />
und Verkaufsstellen in Elektroniklä-<br />
»Die Konsumenten<br />
suchen besondere<br />
Erlebnisse«<br />
Kazunori Fuke, Japan-Chef Leica<br />
den in Japan zwei Drittel des Umsatzes. In<br />
einem reifen Markt wie Japan besäßen<br />
schon viele Menschen Luxuswaren, sagt<br />
der Leica-Landeschef Kazunori Fuke. „Für<br />
solche Konsumenten geht es nicht mehr<br />
um das Produkt selbst, sondern sie suchen<br />
beim Kaufen besondere Erlebnisse.“<br />
Leica inszeniert sich in Japan deshalb<br />
ähnlich aufwendig wie Schmuckproduzent<br />
Wellendorff. Das Unternehmen aus dem<br />
hessischen Wetzlar präsentiert seine Kameras<br />
in den Geschäften als Einzelstücke<br />
wie in einem Museum und dazu seine eigene<br />
Geschichte anhand historischer Modelle.<br />
Der Kamerahersteller will seinen<br />
Kunden so auch die Seele des Unternehmens<br />
näherbringen.<br />
Für die jüngste Filiale in der Altstadt<br />
der früheren Kaiserstadt<br />
Kyoto renovierten die Deutschen<br />
eigens ein über 100 Jahre<br />
altes Holzhaus. Bei Kursen<br />
der Leica-Akademie können<br />
die Kunden in einem professionellen<br />
Studio über dem Ladengeschäft<br />
die Vorzüge der Kameras<br />
selbst erfahren. Ein breiteres Sortiment soll<br />
über die anspruchsvollen Amateurfotografen<br />
hinaus Einsteiger und Frauen anlocken.<br />
„Es gibt noch viel Raum für Leica-<br />
Wachstum in Japan“, meint Landeschef Kazunori<br />
Fuke, der <strong>vom</strong> französischen Luxuskonzern<br />
Hermès kam, der knapp die Hälfte<br />
der japanischen Leica-Tochter besitzt.<br />
Auch Wellendorff will in Japan wachsen,<br />
indem das Unternehmen den Verkauf seines<br />
kostbaren Geschmeides selbst in die<br />
Hand nimmt. Bisher hatte der Familienbetrieb<br />
sich dazu eines japanischen Partners<br />
bedient. Die Marke wurde nicht beworben,<br />
da es nur kleine Stückzahlen gab.<br />
EDEL OHNE PROTZ<br />
Inzwischen seien die Konsumenten in Japan<br />
weniger markenfixiert und suchten<br />
ständig Neues und Hochwertiges, erklärt<br />
Christoph Wellendorff, der die Manufaktur<br />
mit seinem Bruder in vierter Generation<br />
leitet. Daher sei jetzt der richtige Zeitpunkt<br />
für eine eigene Niederlassung. „Die Japaner<br />
können besser als viele andere unsere<br />
Firmenkultur verstehen“, meint Wellendorff.<br />
Die „wahren Werte“ aus dem Firmenmotto<br />
wie Understatement, Perfektion,<br />
Handwerkskunst und Familie würden<br />
auch in Japan geschätzt und gelebt.<br />
In diesem Sinne schulen die Badener<br />
nun ihr Verkaufspersonal in Japan. „Die<br />
Kunden sollen zum Beispiel erfahren, dass<br />
neue Stücke nur ins Sortiment kommen,<br />
wenn sie von den Frauen der Familie Wellendorff<br />
persönlich getragen und für perfekt<br />
befunden wurden“, sagt Geschäftsführer<br />
Kesselmann. Die Tokioter Boutique<br />
zielt zudem auf ausländische Hotelgäste<br />
und damit auch auf Chinesen.<br />
Wegen der Moralkampagne und hoher<br />
Inlandspreise in ihrem Heimatland tätigen<br />
die 50 Millionen Luxuskonsumenten in<br />
China nämlich zwei Drittel dieser <strong>Ausgabe</strong>n<br />
im Ausland. Japan gehört zu ihren bevorzugten<br />
Zielen – ein Grund mehr, warum<br />
deutsche Luxushersteller dort ihre Präsenz<br />
ausbauen.<br />
n<br />
martin.fritz@wiwo.de | Tokio<br />
WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 61<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Weißer Elefant<br />
BOMBARDIER | Der kanadische Zug- und Flugzeugkonzern<br />
droht an den Problemen mit seiner neuen Passagiermaschine zu<br />
zerbrechen – ein Lehrstück in Selbstüberschätzung.<br />
Seinen Produktionshallen am Firmensitz<br />
in Dorval stattet Bombardier-Chef<br />
Pierre Beaudoin gerne einen<br />
Besuch ab. In den weißen Hangars<br />
zwischen den Startbahnen des internationalen<br />
Flughafens der kanadischen Metropole<br />
Montréal baut der Flugzeug- und Zughersteller<br />
die mindestens 50 Millionen<br />
Dollar teuren großen Maschinen des Typs<br />
Global. Mit denen können bis zu 16 Insassen<br />
wie Geschäftsreisende, vermögende<br />
Privatleute oder auch Regierungsbeamte<br />
bequem 10 000 Kilometer ohne Zwischenlandung<br />
fliegen. Die Mitarbeiter arbeiten<br />
hier rund um die Uhr in den sechs Fertigungsbuchten<br />
mit je zwei großen Privatjets.<br />
Während Ingenieure und Mechaniker<br />
Navigationssysteme installieren, prüfen<br />
hauseigene Designer das harmonische Zusammenspiel<br />
des extra flauschigen Teppichbodens<br />
aus reiner Schurwolle mit den<br />
Seidenvorhängen und dem rindslederbezogenen<br />
Toilettendeckel.<br />
„Ein tolles Geschäft“, freut sich Beaudoin,<br />
dessen Familie rund vier Prozent der<br />
Anteile des börsennotierten Konzerns hält.<br />
Die Nobelflieger bringen ihm nicht nur<br />
Prestige. Mit gut einem Viertel des Konzernumsatzes<br />
von gut 18 Milliarden US-<br />
Dollar und rund einem Drittel des operativen<br />
Gewinns von 900 Millionen sind die<br />
Jets die wichtigste Stütze seines Geschäfts.<br />
Weniger Freude machen Beaudoin seine<br />
Besuche in Mirabel, dem 40 Kilometer von<br />
Dorval entfernten zweiten großen Flughafen<br />
Montréals. Dort baut Bombardier seine<br />
Jets der neuen C-Serie für den Linienverkehr<br />
der großen Fluggesellschaften.<br />
Mit dem Flieger für bis zu 160 Passagiere<br />
droht der finanziell bislang grundsolide<br />
Konzern seine Zukunft zu verspielen.<br />
Denn beim Versuch, mit den in dieser Größenklasse<br />
dominierenden Herstellern Airbus<br />
und Boeing mitzuhalten, haben die<br />
Kanadier bisher nur eine von deren Unarten<br />
kopiert: Die Maschine kommt wegen<br />
technischer Pannen mindestens zwei Jahre<br />
später als geplant und beschert Beaudoin<br />
Mehrkosten von gut einer Milliarde Dollar.<br />
FLUG IN DIE MARKTLÜCKE<br />
Die Zahl der Bestellungen für die C-Serie<br />
blieb dabei weit unter den Erwartungen zurück.<br />
Investoren sehen den Wert des Fluggeschäfts<br />
für Bombardier praktisch bei null.<br />
„Ein Lehrstück in Selbstüberschätzung“,<br />
ätzt Analyst Richard Aboulafia von der auf<br />
die Flugbranche spezialisierten Denkfabrik<br />
Teal Group aus Fairfax im US-Staat Virginia.<br />
Den Ernst der Lage zeigt ein Blick auf die<br />
Finanzen. In den vergangenen drei Geschäftsjahren<br />
hat das Fluggeschäft über einen<br />
negativen Cash-Flow 2,5 Milliarden<br />
Dollar verbrannt. Allein im ersten Halbjahr<br />
2014 kostete das Abenteuer C-Serie weitere<br />
1,3 Milliarden Dollar. „Bombardier hat<br />
nicht das Rückgrat wie Boeing oder Airbus,<br />
um solche Herausforderungen abzufedern“,<br />
urteilt der unabhängige Branchenexperte<br />
Scott Hamilton aus Seattle im<br />
»<br />
Der Umstürzler<br />
Konzernchef und Erbe Pierre Beaudoin will<br />
das angeschlagene Fluggeschäft von Grund<br />
auf erneuern<br />
FOTO: ALEXI HOBBS<br />
62 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Bremsklotz Flug<br />
Geschäftszahlen des Bombardier-Konzerns<br />
Das Fluggeschäft verbrennt Geld...<br />
Transport (Bahntechnik)<br />
Umsatz 2013 (in Milliarden Dollar)............................ 8,8<br />
Gewinn (Ebit, in Millionen Dollar).............................505<br />
Service-Leistungen<br />
System- und<br />
Signaltechnik<br />
Luftfahrt<br />
Umsatz 2013 (in Milliarden Dollar)............................ 9,4<br />
Gewinn (Ebit, in Millionen Dollar)............................388*<br />
Geschäftsflieger<br />
Service-<br />
Leistungen<br />
Verkehrsflugzeuge<br />
13%<br />
Freier Cash-Flow<br />
Transport (in Millionen Dollar)..................................688<br />
Luftfahrt (in Millionen Dollar)..............................–1239<br />
...und lebt vor allem von den Privatjets<br />
Marktanteile Geschäftsflugzeuge<br />
(nach Umsatz in Prozent)<br />
38<br />
33<br />
17<br />
6<br />
5<br />
1<br />
19%<br />
Anderes<br />
8%<br />
20%<br />
18%<br />
Embraer<br />
Cessna<br />
Beechcraft<br />
Dassault<br />
* ohne Einmaleffekte; Quelle: Bombardier<br />
63%<br />
59%<br />
Züge<br />
Marktanteile Geschäftsflugzeuge<br />
(nach 2013 ausgelieferten Maschinen in Prozent)<br />
32<br />
25<br />
14<br />
14<br />
14<br />
1<br />
36<br />
31<br />
29<br />
4<br />
Beechcraft<br />
Sukhoi<br />
Dassault<br />
Embraer<br />
Cessna<br />
Gulfstream<br />
Bombardier<br />
Gulfstream<br />
Embraer<br />
Bombardier<br />
ATR<br />
Bombardier<br />
Marktanteile regionale Verkehrsflugzeuge 20 bis 99 Sitze<br />
(nach 2013 gelieferten Maschinen in Prozent)<br />
»<br />
US-Staat Washington. Analysten wie David<br />
Newman von Cormark Securities aus<br />
Toronto in Kanada wollen gar eine Aufspaltung<br />
des Konzerns nicht ausschließen:<br />
„Die aktuelle Umstrukturierung macht das<br />
im Falle eines Falles einfacher.“<br />
Dabei sollte die C-Serie eigentlich den<br />
Kanadiern ihr Stammgeschäft Flug sichern.<br />
Beaudoins Vater Robert, Schwiegersohn<br />
von Firmengründer Joseph-Armand<br />
Bombardier, hatte den Konzern zum drittgrößten<br />
Flugzeughersteller der Welt gemacht<br />
– mit gut 2000 ausgelieferten Fliegern<br />
in den vergangenen 25 Jahren.<br />
Er schloss eine Marktlücke: Weil trotz des<br />
Luftfahrtbooms der Neunzigerjahre in vielen<br />
Städten die damals üblichen Hundertsitzer-Jets<br />
halb leer blieben, nahm Beaudoin<br />
senior das größte<br />
Modell seiner Privatjets,<br />
füllte es statt mit wenigen<br />
noblen Leder-Fauteuils<br />
mit Airline-Sitzen<br />
und nannte es CRJ.<br />
Mit den auch als Regionaljets<br />
bekannten<br />
50-Sitzern konnten nun<br />
große Airlines wie Lufthansa<br />
auch kleinere Orte<br />
wie Paderborn an ihre<br />
Drehkreuze anbinden.<br />
Das funktionierte, bis 2008 der Spritpreis<br />
pro Tonne auf 1500 Dollar explodierte. Nun<br />
bestellten die Fluglinien bei Embraer aus<br />
Brasilien deren sparsamere und für Passagiere<br />
bequemere E-Jets.<br />
Die Probleme haben die Familie und der<br />
damalige zwischen den Beaudoins als CEO<br />
tätige Robert Brown zunächst eher ignoriert.<br />
Statt ein neues Modell anzubieten,<br />
versuchten es die Kanadier mit Ablegern<br />
und streckten ihren CRJ auf fast doppelte<br />
Größe. Doch Embraer zog bei den Verkaufszahlen<br />
vorbei.<br />
Als Beaudoin junior 2008 Konzernchef<br />
wurde, kündigte er ein neues Flugzeugmodell<br />
an. Mit bis zu 160 Sitzen war es größer<br />
als alle bisherigen Bombardier-Modelle<br />
und machte damit erstmals den Marktführern<br />
Airbus und Boeing Konkurrenz. Der<br />
C-Serien-Flieger sollte dank neuer Technologien<br />
und leichteren Materialien sparsamer<br />
fliegen. Dazu setzte Bombardier auf<br />
ein revolutionäres Triebwerk des US-Anbieters<br />
Pratt & Whitney, die das angeblich<br />
20 Prozent weniger Benzin verbrauchende<br />
Getriebe zusammen mit dem deutschen<br />
Partner MTU bauten.<br />
Dass sich Bombardier mit den Neuerungen<br />
übernehmen könnte, wies jeder im<br />
»Ich will in<br />
jede Entscheidung<br />
eingebunden<br />
sein«<br />
Management von sich. „Wir haben Erfahrung,<br />
weil wir jedes Jahr mindestens eine<br />
neue Maschine auf den Markt bringen“,<br />
gab sich der heutige Chef des Linienfliegerbaus<br />
Mike Acermone im Sommer 2013<br />
kurz vor dem geplanten Erstflug zuversichtlich<br />
und lobte vor allem das Testprogramm<br />
für das Flugzeug.<br />
Vier Tage später musste er den Erstflug<br />
verschieben, weil etwas mit der Software<br />
nicht stimmte. Als die drei Monate später<br />
funktionierte, startete der Flieger unter<br />
großem Jubel. Doch offenbar hatte Bombardier<br />
unterschätzt, wie viel komplexer<br />
das Testprogramm eines neuen Passagierjets<br />
im Vergleich zu Privatjets war. So hatte<br />
die Maschine im Mai 2014 nach einem<br />
Viertel der Testzeit mit 300 Flugstunden<br />
nur gut zehn Prozent<br />
des geplanten Pensums<br />
absolviert.<br />
Es folgte ein weiterer<br />
Rückschlag. Bei einem<br />
Test Ende Mai explodierte<br />
eines der als innovativ<br />
gepriesenen<br />
Triebwerke und beschädigte<br />
einen Flügel. Erst<br />
Anfang September nach<br />
einem größeren Umbau<br />
am Triebwerk flogen die<br />
ersten Maschinen wieder. Weil die Reparatur<br />
der Verbundwerkstoffe aber offenbar<br />
schwieriger war als gedacht, fliegt die bei<br />
der Explosion beschädigte Maschine bis<br />
heute nicht.<br />
Bombardier zog sich nach dem Vorfall<br />
zurück, statt bei Fluglinien und Öffentlichkeit<br />
um Vertrauen zu werben. „Das stärkt<br />
nicht gerade unser Vertrauen“, so ein führender<br />
Manager eines Kunden. Die Reaktion<br />
kam prompt. So wartet Bombardier<br />
nicht nur verzweifelt auf neue Aufträge<br />
und liegt mit derzeit gut 200 Bestellungen<br />
weit unter der bereits vor den jüngsten<br />
Pannen optimistischen Zahl von 300, ab<br />
der die Maschine Geld bringen soll.<br />
Auch die bestehenden Orders wackeln.<br />
Die ursprünglich als Erstbetreiberin eingeplante<br />
schwedische Fluggesellschaft Malmö<br />
Aviation verschob kürzlich ihre Auslieferungen,<br />
obwohl sie das ihre Vorzugskonditionen<br />
kosten dürfte. Dazu stammt ein<br />
Teil der Aufträge aus wirtschaftlich unsicheren<br />
Ländern wie dem Irak oder der<br />
Ukraine sowie von Russland, das von weiteren<br />
Sanktionen bedroht wird.<br />
Darum hat Konzernchef Beaudoin nun<br />
die Reißleine gezogen. „Ich will in jede Entscheidung<br />
direkt eingebunden werden“,<br />
Pierre Beaudoin, Konzernchef<br />
64 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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FOTOS: BOMBARDIER<br />
Die Hoffnungsträger<br />
Das Geschäft mit exklusiven Langstreckenflugzeugen<br />
wie dem Modell Global 6000<br />
ist hochprofitabel<br />
sagt er. Dafür hat er im Fluggeschäft die<br />
oberste Führungsebene gestrichen und<br />
sich Privatjets, Passagierflieger sowie die<br />
2015 neu hinzu kommende Sparte für den<br />
Bau von Flugzeugkomponenten inklusive<br />
Ingenieurservice direkt unterstellt.<br />
Transparenter, kundenorientierter und<br />
kosteneffizienter soll Bombardier dadurch<br />
werden. In der Herstellung ist allerdings<br />
Der Geldvernichter<br />
Die neuen Passagierjets der C-Serie kommen<br />
zwei Jahre später als geplant und sorgen<br />
für gut eine Milliarde Dollar Mehrkosten<br />
wenig Luft für Einsparungen: Flugzeugbau<br />
ist größtenteils Handarbeit. „Der Grad der<br />
Automatisierung ist ausgereizt“, räumt<br />
Beaudoin ein.<br />
Stattdessen will der Bombardier-Boss bis<br />
Jahresende weitere 1800 Jobs in der rund<br />
36 000 Mitarbeiter starken Flugzeugsparte<br />
streichen. „Alle hier sind verunsichert“,<br />
sagt Manager Frank Ricci aus der Fertigung<br />
der mittelgroßen Challenger-Privatjets.<br />
„Die jetzt angekündigten Stellenstreichungen<br />
werden bestimmt nicht die letzten<br />
sein.“<br />
Trotzdem sind viele Investoren nicht<br />
überzeugt, dass Beaudoins Umbau ausreicht.<br />
Sie empfehlen Beaudoin einen Blick<br />
auf die bisher bei der flugbegeisterten<br />
Eignerfamilie etwas stiefmütterlich behandelte<br />
Zugsparte. Dort hat seit Juni 2013 der<br />
frühere Chef der Airbus-Hubschraubersparte<br />
Lutz Bertling das Sagen. Der<br />
Deutsche hat 1000 Jobs gestrichen, Entscheidungsprozesse<br />
verschlankt und Entwicklungskosten<br />
aufgestockt. „Davon“, sagt<br />
Manash Goswami, Portfolio-Manager<br />
beim Bombardier-Aktionär First Asset<br />
Investment Management, „kann die Luftfahrtsparte<br />
einiges lernen.“<br />
Dass diese vor allem mehr Flieger verkauft,<br />
hofft Vermögensverwalter John<br />
Zechner, dessen JZechner Associates aus<br />
Toronto seine Bombardier-Aktien bereits<br />
im Februar abgestoßen hat. „Ohne neue<br />
Orders bleibt die C-Serie ein unnützer großer<br />
weißer Elefant.“<br />
n<br />
karin.finkenzeller@wiwo.de | Paris,<br />
ruediger kiani-kress<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Klinken putzen<br />
SERIE DIE TURNAROUNDER (IV) | Sky Deutschland-Chef Brian<br />
Sullivan ist auf dem besten Weg zu schaffen, was unmöglich<br />
schien: hierzulande mit Bezahlfernsehen Geld verdienen.<br />
Heute, knapp fünf Jahre nach dem bizarren<br />
Start, kann der 52-Jährige über den ersten<br />
Abend im neuen Unternehmen lachen.<br />
Denn seit seinem nächtlichen Amtsantritt<br />
wittert Sky Deutschland Morgenluft.<br />
3,8 Millionen Abonnenten meldete der<br />
Bezahlfernseh-Anbieter nach dem zweiten<br />
Quartal des Jahres, so viele wie nie zuvor.<br />
Mit 1,66 Milliarden Euro verzeichnet Sky,<br />
das seinen Berichtszeitraum zum 30. Juni<br />
umgestellt hat, pro forma seinen bislang<br />
höchsten Jahresumsatz, mit monatlichen<br />
Durchschnittserlösen von 34,52 Euro pro<br />
Abo den höchsten Wert und nicht zuletzt<br />
durch die Einführung von Zwei-Jahres-<br />
Abos die niedrigste Kündigungsrate.<br />
Unter dem Strich schreibt Sky mit einem<br />
Verlust von 151 Millionen Euro weiter tiefrote<br />
Zahlen. Dennoch sieht sich der Chef<br />
auf Kurs: „Wir arbeiten an unserem Turnaround<br />
und haben hoch gesteckte Ziele.<br />
Wir haben aber auch schon große Fortschritte<br />
gemacht und stehen heute sehr<br />
viel besser da als noch vor drei, vier Jahren.“<br />
Sollte Sullivan das Wunder von Unterföhring<br />
gelingen und Sky ein profitables<br />
Unternehmen werden – ihm wäre ein Platz<br />
in der deutschen Medienhistorie sicher.<br />
Denn bislang hat es noch kein Unternehmen<br />
geschafft, im hiesigen Pay-TV-Geschäft<br />
nachhaltig Geld zu verdienen.<br />
Weihnachtsfeiern können trübe Veranstaltungen<br />
sein, selbst in der<br />
angeblich so bunten Medienbranche.<br />
Da fliegt zum Beispiel ein rothaariger<br />
Amerikaner von London aus zu später<br />
Stunde im tiefsten Dezember gen München.<br />
Draußen tobt ein Sturm, das Flugzeug<br />
wackelt. Spät landet der Reisende und<br />
rast durch die Nacht in den Vorort Unterföhring,<br />
rein in ein Bürogebäude. Da stehen<br />
tatsächlich noch ein paar unentwegte<br />
Hanseln in einem schummrig beleuchteten<br />
Raum und ziehen das Ende einer Betriebsfeier,<br />
die um 22 Uhr vorbei sein sollte,<br />
noch ein wenig hinaus. Wein und Bier sind<br />
Zartes Pflänzchen<br />
Sky-Chef<br />
Sullivan hofft auf<br />
gute Ernte<br />
schon alle. Sie harren aus, damit der künftige<br />
Chef jetzt nicht ganz allein dasteht.<br />
Der steigt auf eine kleine Bühne, spricht<br />
ein paar Worte auf Englisch. „Und bald danach<br />
sind alle nach Hause gegangen“, sagt<br />
Brian Sullivan und grinst. „Wahrscheinlich<br />
gab es irgendwo anders eine bessere Party.“<br />
DIE TURNAROUNDER<br />
Die WirtschaftsWoche<br />
analysiert in loser Folge,<br />
wie die Chefs von<br />
Krisenunternehmen die<br />
Wende geschafft haben.<br />
HORRENDE KOSTEN<br />
Die Großen der Branche hatten es Mitte<br />
der Neunzigerjahre vehement und mit<br />
wachsender Verzweiflung probiert. Dann<br />
stieg erst der Gütersloher Medienriese Bertelsmann<br />
mangels Erfolg 1999 beim Bezahlkanal<br />
Premiere aus, den er gemeinsam<br />
mit dem Münchner Rechtehändler Leo<br />
Kirch und dem französischen Anbieter<br />
Canal+ betrieben hatte. Anschließend fusionierte<br />
Kirch Premiere mit seinem eigenen<br />
Konkurrenzangebot DF1 zu Premiere<br />
World – das von da an tonnenschwer am<br />
Hals des Fernsehpioniers hing und wegen<br />
chronischer Erfolglosigkeit und horrender<br />
Rechtekosten mit dazu beitrug, die Kirch-<br />
Gruppe mitsamt den Sendern ProSieben<br />
und Sat.1 2002 in die Pleite zu treiben.<br />
Rund sechs Milliarden Euro, heißt es in<br />
Branchenkreisen, habe der Versuch verschlungen,<br />
den deutschen Couch-Potatos<br />
das Glotzen gegen Extragebühr schmackhaft<br />
zu machen. Auch Rupert Murdoch,<br />
dessen New Yorker Medienkonzern 21<br />
Century Fox gerade dabei ist, seinen Sky-<br />
Deutschland-Anteil von knapp 57 Prozent<br />
an seine englische Beteiligung BSkyB zu<br />
verkaufen, um so einen europäischen<br />
»<br />
FOTO: LAIF/HANS-BERNHARD HUBER<br />
66 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Dickes Plus bei Abonnenten und Umsatz<br />
Die wichtigsten Kennziffern von Sky der vergangenen fünf Jahre seit dem Amtsantritt von Vorstandschef Sullivan im April 2010*<br />
Umsatz<br />
(in Millionen Euro)<br />
Ebitda<br />
(in Millionen Euro)<br />
Gewinn/Verlust<br />
(in Millionen Euro)<br />
Abonnenten<br />
(in Millionen)<br />
Umsatz/Abo<br />
(in Euro pro Monat)<br />
Abo-Kündigungsquote<br />
(in Prozent)<br />
2009/10 908,8<br />
–281,4<br />
–409,6<br />
2,476<br />
27,97<br />
20,1<br />
2010/11<br />
1052,3<br />
–235,1<br />
–369,1<br />
2,759<br />
30,39<br />
12,4<br />
2011/12<br />
1238,3<br />
–94,6<br />
–224,0<br />
3,132<br />
31,87<br />
11,5<br />
2012/13<br />
1427,5<br />
12,7<br />
–144,2<br />
3,453<br />
33,24<br />
12,0<br />
2013/14<br />
1655,3<br />
28,8<br />
–150,5<br />
3,813<br />
34,52<br />
10,1<br />
* Sky hat zum 1. Juli das Geschäftsjahr auf den Zeitraum Juli bis Juni geändert. Geschäftsjahre vor 2013/14 daher pro forma auf Grundlage aggregierter Quartalszahlen; Quelle: Sky<br />
»<br />
Pay-TV-Riesen zu schmieden, macht da<br />
bisher keine Ausnahme. Jahrelang schon<br />
mit Kirch in einem Boot, zahlte der australo-amerikanische<br />
Medienzar weiter drauf.<br />
Und jetzt schickt Murdoch einen unprätentiösen<br />
Amerikaner in etwas zu weit geschnittenen<br />
Anzügen, und der kriegt allem<br />
Anschein nach die Kurve, aus dem Milliardengrab<br />
doch einen Erfolg zu machen?<br />
Zwar haben Sky und Sullivan noch ein<br />
gutes Stück Weg vor sich. Doch Sonia<br />
Rabussier hält den Erfolg für möglich: „Sullivan<br />
ist dabei, den Turnaround bei Sky zu<br />
schaffen“, prophezeit die Commerzbank-<br />
Analystin. „Wenn es jemandem gelingt,<br />
Sky unterm Strich profitabel zu machen,<br />
dann ihm.“ Sullivan mag das schmeicheln.<br />
Doch offiziell hält er den Ball lieber flach:<br />
„Wir sind ein kleines Unternehmen, aber<br />
wir wachsen schnell. Noch erreichen wir<br />
gerade mal zehn Prozent der deutschen<br />
Haushalte; wir erwarten jedoch, dass diese<br />
Zahl deutlich steigen wird.“ Und längst hat<br />
er es sich abgewöhnt, wie seine zahlreichen<br />
Vorgänger von den Abo-Zahlen zu<br />
schwadronieren, die Sky brauche, um Gewinne<br />
zu erzielen. Er bleibt lieber vage.<br />
Sullivan will vor allem eines nicht einleuchten:<br />
In Großbritannien feiert BSkyB<br />
seit Jahren Erfolge. In Deutschland ist das<br />
Interesse an Medien groß und das an Technik<br />
nicht minder. Und da soll kein Platz<br />
sein für profitable Pay-TV-Anbieter?<br />
Knacken will Sullivan den Markt vor allem<br />
mit langem Atem. Er will erst einmal<br />
Reichweite schaffen und Kunden ködern.<br />
Klappt das und bleiben genug bei der<br />
Stange, folgen die Erträge von selbst, so die<br />
Hoffnung. Sky braucht Masse – weltweit<br />
gieren Medienkonzerne danach. Und auf<br />
dem Weg dahin, das zeigen die steigenden<br />
Abo-Zahlen, hat er ein besseres Händchen<br />
als seine Vorgänger, indem er just an den<br />
Stellschrauben fuhrwerkt, die am unglamourösesten<br />
sind: Kundenservice, neue<br />
Technik und Steigerung der Zahl der Vertriebspartner.<br />
„Im Pay-TV ist es einfach,<br />
kurzfristige Entscheidungen zu treffen, die<br />
am Ende aber weder für das Unternehmen<br />
noch für die Kunden von Vorteil sind“, sagt<br />
Sullivan. „Stattdessen muss man in Produkte,<br />
Programme und die Nutzer-Erfahrung<br />
investieren. Danach braucht es eben<br />
seine Zeit, bis die Kunden das wertschätzen<br />
lernen.“ Deshalb steckt Sky Geld in<br />
seine Kunden-Callcenter, die vorher einen<br />
miesen Ruf hatten, weil das Unternehmen<br />
lange das Sparbrötchen gab. „Heute gewinnen<br />
wir Preise für unser Kunden-<br />
Management“, sagt Sullivan.<br />
»Es braucht Zeit,<br />
ehe Kunden Investitionen<br />
wertschätzen<br />
lernen«<br />
Brian Sullivan, Sky-Chef<br />
Für alle Nutzer scheint das indes nicht zu<br />
gelten: Seit dem Anpfiff der laufenden<br />
Bundesliga-Saison Anfang August beschweren<br />
sich landesweit Kneipenbesitzer,<br />
denen Sky teils deftige Preiserhöhungen<br />
von mitunter mehr als 50 Prozent abverlangt.<br />
Viele haben bereits gekündigt.<br />
Intern setzte Sullivan von Beginn an Zeichen.<br />
Er treibt im Frühjahr 2010 seine Leute<br />
dazu an, eine Sky-App für Apples iPad zu<br />
programmieren, das im Sommer auf den<br />
Markt kommt. Bis zum Start des Tablets<br />
haben sie nur sechs Wochen Zeit. Sullivan<br />
will, das Sky Deutschland dabei ist. Fragt<br />
in die Runde beim großen, inzwischen<br />
abgeschafften 30-Mann-Wochenmeeting:<br />
Schaffen wir das? Erste Antwort:Es wird eine<br />
Menge Geld kosten und zweitens viel<br />
Zeit. Für Sullivan kein Hinderungsgrund:<br />
„Try it.“ Und wenn es nicht klappt? „It’s<br />
okay, try it“. Es klappt. „Auf diese Weise haben<br />
wir der Branche gezeigt, dass wir Neues<br />
entwickeln, statt an alten und überholten<br />
Technologien und Services festhalten<br />
zu wollen“, sagt Sullivan. Gleichzeitig massiert<br />
er das Ego der Mitarbeiter, denen jahrelang<br />
in den Ohren klang, sie säßen in einer<br />
Investitionsruine. Er treibt sie an zu zeigen,<br />
was sie draufhaben.<br />
Aus der App entwickelt Sky bald das Zusatzangebot<br />
Sky Go. Analystin Rabussier:<br />
„Das war der Gamechanger für Sky.“ Die<br />
Kunden sind seitdem am Bundesliga-<br />
Samstag nicht länger ans Wohnzimmer gefesselt<br />
und können den TV-Kick auf Tablet<br />
oder Laptop überall mit hinnehmen. Sullivan<br />
schätzt seine Kunden offenbar richtig<br />
ein, die Nachbarn, Verwandten, Freunden<br />
nur zu gern das Sky-Programm auf dem<br />
schicken neuen Gerät vorführen – für Sky<br />
ist das besser als teure Werbung.<br />
Sullivan führt weitere Technik-Neuerungen<br />
ein. So vervielfacht er die Zahl der Kanäle,<br />
die im hochauflösenden HD-Verfahren<br />
viel schärfere Fernsehbilder zeigen:<br />
„Damals hatten wir sieben HD-Kanäle, im<br />
Vergleich zu anderen Märkten war das verschwindend<br />
wenig.“ Heute sind es über 80.<br />
Schließlich begegnet Sullivan der Gefahr,<br />
dass Sky den wichtigsten TV-Trend<br />
der Dekade verpasst: Internet-Fernsehen<br />
68 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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FOTO: ACTION PRESS<br />
Teure Tore<br />
Sky zahlt der<br />
Bundesliga 486<br />
Millionen Euro<br />
auf Abruf. „Wir hatten keine Infrastruktur<br />
dafür, sondern nur lineare Sender, die nach<br />
einem starren Programmschema abliefen.“<br />
Also investiert er Geld, verschafft seinen<br />
Kunden die Möglichkeit, Spielfilme und<br />
Serien dann anzuschauen, wann sie es<br />
wollen – auch als Antwort auf neue Konkurrenten<br />
wie die US-Online-Videothek<br />
Netflix, die Mitte September in Deutschland<br />
startete (WirtschaftsWoche 38/2014).<br />
Zugleich sorgt er dafür, dass die Sky-Programme<br />
von immer mehr Kunden gesehen<br />
werden können. Seine Vorgänger hatten<br />
vermieden, bei Kabelnetzbetreibern Klinken<br />
zu putzen, einem der wichtigsten<br />
Transportwege für TV-Signale. Sullivan<br />
schließt Vertriebsallianzen mit Kabel<br />
Deutschland und Unity Media – und 2013<br />
mit der Telekom, was Sky einen Abo-Schub<br />
einträgt. „Das war ein Einmaleffekt“, sagt<br />
Analystin Rabussier. „Jetzt muss Sky beweisen,<br />
dass es auch aus eigener Kraft weiter<br />
Kunden hinzugewinnen kann.“<br />
KAMPF UM INHALTE<br />
Die Argumente für die Vertriebspartner liefern<br />
die Inhalte, vor allem die Fußballbundesliga.<br />
Entsprechenden Aufwand<br />
trieb Sullivan, um Sky 2012 die Übertragungsrechte<br />
aller 612 Spiele der ersten und<br />
der zweiten Liga zu sichern. Für das nötige<br />
Kleingeld – im Schnitt zahlt Sky der Liga bis<br />
Mitte 2017 pro Saison rund 486 Millionen<br />
Euro – bürgt Murdoch.<br />
Die bisherige US-Mutter ist es auch, die<br />
die Finanzierung des Deutschland-Ablegers<br />
auf langfristig sichere Füße stellt. Bis<br />
2018 ist Sky abgesichert und kann investieren,<br />
woran sich auch nach der geplanten<br />
Übernahme durch BSkyB nichts ändern<br />
dürfte. Sky, damit rechnen Beobachter,<br />
wird von der Allianz profitieren, der auch<br />
Sky Italia angehören soll.<br />
Gemeinsam könnten die Partner mehr<br />
eigene Filme und Serien produzieren lassen,<br />
an denen sie alle Rechte halten. Denn<br />
ob es auf Dauer ausreicht, die Streifen bei<br />
den Hollywoodstudios einzukaufen, die<br />
sich die gewünschte Exklusivität für die<br />
Ausstrahlungsrechte angesichts steigender<br />
Nachfrage immer teurer bezahlen lassen,<br />
daran zweifeln Branchenexperten.<br />
Der Kampf um diese Inhalte wird immer<br />
härter. So hält zwar ausgerechnet Sky auf<br />
Dauer die deutschen Erstausstrahlungsrechte<br />
an der US-Polit-Serie „House of<br />
Cards“, die der Konkurrent Netflix produzierte<br />
und die diesem reichlich Renommee<br />
verschaffte. Doch Netlix-Chef Reed Hastings<br />
kündigte bereits an, weiter kräftig in<br />
eigene Sendungen wie den Abenteuer-<br />
Streifen „Marco Polo“ zu investieren, die er<br />
exklusiv seinen Abonnenten zeigen will.<br />
Hastings kann Eigenproduktionen in mehr<br />
als 50 Ländern zeigen und profitiert von<br />
Skaleneffekten, die Sky so nicht hat.<br />
Voraussichtlich 2016 wird zudem die<br />
Deutsche Fußball-Liga erneut die Bundesliga-Rechte<br />
ausschreiben. Nicht nur Commerzbank-Expertin<br />
Rabussier hält es für<br />
möglich, dass Sky dann auch Konkurrenz<br />
durch völlig neue Mitspieler wie Google<br />
oder Amazon drohen: „Da kann es nicht<br />
schaden, mit BSkyB einen Verbündeten<br />
mit tieferen Taschen zu haben.“<br />
n<br />
peter.steinkirchner@wiwo.de<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Ostern und Weihnachten an einem Tag<br />
Henschel-Eigner Henke räumt auf<br />
Auferstanden<br />
HENSCHEL | Ein Ingenieur will die gefallene Ikone der deutschen<br />
Industrie wieder an die Weltspitze führen.<br />
kauft. Aber das Land Hessen verbürgte sich<br />
bei den Banken für den Jungunternehmer.<br />
Denn mit der Sparte erwarb Henke nicht<br />
nur Mitarbeiter, Maschinen und Marke,<br />
sondern auch Patente. Inzwischen hat er<br />
weitere angemeldet – auch auf seinen Namen.<br />
Manche Idee kommt ihm so spontan,<br />
dass er während einer Autofahrt schon mal<br />
an einer Raststätte anhält und auf einer<br />
Serviette eine grobe Skizze zeichnet.<br />
„Bei uns sind immer wieder individuelle<br />
Lösungen gefragt“, erklärt der Chef. Getriebe<br />
für unterschiedliche Züge, Getriebe für<br />
Bohrtürme, Getriebe für Bergwerke und<br />
für die Formel 1. Produziert wird nur in<br />
Deutschland. Denn für Henschel-Produkte<br />
made in Germany könne er 10 bis 15<br />
Prozent mehr verlangen als die ausländischen<br />
Konkurrenten, sagt Henke.<br />
Der Brief kam postwendend zurück.<br />
Das Kasseler Industrieunternehmen<br />
Henschel hatte die Annahme<br />
verweigert. „Zu wenig Porto“, sagt Absender<br />
Matthias Henke. Also fuhr er selbst<br />
nach Kassel und gab die Unterlagen persönlich<br />
ab. Er kam zwar nur bis zum Pförtner,<br />
wurde aber später von der Geschäftsleitung<br />
eingeladen und erhielt, was er begehrte:<br />
einen Job als Trainee. Das war 1991.<br />
Heute gehört ihm das Kasseler Werk.<br />
Henschel, das war einst Europas größter<br />
Hersteller von Lokomotiven sowie ein Produzent<br />
von Lastwagen und Bussen. Daran<br />
erinnert jetzt nur noch das Henschel-Museum.<br />
Henke will an die Tradition anknüpfen,<br />
zumindest ein bisschen: Das Unternehmen<br />
fertigt nun Getriebe für Lokomotiven.<br />
In dieser Nische, als Anbieter spezieller<br />
Antriebstechnik, soll es wieder zur Weltspitze<br />
aufsteigen. Plant Ingenieur Henke. Und<br />
geht dabei so unkonventionell und forsch<br />
vor wie bei seiner Bewerbung als Trainee.<br />
Dabei war Antriebstechnik nicht das Arbeitsfeld,<br />
das er sich erträumt hatte. Ursprünglich<br />
wollte der gebürtige Vorpommer<br />
Biologie studieren, Vögel beobachten.<br />
Doch für einen Platz an der Uni hätte er<br />
sich für drei Jahre bei der Volksarmee verpflichten<br />
müssen. Das lehnte Henke ab,<br />
wie er zuvor schon die Jugendweihe abgelehnt<br />
hatte. So ging er zur Reichsbahn, ließ<br />
sich zum Elektrotechniker ausbilden und<br />
studierte später Maschinenbau.<br />
Henke hadert nicht lange, er orientiert<br />
sich schnell um. Auch Unternehmer mochte<br />
er, sozialisiert im Sozialismus, zunächst<br />
nicht werden. Der hessische Kero Private<br />
Equity Fonds, damals Eigner von Henschel,<br />
musste ihn 2006 dazu drängen, zumal er<br />
nicht einmal genügend Geld besaß. So viel<br />
verdiente er, inzwischen Geschäftsführer,<br />
nicht, zudem hatte er gerade ein Haus ge-<br />
Lokomotive des<br />
Fortschritts<br />
» 1810 Georg Christian Carl Henschel<br />
gründet in Kassel eine Gießerei.<br />
» 1848 Das Unternehmen baut erstmals<br />
Lokomotiven, wird später Branchenführer<br />
in Europa. Von 1925 an produziert<br />
es auch Lkws und Busse.<br />
» 1957 Henschel steckt in die Krise,<br />
wird an Rheinstahl verkauft, danach an<br />
Thyssen. Die Sparten Lok und Auto<br />
werden später abgestoßen.<br />
» 2003 Kero erwirbt Henschel, filetiert<br />
die Firma und verkauft den Kern, die<br />
Antriebstechnik, 2006 an Henke.<br />
GRILLEN VOR DEM WERK<br />
Seine rund 200 Mitarbeiter mögen seine<br />
Art, obwohl er den Tarifvertrag gekündigt<br />
hat und sie deshalb schon auf zwei Lohnerhöhungen<br />
verzichten mussten. Aber wenn<br />
er durch die Werkhalle läuft, und er läuft oft<br />
durch, begrüßt er die Beschäftigten mit<br />
Handschlag und viele sogar mit Namen.<br />
Liegt ein Gerät oder eine Palette am falschen<br />
Platz, zitiert der Chef nicht den Arbeiter<br />
herbei, sondern packt selbst an. Als<br />
er im Juni seinen 50. Geburtstag feierte,<br />
warfen die Beschäftigten vor der Werkhalle<br />
den Grill an und schenkten ihrem Chef das<br />
Getriebe für einen ICE-Zug. „Da freute ich<br />
mich, als wären Ostern und Weihnachten<br />
auf einen Tag gefallen“, erinnert sich Henke.<br />
Überhaupt Getriebe: Für sie kann er sich<br />
so begeistern, wie Fußballfans für die Weltmeisterschaft<br />
der deutschen Elf. Beim Gang<br />
durch die Fabrik bleibt er an fast jedem größeren<br />
Getriebe stehen, lächelt und jongliert<br />
mit Begriffen wie Doppelschneckenextruder<br />
und Sphäroguss. 37,1 Millionen Euro<br />
Umsatz hat Henschel im letzten Jahr erwirtschaftet<br />
und eine, so Henke, „auskömmliche<br />
Rendite erzielt, aber nicht zweistellig“.<br />
Jetzt will er die Produktion ausweiten, allerdings<br />
in der alten Halle. Neue Maschinen<br />
hat er schon bestellt, knapp vier Millionen<br />
Euro investiert, erzählt er und läuft<br />
zum nächsten Getriebe. Sein Sakko hat er<br />
längst abgelegt. Bei seinem Tempo gerät er<br />
schon mal ins Schwitzen. Zum Ausgleich<br />
macht er, wovon er als Jugendlicher geträumt<br />
hat: Vögel beobachten.<br />
n<br />
hermann.olbermann@wiwo.de<br />
FOTO: PAAVO BLOFIELD/HENSCHEL, MAURITIUS IMAGES/ALAMY<br />
70 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Roter<br />
Teppich<br />
MOTORRÄDER | Seit der Finanzkrise<br />
hat sich der europäische<br />
Markt nicht mehr erholt.<br />
Anders in Asien: Dort beschert<br />
der neue Wohlstand deutschen<br />
Herstellern zweistellige<br />
Zuwachsraten.<br />
Einer der größten Bewunderer der<br />
Feuerstühle mit der markanten Farbe<br />
steht seit Kurzem an der Spitze der<br />
thailändischen Regierung. „Ich liebe die<br />
roten Motorräder“, bekannte General Prayuth<br />
Chan-ocha kürzlich mit Hinweis auf<br />
den Edelhersteller Ducati. Prayuth führt<br />
die Militärjunta, die am 22. Mai mit einem<br />
Putsch die Macht in Thailand übernommen<br />
hat. Seit Ende August ist er zugleich<br />
Premierminister des Landes.<br />
Der thailändische General ist nicht der<br />
einzige Ducati-Liebhaber in dem Königreich.<br />
Seit der Hersteller aus Bologna, der<br />
seit zwei Jahren zum VW-Konzern gehört,<br />
2011 sein Montagewerk in der Nähe von<br />
Bangkok eröffnete, kommen die Mechaniker<br />
kaum nach. 2013 rollten fast 10 000 Motorräder<br />
von den thailändischen Ducati-<br />
Bändern. 2015 werden es 11 000 sein, 2020<br />
schon etwa 20 000. Auf ähnliche Zuwächse<br />
im Asiengeschäft kommt auch der Münchner<br />
Konkurrent BMW. Die wichtigsten<br />
Märkte sind Thailand, Malaysia und China.<br />
„Die Möglichkeiten in der Region hier sind<br />
gigantisch“, schwärmt Francesco Milicia,<br />
Chef bei Ducati in Thailand.<br />
Diese Entwicklung steht in krassem Gegensatz<br />
zum Motorradgeschäft in Europa.<br />
Dort haben sich die Verkäufe seit der Finanzkrise<br />
immer noch nicht erholt. Fast 2,5<br />
Hand anlegen Hersteller wie BMW finden in<br />
Thailand nicht genug geeignetes Personal<br />
Millionen verkauften die Händler in der EU<br />
2007, im vergangenen Jahr waren es weniger<br />
als die Hälfte. In Italien und Spanien<br />
liegt der Absatz immer noch gut 70 Prozent<br />
unter dem Niveau von 2007.<br />
Kein Wunder, dass BMW und Ducati auf<br />
Fernost hoffen – auch weil die Behörden<br />
dort ihnen den roten Teppich ausrollen.<br />
Thailand etwa hat seine Unternehmenssteuern<br />
kürzlich von 30 auf 20 Prozent gesenkt.<br />
Und wenn Motorradhersteller mehr<br />
als 40 Prozent ihrer Komponenten in Thailand<br />
einkaufen, zahlen sie zudem auf die<br />
übrigen Teile sowie auf eingeführte Maschinen<br />
und Anlagen keine Importzölle.<br />
ZOLLFREIER EXPORT<br />
Gut 20 Millionen Euro hat Ducati in Thailand<br />
investiert. Rund 400 Mitarbeiter fertigen<br />
in den Werkshallen fünf verschiedene<br />
Modelle. Ende Oktober wird Ducati auf der<br />
Kölner Motorradmesse ein weiteres Modell<br />
mit weniger als 100 PS vorstellen, das<br />
in Thailand und Italien gefertigt und weltweit<br />
vertrieben wird.<br />
„Wir sind nicht wegen der niedrigeren<br />
Lohnkosten nach Thailand gegangen“, sagt<br />
Ducati-Statthalter Milicia, während er<br />
durch die penibel sauberen Fabrikhallen<br />
führt. Grund ist neben den staatlichen Vergünstigungen<br />
die hoch entwickelte Zulieferindustrie.<br />
Hinzu kommt der Binnenmarkt<br />
der zehn Mitgliedsländer der<br />
Vereinigung Südostasiatischer Staaten<br />
(Asean), der Anfang 2015 in Kraft tritt.<br />
Dann kann Ducati zollfrei in die Nachbarländer,<br />
etwa Malaysia, exportieren.<br />
Solche Aussichten haben auch BMW<br />
nach Thailand gelockt. Bisher mussten die<br />
Münchner ihre Maschinen nach Asien exportieren,<br />
seit Anfang des Jahres fertigen<br />
sie in der Nähe von Bangkok. Mit dem<br />
Wegfall der Importzölle ist nun etwa die<br />
zweizylindrige F 800 R in Thailand nicht<br />
mehr teurer als in Deutschland, wo sie<br />
8900 Euro kostet. Vorher fielen in Thailand<br />
60 Prozent Importzoll an, in Indonesien 50<br />
und in Vietnam 77 Prozent.<br />
Zwar bewegte sich der BMW-Absatz<br />
2013 mit 400 in Thailand verkauften Motorrädern<br />
noch auf niedrigem Niveau. Doch<br />
das Absatzplus zwischen Januar und Juli<br />
dieses Jahres lag bei 16 Prozent. Bis Jahresende<br />
will BMW in seinem Werk in Thailand<br />
1000 Maschinen montieren.<br />
Probleme haben die deutschen Hersteller<br />
lediglich bei der Personalsuche. Denn<br />
in Thailand herrscht praktisch Vollbeschäftigung.<br />
„Unter den ausländischen Unternehmen<br />
herrscht ein gnadenloser Wettbewerb<br />
um Talente“, sagt Milicia. Er zahlt den<br />
Ducati-Mitarbeitern am Jahresende drei<br />
Monatsgehälter als Bonus. Trotzdem liegt<br />
die Fluktuation bei 15 Prozent.<br />
Vielleicht fördert ja jetzt die Ducati-Kantine<br />
die Treue: Sie bietet jeden Tag italienische<br />
Pasta an. Die Mitarbeiter liebten es, so<br />
Milicia: „Vor allem, wenn die Köche die italienische<br />
Küche mit lokalen Spezialitäten<br />
wie Chili oder Ananas kombinieren.“ n<br />
matthias.kamp@wiwo.de | Bangkok<br />
Edelmotorräder von Ducati sind in<br />
Thailands Militärregierung beliebt<br />
FOTOS: PR (2)<br />
72 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Sonderangebote im<br />
Briefkasten<br />
Der Stanzteilhersteller<br />
Ahlberg-Gruppe wächst<br />
durch Zukäufe<br />
Preis der Freiheit<br />
Worauf Unternehmen bei der Finanzierung von Firmenübernahmen achten müssen, beschreibt die<br />
dritte Folge der WirtschaftsWoche-Serie in Kooperation mit der Beratung Deloitte.<br />
Die Ahlberg Metalltechnik Gruppe in Berlin beliefert<br />
die Automobilindustrie mit Stanz-, Biege-,<br />
Dreh- und Frästeilen. Mario Ahlberg, Chef<br />
des Mittelständlers, bekommt regelmäßig Post mit<br />
Sonderangeboten – nicht für Waschpulver oder Tiefkühlkost,<br />
sondern für komplette Unternehmen. Häufig<br />
stammen die Offerten von Banken, manchmal<br />
auch von den Firmeneigentümern. In den vergangenen<br />
Jahren hat Ahlberg regelmäßig zugegriffen, wenn<br />
die Angebote passten. Zuletzt hat er die Werner<br />
Scholz Präzisionsdreh- und Frästeile in Berlin für einen<br />
mittleren einstelligen Millionenbereich gekauft.<br />
Solche Summen kann nicht jeder Mittelständler<br />
aus eigener Kraft stemmen, die meisten müssen sich<br />
das Geld leihen. Fragt sich allerdings bei wem, die<br />
Wahl der richtigen Finanzierung und des Geldgebers<br />
ist schwierig: Die Kreditgeber und -nehmer müssen<br />
zueinander passen, und die Konditionen für die<br />
Rückzahlung des Kredites dürfen das operative Geschäft<br />
nicht gefährden.<br />
Wegen der niedrigen Zinsen sitzt das Geld locker,<br />
viele Investoren und Firmen suchen nach Anlagemöglichkeiten.<br />
Entsprechend knapp sind gute Kaufgelegenheiten.<br />
Das führt häufig dazu, dass die Preise<br />
den tatsächlichen Firmenwert übersteigen.<br />
Die Banken sind daran nicht ganz unschuldig, weil<br />
sie selbst für vergleichsweise riskante Projekte gern<br />
SERIE<br />
Mittelstand<br />
Fit for Future<br />
Fusionen & Übernahmen<br />
Der richtige Partner (I)<br />
Finanzinvestoren (II)<br />
Finanzierung (III)<br />
Osteuropa/Asien (IV)<br />
Integration (V)<br />
Interview (VI)<br />
Geld verleihen und so die Nachfrage nach oben treiben.<br />
Wenn dann der Kaufinteressent nicht aufpasst,<br />
wird es kritisch. „Unternehmer sind im Vorfeld der<br />
Übernahme eines anderen Unternehmens häufig<br />
sehr optimistisch“, warnt Christian Ukens, Partner<br />
Debt Advisory & Financial Restructuring Services bei<br />
Deloitte. „Eventuelle Synergieeffekte werden nicht<br />
selten über-, die Kosten für den Neukauf hingegen<br />
unterschätzt.“ Zwei Drittel der Zukäufe seien unter<br />
dem Strich Fehlinvestitionen.<br />
Zwar gibt es beim Erwerb eines Unternehmens fast<br />
immer die Möglichkeit, durch Zusammenlegen von<br />
Abteilungen, durch gemeinsame Nutzung von Anlagen<br />
oder gemeinsamen Einkauf Geld zu sparen.<br />
Doch genauso häufig kommt es auch zu Überlappungen,<br />
etwa bei der Produktpalette, sodass Personal<br />
entlassen oder Kapazitäten abgebaut werden müssen.<br />
Das kostet Geld, etwa für Abfindungen. Hinzu<br />
kommen die Kosten für die Finanzierung der Transaktion,<br />
für Anwälte und Berater oder die Umstrukturierung<br />
des vergrößerten Unternehmens. „Der zusätzliche<br />
Investitionsbedarf sollte durch dafür vorgesehene<br />
Tranchen im Kreditvertrag entsprechend berücksichtigt<br />
werden“, empfiehlt Experte Ukens.<br />
In der Regel haben mittelständische Unternehmen<br />
dafür nicht genug flüssige Mittel und sind deshalb auf<br />
externe Geldgeber angewiesen. Dabei gibt es grund-<br />
FOTOS: PR (2)<br />
74 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Mit Unterstützung von Deloitte*<br />
sätzlich drei Möglichkeiten: die Aufnahme von Krediten<br />
oder die Einwerbung frischen Eigenkapitals etwa<br />
durch einen Börsengang oder die Aufnahme eines<br />
Finanzinvestors in den Gesellschafterkreis.<br />
Doch Eigenkapitalerhöhungen durch fremde Geldgeber<br />
kommt für viele Mittelständler nicht infrage, sie<br />
fürchten sich davor, nicht mehr Herr im eigenen Haus<br />
zu sein. Auch für den Berliner Autozulieferer Ahlberg<br />
nicht: „Ich will selbstbestimmt bleiben und mir von<br />
niemanden reinreden lassen“, sagt der Firmenchef.<br />
Einen Teil des Kaufpreises für die Übernahme hat<br />
Ahlberg über eine stille Beteiligung finanziert, die<br />
nicht im Handelsregister auftaucht, den Rest über einen<br />
Bankkredit. „Das kostet zwar ein paar Euro mehr,<br />
aber das ist mir meine Freiheit wert. Deshalb bin ich<br />
schließlich Unternehmer geworden.“<br />
Eine nachvollziehbare Entscheidung, findet Berater<br />
Ukens. „Im Moment profitieren Mittelständler von<br />
der durch die Wettbewerbssituation getriebenen Liquidität<br />
im Bankenmarkt.“ Ukens empfiehlt Bankkredite<br />
aber auch, weil sie individuell ausgestaltet werden<br />
können. Das verschafft den Unternehmen Spielraum<br />
im operativen Geschäft. Die Zahl der benötigten<br />
Banken hängt <strong>vom</strong> Umfang des Kredits ab. Für<br />
kleinere Projekte reichen sogenannte bilaterale Kredite<br />
zwischen 30 und 50 Millionen Euro, bei denen<br />
das Geld nur von einer Bank kommt. „Bei größeren<br />
Akquisitionsfinanzierungen braucht es einen größeren<br />
Bankenkreis“, sagt Ukens. In einer sogenannten<br />
Klub-Finanzierung schließen sich dann mehrere<br />
Geldhäuser zusammen. Die mittelfristige Finanzierungssumme<br />
liegt bei solchen Gemeinschaftskrediten<br />
meist bei zwischen 50 und 80 Millionen Euro.<br />
Großdarlehen von 100 bis 150 Millionen werden<br />
meist als sogenannte syndizierte Kredite oder Konsortialfinanzierungen<br />
vergeben. Auch dann sind<br />
mehrere Banken im Boot, die Laufzeit ist aber länger.<br />
Vorteil dieser Konstruktion: „Die Abhängigkeit von<br />
einzelnen Finanzinstituten ist geringer“, sagt Ukens.<br />
Ahlberg arbeitet bei der Finanzierung mit der Berliner<br />
Sparkasse zusammen. Von der Sparkasse kam<br />
auch das letzte Übernahmeangebot für die Werner<br />
Scholz Präzisionsdreh- und Frästeile. Der damalige<br />
Inhaber war Sparkassen-Kunde und wollte sein Unternehmen<br />
aus Altersgründen verkaufen, weil ein<br />
Nachfolger fehlte. Auch zwei weitere Unternehmen,<br />
die heute zu seiner Gruppe gehören, kaufte Ahlberg,<br />
weil die Vorbesitzer Nachfolgeprobleme hatten.<br />
Inzwischen beschäftigt seine Gruppe 135 Mitarbeiter.<br />
Das Unternehmen entwickelt sich positiv: Der<br />
Gesamtumsatz stieg von 5,8 Millionen Euro 2012 auf<br />
8,6 Millionen im vergangenen Jahr. Die Sparkasse zögerte<br />
darum nicht, ihm den nötigen Kredit zu geben.<br />
Auf fünf wichtige Punkte müssen Kreditnehmer bei<br />
den Vertragsverhandlung achten:<br />
n Laufzeit: Sie bestimmt, in welchem Zeitraum ein<br />
Kredit zurückgezahlt werden muss, und kann individuell<br />
ausgehandelt werden. Hier sollten sich Unternehmen<br />
am sogenannten Kapitaldienst orientieren.<br />
»Mittelständler<br />
profitieren<br />
im Moment<br />
von der<br />
Liquidität<br />
im Bankenmarkt«<br />
Finanzierungsexperte<br />
Deloitte-Berater Ukens<br />
Regional verwurzelt<br />
Mit welchen Banken Mittelständler<br />
in Deutschland<br />
zusammenarbeiten<br />
Lokale Banken<br />
83%<br />
Deutsche Großbanken<br />
72%<br />
Förderinstitute<br />
35%<br />
Landesbanken<br />
34%<br />
Ausländische Banken<br />
29%<br />
Genossenschaftsbanken<br />
21%<br />
Privatbanken<br />
20%<br />
Quelle: Deloitte Finanzierung<br />
im Mittelstand, 2012<br />
Dieser beschreibt, wie hoch die Gewinne im operativen<br />
Geschäft sind – und was unterm Strich davon für<br />
die Rückzahlung übrig bleibt. Dabei muss auch bedacht<br />
werden, welche Investitionen das neue Projekt<br />
erfordert. Diese Aufwendungen müssen von einer<br />
realistischen Rückzahlungsrate abgezogen werden.<br />
n Kapitaldienst: Neben der monatlichen und jährlichen<br />
Tilgung kann auch eine endfällige Tilgung nach<br />
einer bestimmten Zeit vereinbart werden. Ein Unternehmen<br />
sollte in den Verhandlungen nicht zu viel<br />
versprechen, sondern die Geschäftsentwicklung eher<br />
konservativ beurteilen. „Die Zeiträume für Laufzeit<br />
und Tilgung müssen realistisch bleiben, sonst sind sie<br />
nicht zu halten“, sagt Deloitte-Experte Ukens.<br />
n Sicherheiten: Von den Banken werden am liebsten<br />
Grundstücke, Gebäude und grundschuldrechtliche<br />
Beleihungen akzeptiert. „Das übernehmende Unternehmen<br />
sollte sich aber gut überlegen, welche Sicherheiten<br />
es gewähren will“, rät Ukens. Wird etwa eine<br />
Immobilie als Sicherheit verpfändet, kann sie ohne<br />
Zustimmung der Bank nicht verkauft werden.<br />
n Unternehmensverfassung, die sogenannte Corporate<br />
Governance: Damit hier keine Probleme auftreten,<br />
sollten Kreditnehmer vor Vertragsabschluss<br />
prüfen, ob Leitung und Kontrolle des Unternehmens<br />
gesichert sind. Vor allem in familien- und in inhabergeführten<br />
Unternehmen gibt es damit manchmal<br />
Probleme. Häufig enthalten Kreditverträge nämlich<br />
Klauseln, nach denen die Bank ein Darlehen fällig<br />
stellen kann, wenn es im Kontrollgremium des Unternehmens<br />
einen Wechsel gibt. Auch wenn ein Familienunternehmen<br />
während der Laufzeit des Kredits<br />
Anteile verkaufen will, kann es Probleme geben, denn<br />
die Banken müssen zustimmen. Ist der Verkauf bereits<br />
bei Abschluss des Kredits absehbar, sollten dafür<br />
Ausnahmeregelungen getroffen werden.<br />
n Vertragsfreiheit: Auch Kreditverträge können bis zu<br />
einem gewissen Grad frei gestaltet werden. Geregelt<br />
werden können die Aufnahme zusätzlicher Bankund<br />
Leasingfinanzierungen, der Verkauf von Anlagevermögen<br />
oder Höchstbeträge für Dividendenausschüttungen.<br />
Auch die Aussetzung von Rückzahlungen<br />
für ein oder zwei Quartale kann vereinbart werden,<br />
vor allem bei Unternehmen mit saisonalem Geschäft<br />
ist das überlegenswert. Banken mögen flexible<br />
Regelungen weniger, solche Finanzierungen sind<br />
deshalb teurer.<br />
Der Berliner Unternehmer Ahlberg will trotz der<br />
guten Erfahrungen mit Firmenübernahmen vorerst<br />
nichts mehr kaufen, sondern sich auf die Integration<br />
der bisherigen Erwerbungen in seine Firmengruppe<br />
konzentrieren. Demnächst will er zum Beispiel alle<br />
Firmen an einem Standort zusammenziehen. Dafür<br />
muss Ahlberg bauen – und denkt darum schon mal<br />
über die nächste Finanzierungsrunde nach. n<br />
lea deuber | unternehmen@wiwo.de<br />
* Die Inhalte auf diesen Seiten wurden von der<br />
WirtschaftsWoche redaktionell erstellt.<br />
WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 75<br />
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Technik&Wissen<br />
Hilfreiche<br />
Überflieger<br />
DROHNEN | Bootsflüchtlinge retten, Bodenschätze aufspüren,<br />
Medikamente verteilen – um das zu ermöglichen,<br />
will die EU den Luftraum für die smarten Fluggeräte<br />
öffnen. Ist das der Durchbruch für die fliegenden Roboter?<br />
Komische Vögel sind sie am Edersee<br />
gewöhnt. Strandläufer, Haubentaucher,<br />
sogar Seeadler lassen<br />
sich an Deutschlands drittgrößtem<br />
Stausee blicken. Aber<br />
der Flugkünstler, der an diesem Sommertag<br />
über der majestätischen Talsperre in Nordhessen<br />
abhebt, ist eine Premiere: Sechs Propeller,<br />
vier Beine, eine Kamera am Rumpf –<br />
eine knallorangene Drohne saust in den<br />
stahlblauen Himmel hinauf, immer auf die<br />
mächtige, kirchturmhohe Staumauer zu.<br />
Das Manöver ist Teil eines Schauflugs. Die<br />
Entwickler des Kasseler Start-ups Aibotix<br />
demonstrieren, wie ihr Flugroboter Aibot<br />
die Inspektion der Hunderte Meter langen<br />
Betonwälle erleichtert. „Unser Kopter fliegt<br />
Dämme systematisch ab und nimmt<br />
Tausende gestochen scharfe Bilder auf“, sagt<br />
Aibotix-Geschäftsführer Jörg Lamprecht.<br />
„So lassen sich selbst kleinste Risse aufspüren.“<br />
Was Bauingenieure bisher tagelang beschäftigte,<br />
erledige seine Drohne in Minuten,<br />
verspricht Lamprecht.<br />
Lange waren Drohnen – ob ferngesteuert<br />
oder autonom fliegend – nur als Spielzeug<br />
oder Kriegsgerät bekannt. Nun aber erweisen<br />
sich die unbemannten Plastikvögel<br />
auch im kommerziellen Gebrauch immer<br />
öfter als nützliche Werkzeuge. Sie erkennen<br />
leckende Pipelines, vermessen Areale oder<br />
helfen Bauern bei der Feldarbeit, indem sie<br />
ihnen zeigen, wo Unkraut wuchert.<br />
Noch hemmt zwar Bürokratie den<br />
Alltagseinsatz der Roboflieger, muss jeder<br />
Flug von den Luftfahrtbehörden der Bundesländer<br />
genehmigt werden. Doch ein<br />
Vorstoß der EU-Kommission verspricht<br />
bald deutlich bessere Startbedingungen: Ab<br />
2016 sollen europaeinheitliche Vorschriften<br />
den Betrieb der Fernsteuerflieger regeln. Sie<br />
könnten dann so regelmäßig abheben wie<br />
bisher nur Flugzeuge. In den USA soll ein<br />
solches Gesetz schon 2015 kommen.<br />
Es dürfte also lebendig werden im Luftraum.<br />
Zahlreiche Unternehmen bereiten<br />
den Einsatz von Flugrobotern vor – mit teils<br />
faszinierenden, teils skurrilen Ideen: Am<br />
Mittwoch erst kündigte die Posttochter DHL<br />
Europas ersten autonom fliegenden Paketboten<br />
an: Er soll regelmäßig Medikamente<br />
<strong>vom</strong> ostfriesischen Norddeich zwölf Kilometer<br />
weit zur Insel Juist liefern. In Bordeaux<br />
lässt der Winzer Bernard Magrez<br />
Drohnen über Weinbergen kreisen, die per<br />
Infrarotsensoren ermitteln, welche Trauben<br />
erntereif sind. Und Google will Solarflieger<br />
in bis zu 20 Kilometer Höhe schicken, um<br />
schnelle Internet-Verbindungen per Funk in<br />
entlegene Gebiete zu bringen.<br />
Bereits in zehn Jahren, schätzt die EU-<br />
Kommission, könnten zivile Drohnen zehn<br />
Prozent des Luftfahrtmarkts in Europa ausmachen<br />
– das entspräche 15 Milliarden Euro<br />
Umsatz pro Jahr. In den USA rechnet der<br />
Immer mehr Geschäftsflieger<br />
Zahl der bekannten Drohnentypen* für<br />
militärische und zivile Einsatzzwecke<br />
700<br />
600<br />
500<br />
400<br />
300<br />
200<br />
100<br />
0<br />
militärische Nutzung<br />
609<br />
315<br />
kommerzielle Nutzung<br />
2010 2011 2012 2013<br />
* weltweit; Quelle: Statista; RPAS Yearbook<br />
2014<br />
Branchenverband Association for Unmanned<br />
Vehicle Systems International sogar<br />
hoch, dass eine allgemeine Flugerlaubnis<br />
für Drohnen die Wirtschaft bis 2025 um<br />
insgesamt 82 Milliarden Dollar stärke – und<br />
100000 neue Jobs schaffe.<br />
Das mag arg optimistisch sein. Doch zumindest<br />
technisch steht dem Aufstieg der<br />
Drohnenschwärme nicht mehr viel im Wege.<br />
Denn die Mikroflieger halten inzwischen<br />
auch ohne Pilot ihre Flugbahn – was sie dem<br />
Technologiesprung in einer ganz anderen<br />
Branche verdanken: dem Mobilfunk. Dessen<br />
riesige Nachfrage nach billigen, aber<br />
FOTO: PR<br />
78 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Inspektion aus der Luft<br />
Eine Kameradrohne des<br />
Start-ups Aibotix untersucht<br />
die Edertalsperre<br />
exakten Lage- und Bewegungssensoren für<br />
Smartphones hat die Module auch für die<br />
Drohnenbauer drastisch vergünstigt – bei<br />
dennoch konstant wachsender Leistung.<br />
ROBOTER DER LÜFTE<br />
Die nur noch ein paar Cent teuren Chips<br />
machen nicht nur den Bau von 100-Euro-<br />
Spielzeugdrohnen möglich, die sogar bei<br />
Windstößen noch ihre Fluglage halten (siehe<br />
Seite 82). Auch für professionelle Flieger<br />
sind die Computer mittlerweile schlau genug,<br />
um präzise Routen zu verfolgen, die<br />
Steuerungen ausreichend reaktionsschnell,<br />
Videos<br />
In unserer<br />
App-<strong>Ausgabe</strong><br />
finden Sie Filme<br />
von Drohnen im<br />
Einsatz<br />
um Hindernissen auszuweichen, und die<br />
Batterien so kraftvoll, dass sie Lasten sogar<br />
kilometerweit transportieren können.<br />
Wo also werden die hilfreichen Überflieger<br />
uns künftig Arbeit abnehmen?<br />
Wie realistisch sind Drohnenkuriere,<br />
die unsere Online-<br />
Einkäufe bis zur Haustür bringen?<br />
Und wie stellen die Hersteller<br />
sicher, dass uns nicht eines Tages<br />
defekte oder gekaperte Flugroboter<br />
auf den Kopf fallen?<br />
Die Suche nach Antworten beginnt<br />
auf einem Militärareal südlich<br />
von Wien. Das österreichische Unternehmen<br />
Schiebel testet dort seinen Camcopter<br />
S-100. Wer die Spähdrohne in Aktion<br />
erleben will, muss sich einen Weg durch<br />
Panzersperren und über unbefestigte<br />
Wege bahnen – und übersieht<br />
dabei allzu leicht den kleinen<br />
Punkt am Himmel. Erst als<br />
der Flieger aus der Höhe zum Boden<br />
schießt, stark abbremst und<br />
schließlich fast lautlos über den<br />
Baumwipfeln schwebt, erkennt<br />
der Besucher den nur drei Meter<br />
langen Helikopter.<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 79<br />
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Technik&Wissen<br />
»<br />
Bis zu 200 Kilometer weit kann er fliegen<br />
und vorprogrammierte Manöver ohne<br />
menschliche Eingriffe ausführen. Noch aus<br />
fünf Kilometer Höhe macht seine Kamera<br />
jedes Gesicht und Autokennzeichen erkennbar.<br />
Ein Sender überträgt die Bilder live<br />
an die Bodenstation, wo Piloten die Steuerung<br />
jederzeit übernehmen können.<br />
Sogar bei Windstärken, bei denen die See<br />
rau wird, kann der Camcopter noch problemlos<br />
auf schwankenden Schiffen landen.<br />
Das macht die Schiebel-Drohne bei Militärs<br />
um den gesamten Globus zum begehrten<br />
Späher. Doch nun wollen die Österreicher<br />
auch den kommerziellen Markt ansteuern.<br />
„Noch ist das zivile Segment klein, weil der<br />
für unsere Produkte nutzbare Luftraum<br />
stark eingeschränkt ist“, sagt Geschäftsführer<br />
Hans Georg Schiebel, „aber der zivile Einsatz<br />
ist ein absoluter Wachstumsmarkt.“<br />
JAGD AUF UNKRAUT – UND DIEBE<br />
Erst vor wenigen Tagen hat das Unternehmen<br />
einen neuen Kunden gewonnen: Die<br />
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit<br />
in Europa (OSZE) bestellte mehrere<br />
Camcopter, um damit die russischukrainische<br />
Grenze zu überwachen. Auch<br />
über dem Mittelmeer zieht der Flieger seit<br />
Kurzem Runden. Die italienische Marine<br />
will damit Flüchtlingsschiffe aufspüren –<br />
und Helfer schneller zu Booten in Seenot<br />
schicken können.<br />
Es sind vor allem die Kameras, die Drohnen<br />
für viele neue Einsatzzwecke so interessant<br />
machen. Selbst aus großer Höhe machen<br />
die hochauflösenden Sensoren<br />
kleinste Details am Boden sichtbar.<br />
Ende Juli fanden Helfer in Texas<br />
mithilfe einer Drohne eine vermisste<br />
Frau. Die fliegende Kamera hatte<br />
zwischen dichten Bäumen einen verlorenen<br />
Tennisschuh abgelichtet, der die Retter<br />
auf die Spur zu der Vermissten brachte.<br />
Und bei der Elbeflut 2013 nutzten die ehrenamtlichen<br />
Kräfte der deutschen Hilfsorganisation<br />
@fire unbemannte Flieger, um Lagekarten<br />
zu erstellen, Deiche zu überwachen<br />
und frühzeitig Treibgut zu entdecken, bevor<br />
es die Deiche beschädigte.<br />
Das Kasseler Start-up Aibotix hat sogar eine<br />
Kameradrohne entwickelt, die binnen<br />
Minuten millimetergenaue 3-D-Modelle ihrer<br />
Umgebung erstellt – und so Vermessungstechnikern<br />
viele Tage mühsamer Arbeit<br />
abnimmt. Dazu fliegt die Drohne festgelegte<br />
Routen ab und macht Tausende überlappender<br />
Fotos. Daraus berechnet eine<br />
Geo-Software später ein genaues räumliches<br />
Höhenprofil der Gegend.<br />
Schneller liefern In Kürze fliegt DHL eilige Arzneimittel per autonomem<br />
Paketkopter mit Tempo 60 zur Nordseeinsel Juist<br />
Mehr als 500 Aibotix-Flugroboter sind<br />
weltweit schon im Einsatz. Minenbetreiber<br />
in Norwegen und Australien vermessen damit<br />
täglich ihre Abraumberge, um zu schätzen,<br />
wie viele Metalle darin stecken. Der<br />
Energiekonzern RWE setzt die Flieger ein,<br />
um Strommasten auf Schäden zu kontrollieren.<br />
Bisher mussten dazu Techniker auf jeden<br />
einzelnen Mast klettern – oder teuer mit<br />
herkömmlichen Helikoptern heranfliegen.<br />
Auch Windräder und Brücken scannt die<br />
Drohne aus der Luft und macht Haarrisse,<br />
Roststellen oder Verformungen im Millimeterbereich<br />
sichtbar.<br />
Fliegende Kameras<br />
erkunden brennende<br />
Gebäude<br />
Kameradrohnen können aus der Luft sogar<br />
erkennen, was dem menschlichen Auge<br />
verborgen bleibt. Unkraut etwa, das auf Feldern<br />
wuchert und der Saat wichtige Nährstoffe<br />
raubt. Um die Gewächse aus der Luft<br />
zu entdecken, hat das US-Start-up Precisionhawk<br />
ein Robo-Flugzeug mit Spektrometern<br />
ausgestattet – Kameras, die das<br />
Wellenspektrum des einfallenden Lichts<br />
sezieren. Unkraut setzt sich farblich klar<br />
von den gewünschten Gewächsen ab.<br />
„Landwirte können damit genau planen,<br />
wo sie Pestizide einsetzen müssen“, sagt Tyler<br />
Collins, Leiter der Geschäftsentwicklung<br />
bei Precisionhawk. „Das spart Kosten und<br />
schont die Umwelt.“ Auch für den Einsatz<br />
Schärfer sehen Ein ferngesteue<br />
Schiebel sucht über dem Mittel<br />
der Pflanzenschutzmittel gibt es inzwischen<br />
Drohnen, etwa <strong>vom</strong> japanischen Hersteller<br />
Yamaha. Die Modelle von Precisionhawk allerdings<br />
erkennen zusätzlich auch kleinste<br />
Pflanzenkeimlinge und machen sichtbar,<br />
wo die Landmaschinen bei der Aussaat eine<br />
Reihe ausgelassen haben. Der Landwirt<br />
kann dann nachpflanzen.<br />
Mehr als 15000 Dollar kostet so ein fliegender<br />
Scanner für den Acker. Bisher darf er<br />
in den USA allerdings nur in sechs Testregionen<br />
abheben. Collins hofft, dass die neuen<br />
Flugregeln ab kommenden Jahr den Einsatz<br />
auch landesweit erlauben. Drohnen zu fliegen<br />
soll dann auch für Landwirte nur noch<br />
eine Sache von wenigen Mausklicks sein:<br />
Die Route auf der Landkarte markieren,<br />
auf Start drücken – schon hebt der<br />
Flieger vollautomatisch ab.<br />
Die fliegenden Kameras ermöglichen<br />
auch völlig neue Formen der<br />
Überwachung und Verbrecherjagd<br />
durch Polizei und Geheimdienste. Im<br />
EU-Projekt Aeroceptor untersuchen Forscher,<br />
wie Drohnen künftig verdächtige Autos<br />
und Boote stoppen können. Als mögliche<br />
Methoden nennt die EU-Kommission<br />
elektromagnetische Strahlen, die die Elektronik<br />
der Fahrzeuge außer Gefecht setzen,<br />
und abwerfbare Netze, die sich in Rädern<br />
oder Propellern verfangen.<br />
FÜNF JAHRE IN DER LUFT<br />
Doch noch sind viele Fragen völlig ungeklärt.<br />
Wie etwa, wer dann für Unfälle verantwortlich<br />
wäre? Was Drohnen künftig dürfen<br />
und was nicht, wird noch viele politische<br />
Debatten auslösen.<br />
Bisher sieht etwa ein Vorschlag des Europäischen<br />
Rats vor, dass Piloten die autonomen<br />
Flieger ständig überwachen müssen.<br />
FOTOS: GETTY IMAGES/ULRICH BAUMGARTEN, CORBIS/ITAR TASS, PR<br />
80 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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ter Helikopter des Herstellers<br />
meer nach Flüchtlingsbooten<br />
Vielleicht gibt es also künftig Fluglotsen für<br />
den Drohnenluftraum. Und das könnte eine<br />
ziemlich umfangreiche Aufgabe werden:<br />
Denn rein technisch sind die Geräte bald<br />
nicht mehr nur in der Lage, vorgegebene<br />
Routen autonom abzufliegen, sondern dabei<br />
auch fast endlos in der Luft zu bleiben.<br />
Daran arbeitet etwa der US-Drohnenhersteller<br />
Titan Aerospace, der im April <strong>vom</strong> Internet-Konzern<br />
Google übernommen wurde.<br />
Sein autonomes Fluggerät hat rund 50<br />
Meter Spannweite, wiegt aber nur rund 175<br />
Kilogramm. Ausgestattet mit Akkus und mit<br />
Solarzellen in den Flügeln, soll es bis zu fünf<br />
Jahre lang in der Luft bleiben.<br />
FLIEGENDE BOHRMASCHINE<br />
Künftig möchte Google ganze Flotten der<br />
Solardrohne steigen lassen. In 20 Kilometer<br />
Höhe, doppelt so hoch wie Passagierjets,<br />
sollen sie den Erdball umkreisen und von<br />
dort per Funk für schnelle Verbindungen<br />
zum Internet sorgen – vor allem in Regionen<br />
Afrikas, Asiens und Südamerikas, wo es weder<br />
Mobilfunknetze noch Telefonleitungen<br />
gibt. Bisher nutzen nur rund 2,5 Milliarden<br />
Menschen das Internet. Fliegende Funkmasten,<br />
hofft Google, könnten bald weitere<br />
Milliarden Nutzer ins Web bringen.<br />
Die Technik ist so weit fortgeschritten,<br />
dass Google ebenso wie der Online-Händler<br />
Amazon und die Deutsche Post erwägen,<br />
Drohnen als Lieferboten einzusetzen: Dann<br />
müssten Kunden nicht mehr auf den Paketzusteller<br />
warten oder zum Shoppingcenter<br />
fahren, um einzukaufen. Stattdessen bringt<br />
eine Drohne die Ware direkt vor die Haustür.<br />
Selten genutzte Gegenstände, etwa<br />
Bohrmaschinen, müsste der Heimwerker<br />
überhaupt nicht mehr kaufen – er könnte<br />
sie sich via Luftkurier ausleihen.<br />
Mehr ernten Die Robo-Flieger <strong>vom</strong> US-Start-up Precisionhawk<br />
zeigen dem Landwirt, wo er sein Getreide nachsäen muss<br />
Der Empfänger brauche dafür nicht einmal<br />
vor Ort sein, glaubt Bart Theys. Der Forscher<br />
der Universität Leuven bei Brüssel<br />
entwickelt eine Landeplattform für solche<br />
Liefervögel – nicht größer als ein Schreibtisch.<br />
Ein Roboterarm schiebt Pakete in den<br />
Frachtschlitz der Drohne, bis sie dort in einen<br />
Haltemechanismus einklinken – wie<br />
ein Akku in einer Kamera.<br />
RECHTSLAGE<br />
Worauf Drohnenflieger<br />
achten müssen<br />
A Unter welchen Voraussetzungen in<br />
Deutschland Drohnen aufsteigen dürfen,<br />
hängt <strong>vom</strong> Zweck der Nutzung ab.<br />
Für Private gilt: Wiegt der Flieger weniger<br />
als 5 Kilogramm, ist keine Genehmigung<br />
nötig. Er muss aber in Sichtweite<br />
des Piloten bleiben.<br />
A Gewerbliche Flüge müssen dagegen<br />
von den Luftfahrtbehörden der jeweiligen<br />
Bundesländer bewilligt werden.<br />
A Wiegt die kommerzielle Drohne weniger<br />
als 5 Kilogramm kann die Behörde<br />
die Bewilligung für zwei Jahre erteilen.<br />
Ist sie schwerer, ist für jeden Flug<br />
eine Einzelgenehmigung erforderlich.<br />
A Prinzipiell gilt: Piloten dürfen ihre<br />
Drohnen nur auf Sicht und nie höher als<br />
100 Meter fliegen. Flüge über Menschen<br />
sind verboten. Die Privatsphäre<br />
Unbeteiligter darf – etwa durch Fotoaufnahmen<br />
– nicht gefährdet werden.<br />
Am Ziel, das bis zu 30 Kilometer entfernt<br />
sein kann, landet der Lufttransporter auf<br />
einer baugleichen Plattform, die das Paket<br />
wieder automatisch auslädt. „Drohnen<br />
sind schneller als Lieferwagen“, sagt Theys,<br />
„sie sind preiswerter im Betrieb und sie<br />
verbrauchen weniger Energie.“ Sogar Auftanken<br />
sollen die Geräte bald von selbst:<br />
Das Berliner Start-up Skysense entwickelt<br />
eine Bodenstation, auf der Drohnen automatisch<br />
ihre Batterie laden.<br />
Zunächst werden Lieferdrohnen auf fest<br />
definierten Kurzstrecken in bis zu 100 Meter<br />
Höhe fliegen, hofft Theys. „Sie könnten<br />
Ersatzteile oder Dokumente über ein großes<br />
Betriebsgelände transportieren.“ Auf<br />
dem Weg dürften allerdings keine unerwarteten<br />
Hindernisse auftauchen, etwa<br />
Baukräne oder neue Strommasten. Denn<br />
die erkennen Drohnen bislang noch nicht.<br />
Aber auch daran arbeiten Wissenschaftler<br />
bereits – etwa Hannes Kaufmann und<br />
Annette Mossel von der Technischen Universität<br />
Wien. Ihre vierrotorige Minidrohne<br />
erstellt aus den Bildern einer eingebauten<br />
Smartphone-Kamera ein 3-D-Modell der<br />
Umgebung. Damit fliegt der Quadrokopter<br />
inzwischen durch abgesperrte Universitätsräume,<br />
ohne anzuecken.<br />
„Die Drohne könnte von der Feuerwehr<br />
in brennende Gebäude geschickt werden<br />
und einen Zugangsplan für die Einsatzkräfte<br />
erstellen“, sagt Kaufmann. Ein anderes<br />
Einsatzgebiet hat sich der Wiener Forscher<br />
<strong>vom</strong> Massachusetts Institute of Technology<br />
abgeschaut. Dort führt eine autonome<br />
Drohne Besucher über den Campus.<br />
Das Start-up Apoair in Elz bei Limburg<br />
wiederum will einen Schritt weiter gehen<br />
als DHL mit dessen ostfriesischen Medikamentenshuttle<br />
zur Insel Juist. Die Idee der<br />
Hessen: Apotheker sollen Pillenschachteln<br />
auch über bewohntem Gebiet per Flugroboter<br />
an Patienten senden. Dazu nutzen<br />
sie ein Fluggerät, das sie über eine eigene<br />
Internet-Plattform programmieren. „Sie<br />
geben das Ziel ein“, sagt Geschäftsführerin<br />
Karin Türk, „klicken auf Start, und die Maschine<br />
hebt ab.“ Als Testkunden hat das<br />
Start-up auch Universitätskliniken im Visier.<br />
Dort, auf abgezäuntem Gelände,<br />
könnten Drohnen zum Beispiel bald Blutproben<br />
zum Labor fliegen.<br />
Ab 2016, so die Hoffnung der Pioniere,<br />
könnte es erlaubt sein, Drohnen im Regelbetrieb<br />
ohne Sichtkontakt fliegen zu lassen.<br />
Dann wollen sie bereit sein.<br />
n<br />
andreas macho, andreas menn | technik@wiwo.de<br />
Lesen Sie weiter auf Seite 82 »<br />
WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 81<br />
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Technik&Wissen<br />
GADGETS<br />
Ziemlich abgehoben<br />
Alltagsdrohnen sind mal schwebendes Stativ für Fotografen,<br />
mal witziges Fluggerät fürs Wohnzimmer. Dank günstiger<br />
Technik aus der Handywelt kann sie inzwischen fast jeder<br />
problemlos steuern.<br />
Für Filmer – DJI Phantom 2 Vision+<br />
Die automatische Flugstabilisation und die in drei Achsen fernsteuerbare<br />
Kamera machen die Phantom zum fliegenden Auge, das Filme in Full-HD-Qualität<br />
dreht und Fotos mit 14 Megapixel schießt. Die Steuersoftware hält automatisch<br />
Abstand von Flugverbotszonen und bringt die Drohne nach bis zu<br />
25 Flugminuten automatisch zum Startort zurück.<br />
Preis: 1069 Euro<br />
Für Spieler – Parrot Rolling Spider<br />
Autostabilisator und Saltofunktion machen die<br />
Mikrodrohne zum fliegenden Clown für abgehobene Stunts<br />
in Innenräumen oder – bei Windstille – draußen. Maximal<br />
acht Minuten bleibt der 55-Gramm-Flieger in der Luft.<br />
Gesteuert wird er über eine Handy-App.<br />
Preis: 99 Euro<br />
Für Reisende – AirDroids Pocket Drone<br />
Wer auch im Urlaub Luftaufnahmen machen will, klappt<br />
den Tri-Rotor-Flieger zusammen und nimmt ihn mit. Der Besitzer<br />
kann ihn manuell per App steuern oder bis zu 20 Minuten im<br />
definierten Abstand automatisch fliegen lassen.<br />
Preis: rund 650 Euro<br />
Für Rasante – Lehmann LA 200<br />
Bis zu 30 Minuten lang jagt der Nurflügler mit maximal 80 Kilometern<br />
pro Stunde durch die Luft. Manuell gesteuert oder entlang programmierter Routen<br />
entfernt sich der 950 Gramm schwere Flieger bis zu drei Kilometer <strong>vom</strong> Startplatz.<br />
Der Autolandungsmodus bringt ihn am Ende sicher zurück.<br />
Preis: rund 3000 Euro<br />
Für Einsteiger – Blade Nano QX<br />
Mit 18 Gramm Gewicht ist die Blade Nano QX so<br />
etwas wie die Libelle unter den Drinnen-Drohnen. Maximal<br />
zehn Minuten Flugdauer sind drin, es gibt Flugmodi für<br />
Anfänger und für Fortgeschrittene.<br />
Preis: rund 80 Euro<br />
Für Sportler – Hexo+<br />
Hat der Pilot Abstand und Flughöhe voreingestellt, folgt<br />
ihm die Drohe wie ein Hund dem Herrchen – und dreht automatisch<br />
Videos <strong>vom</strong> Surfen, Snowboarden oder der Radtour.<br />
15 Minuten Flug bei Maximaltempo 70 sind drin.<br />
Preis: rund 950 Dollar (ab 2015)<br />
FOTOS: PR<br />
82 Redaktion: thomas.kuhn@wiwo.de Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Technik&Wissen<br />
Zwischen heute<br />
und morgen<br />
Ohne Schall und Rauch<br />
Mit Hybridantrieb ist der i8<br />
politisch korrekt unterwegs<br />
AUTOTEST | Der BMW i8 macht mit Hybridantrieb und Recyclingteilen auf Öko, mit Flügeltüren<br />
und Motorleistung auf Rennmaschine. Die Sportfahrerin und Physikerin Jutta Kleinschmidt lernte bei<br />
einer Rallye beide Facetten kennen: im Stadtverkehr und beim Kräftemessen mit einem Tesla.<br />
Guck mal – da hört man ja gar nichts!“<br />
Wie ein Mensch mit den Augen hören<br />
kann, bleibt das Geheimnis der<br />
jungen Frau am Wegesrand. Aber das Staunen<br />
steht ihr ins Gesicht geschrieben, als<br />
der Sportwagen auf der Düsseldorfer<br />
Rheinuferpromenade an ihr vorbeirollt, in<br />
Schrittgeschwindigkeit und im Schleichmodus:<br />
Für den Antrieb des BMW i8 sorgt<br />
gerade ein Elektromotor, dessen leises<br />
Summen beinahe von den Reifengeräuschen<br />
übertönt wird.<br />
Als sich zwei Fußgänger dem Auto mit<br />
gezückten Fotohandys in den Weg stellen,<br />
stoppt Jutta Kleinschmidt den Wagen und<br />
öffnet die Fahrertür. Ein Fehler. Denn sofort<br />
bildet sich eine Menschentraube, die<br />
neugierig ins Fahrzeug schaut und die Insassen<br />
mit Fragen bombardiert: Wie<br />
schnell ist der? Wie fährt der so? Wie weit<br />
kommt der mit einer Batterieladung?<br />
Geduldig beantwortet Kleinschmidt, die<br />
2001 als erste und bisher einzige Frau die<br />
berüchtigte Wüstenrallye Paris–Dakar<br />
gewann, alle Fragen. Im Motorsport hat die<br />
52-Jährige gelernt, auch in hektischen Situationen<br />
Ruhe zu bewahren. Was ihr jetzt,<br />
am Tag der Elektromobilität in Düsseldorf<br />
und obendrein als Sportdirektorin der<br />
gleichzeitig startenden Elektrorallye e-Cross<br />
Deutschland, hilft, gelassen zu bleiben.<br />
Dank ihres phänomenalen Gedächtnisses<br />
für Zahlen und Fakten hat die studierte<br />
Physikerin für jeden Neugierigen die passende<br />
Antwort. Also: Der Reihe nach.<br />
SCHEIN & SEIN<br />
Es gibt derzeit kaum ein Auto, das die Blicke<br />
so auf sich zieht wie der neue Ökosportler<br />
aus München: Alle Köpfe fliegen<br />
herum, wenn der i8 um die Ecke biegt.<br />
Kopf an Kopf Kräftemessen von BMW und<br />
Tesla auf der Rennpiste von Zolder<br />
Den BMW-Designern ist wirklich ein großer<br />
Wurf gelungen. Seine Proportionen –<br />
lange Fronthaube, große Radhäuser, kurzes<br />
Heck, breite Spur – entsprechen klassischem<br />
Sportwagendesign. Aber in vielen<br />
Details macht er auch deutlich: Hier<br />
kommt die neue Zeit. Das gilt für die extrovertierte,<br />
aufwendige Luftführung am<br />
Fahrzeugheck ebenso wie für die tiefgezogene<br />
Nase, hinter der sich der Elektromotor<br />
verbirgt. Zeigen kann ich ihn bei<br />
einem kurzen Zwischenstopp aber ebenso<br />
wenig wie den kleinen Drei-Zylinder-<br />
Motor unter dem Minikofferraum oder<br />
die Hochvolt-Batterie im Fahrzeugboden:<br />
Alles ist gut verpackt oder versteckt, einiges<br />
davon sogar nur mit Spezialwerkzeug<br />
zu erreichen.<br />
Spektakulär sind auch die Flügeltüren,<br />
die nach kurzem Druck auf einen Taster in<br />
der Griffmulde sanft nach oben aufschwingen<br />
und den Blick freigeben auf die<br />
Fahrgastzelle, die aus kohlefaserverstärktem<br />
Kunststoff geformt und mit Recyclingmaterialien<br />
ausgekleidet ist. Wer das Life-<br />
Modul entern will, sollte schlank und gelenkig<br />
sein: Es ist ein wenig Übung und<br />
Sportlichkeit nötig, um einigermaßen elegant<br />
in den Fahrersitz zu gelangen. Auch<br />
sehen die Flügeltüren zwar cool aus. Im<br />
Parkhaus tut der Fahrer aber gut daran,<br />
FOTO: RUDOLF WICHERT FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
84 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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ausreichend Abstand zur Betonwand und<br />
zum nächsten Fahrzeug zu lassen – zu<br />
groß ist sonst die Gefahr von Remplern<br />
und Lackkratzern.<br />
SAUS & BRAUS<br />
Wer schon einmal einen BMW gefahren hat,<br />
findet sich im i8 schnell zurecht: Das in blaues<br />
Licht getauchte Cockpit ist erfreulich konventionell<br />
gestaltet. Das Head-up-Display,<br />
das Fahrgeschwindigkeit und Tempolimits<br />
in die Frontscheibe projiziert, findet sich<br />
heute auch schon in Allerweltsautos. Die eigentliche<br />
Show beginnt mit dem Druck auf<br />
den Startknopf in der Mittelkonsole: Eine futuristische<br />
Klangfolge signalisiert mir, dass<br />
volle Bordspannung anliegt. Einen Warp-<br />
Antrieb besitzt der i8 zwar nicht, aber die Beschleunigungswerte<br />
sind bereits im (rein<br />
elektrischen) Eco-Modus phänomenal: Vom<br />
Start weg liegen an der Vorderachse immerhin<br />
250 Newtonmeter an. Das reicht, um jedes<br />
Ampelrennen zu gewinnen.<br />
Im Sport-Modus schaltet sich der kleine<br />
Hochdrehzahl-Benziner an der Hinterachse<br />
dazu – der i8 wird nicht nur zum Allradler,<br />
sondern mit den vereinten Kräften beider<br />
Motoren vollends zur Rennmaschine. Das<br />
zeigt sich spätestens am nächsten Tag auf<br />
der früheren Formel-1-Rennstrecke im belgischen<br />
Zolder. Dort tritt der BMW im Rahmen<br />
der e-Cross gegen das 421 PS starke,<br />
rein elektrische Model S von Tesla an. Um es<br />
kurz zu machen: beim Tracktest über eine<br />
Viertelmeile fliegen beide Autos fast gleichauf<br />
über die Ziellinie, die Marke von 100 Kilometern<br />
pro Stunde ist hier wie da nach etwas<br />
mehr als vier Sekunden erreicht. Und<br />
das, obwohl der Tesla deutlich leistungsstärker<br />
ist. Doch sein Mehrgewicht von rund 615<br />
Kilogramm frisst diesen Vorteil wieder auf.<br />
Aber je länger die Strecke, desto mehr<br />
Mühe hat der Tesla, dem BMW zu folgen.<br />
Dafür fährt der Tesla nach drei Runden –<br />
wenn auch deutlich geschwächt – immer<br />
noch elektrisch, der BMW überwiegend mit<br />
dem kleinen, aber quicklebendigen Drei-<br />
Zylinder hinter der Rücksitzbank. Konsequenz:<br />
Weil die Rennstrecke an diesem Tag<br />
für Elektromobile reserviert ist, wird der i8<br />
wegen Lärmbelästigung der Strecke verwiesen.<br />
Der Verweis auf die Flugübungen<br />
der belgischen Luftwaffe über dem Gelände<br />
akzeptierte der Platzwart nicht.<br />
Schuld hat die bescheidene Speicherkapazität<br />
der Lithium-Ionen-Batterie im i8.<br />
Im Stadtverkehr beträgt die Reichweite damit<br />
maximal 30 Kilometer. Auf der Rennstrecke<br />
ist spätestens nach fünf Kilometern<br />
Schluss mit der Flüsterfahrt. Schade, damit<br />
Motorengebrüll war gestern Rennfahrerin<br />
Kleinschmidt findet Gefallen an E-Mobilen<br />
kann der i8 nicht mehr verbergen, dass er<br />
zwar von der Zukunft kündet, aber mit zumindest<br />
drei Rädern noch in der Gegenwart<br />
steht. Immerhin hilft der Hybridantrieb,<br />
den Kraftstoffverbrauch deutlich zu<br />
senken: Ähnlich starke, rein konventionell<br />
angetriebene Sportwagen verbrauchen<br />
wenigstens 40 Prozent mehr Benzin. Illusorisch<br />
ist aber zu glauben, der Normverbrauch<br />
von 2,1 Litern ließe sich im Alltagsverkehr<br />
erzielen: Auf der Testfahrt lag der<br />
Schnitt dreimal so hoch.<br />
Technische Details<br />
Antrieb<br />
Hybridantrieb, bestehend aus Drei-Zylinder-Benziner<br />
mit 1499 ccm Hubraum<br />
und 170 kW (231 PS) Leistung plus<br />
Synchron-Elektromotor mit 96 kW (131<br />
PS) Leistung und 250 Nm Drehmoment<br />
Fahrleistungen<br />
0–100 km/h in 4,4 Sekunden,<br />
Höchstgeschwindigkeit: 250 km/h<br />
(120 km/h elektrisch)<br />
Energiespeicher<br />
An der Steckdose aufladbare Lithium-<br />
Ionen-Batterie mit 355 Volt Spannung<br />
und 7,1 kWh Kapazität<br />
Energieverbrauch<br />
Nach Norm 2,1 Liter Super/100 km<br />
(49 g CO 2 /km) plus 11,9 kWh Strom;<br />
Testverbrauch: 6,5 Liter Super plus 5,3<br />
kWh/100 km; Tankinhalt: 42 Liter<br />
Kraftübertragung<br />
Allradantrieb, zuschaltbar<br />
6-Gang-Automatikgetriebe<br />
Gewicht<br />
1485 kg leer, Zuladung 370 kg<br />
Verkaufspreis<br />
Basispreis: 126 000 Euro,<br />
Testwagenpreis: 136 450 Euro<br />
SCHALTEN & WALTEN<br />
Reichweitenängste kennen Besitzer von<br />
Plug-in-Hybridautos nicht: Die Batterie<br />
können sie während der Fahrt und im<br />
Sport-Modus mithilfe des Verbrennungsmotors<br />
sowie des Generators aufladen, damit<br />
das Auto bei der Rückkehr in die Stadt<br />
wieder elektrisch rollen kann. Oder der<br />
Fahrer hängt das Auto bei der Ankunft am<br />
Ziel an eine Haushaltssteckdose. Eine<br />
Schnellladung des Akkus ist so aber nicht<br />
möglich. Das bedeutet leider drei Stunden<br />
Wartezeit – und ein wenig Kabelsalat. Laternenparker<br />
tun gut daran, eine Kabeltrommel<br />
einzupacken. Denn das mitgelieferte<br />
Ladeteil ist gerade drei Meter lang.<br />
Helfen könnte elektromagnetische Induktion:<br />
Strom wird dann kabellos aus einer<br />
Bodenplatte gezapft. Eine derartige Technik<br />
testet BMW gerade in der neuen Formel-E-Meisterschaft<br />
für elektrische Rennwagen,<br />
wo der i8 als Safety Car eingesetzt<br />
wird. Das macht mir Hoffnung.<br />
Ansonsten ist der i8 ein völlig unkompliziertes,<br />
voll alltagstaugliches Auto. Wer<br />
sich mit dem Antriebskonzept vertraut gemacht<br />
hat und eine Weile per Fahrerlebnistaste<br />
– wieder so eine Wortschöpfung –<br />
mit den fünf Antriebsmodi experimentiert<br />
hat, findet rasch die Fortbewegungsart, die<br />
perfekt zu Umgebung und Einsatzzweck<br />
passt: geräuschlos in Wohngebieten, sportlich-rasant<br />
auf Autobahnabschnitten ohne<br />
Tempolimit und bei wenig Verkehr. Dass<br />
im Heck nur ein Drei-Zylinder werkelt, hat<br />
der Fahrer schnell vergessen: Der i8 ist in<br />
meinen Augen ein echter Sportwagen.<br />
GELD & KAPITAL<br />
Mit einem Basispreis von 126 000 Euro<br />
bleibt die Hybridflunder aus München für<br />
Normalverdiener unerreichbar. Wer aber<br />
über das nötige Geld verfügt, ein Faible für<br />
Sportwagen hat und sich zu den extrovertierten<br />
Typen zählt, kommt um den i8<br />
kaum herum: Optisch gibt es derzeit kein<br />
schöneres Auto in dieser Preisklasse, technisch<br />
kaum ein faszinierenderes. Zudem<br />
sollen Hybridautos nach den jüngsten<br />
Plänen der Bundesregierung ja bald freie<br />
Fahrt auf Busspuren in den Städten bekommen<br />
– das wäre ein geldwerter Vorteil.<br />
Hinzu kommt: Dank seines Antriebskonzepts<br />
ist der i8 wahrscheinlich noch eine<br />
ganze Weile umwelt- wie auch sozialverträglich.<br />
Obwohl beim Tag der Elektromobilität<br />
eigentlich ein wenig fehl am Platz,<br />
löste sich die Traube der Schaulustigen in<br />
Düsseldorf jedenfalls nur langsam auf. n<br />
Aufgezeichnet und bearbeitet von franz.rother@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 85<br />
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Technik&Wissen<br />
VALLEY TALK | Von der Praktikantin zum CEO: Wie<br />
eine deutsche Studentin in Kalifornien mit einer<br />
überzeugenden Geschäftsidee Millionen einsammelt.<br />
Von Matthias Hohensee<br />
Erfolg im zweiten Anlauf<br />
FOTO: JEFFREY BRAVERMAN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
Eigentlich war Laura Behrens Wu<br />
vor anderthalb Jahren ins Silicon<br />
Valley aufgebrochen, um als Praktikantin<br />
beim US-Start-up Lendup<br />
zu arbeiten. Doch schon nach ein paar<br />
Monaten beim Online-Zahlungsdienst<br />
packte die gebürtige Hamburgerin der<br />
Ehrgeiz, selber Unternehmerin zu werden<br />
– mit einem Internet-Marktplatz für Waren<br />
ausländischer Händler.<br />
Doch als sie Saeed Amidi das Konzept<br />
präsentierte, fand der es nicht ausgefallen<br />
genug. Den Chef von Plug and Play Tech<br />
Center, einem der hiesigen Start-up-Brutkästen,<br />
überzeugte aber die Beharrlichkeit<br />
und Energie der Praktikantin. Er empfahl<br />
ihr, mit einer verbesserten Idee wiederzukommen.<br />
Die 23-jährige Studentin der Wirtschaftswissenschaften<br />
an der Universität St. Gallen<br />
nahm das Angebot an. Sie entwickelte<br />
einen Service, mit dem kleinere Online-<br />
Händler den Warenversand über verschiedene<br />
Lieferdienste koordinieren und dabei<br />
die nach Preis und Lieferzeit beste Variante<br />
wählen können. Schon bei der Recherche<br />
für ihre ursprüngliche Idee war Behrens Wu<br />
aufgefallen, welche Probleme unabhängige<br />
Online-Shops mangels brauchbarer Software<br />
mit dem Verschicken ihrer Waren haben.<br />
Zudem können gerade kleinere Läden<br />
kaum mit den billigen bis kostenlosen Lieferkonditionen<br />
großer Wettbewerber wie<br />
Amazon konkurrieren.<br />
20 PROZENT PLUS – MONATLICH<br />
Zwar gab es schon ähnliche Versanddienste,<br />
wie etwa das US-Start-up Easypost.<br />
Doch Behrens Wu erweiterte das Modell.<br />
Sie bündelt mit ihrem neuen Online-Service<br />
Shippo die Nachfrage ihrer Kunden, handelt<br />
so bessere Konditionen bei den Versendern<br />
heraus und gibt diese wieder an<br />
die angeschlossenen Web-Shops weiter.<br />
Im November 2013 gingen sie und ihr St.<br />
Galler Kommilitone Simon Kreuz mit Shippo<br />
in San Francisco an den Start – mit fünf<br />
Kunden. Inzwischen sind 5000 unter Vertrag,<br />
und das Unternehmen wächst monatlich<br />
um 20 Prozent. Nicht schlecht für ein<br />
Start-up mit gerade einmal acht Personen,<br />
inklusive der beiden Gründer.<br />
Während Amazon mit seiner Einkaufsmacht<br />
bis zu 95 Prozent Rabatt bei Lieferdiensten<br />
heraushandeln kann, hat es Shippo<br />
laut Behrens Wu schon auf bis zu 80<br />
Prozent gebracht. Sie fokussierte sich zunächst<br />
auf Versender, die Marktanteile gewinnen<br />
wollten und deshalb bessere Konditionen<br />
boten. So etwa der staatliche US<br />
Postal Service. Inzwischen hat Shippo alle<br />
führenden Lieferdienste integriert.<br />
Das Wachstum des Start-ups hat sich im<br />
Silicon Valley herumgesprochen. Gerade<br />
haben Behrens Wu und Kreuz zwei Millionen<br />
Dollar Risikokapital für die Expansion<br />
eingesammelt, unter anderem <strong>vom</strong> Silicon-<br />
Valley-Finanzierer SoftTech, dessen Gründer<br />
Jeff Clavier in den Aufsichtsrat einzieht.<br />
Die Gründer schwärmen von der Leistungsgesellschaft<br />
im Silicon Valley. „Wo hat<br />
man das schon, dass Praktikanten derart<br />
ernst genommen werden?“, meint Behrens<br />
Wu, die sich nun als eine der wenigen Startup-Chefinnen<br />
behaupten muss.<br />
Ihr Wirtschaftsstudium in St. Gallen haben<br />
die beiden Gründer erst einmal unterbrochen,<br />
und eine Rückkehr ist derzeit eher<br />
unwahrscheinlich. Zu interessant ist die Erfahrung,<br />
Skaleneffekte nicht nur akademisch,<br />
sondern auch in der Praxis beobachten<br />
zu können. Daneben lockt beide<br />
nicht nur der Reiz, mit den Dienstleistern<br />
um die besten Rabatte zu feilschen. Sie<br />
wollen Shippo auch als Marktplatz ausbauen,<br />
mit dem die Versender Nachfrage und<br />
Preise besser abstimmen können.<br />
Noch müssen die Gründer beweisen,<br />
dass sie mit ihrem Modell und dessen niedrigen<br />
Margen langfristig Geld verdienen<br />
können. Aber eine wichtige Voraussetzung<br />
haben sie mit ihrem Angebot schon mal erfüllt:<br />
Shippo löst ein echtes Problem.<br />
Und das können hier im Valley längst<br />
nicht alle Start-ups von sich sagen.<br />
Der Autor ist WirtschaftsWoche-Korrespondent<br />
im Silicon Valley und beobachtet<br />
von dort seit Jahren die Entwicklung der<br />
wichtigsten US-Technologieunternehmen.<br />
WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 87<br />
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Management&Erfolg<br />
Härteste Währung<br />
VERTRAUENSINDEX | Von Amazon bis Zwilling, von Apotheken bis Werkzeugherstellern:<br />
Der exklusive WirtschaftsWoche-Vertrauensindex zeigt erstmals, welchen Marken<br />
Deutschlands Kunden vertrauen. Warum Vertrauen essenzielle Basis für ökonomischen<br />
Erfolg ist. Und wie sich Unternehmen diese Vorschusslorbeeren verdienen können.<br />
Die alte Duschkabine abbauen,<br />
eine neue montieren und ein<br />
Fenster in die Terrassenabtrennung<br />
einbauen: uebo1960<br />
hatte sich was vorgenommen<br />
fürs Wochenende. Die größte Sorge des internetaffinen<br />
Heimwerkers: Weil er viele<br />
verschiedene Schraubenarten benötigte,<br />
musste er an seinem Akkuschrauber die<br />
passenden Schraubendreherklingen, im<br />
Fachjargon Bits genannt, immer wieder<br />
wechseln – unter Heimwerkern wie professionellen<br />
Handwerkern ein Dauerproblem,<br />
für dessen Lösung die Werkzeugsparte<br />
von Bosch das Modell PSR Select<br />
entwickelt hat: ein Akkuschrauber mit integrierter<br />
Trommel für zwölf Standard-<br />
Bits, die man so lange dreht, bis der gewünschte<br />
Bit im Sichtfenster erscheint.<br />
Als „sehr hilfreich und genial“ beschreibt<br />
uebo1960 im Internet-Forum bosch-do-it.de<br />
seine Erfahrungen beim Einbau von Dusche<br />
und Fenster. „Ich bin rundum zufrieden mit<br />
der Leistung des Produkts.“<br />
Auf der von Bosch betriebenen Plattform<br />
finden sich Dutzende Einträge dieser Art.<br />
Hier diskutieren Heimwerker über ihre<br />
neuesten Projekte, stellen Fragen zum<br />
Bohren, Schleifen, Dübeln, erzählen von<br />
ihren Erfahrungen mit Geräten von Bosch<br />
oder anderen Herstellern. Ganz ähnlich<br />
auch auf der Bosch-eigenen Bob Community<br />
(„Hier reden Profis“): Hier können<br />
professionelle Handwerker fachsimpeln,<br />
untereinander oder mit Bosch-Mitarbeitern<br />
– etwa über die Sinnhaftigkeit drehbarer<br />
Doppel-Bits. „Wenn so etwas gewünscht<br />
wird, kann sich BOB das Bauen<br />
solcher Bits ja mal überlegen“, regt User<br />
Blau-Grün an. „Oder was meint ihr?“<br />
Ob positiv oder kritisch – Anmerkungen<br />
wie diese sind in den Augen von Henning<br />
von Boxberg Gold wert. Regelmäßig lässt<br />
der Vorsitzende der Bosch-Werkzeugsparte<br />
Bosch Power Tools nicht nur Händler zu<br />
ihren Erfahrungen befragen. Vor allem<br />
über seine Internet-Kanäle sammelt Bosch<br />
kontinuierlich Feedback von Heimwerkern<br />
und Profi-Schraubern und lässt es in die<br />
Entwicklungsarbeit einfließen.<br />
Händler, Hotels, Haushalt<br />
Welchen 20 Branchen wir am meisten<br />
vertrauen<br />
Branche<br />
Elektronikmärkte<br />
Baumärkte<br />
Unterhaltungselektronik<br />
Uhrenhersteller<br />
Fluggesellschaften<br />
Kreditkartengesellschaften<br />
Kamerahersteller<br />
Kaffeevollautomatenhersteller<br />
Hotels – Mittelklasse<br />
Haushaltsgeräte<br />
Paketdienste<br />
Schreibgeräte<br />
Kfz-Prüfstellen<br />
Hotels – Premium<br />
Haushaltselektronik<br />
Luxusmarken<br />
Hotels – Budget<br />
Audiohersteller<br />
E-Mail-Anbieter<br />
Software<br />
Quelle: ServiceValue/WirtschaftsWoche 2014<br />
Branchendurchschnitt<br />
(in Prozent)<br />
79<br />
76<br />
76<br />
75<br />
75<br />
74<br />
73<br />
72<br />
69<br />
69<br />
68<br />
68<br />
68<br />
67<br />
67<br />
67<br />
64<br />
63<br />
62<br />
62<br />
„Wir entwickeln unsere Produkte <strong>vom</strong><br />
Verwender her“, sagt von Boxberg. „Dafür<br />
erforschen wir die Bedürfnisse, Probleme<br />
und Anwendungsfelder der Kunden, um<br />
innovative Lösungen zu finden, die dem<br />
Verwender wirklichen Nutzen bieten.“<br />
So machte die Bosch-Werkzeugsparte<br />
im vergangenen Jahr 35 Prozent ihres<br />
Umsatzes mit Produkten, deren Markteinführung<br />
weniger als zwei Jahre zurücklag.<br />
Und die dem Unternehmen in den Geschäftsfeldern<br />
Elektrowerkzeuge, Zubehör<br />
und Messtechnik die Marktführerschaft sicherten,<br />
die 2014 mit mehr als 100 Produktneuheiten<br />
verteidigt werden soll.<br />
„Technik fürs Leben“ heißt der Bosch-<br />
Slogan, der diese Strategie kompakt bündelt<br />
– und bei Bosch-Kunden offenbar<br />
glaubhaft rüberkommt.<br />
ESSENZIELLE BASIS<br />
Das belegt jedenfalls der WirtschaftsWoche-Vertrauensindex,<br />
für den die Analyse-<br />
Gesellschaft ServiceValue 248 435 Kunden<br />
von 863 Unternehmen und Marken aus 54<br />
Branchen befragt hat (siehe Seite 97).<br />
Demnach vertrauen 95,6 Prozent der befragten<br />
Kunden dem schwäbischen Unternehmen<br />
als Werkzeughersteller. Einsame<br />
Spitze nicht nur innerhalb dieser Sparte –<br />
auch branchenübergreifend genießt kein<br />
Unternehmen größeres Vertrauen seiner<br />
Kunden.<br />
„Ob für Unternehmen und ihre Kunden<br />
oder ganze Volkswirtschaften“, sagt Rolf<br />
van Dick, Professor am Institut für Psychologie<br />
der Universität Frankfurt, der die<br />
WirtschaftsWoche-Umfrage begleitet hatte,<br />
„Vertrauen ist die essenzielle Basis jeder<br />
ökonomischen Beziehung.“<br />
»<br />
88 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 89<br />
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Management&Erfolg<br />
»<br />
Die Bedeutung des Vertrauens als Basis<br />
einer freiheitlichen Gesellschaft, als<br />
Schmierstoff seiner Volkswirtschaft ist in<br />
der Tat kaum zu überschätzen. „In God we<br />
trust“ steht seit 1864 auf jeder Münze der<br />
US-amerikanischen Währung – Vertrauen<br />
nicht nur in Gott, sondern auch in wirtschaftliche<br />
Prosperität. Wie eng Vertrauen<br />
und ökonomisches Wachstum zusammenhängen,<br />
haben etwa die Ökonomen Stephen<br />
Knack und Paul Zak herausgefunden:<br />
Steigt der Anteil der Menschen, die ihre<br />
Mitbürger generell für vertrauenswürdig<br />
halten, um 15 Prozent, erhöht sich das Pro-<br />
Kopf-Wachstum um ein Prozent.<br />
320 000 MITGLIEDER WENIGER<br />
Wie unersetzbar wichtig Vertrauen für das<br />
Funktionieren wirtschaftlicher Beziehungen<br />
ist, zeigt sich vor allem dann, wenn es<br />
verschwindet: Ob Weltwirtschaftskrise<br />
1929 oder Finanz- und Bankenkrise 2007 –<br />
unabhängig von ihren unmittelbaren Auslösern<br />
war Kern und Ursache dieser tief<br />
greifenden Umwälzungen stets der Verlust<br />
von Vertrauen – in die Stabilität von Währungen,<br />
die Zuverlässigkeit von Unternehmensbilanzen,<br />
die Redlichkeit einzelner<br />
Politiker und Manager.<br />
320 000 Mitglieder kehrten dem ADAC<br />
den Rücken, nachdem bekannt geworden<br />
war, dass die Organisation Rankings gefälscht<br />
hatte. Und allein 1000 Versicherte<br />
kündigten der Ergo mit Hinweis auf die<br />
publik gewordenen Lustreisen einiger Ver-<br />
triebler des Versicherungskonzerns.<br />
„Vertrauen ihrer Kunden ist<br />
die härteste Währung für Unternehmen“,<br />
sagt Peter Maas,<br />
Management-Professor an der<br />
Universität St. Gallen. „Und<br />
ein Mechanismus, um soziale<br />
Komplexität zu reduzieren.<br />
Wenn ich vertraue, muss ich<br />
nicht wissen“ (siehe Interview<br />
Seite 98).<br />
Dieses Vertrauen der Kunden<br />
zu gewinnen ist ein langer Weg,<br />
auf dem man seinen Grundsätzen treu bleiben<br />
sollte: Statt der gesetzlich vorgeschriebenen<br />
50 000 Zyklen verlangt etwa Bosch<br />
von den Schaltern seiner Profi-Geräte doppelt<br />
so viele Belastungstests, bevor das Gerät<br />
auf den Markt kommt. Und die Rückholfeder<br />
bei Pendelschutzhauben von Handkreissägen<br />
muss 250 000 Zyklen durchhalten<br />
– fünfmal so viele wie vorgeschrieben.<br />
Doch Qualität allein genügt nicht – sie<br />
muss auch kommuniziert werden: Besonders<br />
gut können das offenbar Elektronikmärkte<br />
wie Saturn („Geiz ist geil“) und<br />
Media Markt („Ich bin doch nicht blöd“)<br />
und Baumärkte wie Obi („Wie wo was weiß<br />
Obi“) oder Hornbach („Mach es zu Deinem<br />
Projekt“), die durch einprägsame<br />
Dauerbeschallung auf sich aufmerksam<br />
machten. „Die Werbung von Media Markt<br />
ist den Leuten vertrauter als der eigene<br />
Onkel“, sagt Thomas Strerath, Chef der<br />
MEHR ZUM THEMA<br />
Wie alle 863 Marken im<br />
Vertrauensindex<br />
abgeschnitten haben,<br />
sehen Sie ab Montag<br />
auf wiwo.de/vertrauen<br />
und in unserer iPad-<br />
<strong>Ausgabe</strong>.<br />
Welche Bedeutung<br />
Vertrauen für Wachstum<br />
hat, lesen Sie auf<br />
Seite 42<br />
Werbeagentur Ogilvy & Mather.<br />
„Man kommt gar nicht an ihr<br />
vorbei.“<br />
Doch umgekehrt gilt auch:<br />
Wer laut ist, muss auch Leistung<br />
liefern. „Die Saturn-Fachberater<br />
etwa gehen aktiv auf<br />
Kunden zu“, sagt Marketingexperte<br />
Dieter Castenow von der<br />
Agentur Castenow Communications.<br />
„Sie lassen auch beim<br />
Preis mal mit sich handeln.“ Die<br />
Folge: Keiner Branche bringen<br />
Kunden so viel Vertrauen entgegen<br />
wie Bau- und Elektrofachmärkten.<br />
„Halte, was du versprichst“: Was Marc<br />
Sasserath Unternehmen rät, um glaubwürdig<br />
zu bleiben (siehe Seite 94), gehört auch<br />
zum Kern der Aldi-Erfolgsstory. Lustig<br />
oder gar sexy zu sein dürfe man <strong>vom</strong> Discounter<br />
nicht erwarten – „das hat er aber<br />
auch nie von sich behauptet“, sagt Sasserath.<br />
„Aldi verspricht etwas sehr Einfaches,<br />
und das wird dann auch erfüllt.“<br />
JENSEITS DES RATIONALEN<br />
Beste Voraussetzung für einen Bonus jenseits<br />
des Rationalen. „Wer einer Marke vertraut“,<br />
sagt Werber Strerath, „lässt sich bei<br />
seiner Kaufentscheidung auch kaum durch<br />
Testberichte beeinflussen.“<br />
So wie schlechte Presse nicht zwangsläufig<br />
das Kundenvertrauen erschüttern muss<br />
– wenn die Leistung stimmt. Beispiel Amazon:<br />
Laut Index vertrauen Kunden keinem<br />
FOTO: PR<br />
FOSSIL<br />
Service ist alles<br />
Wo man denn die Uhr erstanden habe?<br />
Dass ohne den Original-Kassenzettel gar<br />
nichts gehe. Ob die Garantie sowieso nicht<br />
längst abgelaufen sei? Und ob man nicht<br />
einfach schuld sei: Lästige Fragen, die die<br />
Kundin auf sich zukommen sah, als sie sich<br />
per Mail nach den Möglichkeiten einer Reparatur<br />
erkundigte. Der Stundenzeiger ihrer<br />
Fossil-Uhr – ein Geschenk ihres Bruders,<br />
der die Uhr bei Amazon erstanden<br />
hatte – war abgefallen, sie wollte den defekten<br />
Zeitmesser am liebsten direkt in die<br />
Deutschlandzentrale nach Grabenstätt bei<br />
Traunstein senden. Die Antwort kam<br />
Roter Teppich für die Kunden Hohes Vertrauen<br />
dank Kompetenz und Erreichbarkeit<br />
90 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Versandhändler mehr als den Amerikanern<br />
– obwohl die Gewerkschaften wegen<br />
schlechter Arbeitsbedingungen und Niedriglöhnen<br />
Sturm laufen und er alle Steuerschlupflöcher<br />
nutzt. Zumindest, solange<br />
Amazon Bestellungen aus seinem riesigen<br />
Angebot zuverlässig und schnell liefert.<br />
„Vertrauen gilt es jeden Tag aufs Neue zu<br />
bestätigen“, sagt Sven Schuwirth, Leiter der<br />
Marken- und Vertriebsentwicklung bei Audi.<br />
Die Ingolstädter stehen im Vertrauensindex<br />
unter Deutschlands Autobauern an<br />
der Spitze – obwohl sie weder die stärkste<br />
Marke hätten noch am innovativsten seien,<br />
so Markenexperte Sasserath. „Aber Audi<br />
hat kaum Rückrufe und hohe Qualität –<br />
und diese Qualität erzeugt Vertrauen“, sagt<br />
Thomas Klindt, Experte für Produktrückrufe<br />
in der Kanzlei Noerr.<br />
Dass man verlorenes Vertrauen auch zurückgewinnen<br />
kann, zeigt Commerzbank-<br />
Vorstand Arno Walter. „Kunden wollen eine<br />
Bank, die fair und kompetent ist und offen<br />
mit ihnen umgeht“, hat Walter aus Verbraucherumfragen<br />
gelernt. 70 Prozent des<br />
Gehalts von Führungskräften hängen inzwischen<br />
direkt oder indirekt von der Kundenzufriedenheit<br />
ab, die monatlich abgefragt<br />
wird – übers Jahr gesehen bei 140 000<br />
Privat- und Geschäftskunden. Unzufriedene<br />
Kunden rufen Filialleiter selbst an.<br />
Die Bilanz des Kulturwandels: Mehr als<br />
380 000 Neukunden. „Dieses Vertrauen“,<br />
sagt Walter, „ist unbezahlbar.“<br />
n<br />
claudia.toedtmann@wiwo.de; manfred engeser<br />
prompt: „Bitte schicken Sie uns die Uhr<br />
einfach“, hieß es lapidar. Wenig später kam<br />
sie repariert zurück, im Vintage-Karton,<br />
dem Markenzeichen von Fossil.<br />
Kundenorientierung ist erklärtes Ziel der<br />
Fossil Group, des US-Uhrenherstellers, der<br />
neben Eigen- auch zahlreiche Lizenzmarken<br />
im Programm hat – darunter Emporio<br />
Armani, Adidas, DKNY, Diesel, Burberry,<br />
Karl Lagerfeld oder Michael Kors. Edelmarken,<br />
die selbst einen Ruf zu verlieren<br />
hätten, würde Partner Fossil seine Kunden<br />
nicht so zuverlässig betreuen.<br />
„Erreichbarkeit, Zuhören und Fachkompetenz“<br />
sind die erklärten Kernpunkte des<br />
Kundenservices, ob per E-Mail oder am Ladentisch.<br />
Dafür schult Fossil die Verkäufer<br />
seiner weltweit 540 Stores regelmäßig, hält<br />
engen Kontakt zu seinen Fachhändlern. Der<br />
Kunde zahlt es in seiner eigenen Währung<br />
zurück: Keinem Uhrenhersteller bringt er<br />
mehr Vertrauen entgegen als Fossil.<br />
WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 91<br />
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Management&Erfolg<br />
Von aufmerksamen Apothekern...<br />
Welche Marken deutscher Unternehmen in ausgewählten Branchen unter ihren Kunden in Deutschland...<br />
Branche<br />
Apotheken –<br />
Kooperationen<br />
Versandapotheken<br />
Audiohersteller<br />
Autoglasreparatur<br />
Autohäuser<br />
Autohersteller<br />
Autoservice<br />
Autovermieter<br />
Banken –<br />
bundesweit<br />
Banken –<br />
online<br />
Banken –<br />
regional<br />
Baumärkte<br />
Bausparkassen<br />
Carsharing-Anbieter<br />
Unternehmen<br />
Linda Apotheke<br />
mea – meine apotheke<br />
gesund leben-Apotheken<br />
DocMorris.de<br />
versandapotheke.de<br />
Sanicare.de<br />
Bose<br />
Pioneer<br />
Sennheiser<br />
Carglass<br />
Scheiben-Doktor<br />
Ihr Autoglaser<br />
Jacobs Gruppe<br />
Max Moritz<br />
Scherer<br />
Audi<br />
Volkswagen<br />
BMW<br />
Bosch Car Service<br />
A.T.U.<br />
Pit Stop<br />
Sixt<br />
Europcar<br />
Hertz<br />
Commerzbank<br />
Postbank<br />
Deutsche Bank<br />
ING-Diba<br />
Volkswagen Bank<br />
Comdirect<br />
Sparkasse KölnBonn<br />
Kreissparkasse Köln<br />
Sparkasse Bremen<br />
Obi<br />
Bauhaus<br />
Hornbach<br />
LBS<br />
Bauspark. Schwäb. Hall<br />
Wüstenrot Bausparkasse<br />
Car2go<br />
Positive<br />
Abweichung <strong>vom</strong><br />
Branchenmittelwert<br />
in absoluten<br />
Prozentpunkten<br />
29<br />
17<br />
5<br />
26<br />
21<br />
12<br />
24<br />
20<br />
16<br />
38<br />
7<br />
4<br />
29<br />
7<br />
3<br />
29<br />
27<br />
22<br />
25<br />
23<br />
16<br />
30<br />
27<br />
24<br />
26<br />
20<br />
19<br />
24<br />
14<br />
8<br />
13<br />
12<br />
11<br />
14<br />
12<br />
11<br />
19<br />
18<br />
11<br />
15<br />
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Branche<br />
Carsharing-Anbieter<br />
Auszeichnung<br />
Computer-<br />
Fachmärkte<br />
Elektronikmärkte<br />
E-Mail-Anbieter<br />
Energieversorger<br />
Fahrradhersteller<br />
Finanzvertriebe<br />
Fluggesellschaften<br />
Fondsanbieter<br />
Haushaltselektronik<br />
Haushaltsgeräte<br />
Haushaltswaren<br />
Haustechnik<br />
Hotels – Budget<br />
Unternehmen<br />
Stadtmobil<br />
DriveNow<br />
PC-Spezialist<br />
Atelco Computer<br />
Saturn<br />
Media Markt<br />
expert<br />
GMX<br />
web.de<br />
Google mail<br />
E.On<br />
RWE<br />
Vattenfall<br />
Kettler<br />
Hercules<br />
Pegasus<br />
Postbank Finanzberatung<br />
Dt. Vermögensberatung<br />
Swiss Life Select<br />
Lufthansa<br />
Air Berlin<br />
Condor<br />
Deka<br />
Union Investment<br />
Pioneer Investments<br />
Tefal<br />
Kärcher<br />
Rowenta<br />
AEG<br />
Siemens<br />
Miele<br />
WMF<br />
Villeroy & Boch<br />
Zwilling<br />
Vaillant<br />
Grohe<br />
Velux<br />
Ibis<br />
Ramada<br />
B&B Hotels<br />
Positive<br />
Abweichung <strong>vom</strong><br />
Branchenmittelwert<br />
in absoluten<br />
Prozentpunkten<br />
14<br />
4<br />
12<br />
4<br />
12<br />
11<br />
2<br />
18<br />
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15<br />
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24<br />
14<br />
35<br />
30<br />
25<br />
24<br />
22<br />
8<br />
20<br />
13<br />
10<br />
18<br />
14<br />
13<br />
22<br />
22<br />
19<br />
23<br />
23<br />
23<br />
32<br />
29<br />
24<br />
30<br />
26<br />
26<br />
16<br />
8<br />
1<br />
Auszeichnung<br />
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92 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
...bis zu vertrauenswürdigen Versicherern<br />
...das höchste Vertrauen genießen (lll höchstes Vertrauen; ll sehr hohes Vertrauen; l hohes Vertrauen)<br />
Branche<br />
Hotels –<br />
Mittelklasse<br />
Hotels –<br />
Premium<br />
Kamerahersteller<br />
Kfz-Prüfstellen<br />
Krankenkassen<br />
Luxusmarken<br />
Ökostromanbieter<br />
Paketdienste<br />
Kaffeevollautomatenhersteller<br />
Kreditkartengesellschaften<br />
Personalvermittlung<br />
u. -überlassung<br />
Privatbanken<br />
Reisebüros<br />
Reiseveranstalter<br />
Unternehmen<br />
Holiday Inn<br />
Best Western<br />
Mercure<br />
Hilton<br />
Maritim Hotel<br />
Steigenberger Hotel<br />
Melitta<br />
Krups<br />
De’Longhi<br />
Canon<br />
Nikon<br />
Kodak<br />
TÜV<br />
Dekra<br />
Techniker Krankenkasse<br />
Barmer GEK<br />
DAK Gesundheit<br />
MasterCard<br />
Visa<br />
Hugo Boss<br />
Calvin Klein<br />
Chanel<br />
Naturstrom<br />
Natur Energie<br />
EnergieGut<br />
DHL<br />
Hermes<br />
UPS<br />
Job AG<br />
Randstad<br />
Persona Service<br />
HSBC Trinkaus & Burkhardt<br />
Merck, Finck & Co<br />
B. Metzler seel. Sohn &Co.<br />
Lufthansa City Center<br />
DER Reisebüro<br />
sonnenklar.tv Reisebüro<br />
TUI<br />
Thomas Cook<br />
Alltours<br />
Positive<br />
Abweichung <strong>vom</strong><br />
Branchenmittelwert<br />
in absoluten<br />
Prozentpunkten<br />
16<br />
11<br />
9<br />
12<br />
12<br />
8<br />
6<br />
5<br />
1<br />
20<br />
15<br />
12<br />
21<br />
20<br />
36<br />
30<br />
22<br />
13<br />
13<br />
24<br />
22<br />
18<br />
12<br />
9<br />
8<br />
23<br />
13<br />
11<br />
18<br />
18<br />
12<br />
4<br />
3<br />
2<br />
20<br />
11<br />
2<br />
36<br />
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31<br />
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Branche<br />
Schreibgeräte<br />
Schulungen/<br />
Fortbildungen<br />
Software<br />
Telekommunikation<br />
Uhrenhersteller<br />
Auszeichnung<br />
Unterhaltungselektronik<br />
Versandhändler<br />
Versicherer –<br />
Exklusivvertrieb<br />
Versicherer –<br />
Makler<br />
Versicherer –<br />
Multikanalvertrieb<br />
Versicherer –<br />
online<br />
Weinhändler<br />
Werkzeughersteller<br />
Unternehmen<br />
Faber-Castell<br />
Pelikan<br />
Lamy<br />
Ils<br />
FernUniversität Hagen<br />
sgd (Studiengem. Darmstadt)<br />
Microsoft<br />
Adobe<br />
McAfee<br />
Deutsche Telekom<br />
Vodafone<br />
O2<br />
Fossil<br />
Casio<br />
Swatch<br />
Samsung<br />
Philips<br />
Sony<br />
amazon.de<br />
tchibo.de<br />
otto.de<br />
Huk-Coburg<br />
DEVK<br />
Debeka<br />
VHV<br />
HanseMerkur<br />
Condor Versicherungen<br />
Allianz<br />
R+V<br />
Axa<br />
Huk24<br />
Ergo Direkt<br />
CosmosDirekt<br />
Jacques’ Wein-Depot<br />
Vino Weinmärkte<br />
Barrique<br />
Bosch<br />
Black & Decker<br />
Hilti<br />
Quelle: ServiceValue/WirtschaftsWoche 2014<br />
Positive<br />
Abweichung <strong>vom</strong><br />
Branchenmittelwert<br />
in absoluten<br />
Prozentpunkten<br />
26<br />
25<br />
21<br />
14<br />
10<br />
8<br />
27<br />
27<br />
8<br />
32<br />
27<br />
26<br />
14<br />
11<br />
9<br />
18<br />
15<br />
15<br />
39<br />
35<br />
35<br />
29<br />
23<br />
15<br />
30<br />
26<br />
23<br />
26<br />
22<br />
18<br />
31<br />
21<br />
19<br />
26<br />
12<br />
4<br />
41<br />
30<br />
29<br />
Auszeichnung<br />
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WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 93<br />
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Management&Erfolg<br />
Zuverlässig gewartet Lufthansa punktet<br />
bei Kunden mit hoher Technikkompetenz<br />
LUFTHANSA<br />
Zuverlässig zupacken<br />
statt weglächeln<br />
Eigentlich ist es streng verboten – doch für<br />
König Fußball machte das Unternehmen<br />
eine Ausnahme: „Fanhansa“ stand zwischen<br />
Mitte Mai und Mitte Juli auf acht<br />
Flugzeugen der Lufthansa, mit der sie nicht<br />
nur die deutsche Fußballnationalmannschaft<br />
nach Brasilien und wieder zurück<br />
brachte, sondern auch Tausende Fußballfans<br />
transportierte. Als „Überraschung für<br />
unsere Kunden und ein Dank an unsere<br />
Fans“ beschreibt Lufthansa-Marketingleiter<br />
Alexander Schlaubitz die Aktion.<br />
Von der Lufthansa zur Fanhansa: Was<br />
auf den ersten Blick wie ein gelungener,<br />
schnell ausgedachter Marketing-Gag wirkte,<br />
ist für das Unternehmen inzwischen<br />
Programm – nicht nur weil die Fluglinie<br />
erstmals seit Aufnahme des Flugbetriebs<br />
vor fast 60 Jahren für einen Teil der Flotte<br />
und einen begrenzten Zeitraum ihren Namen<br />
auf dem Flugzeugrumpf veränderte.<br />
Sondern weil Service künftig größer geschrieben<br />
werden soll.<br />
Ohne allerdings den Wert der 90-jährigen<br />
Historie infrage zu stellen, die offenbar<br />
wesentlich zum hohen Kundenvertrauen<br />
beiträgt – die Lufthansa ist laut Vertrauensindex<br />
unter ihren Kunden die Airline mit<br />
den höchsten Vertrauenswerten und nach<br />
Bosch das Unternehmen mit den absolut<br />
höchsten Vertrauenswerten: „Je länger die<br />
Unternehmenstradition, umso mehr Kompetenz<br />
trauen die Kunden der Firma zu“,<br />
sagt Management-Professor Peter Maas<br />
von der Universität St. Gallen.<br />
Natürlich: Fast jeder, der schon mal mit<br />
Lufthansa geflogen ist, wird sich schon mal<br />
über die Airline geärgert haben – über unfreundliche<br />
Stewards, pampige Stewardessen,<br />
kaputte Sitze, schlechtes Essen. Oder<br />
über Piloten, die gefühlt alle zwei Monate<br />
streiken.<br />
Aber das kann einem, zugegeben, auch<br />
mit jeder anderen Airline passieren. Über<br />
den Wolken zählen schließlich noch andere<br />
Kriterien als dauerlächelndes Flugpersonal<br />
– und da kann die Lufthansa voll<br />
punkten: in Sachen technischer Zuverlässigkeit<br />
zum Beispiel. Die Flugzeuge haben<br />
wenige Pannen und werden öfter gewartet<br />
als gesetzlich vorgeschrieben. Oder besonders<br />
streng ausgewählte und gut ausgebildete<br />
Piloten. Die achtmal im Jahr Simulatortraining<br />
absolvieren und nicht nur viermal<br />
wie <strong>vom</strong> Gesetzgeber vorgeschrieben.<br />
Selbst das Kabinenpersonal sorgt für besonderes<br />
Vertrauen. Vielleicht nicht weil<br />
mit dem Lächeln so offensiv geworben<br />
wird, wie es asiatische Konkurrenten tun.<br />
Aber weil man den Flugbegleitern in ihren<br />
akkuraten blau-orangenen Uniformen zutraut,<br />
auch bei Turbulenzen in der Luft ruhig<br />
zu bleiben und bei Bedarf unerschrocken<br />
zupacken zu können, wie Branchenkenner<br />
bestätigen.<br />
Natürlich, auch das kann noch besser<br />
werden: Geht es nach Vorstandschef Carsten<br />
Spohr, soll Lufthansa die Airline mit<br />
dem besten Service aller Fluglinien aus Europa<br />
und den USA werden. Das Ziel, spätestens<br />
für Sommer 2015: als erste westliche<br />
Fluggesellschaft die Höchstwertung<br />
von fünf Sternen im Qualitätsranking von<br />
Skytrax erreichen, das in der Branche als<br />
wichtigster Gradmesser gilt. Bislang erreicht<br />
die Lufthansa die maximale Punktzahl<br />
nur für ihre First Class.<br />
Den besseren Service will sich die Lufthansa<br />
mehr als eine Milliarde Euro kosten<br />
lassen und zu den sechs besten Premium-<br />
Carriern der Welt aufsteigen, so Spohrs<br />
Plan – bis spätestens Ende 2015.<br />
Dann soll es auch komfortablere Sitze<br />
geben und der Service der Crew an Bord<br />
und am Boden besser werden. In 200 Mitarbeiterseminaren<br />
sollen 2500 Lufthansa-<br />
Mitarbeiter lernen, noch besser auf die Bedürfnisse<br />
ihrer Kunden einzugehen. An<br />
den Flughäfen soll es dann frisch zubereitetes<br />
Essen geben und im Flieger die Auswahl<br />
unter 100 Kinofilmen – drei Mal mehr<br />
als bisher. Und wer besonders oft mit Lufthansa<br />
durch die Welt gondelt, soll an separaten<br />
Gates schneller die Sicherheitskontrollen<br />
passieren können und später einsteigen<br />
dürfen als Kunden, die nur dann<br />
einsteigen, wenn gerade die nächste Fußballweltmeisterschaft<br />
vor der Tür steht.<br />
TIPPS<br />
»Halte, was du<br />
versprichst«<br />
Wie Sie Vertrauen gewinnen,<br />
verrät Werber Marc Sasserath.<br />
MITARBEITER PFLEGEN<br />
Ihre Mitarbeiter sind das Aushängeschild<br />
Ihrer Marke, nach innen wie nach<br />
außen. Nur wenn sie <strong>vom</strong> Unternehmen,<br />
für das sie arbeiten, überzeugt sind,<br />
können sie auch Ihre Kunden für Ihre<br />
Produkte begeistern. Umgekehrt gilt:<br />
Unzufriedenes Personal zerstört das<br />
Vertrauen in Ihre Marke sehr schnell.<br />
KULANZ BEWEISEN<br />
Ein Kunde beschwert sich? Kein Problem,<br />
sondern eine Chance: Seien Sie<br />
großzügig, beweisen Sie Kulanz, bleiben<br />
Sie stets freundlich, kommunizieren<br />
Sie transparent – Ihr positives Verhalten<br />
wird sich wie ein Lauffeuer zu<br />
Ihren Gunsten verbreiten.<br />
VERSPRECHEN HALTEN<br />
Die Qualität Ihrer Kommunikation und<br />
Ihrer Produkte muss Hand in Hand gehen.<br />
Geben Sie ruhig Garantien ab –<br />
aber versprechen Sie Ihren Kunden nur,<br />
was Sie auch halten können und wollen.<br />
»<br />
FOTO: ROPI/RAINER UNKEL<br />
94 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Management&Erfolg<br />
FABER-CASTELL<br />
Traditioneller<br />
Begleiter<br />
Zwei kämpfende Ritter über dem in grüner<br />
Schreibschrift gehaltenen Firmennamen,<br />
darunter das Gründungsjahr: Since 1764.<br />
Genau 250 Jahre alt ist der Stiftehersteller<br />
aus Stein bei Nürnberg, der seine Historie<br />
auf der unternehmenseigenen Web-Site<br />
durchaus bewusst inszeniert:„Die Kompetenz<br />
von Faber-Castell basiert auf unseren<br />
Wurzeln, unserer Geschichte und unserer<br />
Erfahrung“, heißt es im Online-Auftritt der<br />
Marke. „Und wir nutzen sie, um die Zukunft<br />
unternehmerisch zu gestalten.“<br />
In der Tat wäre es falsch, das hohe Vertrauen,<br />
das Faber-Castell bei seinen Kunden<br />
als höchstplatzierter Stifteproduzent<br />
und branchenübergreifende Nummer drei<br />
im Vertrauensindex nachweislich genießt,<br />
allein auf seine illustre Geschichte zurückzuführen.<br />
Oder darauf, dass Anton Wolfgang<br />
Graf von Faber-Castell, der das Unternehmen<br />
in achter Generation führt, mit<br />
seinem Gesicht für die Marke wirbt.<br />
Wesentlich für den heutigen Erfolg war<br />
ein Strategiewechsel Anfang der Neunzigerjahre.<br />
Die Idee: Faber-Castell zum Lebensbegleiter<br />
zu machen. „Von Kindesbeinen<br />
an wollen wir den Verbraucher an<br />
die Marke binden“, so Unternehmenschef<br />
Anton Wolfgang Graf von Faber-Castell.<br />
Und immer wieder mit innovativen Produkten<br />
an sich binden.<br />
Produktion hautnah<br />
erleben Mit Führungen<br />
stärkt Stiftehersteller<br />
Faber-Castell die<br />
Kundenbindung<br />
Vom Schüler, der in seinen mit Faber-<br />
Buntstiften gemalten Bildern fröhlich radieren<br />
kann, bis zum Künstler, der dank<br />
wasservermalbarer Stifte Zeichnungen in<br />
Aquarelle verwandeln kann. Und sich darauf<br />
verlassen kann, dass die Farben nicht<br />
verblassen, wenn sie in Museen oder Galerien<br />
hängen und dem Sonnenlicht ausgesetzt<br />
sind. Und auch so mancher Senior hat<br />
<strong>vom</strong> Erfindungsreichtum der Traditionsmarke<br />
schon profitiert: Für die „Antirutschzone<br />
aus Wasserlacknoppen auf<br />
dem Stift“ bedankte sich die Deutsche Parkinson<br />
Gesellschaft eigens per Brief, weil<br />
sie die als therapeutische Produkte für<br />
Kranken einsetzt.<br />
Die Erwartung: Wer als Kind gute Erfahrungen<br />
mit den Stiften gemacht hat, gibt<br />
sie auch eines Tages seinen eigenen Kindern.<br />
Damit das so bleibt, lädt das Unternehmen<br />
16 000 Besucher im Jahr in die<br />
schlosseigene Produktion – für viele Schulen<br />
im Umkreis seit Jahrzehnten ein fester<br />
Programmpunkt. Selbst das bayrische<br />
Schulministerium kooperiert mit Faber-<br />
Castell: Allein 2013 veranstaltete es zusammen<br />
mit dem Stiftehersteller 65 Lehrerschulungen<br />
zu Produkten und Kunsterziehung.<br />
Angehende Kunststudenten können<br />
sich in sogenannten Mappenkursen<br />
von Profikünstlern bei der Bewerbung helfen<br />
lassen.<br />
Selbst in Sachen Nachhaltigkeit kann Faber-Castell<br />
glaubwürdig punkten: mit eigenen<br />
Pinien- und Gmelinawäldern in Brasilien<br />
und Kolumbien, die es selbst bewirtschaftet,<br />
um Sozialverträglichkeit und ökologische<br />
Ansprüche sicherzustellen.<br />
AMAZON<br />
Der auf den leeren<br />
Stuhl schaut<br />
Wenn er an einem Meeting mit seinen<br />
Top-Managern teilnimmt, kommt Jeff Bezos<br />
meist in Begleitung – eines Stuhls, den<br />
er zu vielen dieser Treffen mitbringt.<br />
Nicht, um sich selbst oder andere Teilnehmer<br />
draufzusetzen. Der Stuhl bleibt leer –<br />
ganz bewusst, für die Person, um die sich<br />
in den Besprechungen alles dreht, die<br />
aber physisch nie anwesend ist:den Amazon-Kunden.<br />
Der Spleen eines verrückten Unternehmensgründers?<br />
Keineswegs. Was Amazon-Gründer<br />
Bezos mit seiner skurrilen<br />
Methode bei seinen Managern erreichen<br />
wollte: Bei jeder einzelnen ihrer Entscheidungen<br />
sollte stets das Kunden-Interesse<br />
das größte Gewicht haben.<br />
Um diesen gedanklichen Fokus im Laufe<br />
eines Meetings nicht aus den Augen zu<br />
verlieren, lässt er am Schluss noch einmal<br />
bewusst überprüfen, ob die in den zurückliegenden<br />
Stunden getroffenen Entscheidungen<br />
für den Kunden wirklich relevant<br />
sind.<br />
Was Amazon darunter versteht? Der<br />
beste Kundenservice, so die Devise des<br />
Internet-Händlers, ist der, der nicht nötig<br />
ist – weil die unternehmensinternen Abläufe<br />
so exzellent sind, dass der Kunde gar<br />
nicht erst gezwungen ist, ihn mit einer Beschwerde<br />
zu kontaktieren.<br />
Passiert das doch, soll das Problem am<br />
besten direkt beim ersten Kontakt im<br />
Sinne des Kunden gelöst werden und der<br />
Mitarbeiter sich für den Fehler des Unternehmens<br />
entschuldigen, sodass keine<br />
weiteren Anrufe nötig sind.<br />
Um die Zahl der Fehler zu reduzieren,<br />
ließ Bezos Gründe für jede Kundenbeschwerde<br />
eruieren – und ordnete jeden<br />
dieser Fälle einem verantwortlichen Manager<br />
zu und verknüpfte ihn mit fiktiven<br />
Kosten. Riefen also beispielsweise Hunderte<br />
Kunden mit Nachfragen zu einer<br />
Werbeaktion an, die unverständlich betextet<br />
ist oder bei der eine Information<br />
fehlt, wird der Chef der Werbeabteilung<br />
verantwortlich gemacht und intern mit<br />
dem Schaden belastet.<br />
An der Lösung des Problems wiederum<br />
beteiligt Bezos alle Abteilungen – damit<br />
am Ende kein Kunde mehr einen Grund<br />
zur Beschwerde hat.<br />
FOTOS: BERND TELLE, PICTURESBERLIN/JEAN-PAUL RAABE<br />
96 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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METHODE<br />
Nur echte<br />
Kunden zählen<br />
SAMSUNG<br />
Auf dem Schoß<br />
der Kunden<br />
Spätestens nach zwei Minuten tat er es<br />
wieder: Zückte sein Smartphone, checkte<br />
sein Facebook-Profil. Warum der Teenager<br />
so nervös war? „Er hatte Angst vor negativen<br />
Kommentaren“, sagt Luke Mansfield,<br />
Chef des europäischen Produkt-Innovationsteams<br />
von Samsung. Bemerkt hatte er<br />
das bei einem seiner Besuche einer Familie,<br />
mit der er für Marktforschungszwecke<br />
zusammenarbeitet. Jetzt tüfteln die Asiaten<br />
an einer Software, die solche Einträge erkennt<br />
und den Nutzer warnt.<br />
„Wir investieren Rekordsummen in<br />
Marktforschung und Entwicklung“, sagt<br />
Samsung-Deutschland-Chef Hans Wienands.<br />
Von 286 000 Samsung-Mitarbeitern<br />
arbeitet gut jeder vierte in Forschung und<br />
Ganz nah dran<br />
Forschung im<br />
Wohnzimmer<br />
der Kunden<br />
Entwicklung – darunter auch Anthropologen<br />
und Psychologen, die immer wieder<br />
Tage und Wochen mit Kunden oder bei Familien<br />
verbringen, um zu erfahren, wie sie<br />
Technik nutzen, woran sie scheitern, welche<br />
Bedürfnisse sie haben. Etwa leistungsfähigere<br />
Akkus, um nach einem langen<br />
Arbeitstag noch erreichbar zu sein. Die<br />
Lösung: der Ultra-Energiesparmodus.<br />
Lösungen wie diese haben dazu beigetragen,<br />
Samsungs Image radikal zu ändern:<br />
Galt der südkoreanische Elektronikkonzern<br />
vor gut zehn Jahren in den Augen<br />
deutscher Konsumenten noch als beliebige<br />
asiatische Billigmarke, stehen die Produkte<br />
heute für hohen Bedienkomfort und<br />
Qualität. Bester Beleg: 2011 setze sich die<br />
Firma mit ihren Smartphones an die Spitze<br />
der meistverkauften Handys und hängte<br />
die Kultmarke Apple ab. Und gilt unter seinen<br />
deutschen Kunden drei Jahre später<br />
als vertrauenswürdigste Elektronikmarke.<br />
Lesen Sie weiter auf Seite 98 »<br />
Welchen Marken und Unternehmen,<br />
Produkten und Dienstleistungen<br />
vertrauen die Deutschen am meisten?<br />
Um diese Frage beantworten zu können,<br />
hat das Kölner Beratungsunternehmen<br />
ServiceValue zusammen mit<br />
Rolf van Dick, Professor<br />
für Sozialpsychologie<br />
am Institut<br />
für Psychologie der<br />
Universität Frankfurt,<br />
im Auftrag der<br />
WirtschaftsWoche<br />
insgesamt knapp<br />
250 000 Kunden von<br />
863 Unternehmen<br />
aus 54 Kategorien oder Branchen per<br />
Online-Umfrage nach ihren Prioritäten<br />
befragt.<br />
Gewertet wurden ausschließlich Antworten<br />
von Verbrauchern, die auch tatsächlich<br />
Kunde des genannten Unternehmens<br />
sind. Die Ergebnisse spiegeln<br />
die Prozentzahl der positiven Antworten<br />
wider („ja, ich vertraue diesem Unternehmen“),<br />
mit der die genannte<br />
Marke den Grad an Vertrauen übertrifft,<br />
das die befragten Verbraucher<br />
der jeweiligen Branche im Durchschnitt<br />
entgegenbringen.<br />
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Management&Erfolg<br />
INTERVIEW Peter Maas<br />
»Zum Überleben essenziell«<br />
Der Kundenforscher erklärt, warum Vertrauen die härteste Währung für Unternehmen ist.<br />
Herr Professor Maas, haben Sie Ihrer<br />
Lieblingsmarke heute schon vertraut?<br />
Ja, ich habe mir eben zum Feierabend<br />
ein Quöllfrisch, ein frisches Appenzeller<br />
Bier, gegönnt, das eng mit meiner Region<br />
verbunden und hier verwurzelt ist.<br />
Warum ist das Vertrauen ihrer Kunden<br />
die härteste Währung für Unternehmen?<br />
Vertrauen ist ein Mechanismus, um soziale<br />
Komplexität zu reduzieren. Dieser<br />
komplizierte Leitsatz bedeutet etwas<br />
ganz Simples: Wenn ich vertraue, muss<br />
ich nicht wissen.<br />
Zum Beispiel was?<br />
Wenn ich in ein Flugzeug steige, vertraue<br />
ich der Fluggesellschaft – letztlich ohne<br />
genau zu wissen, ob die Airline alle erforderlichen<br />
Checks gemacht hat. Oder ob<br />
der Flugkapitän eine feucht-fröhliche<br />
Nacht hinter sich hat. Ohne besagtes<br />
Vertrauen in dieses Unternehmen müsste<br />
ich nämlich ins Logbuch schauen und<br />
prüfen, ob und welche Wartungsarbeiten<br />
durchgeführt wurden. Ich müsste<br />
mir einen Eindruck <strong>vom</strong> Piloten verschaffen<br />
– wirkt er ausgeschlafen? Ist er<br />
betrunken, oder hat er Drogen genommen?<br />
Der Vertrauensmechanismus hilft<br />
uns, schneller handlungsfähig zu werden<br />
und entscheidungsfähig zu bleiben.<br />
Zum Beispiel vor den übervollen Regalen<br />
in Supermärkten und Kaufhäusern?<br />
Genau. Vertrauen erleichtert unser Dasein<br />
als Konsument. Ist die Qualität von<br />
Produkten einer Marke dauerhaft gut,<br />
leiten Kunden zum einen daraus ab, dass<br />
diese und andere Produkte dieser Marke<br />
dieses Qualitätsversprechen auch künftig<br />
halten. Aber auch, dass dieses Unternehmen<br />
auch in anderen Situationen<br />
zuverlässig und gewissenhaft ist. Etwa<br />
im Fall einer Reklamation.<br />
Das würde ja bedeuten, dass Kunden<br />
nach dem Prinzip Hoffnung handeln?<br />
Welche Alternative hätten sie denn? Natürlich<br />
versuchen wir in den meisten Fällen,<br />
so rational wie möglich zu handeln.<br />
Aber das ist eben aufwendig. Ohne Vertrauen<br />
müssten wir ständig überlegen,<br />
was alles passieren kann. Man kann aber<br />
nicht ständig alles hinterfragen. Vertrauen<br />
ist also ein essenzieller Überlebensmechanismus.<br />
Wenn Vertrauen vor allem auf positiven<br />
Erfahrung beruht: Wie kann ich mich für<br />
eine Marke entscheiden, bevor ich diese<br />
Erfahrung gemacht habe?<br />
Dieses Risiko des ersten Kaufs besteht in<br />
der Tat, und bei Dienstleistungen ist die<br />
DER KUNDENVERSTEHER<br />
Maas, 57, ist Management-Professor an<br />
der Universität St. Gallen mit dem Schwerpunkt<br />
Kundenstrategien.<br />
Gefahr, für die sprichwörtliche Katze im<br />
Sack zu bezahlen und danach enttäuscht<br />
zu sein, noch viel höher. Kunden, die<br />
durch den Kauf von Waren oder Dienstleistungen<br />
ihr Vertrauen gegenüber<br />
einer Marke ausdrücken, geben Vorschusslorbeeren.<br />
Dieses Vorschussvertrauen<br />
wird im Laufe der Zeit zu Erfahrungsvertrauen<br />
– zu positivem, wenn<br />
es auf konkrete frühere, angenehme<br />
Ereignisse baut. Sind die Erfahrungen<br />
negativ, wird der Kunde die Beziehung<br />
früher oder später abbrechen.<br />
Zu Recht...<br />
Schon. Aber es gibt auch Konstellationen,<br />
in denen nicht von vornherein klar ist,<br />
ob ein Unternehmen das vorgeschossene<br />
Vertrauen jemals zurückzahlen kann.<br />
Welche meinen Sie?<br />
Nehmen Sie eine Versicherung: Ob man<br />
mit der zufrieden ist, merkt man letztlich<br />
erst im Schadensfall. Tritt der während<br />
der gesamten Vertragslaufzeit nicht ein,<br />
kommt das Unternehmen nie dazu, dem<br />
Kunden zu beweisen, wie gut sie ist. Er<br />
kann nur daran glauben – also vertrauen.<br />
Deshalb bleibt für Unternehmen die<br />
Vertrauenskomponente in allen Phasen<br />
der Kundenbeziehung wichtig.<br />
Und wie können Unternehmen dieses<br />
Vertrauen aufrechterhalten?<br />
Face-to-Face-Interaktion ist ein wichtiger<br />
Einflussfaktor. Wir vertrauen Menschen<br />
grundsätzlich stärker als Produkten oder<br />
Dienstleistungen. Kunden, die regelmäßig<br />
Kontakt zu einer bestimmten Bezugsperson<br />
eines Unternehmens haben, bauen<br />
schneller Vertrauen auf. Das lässt sich<br />
gerade bei Banken gut beobachten.<br />
Ausgerechnet der Branche, die durch<br />
die Finanzkrise das Vertrauen ihrer<br />
Kunden fast völlig eingebüßt hat?<br />
Zugegeben: Das generelle Misstrauen gegen<br />
die Banken wird sich nach der Krise<br />
so schnell nicht wieder aufbauen lassen.<br />
Aber auf Beraterebene sind die Kunden<br />
durchaus willens und in der Lage zu differenzieren.<br />
Nur über diesen Hebel können<br />
Banken mittelfristig das verloren gegangene<br />
Vertrauen wieder aufbauen. n<br />
claudia.toedtmann@wiwo.de<br />
FOTOS: DANIEL AMMANN<br />
98 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Geld&Börse<br />
»Everybody gets fucked«<br />
INTERVIEW | Marc Faber Die Investorenlegende beklagt die zunehmende Ungleichheit<br />
zwischen Arm und Reich. Schuld daran seien vor allem die Notenbanken. Gegen<br />
die von ihm erwartete Geldentwertung stemmt er sich mit Gold, Schweizer Aktien und<br />
Papieren von Energie- und Telekomunternehmen.<br />
Herr Faber, in der Ukraine herrscht Krieg, im Irak<br />
und in Syrien ist die Terrorgruppe Islamischer<br />
Staat auf dem Vormarsch. Beunruhigt Sie das als<br />
Investor?<br />
Die wirtschaftliche Bedeutung des Nahen Ostens ist<br />
nicht besonders groß. Insofern lässt mich das als Investor<br />
eher kalt. Vielleicht geht der Ölpreis nochmals<br />
nach oben, vielleicht auch nicht. Anders sieht die Sache<br />
schon in Russland aus. Diese unsäglichen Sanktionen<br />
gegen Wladimir Putin haben einen negativen<br />
Effekt auf die Wirtschaft Europas, insbesondere die<br />
deutsche. Das wird viele Großkonzerne und damit<br />
auch ihre Aktionäre etwas kosten. Natürlich leidet<br />
darunter am allermeisten die russische Wirtschaft.<br />
Sie halten nichts von den Wirtschaftssanktionen<br />
gegen Russland?<br />
Geopolitisch sind sie ein Desaster. Sie führen dazu,<br />
dass sich Russland von Europa entfernt und sich<br />
China annähert. Damit fließt mehr russisches Kapital<br />
nach Fernost.<br />
Sind die europäischen Politiker kurzsichtig?<br />
Ich glaube, die Politiker und viele Journalisten hassen<br />
Putin einfach, weil er einer der wenigen intelligenten<br />
Politiker ist. Die Geschichte um den Abschuss<br />
der malaysischen Maschine MH17 über der<br />
Ukraine war doch eine Farce. Das Flugzeug kann<br />
von mehreren Parteien abgeschossen worden sein.<br />
Niemand weiß genau, was da passierte, und trotzdem<br />
hat man sofort den Russen die Schuld gegeben.<br />
Und dass eine Maschine einfach über dem<br />
Indischen Ozean verschwindet, kann mir auch<br />
niemand erzählen. Da ist doch etwas faul an dieser<br />
Geschichte!<br />
Was denn?<br />
Ich weiß es nicht. Aber keiner in Asien hat Interesse,<br />
ein solches Flugzeug abzuschießen. Das können nur<br />
westliche Mächte gewesen sein. Manche sagen, es<br />
hätte sensibles Gerät an Bord, das nicht nach China<br />
gelangen sollte.<br />
Das klingt, als hätten Sie nicht mehr viel Vertrauen<br />
in den Westen...<br />
USA holen auf<br />
Anteil der Staatsausgaben<br />
am Bruttoinlandsprodukt<br />
(in Prozent)<br />
2014 2000<br />
€<br />
56,8<br />
51,7<br />
49,2<br />
46,1<br />
44,6<br />
45,1<br />
45,6<br />
36,4<br />
38,3<br />
33,7<br />
Quelle: EU-Kommission<br />
Das Programm<br />
des Präsidenten<br />
sollte den 20 Prozent<br />
US-Bürgern<br />
ohne Krankenversicherung<br />
eine Police<br />
verschaffen. Aktuell<br />
sind noch 16 Prozent<br />
unversichert,<br />
bis 2015 soll die<br />
Quote auf elf Prozent<br />
sinken. Kritiker<br />
fürchten höhere<br />
Steuern, Gefahren<br />
für Jobs und<br />
steigende Versicherungsbeiträge.<br />
Dass die Europäische Zentralbank seit Jahren Geld<br />
druckt und dass die Regierungen viel zu viel davon<br />
ausgeben, kritisiere ich seit Langem. Die Gelddruckerei<br />
erlaubt Regierungen, den Staat zu extrem<br />
günstigen Konditionen zu vergrößern. Das ist das eigentliche<br />
Problem – die Staatsquote ist zu hoch. Die<br />
aktuelle Politik der Europäischen Zentralbank ist<br />
nicht wachstumsorientiert. Die europäische Wirtschaft<br />
ist moribund. Ich kann mir nicht vorstellen,<br />
wie Europa noch mal drei oder vier Prozent wachsen<br />
soll. Es gibt viel zu viele Regularien – und die<br />
schaden vor allem den kleinen Unternehmen. Große<br />
Unternehmen jubeln.<br />
Warum?<br />
Weil Großkonzerne sich ein Heer von Anwälten leisten<br />
können! Deswegen haben internationale Konzerne<br />
indirekt ein Interesse an mehr Gesetzen. Dadurch<br />
zementiert sich ihre marktbeherrschende<br />
Stellung. Für kleine und mittelständische Unternehmen<br />
wird es dagegen schwieriger.<br />
Die US-Wirtschaft konnte in letzter Zeit dagegen<br />
wieder zulegen. Können die USA nicht wieder zur<br />
Wachstumslokomotive werden?<br />
Die demografischen Faktoren sind in den USA besser.<br />
Aber die Gesundheitsreform Obamacare ist eine<br />
Katastrophe – auch hier steigt die Staatsquote und<br />
Großkonzerne wirken in Form von Lobbyismus auf<br />
die Regierung ein. Letztlich unterscheiden sich<br />
DR. WELTUNTERGANG<br />
Faber, 68, Herausgeber des „Gloom, Boom & Doom<br />
Report“, zählt zu den einflussreichsten Investoren<br />
der Welt. 1987 warnte er rechtzeitig vor dem Crash.<br />
Seine Warnung vor dem Tech-Crash kam zu früh,<br />
aber wer auf ihn hörte, verlor weder 2000 noch in<br />
der Finanzkrise Geld. Als 2009 Aktien out waren,<br />
riet Faber zum Einstieg. Der Schweizer arbeitete für<br />
US-Banken und zog 1973 nach Asien. Er berät<br />
Fonds und managt für Kunden 300 Millionen Dollar.<br />
»<br />
FOTO: EGILL BJARKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
100 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Geld&Börse<br />
»<br />
die Probleme nur gering von denen Europas. Wir<br />
haben keinen freien Kapitalismus mehr. Heute bestimmen<br />
Großkonzerne und Politik alles.<br />
Immerhin wächst Asien. Zwar ist es unsicher, ob<br />
die chinesische Regierung ihr Wachstumsziel von<br />
7,5 Prozent erreichen kann, doch die Region boomt<br />
im Vergleich zum Westen.<br />
China wächst höchstens um vier Prozent pro Jahr!<br />
Leider tickt die Kommunistische Partei Chinas auch<br />
nicht anders als westliche Regierungen. Auf ein<br />
schwächeres Wachstum antwortet man mit mehr<br />
Geld. Das mag zwar zu einer sanften statt zu einer<br />
harten Landung führen. Langfristig aber wird auch<br />
hier das Problem schlimmer.<br />
In diesem Jahr sorgte das Buch „Kapital im 21.<br />
Jahrhundert“ für Aufsehen. Dessen Autor, Thomas<br />
Piketty, beklagt die sich weiter öffnende Schere<br />
zwischen Arm und Reich, weil Kapitalerträge<br />
langfristig immer höher ausfallen als der Lohn von<br />
Arbeit.<br />
Über die wachsende Ungleichheit schreibe ich seit<br />
Jahren! Das ist ja ein Effekt der Gelddruckerei der<br />
Zentralbanken.<br />
Das müssen Sie erklären – was hat das eine mit<br />
dem anderen zu tun?<br />
Stellen Sie sich vor, Sie hätten vor 30 Jahren Immobilien<br />
und ein Aktienpaket geerbt und ihr Kollege<br />
nicht. Auch wenn sie in den letzten Jahren weniger<br />
verdient haben, wären Sie heute um ein Vielfaches<br />
reicher als er. Der Wert dieser Anlageklassen ist so<br />
stark gestiegen, weil Notenbanken wie die Fed in den<br />
USA so viel Geld in das System gepumpt haben. Das<br />
verschweigen die keynesianisch-interventionistisch<br />
geprägten Politiker bloß gerne. Die Reichen kommen<br />
immer besser durch eine Inflation. Das war in<br />
den Zwanzigerjahren in Deutschland oder auch später<br />
in Argentinien nicht anders.<br />
Eine<br />
Einmal-Abgabe<br />
auf Vermögen würde<br />
laut IWF, wenn<br />
sie schnell käme,<br />
das Wachstum<br />
kaum bremsen –<br />
und sie würde von<br />
vielen als gerecht<br />
empfunden. Laut<br />
Deutschem Institut<br />
für Wirtschaftsforschung<br />
brächten<br />
zehn Prozent Vermögensabgabe<br />
bei<br />
250 000 Euro Freibetrag<br />
230<br />
Milliarden Euro.<br />
Aufgeblasen<br />
Frisches Geld (Bilanzsumme<br />
in Mrd. Dollar)<br />
treibt den Aktienindex<br />
2200<br />
1800<br />
1600<br />
1400<br />
1200<br />
Fed-Bilanzsumme<br />
2500<br />
2000<br />
1500<br />
1000<br />
1000<br />
800<br />
S&P 500<br />
600 500<br />
2005 2014<br />
Quelle: Thomson Reuters<br />
4500<br />
3500<br />
Sie sagen also: Die aktuelle Niedrigzins-Politik der<br />
US-Notenbank Fed und der EZB vergrößert letztlich<br />
die Unterschiede zwischen Arm und Reich?<br />
Es ist nicht der einzige Faktor, der die Vermögensungleichheit<br />
vergrößert, aber ein massiver. Die Gelddruckerei<br />
führt zu einer Erosion der Mittelschicht.<br />
Und jetzt kommt der sozialistisch geprägte Piketty<br />
und fordert eine Reichensteuer.<br />
Immerhin liebäugelt auch der Internationale<br />
Währungsfonds (IWF) damit.<br />
Sie nützt bloß nichts! Die richtig reichen Familien in<br />
Deutschland und anderswo haben ihr Vermögen<br />
längst in Stiftungen gepackt. Eine Reichensteuer ist<br />
nichts als eine Symptombekämpfung. Sie löst das<br />
Problem nicht, sondern verschiebt es allenfalls in die<br />
Zukunft.<br />
Was also ist die Lösung, um die Unterschiede<br />
zwischen Arm und Reich zu verringern?<br />
Die Lösung für Europa kann nur sein, die Staatsquote<br />
zu verringern, Regularien und die Verschuldung<br />
abzubauen.<br />
Die meisten Menschen wollen das nicht. Sie sagen:<br />
„Wir brauchen mehr Staat und mehr Umverteilung,<br />
um die Unterschiede auszugleichen.“<br />
Das ist aus den Köpfen der Leute nicht herauszukriegen.<br />
Dabei kann nur Wirtschaftswachstum die Vermögensunterschiede<br />
verringern. Sparpolitik, Austerität,<br />
das ist kurzfristig natürlich sehr schmerzhaft.<br />
Doch langfristig können nur so kleinere Unternehmen<br />
florieren und mehr Arbeitsplätze schaffen. Ich<br />
halte es mit Ronald Reagan: Die Regierung ist nicht<br />
die Lösung, sie ist das Problem.<br />
Warum haben solche liberal-libertären Positionen<br />
in Europa so wenig Rückhalt?<br />
Wie sind eine politisch korrekte Gesellschaft geworden,<br />
die mit allen auf Kuschelkurs ist. Der Konsens<br />
„Staatsausgaben sind gut, hohe Steuern verringern<br />
die Ungleichheit“ wird nicht mehr hinterfragt. Das<br />
kann auf Dauer nicht funktionieren.<br />
Sie sehen die Schere zwischen Arm und Reich also<br />
weiter aufgehen?<br />
Ich will nicht alle Schuld den Zentralbankern geben<br />
– aber sie sind für die Vermögensungleichheit mitverantwortlich.<br />
Ein Grund für die wachsenden Einkommensunterschiede<br />
liegt schlicht in der Globalisierung.<br />
Nehmen Sie einen Top-Fußballspieler von<br />
Bayern München oder Manchester United. Vor 40<br />
Jahren kannten den Spieler vielleicht ein paar Millionen<br />
Menschen. Heute schauen Milliarden Menschen<br />
auf der Welt Fußball. Das heißt, der Marktwert<br />
solcher Spieler ist wesentlich höher als damals. Genauso<br />
verhält es sich mit Unternehmen. Das bedeutet:<br />
Es ist viel schwieriger geworden, an die Spitze zu<br />
gelangen. Aber wer einmal oben angekommen ist, ist<br />
heute mächtiger denn je.<br />
Die Welt, die Sie beschreiben, klingt deprimierend.<br />
Was raten Sie jungen Leuten?<br />
Das ist ein wichtiges Thema. Ich bin 1946 geboren. Bis<br />
in die Achtzigerjahre waren die Preise für Anlagen –<br />
Immobilien, Aktien, Kunst – sehr niedrig. Auch auf<br />
FOTOS: EGILL BJARKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
102 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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dem Sparkonto bekamen Sie zudem gute Zinsen.<br />
Heute bekommen Sie für Erspartes gerade einmal 0,5<br />
Prozent! Wissen Sie, wie viele Jahre es länger dauert,<br />
bis sich Ihr Kapital verdoppelt hat, im Vergleich zu<br />
den Jahrzehnten zuvor? Mir tun junge Leute heute<br />
ehrlich leid. In den USA ist es noch finsterer: Die meisten<br />
Universitätsabsolventen beginnen ihr Arbeitsleben<br />
mit einem Berg Schulden. Die nächsten Jahre<br />
sind sie mit nichts anderem beschäftigt, als ihre Studienkredite<br />
abzubezahlen. Wie soll so jemand ein Haus<br />
kaufen können? Ich bezweifle auch, dass die meisten<br />
jungen Berufstätigen in Europa am Ende des Monats<br />
irgendetwas zurücklegen können. Hinzu kommt ein<br />
weiterer Effekt: Weil die Versicherungen auf dem Kapitalmarkt<br />
nichts mehr verdienen, müssen sie die Prämien<br />
erhöhen. Auch das trifft am Ende wieder den<br />
normalen Bürger. Kurz: Everybody gets fucked!<br />
Wenn Sie Geld für zehn Jahre anlegen müssten und<br />
es nicht umschichten dürften, wohin würden Sie es<br />
packen?<br />
Große Gewinne sind nicht drin, es geht darum, das<br />
Geld zu erhalten. Ich würde es streuen, in etwa<br />
gleichgewichtet in Gold, Immobilien, Aktien und<br />
Unternehmensanleihen. Auf jeden Fall einen Teil in<br />
Aktien. Bargeld ist riskant, weil es in zehn Jahren weniger<br />
wert sein wird als heute. Staatsanleihen werden<br />
nur mit wertlosem Papiergeld zurückbezahlt.<br />
Die Deutschen wissen das aus der Zeit nach dem<br />
Ersten Weltkrieg. Aktien von Siemens, BASF oder<br />
Daimler waren vielleicht keine gute Anlage, aber es<br />
blieb noch etwas. Deshalb werden die Börsen nicht<br />
ins Bodenlose fallen. Heutzutage ist es eher ein Risiko,<br />
keine Aktien zu halten.<br />
In dieser<br />
Rechnung<br />
schlägt der Zinseszins<br />
voll durch: Wer<br />
sein Kapital bei einem<br />
Zinssatz von<br />
0,5 Prozent verdoppeln<br />
will, muss noch<br />
die Urenkel sparen<br />
lassen: 139 Jahre<br />
dauert es, bis aus<br />
5000 endlich 10 000<br />
Euro werden – falls<br />
es dann noch Euro<br />
gibt. Bei 5 Prozent<br />
Zins dauert es nur<br />
14 Jahre.<br />
Ohne Korrektur<br />
Entwicklung des US-<br />
Aktienindex S&P 500<br />
2200<br />
2000<br />
1800<br />
1600<br />
1400<br />
1200<br />
1000<br />
10 11 12 13 14<br />
Was würden Sie tun, wenn Sie heute 25 Jahre alt<br />
wären? Wie würden Sie investieren?<br />
Wenn ich wenig Ehrgeiz habe, würde ich mir einen<br />
Job beim Staat suchen. Dort bekommt man für relativ<br />
wenig Arbeit gutes Geld. Wenn ich Ambitionen<br />
hätte, würde ich auswandern: nach Indien, Südostasien<br />
oder China. Dort gibt es noch Chancen. Aber<br />
auch vielen jungen Leuten hat man über Jahre hinweg<br />
das Gehirn gewaschen.<br />
Wie meinen Sie das?<br />
Ein junger Freund hat sich kürzlich bei Goldman<br />
Sachs beworben. Nach fünf Interviews hat man ihn<br />
schließlich abgelehnt. Großbanken können zwischen<br />
Tausenden von Bewerbern wählen, weil jeder<br />
dort hin will. Dabei muss man nicht immer studieren<br />
oder im Bankensektor arbeiten. Ein anderer Freund<br />
von mir ist Taucher. Er macht Reparaturen an Ölplattformen.<br />
Das ist ein Halbtagsjob und damit verdient<br />
er 170 000 US-Dollar im Jahr. Ein anderer arbeitet<br />
jeden zweiten Monat auf einer Ölplattform. Das<br />
sind gut bezahlte Jobs. Man muss sich nicht zum<br />
Knecht von Goldman Sachs machen, um gut zu verdienen.<br />
Gehen Sie als Mechaniker nach Indien oder<br />
China, und reparieren Sie die Autos reicher Leute!<br />
Ich zum Beispiel bin begeisterter Motorradfahrer.<br />
Das sind sensible Geräte, die gehen ständig kaputt.<br />
Ich würde viel Geld bezahlen, wenn mir das jemand<br />
zuverlässig reparieren kann.<br />
Man nennt Sie auch „Dr. Doom“. Für wie wahrscheinlich<br />
halten Sie denn einen baldigen Crash?<br />
Die Lage momentan ist extrem fragil. Der US-Aktienindex<br />
S&P 500 notierte vor drei Jahren bei knapp<br />
über 1000 Punkten. Jetzt sind es 2000 – ohne dass<br />
Quelle: Thomson Reuters »<br />
WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 103<br />
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Geld&Börse<br />
»<br />
wir eine nennenswerte Korrektur gesehen haben.<br />
Das könnte zu turbulenten Phasen führen.<br />
Gerade erst ging das chinesische E-Commerce-<br />
Unternehmen Alibaba an die Börse. Haben Sie<br />
Aktien gekauft?<br />
Nein, obwohl ich Alibaba-Gründer Jack Ma für einen<br />
höchst intelligenten Mann halte. Ich habe ihn Ende<br />
der Neunziger bei einem Interview kennengelernt.<br />
Da wollte er mich überzeugen, in sein Unternehmen<br />
zu investieren. Das habe ich ausgeschlagen. Auch<br />
Facebook-Aktien habe ich nicht.<br />
Warum?<br />
Ich bin recht konservativ, was meine Auswahl an Aktien<br />
betrifft. Ich kaufe gerne Unternehmen, die nicht<br />
zu teuer sind, aber krisensichere Produkte herstellen:<br />
Lebensmittelproduzenten zum Beispiel. Essen<br />
müssen Leute immer.<br />
Welche europäischen Aktien halten Sie?<br />
Vorsichtig bin ich in Schweizer Blue Chips gegangen,<br />
in Novartis, Roche, Nestlé, Swiss Re, Zurich Insurance,<br />
Swiss Life, UBS. Außerdem habe ich Unternehmen<br />
aus den Sektoren Energie, Telekom und Versorger, wie<br />
etwa GDF Suez, Veolia Environnement, Iberdrola,<br />
Telefónica, Telecom Italia, Orange, Total, Enel, E.On<br />
und RWE. Von den ganzen Tech-Unternehmen aus<br />
dem Silicon Valley halte ich dagegen nicht viel.<br />
Ist das, was gerade in Kalifornien passiert, eine<br />
zweite Dotcom-Blase?<br />
Auf jeden Fall! Diese Unternehmen müssen doch so<br />
viel Cash verbrennen, um zu überleben. Das kann<br />
auf Dauer nicht gut gehen. Aber natürlich werden<br />
den Crash auch einige Firmen überleben. Das war<br />
nach dem Platzen der Blase 2001 nicht anders.<br />
Minen unten<br />
Indexfonds Market Vectors<br />
Gold Miners ETF (in Dollar)<br />
55<br />
50<br />
45<br />
40<br />
35<br />
30<br />
25<br />
20<br />
Jack Ma<br />
ist jetzt der reichste<br />
Mann Chinas. 25<br />
Milliarden Dollar hat<br />
Alibaba beim Börsengang<br />
eingenommen –<br />
Weltrekord! Anleger<br />
sollten auf fallende<br />
Kurse setzen (siehe<br />
Seite 118).<br />
50-Tage-Linie<br />
200-Tage-Linie<br />
2013 2014<br />
Quelle: Thomson Reuters<br />
Sie gelten als Gold-Apologet. Sind Sie immer noch<br />
bullish für Gold?<br />
Gold ist momentan günstig. Seit 2011 sind wir in einem<br />
Bären-Markt. Es ist möglich, dass es nochmals<br />
unter 1000 US-Dollar geht, aber langfristig ist Gold<br />
einfach die beste Versicherung gegen das unverantwortliche<br />
Verhalten der Zentralbanken. Auch die<br />
Goldminen-Aktien sind sehr interessant – manche<br />
Unternehmen sind <strong>vom</strong> Peak 2010 um 60, 70 Prozent<br />
gefallen. Die sind jetzt sehr günstig zu haben.<br />
Was halten Sie von elektronischen Währungen wie<br />
Bitcoins?<br />
Manche meiner Leser halten das für eine Erfindung<br />
wie geschnittenes Brot. Bitcoins sind sicherlich etwas<br />
sehr Interessantes. Es ist ein Weg, Geld am internationalen<br />
Bankensystem vorbeizutransferieren.<br />
Das ist eine brillante Funktion.<br />
Besitzen Sie welche?<br />
Nein. Aber ich sage, noch nicht. Gold und Bitcoin haben<br />
letztlich dieselbe Funktion – sie sind eine Versicherung<br />
für den Worst Case. Ich fühle mich allerdings<br />
mit Gold einfach wohler.<br />
Warum?<br />
Sollte es wirklich zu einem System-Kollaps kommen,<br />
gehe ich davon aus, dass auch das Internet zusammenbrechen<br />
wird. Dann helfen Ihnen Bitcoins auch<br />
nicht mehr. Trotzdem kenne ich erfolgreiche Hedgefondsmanager,<br />
die leuchtende Augen bekommen,<br />
wenn sie von Bitcoins hören. Letztlich ist das auch<br />
eine Generationensache. Ich besitze ja nicht einmal<br />
ein Mobiltelefon, das ich ständig mit mir herumtragen<br />
muss.<br />
n<br />
philipp.mattheis@wiwo.de | Shanghai<br />
FOTO: EGILL BJARKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, BLOOMBERG NEWS/BRENT LEWIN<br />
104 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Geld&Börse<br />
Kaufen, was sonst?<br />
GOLD | Anleger sollten ihre Barren oder Münzen nicht ohne Not<br />
abgeben. Aufstocken statt abbauen ist angesagt.<br />
duktion von zuletzt rund 87 Millionen Unzen,<br />
betragen die überirdischen Goldbestände<br />
das 65-Fache der Jahresproduktion<br />
aller Goldminen. So gesehen ist es die Konstanz<br />
der Goldmenge, die Gold als Wertspeicher<br />
attraktiv macht. Während die<br />
überirdische Goldmenge jährlich nur um<br />
etwa eineinhalb Prozent wächst, will Draghi<br />
das Angebot an Euro um nahezu 50<br />
Prozent erhöhen.<br />
Möglicherweise dauert es aber noch etwas,<br />
bis der Goldpreis in Euro abhebt.<br />
Denn noch ist Sand im Getriebe der Euro-<br />
Pumpmaschine. Als Ersatz für LTRO dürfen<br />
sich Banken jetzt über neue längerfristige<br />
Refinanzierungsgeschäfte (TLTRO) bis<br />
zu vier Jahre Geld in Höhe von sieben Prozent<br />
ihres Bestandes an Krediten für Unternehmen<br />
und Privathaushalte zu 0,15 Prozent<br />
von der EZB pumpen.<br />
Sicher ist sicher<br />
Gold im Tresor als eiserne<br />
Liquiditätsreserve<br />
Unser Ziel ist, die Größe unserer Bilanzsumme<br />
dorthin zu bewegen,<br />
wo sie Anfang 2012 war.“ Um die<br />
Euro-Zone vor dem Absturz in die Deflation<br />
zu retten, erklärt Präsident Mario Draghi<br />
nun die Ausdehnung der Bilanz seiner<br />
Europäischen Zentralbank (EZB) zum<br />
geldpolitischen Ziel. Das ist neu.<br />
Rückblick: Im März 2012 überstieg die<br />
Bilanzsumme des Euro-Systems, vereinfacht<br />
lässt sich an ihr der Prozess der Zentralbankgeldschöpfung<br />
in der Euro-Zone<br />
ablesen, zeitweise 3000 Milliarden Euro.<br />
Ihren Rekordstand erreichte sie wenige<br />
Monate später bei 3102 Milliarden Euro.<br />
Mehr Euro bei konstanter Goldmenge –<br />
diese Relation schob damals auch den<br />
Goldpreis. In Euro kostete die Feinunze<br />
Anfang Oktober 2012 in der Spitze 1386,51<br />
Euro. Das war ein Jahr nachdem der Goldpreis<br />
in Dollar sein Rekordhoch bei<br />
1921,17 Dollar markiert hatte.<br />
Für den steilen Anstieg der Bilanzsumme<br />
des Euro-Systems – und des Goldpreises<br />
in Euro – gesorgt hatte Draghi vor allem<br />
mit zwei 500-Milliarden-Euro-Schüssen<br />
aus der „Dicken Bertha“. Gemeint sind die<br />
beiden dreijährigen Liquiditätsprogramme<br />
LTRO-1 und LTRO-2, die den Banken<br />
von der EZB im Dezember 2011 und März<br />
2012 verabreicht wurden. Vor allem Banken<br />
in Spanien und Italien, die damals unmittelbar<br />
vor dem Kollaps standen, nutzten<br />
die mit 0,05 Prozent fast kostenlosen Liquiditätseinschüsse<br />
zum Kauf heimischer<br />
Staatsanleihen. So entschärften sie die<br />
Schuldenkrise ihrer Regierungen.<br />
WEITERE 1000 MILLIARDEN<br />
Im Januar und März 2015 müssen die Banken<br />
die LTRO-Gelder zurückzahlen. Während<br />
vor allem Institute in Südeuropa bis<br />
heute am LTRO-Tropf hängen, begannen<br />
andere Banken bereits im Sommer 2012<br />
mit der Rückzahlung. Entsprechend geschrumpft<br />
ist seither die Bilanzsumme des<br />
Euro-Systems, auf aktuell 1988 Milliarden<br />
Euro. Nahezu parallel dazu fiel auch der<br />
Goldpreis in Euro wieder auf das Preisniveau<br />
vor der großen Liquiditätsflut zurück,<br />
aktuell notiert die Unze bei 950 Euro (siehe<br />
Seite 107, oberer Chart).<br />
Lässt Draghi seinen Worten Taten folgen,<br />
dann wird die EZB jetzt erneut über 1000<br />
Milliarden frische Euro in das europäische<br />
Bankensystem pumpen. Wird das Angebot<br />
an Euro derart erhöht, dann sollte auch der<br />
in Euro ausgedrückte Preis für Gold wieder<br />
steigen. Schließlich ist Gold nicht beliebig<br />
vermehrbar. Geschätzt 5600 Millionen Unzen<br />
wurden jemals auf der Welt gefördert.<br />
Gemessen an der jährlichen Minenpro-<br />
SCHLEPPENDE KREDITNACHFRAGE<br />
Alle Banken der Euro-Zone zusammen kämen<br />
auf etwa 400 Milliarden Euro. Allerdings<br />
müssen die Banken das Geld zur<br />
Kreditvergabe an die Realwirtschaft einsetzen.<br />
Problem: Die Realwirtschaft fragt wenig<br />
Kredite nach, weil sie entweder nicht<br />
noch mehr Schulden auftürmen oder<br />
mangels guter Perspektiven nicht investieren<br />
will. Der Auftakt des TLTRO-Programms<br />
fiel jedenfalls mau aus.<br />
Am Donnerstag vorvergangener Woche<br />
riefen 255 Banken in der ersten von insgesamt<br />
acht geplanten TLTRO-Auktionen<br />
nur 82,6 Milliarden Euro bei der EZB ab. Je<br />
weniger TLTRO die Banken in Anspruch<br />
nehmen, umso mehr Kreditverbriefungen<br />
und Pfandbriefe muss Draghi von Oktober<br />
an auf die Bilanz nehmen, um sein Eine-<br />
Billion-Euro-Versprechen einzulösen.<br />
Der Aufkauf dieser Wertpapiere ist die<br />
zweite Säule der Bilanzoffensive. Nur geben<br />
die Märkte vermutlich nicht das benötigte<br />
Volumen her, zumindest nicht auf kurze<br />
Sicht. Aber versprochen ist versprochen.<br />
Und so wird es letztlich, wie in den USA,<br />
Großbritannien und Japan, auch in Europa<br />
auf den Kauf von Staatsanleihen durch die<br />
EZB hinauslaufen.<br />
Einen Teilerfolg auf seinem Feldzug gegen<br />
die Deflation hat Draghi schon errungen.<br />
Der Euro hat abgewertet, gegenüber<br />
dem Dollar seit Anfang Mai von 1,3993 auf<br />
zuletzt 1,2725 Dollar. Die Mehrheit der<br />
Ökonomen und Verbände begrüßen einen<br />
schwachen Euro. Geht es nach Draghi, darf<br />
der Euro gar noch schwächer werden. Über<br />
die Abwertung soll Inflation in die Euro-<br />
Zone importiert und die Exportindustrie<br />
FOTO: DPA PICTURE-ALLIANCE/SVEN HOPPE<br />
106 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähiger<br />
gemacht werden. Klingt logisch.<br />
Nur ist eine Währungsabwertung<br />
nur für eine gewisse Zeit ein süßes Gift. Es<br />
gibt in der Wirtschaftsgeschichte kein einziges<br />
Beispiel einer prosperierenden Volkswirtschaft<br />
mit einer schwachen Währung.<br />
Auch wenn das Gegenteil propagiert<br />
wird, de facto ist ein schwacher Euro ein<br />
Betrug am Sparer in der Euro-Zone. Gold<br />
schützt Sparer vor Kaufkraftverlusten seiner<br />
Heimatwährung. Interessant: Vier der<br />
fünf Aufwärtsschübe von Gold in Euro seit<br />
2005 fielen zusammen mit einer Schwächephase<br />
des Euro gegenüber dem Dollar<br />
(siehe mittleren Chart). Auch so gesehen,<br />
könnte der nächste Preisauftrieb für Gold<br />
in Euro bevorstehen.<br />
Von einem gewissen Punkt an werden<br />
Investoren einen exzessiven Gebrauch der<br />
Notenpresse nicht mehr hinnehmen. Spätestens<br />
dann bricht die Währung ein, und<br />
über die Währungsabwertung steigt die Inflation.<br />
Als Folge ziehen sich Investoren<br />
komplett zurück aus dieser Währung, und<br />
die Inflation beschleunigt sich. Am Ende<br />
kommt eine Währungsreform. Um auf die<br />
vorbereitet zu sein, sollte jeder Anleger etwas<br />
Gold besitzen.<br />
Auf jeden Fall bietet physisches Gold, auf<br />
das Anleger direkt zugreifen können, stets<br />
eine Liquiditätsreserve außerhalb des Finanzsystems.<br />
„Physisch bedeutet, dass ich<br />
immer zu meinem Safe gehen, meine Barren<br />
und Münzen rausnehmen und am<br />
Markt verkaufen kann, wenn ich das muss“,<br />
erklärt der Schweizer Vermögensverwalter<br />
Felix Zulauf. Das macht Gold zu einer begehrten<br />
Notfallreserve. Diese Absicherung<br />
kann über Jahre auch Geld kosten, so wie<br />
eine Versicherungspolice.<br />
Für Anleger, die Gold gekauft haben, um<br />
es rasch mit Gewinn wieder zu verkaufen,<br />
hat sich der Goldpreis in letzter Zeit natürlich<br />
glanzlos entwickelt. Zumal Aktien im<br />
Performancerennen mit Gold stark aufgeholt<br />
haben. So lief der Dax zwischen Mitte<br />
2011 und Ende 2013 besser als Gold in Euro<br />
(siehe unterer Chart). Investoren, die<br />
Trends folgen, sind raus aus Gold und rein<br />
in Aktien, weil Aktien eben besser laufen.<br />
MINENAKTIEN MIT CHANCEN<br />
Trotzdem bleibt unklar, warum Aktien mit<br />
der Aussicht auf eine weitere Alimentierung<br />
durch die EZB weiter zulegen sollten,<br />
aber ausgerechnet Gold nicht? Vielleicht<br />
sollte die Losung nicht lauten: Gold statt<br />
Aktien, sondern Gold und Aktien. Investmentlegende<br />
Marc Faber sieht einen Kompromiss:<br />
Goldminenaktien (siehe Interview<br />
ab Seite 100). Einsteigen können Anleger<br />
über einen Goldminenfonds, etwa<br />
den Tocqueville Gold Fund mit der ISIN<br />
FR0010649772.<br />
Denkbar ist, dass auch am Goldpreis gedreht<br />
wird. Schockartige Rückgänge wie<br />
beim Gold beobachtet seien typisch für<br />
Markteingriffe, sagt Dimitri Speck. Der<br />
Analyst des Vermögensverwalters Staedel<br />
Hanseatic aus Riga aber nimmt das gelassen.<br />
Was Anleger tun sollen? „Kaufen, was<br />
sonst?“ Sie bekämen Gold immerhin günstiger,<br />
als es ohne die Eingriffe der Fall wäre.<br />
Manipulationen änderten nichts an der<br />
grundsätzlichen Problematik, dass es zu<br />
viele Papiergeldansprüche gibt.<br />
n<br />
frank.doll@wiwo.de<br />
Weicher Euro, hartes Gold<br />
Entwicklung der EZB-Bilanzsumme (in<br />
Milliarden Euro) und des Goldpreises in Euro<br />
1400<br />
1000<br />
800<br />
600<br />
400<br />
200<br />
05 06 07 08 09 10 11 12 13 14<br />
3500<br />
2500<br />
2000<br />
1500<br />
1000<br />
500<br />
Aufwärtsschübe für Gold in Euro werden meist<br />
ausgelöst durch eine Euro-Schwäche in Dollar<br />
1400<br />
1000<br />
800<br />
600<br />
400<br />
300<br />
1500<br />
1000<br />
500<br />
200<br />
Gold<br />
Gold<br />
1 Euro in Dollar<br />
EZB-Bilanzsumme<br />
05 06 07 08 09 10 11 12 13 14<br />
Absolute und relative Entwicklung von<br />
Goldpreis und Dax<br />
Gold in Euro<br />
Dax<br />
* Indexstand des Dax geteilt durch Goldpreis in Euro;<br />
Quelle: Thomson Reuters<br />
1,60<br />
1,40<br />
1,20<br />
1,00<br />
Dax besser als Gold Dax/Gold-Verhältnis* 20<br />
What's next?<br />
15<br />
10<br />
5<br />
Gold besser als Dax<br />
0<br />
05 06 07 08 09 10 11 12 13 14<br />
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Geld&Börse<br />
Garniertes Soufflé<br />
ROCKET INTERNET | Investoren glauben, dass die deutsche Start-up-<br />
Schmiede das Zeug dazu hat, den Internet-Handel außerhalb der<br />
USA und Chinas zu dominieren. Doch die Aktie ist hochriskant.<br />
Um 9.25 Uhr, fünf Minuten vor dem<br />
offiziellen Verkaufsstart, hatten die<br />
Banken schon Kaufaufträge für alle<br />
neuen Aktien von Rocket Internet in den<br />
Büchern. Das erinnert an beste Neue-<br />
Markt-Zeiten. Am Mittwoch um 9.30 Uhr<br />
gab Rocket-Vorstand Oliver Samwer dann<br />
den Startschuss zum Börsengang, präsentierte<br />
er ernst und sehr verbindlich in<br />
Frankfurt die Daten seines seit 2007 aufgebauten<br />
globalen Start-up-Inkubators. Die<br />
Holding ist inzwischen an 103 Online-Geschäftsmodellen<br />
beteiligt, die in mehr als<br />
100 Ländern aktiv sind und über 20 000<br />
Mitarbeiter beschäftigen. Sollte es in den<br />
nächsten Tagen nicht noch einen Börsencrash<br />
geben, entsteht hier <strong>vom</strong> Start weg<br />
ein Börsenriese, der mit rund sechs Milliarden<br />
Euro Marktwert in einer Liga mit Konzernen<br />
wie der Lufthansa spielen würde.<br />
Schon lange nicht mehr wurde in Frankfurt<br />
so viel Hoffnung so teuer verkauft. Ein<br />
Raketen-Ingenieure Marc, Oliver und<br />
Alexander Samwer (von links) sammeln<br />
an der Börse bis zu 1,6 Milliarden ein<br />
deutscher Vermögensverwalter spricht von<br />
einem „totalen Hype“, den er nicht verstehe.<br />
„Ohne den geglückten Börsengang der<br />
chinesischen Alibaba, bei dem sich hohe<br />
Kursgewinne abräumen ließen, hätte es<br />
Rocket Internet schwer gehabt, Anleger<br />
von dem Geschäft zu überzeugen“, sagt er.<br />
RENOMMIERTE INVESTOREN<br />
Rocket hat renommierte Investoren an<br />
Bord – neben den Samwers, die mit dem<br />
Ebay-Klon Alando und Klingeltonanbieter<br />
Jamba viele Millionen machten, sind unter<br />
anderem die schwedische Beteiligungsgesellschaft<br />
Kinnevik, die US-Investmentbank<br />
JP Morgan, die schottische Fondsgesellschaft<br />
Baillie Gifford und United Internet<br />
mit im Boot. Deren Chef Ralph Dommermuth<br />
steht nicht in dem Ruf ein waghalsiger<br />
Hasardeur zu sein. Und Baillie Gifford,<br />
auch bei Zalando mit dabei, hatte<br />
einst schon mit einem frühen Einstieg bei<br />
Facebook und Amazon Gespür für Online-<br />
Investments bewiesen. Rocket strebt an,<br />
die führende globale Internet-Plattform<br />
außerhalb der USA und Chinas zu werden.<br />
Aber hat die Samwer-Holding wirklich das<br />
Zeug, um mit Netzgiganten wie Amazon<br />
oder Alibaba in einer Liga zu spielen? Oder<br />
entpuppt sich Rocket Internet lediglich als<br />
hübsch garniertes Online-Soufflé, das nach<br />
dem Börsengang in sich zusammenfällt?<br />
VIELE VERSUCHSBALLONS<br />
Klar ist: Seit sieben Jahren geht es für das<br />
Unternehmen bergauf. Es wurden vielversprechende<br />
Online-Konzepte kopiert und<br />
weltweit ausgerollt. Von Chile bis Myanmar,<br />
von Aserbaidschan bis nach Nigeria<br />
erstreckt sich das Rocket-Reich. Die Online-Portale<br />
des Unternehmens verkaufen<br />
Schuhe und Shirts, vermitteln Putzfrauen,<br />
Immobilien oder Kredite via Netz. In<br />
Deutschland sind Home24 und Westwing<br />
bekannt, es gibt die russischen, asiatischen<br />
und brasilianischen Zalando-Pendants<br />
Lamoda, Zalora und Dafiti, das in Brasilien<br />
so bekannt ist wie Zalando hierzulande.<br />
Ein hochdekorierter britischer Fondsmanager<br />
spricht von „dem verrücktesten<br />
Ding, das ich je gesehen habe“. Zunächst<br />
einleuchtende Geschäftsmodelle im Netz<br />
gebe es viele, aber es funktioniere trotzdem<br />
längst nicht alles, und erst recht verdient<br />
nicht alles Geld, sagt ein deutscher Fondsmanager.<br />
In Rocket Internet stecken viele<br />
solcher Versuchsballons, denen die Berliner<br />
sechs bis neun Jahre Zeit lassen wollen,<br />
um profitabel zu werden. Beim Börsenstart<br />
sind die meisten längst noch nicht so weit.<br />
Wie der Preis für das Online-Konglomerat<br />
von rund sechs Milliarden Euro zustande<br />
kommt, bleibt das Geheimnis der Samwers<br />
und der beteiligten Banken. Laut Börsenprospekt<br />
wurden die Rocket-Beteiligungen<br />
bei der jüngsten Finanzierungsrunde<br />
nur mit 2,6 Milliarden Euro bewertet.<br />
Die Differenz entfällt auf die Fantasie<br />
der Investoren. Die ist auch nötig, denn<br />
harte Fakten bleibt der Konzern selbst im<br />
Börsenprospekt schuldig.<br />
So fehlen in dem Papier zentrale Kennzahlen<br />
wie die Höhe der Gesamtverluste,<br />
die bei den Rocket-Beteiligungen 2013 aufliefen.<br />
Lediglich für die elf wichtigsten<br />
Rocket-Ableger dröselt Rocket Internet die<br />
Geschäftszahlen auf: Bei Gesamterlösen<br />
von 757 Millionen Euro summierten sich<br />
die Jahresfehlbeträge der elf sogenannten<br />
„proven winners“, bei denen Rocket aber<br />
auch nur Minderheitsbeteiligungen hält,<br />
auf insgesamt 442 Millionen Euro. Wie tief<br />
FOTO: AGENTUR FOCUS/DIETER MAYR<br />
108 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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allerdings die anderen Rocket-Beteiligungen<br />
in den roten Zahlen stecken, bleibt offen.<br />
Im Prospekt heißt es lediglich: Die<br />
Emittentin verfüge „nicht über Informationen,<br />
die es ihr erlauben würden, den Gesamtverlust“<br />
aller Beteiligungen „verlässlich<br />
zu ermitteln“.<br />
Ein Management, das nicht in der Lage<br />
ist, die Verluste von Portfolio-Unternehmen<br />
zu beziffern – das ist eigentlich ein<br />
K.-o.-Kriterium am sonst so zahlenfixierten<br />
Finanzmarkt. Trotzdem reißen sich Investoren<br />
darum, beim größten deutschen<br />
Börsengang des Jahres dabei zu sein.<br />
ÜPPIG AUSGESCHÜTTET<br />
Wer rechnet schon so genau nach, wenn<br />
das rasante Wachstum lockt, etwa bei der<br />
Online- und Smartphone-Nutzung in<br />
Schwellenländern. „Konsumenten haben<br />
weltweit die gleichen Wünsche. Sie wollen<br />
ihr Handy, den Anzug oder die Pizza online<br />
bestellen“, sagt Samwer. Und Rocket Internet<br />
will ihnen in Afrika oder Lateinamerika<br />
den gleichen Zugang zu Produkten und<br />
Dienstleistungen bieten wie in Deutschland.<br />
Da es einen stationären Einzelhandel<br />
in Afrika und Lateinamerika kaum gibt, ist<br />
die Konkurrenz für E-Commerce nicht so<br />
groß. Ob das Gewinne bringt, bleibt offen.<br />
Die Konsumausgaben in den Schwellenländern<br />
steigen zwar, werden im Vergleich<br />
zu den entwickelten Märkten aber noch<br />
über Jahre auf bescheidenen Niveaus liegen.<br />
Die Geschäftsrisiken sind ungleich<br />
höher. Welche Auswirkungen hat die Ebola-Epidemie<br />
in Afrika auf das Geschäft der<br />
nigerianischen Rocket-Beteiligung Jumia,<br />
Börsenkandidat im Check: Rocket Internet<br />
Verluste bis mindestens 2017 scheinen Investoren nicht zu stören<br />
Branche:<br />
Umsatz 1 2013/14/15/16/17/18:<br />
Nettoergebnis 1, 2 2013/14/15/16/17/18:<br />
Konsortialbanken:<br />
Zeichnungsspanne:<br />
Wert der angebotenen Aktien:<br />
Börsenwert des Unternehmens:<br />
Zeichnungsfrist:<br />
Erstnotiz:<br />
Risiko:<br />
Empfehlung:<br />
Internet-Beteiligungen<br />
welche Folgen haben die Sanktionen des<br />
Westens auf die Nachfrage in Russland –<br />
und damit für Lamoda?<br />
Die aussichtsreichsten Massenmärkte<br />
im Web sind besetzt. Hier noch neue<br />
Marktführer zu kreieren wird schwer.<br />
Trotzdem sollen jedes Jahr zehn neue<br />
Start-ups die Berliner Raketenfabrik verlassen.<br />
Rocket Internet reagiert mit einer Art<br />
Konzern-Upgrade auf die Entwicklung: Mit<br />
einer digitalen Finanzsparte wird das<br />
Bankgewerbe angegriffen. Lendico und<br />
Zencap sind Plattformen, über die Anleger<br />
Geld an Privatleute oder Unternehmen<br />
verleihen können. Im August stieg die philippinische<br />
Telefongesellschaft PLDT bei<br />
Rocket ein, um Angebote für das Bezahlen<br />
per Handy aufzuziehen.<br />
73/109/141/170/204/234 Millionen Euro<br />
174/899/–149/ – 95/– 38/42 Millionen Euro<br />
Berenberg Bank, JP Morgan, Morgan Stanley, Bank of America Merrill<br />
Lynch, Citigroup, UBS<br />
35,50 bis 42,50 Euro<br />
1,34 bis 1,61 Milliarden Euro<br />
5,61 bis 6,71 Milliarden Euro<br />
bis 7. Oktober<br />
9. Oktober<br />
sehr hoch<br />
Bei positiver Marktstimmung zeichnen, aber Gewinne früh mitnehmen<br />
1 berücksichtigt, dass Rocket Internet oft nur Minderheitsaktionär ist, Werte ab 2014 sind Prognosen von Morgan Stanley;<br />
2 Gewinne 2013/14 durch Verkäufe zum Beispiel von Zalando; Quelle: Morgan Stanley; Rocket Internet, eigene Recherche<br />
Dividenden wird Rocket Internet laut<br />
Prospekt „in absehbarer Zukunft“ nicht<br />
zahlen. Schließlich sollen alle verfügbaren<br />
Mittel ins Wachstum investiert werden.<br />
Das war bis vor Kurzem noch anders.<br />
2012 und 2013 schüttete Rocket Internet<br />
an die Samwers und ihren Investorenzirkel<br />
551 Millionen Euro aus. Für 2014<br />
gönnten sich die Samwers eine sogenannte<br />
Vorabausschüttung in Höhe von 287<br />
Millionen Euro, sie machten damit de<br />
facto schon vor dem Börsengang Kasse.<br />
Dass die Alteigentümer weder beim Börsengang<br />
noch in den kommenden zwölf<br />
Monaten Rocket-Aktien abgeben wollen,<br />
wirkt deshalb schon nicht mehr ganz so<br />
beeindruckend.<br />
n<br />
henryk.hielscher@wiwo.de, heike schwerdtfeger | Frankfurt<br />
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Geld&Börse<br />
Gut schweizerisch<br />
BANKEN | Aktien und stimmrechtslose Beteiligungspapiere der<br />
Kantonalbanken sind auch für Euro-Anleger attraktiv.<br />
Heile Welt mit Staatsgarantie<br />
Aktienkennzahlen ausgewählter Schweizer Kantonalbanken<br />
Bank<br />
Glarner Kantonalbank<br />
Thurgauer Kantonalbank (PS)<br />
Graubündner Kantonalbank (PS)<br />
St.Galler Kantonalbank<br />
Luzerner Kantonalbank<br />
Banque Cantonale Vaudoise<br />
ISIN<br />
CH0189396655<br />
CH0231351104<br />
CH0001340204<br />
CH0011484067<br />
CH0011693600<br />
CH0015251710<br />
Sicherheit, Ruhe und Rendite – das lieben<br />
Schweizer Anleger. Deshalb legen<br />
sie sich Aktien und Partizipationsscheine<br />
von Kantonalbanken ins Portfolio.<br />
Die zeigten bisher oft nicht nur eine<br />
gute Kursentwicklung, sondern lieferten<br />
auch anständige Dividendenrenditen. Die<br />
Aktien der Banque Cantonale Vaudoise<br />
(BCV, Waadtländer Kantonalbank) sind in<br />
den vergangenen zehn Jahren von 120 auf<br />
über 500 Franken gestiegen. Bei der Dividendenrendite<br />
liegen die BCV und die St.<br />
Galler Kantonalbank mit über 4,5 Prozent<br />
Durchschnittsrendite in den vergangenen<br />
fünf Jahren vorn. Fünf weitere Kantonalbankpapiere<br />
schafften mehr als drei Prozent.<br />
„Kantonalbanken machen keine großen<br />
Sprünge, erleben aber auch keine Abstürze“,<br />
sagt Michael Kunz, Analyst bei der<br />
nicht börsennotierten Zürcher Kantonalbank.<br />
Mit wenigen Ausnahmen sind es<br />
Wertpapiere mit einer normalerweise<br />
langsamen, aber stetigen Entwicklung.<br />
In der Schweiz gibt es 24 Kantonalbanken.<br />
Fast jeder Kanton (entspricht etwa einem<br />
deutschen Bundesland) hat eine eigene.<br />
Die Banken betreuen als klassische<br />
Universalbanken Privat- und Unternehmenskunden,<br />
vorrangig aus dem eigenen<br />
Kanton. Das defensive Geschäft (kein Investmentbanking)<br />
verstetigt die Gewinne,<br />
außerdem haben fast alle Kantonalbanken<br />
eine Staatsgarantie. Ende 2013 war die Zürcher<br />
Kantonalbank mit 150 Milliarden<br />
Berge, keine Wolkenkratzer<br />
Zentrale der<br />
Glarner Kantonalbank<br />
1 von2014 an Prognosen, 2 letztebezahlte oder beantragte Dividende/Nennwertrückzahlung; CHF =Schweizer Franken,<br />
PS =Partizipationsschein; Quelle: Bloomberg, SIXSwiss Exchange,Zürcher Kantonalbank (ZKB); Stand: 24. September2014<br />
Kurs<br />
CHF<br />
17,55<br />
79,70<br />
1308,00<br />
349,00<br />
252,00<br />
503,00<br />
Kurs-Gewinn-Verhältnis 1<br />
2013 2014 2015<br />
15,5<br />
14,0<br />
17,4<br />
15,2<br />
11,8<br />
15,5<br />
14,0<br />
14,5<br />
17,8<br />
12,7<br />
11,8<br />
14,8<br />
11,9<br />
14,3<br />
17,2<br />
11,6<br />
11,4<br />
14,6<br />
Dividendenrendite<br />
2<br />
%<br />
0,0<br />
0,0<br />
2,9<br />
4,3<br />
4,4<br />
6,4<br />
Marktwert<br />
Mio. CHF<br />
202<br />
1594<br />
3270<br />
1945<br />
2992<br />
4329<br />
Franken Bilanzsumme die größte Kantonalbank,<br />
vor der BCV mit rund 40 Milliarden.<br />
Die addierte Bilanzsumme aller Kantonalbanken<br />
ist etwa halb so groß wie die<br />
der größten Schweizer Bank UBS.<br />
13 Kantonalbanken haben sich in den<br />
vergangenen Jahren dem Publikum geöffnet,<br />
auch wenn die Kantone Mehrheitseigentümer<br />
geblieben sind. An der Börse<br />
werden entweder Aktien oder Papiere ohne<br />
Stimmrecht (Partizipationsscheine, PS)<br />
gehandelt. Die Thurgauer und die Glarner<br />
Kantonalbank (GLKB) gaben ihr Börsendebüt<br />
erst in diesem Jahr, mit unterschiedlichem<br />
Erfolg. Die Partizipationsscheine<br />
der Thurgauer gingen für 74 Franken an<br />
die Börse, zu einem Preis am obersten<br />
Rand der angebotenen Spanne.<br />
VOM KANTON GERETTET<br />
Die Glarner mussten mit dem unteren Ende<br />
der Emissionspreisspanne zufrieden<br />
sein. Vor einigen Jahren scheiterte ihre teure<br />
Expansionsstrategie, der Kanton musste<br />
die Bank retten, und diese wurde gründlich<br />
ausgemistet. Die ZKB, die die Aktie an die<br />
Börse brachte, sieht deren Zukunft nach<br />
dem Aufräumen positiv. Pluspunkte seien<br />
das neu strukturierte Risikomanagement<br />
und ihr in der Schweiz einzigartiges Produkt<br />
namens „Hypomat“. Auf dieser Online-Plattform<br />
können seit 2012 Hypothekenkredite<br />
online abgeschlossen werden –<br />
auch am Wochenende. Das bringt der<br />
GLKB Wachstum, denn jetzt können Kunden<br />
auch außerhalb des Kantons Glarus<br />
via Hypomat einen Kredit aufnehmen.<br />
Negative Schlagzeilen macht dagegen<br />
die Basler Kantonalbank. Sie liegt im Streit<br />
mit den US-Steuerbehörden und geriet in<br />
den Strudel eines großen Anlegerbetruges.<br />
Der PS-Kurs halbierte sich seit 2011. Auf<br />
Talfahrt ist seit Mitte 2013 auch die Berner<br />
Kantonalbank. Die bietet ihren Aktionären<br />
traditionell höhere Zinsen auf Einlagen.<br />
0,25 Prozent für Aktionäre gegenüber 0,15<br />
Prozent für Normalsparer locken heute<br />
aber kaum Neu-Aktionäre an, eher veranlassen<br />
sie Aktionäre zu verkaufen.<br />
Die Bankpapiere werden alle an der Börse<br />
Zürich gehandelt, einige, wie etwa die<br />
GLKB oder die Berner, auch in Frankfurt.<br />
Die Umsätze sind eher gering, Anleger sollten<br />
nur mit Limit ordern. Das Währungsrisiko<br />
ist überschaubar, der Franken bleibt<br />
als sicherer Hafen gefragt. Währungsgewinne<br />
sind aber auch nicht drin – die<br />
Schweizer Notenbank hat den Franken-<br />
Kurs bei 1,20 Euro praktisch eingefroren. n<br />
alexander saheb | geld@wiwo.de<br />
FOTO: DPA PICTURE-ALLIANCE/KEYSTONE/GAETAN BALLY<br />
110 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Barron’s<br />
Strotzend vor Kraft<br />
US-AKTIEN | Apple-Anlegern drohen kurzfristig mal wieder Verluste;<br />
auf lange Sicht aber wurden Schwarzmaler stets Lügen gestraft.<br />
ben Zeitraum 18 Prozent zulegen.<br />
Also muss die Apple-Aktie teurer<br />
geworden sein. Genauso ist es:<br />
Das Verhältnis des Börsenwertes<br />
zu den Gewinnen des Unternehmens<br />
(KGV) beträgt 14,4. Vor einem<br />
Jahr war die Aktie noch zum<br />
Elffachen des erwarteten Gewinns<br />
zu haben. Der Umsatz soll<br />
laut neuesten Analystenschätzungen<br />
2014 180,3 Milliarden Dollar erreichen;<br />
noch im April wurden 181,8 Milliarden<br />
Dollar für das laufende Jahr geschätzt.<br />
Gleichzeitig erwarten die Herren (und wenigen<br />
Damen) der Excel-Tabellen aber einen<br />
Umsatzanstieg auf 199,3 Milliarden<br />
Dollar für das nächste Jahr.<br />
Doug Kass <strong>vom</strong> Hedgefonds Seabreeze<br />
meint: „Die Aktie ist überbewertet.“ Eine<br />
ähnliche Einschätzung hatte Kass 2012 abgegeben<br />
und (kurzfristig) recht behalten:<br />
Die Aktie verlor in sieben Monaten 44 Prozent.<br />
Langfristig aber lag Kass daneben: Er<br />
hatte auch für das Unternehmen Apple<br />
schwarzgemalt. Die von ihm geweissagten<br />
rasanten Verluste an Marktanteilen, Umsätzen<br />
und Gewinnen trafen nicht ein; nur<br />
die Aktie gab zwischenzeitlich nach. Die<br />
Prognose, Samsung werde Apple regelrecht<br />
aufreiben, hat sich als falsch erwiesen,<br />
die Koreaner bekamen noch gravierendere<br />
Probleme als Apple.<br />
ILLUSTRATION: TOM MACKINGER<br />
Der große Wurf ist es nicht. Auf einer<br />
seit Jahren mit Spannung erwarteten<br />
Präsentation stellte<br />
Apple-Chef Tim Cook jüngst die<br />
Apple Watch vor, eine Armbanduhr, die<br />
E-Mails versenden und mit Smartphones<br />
der Besitzer kommunizieren kann. Zwar<br />
schlägt das Design von Apples Smartwatch<br />
alle Apparate der Konkurrenz; sie verfügt<br />
über die beste Software. Doch wer soll die<br />
Dinger kaufen? Denn etwas wirklich Neues<br />
bieten die Uhren allesamt nicht. Nach<br />
Schätzungen wurden 2013 weltweit nur 1,9<br />
Millionen Smartwatches verkauft, die Erwartungen<br />
für 2014 liegen kaum darüber.<br />
Nach einem Kassenschlager, der – wie<br />
iPhone oder Musikplayer iPod – aus dem<br />
Nichts einen eigenen Massenmarkt schafft,<br />
sieht das nicht aus. Genau das, sagen Skeptiker,<br />
muss Apple liefern, sollen die Anleger<br />
weiter die Apple-Aktie massenhaft kaufen<br />
und deren anhaltenden Höhenflug unterstützen.<br />
Aber ist das so? Dafür kam Ende<br />
September das neue iPhone 6. Weltweit<br />
bildeten sich wieder kilometerlange<br />
Schlangen vor den Apple-Stores. Das<br />
iPhone 6 toppt alte Rekorde: Bereits nach<br />
vier Stunden hatte Apple mehr als vier Millionen<br />
der bis zu 1000 Euro teuren Geräte<br />
verkauft. Allen Skeptikern zum Trotz wurde<br />
das bis zu 5,5 Zoll große Gerät rechtzeitig<br />
zum Weihnachtsgeschäft fertig und<br />
dürfte Apples Umsatz kräftig antreiben.<br />
Doch reicht das auch auf lange Sicht?<br />
In den Industrieländern hat jeder potenzielle<br />
Nutzer schon ein Smartphone. Jedes<br />
neue Modell frisst daher die eigenen Umsätze<br />
mit den alten, Apple hat die Preise für<br />
die Vorgänger iPhone 5 und 5s bereits massiv<br />
gesenkt. Nicht alle Anleger haben den<br />
endgültigen Übergang <strong>vom</strong> Wachstumszum<br />
gesättigten Markt verinnerlicht. Sie<br />
verweisen auf die Schwellenländer, dort<br />
gibt es noch Wachstum. Allerdings<br />
herrscht dort ein noch härterer Preiskampf,<br />
vor allem durch chinesische Billigheimer<br />
wie Xiaomi, Coolpad oder Oppo.<br />
Für das laufende Jahr erwartet Apple<br />
selbst nur noch 5,5 Prozent Umsatzwachstum,<br />
nichts mehr also im Vergleich mit neun<br />
Prozent 2013 oder gar 45 Prozent 2012. Geschrumpft<br />
ist auch die Bruttogewinnmarge –<br />
von 43,9 Prozent 2012 auf 37,6 Prozent 2013<br />
und auf erwartete 38,6 Prozent in diesem<br />
Jahr. Das alles ist sattsam bekannt, dennoch<br />
stieg die Aktie in den vergangenen 16 Monaten<br />
um 82 Prozent;die restlichen Aktien dieser<br />
Welt konnten im Schnitt im sel-<br />
Die beste<br />
Geschichte aus<br />
der aktuellen<br />
<strong>Ausgabe</strong> von<br />
dem führenden<br />
amerikanischen<br />
Magazin für<br />
Geldanleger.<br />
130 MILLIARDEN FÜR AKTIONÄRE<br />
Ein Punkt, den Schwarzmaler gern übersehen:<br />
Es ist nicht schlimm, dass Konkurrenten<br />
im Detail besser sind. Ja – es gibt<br />
höher auflösende Bildschirme als den des<br />
iPhone 6. Auch die Kamera des Nokia Lumia<br />
mag besser sein. Doch deswegen kaufen<br />
iPhone-Kunden nicht Nokia oder Samsung.<br />
Apple versteht es, seine Kunden über<br />
eine immense Auswahl an nützlichen Anwendungen<br />
(Apps) und Inhalte zu binden;<br />
hinreichend viele jedenfalls, um so viel<br />
Geld zu verdienen, dass die Anleger derzeit<br />
mit 130 Milliarden Dollar Geldsegen (in<br />
Form von Aktienrückkäufen und Dividenden)<br />
beglückt werden können.<br />
Apple-Pessimisten machen zu oft den<br />
Fehler, dass sie Unternehmenserfolg und<br />
Aktienkursentwicklung gleichsetzen. Das<br />
Unternehmen Apple strotzt vor Kraft,<br />
wird heuer 39 Milliarden Dollar Nettogewinn<br />
erwirtschaften, es wächst nur<br />
nicht mehr so schnell. Das nehmen Anleger<br />
übel, die zu spät und teuer eingestiegen<br />
sind. Klar ist:An der Börse muss Apple<br />
in den gestiegenen Kurs wieder hineinwachsen.<br />
Dieses Muster ist aus<br />
früheren Zyklen der Aktie bekannt.<br />
Bisher gelang das immer<br />
dann, wenn Pessimisten am lautesten<br />
schrien, Apple befinde<br />
sich in einer Abwärtsspirale. So<br />
weit sind wir noch nicht; kurzfristig<br />
drohen Verluste. Danach<br />
aber sollten Anleger Apple wieder<br />
ins Depot nehmen.<br />
n<br />
tiernan ray | geld@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 111<br />
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Geld&Börse | Steuern und Recht<br />
SCHEIDUNG<br />
Frieden spart<br />
Steuern<br />
ZINSEN<br />
Fiskus nimmt sechs Prozent<br />
Wer nach erfolglosem Einspruch Steuern nachzahlt, muss die üppig verzinsen.<br />
Teurer als mancher Bankkredit ist ein Kredit <strong>vom</strong><br />
Finanzamt. Von unpünktlichen Steuerzahlern<br />
verlangt der Fiskus 0,5 Prozent Zinsen pro Monat<br />
und damit sechs Prozent für ein ganzes Jahr. Das<br />
Zinsniveau ist seit Jahren gesunken, der Bund<br />
zahlt für seine Anleihen im Schnitt nur noch 0,79<br />
Prozent pro Jahr (Umlaufrendite). Finanzämter<br />
verlangen trotzdem unverdrossen den schon Mitte<br />
der Neunzigerjahre festgelegten Satz. Die sogenannten<br />
Aussetzungszinsen zahlt jeder, der etwa<br />
gegen einen Steuerbescheid erfolglos Einspruch<br />
einlegt oder wegen angespannter Finanzen seine<br />
Steuern stunden muss – und auch Steuerhinterzieher.<br />
Da Steuerfragen gerichtlich mitunter<br />
erst nach Jahren geklärt werden, kann das teuer<br />
werden. Nach einer höchstrichterlichen Entscheidung<br />
des Bundesfinanzhofes (BFH) verstößt<br />
die Praxis nicht gegen die Verfassung – zumindest<br />
nicht für die Zeit von 2004 bis 2011 (IX R 31/13),<br />
um die es in dem Fall ging, den die BFH-Richter<br />
entscheiden mussten. Der Kläger hatte seine Gewinne<br />
aus einem Immobiliengeschäft zunächst<br />
nicht versteuert, weil 2004 noch beim Bundesverfassungsgericht<br />
ein Musterprozess dazu anhängig<br />
war. Dieses Verfahren dauerte sechs Jahre und<br />
ging nicht zugunsten des Steuerzahlers aus. Und<br />
ihn verfolgte das Pech weiter: Auf die Einkommensteuer,<br />
die er nachzahlen sollte, verlangte der<br />
Fiskus sechs Prozent Zinsen pro Jahr. Dies hielt er<br />
wegen der langen Verfahrensdauer für verfassungswidrig,<br />
doch auch dafür fand er unter den<br />
Richtern keine Anhänger.<br />
Eine friedliche Scheidung<br />
kommt offenbar so selten vor,<br />
dass das deutsche Steuerrecht<br />
auf gütliche Einigungen nicht<br />
vorbereitet ist. Der hessische<br />
Fiskus wollte einer Geschiedenen<br />
Steuern abknöpfen, wurde<br />
jetzt aber <strong>vom</strong> Hessischen Finanzgericht<br />
zurückgepfiffen (11<br />
K 1432/11). Die Frau hatte sich<br />
mit ihrem Ehemann vor der<br />
Scheidung darauf geeinigt, dass<br />
sie keinen Versorgungsausgleich<br />
machen. Der ist ansonsten<br />
das übliche Verfahren, um<br />
die während der Ehe erworbenen<br />
Rentenansprüche hälftig zu<br />
teilen. Statt einer höheren Rente<br />
im Alter bekam die Ehefrau<br />
<strong>vom</strong> Ex gleich Geld: Er übertrug<br />
ihr einen mit rund 30 000 Euro<br />
gefüllten Bausparvertrag und<br />
über ein paar Jahre verteilt noch<br />
rund 80 000 Euro. Die Vereinbarung<br />
wurde notariell beurkundete<br />
und <strong>vom</strong> Familiengericht<br />
genehmigt. Das Finanzamt<br />
wollte die Zahlungen als wiederkehrende<br />
Einkünfte besteuern.<br />
Dagegen klagte die Geschiedene<br />
und gewann, weil ein<br />
solcher Ausgleich im Steuerrecht<br />
nicht vorgesehen ist. Die<br />
Zahlungen seien weder eine<br />
steuerpflichtige Entschädigung<br />
noch ein Ersatz für Renteneinkünfte,<br />
so die Richter. Also geht<br />
der Fiskus leer aus.<br />
RECHT EINFACH | Erntezeit<br />
Treckerkolonnen und Lärm von<br />
Erntemaschinen: Im Herbst sind<br />
Landwirte nicht beliebt. Mancher<br />
Streit führt zum Richter.<br />
§<br />
Mähdrescher. Auf einer 5,4<br />
Meter breiten Straße in<br />
Westfalen fuhr ein 3,5 Meter<br />
breiter Mähdrescher. In<br />
einer Kurve rauschte ein entgegen-<br />
kommender Motorradfahrer<br />
auf den grünen Koloss. 13 333<br />
Euro Schmerzensgeld verlangte<br />
der Biker nach seiner Entlassung<br />
aus dem Krankenhaus <strong>vom</strong> Eigen-<br />
tümer der Erntemaschine. Mit Erfolg.<br />
Auf der schmalen Straße hätte<br />
der Agro-Brummi einen Wagen mit<br />
Warnlicht vor sich her fahren lassen<br />
müssen und in der Kurve hupen sollen,<br />
so die Richter (Oberlandesgericht<br />
Hamm, 9 U 17/13).<br />
Lehmschicht. In Schleswig-Holstein<br />
war die Kohlernte in vollem Gange.<br />
Ein Bauer rackerte seit dem frühen<br />
Morgen. Folge: Auf der Landstraße<br />
zwischen seinen Äckern und dem<br />
Hof lag eine zentimeterdicke<br />
Schmutzschicht. Obwohl der Landwirt<br />
50 Meter vor der verunreinigten<br />
Stelle ein Warnschild aufgestellt<br />
hatte, kam eine Autofahrerin bei<br />
leichtem Regen ins Schleudern und<br />
landete im Graben. Schadensersatz<br />
bekam sie nicht. Die Richter stellten<br />
fest, dass die Straße vor allem<br />
von Einheimischen benutzt werde.<br />
Diese seien mit den „Gegebenheiten“<br />
zur Erntezeit vertraut (Oberlandesgericht<br />
Schleswig-Holstein,<br />
7 U 144/01).<br />
Nachtmusik. Am Rand eines Dorfes,<br />
rund 500 Meter entfernt von<br />
einem Bauernhof, wohnte eine<br />
Schwäbin. Im Herbst wurde ihre<br />
Nachtruhe durch entfernte Geräusche<br />
von Erntemaschinen gestört.<br />
Hilfe <strong>vom</strong> Gericht bekam sie aber<br />
nicht. „Vereinzelte Ruhestörungen<br />
zur Erntezeit“, so die Richter,<br />
seien hinzunehmen (Verwaltungsgerichtshof<br />
Baden-Württemberg,<br />
10 S 2317/99).<br />
FOTOS: DDP IMAGES/ECOMEDIA/ROBERT B. FISHMAN, GLOWIMAGES, PR<br />
112 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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MIETPREISBREMSE<br />
Mehr Freiheit bei Neubauten<br />
Die geplante Mietpreisgrenze<br />
soll den Spielraum für Mieterhöhungen<br />
noch weiter beschränken,<br />
als dies schon das<br />
im vergangenen Jahr eingeführte<br />
Mietrecht getan hat. Es hindert<br />
Vermieter überall dort daran,<br />
die Miete stark zu erhöhen,<br />
wo der Wohnungsmarkt schon<br />
als „angespannt“ galt. Viele<br />
Bundesländer haben dies für<br />
sich reklamiert. Per Verordnung<br />
wurde eine Kappungsgrenze für<br />
Städte mit hohen Mieten eingeführt.<br />
Durfte ein Vermieter die<br />
Miete binnen drei Jahren zuvor<br />
um 20 Prozent erhöhen, sind in<br />
diesen Vierteln und etwa in der<br />
kompletten Stadt Berlin nur<br />
TESTAMENT<br />
Kein Kauderwelsch<br />
SCHNELLGERICHT<br />
TEURERE SELBSTANZEIGE AB 2015<br />
§<br />
Der Gesetzentwurf, der die Regeln für eine strafbefreiende<br />
Selbstanzeige verschärft, steht. Wer<br />
von den aktuell günstigeren Regeln profitieren möchte,<br />
sollte sich beeilen. Ab 25 000 Euro hinterzogenen<br />
Steuern pro Jahr könnte schon ab 1. Januar ein Strafzuschlag<br />
verlangt werden, der nicht mehr pauschal<br />
fünf Prozent beträgt, sondern gestaffelt steigt – auf<br />
bis zu 20 Prozent bei über eine Million Euro hinterzogener<br />
Steuern. Hinzu kommen Zinsen von sechs Prozent<br />
pro Jahr auf die Steuerschuld.<br />
Mit einem Testament kann der<br />
Vererber dafür sorgen, dass sein<br />
Vermögen gerecht verteilt wird.<br />
Dazu sollte er aber beim Texten<br />
präzise sein. Das ging bei einem<br />
Mann schief, der schrieb, die<br />
Erbschaft solle gemäß dem<br />
„Berliner Testament“ erfolgen.<br />
Bei diesem setzen sich Eheleute<br />
gegenseitig als Alleinerben ein.<br />
Es ist aber nur gültig, wenn sie<br />
es auch gemeinsam aufsetzen.<br />
Das hatte der Verstorbene nicht<br />
beachtet. Seine Ehefrau muss<br />
ihr Erbe deshalb mit den Kindern<br />
teilen, die ihr Mann aus<br />
erster Ehe hatte (Oberlandesgericht<br />
Hamm, 15 W 98/14).<br />
Unwirksam, weil zu vage, war in<br />
einem anderen Testamentstext<br />
der Passus, dass die Person den<br />
Nachlass bekommen solle, die<br />
sich bis zum Tod um den Erblasser<br />
kümmert (Oberlandesgericht<br />
München, 31 Wx 55713).<br />
Auch eine reine Bildunterschrift<br />
„V. ist meine Haupterbin“,<br />
ist als Testament ungültig<br />
(Oberlandesgericht Hamburg, 2<br />
W 80/13).<br />
noch bis zu 15 Prozent möglich.<br />
Die Obergrenze bleibt immer<br />
die ortsübliche Vergleichsmiete<br />
für Wohnungen ähnlicher Qualität.<br />
Diese Reform des Mietrechts<br />
klammerte Neuvermietungen<br />
aus.<br />
Die neue Mietpreisbremse<br />
soll künftig Neumieter vor einem<br />
hohen Aufschlag schützen.<br />
Künftig darf die Miete nach<br />
einem Mieterwechsel maximal<br />
auf einen Betrag steigen, der<br />
zehn Prozent über der ortsüblichen<br />
Vergleichsmiete liegt.<br />
Aber in den Plänen sind viele<br />
Ausnahmen vorgesehen: Bei<br />
Neubauten, die nach Verabschiedung<br />
des Gesetzes fertiggestellt<br />
werden, müssen die<br />
Vermieter die ortsübliche Miete<br />
nicht bei der Miethöhe berücksichtigen.<br />
Und Vermieter, die<br />
einen Altbau umfassend sanieren,<br />
Gebäude dämmen oder etwa<br />
Bäder erneuern, trifft die<br />
Bremse ebenfalls nicht, wenn<br />
sie nach dem Umbau erstmals<br />
wieder Mieter suchen. Allerdings<br />
ist nicht klar definiert, ab<br />
wann eine Sanierung als umfassend<br />
angesehen wird. Für Altmieter<br />
gilt schon jetzt: Steigt die<br />
Miete nach dem Umbau auf<br />
mehr als 35 Prozent des Nettohaushaltseinkommens,<br />
gelten<br />
sie als Härtefall und werden von<br />
einer Erhöhung ausgenommen.<br />
PARKEN<br />
Vorsicht auf<br />
Rastplätzen<br />
Auf Parkplätzen gilt die Straßenverkehrsordnung<br />
und deren<br />
oberster Grundsatz – ständige<br />
Vorsicht und gegenseitige<br />
Rücksicht. Wer dort fährt, achtet<br />
auf ausparkende Autos. An<br />
Rastplätzen gibt es aber Stellplätze,<br />
die an einer Straße liegen,<br />
deren Fahrspuren durch<br />
Markierungen getrennt sind.<br />
Dort hat der fließende Verkehr<br />
Vorfahrt (Oberlandesgericht<br />
Hamm, 9 U 26/14).<br />
STEUEREXTRAS BEI SANIERUNG<br />
§<br />
Weist eine Kommune ein Sanierungsgebiet aus,<br />
können Immobilieneigentümer Instandsetzungsund<br />
Modernisierungskosten über zwölf Jahre auch für<br />
selbst bewohnte Wohnungen voll absetzen. Dass es<br />
sich um ein Sanierungsgebiet handelt, muss die Gemeinde<br />
bei Wohnblocks für jede Wohnung einzeln bestätigen<br />
(Bundesfinanzhof, IX R 15/13). Das Finanzamt<br />
kann aber schon zuvor die Sonderabschreibung<br />
im Einkommensteuerbescheid berücksichtigen oder<br />
muss die Ablehnung gut begründen (X R 7/12).<br />
PASS WEG BEI HOHER STEUERSCHULD<br />
§<br />
Ein Berliner schuldete dem Fiskus 531 000 Euro<br />
Steuer. Da er seine Wohnsitze nicht ordentlich gemeldet<br />
hatte und um zu verhindern, dass er sich ins<br />
Ausland absetzt, durfte ihm der Pass abgenommen<br />
werden (Verwaltungsgericht Berlin, 23 L 410.14).<br />
ARBEITSRECHT<br />
MARC HILBER<br />
ist Partner<br />
im Bereich<br />
IT-Recht der<br />
Kanzlei<br />
Oppenhoff &<br />
Partner.<br />
n Herr Hilber, darf ein<br />
Arbeitgeber Personalakten<br />
seiner Angestellten in der<br />
Cloud speichern, also extern<br />
bei Unternehmen wie<br />
Google oder Amazon?<br />
Der Arbeitgeber ist für die Sicherheit<br />
der Arbeitnehmerdaten<br />
zuständig und bleibt dies<br />
auch in der Cloud. Er muss Sicherheitsfragen<br />
mit dem<br />
Dienstleister schriftlich in einem<br />
Vertrag festhalten. Das<br />
Speichern außerhalb<br />
Deutschlands ist dann grundsätzlich<br />
zulässig. Dagegen<br />
kann sich der Arbeitnehmer<br />
nicht wehren, es können lediglich<br />
Beteiligungsrechte des<br />
Betriebsrates bestehen.<br />
n Das gilt ohne Einschränkung?<br />
Grenzen gibt es für besondere<br />
Arten personenbezogener<br />
Daten, etwa zur rassischen<br />
und ethnischen Herkunft, zu<br />
politischen Meinungen, religiösen<br />
Überzeugungen, Gewerkschaftszugehörigkeit,<br />
Gesundheit oder zum Sexualleben.<br />
Die dürfen grundsätzlich<br />
nur in eine Cloud im europäischen<br />
Wirtschaftsraum.<br />
n Können Arbeitnehmer<br />
Auskunft darüber verlangen,<br />
wo ihre Daten gespeichert<br />
werden?<br />
Nach dem Bundesdatenschutzgesetz<br />
haben sie zwar<br />
das Recht zu erfahren, welche<br />
Daten über sie gespeichert<br />
sind und an welchen Empfänger<br />
die Daten weitergegeben<br />
wurden. Es ist aber strittig, ob<br />
Cloud-Dienstleister solche<br />
Empfänger sind, über die Auskunft<br />
zu erteilen ist. Die<br />
schlüssigeren Argumente<br />
sprechen aktuell dagegen.<br />
WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 Redaktion: heike.schwerdtfeger@wiwo.de | Frankfurt, sebastian kirsch<br />
113<br />
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Geld&Börse | Geldwoche<br />
KOMMENTAR | Die großen Börsengänge<br />
signalisieren ein Ende der<br />
Hausse. Oder ist diesmal wirklich<br />
alles anders? Von Hauke Reimer<br />
Auf der Welle<br />
Aufschwung auf Halde Autoverladung<br />
für den Export in Bremerhaven<br />
Alle kaufen, als ob es<br />
morgen keine Aktien<br />
mehr gibt. Im Windschatten<br />
von Chinas<br />
Alibaba, die in New York den<br />
größten Börsengang (IPO) aller<br />
Zeiten hinlegte, gehen hierzulande<br />
die Aktien des Online-<br />
Händlers Zalando und der<br />
Start-up-Schmiede Rocket Internet<br />
weg wie geschnitten<br />
Brot. Selbst der chinesische<br />
Daunenverarbeiter Snowbird<br />
schleppt sich aufs Parkett „am<br />
oberen Rand der Preisspanne“,<br />
wie er stolz meldet. (Dass er<br />
statt 10 Millionen nur 1,5 Millionen<br />
Aktien untergebracht hat,<br />
muss er Anlegern ja nicht unbedingt<br />
auf die Nase binden.)<br />
VORSICHT MACHT MUT<br />
Doch zurück zu den Internet-<br />
Riesen: Analyst Roger Peeters<br />
von Close Brothers Seydler vergleicht<br />
den Alibaba-Börsengang<br />
mit dem von Facebook 2012.<br />
Anders als vor zwei Jahren<br />
scheine die IPO-Begeisterung<br />
diesmal auch über den Großen<br />
Teich zu schwappen, schreibt er<br />
in seinem an angelsächsische<br />
Investoren gerichteten Morning<br />
Briefing. Es sei typisch für den<br />
deutschen Markt, dass das Anlegerinteresse<br />
an den Aktien von<br />
einer Menge kritischer Pressestimmen<br />
begleitet werde. Das<br />
deute darauf hin, dass die Kurse<br />
noch eine ganze Weile steigen<br />
könnten.<br />
Peeters bemüht hier die Sentiment-Theorie.<br />
Die sagt: Wenn<br />
Börsenblätter „kaufen, kaufen!“<br />
schreiben und Anleger ihnen folgen,<br />
dann ist an der Börse Alarm<br />
angesagt. Denn die vielen Optimisten<br />
hätten dann schon Aktien,<br />
fallen also als Nachfrager<br />
aus. Sind aber alle vorsichtig,<br />
steigen die Kurse weiter.<br />
Das kann man so sehen. Auch<br />
wenn ein Geschäftsmodell nicht<br />
nachhaltig erfolgreich ist, kann<br />
es für den Börsenerfolg reichen,<br />
wenn es die Fantasie der Anleger<br />
beflügelt. Es könnte ja klappen,<br />
und dann hat man eben die<br />
nächste Amazon im Depot.<br />
Und so war Mitte der Woche<br />
schon absehbar, dass Zalando<br />
und Rocket zu Spitzenpreisen<br />
zugeteilt werden. Und auch,<br />
dass Normalanleger nicht an<br />
Aktien kommen – die werden<br />
knapp gehalten und gehen vor<br />
allem an Londoner Adressen.<br />
Private dürfen dann an der Börse<br />
teurer nachkaufen. Womöglich<br />
macht das sogar Sinn: Eine<br />
Hausse kann länger laufen, als<br />
kluge Leute denken. Die Entscheidung<br />
kann einem niemand<br />
abnehmen: Soll ich weiter die<br />
Welle reiten? Oder nur in Unternehmen<br />
investieren, die mich<br />
auf längere Sicht überzeugen?<br />
Dass die Börsengänge gerade<br />
jetzt kommen, lässt sich auch so<br />
deuten: Alteigentümer und ihre<br />
Investmentbanker sind erfahren<br />
im Timing, sie sehen ein Ende<br />
des Booms und wollen noch ihre<br />
Ernte einfahren. Wer Aktien verkauft,<br />
orientiert sich an den Preisen<br />
börsennotierter Unternehmen.<br />
Die Preise, die aktuell<br />
gezahlt werden, finden Verkäufer<br />
offensichtlich attraktiv. Eine<br />
Häufung großer Börsengänge<br />
signalisiert deshalb seit jeher,<br />
dass die Kurse ausgereizt sind.<br />
Dagegen spricht aktuell nur,<br />
dass Banken und Investoren<br />
noch supergünstig an Geld kommen<br />
und das anlegen wollen.<br />
Sollte dank der lockeren Geldpolitik<br />
diesmal wirklich alles<br />
anders sein? Ich weiß nur: Der<br />
Satz „diesmal ist alles anders“<br />
ist der gefährlichste und teuerste<br />
überhaupt an der Börse.<br />
TREND DER WOCHE<br />
Wackliger Mix für Aktien<br />
Die trüben Konjunkturaussichten machen eine Korrektur<br />
bei Dax und Dow immer wahrscheinlicher.<br />
Unerwartet deutlich kühlt sich<br />
das Wirtschaftsklima in<br />
Deutschland ab. Nachdem der<br />
ifo-Konjunkturindikator zum<br />
fünften Mal in Folge gesunken<br />
ist, schwindet die Hoffnung auf<br />
einen schnellen Dreh nach<br />
oben. Wahrscheinlich sind<br />
selbst die zuletzt auf 1,5 Prozent<br />
gestutzten Wachstumsprognosen<br />
zu optimistisch.<br />
Gemessen an diesen trüben<br />
Aussichten, halten sich die Aktienmärkte<br />
noch. Der Dax liegt<br />
derzeit fünf Prozent unter seinem<br />
Top, der amerikanische<br />
Dow Jones zwei Prozent. Grund<br />
ist die expansive Geldversorgung<br />
durch die Notenbanken.<br />
Mit Wertpapierkäufen bereitet<br />
EZB-Chef Mario Draghi gerade<br />
die nächste Expansionsphase<br />
vor; Fed-Chefin Janet Yellen<br />
dürfte die erste Zinserhöhung<br />
länger als erwartet hinausschieben.<br />
Bleibt die Frage, ob der Mix<br />
aus wackliger Konjunktur und<br />
reichlicher Geldversorgung für<br />
den Aufwärtstrend an den Börsen<br />
ausreicht. Bisher erwiesen<br />
sich alle Kursrückschläge seit<br />
dem Finanzkrisentief 2009 als<br />
Kaufgelegenheiten.<br />
Wertvolle Anlagehinweise<br />
gibt dabei der ifo-Index, der in<br />
der gesamten Anstiegsphase<br />
immer über dem Stand von 100<br />
Punkten blieb, also wirtschaftliche<br />
Expansion signalisierte.<br />
Der September-Rückgang von<br />
106,3 auf 104,7 ist also kein<br />
Beinbruch. Erst wenn der ifo<br />
richtig schnell absäuft, wird es<br />
für Aktien gefährlich: so wie ab<br />
Mitte 2008, als er in sechs Monaten<br />
mehr als 20 Punkte verlor.<br />
Trends der Woche<br />
Entwicklung der wichtigsten Finanzmarkt-Indikatoren<br />
Stand: 25.9.2014 / 18.01 Uhr aktuell seit einer Woche 1 seit einem Jahr 1<br />
Dax 30 9510,01 –2,9 +9,7<br />
MDax 15927,15 –2,0 +6,2<br />
Euro Stoxx 50 3202,31 –2,1 +9,4<br />
S&P 500 1971,91 –2,0 +16,5<br />
Euro in Dollar 1,2712 –1,2 –5,9<br />
Bund-Rendite (10 Jahre) 1 0,93 –0,12 2 –0,92 2<br />
US-Rendite (10 Jahre) 1 2,52 –0,11 2 –0,14 2<br />
Rohöl (Brent) 3 96,84 –0,8 –11,6<br />
Gold 4 1213,75 –0,6 –8,2<br />
Kupfer 5 6766,00 –2,2 –5,4<br />
1<br />
in Prozent; 2 in Prozentpunkten; 3 in Dollar pro Barrel; 4 in Dollar pro Feinunze,<br />
umgerechnet 953,38 Euro; 5 in Dollar pro Tonne; Quelle: vwd group<br />
FOTOS: BERT BOSTELMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, ULLSTEIN BILD/ULRICH BAUMGARTEN, GLOWIMAGES/BLEND IMAGES<br />
114 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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DAX-AKTIEN<br />
Teure Käufe<br />
Siemens zahlt viel für einen strategischen Vorteil;<br />
Merck erschließt sich immerhin gleich mehr Rendite.<br />
HITLISTE<br />
Mit der geplanten Übernahme<br />
des Turbinenherstellers<br />
Dresser-Rand wird Siemens<br />
<strong>vom</strong> Boom der amerikanischen<br />
Öl- und Gasindustrie<br />
profitieren. Ebenfalls ein Vorteil<br />
ist es, dass Dresser schon<br />
heute mit einer Nettorendite<br />
(Reingewinn <strong>vom</strong> Umsatz)<br />
von sieben Prozent auf Siemens-Niveau<br />
arbeitet. Nicht<br />
einmal halb so rentabel ist das<br />
Hausgerätegeschäft (BSH),<br />
das Siemens dafür an Autozulieferer<br />
Bosch verkauft.<br />
Allerdings, der Preis für die<br />
Rochade ist hoch: Für den Jahresumsatz<br />
von Dresser zahlt<br />
Siemens das Zweieinhalbfache,<br />
bekommt aber nur 29 Cent je<br />
Umsatz-Euro für BSH herein.<br />
Auf den ersten Blick hoch erscheint<br />
die sechsfache Umsatzbewertung,<br />
die der Darmstädter<br />
Pharmakonzern Merck für<br />
Sigma-Aldrich bezahlt. Allerdings<br />
bringt der amerikanische<br />
Forschungsspezialist Merck<br />
nicht nur strategisch voran; er<br />
ist auch hochrentabel und wird<br />
die Gewinne von Merck von<br />
Anfang an beflügeln.<br />
Gesunde Branche<br />
17 Prozent für Anleger<br />
S&P 500<br />
Alibaba-Moment<br />
Die aktuelle Rekordjagd des S&P 500 wird nur noch<br />
befeuert von Technologie- und Gesundheitsaktien.<br />
Dax<br />
Kurs Kursent- Gewinn KGV Börsen- Dividen-<br />
(€) wicklung pro Aktie (€) wert den-<br />
1 Woche 1 Jahr 2014 2015 2015<br />
(Mio. €) rendite<br />
(%) 1<br />
Dax 9510,01 –2,9 +9,7<br />
Aktie<br />
Stand: 25.9.2014 / 18.00 Uhr<br />
Adidas 61,28 –1,2 –22,9 3,10 3,65 17 12821 2,45<br />
Allianz 136,65 –0,6 +15,6 13,87 14,05 10 62306 3,88<br />
BASF NA 72,89 –5,0 +1,0 5,78 6,26 12 66948 3,70<br />
Bayer NA 110,20 –2,2 +27,3 5,97 6,94 16 91130 1,91<br />
Beiersdorf 66,42 +0,6 +1,3 2,48 2,75 24 16738 1,05<br />
BMW St 85,25 –5,7 +6,1 9,01 9,44 9 54856 3,05<br />
Commerzbank 12,12 –5,4 +38,0 0,55 0,98 12 13799 -<br />
Continental 151,70 –8,2 +21,0 12,85 14,30 11 30341 1,65<br />
Daimler 60,82 –4,8 +5,2 6,19 6,84 9 65043 3,70<br />
Deutsche Bank 27,59 –0,4 –16,3 2,31 3,28 8 28125 2,72<br />
Deutsche Börse 54,26 –1,5 –2,5 3,66 4,02 13 10472 3,87<br />
Deutsche Post 25,37 –2,0 +5,6 1,71 1,85 14 30673 3,15<br />
Deutsche Telekom 11,91 +2,2 +12,7 0,62 0,65 18 53013 4,20<br />
E.ON 14,46 +0,1 +7,3 0,93 0,97 15 28924 4,15<br />
Fresenius Med.C. St 54,35 +0,1 +12,1 3,54 3,94 14 16715 1,42<br />
Fresenius SE&Co 38,39 –0,9 +24,2 2,02 2,33 16 8663 3,26<br />
Heidelberg Cement St 52,42 –6,0 –10,7 3,93 4,95 11 9829 1,14<br />
Henkel Vz 78,94 –4,9 +4,3 4,29 4,67 17 33354 1,55<br />
Infineon 8,39 –6,1 +10,8 0,45 0,53 16 9068 1,43<br />
K+S NA 22,53 –6,8 +15,0 1,61 1,65 14 4312 1,11<br />
Lanxess 44,90 –4,4 –8,7 2,03 3,14 14 3736 1,11<br />
Linde 150,75 –3,1 +1,0 7,76 8,76 17 27987 1,99<br />
Lufthansa 12,63 –3,9 –13,0 1,45 2,34 5 5807 -<br />
Merck 72,79 +6,3 +27,7 4,64 4,85 15 4704 2,61<br />
Münchener Rückv. 155,25 +0,9 +8,3 17,57 17,50 9 27843 4,67<br />
RWE St 31,48 +0,9 +25,7 2,21 2,24 14 19064 3,18<br />
SAP 56,77 –5,2 +1,3 3,39 3,71 15 69742 1,94<br />
Siemens 93,27 –4,7 +3,4 6,46 7,38 13 82171 3,22<br />
ThyssenKrupp 20,86 –5,6 +14,9 0,56 1,22 17 10730 -<br />
Volkswagen Vz. 166,55 –5,3 –5,3 21,51 24,04 7 77131 2,44<br />
1<br />
berechnet mit der zuletzt gezahlten Dividende<br />
Der US-Aktienindex S&P 500<br />
enthält 502 Aktien mit einem<br />
gemeinsamen Marktwert<br />
von 18 410 Milliarden Dollar.<br />
Untergliedert wird der Index<br />
in zehn Sektoren. Schwergewicht<br />
ist der IT-Sektor mit<br />
19,7 Prozent Indexgewicht,<br />
gefolgt <strong>vom</strong> Finanz- (16,0)<br />
und Gesundheitssektor (13,6).<br />
Seit Jahresbeginn legte der<br />
S&P 500 um 8,8 Prozent zu.<br />
Der Finanzsektor liegt in etwa<br />
gleichauf. Von den restlichen,<br />
weniger hoch gewichteten<br />
Sektoren schnitten nur Rohstoffe<br />
und Versorger besser ab<br />
als der S&P 500. Allerdings kommen<br />
beide gemeinsam nur auf<br />
ein Gewicht von 5,4 Prozent.<br />
Entsprechend wird die Rekordjagd<br />
des S&P 500 nur noch befeuert<br />
von IT- und Gesundheitsaktien.<br />
Sollte einer der beiden<br />
Sektoren an relativer Stärke<br />
verlieren – der Hype um Alibaba<br />
und Apples iPhone 6 spricht für<br />
den IT-Sektor – und der Finanzsektor<br />
nicht gleichzeitig an relativer<br />
Stärke gewinnen, dann<br />
könnte dem S&P 500 tatsächlich<br />
eine Korrektur ins Haus stehen.<br />
Wie sich die einzelnen Sektoren im amerikanischen Aktienindex<br />
S&P 500 geschlagen haben<br />
Sektor<br />
Gesundheit<br />
Informationstechnologie<br />
Versorger<br />
Rohstoffe<br />
S&P 500<br />
Finanzen<br />
Basiskonsum<br />
Energie<br />
Telekommunikation<br />
Industrie<br />
Zyklischer Konsum<br />
Marktwert<br />
Milliarden<br />
Dollar<br />
2500<br />
3620<br />
534<br />
643<br />
18410<br />
2950<br />
1880<br />
1800<br />
429<br />
1890<br />
2170<br />
Quelle: Bloomberg; Stand: 22. September 2014<br />
Sektorgewicht<br />
im<br />
S&P 500<br />
13,6<br />
19,7<br />
2,9<br />
3,5<br />
100,0<br />
16,0<br />
10,2<br />
9,8<br />
2,3<br />
10,3<br />
11,8<br />
seit<br />
3 Monaten<br />
Prozent<br />
+7,0<br />
+6,6<br />
–2,1<br />
+1,5<br />
+2,4<br />
+3,6<br />
+0,6<br />
-6,7<br />
+2,0<br />
–1,0<br />
+3,7<br />
Entwicklung<br />
seit<br />
Jahresanfang<br />
+17,0<br />
+14,1<br />
+12,0<br />
+9,2<br />
+8,8<br />
+8,2<br />
+5,9<br />
+5,1<br />
+4,3<br />
+3,8<br />
+2,5<br />
52-<br />
Wochen-<br />
Hoch<br />
erreicht<br />
am...<br />
19.9.14<br />
19.9.14<br />
30.6.14<br />
19.9.14<br />
19.9.14<br />
19.9.14<br />
19.9.14<br />
23.6.14<br />
29.7.14<br />
9.6.14<br />
4.9.14<br />
WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 115<br />
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Geld&Börse | Geldwoche<br />
AKTIE Roche<br />
28. Dividendenerhöhung<br />
in der Pipeline<br />
Lukratives Labor Roche-<br />
Forscher bei der Gen-Analyse<br />
Für 8,3 Milliarden Dollar hat<br />
Roche das kalifornische Biotechnikunternehmen<br />
Intermune<br />
gekauft. Ein hoher Preis<br />
für ein Unternehmen, das in<br />
diesem Jahr wahrscheinlich<br />
nur 130 Millionen Dollar Umsatz<br />
macht und keinen Gewinn.<br />
Dennoch dürfte sich<br />
der Zukauf für den Schweizer<br />
Pharmakonzern lohnen.<br />
Intermune verfügt über ein<br />
neues Medikament gegen<br />
Lungenfibrose; eine tödlich<br />
verlaufende Krankheit, von<br />
der weltweit rund fünf Millionen<br />
Menschen betroffen sind.<br />
Im November könnte die<br />
amerikanische Gesundheitsbehörde<br />
FDA die Genehmigung<br />
für das Medikament<br />
erteilen. Dank der Vertriebs-<br />
Power von Roche wird dem<br />
neuen Medikament mittelfristig<br />
ein Jahresumsatz von<br />
mehr als einer Milliarde Dollar<br />
zugetraut.<br />
Zudem trägt das neue Mittel<br />
dazu bei, dass Roche mit<br />
Medikamenten gegen Atemwegserkrankungen<br />
eine neue,<br />
vielversprechende Sparte<br />
aufbaut. Bisher machen die<br />
Schweizer hier mit zwei eigenen<br />
Präparaten 1,5 Milliarden<br />
Franken Jahresumsatz. Ein<br />
weiteres Medikament steckt<br />
in der Entwicklungspipeline.<br />
Schwerpunkt von Roche<br />
sind Medikamente gegen<br />
Krebs. Seitdem die Schweizer<br />
2008 den amerikanischen Biotechkonzern<br />
Genentech übernommen<br />
haben und damit zahlreiche<br />
Medikamente gegen<br />
Krebs in ihr Portfolio bekamen,<br />
ist Roche auf diesem Gebiet die<br />
Nummer eins. Und ein weiterer<br />
Durchbruch kündigt sich an: Ein<br />
neues Medikament von Roche<br />
soll die Stärkung der körpereigenen<br />
Immunabwehr gegen Krebs<br />
möglich machen. Insgesamt<br />
stecken in der Entwicklungspipeline<br />
derzeit 27 neue Präparate<br />
und Projekte in fortgeschrittenem<br />
klinischem Stadium.<br />
Vor allem die stabilen Wachstumsraten<br />
seiner führenden<br />
Krebsmedikamente (Herceptin,<br />
Mapthera, Avastin) dürften<br />
Roche in diesem Jahr einen<br />
Umsatzanstieg von 46,8 Milliarden<br />
Schweizer Franken auf<br />
rund 48 Milliarden bringen.<br />
Dass der Franken gegenüber<br />
dem Dollar seit einigen Monaten<br />
rückläufig ist, wird im zweiten<br />
Halbjahr die Währungsbelastungen<br />
verringern. Der<br />
Nettogewinn sollte mindestens<br />
12 Milliarden Franken erreichen,<br />
nach 11,4 Milliarden im<br />
Vorjahr. Steigen sollte nächstes<br />
Frühjahr auch die Dividende –<br />
zum 28. Mal in Folge.<br />
Roche<br />
ISIN: CH0012032113<br />
280<br />
240<br />
200<br />
160<br />
200-Tage-<br />
Linie<br />
120<br />
07 08 09 10 11 12 13 14<br />
Kurs/Stoppkurs (in CHF): 274,50/233,30<br />
KGV 2014/2015: 18,4/17,8<br />
Dividendenrendite (in Prozent): 2,8<br />
Chance<br />
Risiko<br />
Niedrig<br />
Quelle: Thomson Reuters<br />
Hoch<br />
AKTIE KWS Saat<br />
Saat für den nächsten<br />
Aufschwung<br />
Vom Tief im Oktober 2008 bis<br />
zu ihrem Rekordhoch im Februar<br />
2013 legte der Kurs von<br />
KWS Saat um 450 Prozent zu.<br />
Seither konsolidiert die Aktie<br />
die hohen Kursgewinne – eine<br />
gesunde Entwicklung und die<br />
Basis für die Fortsetzung des<br />
langfristigen Aufwärtstrends.<br />
Dass es nicht nur an der<br />
Börse, sondern auch mit dem<br />
Geschäft von KWS Saat weiter<br />
aufwärtsgeht, dafür sorgen<br />
globale Trends: Auf der Welt<br />
wollen immer mehr Menschen<br />
immer mehr essen,<br />
aber die verfügbaren landwirtschaftlich<br />
nutzbaren Flächen<br />
sind begrenzt. Neue Felder<br />
bringen weniger Ertrag wegen<br />
schlechterer Bodenqualität,<br />
bestehende Flächen gehen<br />
durch Bodenschäden verloren.<br />
Klimaforscher sagen eine<br />
Zunahme von Dürreperioden,<br />
Überschwemmungen und<br />
Naturkatastrophen voraus.<br />
Zwar hat der verstärkte Einsatz<br />
von Pestiziden, Düngern<br />
und Landmaschinen die<br />
Produktivität in der Landwirtschaft<br />
stark erhöht, doch die<br />
Zuwachsraten der Ernteerträge<br />
nehmen inzwischen ab.<br />
Der Bedarf an gezielt gezüchteten<br />
und resistenteren Nutzpflanzen<br />
wird zunehmen.<br />
Grüne Hoffnung<br />
Biogassubstrat wird ausgebracht<br />
KWS Saat entwickelt seit 1856<br />
ertragreichere Kulturen und robustere<br />
Pflanzen. Heute ist die<br />
Gruppe mit mehr als 60 Tochtergesellschaften<br />
der weltweit<br />
viertgrößte Saatguthersteller<br />
und in rund 70 Ländern aktiv.<br />
Nach neun Monaten 2013/14<br />
(30. Juni) stieg der Umsatz um<br />
4,6 Prozent auf 921,7 Millionen<br />
Euro. Zwar sank das Betriebsergebnis<br />
(Ebit) von 185,6 auf<br />
167,8 Millionen. Das lag neben<br />
widrigen Währungseinflüssen<br />
vor allem an 30 Millionen Euro<br />
höheren Forschungsaufwendungen.<br />
Schließlich lässt sich<br />
nur ernten, wo gesät wurde.<br />
KWS Saat<br />
ISIN: DE0007074007<br />
300<br />
280<br />
260<br />
240<br />
220<br />
200<br />
50-Tage-Linie<br />
200-Tage-Linie<br />
180<br />
2013 2014<br />
Kurs/Stoppkurs (in Euro): 280,20/256,30<br />
KGV 2014/2015: 22,3/20,4<br />
Dividendenrendite (in Prozent): 1,1<br />
Chance<br />
Risiko<br />
Niedrig<br />
Hoch<br />
Geschäftsjahr endet am 30. Juni;<br />
Quelle: Thomson Reuters<br />
FOTOS: PR<br />
116 Redaktion: Geldwoche+Zertifikate: Frank Doll, Anton Riedl<br />
Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Geld&Börse | Geldwoche<br />
ZERTIFIKATE Alibaba<br />
Noch lange nicht so gut<br />
wie Pfizer oder Coke<br />
ANLEIHE Egger<br />
Rentabler<br />
Holzweg<br />
Banner-Werbung Wall Street<br />
am Tag des Alibaba-IPO<br />
Fast 40 Prozent lagen die ersten<br />
Notierungen von Alibaba<br />
über dem offiziellen <strong>Ausgabe</strong>kurs<br />
von 68 Dollar. Dabei<br />
wäre die neue Aktie des chinesischen<br />
Online-Imperiums<br />
schon zu diesem Preis kein<br />
günstiges Angebot (Wirtschafts-<br />
Woche 38/2014).<br />
Auf 225 Milliarden Dollar<br />
Marktkapitalisierung kommt<br />
Alibaba nun. In dieser Gewichtsklasse<br />
werden an der<br />
Börse Top-Konzerne wie Pfizer<br />
(Pharma), Wal Mart (Konsum)<br />
oder Coca-Cola (Getränke)<br />
gehandelt. Im Unterschied zu<br />
Alibaba stehen die aber schon<br />
seit Jahrzehnten an der Spitze<br />
Spekulation gegen den Alibaba-Hype<br />
ihrer Branche, verdienen im<br />
Durchschnitt netto dreimal so<br />
viel und verfügen über Kapitalmittel,<br />
die bis zu fünfmal so<br />
hoch sind. Mit anderen Worten:<br />
Selbst wenn die Chinesen ihre<br />
erfolgreiche Entwicklung fortsetzen,<br />
würde es vier bis fünf<br />
Jahre dauern, bis sie in diese<br />
Liga hineinwachsen.<br />
Alibaba-Aktien sind damit<br />
reif für eine Wette auf fallende<br />
Kurse. Zum Einsatz kommen<br />
Shortzertifikate oder Verkaufsoptionsscheine.<br />
Das Problem:<br />
Wegen der hohen Kursausschläge<br />
ist mit Knockout-Zertifikaten<br />
das Risiko groß, bei<br />
einer vorübergehenden Aktienkurserholung<br />
aus dem Rennen<br />
zu fliegen; Puts haben den<br />
Nachteil, dass sie wegen der<br />
Kurshektik (Volatilität) ziemlich<br />
teuer sind.<br />
Die Tabelle unten zeigt, wie<br />
risikofreudige Anleger dennoch<br />
– mit kleinem Einsatz! – eine<br />
Spekulation auf rückläufige<br />
Kurse des chinesischen Online-<br />
Händlers starten können.<br />
Hebelzertifikat und Verkaufsoptionsschein auf einen Kursrückgang<br />
der Alibaba-Aktie (Kurs derzeit 90,60 Dollar)<br />
Kurs (Euro)<br />
Stoppkurs (Euro)<br />
Funktion<br />
Kauf-Verkaufs-<br />
Spanne (Prozent)<br />
Emittentin<br />
ISIN<br />
Chance/Risiko<br />
Shortzertifikat<br />
2,38<br />
1,78<br />
Quelle: Banken, Thomson Reuters<br />
Verstärkt die Kursausschläge der<br />
Aktie derzeit mit dreifachem Hebel;<br />
Beispiel: Sinkt die Alibaba-Aktie in<br />
zwei Wochen um 10 Prozent, legt<br />
das Zertifikat um rund 30 Prozent<br />
zu; Achtung: Kurserholung der<br />
Aktie lässt das Zertifikat deutlich<br />
sinken; erreicht die Aktie die<br />
Knockout-Schwelle bei 120 Dollar,<br />
kommt es zum Totalverlust; Laufzeit<br />
bis 18. Dezember 2014; nur für<br />
kurzfristige Spekulation geeignet<br />
0,40<br />
UBS<br />
CH0254711838<br />
10/9<br />
Putoptionsschein<br />
1,74<br />
1,30<br />
Wandelt Kursverluste der Aktie mit<br />
derzeit 1,7-fachem Hebel in Gewinne<br />
um; Beispiel: Sinkt die Alibaba-<br />
Aktie in sechs Wochen um 30 Prozent,<br />
sind rund 50 Prozent Gewinn<br />
möglich; Achtung: Erholung der<br />
Aktie führt zu hohen Verlusten im<br />
Schein; Laufzeit bis 18. Dezember<br />
2015, vorher kein Knockout, aber<br />
Zeitwertverlust; für kurz- bis mittelfristige<br />
Baisse-Spekulation geeignet<br />
0,50<br />
Vontobel<br />
DE000VZ6E0M2<br />
9/8<br />
Mit Jahresrenditen um drei<br />
Prozent gehören Anleihen des<br />
österreichischen Familienunternehmens<br />
Egger Holzwerkstoffe<br />
zu den interessanten<br />
Spezialpapieren. Egger hat<br />
derzeit drei klassische Unternehmensanleihen<br />
mit einem<br />
Volumen von insgesamt 470<br />
Millionen Euro im Angebot.<br />
Größtes Papier ist mit 200 Millionen<br />
Euro Nennwert ein bis<br />
2018 laufender Bond. Er bringt<br />
bei Kaufkursen von 108,25 Prozent<br />
(Börse Frankfurt) knapp<br />
3,1 Prozent Jahresrendite.<br />
Egger begann 1961 mit einer<br />
Spanplattenfabrik in Sankt<br />
Johann in Tirol. Bis heute entstand<br />
daraus ein Konzern aus<br />
17 Werken mit Schwerpunkten<br />
in Österreich, Deutschland<br />
und Großbritannien.<br />
Darüber hinaus gibt es weltweit<br />
Vertriebsbüros, etwa in<br />
Shanghai, Neu-Delhi oder<br />
Santiago de Chile.<br />
Egger stellt Platten, Profile<br />
und Bauelemente aus Holz<br />
her. Eingesetzt werden Egger-<br />
Produkte für Fußböden, Türen,<br />
Fenster, Dekore, Treppen<br />
oder Möbel. Kunden sind<br />
Handwerker, Fachhändler, Baumärkte,<br />
kleine Industriebetriebe<br />
bis hin zu großen Möbelherstellern.<br />
Egger profitiert derzeit <strong>vom</strong><br />
Bauboom in wichtigen Absatzregionen,<br />
vor allem in<br />
Deutschland. Mit ihm dürfte<br />
sich in einer zweiten Welle<br />
auch die Möbelindustrie nach<br />
zuletzt schwächeren Jahren<br />
wieder beleben. Andererseits<br />
ist die Nachfrage in Frankreich<br />
verhalten. Und in Russland,<br />
wo Egger immerhin ein<br />
Zehntel seines Umsatzes<br />
macht, ist der Absatz weiterhin<br />
rückläufig.<br />
Im vergangenen Geschäftsjahr<br />
(bis 30. April 2014) holte<br />
Da raucht der Schlot Egger-<br />
Spanplattenwerk in Nordengland<br />
Egger aus 2,22 Milliarden Euro<br />
Umsatz 312 Millionen Euro operativen<br />
Gewinn vor Zinsen,<br />
Steuern, Abschreibungen und<br />
Amortisation (Ebitda). Im laufenden<br />
Geschäftsjahr spüren<br />
die Tiroler insgesamt eine marginale<br />
Belebung, die womöglich<br />
zu 2,25 Milliarden Euro Umsatz<br />
führen könnte. Die Gewinnmargen<br />
pendeln stabil um 14 Prozent,<br />
womit in der laufenden<br />
Saison rund 315 Millionen Euro<br />
operativer Ertrag realistisch<br />
sind. Daran gemessen machen<br />
die Nettoschulden (rund 660<br />
Millionen Euro) das 2,1-Fache<br />
aus. Angesichts der umfangreichen<br />
Produktionsanlagen ist<br />
das eine gesunde Relation. In<br />
den Büchern stehen 806 Millionen<br />
Euro Eigenkapital, 39 Prozent<br />
der Bilanzsumme.<br />
Egger verspricht, die Eigenkapitalquote<br />
mindestens bei 30<br />
Prozent zu halten und bei den<br />
Schulden maximal bis zum<br />
Dreifachen des Ebitda zu gehen.<br />
Dass die Tiroler in den vergangenen<br />
fünf Jahren trotz allgemeiner<br />
Krisen ihre operativen<br />
Margen zwischen 12 und 16<br />
Prozent halten konnten, spricht<br />
für die Stabilität ihres Geschäfts.<br />
Kurs (%) 108,25<br />
Kupon (%) 5,625<br />
Rendite (%) 3,06<br />
Laufzeit bis 7. März 2018<br />
Währung<br />
Euro<br />
ISIN<br />
AT0000A0NBF0<br />
FOTOS: PICTURE-ALLIANCE/ZUMAPRESS.COM, AGENTUR FOCUS/SCIENCE PHOTO LIBRARY/SIMON FRASER<br />
118 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Geld&Börse | Geldwoche<br />
FONDS Leonardo UI<br />
Alarmiert durch Absturz<br />
schlechter Schuldner<br />
Klagenfurter Grau Hypo Alpe<br />
Adria beschäftigt Investoren<br />
Der US-Fondsriese Blackrock<br />
will sich dafür einsetzen, dass<br />
Unternehmensanleihen standardisiert<br />
werden. Fondsmanager<br />
müssten sich dann<br />
nicht mehr durch dicke Anleihenprospekte<br />
quälen, um Tücken<br />
einzelner Papiere zu finden.<br />
Genau darauf sind aber<br />
kleinere Vermögensverwalter<br />
wie die Berliner ICM Investmentbank<br />
spezialisiert. Sie<br />
lenkt den Mischfonds Leonardo<br />
UI erfolgreich. ICM-Chef<br />
Norbert Hagen tut eine Menge,<br />
um beim Anleihensegment<br />
des Fonds mehr als die<br />
niedrige Kapitalmarktrendite<br />
zu verdienen. Derzeit lässt<br />
Hagen die Anleihenbedingungen<br />
der österreichischen<br />
Hypo Alpe Adria sezieren, um<br />
in der Masse verschiedener<br />
Laufzeiten unterbewertete<br />
Schuldpapiere zu finden.<br />
Nach Lektüre der Prospekte<br />
könnten sich Chancen ergeben,<br />
wenn Papiere, weil Anleger<br />
zu Unrecht einen Verlust<br />
von Staatsgarantien befürchteten,<br />
abgestürzt sind. Detailarbeit<br />
hat den Berlinern auch<br />
bereits bei der portugiesischen<br />
Banco Espírito Santo zu<br />
Profiten verholfen.<br />
Ansonsten verlassen sich<br />
die Experten, die eine halbe<br />
Milliarde Euro verwalten, auf<br />
Marktanalysen der bankenunabhängigen<br />
kanadischen<br />
Gesellschaft BCA. Monatlich<br />
tüftelt BCA anhand von Kriterien<br />
wie weltweiter Liquidität,<br />
Risiko, Bewertungen und<br />
Marktdynamik aus, wie Aktien,<br />
Anleihen und Rohstoffe im<br />
Fonds gewichtet werden sollen:<br />
Aktuell sind es 87 Prozent Aktien<br />
nach 75 im Vormonat. Ein<br />
Drittel davon stecken in den<br />
Schwellenländern Asiens und<br />
Lateinamerikas. Um günstig<br />
investieren zu können, nutzt<br />
Hagen Futures und börsengehandelte<br />
Indexfonds. Die Termingeschäfte<br />
binden wenig<br />
Geld, daher bleibt viel für die<br />
Direktinvestments in Anleihen<br />
übrig. Weil dem Rentenmarkt<br />
nach einem dynamischen Aufschwung<br />
die Puste ausgeht,<br />
rechnet Hagen mit Problemen:<br />
„Wenn ein Markt alt wird, sind<br />
die Rückschläge besonders<br />
heftig.“ Dies lasse sich derzeit<br />
bei den bonitätsschwachen<br />
Unternehmen erkennen. Im<br />
Ratingbereich CCC sind die<br />
Renditeaufschläge zu sicheren<br />
Anleihen ordentlich gestiegen.<br />
Solche Probleme treffen auch<br />
die besseren Bonitäten, sobald<br />
die großzügige Notenbankpolitik<br />
aufhört, glaubt Hagen. Über<br />
Termingeschäfte könnte er von<br />
fallenden Kursen profitieren.<br />
Leonardo UI<br />
ISIN: DE000A0MYG12<br />
170<br />
160<br />
150<br />
140<br />
130<br />
120<br />
110<br />
100<br />
90<br />
Chance<br />
Risiko<br />
MSCI Welt-<br />
Aktienindex<br />
(in Euro)<br />
12 13 14<br />
Niedrig<br />
Quelle: Thomson Reuters<br />
Barclays Euro<br />
Aggregate-<br />
Anleihenindex<br />
Hoch<br />
Die besten Mischfonds<br />
Wie die erfolgreichsten Portfoliomanager abgeschnitten haben<br />
Fondsname<br />
Fonds mit variablem Aktien- und Anleihenanteil<br />
HWB Dachfonds Venividivici<br />
HWB Alexandra Strategies<br />
HWB Victoria Strategies<br />
Degussa Bank Portfolio Privat Aktiv<br />
Acatis Datini Valueflex<br />
HWB International Portfolio<br />
Multi Opportunities III<br />
DWS Capital Growth<br />
Lupus Alpha All Opportunities<br />
Leonardo UI<br />
HWB InvestWorld Europe Portfolio<br />
Ampega Balanced<br />
Zurich Vorsorge Premium<br />
C-Quadrat Arts Total Return Special<br />
Zurich Vorsorge Premium II<br />
Ganador Ataraxia<br />
DWS Vorsorge Premium 3<br />
DWS Top Balance<br />
DWS ZukunftsStrategie<br />
C-Quadrat Strategie AMI<br />
DWS Vermögensstrategie<br />
Aurora Multistrategy<br />
Merit Capital Global Allocation UI<br />
DekaFutur-ChancePlus<br />
R Club C<br />
Axxion Focus Discount<br />
DWS Dynamik<br />
Mainfranken Strategiekonzept<br />
DekaFutur-Chance<br />
DWS Garant 80 FPI<br />
Fonds mit Schwerpunkt Aktien<br />
HWB Portfolio Plus V<br />
Quants Multistrategy<br />
Allianz Strategy 75 CT EUR<br />
Allianz Strategie Wachstum<br />
Fiduka Universal Fonds<br />
BBBank Dynamik Union<br />
Jyske Invest Growth Strategy<br />
Axa Chance Invest<br />
Sarasin GlobalSar Growth<br />
Deka-BasisAnlage VL<br />
Deka-BR 85<br />
RIV Rationalinvest VVF<br />
Fiduka Multi Asset Dynamic UI<br />
Invesco Global Dynamik Fonds<br />
IAC-Aktien Global<br />
Deka-BR 75<br />
DekaStruktur: 2 Chance<br />
DWS Top Portfolio Offensiv<br />
DekaStruktur: Chance 3<br />
ISIN<br />
LU0322916437<br />
LU0322055855<br />
LU0141062942<br />
DE000A0MS7D8<br />
DE000A1H72F1<br />
LU0119626454<br />
LU0198959040<br />
DE000DWS0UY5<br />
LU0329425713<br />
DE000A0MYG12<br />
LU0119626884<br />
DE000A0MUQ30<br />
LU0358624715<br />
AT0000618137<br />
LU0358627221<br />
LU0321869041<br />
LU0272367581<br />
LU0360865058<br />
LU0313399957<br />
DE0005322218<br />
LU0275643301<br />
LU0382148293<br />
DE000A1JCWX9<br />
DE0005896849<br />
FR0010541557<br />
LU0328585541<br />
DE000DWS0RZ8<br />
DE000DK2CE40<br />
DE0005896831<br />
LU0327386305<br />
LU0173899633<br />
DE000A0RKY52<br />
LU0352312853<br />
DE0009797266<br />
DE0008483736<br />
DE0005326565<br />
DK0016262215<br />
DE0009789453<br />
LU0198388380<br />
DE000DK2CFT3<br />
DE0005424527<br />
DE000A0MVZQ2<br />
DE000A0M8WW1<br />
DE0008470469<br />
DE000A0M2JB5<br />
DE0005424543<br />
LU0109012194<br />
DE0009848010<br />
LU0098472607<br />
Wertentwicklung<br />
in Prozent<br />
seit 3<br />
Jahren 1<br />
1 jährlicher Durchschnitt (in Euro gerechnet); 2 je höher die Jahresvolatilität<br />
(Schwankungsintensität) in den vergangenen drei Jahren, desto riskanter der Fonds;<br />
3 weitere Fonds-Tranchen mit ähnlicher Wertentwicklung; Quelle: Morningstar;<br />
Stand: 23. September 2014<br />
1,8<br />
2,2<br />
4,4<br />
24,4<br />
23,3<br />
0,3<br />
20,1<br />
16,0<br />
12,3<br />
18,2<br />
–0,5<br />
19,3<br />
15,8<br />
5,2<br />
15,2<br />
11,5<br />
15,3<br />
12,6<br />
10,4<br />
8,1<br />
11,0<br />
9,9<br />
–<br />
18,4<br />
19,8<br />
15,2<br />
11,1<br />
–<br />
15,6<br />
9,8<br />
6,9<br />
11,0<br />
18,9<br />
17,3<br />
14,3<br />
14,5<br />
15,4<br />
16,9<br />
13,0<br />
–<br />
16,8<br />
13,3<br />
11,9<br />
13,8<br />
15,4<br />
15,3<br />
10,0<br />
18,6<br />
10,1<br />
seit 1<br />
Jahr<br />
35,4<br />
35,3<br />
33,7<br />
33,3<br />
27,3<br />
21,6<br />
17,3<br />
16,9<br />
15,4<br />
15,3<br />
15,0<br />
15,0<br />
15,0<br />
14,9<br />
14,8<br />
14,4<br />
14,1<br />
13,5<br />
13,5<br />
13,3<br />
13,2<br />
13,1<br />
12,8<br />
12,8<br />
12,7<br />
12,7<br />
12,4<br />
12,4<br />
12,4<br />
12,3<br />
35,7<br />
20,1<br />
18,7<br />
18,4<br />
17,8<br />
16,8<br />
16,0<br />
15,6<br />
15,5<br />
15,5<br />
15,4<br />
14,9<br />
14,5<br />
14,4<br />
14,3<br />
14,3<br />
14,2<br />
14,2<br />
14,2<br />
Volatilität<br />
2<br />
in<br />
Prozent<br />
21,7<br />
22,3<br />
20,0<br />
26,5<br />
18,8<br />
15,5<br />
8,2<br />
10,2<br />
7,6<br />
12,4<br />
14,3<br />
10,5<br />
8,9<br />
6,6<br />
9,0<br />
10,3<br />
8,8<br />
6,7<br />
6,9<br />
6,8<br />
7,2<br />
5,9<br />
–<br />
13,7<br />
13,7<br />
12,0<br />
6,4<br />
–<br />
11,4<br />
6,6<br />
18,9<br />
8,9<br />
8,2<br />
7,6<br />
8,8<br />
8,0<br />
9,8<br />
9,0<br />
5,9<br />
–<br />
7,4<br />
6,6<br />
8,4<br />
6,9<br />
7,3<br />
7,0<br />
7,8<br />
8,5<br />
7,8<br />
FOTO: REUTERS/HEINZ-PETER BADER<br />
120 Redaktion Fonds: Heike Schwerdtfeger<br />
Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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CHARTSIGNAL<br />
Schicksalstage<br />
Der mehrmonatige Aufwärtstrend chinesischer<br />
Aktien hat sich erschöpft.<br />
Der breit angelegte Rückgang<br />
der Preise von Industrierohstoffen<br />
spiegelt die Abkühlung<br />
der chinesischen Wirtschaft.<br />
Wie in den USA,<br />
Europa und Japan versucht<br />
aber auch die chinesische Notenbank,<br />
über geldpolitische<br />
Lockerung gegenzusteuern.<br />
Der Realwirtschaft hilft das<br />
bekanntlich wenig – in der<br />
chinesischen Kohleindustrie<br />
etwa, der einstigen Boombranche,<br />
kann fast jedes dritte<br />
Unternehmen die Löhne<br />
nicht pünktlich bezahlen –<br />
aber der Aktienmarkt profitiert,<br />
zumindest temporär.<br />
Der börsennotierte Indexfonds<br />
iShares China Large-<br />
Cap (FXI) investiert derzeit in<br />
26 der größten chinesischen<br />
Unternehmen, deren Aktien<br />
an der Börse Hongkong gekauft<br />
werden können. Seit<br />
2012 endeten drei mittelfristige<br />
Aufwärtstrends des FXI in<br />
der Widerstandszone zwischen<br />
40 und 42 Dollar. Nachdem<br />
sich der FXI Anfang 2013<br />
an der Marke von 42 Dollar<br />
festgefahren hatte (1), fiel der<br />
Kurs unter die Trendlinie T1<br />
(2). Das leitete einen mittelfristigen<br />
Abwärtstrend ein, der im<br />
Sommer bei 31,35 Dollar stoppte<br />
(3). Der anschließende Aufwärtstrend<br />
scheiterte Ende<br />
2013 bereits bei gut 40 Dollar<br />
(4). Dem anschließenden Fall<br />
unter T2 (5) folgte ein Kursrückgang<br />
bis auf 32,58 Dollar (6).<br />
Auch der im März dieses Jahres<br />
einsetzende Kursaufschwung<br />
hat sich inzwischen wieder erschöpft,<br />
bei Kursen um 42 Dollar<br />
(7). Unlängst rutschte der<br />
FXI unter T3 (8).<br />
Kurzfristig ist der FXI extrem<br />
überverkauft, was zusammen<br />
mit der immer noch steigenden<br />
50-Tage-Linie, ähnlich wie nach<br />
den Trendbrüchen im Februar<br />
und Dezember 2013 ( 2, 5), eine<br />
technische Erholung erwarten<br />
lässt. Nach dem Fall unter die<br />
charttechnisch wichtige Unterstützung<br />
bei 40 Dollar droht<br />
mittelfristig allerdings ein Kursrückgang<br />
in Richtung 30 Dollar.<br />
Von diesem Kursniveau aus<br />
könnte sich dann wieder eine<br />
neue mittelfristige Kaufchance<br />
ergeben.<br />
Auf und Ab<br />
Für chinesische Aktien zeigt der Trend wieder nach unten<br />
44<br />
42<br />
40<br />
38<br />
36<br />
34<br />
32<br />
30<br />
2012<br />
T1<br />
1 in Dollar; Quelle: Thomson Reuters<br />
1<br />
2<br />
iShares China Large-Cap ETF 1<br />
Unterstützungszone<br />
3<br />
2013<br />
T2<br />
4<br />
5<br />
Widerstandszone<br />
6<br />
2014<br />
T3<br />
7<br />
8<br />
50-Tage-Linie<br />
200-Tage-Linie<br />
RELATIVE STÄRKE<br />
Versicherung fürs Depot<br />
Die Aussicht auf verlässliche Gewinne macht die<br />
Allianz-Aktie zu einem Basisinvestment.<br />
Wenn die Allianz (Rang 8) 2015<br />
ihr 125-jähriges Bestehen feiert,<br />
dürfte sie angesichts des<br />
bisher guten Jahresverlaufs ein<br />
Top-Ergebnis vorlegen. Die<br />
Schaden- und Unfallversicherung<br />
profitiert von rückläufigen<br />
Zahlungen für Naturkatastrophen,<br />
die Lebensversicherung<br />
wird durch neuartige<br />
Policen beflügelt. Wahrscheinlich<br />
wird Noch-Konzernchef<br />
Michael Diekmann auch die Sanierung<br />
des angeschlagenen US-<br />
Vermögensableger Pimco in die<br />
Wege leiten. Mit durchschnittlich<br />
5,2 Milliarden Euro Nettogewinn<br />
ist die Allianz seit Diekmanns<br />
Amtsantritt 2003 einer<br />
der stabilsten Finanzwerte weltweit.<br />
Es ist wenig wahrscheinlich,<br />
dass beim anstehenden<br />
Umbau der Konzernspitze dieses<br />
Asset aufs Spiel gesetzt wird.<br />
Wer schlägt den Index?<br />
Die innerhalb der vergangenen drei Monate am stärksten<br />
gestiegenen und gefallenen Aktien 1<br />
Rang Aktie Index Kurs 2 Kursentwicklung Relative Trend 3<br />
(€) (in Prozent) Stärke<br />
3 Monate 1 Jahr<br />
(in Prozent)<br />
Gewinner<br />
1 Nemetschek TecDax 81,50 +15,72 +79,71 16,6<br />
2 Sanofi S.A. (FR) Stoxx50 89,37 +14,27 +19,37 15,2<br />
3 Wacker Chemie MDax 99,50 +13,65 +34,92 14,6<br />
4 Merck Dax 73,85 +13,13 +29,56 14,0 4<br />
5 Gagfah (LU) MDax 14,91 +12,78 +55,07 13,7<br />
6 BB Biotech (CH) TecDax 149,50 +12,41 +44,44 13,3<br />
7 Morphosys TecDax 78,45 +11,61 +38,04 12,5 4<br />
8 Allianz Dax 138,50 +11,38 +17,12 12,3<br />
9 LEG Immobilien MDax 55,00 +11,11 +31,42 12,0 5<br />
10 Axa (FR) Stoxx50 19,94 +9,86 +13,04 10,8<br />
11 Fresenius Med.C. St Dax 54,39 +9,69 +12,14 10,6<br />
12 Novartis (CH) Stoxx50 88,80 +9,56 +27,13 9,9<br />
13 ING Groep (NL) Stoxx50 11,53 +7,41 +34,21 8,3 4<br />
14 HSBC (GB) Stoxx50 650,80 +8,23 -4,85 8,1<br />
15 Bayer NA Dax 113,20 +6,79 +30,81 7,7<br />
16 KUKA MDax 47,86 +6,37 +50,22 7,3 4<br />
17 Roche Holding (CH) Stoxx50 285,30 +8,27 +18,43 7,2 4<br />
18 Vodafone (GB) Stoxx50 208,70 +7,27 -17,99 7,1 4<br />
19 ABB (CH) Stoxx50 21,70 +6,69 +0,23 6,7 4<br />
20 Deutsche Bank Dax 28,00 +5,74 -15,06 6,7 4<br />
21 Dt. Wohnen Inhaber MDax 16,97 +5,64 +29,01 6,6<br />
22 Carl-Zeiss Meditec TecDax 23,93 +5,46 +7,60 6,4 5<br />
23 Fresenius SE&Co Dax 39,01 +5,43 +26,20 6,3 4<br />
24 Anh.-Busch Inbev (BE) Stoxx50 89,44 +5,29 +21,51 6,2 4<br />
Verlierer<br />
152 Bilfinger MDax 48,51 -29,74 -37,01 -28,8<br />
151 Leoni MDax 43,37 -28,50 -1,26 -27,6<br />
150 QSC TecDax 2,30 -26,38 -38,50 -25,5<br />
149 Rheinmetall MDax 39,50 -25,68 -6,25 -24,8<br />
148 Software TecDax 19,20 -24,90 -26,17 -24,0<br />
147 SMA Solar Technol. TecDax 22,22 -23,76 -10,13 -22,8<br />
146 Jenoptik TecDax 9,20 -23,04 -17,71 -22,1<br />
145 Cancom TecDax 30,10 -22,58 +40,26 -21,7 5<br />
144 Norma Group MDax 32,88 -22,41 -3,68 -21,5<br />
1<br />
aus Dax, MDax, TecDax und Stoxx Europe 50 im Vergleich zum Stoxx Europe 600;<br />
2<br />
bei GB in Pence, bei CH in Franken; 3 Änderung um mindestens fünf Ränge; 25.9.2014,<br />
13:00 Uhr<br />
WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 121<br />
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Perspektiven&Debatte<br />
Champagner von<br />
britischen Kreidefelsen<br />
WEIN | Winzer erleiden dank extremer Wetterbedingungen immer häufiger starke<br />
Schäden im Berg. Schreitet der Klimawandel so voran, verschiebt sich die Weltkarte<br />
des Weinanbaus. Zum Wohle deutscher Winzer.<br />
Der 2. August 2013 war zunächst<br />
ein netter Sommertag in der<br />
Charente. Sonnig, vielleicht ein<br />
bisschen feuchtwarm. Erst am<br />
Abend um halb neun brauten<br />
sich die Wolken zu einer dunkelgrauen<br />
Masse zusammen, heftiger Wind setzte ein<br />
und dann der Hagel. „So groß wie Boule-<br />
Kugeln waren die Dinger“, erinnert sich Michel<br />
Martineau und formt mit beiden Händen<br />
einen Kreis. Zehn Minuten später war<br />
alles vorbei. Auch die Weinernte. Von den<br />
Trauben des Winzers war nichts mehr übrig.<br />
Nicht mal Blätter hatten die Hagelkörner<br />
am Stock gelassen.<br />
Regen und Hagelschlag sind nicht ungewöhnlich<br />
im Weinbau. Doch die Extremwetterphänomene<br />
werden jedes Jahr mehr<br />
und heftiger. Das Bordelais verlor 2013<br />
so fünf Prozent seiner Ernte. Dieses Jahr<br />
erwischte es das südwestfranzösische<br />
Languedoc am heftigsten. „Wir rechnen<br />
mit 60 Millionen Liter Verlust“, erklärt Philippe<br />
Vergnes, Präsident der Landwirtschaftskammer<br />
von Aude.<br />
In Anbaugebieten weniger gemäßigter<br />
Zonen schlägt das Wetter noch brutaler zu.<br />
Ein arktischer Wirbelsturm zerstörte diesen<br />
Frühling in den nördlichen USA nicht nur<br />
einen großen Teil der Ernte. Bei Temperaturen<br />
von mehr als 20 Grad Celsius unter dem<br />
Mittelwert erfroren in den Finger Lakes und<br />
Niagara viele Rebstöcke. Doch auch wenn<br />
regelmäßige Extremwetterphänomene unter<br />
Forschern als ausgemacht gelten, könnten<br />
die langfristigen, weniger spektakulären<br />
Folgen des Klimawandels gravierender sein.<br />
Wein wächst in gemäßigten Breitengraden.<br />
Auf der Nordhalbkugel ist das etwa<br />
zwischen Mainz und dem Maghreb-Gebirge.<br />
Heizt sich das Klima auf, ändern sich die<br />
Wachstumsbedingungen. „Der Austrieb<br />
kommt jedes Jahr früher“, sagt Pierre Frick,<br />
elsässischer Biowinzer. „Kommt im Frühling<br />
Frost, sind die Triebe hin.“ Um der Hitze<br />
zu trotzen, können Winzer auf geeignete<br />
Rebsorten zurückgreifen. Auch mit einer<br />
schattigen Hang- oder Höhenlage und dem<br />
richtigen Rebschnitt können sie die Trauben<br />
vor zu viel Hitze schützen. Nachts zu<br />
ernten und dann den Traubensaft in einem<br />
gekühlten Tank zu vergären ist bereits jetzt<br />
schon eine gern angewandte Praxis.<br />
KAMPF GEGEN DIE NATUR<br />
Manche Winzer versuchen verzweifelt, die<br />
Natur selbst zu ändern. Im Burgund schossen<br />
unlängst 30 Kanonen Silberjodid in die<br />
Wolken, die die Hagelkörner schmelzen<br />
sollten. In Kanada verwirbeln Windmaschinen<br />
und Hubschrauber die Luft, um Frostschäden<br />
zu vermeiden.<br />
Studien gehen davon aus, dass mittelfristig<br />
große Teile der weltweiten Anbaufläche<br />
nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben sein<br />
werden. Die Wasserversorgung könnte das<br />
größte Problem werden. In Chile etwa stehen<br />
bereits heute 95 Prozent aller Reben unter<br />
Wasserstress. Bei geringeren Niederschlagsmengen<br />
könnte das Grundwasser<br />
noch weiter absinken.<br />
Am härtesten wird es wohl Australien<br />
treffen, dessen heutiger Premierminister<br />
Tony Abbott die Daten zum Klimawandel<br />
einmal schlicht als „Mist“ bezeichnete.<br />
Schon jetzt sinkt die Produktion Jahr für<br />
Jahr. Mehr als 70 Prozent der Anbaufläche<br />
könnten ausfallen, rechneten Wissenschaftler<br />
der University of Texas vor. Experten befürchten,<br />
dass der üppige Shiraz aus dem<br />
Barossa Valley, eine Art Markenzeichen des<br />
Landes, ganz verschwindet. Die ersten Winzer<br />
haben bereits aufgegeben.<br />
Extreme Dürreperioden gab es in Kalifornien<br />
schon in vorkolumbianischer Zeit.<br />
Hätte es die Region mit den namhaften Anbaugebieten<br />
Napa Valley und Sonoma wieder<br />
mit einer natürlichen Schwankung zu<br />
tun, könnte der liberale Lebensstil das Problem<br />
verschärfen. Viele Kalifornier empfinden<br />
es schon als Freiheitsberaubung, den<br />
eigenen Wasserverbrauch auch nur zu messen.<br />
Statt Wassersparen zu propagieren,<br />
schlagen Politiker unterirdische Tunnel bis<br />
in den feuchten Norden vor.<br />
Dennoch denken erste Kommunen um.<br />
Wer dort zur falschen Zeit seinen Rasen<br />
sprengt, wird mit bis zu 400 Euro Strafe pro<br />
Tag belegt. Trotzdem ist unter einigen Weingütern<br />
der Grundwasserpegel schon um einige<br />
Meter gesunken. Seltene Sommerregen<br />
versickern ohne Effekt. „In ein, zwei Generationen<br />
werden wir in manchen Regionen<br />
gar kein Grundwasser mehr haben, wenn<br />
wir weiter auf business as usual setzen“, warnen<br />
Thomas Harter und Helen Dahlke, Professoren<br />
der University of California, Davis.<br />
Die dauerhafte Bewässerung der Weingärten<br />
schwächt aber auch die Pflanzen<br />
selbst. Sie treiben keine tiefen Wurzeln<br />
mehr aus und sind so anfälliger gegen Wassermangel.<br />
Buschfeuer haben es unter solchen<br />
Umständen leicht und gehören im<br />
Wein im Wandel Was passiert, wenn sich<br />
das Klima erwärmt? Pro Grad Celsius verschöben<br />
sich die Grenzen für Weinbau um<br />
etwa 180 Kilometer. Bei vier Grad Erwärmung<br />
lägen die Bedingungen der Champagne<br />
dann in England.<br />
»<br />
ILLUSTRATION: ZSUZSANNA ILIJIN<br />
122 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 123<br />
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Perspektiven&Debatte<br />
»<br />
Golden State längst zum Jahresrhythmus.<br />
Im August dieses Jahres brannten 17 gleichzeitig.<br />
Selbst wenn sie nicht direkt auf die<br />
Weinberge übergreifen, kann der Rauch die<br />
Trauben verderben.<br />
Die Weinwirtschaft geht das Thema Klimawandel<br />
immerhin offen an. Im Wassermanagement<br />
ist die Region führend – dort,<br />
wo viele Winzer schwören, es ginge nicht<br />
ohne Bewässerung, wenn den ganzen Sommer<br />
kein Tropfen Regen fällt. Wissenschaftler<br />
der kalifornischen Stanford University<br />
geben dem kalifornischen Spitzenwein<br />
noch 30 Jahre. Dann müsste<br />
die Hälfte der Anbaufläche in den<br />
kühleren Norden verlegt werden.<br />
Bis Ende des Jahrhunderts könnten<br />
es über vier Fünftel sein.<br />
Weine im kalifornischen Stil fänden<br />
dann gute Bedingungen am kanadischen<br />
Yukon River, den man<br />
sonst eher aus winterlichen Western-Sagas<br />
kennt. Ähnlich sieht es<br />
in China aus, das Land mit dem rasantesten<br />
Anstieg beim Weinkonsum.<br />
Das Land müsste seine Rebflächen<br />
in Bergregionen anlegen, in<br />
denen derzeit Pandabären ein passendes<br />
Habitat vorfinden. Das ist<br />
nicht allein Zukunftsmusik. Schon<br />
heute gibt es Anbauflächen in Indien<br />
und Ägypten, Myanmar und<br />
Schweden.<br />
SCHWINDENDE FINESSE<br />
Einen noch stärkeren Effekt könnte<br />
der Klimawandel aber auf klassische<br />
europäische Anbaugebiete haben.<br />
Dort bestimmt ein kompliziertes<br />
Zusammenspiel von Bodenbeschaffenheit,<br />
Wasserversorgung,<br />
Rebsorte und Klima die Stilistik des<br />
Weins. So entstehen gesetzlich geschützte<br />
Spitzenlagen, manche<br />
nicht größer als ein einziger Weingarten.<br />
Regionen wie Chianti, Burgund<br />
und Bordeaux lassen sich dieses<br />
Alleinstellungsmerkmal sehr gut bezahlen.<br />
Verändert sich nun ein Standortfaktor,<br />
ist es Essig mit der Einzigartigkeit.<br />
Weine aus der Bourgogne, wo die Traube<br />
Pinot Noir hochkomplexe Weine hervorbringt,<br />
haben durch die viele Sonne immer<br />
mehr Zucker und Alkohol, dafür weniger<br />
Säure und Aromen. Sie werden plumper<br />
und schwer. In einem Land, wo der Begriff<br />
Finesse fast religiöse Bedeutung hat, ist das<br />
nah am Sündenfall. So könnte es für manche<br />
Sorte an ihrem Stammplatz bald zu<br />
warm werden. „Ein lange erarbeitetes Sys-<br />
tem von Erfahrungen, Anpassung und Optimierung<br />
wäre dahin“, sagt Winzer Frick.<br />
In den Anbaugebieten Kremstal und<br />
Kamptal macht sich die Vereinigung Österreichische<br />
Traditionsweingüter seit 1990<br />
daran, die besten Lagen zu klassifizieren.<br />
Vorsitzender Michael Moosbrugger weiß,<br />
dass auch dort die Temperaturen die Winzer<br />
vor neue Herausforderungen stellen. „Es<br />
kann gut sein, dass unsere Gebiete ein wenig<br />
nordwärts gehen“, sagt Moosbrugger.<br />
Sorgen mache er sich deswegen aber nicht.<br />
Ab in den Süden In Neuseeland würde es<br />
für Weinbau im Norden zu heiß<br />
Die Klassifizierung der allerbesten Lagen ist<br />
für Moosbrugger eh eine Frage von einer<br />
weiteren Generation.<br />
Im Groben rechnen Experten pro Grad<br />
Erwärmung um eine Verschiebung von 180<br />
Kilometern in Richtung kühlere Region. In<br />
vielen Anbaugebieten sprengt das die regionalen<br />
Grenzen. Treffen die pessimistischen<br />
Voraussagen zu, findet sich das optimale<br />
Klima für Bordeaux Ende des Jahrhunderts<br />
irgendwo in Schottland. Oder auch früher:<br />
Christopher Trotter, Hotelier und Hobbywinzer,<br />
freut sich in diesen Tagen auf seine<br />
erste Ernte des Château Largo. Die Anpflanzung<br />
liegt an Firth of Forth mit Blick auf<br />
Edinburgh.<br />
Bereits ohne Panikmache ist die Weinwelt<br />
im Wandel: Im Süden Großbritanniens regt<br />
sich schon heute Konkurrenz für französische<br />
Winzer. Die Reben für Champagner<br />
wachsen auf Kalkböden mit enormer Mächtigkeit.<br />
Man kann sie in vielen Kellern<br />
dort bewundern. Doch oberirdisch<br />
wird es auch rund um Reims<br />
und Epernay heißer.<br />
Auf der anderen Seite des Ärmelkanals<br />
ist die Bodenstruktur ähnlich,<br />
wie die Kreidefelsen von Dover<br />
erahnen lassen. Schaumweine<br />
werden hier aus denselben Rebsorten<br />
wie in der Champagne produziert,<br />
und das recht ordentlich. Sie<br />
mögen vielleicht die Nase rümpfen,<br />
aber den Franzosen ist das nicht<br />
entgangen. Das Champagnerhaus<br />
Roederer erwägt Investitionen in<br />
Südengland. Der Luxusgüterkonzern<br />
Louis Vuitton Moët Hennessy<br />
ist bereits vor Ort. Auch Bernard<br />
Magrez, Besitzer des legendären<br />
Château Pape Clément, und die kalifornische<br />
Winzerlegende Randall<br />
Grahm inspizieren die Region.<br />
ERNTE IN KEITUM<br />
Zu den vorläufigen Gewinnern des<br />
Klimawandels zählt Deutschland.<br />
„Seit Ende der Neunziger hat es<br />
praktisch keine Missernten mehr<br />
gegeben“, jubelt Werner Näkel, „das<br />
Zeug wird endlich mal reif.“ Der<br />
Ahrwinzer begann vor Jahrzehnten<br />
als einer der ersten, hochwertige<br />
Spätburgunder zu produzieren.<br />
Es gibt schon länger Weingärten<br />
in Hamburg und auf Föhr und Sylt,<br />
die gerne mit Promi-Geklingel gefeiert werden.<br />
Bescheidenen Weinbau gibt es aber<br />
auch in Höxter oder Dortmund. Richtung<br />
Osten finden sich Flächen an Spree, Elbe,<br />
Neiße und in der Uckermark, auf dem Gelände<br />
eines ehemaligen Braunkohlentagebaus<br />
in der Lausitz ebenso. Die Aussichten<br />
sind rosig – fast. Zu den prestigeträchtigsten<br />
Weinen Deutschlands zählen Eisweine. Geerntet<br />
werden sie, wenn das Thermometer<br />
auf mindestens minus sieben Grad fällt. Das<br />
könnte selten werden.<br />
n<br />
matthias stelzig | perspektiven@wiwo.de<br />
ILLUSTRATION: ZSUZSANNA ILIJIN<br />
124 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Perspektiven&Debatte | Kost-Bar<br />
ALLES ODER NICHTS?<br />
MARTIN<br />
SONNENSCHEIN<br />
Vorsitzender der Geschäftsführung<br />
der Unternehmensberatung<br />
A.T. Kearney in<br />
Deutschland<br />
Aktien oder Gold?<br />
Was wäre die Börse ohne Narren!<br />
Nicht von mir, sondern<br />
von André Kostolany.<br />
Cabrio oder SUV?<br />
Lieber Eleganz: Limousine<br />
Fitnessstudio oder Waldlauf?<br />
Ich habe ein einfaches<br />
Rezept, um fit zu bleiben: Ich<br />
versuche meiner Zeit immer<br />
vorauszulaufen.<br />
Paris oder London?<br />
Aber natürlich: Hauptsache,<br />
England!<br />
Dusche oder Wanne?<br />
Wer gerne einmal angerufen<br />
werden möchte, sollte unbedingt<br />
in die Wanne gehen.<br />
Mountainbike oder Rennrad?<br />
Nur auf einem Hollandrad<br />
sitzt man aufrecht mit erhobenem<br />
Kopf.<br />
Berge oder Meer?<br />
Meer! Deshalb fährt meine<br />
Familie mit mir nun schon<br />
über zehn Jahre in die Berge.<br />
Fenster- oder Gangplatz?<br />
Und wem gehört die Armlehne?<br />
Tee oder Kaffee?<br />
GunPowder, Gyokuro, Kariganme,<br />
Morgentau, Temple of<br />
Heaven, Sencha, Shincha,<br />
Bancha – suchen Sie sich<br />
etwas aus.<br />
AUSSTELLUNG ZU DEUTSCHLAND IM BRITISH MUSEUM<br />
Der Blick auf uns<br />
KOCHBUCH VOM TESTER<br />
Herdschule<br />
Der Restaurantkritiker Jürgen<br />
Dollase gibt in seinem neuen<br />
Buch „Himmel und Erde“ Einblicke<br />
in die private „Küche eines<br />
Restaurantkritikers“. Dollase,<br />
wenig unbescheiden, belässt<br />
es dabei nicht bei einer einfachen<br />
Rezeptsammlung. Er erläutert<br />
in umfassenden Texten<br />
seine Weltsicht auf die Kulinarik<br />
und bietet eine „vertiefte, neue<br />
Art der Wahrnehmung“. Er<br />
überträgt Erkenntnisse aus den<br />
Restaurantbesuchen an den<br />
heimischen Herd und versucht<br />
sich unter anderem an einer<br />
„Emanzipation eines Produktes“:<br />
der Steckrübe. at-verlag.ch<br />
THE NEW YORKER<br />
25 Jahre deutsche Einheit – das ist<br />
dem British Museum in London eine<br />
Sonderausstellung wert. Sie wirft<br />
<strong>vom</strong> 16. Oktober an ihren Blick auf<br />
die Geschichte unseres Landes mit<br />
Objekten aus einer Spanne von 600<br />
Jahren, um den Einfluss des Landes<br />
samt seiner sich wandelnden Grenzverläufe<br />
auf die Weltgeschichte zu<br />
illustrieren. Die Darstellung beginnt<br />
bereits mit der Zeit Deutschlands<br />
während des römischen Imperiums,<br />
wandert weiter über das Zeitalter<br />
der Erfindung des Buchdrucks hin<br />
zur Ära nach dem Kalten Krieg.<br />
Neben Kunstwerken von Riemenschneider,<br />
Dürer, Barlach und Baselitz<br />
sind auch Landkarten, Münzen<br />
oder Medaillen zu sehen. Für die<br />
handwerklichen, technischen<br />
Aspekte stehen unter anderem Objekte<br />
wie die Zimmeruhr von 1589,<br />
erschaffen von Isaak Habrecht. Sie<br />
ist eine Anlehnung an die zweite<br />
Uhr des Straßburger Münsters, die<br />
der Schaffhausener 1574 vollendete.<br />
britishmuseum.org<br />
FOTOS: PR,THE TRUSTEES OF THE BRITISH MUSEUM; CARTOON: CHARLIE HANKIN/CONDÉ NAST PUBLICATIONS/WWW.CARTOONBANK.COM<br />
126 Redaktion: christopher.schwarz@wiwo.de<br />
Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Leserforum<br />
Frust fährt mit Taxifahrer ärgert sich über die billigen Konkurrenten<br />
Unternehmen&Märkte<br />
Der Angriff von Uber bringt die<br />
Abgründe des überregulierten Taxigewerbes<br />
ans Licht. Heft 39/2014<br />
Einblick<br />
Franz Rother über Schottland und<br />
die Frage, ob sich Nationalstaaten<br />
überlebt haben. Heft 39/2014<br />
Von Heuss lernen<br />
Alles, was Sie schreiben, ist<br />
richtig. Und doch ist es nicht<br />
vollständig. Nehmen wir zum<br />
Beispiel die Sozialpolitik. Die<br />
Franzosen, die von den Deutschen<br />
fordern, „sich ihrer Verantwortung<br />
für Europa bewusst<br />
zu sein“, würden sich sehr wundern,<br />
wenn die Deutschen den<br />
Franzosen machen würden:<br />
35-Stunden-Woche, sechs Wochen<br />
bezahlten Urlaub, mit 60<br />
Jahren alle in Rente, 9,50 Euro<br />
Mindestlohn. Würde Bundeskanzlerin<br />
Angela Merkel das<br />
mit Wirkung zum 1. Januar 2015<br />
für Deutschland verkünden,<br />
dann sollten Sie mal sehen, was<br />
Karenzminute ignoriert<br />
Die Darstellung der Taxitarife<br />
wird verrissen. Die Wartezeit als<br />
dritter Baustein im Tarif neben<br />
Kilometerpreis und Einschaltpreis<br />
wird vergessen oder ignoriert.<br />
In Hamburg gibt es die Karenzminute<br />
in der Wartezeit.<br />
Das bedeutet: Das Taxameter<br />
zählt die Wartezeit erst ab einer<br />
Minute Stillstand. Im Stau, bei<br />
Stop-and-go oder an roten Ampeln<br />
fällt die Wartezeit folglich<br />
so gut wie gar nicht ins Gewicht.<br />
Eingeführt wurde die Karenzminute,<br />
um die Fahrpreise für<br />
die Kundschaft transparenter<br />
und berechenbarer zu machen.<br />
Dadurch erhoffte man sich ein<br />
höheres Fahrgastaufkommen.<br />
Der Kilometerpreis wurde zum<br />
Ausgleich erhöht. Andere Großstädte<br />
haben in der Wartezeit<br />
die Karenzminute nicht – liegen<br />
dafür aber beim Kilometerpreis<br />
unter dem in Hamburg.<br />
Hans-Michael Primavesi, via E-Mail<br />
Taxiunternehmer, Hamburg<br />
mit dem Euro passiert.<br />
„Deutschland braucht Europa,<br />
aber Europa braucht auch<br />
Deutschland.“ Das war der erste<br />
Satz in der Antrittsrede von<br />
Theodor Heuss als Bundespräsident<br />
im Jahre 1949, und es<br />
stimmt noch immer.<br />
Wolfram Wiesel, via E-Mail<br />
Rösrath (Nordrhein-Westfalen)<br />
Politik&Weltwirtschaft<br />
Wirtschaftssanktionen: Was die EU<br />
gegen Russland noch in petto hat.<br />
Heft 39/2014<br />
Offener Dialog<br />
Die Sanktionen sorgen nur für<br />
eine Zuspitzung des Konfliktes<br />
und schaden der eh schon verarmten<br />
unteren Bevölkerungsschicht<br />
Russlands. Vielmehr ist<br />
ein offener Dialog gefordert, in<br />
dem beide Seiten aufeinander<br />
zugehen. Aber aus der vergangenen<br />
Zeit scheinen beide Seiten<br />
nicht viel gelernt zu haben.<br />
Moritz Ko<br />
wiwo.facebook<br />
Schuss ins Knie<br />
Die deutsche Agrar-, Auto- und<br />
Maschinenbauindustrie ist am<br />
stärksten von den Russland-<br />
Sanktionen betroffen – nicht<br />
Russland. Russland sucht und<br />
findet andernorts, was es<br />
braucht. Also ein Schuss ins<br />
eigene Knie.<br />
Silvia Hartmann<br />
wiwo.facebook<br />
Feindbild<br />
Putin hat Russland aus einer<br />
Ochlokratie geführt, in der nur<br />
noch Kriminelle herrschten.<br />
Das wäre nicht mit Samthandschuhen<br />
gegangen. Der Westen<br />
soll sich ein anderes Feindbild<br />
suchen, wenn er unbedingt<br />
eines braucht.<br />
Christian Rogler<br />
wiwo.facebook<br />
Im Überfluss<br />
Diese Sanktionen treffen nur<br />
jene, die sie verordnet haben.<br />
Russland besitzt sämtliche<br />
Rohstoffe im Überfluss. Es können<br />
sanktionierte Produkte<br />
sehr leicht über Umwege nach<br />
Russland gelangen, zum Beispiel<br />
über Brasilien, China oder<br />
Usbekistan.<br />
Christian Meier<br />
wiwo.facebook<br />
Politik&Wetwirtschaft<br />
Mit Nullzinsen und umstrittenen Wertpapiergeschäften<br />
schickt Mario Draghi<br />
den Euro auf Talfahrt. Heft 38/2014<br />
Politische Union<br />
Mario Draghi vertritt nicht<br />
deutsche Interessen, und seine<br />
Notenbankpolitik schadet<br />
Deutschland, das ist völlig richtig,<br />
aber seine Politik ist im Interesse<br />
der Weichwährungsländer,<br />
wie zum Beispiel Italien,<br />
Frankreich, Spanien, Portugal<br />
und Griechenland. Der Fehler<br />
liegt doch bei denen, die<br />
Deutschland in das „Währungsboot“<br />
mit diesen Weichwährungsländern<br />
gesetzt haben.<br />
Europa hätte eine politische<br />
Union benötigt, eine gemeinsame<br />
Außenpolitik, aber keine<br />
gemeinsame Währung.<br />
Michael Forster<br />
via E-Mail, München<br />
Neue Währung<br />
Vielen Dank für Ihren pointierten<br />
Artikel. Wenn man zu Ihrer<br />
Vermutung der baldigen Parität<br />
von Dollar und Euro den von<br />
Ihnen kürzlich erst interviewten<br />
Philosophen Hans-Hermann<br />
Hoppe hinzuzieht, ahnt man,<br />
was uns blüht. Hoppe geht in<br />
seinen Büchern davon aus, dass<br />
die USA und die EU sich irgendwann<br />
institutionell zusammenschließen<br />
werden und wir alle<br />
morgens mit einer neuen Währung,<br />
dem „Euro-Dollar“ aufwachen.<br />
Die geplante Freihandelszone<br />
ist ein großer Schritt in<br />
diese Richtung.<br />
Prof. Dr. Dietrich von der Oelsnitz<br />
via E-Mail, TU Braunschweig<br />
Geld&Börse<br />
Baufinanzierung: In fünf Schritten zu<br />
einem neuen Hypothekenkredit zum<br />
Niedrigzins. Heft 39/2014<br />
Formfehler<br />
Der einzige Grund, warum<br />
Kunden ihren Kreditvertrag<br />
widerrufen wollen oder sollen,<br />
ist die unerwartete, auch von<br />
den Banken so nicht vorhersehbare<br />
Zinsentwicklung. Wäre<br />
das Zinsniveau höher als die<br />
eigenen Vertragskonditionen,<br />
käme kein Mensch auf die Idee,<br />
den Kreditvertrag wegen unbedeutender<br />
Formfehler zu<br />
widerrufen.<br />
Olaf Karrass, via E-Mail<br />
Greven (Nordrhein-Westfalen)<br />
Leserbriefe geben die Meinung des<br />
Schreibers wieder, die nicht mit der<br />
Redaktionsmeinung übereinstimmen<br />
muss. Die Redaktion behält sich vor,<br />
Leserbriefe gekürzt zu veröffentlichen.<br />
WirtschaftsWoche<br />
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Bei Zuschriften per E-Mail bitten wir<br />
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128 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Ahlberg Metalltechnik Gruppe............... 74<br />
Aibotix..................................................78<br />
Air Berlin.............................................. 12<br />
Aldi.......................................................88<br />
Alibaba...............................................114<br />
Alitalia.................................................. 12<br />
Allianz................................................ 121<br />
Amazon.................12, 66, 87, 88, 96, 114<br />
Apoair...................................................78<br />
Apple..............................................10, 66<br />
Audi................................................16, 88<br />
Aurubis.................................................16<br />
Automag.................................................8<br />
B<br />
Bain......................................................60<br />
Bankhaus Wölbern................................ 18<br />
Barclays............................................... 50<br />
Bayer....................................................50<br />
Beats....................................................10<br />
Beiersdorf.............................................56<br />
Roland Berger....................................... 50<br />
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BMW.................................4, 8, 16, 72, 84<br />
Bombardier...........................................62<br />
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Bosch........................................... 54, 115<br />
Bosch Power Tools................................ 88<br />
Boston Consulting................................. 10<br />
BSH Bosch Siemens Hausgeräte............ 54<br />
BSkyB...................................................66<br />
C<br />
Castenow Communications....................88<br />
Cebu Pacific Air.......................................9<br />
Coca-Cola...........................................118<br />
Commerzbank.................................12, 66<br />
Compaq................................................56<br />
Concur..................................................50<br />
D<br />
Deloitte...........................................32, 74<br />
Deutsche Bahn.....................................14<br />
Deutsche Bank......................................50<br />
Deutsche Fußball-Liga...........................66<br />
Deutsche Lufthansa.......................... 9, 94<br />
Deutsche Post...................................4, 78<br />
Deutsche Telekom.................................66<br />
Dotbooks.............................................. 12<br />
Dresdner Bank...................................... 18<br />
Dresser-Rand..........................50, 54, 115<br />
Ducati...................................................72<br />
E<br />
Easypost...............................................87<br />
Egger Holzwerkstoffe.......................... 118<br />
Engel & Völkers..................................... 16<br />
Ergo......................................................88<br />
Etihad...................................................12<br />
EY.........................................................32<br />
F<br />
Faber-Castell.........................................96<br />
Facebook............................................114<br />
FBB........................................................ 9<br />
Fossil Group..........................................90<br />
G<br />
Genentech..........................................116<br />
General Electric.....................................54<br />
GfK.......................................................10<br />
Google..................................4, 32, 66, 78<br />
H<br />
Hanse Ventures.....................................16<br />
Henkel..................................................56<br />
Henschel.............................................. 70<br />
Hermès.................................................60<br />
Hewlett-Packard................................... 56<br />
Hornbach..............................................88<br />
I<br />
Ikea................................................ 16, 32<br />
Intermune...........................................116<br />
K<br />
Kabel Deutschland.......................... 50, 66<br />
Kero Private Equity Fonds......................70<br />
KWS Saat............................................116<br />
L<br />
Lange Assets & Consulting.....................18<br />
Lazard.................................................. 50<br />
Leica.................................................... 60<br />
Lendup................................................. 87<br />
Linklaters..............................................50<br />
M<br />
McAfee.................................................54<br />
McKinsey..............................................60<br />
Media Markt......................................... 88<br />
Mercedes................................................8<br />
Merck...................................................50<br />
Merck KgaA........................................ 115<br />
Millipore............................................... 50<br />
N<br />
Netflix...................................................66<br />
Nissan.................................................... 8<br />
Nord/LB................................................54<br />
O<br />
Obi....................................................... 88<br />
ODS......................................................14<br />
Ogilvy & Mather.....................................88<br />
Oracle...................................................56<br />
P<br />
Pfizer..................................................118<br />
Plug and Play Tech Center..................... 87<br />
Precisionhawk.......................................78<br />
R<br />
Richemont............................................ 60<br />
Roche.................................................116<br />
Rocket Internet........................... 108, 114<br />
Rolls-Royce...........................................54<br />
Rosneft.................................................42<br />
RWE..................................................... 78<br />
S<br />
Salzgitter..............................................16<br />
Samsung...............................................97<br />
SAP...................................................... 50<br />
Saturn.................................................. 88<br />
Schiebel................................................78<br />
ServiceValue................................... 88, 97<br />
Shippo..................................................87<br />
Siemens........................................50, 115<br />
Sigma Aldrich................................50, 115<br />
Sky....................................................... 66<br />
Skysense.............................................. 78<br />
SMS......................................................10<br />
Snowbird............................................ 114<br />
SoftTech...............................................87<br />
Sparkasse Holstein................................18<br />
Spotify..................................................10<br />
Starbucks............................................. 32<br />
Symrise................................................ 38<br />
T<br />
Talocasa............................................... 16<br />
Telegate................................................16<br />
Thyssen................................................ 70<br />
Tipico................................................... 14<br />
Titan Aerospace....................................78<br />
TUI....................................................... 12<br />
U<br />
Uber..................................................... 14<br />
Unilever................................................ 38<br />
Unity Media.......................................... 66<br />
Urdeal.................................................. 16<br />
V<br />
Vodafone.............................................. 50<br />
Volkswagen...........................................72<br />
W<br />
Wal-Mart.............................................118<br />
Wellendorff...........................................60<br />
Y<br />
Yamaha.................................................78<br />
Z<br />
Zalando........................................ 14, 114<br />
WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 129<br />
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Ausblick<br />
„Die Rendite aus Wind- und<br />
Sonnenstrom finanzieren vor<br />
allem die Einkommensschwachen,<br />
die sich keine<br />
Fotovoltaik und kein<br />
Investment in einen<br />
Windpark leisten können.“<br />
„Wir hätten mit besserer<br />
Versorgung viele iPhones<br />
mehr verkaufen können.“<br />
Tim Cook<br />
Apple-Chef, zum Verkaufsrekord von<br />
zehn Millionen iPhones der neuesten<br />
Generation binnen drei Tagen<br />
Michael Vassiliadis<br />
Chef der Industriegewerkschaft<br />
Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE)<br />
„Wir haben die Möglichkeit, die<br />
Geschicke der globalen Wirtschaftsentwicklung<br />
zu ändern.“<br />
Joe Hockey<br />
Australiens Finanzminister,<br />
über ein Wachstumsprogramm der<br />
G20-Staaten für die Weltkonjunktur<br />
„Die Unternehmen spüren<br />
Gegenwind, die Unsicherheit<br />
nimmt zu.“<br />
Ulrich Grillo<br />
Präsident des Bundesverbandes<br />
der Deutschen Industrie (BDI),<br />
über die Konjunktur<br />
„Die Franzosen werden<br />
Deutschland mögen,<br />
wenn es sich für das Wachstum<br />
in Europa einsetzt.“<br />
„Wir sind überzeugt, dass<br />
Rocket eine einmalige Chance<br />
hat, am Wachstum des<br />
Internet-Handels in Schwellenländern<br />
teilzuhaben.“<br />
Oliver Samwer<br />
Vorstandsvorsitzender von Rocket<br />
Internet, zum Börsengang der<br />
Berliner Start-up-Schmiede<br />
„Wir müssen den Silicon-<br />
Valley-Kapitalismus zähmen.“<br />
Sigmar Gabriel<br />
Bundeswirtschaftsminister (SPD),<br />
über die Macht der Internet-Konzerne<br />
„Entweder wir bauen weiter<br />
Kapazitäten und damit noch<br />
mehr Arbeitsplätze ab –<br />
oder wir gehen ins Ausland.“<br />
Armin Papperger<br />
Rheinmetall-Chef, über die geplante<br />
Restriktion von Rüstungsexporten<br />
Manuel Valls<br />
französischer Ministerpräsident<br />
„So etwas ist vielleicht<br />
französische Politik,<br />
aber keine deutsche.“<br />
„Wir lehnen jeden gesetzlichen<br />
Eingriff ins Streikrecht ab.“<br />
Frank Bsirske<br />
Vorsitzender der Dienstleistungsgewerkschaft<br />
Verdi, über Pläne, kleinere<br />
Gewerkschaften zu entmachten<br />
Markus Söder<br />
bayrischer Finanzminister (CSU),<br />
zum Plan, mit dem Geld aus dem<br />
Euro-Rettungsfonds ESM<br />
Investitionen zu fördern<br />
„Der Fonds ist dafür da, dass er<br />
nicht gebraucht wird.“<br />
Wolfgang Schäuble<br />
Bundesfinanzminister (CDU), über<br />
den Vorschlag, mit dem Geld<br />
des Euro-Rettungsfonds ESM die<br />
Konjunktur zu fördern<br />
„Unser Ziel ist es, der<br />
führende Anbieter und<br />
Systemintegrator für die Ölund<br />
Gasindustrie zu werden.“<br />
Lisa Davis<br />
Siemens-Vorstand und ehemalige<br />
Shell-Managerin, zu dem Kauf des<br />
US-Kompressorenherstellers<br />
Dresser-Rand und dem Ausstieg aus<br />
dem Joint Venture Bosch-Siemens-<br />
Hausgeräte (BSH)<br />
»Was mich nervt, ist diese verbohrte<br />
Nein-Haltung in Deutschland.<br />
Irgendwann fliegt uns unsere<br />
Stillstandskultur um die Ohren.«<br />
Karl-Ludwig Kley<br />
Vorstandsvorsitzender des Chemie- und Pharmakonzerns Merck<br />
sowie Präsident des Verbands der Chemischen Industrie,<br />
zum Streit um Fracking<br />
„Ich stehe einer<br />
Anti-Stress-Verordnung<br />
sehr kritisch gegenüber.“<br />
Angela Merkel<br />
Bundeskanzlerin (CDU)<br />
„Wenn ich im Dienst bin, nicht.<br />
Wenn ich im Urlaub bin und<br />
mit meinen Enkeln Fußball<br />
spielen soll, dann schon.“<br />
Joachim Gauck<br />
Bundespräsident, auf die Frage,<br />
ob er sein Alter von 74 Jahren spüre<br />
„Laut den Ärzten werde<br />
ich 100 Jahre alt.<br />
Laut meinen Träumen werde<br />
ich 113 Jahre alt.<br />
Aber 100 sind, denke ich, sicher.“<br />
Dalai Lama<br />
79, geistiges Oberhaupt der Tibeter<br />
und Friedensnobelpreisträger<br />
ILLUSTRATION: TORSTEN WOLBER<br />
130 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />
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