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Wirtschaftswoche Ausgabe vom 29.09.2014 (Vorschau)

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40<br />

29.9.2014|Deutschland €5,00<br />

4 0<br />

4 1 98065 805008<br />

Börsenguru Marc Faber<br />

„Wir stehen vor turbulenten Zeiten“<br />

Deutsches Übernahmefi eber<br />

Teuer, riskant, aber nötig<br />

Willkommen in<br />

Deutschland<br />

Wie sich die Flüchtlingspolitik ändern muss<br />

Schweiz CHF 8,20 | Österreich €5,30 | Benelux€5,30 | Griechenland€6,00 | GroßbritannienGBP 5,40 | Italien€6,00 | Polen PLN27,50 | Portugal€6,10 | Slowakei €6,10 | Spanien€6,00 | Tschechische Rep. CZK200,- | Ungarn FT 2140,-<br />

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Einblick<br />

Ein klassischer Fall von Diskriminierung: Die Zeitarbeit<br />

wird stranguliert und verteufelt. Das alte Lohndrücker-Klischee<br />

ist überholt. Von Henning Krumrey<br />

Jagd auf ein Phantom<br />

FOTO: WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

Es wird wieder versprochen. Diesmal<br />

geht’s zugunsten der Unternehmer<br />

und Manager. Genug sei<br />

es nun mit sozialdemokratischer<br />

Umverteilung und Regulierung, versicherte<br />

die Bundeskanzlerin der versammelten<br />

Wirtschaft beim „Tag der Deutschen<br />

Industrie“. Auch die Ankündigung<br />

des zuständigen Ministers, mehr für die<br />

Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu<br />

tun, soll die Gemüter beruhigen.<br />

Vorsicht ist geboten: Der kleinere Koalitionär<br />

arbeitet weiter an genau jenen Belastungen,<br />

die Union und SPD im Regierungsvertrag<br />

aufgeschrieben haben – und<br />

auf den ja auch die CSU pocht, wenn es um<br />

die Durchsetzung der Maut geht. Was in<br />

der Koalitionsbibel steht, das geschehe.<br />

Entsprechend zählte Wirtschaftsminister<br />

Sigmar Gabriel vergangene Woche auch die<br />

„Regulierung von Zeit- und Leiharbeit“ als<br />

erstes der kommenden Vorhaben auf, mit<br />

denen die Genossen ihre Bilanz als führende<br />

Sozialingenieure des Landes aufpolieren<br />

wollen. Wer sich die Realität ansieht, muss<br />

sich allerdings fragen: Warum nur? Die<br />

Zahl der Zeitarbeiter stagniert bei gut<br />

800 000, zwei Prozent aller Beschäftigten.<br />

Unter dem Druck drohender Regulierung<br />

hat sich die Branche gewandelt: Hat<br />

Tarifverträge abgeschlossen mit, ja: mit<br />

DGB-Gewerkschaften. Hat einen Mindestlohn<br />

für ihre Betriebe akzeptiert und das<br />

Verbot, Zeitarbeiter als Streikbrecher einzusetzen.<br />

Die Zementierung eines Kartells<br />

hat zwar nichts mit Marktwirtschaft zu tun,<br />

hilft aber dem betrieblichen Frieden. Seit<br />

zwei Jahren gelten in mehr als einem halben<br />

Dutzend Branchen Tarifzuschläge, die<br />

den Wettbewerb durch Zeitarbeiter weiter<br />

einschränken. Stufenweise steigen mit zunehmender<br />

Verweildauer im Betrieb die<br />

Vergütungen der Leihkräfte, nach neun<br />

Monaten auf maximal 150 Prozent des Tariflohns<br />

in der Zeitarbeit. Der Abstand zum<br />

Stammmitarbeiter am Bandplatz oder<br />

Computer nebenan schmilzt dahin.<br />

Das Ergebnis ist beachtlich: 90 Prozent<br />

aller Zeitarbeiter, meldet die Bundesagentur<br />

für Arbeit, sind normal sozialversichert.<br />

Ebenfalls 90 Prozent arbeiten Vollzeit.<br />

Rund 80 Prozent sind unbefristet eingestellt.<br />

Nichts also von prekären Jobs. Nur<br />

knapp ein Zehntel ist geringfügig beschäftigt.<br />

Gerade mal 43 000 Menschen haben<br />

nur diesen einen Minijob. Kündigungsschutz?<br />

Ganz normal. Der Koalitionsvertrag<br />

ist also in weiten Teilen erfüllt und<br />

überholt, eine gesetzliche Regelung gar<br />

nicht mehr nötig.<br />

Die Politik ficht das nicht an. Im Gegenteil:<br />

Die Jagd auf das Phantom geht weiter.<br />

In seinem zum Jahresende geplanten Gesetzentwurf<br />

will das Arbeitsministerium<br />

noch die gleiche Bezahlung wie im Entleihbetrieb<br />

nach neun Monaten durchsetzen.<br />

Und obendrauf festschreiben, dass jeder<br />

Einsatz nach spätestens 18 Monaten abzubrechen<br />

ist – obwohl die Leiharbeiter dann<br />

doch gar keine unfaire Konkurrenz mehr<br />

sein können, weil sie ja schon seit einem<br />

Dreivierteljahr genauso bezahlt werden<br />

wie die regulären Kollegen.<br />

(K)EIN FALL FÜRS AGG<br />

Das gefährdet die gesamte Volkswirtschaft,<br />

weil die Flexibilität sinkt. Der betriebliche<br />

Aufwand steigt, weil die 18-Monate-Grenze<br />

eingespielte Arbeitsabläufe zerschlägt:<br />

Beim Ersatz für Elternzeitler genauso wie<br />

bei Spezialistenprojekten.<br />

Wenn es sich um vollkommen normale<br />

Arbeitsplätze handelt – Vollzeit, sozialversicherungspflichtig,<br />

mit Tarifvertrag, Mindestlohn<br />

und Kündigungsschutz – warum<br />

sollte dieser Wirtschaftszweig dann anders<br />

behandelt werden als jeder andere? Nur<br />

weil der Arbeitgeber kein Elektro-, Handels-<br />

oder Automobilunternehmen ist,<br />

sondern eine Zeitarbeitsfirma? Warum<br />

sollten hier Einschränkungen nötig sein?<br />

Hier wird eine Branche gezielt diskriminiert.<br />

Es wird definiert, dass das sozialversicherungspflichtige<br />

Vollzeit-Arbeitsverhältnis<br />

bei der Zeitarbeit minderwertig sei,<br />

obwohl es von Bezahlung und Arbeitsvertragsgestaltung<br />

dem im Entleihbetrieb entspricht.<br />

Ein Schmuddeljob eben. Doch keine<br />

politische Korrektheit jault auf.<br />

Schade: Die Zugehörigkeit zu einer<br />

bestimmten Branche fällt nicht unter das<br />

Antidiskriminierungsgesetz .<br />

n<br />

WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 3<br />

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Überblick<br />

Menschen der Wirtschaft<br />

6 Seitenblick Bangen am Hamburger Hafen<br />

8 BMW: Sparkurs und Schlussverkauf<br />

9 Deutsche Flughäfen: US-Beamte sollen<br />

kontrollieren | Rüstung: Union protestiert<br />

10 Interview: Spotify-Deutschland-Chef Stefan<br />

Zilch will neue Tarife | SMS: Berater geholt<br />

12 Amazon: Flatrate für E-Books | Air Berlin:<br />

Finanzchef geht | TUI: Anteile verkauft<br />

14 Uber: Bußgeld gegen Fahrer | Glücksspiel:<br />

Streit um Oddset | Liberale: Namensärger<br />

16 Chefsessel | Start-up Talocasa<br />

18 Chefbüro Thomas Lange, Geschäftsführer<br />

von Lange Assets & Consulting<br />

Politik&Weltwirtschaft<br />

20 Flüchtlinge Der Zustrom überfordert die<br />

Städte | Neuer EU-Streit über Lastenteilung |<br />

Welche Arbeitschancen haben Asylanten? |<br />

Wie die Türkei hilft | Interview: Der<br />

Entwicklungshilfeminister Gerd Müller<br />

über deutsche Pflichten und Chancen<br />

32 Finanzen Wolfgang Schäuble will ein weiteres<br />

Steuerschlupfloch schließen<br />

34 Forum Karl-Heinz Neumann fordert mehr<br />

Tempo beim Ausbau des Breitbandnetzes<br />

35 Global Briefing<br />

36 Hongkong Die Occupy-Bewegung fordert<br />

die Zentralregierung in Peking heraus<br />

38 Madagaskar Symrise sichert sich den Vanille-Nachschub<br />

– durch Entwicklungshilfe<br />

40 Berlin intern<br />

Der Volkswirt<br />

42 Kommentar | New Economics<br />

43 Deutschland-Konjunktur<br />

44 Warum eigentlich... steigert Vertrauen das<br />

Wirtschaftswachstum?<br />

46 Weltwirtschaft Norwegen schwächelt<br />

47 Denkfabrik ifo-Präsident Hans-Werner<br />

Sinn über die Bail-out-Politik der EZB<br />

Unternehmen&Märkte<br />

50 Firmenübernahmen Was die Einkaufstour<br />

in den USA den deutschen Konzernen bringt<br />

56 Interview: Kasper Rorsted Der Henkel-<br />

Chef will den Konzern digitalisieren<br />

60 Luxus Weil China schwächelt, expandieren<br />

deutsche Hersteller nun nach Japan<br />

62 Bombardier Die Kanadier haben sich im<br />

Kampf gegen Airbus und Boeing verflogen<br />

66 Serie: Turnarounder (IV) Wie es Sky schaffen<br />

will, in Deutschland Geld zu verdienen<br />

70 Henschel Ein Ingenieur will die gefallene<br />

Industrie-Ikone wieder beleben<br />

72 Motorräder Ducati fährt auf Asien ab<br />

74 Serie: Fit for Future (III) Worauf Mittelständler<br />

bei einer Fusion achten müssen<br />

Technik&Wissen<br />

78 Drohnen Vom Start-up bis zu Konzernen wie<br />

Deutsche Post und Google: Sie alle setzen<br />

auf den Durchbruch der fliegenden Roboter<br />

84 Autotest Rennfahrerin Jutta Kleinschmidt<br />

unterwegs im Hybridsportwagen BMW i8<br />

87 Valley Talk<br />

Titel Flüchtlinge<br />

Der Zustrom von Hilfsbedürftigen nach<br />

Deutschland kam zu plötzlich, um sich<br />

darauf vorzubereiten, sagen Politiker.<br />

Doch Recherchen in Unterkünften und<br />

zuständigen Behörden zeigen: Wo<br />

es schiefläuft, ist die Verwaltung meist<br />

selbst schuld. Seite 20<br />

Fliegende Helfer<br />

Staudämme kontrollieren,<br />

Medikamente verteilen,<br />

Bootsflüchtlinge retten – all das<br />

erledigen künftig Drohnen.<br />

Seite 78<br />

Der große Vertrauensindex<br />

Von Amazon bis Zwilling: Ein Exklusivtest von 863 Unternehmen<br />

aus 54 Branchen zeigt, welchen Marken die Deutschen vertrauen.<br />

Und wie sie das Vertrauen ihrer Kunden gewinnen. Seite 88<br />

Run auf die Claims<br />

Noch nie gaben deutsche Konzernlenker<br />

wie Siemens-Chef Joe Kaeser so viel Geld<br />

aus für Firmenübernahmen in den USA.<br />

Die Shoppingtour kommt spät, ist teuer,<br />

aber nötig. Die Aussichten auf erfolgreiche<br />

Fusionen sind gut, auch wenn es<br />

hie und da knirschen wird. Seite 50<br />

TITELFOTO: CHRIS GRODOTZKI<br />

4 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Nr. 40, 29.9.2014<br />

»Ohne Aktien ist riskanter«<br />

Kult-Investor Marc Faber stemmt sich mit Papieren von<br />

Energieunternehmen, Schweizer Blue Chips, Minenaktien und<br />

Gold gegen die von ihm erwartete Geldentwertung. Seite 100<br />

Management&Erfolg<br />

88 Vertrauensindex Von Amazon bis Zwilling:<br />

Welchen Marken Deutschlands Kunden<br />

vertrauen | Interview: Warum Management-<br />

Professor Peter Maas Vertrauen für überlebenswichtig<br />

hält<br />

Geld&Börse<br />

100 Interview: Marc Faber Die Investorenlegende<br />

sorgt sich über zunehmende Ungleichheit<br />

und kauft Energieversorger<br />

106 Gold Aufstocken statt abbauen ist angesagt<br />

108 Börsengang Anleger reißen sich um Rocket<br />

Internet, doch die Aktie ist hochriskant<br />

110 Schweiz Papiere von Kantonalbanken versprechen<br />

sichere Renditen<br />

111 US-Aktien Apple ist immer noch ein Kauf<br />

112 Steuern und Recht Fiskus mit hohen Strafzinsen<br />

| Günstige Scheidung | Mietpreisbremse<br />

| Angestelltendaten in der Cloud<br />

114 Geldwoche Kommentar: IPO-Fieber |<br />

Trend der Woche: Konjunktur und Börse |<br />

Dax-Aktien: Siemens, Merck | Hitliste: Branchen<br />

| Aktien: Roche, KWS Saat | Zertifikate:<br />

Alibaba short | Anleihe: Egger | Investmentfonds:<br />

Leonardo Universal | Chartsignal:<br />

China-Aktien | Relative Stärke: Allianz<br />

Perspektiven&Debatte<br />

122 Klimawandel Die Erderwärmung<br />

verschiebt die Anbaugebiete für Wein<br />

126 Kost-Bar<br />

Rubriken<br />

3 Einblick, 128 Leserforum,<br />

129 Firmenindex | Impressum, 130 Ausblick<br />

FOTOS: PR, LAIF/WOLFGANG STAHR, EGILL BJARKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE; ILLUSTRATION: ZSUZSANNA ILIJIN<br />

n Kapitalismus-Debatte Daniel Stelter, Ökonom<br />

und Autor, kritisiert Thomas Piketty. Der Franzose<br />

habe in seinem gefeierten Werk „Das Kapital im<br />

21. Jahrhundert“ Denkfehler begangen. Stelter<br />

glaubt nicht, dass die Reichen viel reicher werden.<br />

Denn Piketty übersehe die ebenfalls gewachsenen<br />

Schulden. wiwo.de/stelter<br />

Weinwanderung<br />

Winzer weltweit leiden zunehmend<br />

unter extremen Wetterbedingungen.<br />

Setzt sich die Erderwärmung fort,<br />

verschiebt sich die Weltkarte des Weins.<br />

Seite 122<br />

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n Lesen Sie Ihre WirtschaftsWoche<br />

weltweit auf iPad oder iPhone:<br />

In dieser <strong>Ausgabe</strong> sehen Sie ein<br />

Video von Jutta Kleinschmidts<br />

Testfahrt im neuen BMW<br />

i8. Außerdem das<br />

Chefbüro in einer<br />

360-Grad-Ansicht.<br />

wiwo.de/apps<br />

WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 5<br />

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Seitenblick<br />

SCHIFFFAHRT<br />

Baggern für den<br />

Wohlstand<br />

Mehr als 90 Prozent des Welthandels laufen über den<br />

Seeweg. Über die Zukunft von Deutschlands größtem<br />

Hafen, Hamburg, wird am Donnerstag entschieden.<br />

18 270Standardcontainer<br />

kann das größte Frachtschiff der Welt laden: die<br />

Maersk Mc-Kinney Moeller. Hamburg, Deutschlands<br />

größten Hafen, meidet es. Die Hansestadt muss sich<br />

mit der Alexander von Humboldt begnügen; das Schiff<br />

fasst bis zu 16 000 Stahlkisten – aber nicht, wenn es<br />

Hamburg ansteuert. Voll beladen bliebe es stecken.<br />

Die Elbe ist nicht tief genug. Dabei planen die Reeder<br />

schon Frachter für 22 000 Container.<br />

2600Seiten enthält das Werk, das<br />

Hamburg fürs Planverfahren zum Ausbau der Elbe<br />

erstellt hat. 204 Millionen Euro will die Stadt investieren,<br />

268 Millionen Euro stellt der Bund im Etat 2014<br />

bereit, weitere 25 Millionen für 2015. Beantragt hat<br />

Hamburg den Ausbau schon 2002. Doch ob und wann<br />

er beginnt, entscheidet am Donnerstag das Bundesverwaltungsgericht.<br />

Die Umweltschutzverbände<br />

BUND und Nabu haben gegen das Projekt geklagt.<br />

260 000Jobs hängen<br />

am Hamburger Hafen. 9,3 Millionen Container wurden<br />

dort 2013 umgeschlagen. Damit liegt die Stadt<br />

hinter Europas Spitzenreiter Rotterdam mit 11,6 und<br />

vor Antwerpen mit 8,5 Millionen Containern. Dort<br />

laufen die neuen Riesenfrachter schon ein. Und beide,<br />

Holländer und Belgier, bauen ihre Strecken für<br />

Güterzüge nach Deutschland aus. Rüstet Hamburg<br />

nicht nach, heißt es: Tschüss Zukunft.<br />

hermann.olbermann@wiwo.de<br />

6 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Leichtgewicht<br />

Die MSC Livorno vor Hamburg-Övelgönne. Im Hafen<br />

davor musste sie einige Container zurücklassen<br />

FOTO: LAIF/CHRISTOPH PAPSCH<br />

WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 7<br />

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Menschen der Wirtschaft<br />

Vor dem Start des<br />

Umbaus ausgestiegen<br />

Ex-BMW-Manager Krüger<br />

AUTOHANDEL<br />

Schlussverkauf bei BMW<br />

Um Vertriebskosten zu senken, reorganisiert<br />

der Autohersteller sein Niederlassungsnetz<br />

in Deutschland. Auch seinen<br />

Händlern macht er mächtig Dampf.<br />

BMW baut den Vertrieb in Deutschland radikal um.<br />

Die Niederlassungen in Kassel, Dresden und Göttingen<br />

sollen nach Möglichkeit verkauft werden,<br />

andere nach dem Vorbild der BMW-Tochter Automag<br />

GmbH künftig direkt von der Konzernzentrale<br />

in München geführt werden – die Beschäftigten<br />

verlören dann die Sonderzahlungen der BMW AG<br />

wie Erfolgsbeteiligung und Betriebsrente. Die Konzernführung<br />

verspricht sich von der organisatorischen<br />

Zusammenfassung der Verkaufsstellen und<br />

Werkstätten „Effizienzsteigerungen“ – sowie drastische<br />

Einsparungen bei den Personalkosten. Ende<br />

des Jahres soll das Programm abgeschlossen sein.<br />

Die Beschäftigten in den 20 deutschen BMW-Niederlassungen<br />

mit ihren 56 Betriebsstätten zittern.<br />

Das Programm, das von dem inzwischen zur Nissan-<br />

Nobelmarke Infiniti gewechselten Deutschland-Chef<br />

Roland Krüger entwickelt wurde, sieht vor, die<br />

Niederlassungen zu sechs Verbünden zusammenzufassen<br />

und die Zuständigkeiten neu zu ordnen:<br />

München leitet den Süden, Berlin den Verbund Ost,<br />

Hamburg den Verbund Nord, Düsseldorf den Westen,<br />

Stuttgart den Südwesten und Frankfurt den Verbund<br />

Mitte. „Die restlichen Niederlassungen haben quasi<br />

den Status von Filialen“, erklärt der Betriebsratsvorsitzende<br />

einer großen BMW-Niederlassung.<br />

Günther Niedernhuber, BMW-Finanzchef und<br />

kommissarischer Vertriebschef Deutschland, ist<br />

künftig der direkte Vorgesetzte der kaufmännischen<br />

Leiter in den Niederlassungen. Die Kompetenzen<br />

der Niederlassungsleiter werden beschnitten; Filialleiter<br />

überflüssig. Von den 20 BMW-Niederlassungen,<br />

prognostizieren Betriebsräte, würden langfristig<br />

nur fünf große erhalten bleiben: München, Berlin,<br />

Hamburg, Düsseldorf und eventuell Stuttgart.<br />

Auch an anderer Stelle regiert der Rotstift. „BMW<br />

möchte in den Niederlassungen eigene Mitarbeiter<br />

durch Leiharbeitskräfte ersetzen“, kritisiert der<br />

Betriebsratsvorsitzende der Münchner Niederlassung,<br />

Norbert Zaja. Laufend beantrage das Unternehmen<br />

beim Betriebsrat Zeitarbeitskräfte.<br />

Grund ist der verschärfte Wettbewerb auf dem<br />

Markt für Premiumautos. Die neuen Kompaktmodelle<br />

von Mercedes machen dem 1er-BMW und der<br />

Tochtermarke Mini zu schaffen. Um den Absatz zu<br />

stabilisieren, hatte Krüger vor seinem Abgang noch<br />

ein neues Margensystem eingeführt, das den freien,<br />

meist familiengeführten BMW-Betrieben für jedes<br />

Quartal ehrgeizige Absatzziele setzt. „Seitdem<br />

haben wir viermal im Jahr Schlussverkauf“, klagt ein<br />

Händler aus dem Rheinland. Um das Preissystem<br />

zu erfüllen, würden Neuwagen teils unter Einkaufspreis<br />

„verramscht:Darüber gehen wir kaputt.“<br />

franz.rother@wiwo.de, ulrike duhm<br />

Freud und Leid<br />

Händlerzufriedenheit mit<br />

der Umsatzrendite 2014<br />

nach Schulnotensystem<br />

Tendenz steigend<br />

Tendenz fallend<br />

Jaguar<br />

Mercedes<br />

Seat<br />

Volkswagen<br />

Audi<br />

Ford<br />

Opel<br />

Porsche<br />

BMW<br />

Mini<br />

1 2 34 56<br />

Quelle: IFA, Eurotax Schwacke<br />

8 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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DEUTSCHE FLUGHÄFEN<br />

Fingerabdruck vorm Abflug<br />

Die USA wollen eigene Beamte<br />

an deutschen Flughäfen stationieren.<br />

Die Amerikaner sollen<br />

hier Fingerabdrücke und Porträtfotos<br />

von Reisenden aufnehmen,<br />

die in die USA fliegen.<br />

Außerdem sollen diese Passagiere<br />

sagen, wohin sie fahren,<br />

warum sie fahren und wie lange<br />

sie bleiben. Das geht aus einer<br />

Richtlinie des US-Ministeriums<br />

für Innere Sicherheit hervor. Ihr<br />

Titel: „Preclearance Expansion“.<br />

Das Bundesinnenministerium<br />

in Berlin bestätigt, dass die<br />

US-Behörden das Thema „anlässlich<br />

einer Zusammenkunft<br />

zu einem anderen Thema angesprochen“<br />

hätten.<br />

Der Einreise-Check werde im<br />

Schnitt 30 bis 120 Minuten dauern,<br />

heißt es im dem US-Papier.<br />

Er soll nach der üblichen Sicherheitskontrolle<br />

am Flughafen<br />

erfolgen. Bei zwei Prozent<br />

der Passagiere sei eine zweite<br />

Inspektion erforderlich, die bis<br />

zu zwei Stunden dauern könne.<br />

Derzeit kontrollieren US-Beamte<br />

schon an 15 Flughäfen in<br />

sechs Ländern. Von 2015 an<br />

wollen die USA mit weiteren<br />

Staaten über die Stationierung<br />

ihrer Beamten verhandeln. Ziel<br />

sei es, mögliche Gefahren „zum<br />

frühstmöglichen Zeitpunkt“ zu<br />

identifizieren.<br />

Positionierung gesucht<br />

Innenminister de Maizière<br />

Nach Kenntnis des Bundesinnenministeriums<br />

haben die<br />

USA mit den Niederlanden,<br />

Großbritannien, Frankreich<br />

und Schweden „Verbindung<br />

aufgenommen“. Das Haus von<br />

Thomas de Maizière habe<br />

noch „keine abschließende Positionierung“<br />

vorgenommen,<br />

stehe „dem Ansinnen gleichwohl<br />

äußerst zurückhaltend<br />

gegenüber“.<br />

christian.schlesiger@wiwo.de | Berlin,<br />

rüdiger kiani-kreß<br />

Aufgeschnappt<br />

Gedränge im Airbus Wenn der<br />

philippinische Billigflieger Cebu<br />

Pacific Air im Oktober seinen<br />

Dienst zwischen Manila und Riad<br />

startet, wird es eng. 436 Passagiere<br />

kann die Airline in ihrem<br />

neuen Airbus A330-300 befördern,<br />

mehr als jede andere Gesellschaft.<br />

Zum Vergleich: Die<br />

Lufthansa steckt höchstens 221<br />

Reisende in ihren A330-300.<br />

Auch nach Sydney will Cebu so<br />

fliegen. Cebu-Chef Garry Kongshot:<br />

„Schlussendlich ist der Jet<br />

sehr gemütlich.“<br />

3000 Koffer für Berlin Auf<br />

Berlins neuem Flughafen BER<br />

bewegt sich was. Die Flughafengesellschaft<br />

FBB will die Gepäckanlage<br />

testen. Dafür möchte<br />

sie 3000 Koffer kaufen, neu-<br />

wertig, mit stabilem Griff und<br />

gefüllt, gerne auch mit Socken,<br />

Handtüchern oder T-Shirts. Den<br />

Auftrag hat die FBB jetzt ausgeschrieben.<br />

Im Jahr 2012 hatte<br />

sie die Förderbänder schon einmal<br />

zum Laufen gebracht – mit<br />

15 000 Koffern. Die hatte sie<br />

geliehen.<br />

RÜSTUNGSEXPORTE<br />

Aufschrei in<br />

der CDU/CSU<br />

In der CDU und CSU formiert<br />

sich Widerstand gegen den Plan<br />

von Bundeswirtschaftsminister<br />

Sigmar Gabriel (SPD), die Rüstungsexporte<br />

zu beschränken.<br />

Die Außen-, Verteidigungs- und<br />

Wirtschaftspolitiker der CDU/<br />

CSU-Bundestagsfraktion warnen<br />

in einem gemeinsamen Positionspapier,<br />

da Gabriel<br />

häufiger Exporte in bestimmte<br />

Regionen oder Länder verhindere,<br />

stünden Kompetenzen<br />

und Jobs auf dem Spiel. Und:<br />

„Deutschlands Verteidigungsfähigkeit<br />

wird ohne leistungsfähige<br />

Sicherheits- und Verteidigungsindustrie<br />

gefährdet“, heißt<br />

es im Entwurf für die Fraktion.<br />

Das sei „ein ernsthaftes sicherheits-<br />

und außenpolitisches<br />

Risiko“.<br />

CDU-Außenpolitikerin<br />

Elisabeth Motschmann begründet:<br />

„Wir können die Menschenrechte<br />

und unsere Sicherheit<br />

nur schützen, wenn wir die<br />

bestmögliche Ausrüstung haben<br />

– hier im Land.“ Gabriel<br />

müsse sich mit der Union einigen.<br />

„Er kann das nicht allein<br />

entscheiden. Wir sind der Koalitionspartner<br />

und haben zum<br />

Teil eine andere Sicht.“<br />

cordula.tutt@wiwo.de I Berlin<br />

FOTOS: OLIVER FARYS, MARC-STEFFEN UNGER, INTERFOTO/TV-YESTERDAY, UHH BAUMANN<br />

350<br />

300<br />

250<br />

200<br />

* 2013; Quelle: Daad<br />

Ausländische Studierende<br />

in Deutschland (in Tausend)<br />

Die Welt zu Gast im Hörsaal<br />

Woher die meisten ausländischen Studenten an<br />

deutschen Unis kommen*<br />

150 97 99 01 03 05 07 09 11 13 14<br />

Russland<br />

China<br />

10 912<br />

25 564<br />

Indien<br />

Österreich<br />

7255 8655<br />

Bulgarien<br />

6764<br />

WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 9<br />

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Menschen der Wirtschaft<br />

INTERVIEW Stefan Zilch<br />

»Uns kennt<br />

jetzt die<br />

Hausfrau«<br />

Der Deutschland-Chef<br />

des Streamingdienstes<br />

Spotify will Werbung<br />

besser steuern und<br />

plant Familientarife.<br />

Herr Zilch, Spotify verärgert<br />

die Kunden: Hip-Hop-Fans<br />

bekommen Werbung für Schlager,<br />

Schlagerfans Werbung für<br />

Hip-Hop. Was läuft schief?<br />

Das ist eine Technologiefrage.<br />

Wir haben bisher ein System<br />

benutzt, das nie dafür gedacht<br />

war. Doch wir bauen das gerade<br />

um. Künftig wird es möglich<br />

sein, Werbung so zu steuern,<br />

dass sie zum Musikkonsum<br />

passt. Wir können auch einzelne<br />

Playlists thematisch ansteuern.<br />

Bei Musik, die die Leute am<br />

Morgen hören, kann man Cornflakes<br />

oder Nutella bewerben,<br />

die Alkoholmarke läuft in den<br />

Partylisten am Samstag.<br />

Wann ist es so weit?<br />

Wir testen gerade viel mit Adidas,<br />

um Musik zum Laufen<br />

anzubieten. Die mobilen Werbeformate<br />

laufen auch schon,<br />

alles andere wird schrittweise<br />

bis Jahresende umgestellt.<br />

Spotify bietet Werbekunden<br />

auch neue Formate wie Videospots<br />

an. Wie stark steigen<br />

dadurch die Einnahmen?<br />

Wir erwarten eine Verdoppelung<br />

der Werbeumsätze. Sowohl<br />

durch die neuen Möglichkeiten<br />

und weil die Nutzerzahlen<br />

so rasant wachsen. Im<br />

Frühjahr hatten wir 40 Millionen<br />

aktive Nutzer weltweit,<br />

doch wir wachsen sehr schnell<br />

– vor allem im Mobilbereich. So<br />

beträgt die durchschnittliche<br />

Nutzungsdauer heute 146 Minuten<br />

pro Tag, vor wenigen<br />

Monaten waren es noch knapp<br />

über 90 Minuten.<br />

Und in Deutschland?<br />

Die Anzahl der Musikstreamer<br />

in Deutschland hat sich laut<br />

Branchenverband Bitkom von<br />

2013 auf 2014 verdreifacht, die<br />

Einnahmen für die Musikindustrie<br />

stiegen um 77 Prozent im<br />

ersten Halbjahr.<br />

Hat sich auch die Zahl der<br />

deutschen Spotify-Nutzer<br />

verdreifacht?<br />

Wir können uns nicht beschweren<br />

und sind klarer Marktführer.<br />

Im letzten Jahr kannten uns nur<br />

junge Musikfans, mittlerweile<br />

nutzt auch die Hausfrau bei mir<br />

im zweiten Stock Spotify. Musikstreaming<br />

wird von einem<br />

Nischenprodukt zum Massenphänomen.<br />

Bislang waren über<br />

die Hälfte der Nutzer unter 30.<br />

Doch das ändert sich gerade,<br />

wir wachsen jetzt am stärksten<br />

bei den über 30-Jährigen. Die<br />

Entwicklung ist ähnlich wie bei<br />

Facebook.<br />

Und Ihre jüngeren Kunden<br />

wechseln zu Konkurrenten wie<br />

Beats, das Apple gekauft hat?<br />

Beats gibt es nur in den USA,<br />

selbst Apples iTunes Radio ist in<br />

Deutschland nicht verfügbar.<br />

Unsere Nutzer haben andere<br />

Sorgen: Ich bekomme immer<br />

DER MUSIKLIEFERANT<br />

Zilch, 38, leitet seit dem Start<br />

in Deutschland das hiesige<br />

Geschäft des schwedischen<br />

Musikstreamingdienstes Spotify.<br />

Das Unternehmen erzielte im<br />

Vorjahr weltweit einen Umsatz<br />

von über 500 Millionen Euro.<br />

mehr Beschwerden, warum<br />

wir keinen Familientarif haben.<br />

Und warum nicht?<br />

Zehn Euro im Monat sind okay,<br />

aber 40 Euro bei einer Familie<br />

mit vier Nutzern tatsächlich<br />

ein bisschen viel. In Schweden<br />

und den USA gibt es daher<br />

schon einen Familientarif,<br />

auch in Deutschland ist der<br />

geplant. Wann es so weit ist,<br />

hängt von den Verhandlungen<br />

mit der Musikindustrie ab.<br />

In Schweden verdienen die<br />

Musiklabels inzwischen mehr<br />

mit Streaming als mit dem<br />

Verkauf von CDs und MP3.<br />

Wann ist es in hier so weit?<br />

Im ersten Halbjahr stammten<br />

sieben Prozent der Einnahmen<br />

aus Streaming. Für 2018 prognostiziert<br />

der Konsumforscher<br />

GfK 36 Prozent. Ich glaube,<br />

2020 könnten es über 50 Prozent<br />

sein.<br />

Strebt Spotify an die Börse?<br />

Das entscheiden unsere Chef-<br />

Strategen in Schweden.<br />

oliver.voss@wiwo.de<br />

SMS<br />

Berater<br />

geholt<br />

Über vier Jahrzehnte hatte<br />

Heinrich Weiss seine Hüttentechnikfirma<br />

SMS geführt, bis<br />

er 2013 an die Spitze des Aufsichtsrats<br />

wechselte. Jetzt das:<br />

Beim Umbau des von der Stahlkrise<br />

gebeutelten Unternehmens<br />

will sich der 72-jährige<br />

Eigentümer in vierter Generation<br />

nicht alleine auf seinen Geschäftsführer<br />

Burkard Dahmen<br />

verlassen. Weiss hat dem gelernten<br />

Betriebswirt die Unternehmensberatung<br />

Boston Consulting<br />

(BCG) zur Seite gestellt.<br />

„SMS baut das Unternehmen<br />

neu auf, BCG soll dabei methodisch<br />

helfen“, heißt es aus SMS-<br />

Kreisen.<br />

Neben der Konzentration der<br />

Düsseldorfer Verwaltung und<br />

anderer Niederlassungen im<br />

niederrheinischen Mönchengladbach<br />

würden alle Prozesse<br />

durchforstet, um bis 2017 jährlich<br />

250 Millionen Euro an Kosten<br />

zu sparen, heißt es. Wie viele<br />

der rund 7000 Jobs in<br />

Deutschland dadurch wegfielen,<br />

stehe noch nicht fest. Auch<br />

Einschnitte bei der Bezahlung<br />

seien noch kein Thema. „Wenn<br />

durch Kürzungen von Sozialleistungen<br />

Stellen erhalten<br />

werden können, werden wir allerdings<br />

darüber reden“, heißt<br />

es aus dem Unternehmen.<br />

reinhold.boehmer@wiwo.de<br />

Einschnitte bei der Bezahlung<br />

SMS-Gesellschafter Weiss<br />

FOTOS: PR, CARO FOTOAGENTUR/SEPP SPIEGL<br />

10 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Menschen der Wirtschaft<br />

AMAZON<br />

Flatrate für E-Books<br />

In den USA bietet Amazon<br />

seit Kurzem eine Flatrate für<br />

E-Books an. Nun will Deutschland-Chef<br />

Ralf Kleber solch<br />

ein Bücher-Abo auch hier starten.<br />

Gegen einen festen monatlichen<br />

Betrag können Kunden<br />

dann beliebig viele E-Books<br />

ausleihen und lesen. In den<br />

USA verlangt Amazon dafür<br />

9,99 Dollar monatlich. Die Einführung<br />

von Kindle Unlimited<br />

in Deutschland plane der<br />

US-Konzern zur Frankfurter<br />

Buchmesse, die am 8. Oktober<br />

beginnt, heißt es in Verlagskreisen.<br />

Amazon äußerte sich<br />

nicht zu dem Projekt. Zum<br />

Deutschland-Start sind offenbar<br />

aber nur wenige der gro-<br />

AIR BERLIN<br />

Finanzchef<br />

gesucht<br />

Air Berlin braucht einen neuen<br />

Finanzvorstand. Ulf Hüttmeyer<br />

wechselt zum Großaktionär<br />

Etihad nach Abu Dhabi. Dort soll<br />

der 41-Jährige Beteiligungen<br />

der Airline verwalten, zu denen<br />

neben Air Berlin Alitalia und die<br />

irische Aer Lingus gehören. Air<br />

Berlin wollte sich hierzu nicht<br />

äußern. Ein Nachfolger für den<br />

Manager, der 2006 kam und vorher<br />

die Firmenkundenberatung<br />

der Commerzbank in Berlin leitete,<br />

ist noch nicht gefunden.<br />

„Doch die Suche läuft“, heißt es<br />

in Unternehmenskreisen. Im<br />

Unternehmen gilt der Wechsel<br />

nicht als Rauswurf, sondern als<br />

Aufstieg. „Einen festen Fürsprecher<br />

in der oft recht wankelmütigen<br />

Etihad-Zentrale zu<br />

haben kann uns nur guttun“, so<br />

Unternehmenskreise.<br />

Doch Branchenkenner kommentieren<br />

die Personalie kritischer.<br />

„Hüttmeyer wurde eher<br />

weg- als hochgelobt, denn er<br />

wirkte nicht in allen Details des<br />

Unternehmens sattelfest und<br />

musste zu oft seine Prognosen<br />

berichtigen“, kritisiert ein Analyst.<br />

„Gefragt ist jetzt jemand,<br />

der die Sparanstrengungen von<br />

Air Berlin endlich glaubwürdig<br />

vermitteln kann.“<br />

ruediger.kiani-kress@wiwo.de<br />

Aufbruch in den<br />

Orient Finanzvorstand<br />

Hüttmeyer<br />

ßen Verlagshäuser mit ihren<br />

Titeln vertreten.<br />

Das Verhältnis zu Amazon<br />

ist belastet, weil der US-Konzern<br />

von der Verlagsgruppe<br />

Bonnier höhere Rabatte für<br />

E-Books fordert. Eine Einigung<br />

steht noch aus. „Wir sind<br />

weiter in intensiven Verhandlungen“,<br />

sagt Bonnier-Geschäftsführer<br />

Christian Schumacher-Gebler.<br />

Kleinere Anbieter wie der<br />

Münchner Verlag Dotbooks<br />

wollen sich indes an Amazons<br />

Flatrate beteiligen. „Wir machen<br />

da mit, das Flatrate-Lesen<br />

ist ein Modell der Zukunft“, sagt<br />

Verlegerin Beate Kuckertz.<br />

peter.steinkirchner@wiwo.de<br />

Lesen ohne Ende Amazons<br />

Deutschland-Chef Kleber<br />

TUI<br />

Abflug bei<br />

Air Berlin<br />

Beim Umbau des Reisekonzerns<br />

TUI agiert Vorstandschef<br />

Friedrich Joussen ohne falsche<br />

Sentimentalität. Jüngstes<br />

Beispiel: TUI steigt bei Air Berlin<br />

aus. Dafür hat TUI Anfang<br />

des Monats erneut Aktien verkauft<br />

und hält nun weniger als<br />

vier Prozent. In absehbarer Zeit<br />

will der Reisekonzern auch die<br />

restlichen Aktien abstoßen.<br />

„Die Reduzierung ist lange geplant<br />

und wird sukzessive umgesetzt“,<br />

so TUI. 2009 hatte TUIs<br />

britische Tochter TUI Travel 20<br />

Prozent an Air Berlin bekommen<br />

als Gegenleistung dafür,<br />

dass Air Berlin 14 Flugzeuge der<br />

defizitären TUIfly übernahm.<br />

Zudem wollte sich TUI günstige<br />

Flüge sichern. Doch die Atmosphäre<br />

ist abgekühlt. Air Berlin<br />

möchte die TUIfly-Flieger kündigen,<br />

weil die Airline beim Betrieb<br />

pro Jahr bis zu 100 Millionen<br />

Euro draufzahlt. TUI<br />

beharrt auf Vertragserfüllung.<br />

ruediger.kiani-kress@wiwo.de<br />

DREI FRAGEN...<br />

...zum Breitbandausbau<br />

Alexander<br />

Dobrindt<br />

44, Bundesminister<br />

für<br />

Verkehr und<br />

digitale Infrastruktur<br />

n Was können Schienen,<br />

Autobahnen und Bundesstraßen<br />

zum digitalen<br />

Wandel beitragen?<br />

Staatliche Infrastruktur kann<br />

das Fundament für den digitalen<br />

Wandel sein. Ich werde<br />

deshalb Regelungen auf den<br />

Weg bringen, die digitale Innovationen<br />

und Fortschritt fördern:<br />

Wir wollen Genehmigungsverfahren<br />

vereinfachen<br />

und Bauarbeiten an Straßen<br />

und Schienen besser mit dem<br />

Breitbandausbau verzahnen.<br />

Deutschland muss Treiber der<br />

digitalen Revolution sein.<br />

n Der Industrie geht der<br />

Ausbau zu langsam.<br />

Deshalb habe ich die Netzallianz<br />

Digitales Deutschland gegründet.<br />

Gemeinsam mit der<br />

Telekommunikations- und<br />

Netzwirtschaft erarbeiten wir<br />

ein Kursbuch für den Ausbau<br />

des schnellen Internets. Dazu<br />

gehören bessere Rahmenbedingungen<br />

und Förderregeln<br />

für unterversorgte Gebiete,<br />

die wirtschaftlich nicht erschlossen<br />

werden können.<br />

Frequenzen, die wir 2015 vergeben,<br />

stehen für eine bessere<br />

Breitbandversorgung zur<br />

Verfügung.<br />

n Was muss die deutsche<br />

Wirtschaft tun, um den<br />

Netzausbau voranzutreiben?<br />

Die Bereitschaft der Wirtschaft,<br />

kräftig zu investieren,<br />

ist da, über die notwendigen<br />

Rahmenbedingungen verhandeln<br />

wir im Rahmen der Netzallianz<br />

Digitales Deutschland.<br />

Die Netzte selbst werden aber<br />

privat betrieben.<br />

christian.schlesiger@wiwo.de | Berlin<br />

FOTOS: IMAGO/PLUSPHOTO, PR, ULLSTEIN BILD/REUTERS/FABRIZIO BENSCH<br />

12 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Menschen der Wirtschaft<br />

UBER<br />

Bußgeld in<br />

München<br />

Der umstrittene Fahrtenvermittler<br />

Uber bekommt jetzt<br />

auch in München Probleme.<br />

Die Stadtverwaltung leitete gegen<br />

das US-Unternehmen ein<br />

Bußgeldverfahren ein. „Wir gehen<br />

juristisch gegen die Fahrer<br />

und das Unternehmen vor“, sagt<br />

Sebastian Groth, Leiter der<br />

Abteilung Sicherheit und Ordnung.<br />

Damit setzt München anders<br />

als andere Städte auf Abschreckung.<br />

Hamburg und<br />

Berlin etwa untersagten zwar<br />

den Uber-Dienst Uber Pop,<br />

aber das Verbot des Taxikonkurrenten<br />

wurde bis zur rechtlichen<br />

Klärung ausgesetzt. Uber<br />

vermittelt über Smartphones<br />

Fahrdienste gegen Provision.<br />

Die Münchner Behörde stellte<br />

in mehreren Fällen Verstöße<br />

gegen das Personenbeförderungsgesetz<br />

fest. Fahrer seien<br />

etwa ohne Personenbeförderungsschein<br />

unterwegs gewesen.<br />

„Wichtig ist uns, auch das<br />

Unternehmen Uber zur Verantwortung<br />

zu ziehen“, sagt Groth.<br />

Fahrern von Uber Pop und dem<br />

Unternehmen drohen Bußgelder<br />

von 20 000 Euro und mehr.<br />

Noch folgt die mündliche Anhörung.<br />

Dann kommt in Kürze<br />

die Entscheidung.<br />

christian.schlesiger@wiwo.de<br />

NEUE LIBERALE<br />

Ärger um<br />

Namen<br />

Erst am letzten Septemberwochenende<br />

von enttäuschten<br />

FDP-Anhängern in Hamburg<br />

gegründet, hat die Partei Neue<br />

Liberale um die ehemalige<br />

FDP-Landesvorsitzende Sylvia<br />

Cantel schon Ärger. „Ich habe<br />

schon seit Anfang 2013 über eine<br />

neue Partei mit dem Namen<br />

Neue Liberale nachgedacht“,<br />

Altliberale<br />

schneller<br />

Cantel<br />

29.09. Deutsche Bahn Ulrich Homburg, im Bahn-Vorstand<br />

für den Personenverkehr verantwortlich, will<br />

am Montag über neue Preise informieren. Allerdings<br />

hat Bahn-Chef Rüdiger Grube vor zwei<br />

Wochen angekündigt: „Im Fernverkehr bleiben die<br />

Preise für die Mehrheit unserer Kunden stabil.“<br />

Einige Details dürften sich ändern, damit die Bahn<br />

besser auf die wachsende Konkurrenz durch die<br />

Fernbusse reagieren kann.<br />

30.09. Konjunktur Die Bundesagentur für Arbeit berichtet<br />

am Dienstag, wie sich der deutsche Arbeitsmarkt<br />

im September entwickelt hat. Im August registrierte<br />

sie 2,9 Millionen Erwerbslose, 30 000<br />

weniger als im Vormonat und 44 000 weniger als<br />

ein Jahr zuvor. Über den Arbeitsmarkt in der EU informiert<br />

die EU-Statistikbehörde Eurostat. Außerdem<br />

veröffentlicht sie die Vorabschätzung über die<br />

Entwicklung der Preise im Euro-Raum. Im August<br />

stiegen sie um 0,4 Prozent.<br />

01.10. Zalando Der Berliner<br />

Online-Händler will am<br />

Mittwoch an die Börse gehen.<br />

Für die <strong>Ausgabe</strong> der<br />

Aktien hatte Zalando eine Preisspanne von 18,00<br />

bis 22,50 Euro festgelegt.<br />

02.10 Euro Der Rat der Europäischen Zentralbank tagt<br />

am Donnerstag in Neapel. Am vergangenen Mittwoch<br />

hatte EZB-Chef Mario Draghi gesagt: „Die<br />

Zinsen werden niedrig bleiben.“ Ziel sei es, „die<br />

Teuerungsrate wieder auf knapp unter zwei Prozent<br />

zu bringen“. Im August betrug sie 0,4 Prozent.<br />

Elbvertiefung Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet,<br />

ob die Elbe vertieft werden darf, wie dies<br />

Hamburg und der Bund planen. Dagegen haben<br />

die Umweltverbände BUND und Nabu geklagt.<br />

sagt Michaela Merz. Die ehemalige<br />

FDP-Politikerin wechselte<br />

dann zwar zur AfD, wo sie<br />

im Bundesvorstand saß, nun jedoch<br />

austrat. Aber Merz besitzt<br />

die Internet-Adressen neueliberale.com<br />

und neueliberale.eu.<br />

„Ich erwarte Vorschläge, wie<br />

der mögliche Konflikt in Bezug<br />

auf den Namen gelöst<br />

werden kann“, sagt<br />

Merz. Ein Gespräch<br />

TOP-TERMINE VOM 29.09. BIS 05.10.<br />

soll die Lage klären, denn sie<br />

wünsche keinen Konflikt, „aber<br />

notfalls werde ich gegen die<br />

Eintragung der Marke Widerspruch<br />

einlegen“, sagt Merz. Die<br />

neue Partei ist im Netz auf die<br />

Adresse neueliberale.info ausgewichen.<br />

Die gleiche Domain<br />

mit der Endung .de hat<br />

2012 der Unternehmer<br />

Amir Roughani<br />

registrieren lassen.<br />

Das FDP-Mitglied hat<br />

mit der neuen Partei<br />

nichts zu tun.<br />

oliver.voss@wiwo.de<br />

GLÜCKSSPIEL<br />

Bitter<br />

verzockt<br />

Bei der Auswahl der künftig zugelassenen<br />

Wettanbieter ist es<br />

zu merkwürdigen Beschlüssen<br />

gekommen. Ausweislich des<br />

Protokolls der entscheidenden<br />

Sitzung der 16 Bundesländer,<br />

in der die 20 Konzessionen vergeben<br />

wurden, hatten zunächst<br />

fünf Länder dafür gestimmt,<br />

den Bewerber ODS Oddset zu<br />

streichen. Ihre Begründung:<br />

Da an der Tochter etlicher<br />

staatlicher Lottogesellschaften<br />

indirekt auch Sportverbände<br />

beteiligt sind, sei das Trennungsgebot<br />

des Glücksspielstaatsvertrages<br />

verletzt. Danach<br />

darf ein Organisator von<br />

Sportveranstaltungen keine<br />

Wetten anbieten.<br />

Wetter-Gott Ex-Nationaltorhüter<br />

Kahn wirbt für Tipico<br />

Als der geplante Ausschluss<br />

keine Mehrheit fand, stimmten<br />

schließlich nur zwei Bundesländer<br />

gegen die Gesamtliste. Die<br />

anderen stellten ihre vorher geäußerten<br />

rechtlichen Bedenken<br />

offensichtlich hintan. 15 Bewerber<br />

wurden nicht berücksichtigt,<br />

unter anderem der Branchenführer<br />

Tipico, der derzeit mit Ex-<br />

Nationaltorhüter Oliver Kahn<br />

wirbt. Einige der unterlegenen<br />

Anbieter haben den Vollzug der<br />

Konzessionsentscheidung vorläufig<br />

gerichtlich gestoppt.<br />

henning.krumrey@wiwo.de | Berlin<br />

FOTOS: PICTURE-ALLIANCE/DPA/BODO MARKS, SPORT MOMENTS/PASCHERTZ, CORBIS/DEMOTIX/CHRISTIAN SCHNEBEL<br />

14 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Menschen der Wirtschaft<br />

CHEFSESSEL<br />

START-UP<br />

BMW<br />

Franciscus van Meel, 48,<br />

ist künftig für den Sport bei<br />

BMW verantwortlich. Der<br />

Holländer übernahm in<br />

München als Nachfolger von<br />

Friedrich Nitschke, 59, die<br />

Leitung von BMW M. Der<br />

Spezialist für Elektromobilität<br />

und Allradantriebe hatte<br />

die zurückliegenden 18 Jahre<br />

für den Konkurrenten Audi<br />

gearbeitet und zuletzt die<br />

Audi-Tochter Quattro geführt.<br />

Reibereien mit Technikvorstand<br />

Ulrich Hackenberg<br />

hatten ihm dort jedoch<br />

den Spaß verleidet. Als neuer<br />

Quattro-Chef ist bereits der<br />

Österreicher Heinz Hollerweger,<br />

61, bestellt.<br />

BDI<br />

Ulrich Grillo, 55, soll den<br />

Bundesverband der Deutschen<br />

Industrie (BDI) auch<br />

in den nächsten beiden<br />

Jahren führen. Das BDI-<br />

Präsidium schlug den Duisburger<br />

Unternehmer für eine<br />

zweite Amtszeit vor, die BDI-<br />

Mitgliederversammlung<br />

stimmt am 24. November in<br />

geheimer Wahl ab. Das Ergebnis<br />

dürfte wie <strong>vom</strong> Präsidium<br />

gewünscht ausgehen.<br />

Grillo ist seit Januar 2013<br />

BDI-Präsident.<br />

AURUBIS<br />

Peter Willbrandt, 52, seit<br />

Anfang 2012 Chef der größten<br />

europäischen Kupferhütte,<br />

hört auf. Sein Vertrag läuft am<br />

31. März aus, eine Verlängerung<br />

lehnt Willbrandt aus<br />

„persönlichen Gründen“ ab.<br />

Mit der gleichen Begründung<br />

hatte schon sein Vorgänger<br />

Bernd Drouven, 59, aufgegeben.<br />

Beide kamen wohl<br />

nicht mit dem Großaktionär<br />

Salzgitter klar. Trotzdem<br />

wechselte Drouven danach<br />

in den Aufsichtsrat. Nun<br />

soll er für maximal ein Jahr<br />

wieder Vorstandsvorsitzender<br />

werden.<br />

TELEGATE<br />

Elio Schiavo, 51, gibt den<br />

Chefposten des bayrischen<br />

Kommunikationsdienstleisters<br />

am 10. Oktober ab und wechselt<br />

zu Apple in die USA. Der Italiener<br />

gilt als Experte für das Vermarkten<br />

von Daten. Neuer Chef<br />

von Telegate wird der 43-jährige<br />

Franz Peter Weber, bisheriger<br />

Finanzvorstand.<br />

IKEA<br />

15 000 Kunden,<br />

oft auch 20 000 strömen täglich ins erste Ikea-Haus, das der<br />

Möbelriese in einer Fußgängerzone betreibt: in Hamburg-Altona.<br />

Es ist die bestbesuchte Ikea-Filiale Deutschlands. Die anderen<br />

ziehen nur 7000 bis 15 000 Besucher an. Allerdings gibt ein Kunde<br />

in Altona im Schnitt nur 30 Euro aus, 50 Euro weniger als üblich.<br />

TALOCASA<br />

Hilfe bei der Maklersuche<br />

Sebastian Wagner (Mitte) möchte im Immobiliengeschäft mitmischen,<br />

versteht aber wenig von Immobilien. Sein Metier ist das<br />

Online-Shopping, 2007 entwickelte er die Rabattplattform Urdeal.<br />

Jetzt will der 34-Jährige gleich zwei Probleme der Maklerbranche<br />

lösen: Wie erkennen Kunden, ob ein Makler seriös ist? Und wie<br />

finden Makler genügend Objekte? Gemeinsam mit Matthias<br />

Frenzel (links) und Miguel Ruth (rechts), die für das Maklernetzwerk<br />

Engel & Völkers gearbeitet hatten, gründete Wagner das<br />

Unternehmen Talocasa. Im April ging es in der Schweiz online, vor<br />

einem Monat in Deutschland.<br />

Das Start-up sucht für Käufer und Verkäufer die passenden<br />

Makler. Wechselt ein Objekt dann den Besitzer, kassiert Talocasa<br />

bis zu 35 Prozent der Maklerprovision. „Wir haben einen Pool von<br />

4000 Maklern“, sagt Wagner. Die Auswahl erfolgt nach Kriterien<br />

wie Erfahrung, Mitgliedschaft im Branchenverband oder dem Ruf<br />

am Markt. Den Ansatz findet Christian Schmid-Burgk von der Verbraucherzentrale<br />

Hamburg zwar richtig, aber er fordert von den<br />

Jungunternehmern mehr Transparenz darüber, warum wer in den<br />

Pool kommt. Bis Ende<br />

Fakten zum Start<br />

Investitionen Geld von Hanse<br />

Ventures und Unterstützern im<br />

mittleren 7-stelligen Bereich<br />

Einnahmen von der Maklerprovision<br />

bis zu 35 Prozent<br />

Gewinn erstmals im Januar 2016<br />

des Jahres will Talocasa<br />

auch in Österreich starten.<br />

Die Branche könnte<br />

es freuen. Die Akquise<br />

von Objekten, sagt Christian<br />

Osthus <strong>vom</strong> Immobilienverband<br />

IVD, mache<br />

die meiste Arbeit.<br />

franz hubik | mdw@wiwo.de<br />

FOTOS: PR<br />

16 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Menschen der Wirtschaft | Chefbüro<br />

Thomas Lange<br />

Geschäftsführer von Lange Assets & Consulting<br />

Ein Blick aus dem Fenster genügt,<br />

schon sieht Vermögensverwalter<br />

Thomas Lange, 48,<br />

was sich im Zentrum der Hamburger<br />

Geschäftswelt tut. Sein<br />

Büro liegt am Neuen Wall, der<br />

Edelmeile der Stadt, im fünften<br />

Stock. Hochhäuser gibt es hier<br />

nicht. 286 Quadratmeter, die<br />

gesamte fünfte Etage, beansprucht<br />

sein Unternehmen.<br />

2005 hat er die Vermögensverwaltung<br />

Lange Assets & Consulting<br />

gegründet, gemeinsam<br />

mit den Verlagserben Axel Sven<br />

Springer und John Jahr junior<br />

sowie dem Rechtsanwalt Oliver<br />

Heine. „Ich bin unter<br />

den Gesellschaftern<br />

die ärmste Maus“,<br />

sagt Lange, obwohl er<br />

genau davon lebt –<br />

von der Vermehrung<br />

von Vermögen. Er<br />

betreut nicht nur betuchte<br />

Privatleute,<br />

360 Grad<br />

In unseren App-<br />

<strong>Ausgabe</strong>n finden<br />

Sie an dieser<br />

Stelle ein interaktives<br />

360°-Bild<br />

sondern auch Stiftungen,<br />

Fonds und die Vermögensverwaltung<br />

der Sparkasse Holstein.<br />

Meist berät er die Kunden<br />

in seinem Büro. Die Sessel sind<br />

kardinalsblau, einige rot. „Blau<br />

steht für Verlässlichkeit“, sagt<br />

Lange, „Rot für progressiv.“ Die<br />

drei Fotos hinter dem Schreibtisch<br />

zeigen den Sänger<br />

Leonard Cohen,<br />

die Schauspielerin<br />

Idil Üner und den<br />

Schriftsteller Salman<br />

Rushdi. „Persönlichkeiten,<br />

die dadurch<br />

auffallen, dass sie<br />

nichts verschweigen“,<br />

begründet Lange die Auswahl.<br />

„Das ist auch unser Credo: Wir<br />

haben eine Meinung und treten<br />

für sie ein.“ Auf dem Fenstersims<br />

hocken im Zwergenformat<br />

Waldorf und Statler, die<br />

Alten aus der „Muppet Show“.<br />

„Sie erinnern mich an einen<br />

meiner früheren Arbeitgeber.“<br />

Der gelernte Bankkaufmann<br />

und studierte Betriebswirt hatte<br />

einst für die Dresdner Bank<br />

und das Bankhaus Wölbern gearbeitet.<br />

„Wenn ich mich mal<br />

ärgere, gucke ich auf die Alten<br />

und weiß: Es war richtig, mich<br />

selbstständig zu machen.“<br />

hermann.olbermann@wiwo.de<br />

FOTO: ARNE WEYCHARDT FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

18 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

Ein Bett im Bierzelt<br />

FLÜCHTLINGE | Der Zustrom von Hilfsbedürftigen nach Deutschland kam zu plötzlich,<br />

um sich darauf vorzubereiten, sagen Politiker. Doch Recherchen in Unterkünften<br />

und zuständigen Behörden zeigen: Wo es schiefläuft, ist die Verwaltung selbst schuld.<br />

In den Fokus rückt dabei ausgerechnet ein vermeintliches Musterland.<br />

Es ist 12.45 Uhr, höchste<br />

Zeit für eine Mittagspause.<br />

Doch Michaela Vogelreuther<br />

wird schon im<br />

Vorzimmer aufgehalten.<br />

„Chefin!“, ruft ihr die Sekretärin<br />

entgegen, „Sie müssen ganz dringend<br />

noch mal raus zur Unterkunft, da<br />

gibt’s Probleme, Läuse oder so!“ Vogelreuther<br />

atmet kurz und hörbar aus und bricht<br />

die Pause erst mal ab. Sie kehrt um, greift<br />

zum Telefon.<br />

Was Michaela Vogelreuther zurzeit erlebt,<br />

ist nicht normal in deutschen Behörden,<br />

doch in diesem Sommer ist es vielerorts<br />

zum Alltag geworden. Vogelreuther<br />

leitet das Sozialamt der Stadt Fürth, ihre<br />

Zuständigkeiten reichen von Seniorenarbeit<br />

über Behindertenbetreuung bis zum<br />

Wohngeld. Doch momentan geht es nur<br />

um eines: Flüchtlinge. Vogelreuther erinnert<br />

sich, wie sie an einem Mittwoch Anfang<br />

des Monats den Anruf des Bürgermeisters<br />

bekam: „Servus Michaela, wir<br />

müssen bis Freitag 300 Flüchtlinge unterbringen.“<br />

– „300? Diesen Freitag?“ – „Sicher.<br />

Sonst stellen die uns die Leute einfach<br />

vorm Rathaus ab, das haben die in den<br />

Neunzigerjahren schon mal so gemacht.“<br />

In den vergangenen Monaten sind immer<br />

mehr Flüchtlinge nach Deutschland<br />

gekommen. Ukraine, Syrien, Irak, Somalia<br />

– die Krisen der mittelfernen und entlegenen<br />

Welt, sie sind auf einmal ganz nah. In<br />

einem einzigen Zug von Verona nach Rosenheim<br />

wurden vor einiger Zeit gleich 100<br />

Flüchtlinge aufgegriffen. Nahe Flensburg<br />

stoppte die Polizei einen Reisebus mit 85<br />

Entwurzelten auf dem Weg nach Skandinavien.<br />

Bei Straubing kümmerte die Polizei<br />

sich um ein gutes Dutzend Personen, die<br />

auf dem Standstreifen der Autobahn herumirrten.<br />

Mit einem Lkw seien sie direkt<br />

aus der Türkei gekommen, gaben die<br />

Flüchtlinge zu Protokoll. Die meisten aber<br />

melden sich von selbst, ohne Vorwarnung<br />

stehen sie an der Tür einer beliebigen deutschen<br />

Behörde. Insgesamt beantragten<br />

zwischen Januar und August 115 737 Menschen<br />

in Deutschland Asyl, 62,5 Prozent<br />

mehr als im gleichen Zeitraum 2013. „Wir<br />

müssen uns darauf einrichten, dass uns<br />

das Flüchtlingsproblem in den nächsten<br />

Jahren in Deutschland fordern wird“, sagt<br />

»In der<br />

Unterkunft gibt’s<br />

Probleme ,<br />

Läuse oder so!«<br />

Verantwortung drückt (siehe Seite 25).<br />

Aber es stimmt nicht, dass dies allein der<br />

Grund ist für das Chaos hierzulande.<br />

SPIEL MIT DER TÜR<br />

Markus Märtens ist ein bisschen verdutzt,<br />

wenn er Geschichten wie die von Michaela<br />

Vogelreuther aus Fürth hört. Sicher, sein<br />

Blick auf das Problem ist ein begrenzter,<br />

doch er ist gerade deshalb interessant. „Die<br />

Zahl der Asylbewerber steigt ziemlich<br />

schnell, aber noch reichen unsere Kapazitäten<br />

aus“, sagt Märtens. Er ist Sozialdezernent<br />

in Leverkusen. Die Stadt zwischen<br />

Köln und Düsseldorf ist mit dem Nürnberger<br />

Nachbarort Fürth ganz gut zu vergleichen.<br />

Beide Städte haben eine ähnliche<br />

Größe, auch die Immobilienmärkte ähneln<br />

sich. Nachfrage und Mieten steigen, wenn<br />

auch nicht auf das Niveau der benachbarten<br />

Zentren. Umso unterschiedlicher ist<br />

die Lage der Flüchtlinge in den beiden<br />

Kommunen.<br />

Der Läusealarm führt Frau Vogelreuther<br />

an den Nordrand der Stadt, wo Autobahn<br />

und Autohäuser ein unwirtlich rauschendes<br />

Stillleben bilden. Hier steht das ehemalige<br />

Möbelhaus des Unternehmens Höffner,<br />

nur an einem verblassenden Schild<br />

über dem Eingang („Hier geht’s zu den besten<br />

Preisen“) ist das noch zu erkennen. Das<br />

Gelände ist mit einem Bauzaun umzingelt.<br />

Eine typische Brache, wären da nicht zwei<br />

Kinder, die mit der Automatiktür spielen.<br />

Auf, zu, auf, zu, immer wieder. Ein junger<br />

Mann vollführt auf dem Parkplatz Kampfsportübungen.<br />

„Mit der Herrichtung des<br />

Möbelhauses konnten wir all die Menschen<br />

unterbringen, die uns zugewiesen wurden“,<br />

sagt Amtsleiterin Vogelreuther. 300 Men-<br />

CSU-Entwicklungshilfeminister Gerd Müller<br />

(siehe Interview Seite 30). Aus den vereinzelten<br />

Beschwerden von Kommunen<br />

und Ländern wird währenddessen ein immer<br />

lauter anschwellender Wehgesang: So<br />

viele Flüchtlinge, wie soll das gehen? Der<br />

Bund müsse helfen, mehr Geld geben. Die<br />

anderen europäischen Staaten sollten sich<br />

stärker engagieren. Alleine aber sei es auf<br />

keinen Fall zu schaffen.<br />

Es stimmt, dass Deutschland so viele<br />

Flüchtlinge aufnimmt wie kein anderes<br />

Land der Europäischen Union. Es stimmt<br />

auch, dass manch großes Land sich um die »<br />

FOTO: WOLF HEIDER-SAWALL FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE; ILLUSTRATION: KRISTINA DÜLLMANN<br />

20 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Mehr Not als Lösung<br />

300 Flüchtlinge musste die<br />

Leiterin des Fürther Sozialamts,<br />

Michaela Vogelreuther, in einem<br />

Möbelhaus unterbringen<br />

WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 21<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

Paris-<br />

Saarbrücken<br />

Paris-Offenburg<br />

»<br />

Noch Platz<br />

im Osten<br />

Übersicht der Erstaufnahmeeinrichtungen<br />

in Deutschland<br />

Trier<br />

240<br />

280<br />

Bremen<br />

Bramsche<br />

Bielefeld<br />

NORDRHEIN-WESTFALEN<br />

4835<br />

5634<br />

RHEINLAND-<br />

PFALZ<br />

Dortmund<br />

Offenburg<br />

1 über Flensburg; 2 Vogelfluglinie;<br />

Quelle: Bundesländer und Bundespolizei<br />

Hamburg-Dänemark 1<br />

Hamburg<br />

Gießen<br />

400<br />

450<br />

SCHLESWIG-HOLSTEIN<br />

NIEDERSACHSEN<br />

HESSEN<br />

Neumünster<br />

2060<br />

2030<br />

Frankfurt<br />

am Main<br />

2650<br />

4150<br />

974<br />

2100<br />

1500<br />

2500<br />

Braunschweig<br />

Nostorf-Horst<br />

982<br />

806<br />

SACHSEN-<br />

ANHALT<br />

Halberstadt<br />

Friedland<br />

1180<br />

1474<br />

SAARLAND<br />

Lebach<br />

Zirndorf<br />

Saarbrücken BADEN-<br />

WÜRTTEMBERG<br />

1370 Karlsruhe<br />

1211<br />

Stuttgart<br />

Hamburg-Schweden 2<br />

Schwerin<br />

THÜRINGEN<br />

BAYERN<br />

800<br />

626<br />

Eisenberg<br />

Nürnberg<br />

München<br />

MECKLENBURG-<br />

VORPOMMERN<br />

2910<br />

5921<br />

400<br />

306<br />

Berlin<br />

Chemnitz<br />

Rosenheim<br />

Verona (Italien)-<br />

Brenner-Rosenheim<br />

2015<br />

2200<br />

BRANDENBURG<br />

SACHSEN<br />

XX<br />

XX<br />

1350<br />

1325<br />

Eisenhüttenstadt<br />

1700<br />

1600<br />

= Standort einer<br />

Erstaufnahmeeinrichtung<br />

= die wichtigsten<br />

Reiserouten<br />

= Kapazität<br />

der Erstaufnahmeeinrichtungen<br />

des Landes<br />

= aktuelle<br />

Belegung<br />

Noch nicht am Gipfel<br />

Asyl-Erstanträge in Deutschland pro Monat<br />

20000<br />

16 000<br />

12 000<br />

8000<br />

4000<br />

im Jahr 2014*<br />

5579<br />

im Jahr 2013<br />

20639<br />

0<br />

Januar<br />

Dezember<br />

* Sept. bis Dez. 2014: eigene Schätzung auf Basis der durchschnittlichen<br />

monatlichen Veränderung gegenüber<br />

dem Vorjahreszeitraum (+59,5 %); Quelle: BAMF<br />

9218<br />

schen leben in dem Gebäude, und aus<br />

Sicht der Stadtverwaltung ist der fast fensterlose<br />

Kasten ein echter Glücksfall. Der Inhaber<br />

zog einen neuen Boden ein, stattete<br />

das Gebäude mit Stockbetten und Beleuchtung<br />

aus. In wenigen Tagen, auf eigene<br />

Rechnung. Um ein wenig Privatsphäre zu<br />

simulieren, sind mithilfe von Bauzäunen<br />

jeweils vier Stockbetten zu einem Schlafraum<br />

abgegrenzt. „Das ist richtig gut geworden“,<br />

sagt Vogelreuther. Man kann das<br />

zynisch finden – oder daraus rückschließen<br />

auf die Zustände in anderen Unterkünften.<br />

In Leverkusen stehen in den Möbelhäusern<br />

nur Möbel, für die Menschen gibt es<br />

hier Wohnungen. Dabei musste die Industriestadt<br />

am Rhein im August gut 400<br />

Flüchtlinge aufnehmen, rund 50 Prozent<br />

mehr als im Vorjahresmonat. „Die Vorlaufzeit,<br />

mit der wir über Zugänge unterrichtet<br />

werden, beträgt meist nur ein paar Tage“, berichtet<br />

Sozialdezernent Märtens. Neuankömmlinge<br />

landen zunächst in einer zentralen<br />

Gemeinschaftsunterkunft, von dort<br />

werden sie innerhalb weniger Wochen in<br />

Wohnungen vermittelt, wo sie für die Restdauer<br />

des Asylverfahrens bleiben. Massenunterkünfte<br />

für die Langfristunterbringung<br />

gibt es nicht. „Leverkusener Modell“ heißt<br />

das, Flüchtlingsexperten ist es bundesweit<br />

ein Begriff, seit die Stadt vor zehn Jahren mit<br />

einem Schlag ihre Gruppenunterkünfte<br />

schloss. Stattdessen bezahlt sie zwei Mitarbeiter,<br />

die den Flüchtlingen bei der Wohnungssuche<br />

helfen. „Sollte sich der Zustrom<br />

weiter erhöhen, dann werden auch wir neue<br />

Gruppenunterkünfte einrichten müssen“,<br />

räumt Märtens ein. „Wir haben in dieser<br />

Woche unsere Kapazitätsgrenze erreicht.“<br />

SCHLAGBAUM UND SCHLANGE<br />

Dass sich die vermeintlich ähnlichen Städte<br />

Fürth und Leverkusen so deutlich unterscheiden,<br />

zeigt, dass nicht der Flüchtlingsstrom<br />

an sich schuld ist an den chaotischen<br />

Zuständen – sondern der Umgang<br />

mit den Asylsuchenden. Die Verantwortung<br />

für die Unterbringung liegt grundsätzlich<br />

bei den Ländern, und auf dieser Ebene<br />

liegen auch die Ursachen für die meisten<br />

Probleme. Einmal wöchentlich zeigen die<br />

sich derzeit am eindrucksvollsten: montags,<br />

neun Uhr in Deutschland.<br />

Denn das komplexe System der Unterbringung<br />

hat einen Flaschenhals, der um<br />

diese Uhrzeit besonders eng ist: die Erstaufnahmestellen.<br />

Wenn montags die Registrierungsstellen<br />

des Bundesamts für Migration<br />

und Flüchtlinge (BAMF) öffnen,<br />

wachsen die Schlangen. Eine verschlossene<br />

Tür, ein heruntergelassener Schlagbaum<br />

und zwei Mitarbeiter eines privaten<br />

Sicherheitsdienstes, so werden die Neuankömmlinge<br />

im Dortmunder Stadtteil Hacheney<br />

begrüßt. Auf dem ehemaligen Gelände<br />

einer Gehörlosenschule befindet<br />

sich eine der beiden Erstaufnahmeeinrichtungen<br />

des Landes Nordrhein-Westfalen.<br />

Ein Schild weist den Weg zum Anmeldebüro.<br />

Vor der Tür liegen Plastiktüten mit Kleidung,<br />

ein paar veraltete und abgenutzte<br />

Koffer und zusammengerollte Isomatten.<br />

Gut zehn Leute stehen auf dem Gang, weitere<br />

25 Asylsuchende drängen sich in einem<br />

kleinen, kahlen Zimmer. Es herrscht<br />

Betrieb, aber kein Chaos.<br />

FOTOS: PICTURE-ALLIANCE/DPA (3); ILLUSTRATION: KRISTINA DÜLLMANN<br />

22 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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1 2<br />

3<br />

1 | Spaziergang zum Klohaus Flüchtlinge<br />

auf einem Kasernengelände in Heidelberg<br />

2 | Warten auf Essen Andrang vor der<br />

Kantine der Zirndorfer Aufnahmeeinrichtung<br />

3 | Betten statt Schulbänke Notunterkunft<br />

in der Feuerwehrschule Bruchsal<br />

Grundsätzlich stehen Asylbewerbern<br />

zwei Wege offen, um ihr Begehren vorzutragen.<br />

Sie können sich an die Polizei wenden<br />

oder an die Erstaufnahmeeinrichtungen<br />

der Bundesländer (siehe Karte). Der<br />

Unterschied liegt allein darin, dass sie in<br />

ersterem Fall von der Polizei zur nächstgelegenen<br />

Erstaufnahme gebracht werden.<br />

Dort gibt es dann Außenstellen des BAMF,<br />

dessen Beamte die Bewerber registrieren.<br />

Damit beginnt der Prozess der Unterbringung,<br />

der theoretisch hervorragend geregelt<br />

ist – und praktisch täglich scheitert.<br />

In der Theorie verteilt das BAMF die<br />

Flüchtlinge gleich bei der Ankunft mittels<br />

eines IT-Systems, das den hoffnungsvollen<br />

Name „Easy“ trägt, auf die Bundesländer –<br />

entsprechend der Einwohnerzahl und<br />

Wirtschaftskraft. Dort bleiben die Asylbewerber<br />

bis zu drei Monate in den Erstaufnahmen,<br />

sodass die Anhörung im Asylverfahren<br />

dort stattfinden kann. Danach geht<br />

es in die Kommunen, wo die Bewerber den<br />

Ausgang des Verfahrens abwarten.<br />

BAYERN: ANLAUFSTELLE NUMMER 1<br />

In der Praxis hakt es im System schon an<br />

Punkt 1, Registrierung und Verteilung. In<br />

Zirndorf bei Nürnberg ist die Polizei bereits<br />

morgens in Position. Drei Mannschaftswagen<br />

stehen vor dem Eingangstor der Erstaufnahme,<br />

auf dem Innenhof drängen sich<br />

mindestens 50 Menschen vor der Kantine.<br />

Auf der schmalen Freifläche neben den<br />

vier Gebäuderiegeln sind weiße Bierzelte<br />

aufgebaut, wie man sie von Volksfesten<br />

kennt. Bald kommt der erste Bus, das Tor<br />

öffnet sich kurz, schließt dahinter schnell<br />

wieder. Wieder 60 Menschen mehr, die<br />

sich auf dem Innenhof drängen. Die ehemalige<br />

Kaserne ist für 650 Menschen ausgelegt,<br />

im Moment übernachten dort 1200.<br />

Der Bus kommt aus einer der Not-Außenstellen,<br />

welche die Bezirksregierung Mittelfranken<br />

rund um Zirndorf eingerichtet hat;<br />

eine davon ist das Möbelhaus in Fürth.<br />

In Bayern melden sich zurzeit so viele<br />

Flüchtlinge, dass das Bundesamt mit der<br />

»<br />

WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 23<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

»<br />

Registrierung nicht nachkommt. Denn<br />

die Asylbewerber kommen entsprechend<br />

ihrer Reiserouten und Präferenzen an. Das<br />

hat zwei Folgen: Im Süden, in Berlin und<br />

den Großstädten im Westen ist der Zulauf<br />

besonders hoch. Das heißt zwar nicht, dass<br />

diese Länder überproportional viele<br />

Flüchtlinge aufnehmen, aber schon, dass<br />

sich hier besonders viele melden. Solange<br />

Easy aber nicht gesprochen hat, muss Bayern<br />

die Flüchtlinge bei sich behalten. In<br />

den Notlagern werden die Menschen versorgt,<br />

für die Registrierung zu den BAMF-<br />

Außenstellen in Zirndorf und München<br />

gebracht. Das kostet Zeit. Bloß: Auch für<br />

die bayrische Regierung sind diese Ströme<br />

an sich nichts Neues.<br />

„Die Regierung hat den Kopf in den<br />

Sand gesteckt, als der wachsende Flüchtlingsstrom<br />

längst absehbar war“, klagt Sozialamtsleiterin<br />

Vogelreuther. Sie erinnert<br />

sich gut an das Jahr 2010. Im Frühling wies<br />

die Bezirksregierung die Kommune an, eine<br />

große Gemeinschaftsunterkunft zu<br />

schließen, sie werde nicht mehr gebraucht.<br />

„Dabei war längst absehbar, dass<br />

die Zahl der Flüchtlinge wieder steigen<br />

würde“, so Vogelreuther. Nur Monate später<br />

folgte die Kehrtwende: Die Stadt wurde<br />

aufgefordert, neue Unterkünfte zu benennen.<br />

Da waren die Gebäude längst verkauft.<br />

An diesem Beispiel zeigt sich nicht<br />

nur, wie schlecht die Planung in manchen<br />

Bundesländern läuft, sondern auch, wie<br />

spezielle bürokratische Strukturen die Organisation<br />

lähmen. Grundsätzlich gilt: Je<br />

mehr die Kommunen zu sagen haben,<br />

desto besser klappt es.<br />

In keinem anderen Bundesland ist die<br />

Unterbringung von Flüchtlingen so hierarchisch<br />

geregelt wie in Bayern, mit Abstrichen<br />

gilt das für Baden-Württemberg. Wie<br />

in allen Bundesländern gibt es zwar eine<br />

Quotenregelung, mit der die Flüchtlinge<br />

über das Land verteilt werden. Auf die Zuweisungen<br />

selbst haben Städte und Gemeinden<br />

aber kaum Einfluss. Die Bezirksregierungen<br />

tragen die Kosten, entscheiden<br />

dafür aber auch allein, welche Unterkünfte<br />

zum Zug kommen. Sie sollten mindestens<br />

50 Plätze bieten, Privatwohnungen<br />

sind grundsätzlich unzulässig, außer die<br />

Flüchtlinge bezahlen selbst. Die Kommunen<br />

haben kein Mitspracherecht, sondern<br />

nur die Pflicht, Vorschläge zu machen. Auf<br />

dem Papier geht es den Asylbewerbern in<br />

Bayern dann so gut wie nirgendwo sonst:<br />

Der Freistaat gibt besonders viel Geld für<br />

Flüchtlinge aus, 2014 werden es 220 Millionen<br />

Euro sein, Nordrhein-Westfalen<br />

Das wird noch schön<br />

Integration gelingt, wenn Asylsuchende<br />

normale Wohnungen bekommen, sagt<br />

Leverkusens Sozialdezernent Märtens<br />

kommt mit 110 Millionen Euro aus. Auch<br />

sieben Quadratmeter Schlaffläche pro Person<br />

sind im Vergleich groß bemessen.<br />

STANDARDS BRÖCKELN<br />

„Die Vorgaben der Regierung sind so hoch,<br />

dass die meisten unserer Vorschläge abgelehnt<br />

werden“, sagt Vogelreuther. Die Bewerber<br />

aber laufen trotzdem auf. Die Regierung<br />

setzte deshalb in den vergangenen<br />

Monaten verstärkt auf das Mittel der<br />

Zwangszuweisung: Wenn nicht genug Plätze<br />

da sind, bekommen die Städte einfach<br />

Personen zugewiesen – Standards spielen<br />

dann keine Rolle mehr. Sozialdezernentin<br />

Vogelreuther muss dann nehmen, was sie<br />

auf die Schnelle bekommen kann, mietet<br />

Pensionen und Monteursunterkünfte an.<br />

Nachdem sie die Notlager wie im Möbelhaus<br />

verlassen haben, müssen die Flüchtlinge<br />

dort zu siebt oder acht in einem<br />

Raum ausharren, bis über den Asylantrag<br />

entschieden ist – was Jahre dauern kann.<br />

Das ist unmenschlich, teuer obendrein.<br />

Mithilfe einiger<br />

Bauzäune wird<br />

drinnen Privatsphäre<br />

simuliert<br />

Bei Michaela Vogelreuther rief vor einiger<br />

Zeit ein Makler an, um den Kontakt zu<br />

einem Investor aus Singapur zu vermitteln.<br />

„Der wollte hier Immobilien kaufen, um<br />

sie an uns zu vermieten“, erinnert sie sich.<br />

Er hatte von einem Tagessatz von 60 Euro<br />

gehört. Vogelreuther wimmelte ihn ab, sagt<br />

aber auch: „Auf dem Land sind solche<br />

Preise durchaus möglich.“ Wo es nur eine<br />

Handvoll Pensionen gibt, die überhaupt<br />

gemietet werden können, bleiben den Gemeinden<br />

kaum Optionen.<br />

Dass es auch anders gehen könnte, zeigt<br />

sich in Rheinland-Pfalz. Auch hier ist die<br />

Erstaufnahme überlastet, auf Zelte und andere<br />

Notlager konnte bisher aber verzichtet<br />

werden. Bereits 2012 hat das Land begonnen,<br />

die Erstaufnahmestelle in Trier zu<br />

erweitern, im Februar konnte eine neue<br />

Unterkunft bezogen werden. Anfang 2015<br />

öffnet wohl eine weitere Außenstelle des<br />

BAMF, das kleine Rheinland-Pfalz hätte<br />

dann so viele Registrierungsstellen wie<br />

Bayern. „Wir haben die Schätzungen des<br />

BAMF und den gleichzeitig in unserer Erstaufnahmeeinrichtung<br />

registrierten Anstieg<br />

der Flüchtlingszahlen immer sehr ernst genommen“,<br />

sagt Integrationsministerin Irene<br />

Alt (Grüne), „daher kommen wir mit<br />

den derzeitigen Flüchtlingszugängen relativ<br />

gut zurecht.“ Von einer besonderen Betroffenheit<br />

einzelner Bundesländer will sie<br />

nichts wissen: „Die Aufgabe der Flüchtlingsaufnahme<br />

ist auf alle Länder nach<br />

Steueraufkommen und Bevölkerungszahl<br />

gleich verteilt – die geografische Lage eines<br />

Bundeslandes spielt keine Rolle.“<br />

Auch die Unterbringung in den Kommunen<br />

gelingt in Rheinland-Pfalz fast flächendeckend,<br />

gerade weil das Land keine<br />

Vorgaben macht. Die Ministerin rät lediglich<br />

dazu, Wohnungen zu mieten, statt<br />

Großunterkünfte zu bauen. Dass die Städte<br />

sich daran halten, hat einen pragmatischen<br />

Grund: Es ist billiger. Anders als<br />

Bayern übernimmt das Land Rheinland-<br />

Pfalz keine Kosten, sondern stellt den<br />

Kommunen eine Pauschale zur Verfügung.<br />

Wie sie damit klarkommen, ist ihre<br />

Sache. Natürlich gibt es auch aus Bundesländern,<br />

in denen die Unterbringung den<br />

Kommunen überlassen ist, Negativbeispiele.<br />

Gerade dann, wenn die Zuschüsse<br />

des Landes niedrig sind, wie es in Nordrhein-Westfalen<br />

der Fall ist. Doch in diesen<br />

Ländern ist das Versagen punktuell,<br />

nicht flächendeckend.<br />

Länderübergreifend hingegen ist auffällig,<br />

wie viele Fehler durch mangelhafte Kooperation<br />

gelöst werden könnten.<br />

»<br />

FOTO: DOMINIK ASBACH FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE; ILLUSTRATION: KRISTINA DÜLLMANN<br />

24 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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ASYLPOLITIK<br />

Not der Welt<br />

Trotz jahrelanger Debatten nehmen<br />

EU-Staaten immer noch unterschiedlich<br />

viele Asylbewerber auf.<br />

Wo sich Asylbewerber melden<br />

Länder mit der höchsten...<br />

...pro 100000<br />

Einwohner<br />

Schweden<br />

Malta<br />

Schweiz<br />

Norwegen<br />

Österreich<br />

Luxemburg<br />

Ungarn<br />

Belgien<br />

Deutschland<br />

Zypern<br />

Zahl der Bewerber...<br />

...insgesamt<br />

...und niedrigsten Aufnahmequote (2013*)<br />

Portugal<br />

Tschechien<br />

Estland<br />

Rumänien<br />

Slowakei<br />

Lettland<br />

Spanien<br />

Slowenien<br />

Litauen<br />

Irland<br />

568 (54270)<br />

533 (2245)<br />

265 (21305)<br />

236 (11930)<br />

207 (17500)<br />

199 (1070)<br />

190 (18895)<br />

189 (21030)<br />

158 (126705)<br />

145 (1255)<br />

5 (500)<br />

7 (695)<br />

7 (95)<br />

8 (1495)<br />

8 (440)<br />

10 (195)<br />

10 (4485)<br />

13 (270)<br />

14 (400)<br />

20 (920)<br />

* Zahlen gerundet,<br />

Quelle: Eurostat<br />

Bundesinnenminister Thomas de Maizière<br />

(CDU) macht Druck: Gemeinsam mit<br />

seinen Amtskollegen aus Polen, Spanien,<br />

Frankreich und Großbritannien dringt er<br />

in einem Brief an die EU-Kommission auf<br />

eine bessere Lastenverteilung in der europäischen<br />

Asylpolitik. Beim nächsten<br />

Treffen der EU-Innenminister im Oktober<br />

müsse dieses Thema dringend behandelt<br />

werden.<br />

Die Zahlen sprechen für sich: Im vergangenen<br />

Jahr wurden 70 Prozent aller<br />

Asylbewerber in der EU in nur fünf von<br />

insgesamt 28 Ländern registriert: in<br />

Deutschland, Frankreich, Schweden, Italien<br />

und Großbritannien. Rund zehn<br />

Länder nehmen dagegen kaum Fremde<br />

auf, moniert die EU-Kommission.<br />

Nach wie vor gilt das Prinzip, dass<br />

Schutzbedürftige Asyl in dem Land beantragen<br />

müssen, in dem sie die EU zuerst<br />

betreten. Doch die Bundesregierung<br />

vermutet, dass es manche Länder mit der<br />

Erfassung von Flüchtlingen nicht so genau<br />

nehmen und diese gerne weiterziehen<br />

lassen. In Berlin gehen viele davon<br />

aus, dass für jedes dritte Asylgesuch des<br />

vergangenen Jahres ein anderer EU-Staat<br />

zuständig gewesen wäre. Im vierten<br />

Quartal seien es sogar mehr als 50 Prozent<br />

aller Verfahren gewesen.<br />

GROSSE UNTERSCHIEDE<br />

Aus Sicht der Flüchtlinge kann es rational<br />

sein, nicht in dem Land Asyl zu beantragen,<br />

in dem sie zuerst in der EU ankommen.<br />

Die Lebensbedingungen variieren<br />

stark zwischen den EU-Mitgliedstaaten,<br />

und auch bei den Chancen, anerkannt zu<br />

werden, herrschen große Unterschiede.<br />

Schweden und Italien beispielsweise haben<br />

vergangenes Jahr mehr Asylbewerber<br />

aufgenommen als abgewiesen.<br />

De Maizière und seine Amtskollegen<br />

fordern die EU-Kommission nun auf, Modelle<br />

für eine freiwillige Umverteilung der<br />

Asylbewerber unter den<br />

Mitgliedstaaten zu prüfen.<br />

Dass Modelle ohne<br />

Zwang jedoch etwas an<br />

dem gegenwärtigen Ungleichgewicht ändern<br />

könnten, darf bezweifelt werden.<br />

Der künftige EU-Kommissionspräsident<br />

Jean-Claude Juncker hat das Problem erkannt:<br />

„Selbst als der reichste Kontinent<br />

der Welt ist Europa nicht in der Lage, es<br />

mit der Not der ganzen Welt aufzunehmen.“<br />

Er fordert einheitliche Regeln,<br />

damit Asylbewerber in jedem EU-Staat<br />

vergleichbare Chancen auf Asyl haben.<br />

Zuständig wird dafür Dimitris Avramopoulos<br />

sein, der den Begriff Migration sogar<br />

offiziell in seinem Kommissars-Titel<br />

führt. Der frühere Außen- und Verteidigungsminister<br />

Griechenlands, sollte sich<br />

mit den Problemen der Asylpolitik auskennen.<br />

Sein Heimatland erfüllt nicht die<br />

Mindeststandards bei der Flüchtlingsaufnahme,<br />

hat der Europäische Gerichtshof<br />

für Menschenrechte festgestellt. Andere<br />

EU-Länder dürfen deswegen niemanden<br />

dorthin zurückschicken.<br />

silke.wettach@wiwo.de | Brüssel<br />

WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 25<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

»<br />

ARBEITSMARKT<br />

»Die wollen ihren Beitrag leisten«<br />

Für die deutsche Einwanderungspolitik spielten Flüchtlinge bislang so gut wie<br />

keine Rolle. Das sollte sich ändern, raten Fachleute.<br />

Maliks Lieblingsstück enthält seine Geschichte,<br />

im wahrsten Sinne des Wortes.<br />

In einer Sitzbank hat er Holzlatten verbaut,<br />

die aus dem Camp stammen, in<br />

dem er zuerst hauste, als er nach Berlin<br />

kam. In der Bank steckt ein Teil von ihm.<br />

Nun sitzt Malik in einer Werkstatt am<br />

Berliner Spreeufer und sagt in stockendem<br />

Deutsch: „Ich möchte hier bleiben.<br />

Mir gefällt es hier.“ Cucula heißt das Bildungsprojekt,<br />

in dem er Sinn und Beschäftigung<br />

gefunden hat. Zusammen mit<br />

drei weiteren Flüchtlingen lernen sie hier,<br />

puristische Holzmöbel zu fertigen. Sie kamen<br />

aus Mali und dem Niger, schafften<br />

es nach Sizilien, nun Berlin. Auf ihren<br />

Handys haben sie noch die Fotos von<br />

Schlepperbooten, die neben ihnen in den<br />

Wellen versanken.<br />

Barbara Meyer, die Initiatorin des Projekts,<br />

darf Malik und den anderen allerdings<br />

keine Arbeitsverträge geben, nur<br />

Praktika. Doch aus der „Utopie“, wie sie<br />

es nennt, soll ein Ausbildungsbetrieb werden,<br />

der sich nicht über private Spenden,<br />

sondern aus dem Verkauf der Designer-<br />

Möbel finanziert. „Wir wollen kein Wohlfahrtsprojekt<br />

sein“, sagt sie, „sondern<br />

wirtschaftlich richtig funktionieren.“<br />

Ein Projekt wie Cucula ist selten. Denn<br />

das deutsche Asylrecht ist strikt: In den<br />

ersten neun Monaten nach Einreise dürfen<br />

Asylbewerber keine Arbeit aufnehmen.<br />

Um dies legal zu umgehen, muss<br />

man kreativ sein, wie in Berlin. Vor wenigen<br />

Tagen erst stimmte der Bundesrat einem<br />

neuen Asylrecht zu: Die Verbotsfrist<br />

wird nun auf drei Monate gesenkt.<br />

Lageso, das klingt nach einem dieser<br />

Markenartikel der Wirtschaftswunderzeit,<br />

wie Haribo oder Eduscho, ein Eis am Stiel<br />

könnte so heißen. Doch das Landesamt für<br />

Gesundheit und Soziales, kurz Lageso, ist<br />

eine gewittergraue Waschbetonfestung,<br />

zehn Stockwerke hoch, auf einem ehemaligen<br />

Krankenhausgelände in Berlin-Moabit.<br />

Hier empfängt die Hauptstadt ihre<br />

Asylbewerber. Auf einem asphaltierten<br />

Vorplatz gibt es seit Kurzem zusätzliche<br />

Holz ist die Hoffnung<br />

„Cucula“ bedeutet zusammenbringen und<br />

aufpassen. Ein passender Name für ihr Projekt,<br />

fanden Malik (Mitte) und seine Freunde<br />

Containerbüros, um mehr Asylsuchende<br />

gleichzeitig bearbeiten zu können. Davor<br />

eine Schlange. Drinnen im Amt weitere<br />

Schlangen. Der Chef des Lageso, Franz Allert,<br />

wird von manchem Kollegen mittlerweile<br />

mit folgendem Satz begrüßt: „Mit dir<br />

will ich nicht tauschen.“<br />

In Moabit kommen zurzeit pro Monat so<br />

viele Flüchtlinge an wie 2007 während des<br />

gesamten Jahres. Allert und seine Mitarbeiter<br />

müssen jetzt innerhalb Wochen neue<br />

„Ein Fortschritt“, urteilt der Migrationsexperte<br />

Klaus Zimmermann <strong>vom</strong> Forschungsinstitut<br />

zur Zukunft der Arbeit.<br />

„Deutschland sollte früher und gezielter<br />

nach qualifizierten Flüchtlingen suchen,<br />

die wir gut gebrauchen könnten.“ Auch Arbeitgeberpräsident<br />

Ingo Kramer plädiert<br />

„angesichts unserer wachsenden Fachkräfteprobleme“<br />

dafür, die Potenziale von Asylsuchenden<br />

und Geduldeten„sinnvoll zu<br />

nutzen“. Er sagt: „Bevor wir Menschen auf<br />

staatliche Sozialleistungen verweisen, sollten<br />

wir ihnen so schnell wie möglich einen<br />

Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen,<br />

damit sie aus eigener Kraft ihren<br />

Lebensunterhalt verdienen.“<br />

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat<br />

bereits die ersten Schritte gemacht. Im<br />

Frühjahr startete die BA mit dem Bundesamt<br />

für Migration und Flüchtlinge<br />

(BAMF) ein Modellprojekt in sechs Städten,<br />

das besonders geeignete Asylbewerber<br />

frühzeitig an reguläre Jobs heranführen<br />

soll. Seit Kurzem ist noch Berlin<br />

dabei. 270 Flüchtlinge nehmen daran<br />

teil, vor allem Syrer, Iraker und Afghanen.<br />

Das BAMF sucht gezielt nach qualifizierten<br />

Flüchtlingen, außerdem sollte die<br />

Chance auf einen positiven Asylbescheid<br />

hoch sein.<br />

DER BEDARF IST DA<br />

Reinhold Demel, Geschäftsführer der<br />

Augsburger Agentur für Arbeit, hat sehr<br />

positive Erfahrungen gemacht: „Die<br />

Flüchtlinge sind hoch motiviert. Die wollen<br />

ihren eigenen Beitrag leisten und sich<br />

nicht <strong>vom</strong> Staat aushalten lassen.“ Unter<br />

Demels 50 Teilnehmern haben rund 40<br />

Prozent einen Hochschulabschluss, sogar<br />

ein Kinderarzt aus Syrien ist darunter. Die<br />

Arbeitslosenquote in Augsburg liegt bei<br />

unter fünf Prozent, der Bedarf an gut ausgebildeten<br />

Kräften ist also groß.<br />

Gemeinsam mit Jobvermittlern und<br />

Dolmetschern wird für jeden Teilnehmer<br />

eine Integrationsstrategie erarbeitet, ein<br />

Sprachkurs organisiert und der Papierkram<br />

vorbereitet, um ausländische Zeugnisse<br />

anerkennen zu lassen. Mehr als ein<br />

Praktikum in Betrieben kann aber auch<br />

die Agentur während der Sperrfrist nicht<br />

vermitteln. „Wir sammeln wichtige Erfahrungen“,<br />

sagt Demel trotzdem, „und die<br />

Asylbewerber nutzen die Monate des<br />

Wartens sinnvoll.“<br />

max.haerder@wiwo.de I Berlin<br />

Betten zu Hunderten organisieren. Sie<br />

fahnden nach ungenutzten Schulen, Kasernen,<br />

Polizei-Wohnheimen oder anderen<br />

irgendwie geeigneten Behausungen.<br />

Ideal für eine Umnutzung wären leer stehende<br />

Seniorenheime, aber so etwas gibt<br />

es in Berlin quasi nicht mehr. „Groß-Unterkünfte<br />

sind immer nur die zweite Wahl“,<br />

findet Allert. Aber anders, das macht er<br />

auch deutlich, werden die Ströme in Berlin<br />

kaum zu bewältigen sein.<br />

»<br />

FOTO: ANDREAS CHUDOWSKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE; ILLUSTRATION: KRISTINA DÜLLMANN<br />

26 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

TÜRKEI<br />

Stacheldraht im Grünen<br />

Seit fast vier Jahren nimmt die Republik bereitwillig Zigtausende Flüchtlinge<br />

auf, die Versorgung läuft vorbildlich – doch jetzt droht plötzlich Ärger.<br />

ob Lieferanten die vereinbarten Preise<br />

einhalten und wie die Flüchtlinge über die<br />

Runden kommen. Ihre größte Sorge ist indes<br />

die Finanzierung des Programms: Bis<br />

15. Oktober könne das WFP die 220 000<br />

Flüchtlinge versorgen, sagt Semen, „danach<br />

geht uns das Geld aus“.<br />

Nur ein kleiner Teil der Flüchtlinge lebt<br />

in Lagern, die meisten kommen bei Verwandten<br />

unter. Aber auch das heizt soziale<br />

Probleme an: Reiche Einwanderer<br />

treiben die Wohnungspreise hoch, arme<br />

heuern illegal als Tagelöhner an. „Die<br />

Folge sind Lohndumping und steigende<br />

Preise“, sagt Yasar Aydin von der Stiftung<br />

Wissenschaft und Politik. „Das gefährdet<br />

den sozialen Frieden.“<br />

Jenseits der Hügel, unweit von Gaziantep,<br />

verlief einst unsichtbar die grüne Grenze<br />

zu Syrien. Nun trennen Rollen aus Stacheldraht<br />

den Krieg <strong>vom</strong> Frieden. Der<br />

Strom illegaler Flüchtlinge ist den türkischen<br />

Behörden zu viel geworden – die<br />

Grenzanlagen wurden in jüngster Zeit<br />

teils sogar mit Mauern befestigt.<br />

Seit Beginn des Kriegs in Syrien vor<br />

dreieinhalb Jahren nahm die Türkei 1,5<br />

Millionen Menschen auf, in Deutschland<br />

suchten nicht einmal 30 000 Zuflucht. Mit<br />

Leistungen in Höhe von 1,6 Milliarden<br />

Dollar ist die Türkei das weltweit drittgrößte<br />

Geberland für Flüchtlingshilfe –<br />

nach den USA und Großbritannien, vor<br />

Deutschland. Hilfsorganisationen loben<br />

den Katastrophenschutz, der die Ankömmlinge<br />

an den Grenzen registriert<br />

und auf 22 Lager verteilt. So effizient die<br />

Hilfe organisiert ist – sie gerät an ihre<br />

Grenzen: Der IS-Terror treibt nun auch<br />

Flucht in die Freiheit<br />

Täglich fliehen Tausende Syrer und irakische<br />

Kurden vor den Terror-Milizen der IS über<br />

die Grenzen in die sichere Türkei<br />

Menschen aus dem kurdischen Nordirak<br />

zur Flucht. Das erschöpft die Ressourcen<br />

und heizt soziale Spannungen an.<br />

Zuletzt habe sich die Lage deutlich verschärft,<br />

sagt Nesrin Semen, die für das<br />

World Food Programme (WFP) der UN in<br />

Gaziantep arbeitet. „In den Lagern sind<br />

die Kapazitäten überstrapaziert, weil zu<br />

schnell zu viele Flüchtlinge ankommen.“<br />

Jeder Migrant erhält eine Art EC-Karte<br />

mit einem Guthaben von 85 Lira – etwa<br />

30 Euro – pro Monat für Brot, Wasser,<br />

Reis oder Fleisch. „Der Betrag ist knapp<br />

bemessen, aber ausreichend für die<br />

Grundversorgung im Notfall.“ Die Helferin<br />

aus Nürnberg prüft täglich in den Lagern,<br />

DROHT DER NATO-BÜNDNISFALL?<br />

In jüngster Zeit gab es bereits Angriffe auf<br />

Einwanderer. Die Regierung, sagt Aydin,<br />

stecke im Dilemma: Geben die Behörden<br />

den Flüchtlingen Asyl, würde allein die<br />

Aufnahme ins Gesundheitssystem Milliarden<br />

kosten. Duldet man weiter die „irreguläre<br />

Migration“, bleibt Schwarzarbeit<br />

nicht aus.<br />

Derweil bröckelt die Stabilität der Türkei;<br />

insbesondere die Kurdenfrage birgt<br />

Sprengstoff: Unterstützt Präsident Recep<br />

Tayyip Erdogan die Minderheit im Kampf<br />

gegen IS, bringt er die Nationalisten gegen<br />

sich auf. Überlässt er sie sich selbst,<br />

könnte das deren Integration gefährden –<br />

Erdogans große innenpolitische Leistung.<br />

Die verbotene Arbeiterpartei PKK rief bereits<br />

zum Kampf gegen den Staat auf. Der<br />

Westen sollte deswegen der Türkei finanziell<br />

und mit der Aufnahme von Flüchtlingen<br />

helfen, sagen Experten wie Yasar<br />

Aydin. Wenn sich der IS-Krieg erst auf das<br />

Territorium der Türkei verlagert, hilft kein<br />

Stacheldraht – dann hätte es der Westen<br />

mit dem Nato-Bündnisfall zu tun.<br />

florian.willershausen@wiwo.de | Berlin<br />

»<br />

Die Sache ist nur: Es stimmt nicht<br />

ganz. Nicht weit entfernt im Brandenburger<br />

Erstaufnahmelager in Eisenhüttenstadt<br />

sind noch Plätze frei. In Sachsen-<br />

Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und<br />

Thüringen sind es jeweils mehr als 100.<br />

Während die Unterkünfte in Bayern (103<br />

Prozent) und Hamburg (116 Prozent)<br />

überbelegt sind, ist in Mecklenburg-Vorpommern<br />

(–24 Prozent) und Thüringen<br />

(–18 Prozent) noch jeder fünfte Platz frei.<br />

Insgesamt sind 11 der 16 Erstaufnahmen<br />

überlastet, doch nur in vier Ländern ist die<br />

Kapazität um mehr als 50 Prozent überschritten.<br />

Doch das merkt in der deutschen<br />

Bürokratie keiner. Das Easy-System<br />

kennt nur den regulären Länderschlüssel;<br />

dass fast alle ostdeutschen Länder noch<br />

Kapazitäten haben, während anderswo<br />

selbst die Zelte überquellen, sagt es nicht.<br />

Als vor zwei Wochen die Aufnahmeeinrichtungen<br />

in NRW wegen Masern vorübergehend<br />

geschlossen werden mussten,<br />

sprach die Regel: zum nächstgelegenen<br />

Erstaufnahmelager schicken. So fuhren<br />

drei Busse nach Gießen, ins übervolle Aufnahmelager<br />

des Landes Hessen.<br />

Nichts ist einfach in diesem System, weil<br />

vieles so Easy ist.<br />

n<br />

konrad.fischer@wiwo.de, max haerder | Berlin,<br />

tim rahmann<br />

Lesen Sie weiter auf Seite 30 »<br />

FOTO: REUTERS/STRINGER; ILLUSTRATION: KRISTINA DÜLLMANN<br />

28 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

»20 000 verkraften«<br />

INTERVIEW | Gerd Müller Der Entwicklungshilfeminister warnt vor<br />

einer Flüchtlingskatastrophe und fordert mehr deutsche Hilfe.<br />

DER CHEFENTWICKLER<br />

Müller, 59, ist seit 2013 Bundesminister für<br />

wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.<br />

Dem Deutschen Bundestag gehört<br />

der CSU-Politiker seit 1994 an. Zuvor war<br />

er ab 1989 Mitglied des Agrarausschusses<br />

im Europäischen Parlament.<br />

Herr Minister, Bootsflüchtlinge aus dem<br />

Mittelmeer, Sinti und Roma aus Rumänien,<br />

Bürgerkriegsflüchtlinge aus der<br />

Ukraine, Vertriebene aus Syrien und<br />

dem Irak. Was kann, was muss Deutschland<br />

tun, um diese Not zu lindern?<br />

Wir erleben gerade die schlimmste<br />

Flüchtlingskatastrophe der letzten 50<br />

Jahre. Einen Steinwurf von der europäischen<br />

Grenze entfernt, rund um den Syrien-Krieg,<br />

sind 10,8 Millionen Menschen<br />

auf der Flucht. Die Uno sagt: Mit<br />

der bisherigen Hilfe bringen wir die Menschen<br />

nicht über den Winter. Was hilft es,<br />

wenn wir militärisch für Ruhe und Frieden<br />

sorgen und hinter der Front Hunderttausende<br />

sterben?<br />

Muss Ihr Etat aufgestockt werden?<br />

Die aktuelle Flüchtlingskrise ist mit den<br />

bisherigen Haushaltsmitteln nicht zu bewältigen.<br />

Ich habe gerade noch einmal<br />

ein Sonderprogramm Flüchtlinge mit<br />

170 Millionen Euro aufgelegt, durch interne<br />

Umschichtungen. Wir brauchen eine<br />

entsprechende Verstärkung des BMZ-<br />

Etats für Infrastruktur, etwa bei der Wasserversorgung<br />

oder Gesundheitseinrichtungen<br />

für Millionen von Flüchtlingen.<br />

Ich bin zuversichtlich, dass der Haushaltsausschuss<br />

und der Finanzminister<br />

uns unterstützen.<br />

Hunderttausende fliehen aus Syrien<br />

und dem Irak in die Türkei. Werden wir<br />

weitere Kriegsflüchtlinge nach Deutschland<br />

holen?<br />

Die grundlegende Lösung liegt nicht in<br />

der dauerhaften Aufnahme von Flüchtlingen<br />

in Deutschland. Aber wer kommt,<br />

den müssen wir mit offenen Herzen aufnehmen.<br />

Hinter jedem Schicksal steckt<br />

enormes Leid. Wenn der Libanon mit<br />

vier Millionen Einwohnern 1,5 Millionen<br />

Flüchtlinge aufnehmen kann, dann werden<br />

wir wohl 20 000 Flüchtlinge aus dem<br />

Kriegsgebiet verkraften.<br />

Was wollen Sie vor Ort tun?<br />

Wir müssen unsere Anstrengungen in Syrien,<br />

Kurdistan, Afghanistan, Eritrea, Libyen<br />

steigern. Das sind die Hauptherkunftsländer,<br />

von dort kommen drei Viertel<br />

aller Flüchtlinge und Asylbewerber in<br />

Europa und auch in Deutschland. Eritreer<br />

sind eine der größten Gruppen, die nach<br />

Deutschland kommen. In Äthiopien sind<br />

100 000 registrierte Flüchtlinge aus Eritrea.<br />

Deshalb habe ich ganz aktuell Äthiopien<br />

zehn Millionen Euro für Bildungsprojekte<br />

für Flüchtlinge aus Eritrea zugesagt, damit<br />

die Menschen dort Lebensperspektiven<br />

entwickeln können und nicht erneut zur<br />

Flucht gezwungen werden.<br />

Müssen wir unsere Hilfe auf Regionen<br />

konzentrieren, aus denen Wanderungsdruck<br />

Richtung Europa entstehen könnte?<br />

Bitte nicht die Regionen gegeneinander<br />

ausspielen! Die bisherige Entwicklungszusammenarbeit<br />

ist notwendig und eine gewinnbringende<br />

Investition. Da sind deutsche<br />

Unternehmen beteiligt, mit ganz erheblichen<br />

Rückflüssen. Für Ebola- oder<br />

Vertreibungsopfer müssen wir die Mittel<br />

verstärken. Künftig muss gezielt in den<br />

Ländern investiert werden, aus denen<br />

sich die Flüchtlinge in Scharen aufmachen<br />

nach Europa.<br />

Es wirkt, als reagierten wir immer nur<br />

auf akute Krisen.<br />

Wir dürfen Entwicklungsarbeit nicht als<br />

Reparaturbetrieb für akute Krisen verstehen.<br />

Wir müssen langfristig investieren<br />

in das Verhindern von Konflikten, in<br />

eine funktionierende staatliche Infrastruktur.<br />

Das wurde bisher massiv vernachlässigt.<br />

Das sieht man in Libyen, Syrien,<br />

im Irak – und ich habe große Sorge<br />

um Afghanistan.<br />

Warum?<br />

In Afghanistan geht der Westen schnell –<br />

ich meine: zu schnell – raus. In Kundus<br />

weht bereits die Fahne der Taliban. Wir<br />

dürfen in Afghanistan nicht denselben<br />

Fehler machen, den die Amerikaner im<br />

Irak gemacht haben: ein Land ohne stabile<br />

Strukturen sich selbst überlassen. Libyen<br />

beispielsweise wurde bombardiert<br />

– Regime Change. Und was kam danach?<br />

Kann man mit Brunnenbau den Aufstieg<br />

einer radikal-islamistischen Miliz wie IS<br />

verhindern?<br />

Brunnenbau – das ist ein altes Klischee,<br />

das schon lange nicht mehr auf unsere Arbeit<br />

zutrifft. Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik<br />

müssen Hand in Hand<br />

arbeiten. Wie zieht man Steuern ein; wie<br />

verwaltet sich eine Region? Wie entstehen<br />

ein funktionierendes Gesundheitssystem,<br />

neue Schulen? Wir bilden Bürgermeister<br />

aus. Wir müssen Strukturen aufbauen:<br />

Verwaltung, Gerichte, Sicherheit. Sonst<br />

brechen diese Staaten nach wenigen Jahren<br />

zusammen. Wenn wir Staaten politisch<br />

und gesellschaftlich stark machen,<br />

können sie den Anfeindungen von Banden<br />

und Milizen widerstehen.<br />

Ist das eine deutsche Aufgabe?<br />

Wir brauchen eine bessere Koordinierung<br />

der Hilfe aus Europa, da läuft vieles<br />

nebeneinander her. Wenn wir nicht viel<br />

stärker in der Region Mittlerer und Naher<br />

Osten sowie Nordafrika investieren,<br />

dann werden künftig nicht 5000 Flüchtlinge<br />

am Tag über das Mittelmeer und<br />

aus Marokko an die spanische Grenze<br />

kommen wie bisher, sondern 50 000. Wir<br />

können das Flüchtlingsproblem nicht<br />

dadurch bewältigen, dass wir die Zäune<br />

höher ziehen.<br />

n<br />

henning.krumrey@wiwo.de Berlin<br />

FOTO: PHOTOTHEK/THOMAS KOEHLER; ILLUSTRATION: KRISTINA DÜLLMANN<br />

30 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

Wiener Melange<br />

LIZENZEN | Finanzminister Wolfgang Schäuble will ein Steuerschlupfloch<br />

schließen – möglicherweise zugunsten der Forschung.<br />

Einer macht es vor Schäuble und sein Österreich-Kollege Spindelegger<br />

Ikea ist zwar ein schwedischer Konzern.<br />

Doch die hohen Lizenzgebühren, die die<br />

deutsche Tochter für die Nutzung von<br />

Marke und Verkaufssystem zahlt, fließen an<br />

eine niederländische Ikea-Stiftung. Der<br />

Vorteil: In Deutschland kann das etwas andere<br />

Einrichtungshaus kräftig Steuern sparen,<br />

weil die Lizenzausgaben den – so kaum<br />

noch vorhandenen – Gewinn schmälern. In<br />

den Niederlanden fließen die entsprechenden<br />

Lizenzeinnahmen in eine sogenannte<br />

Lizenzbox – eine besondere rechtliche<br />

Konstruktion, für die ein spezieller Steuersatz<br />

von nur fünf Prozent gilt – statt regulär<br />

25 (oder knapp 30 in Deutschland). Auch<br />

Google nutzt die holländische Lizenzbox,<br />

um seine europäischen Gewinne zum<br />

Schnäppchentarif zu versteuern.<br />

Solchen Steuerschlupflöchern wollen<br />

die Regierungen der G20- und OECD-Länder<br />

seit über zwei Jahren ein Ende bereiten.<br />

Alle paar Monate treffen sie sich deswegen,<br />

vor einer Woche waren sie im australischen<br />

Cairns. Am OECD-Sitz in Paris ringen<br />

Hunderte Experten um eine Lösung.<br />

Doch bei der Lizenzbox verteidigen Niederländer,<br />

Luxemburger und Briten zäh ihre<br />

Lockangebote für Unternehmen.<br />

»...werden wir<br />

nationale Abwehrmaßnahmen<br />

ergreifen müssen«<br />

Finanzminister Schäuble vor der IHK Berlin<br />

Vor Kurzem platzte einem der beteiligten<br />

Finanzminister der Kragen. In einer<br />

Nacht-und-Nebel-Aktion ließ er von seinen<br />

Beamten Gegenmaßnahmen erarbeiten<br />

und diese von der großen Koalition absegnen<br />

– die sogenannte Lizenzschranke<br />

war geboren. Seit diesem Frühjahr dürfen<br />

Unternehmen ihre Lizenzgebühren, wenn<br />

diese ins Ausland fließen und dort mit weniger<br />

als zehn Prozent versteuert werden,<br />

nicht mehr daheim als Betriebsausgaben<br />

deklarieren.<br />

Das Lizenzschranken-Land heißt Österreich.<br />

Es war Bundesfinanzminister Michael<br />

Spindelegger (ÖVP), der das beliebte<br />

Steuerschlupfloch kurz und bündig zustopfte.<br />

Sein deutscher Amtskollege Wolfgang<br />

Schäuble (CDU) bemüht sich derweil<br />

noch um eine internationale Lösung.<br />

Aber auch Schäubles Langmut ist begrenzt.<br />

Sein Ministerium arbeitet bereits<br />

an einem Bündel von „Abwehrmaßnahmen“,<br />

sollten die diplomatischen Bemühungen<br />

keine Erfolge zeigen. Dabei erfinden<br />

seine Beamten das Rad nicht neu. Vielmehr<br />

dient der kleine experimentierfreudigere<br />

Nachbar Österreich offenkundig als<br />

Vorbild – fast so wie bei der Pkw-Maut.<br />

Das Finanzministerium in Wien hat eine<br />

ganze Melange aus positiven und negativen<br />

Anreizen gegen grenzüberschreitende<br />

Steuergestalter geschaffen. Die Lizenzschranke<br />

ist da nur ein Instrument von<br />

mehreren. So überprüfen die Finanzbeamten<br />

jede Lizenzzahlung ins Ausland penibel<br />

auf ihre sachliche Berechtigung. Neben<br />

der Peitsche bieten die Österreicher aber<br />

auch Zuckerbrot – in Form einer steuerlichen<br />

Förderung von Aufwendungen für<br />

Forschung und Entwicklung.<br />

„SCHRECKLICHE DEBATTE“<br />

Was die Österreicher indes nicht haben, ist<br />

eine Lizenzbox. Auch in Berlin gilt die Einführung<br />

einer Lizenzbox – oder einer Patentbox,<br />

in der nur die Lizenzgebühren aus<br />

Patenten zum Spartarif besteuert werden –<br />

als äußerst unwahrscheinlich. Die Steuerausfälle<br />

will sich Schäuble auf dem Weg<br />

zum ausgeglichenen Bundeshaushalt<br />

nicht leisten, und überdies würden auch<br />

die Bundesländer nicht auf ihre anteiligen<br />

Steuereinnahmen verzichten.<br />

Es geht überdies ums Prinzip. „Diese Patentbox-Debatte<br />

ist ganz schrecklich“, sagt<br />

der finanzpolitische Sprecher der SPD-<br />

Bundestagsfraktion, Lothar Binding. Wenn<br />

Deutschland damit auch noch anfinge,<br />

würden „am Ende alle Steuereinnahmen<br />

verlieren“. Ein solches Totrüsten wäre mit<br />

dem Koalitionspartner SPD nicht zu machen.<br />

Er sieht sich durch den Koalitionsvertrag<br />

gestärkt. Darin heißt es : „Auch wollen<br />

wir sicherstellen, dass der steuerliche<br />

Abzug von Lizenzaufwendungen mit einer<br />

angemessenen Besteuerung der Lizenzerträge<br />

im Empfängerland korrespondiert.<br />

Im Vorgriff auf diese internationale Regelung<br />

werden wir in Deutschland erforderlichenfalls<br />

gesetzgeberisch voranschreiten.“<br />

Binding plädiert nun für eine Lizenzschranke<br />

à la Austria oder eine Quellensteuer<br />

(die es ebenfalls in Österreich in Bezug<br />

auf Drittländer außerhalb der EU gibt).<br />

Bei einer Quellenbesteuerung müssten<br />

beispielsweise die deutschen Ikea- oder<br />

FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />

32 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Discount-Angebote<br />

Wie einzelne Länder Einkünfte aus Lizenzen<br />

und Patenten besteuern (in Prozent)<br />

Malta<br />

Zypern<br />

Liechtenstein<br />

Niederlande<br />

Luxemburg<br />

Belgien<br />

Schweiz<br />

Ungarn<br />

Großbritannien<br />

Portugal<br />

Spanien<br />

Frankreich<br />

Deutschland<br />

0,0<br />

2,5<br />

2,5<br />

5,0<br />

5,7<br />

6,8<br />

8,8*<br />

9,5<br />

10,0<br />

11,5<br />

15,0<br />

15,0<br />

29,6<br />

*Kanton Niedwalden; Quelle: Bundesregierung, Jones Day<br />

Charme, dass es unter Berücksichtigung<br />

einer Anlaufdauer bis zur praktischen Patentverwertung<br />

von oft fünf Jahren frühestens<br />

in der nächsten Legislaturperiode zu<br />

Steuerausfällen käme.<br />

Ein anderes, nicht ganz so restriktives<br />

Modell umfasst F&E-<strong>Ausgabe</strong>n im technologischen<br />

Bereich. Jobst Wilmanns, Leiter<br />

Transfer Pricing beim Prüfungs- und Beratungsunternehmen<br />

Deloitte, berichtet von<br />

entsprechenden Diskussionen um mögliche<br />

Steuerrabattierungen. Für Prognosen<br />

über mögliche Steuerausfälle fehlen allerdings<br />

volkswirtschaftliche Daten. In Industriekreisen<br />

spricht man von weniger als einer<br />

Milliarde Euro, die bei patentbasierter<br />

Steuerförderung dem Fiskus entgingen.<br />

Das wiederum entspricht fast genau der<br />

Starbucks-Ableger sofort rund 30 Prozent<br />

Steuer an den hiesigen Fiskus abführen,<br />

sobald sie ihre Lizenzgebühren in die Niederlande<br />

oder in ein anderes Steuerparadies<br />

überweisen. Damit wäre der Spareffekt<br />

dahin. Für den grünen Finanzexperten<br />

Thomas Gambke hätte diese Variante<br />

ebenfalls „Charme“.<br />

Jedoch gibt es auch Risiken und Nebenwirkungen.<br />

In Österreich führe die Schranke<br />

bei betroffenen Unternehmen dazu,<br />

dass sich bei einer Lizenzzahlung von acht<br />

Prozent des Umsatzes das Ergebnis um<br />

zwei Prozent verschlechtere, sagt Andreas<br />

Stefaner von der Beratungsgesellschaft EY<br />

in Wien. Für eine österreichische Tochtergesellschaft<br />

wäre dies ein beträchtlicher<br />

Wettbewerbsnachteil beispielsweise gegenüber<br />

einem bulgarischen Werk. „Bleibt<br />

Österreich mit seiner Lizenzschranke allein,<br />

gefährdet dies die Wettbewerbsfähigkeit<br />

der österreichischen Wirtschaft“, warnt<br />

Stefaner. Darüber hinaus sieht er „massive<br />

verfassungs- und EU-rechtliche Bedenken,<br />

wenn der volle Betriebsausgabenabzug<br />

nicht mehr gewährleistet ist“.<br />

EINE MILLIARDE IN DER TASCHE<br />

Die Wiener Regierung erhofft sich allein<br />

von der Lizenzschranke Mehreinnahmen<br />

von rund 100 Millionen Euro im Jahr. Auf<br />

Deutschland hochgerechnet, könnte eine<br />

solche Lizenzschranke ungefähr eine Milliarde<br />

Euro pro Jahr einbringen. Das macht<br />

jeden Finanzpolitiker sinnlich. Deshalb arbeitet<br />

Schäubles Truppe intensiv an der<br />

Vorbereitung einer Lizenzschranke bezie-<br />

hungsweise an einer entsprechenden<br />

Quellensteuer. Probleme mit dem EU-<br />

Recht und dem Grundgesetz, die der<br />

Münchner EY-Experte Christian Ehlermann<br />

auch für Deutschland sieht, hält<br />

man im Ministerium für eingrenzbar. Mit<br />

der Milliarde in der Tasche könnte Schäuble<br />

auch ein anderes Versprechen einlösen<br />

und die steuerliche Forschungsförderung<br />

ausbauen.<br />

Zwar soll es eine allgemeine Förderung<br />

sämtlicher privaten Forschungs- und Entwicklungsausgaben<br />

(F&E) nicht geben, da<br />

dies mit zu hohen Steuerausfällen verbunden<br />

wäre. Aber eine Begünstigung ausgewählter<br />

F&E-Aktivitäten käme Schäuble<br />

gut zupass. Ein Modell wäre, nur die Lizenzzahlungen<br />

für neue Patente steuerlich<br />

zu begünstigen. Das hätte für Schäuble den<br />

Summe, die durch eine Lizenzschranke zusätzlich<br />

in die Staatskasse käme.<br />

Doch wie beim Vorbild Österreich wird<br />

es Schäuble nicht bei Lizenzschranke und<br />

Steuerrabatt belassen wollen. Im Kampf<br />

gegen die grenzüberschreitenden Steuergestalter<br />

sollen die Finanzbeamten noch<br />

strenger als bisher die Unternehmensabschlüsse<br />

prüfen. Lizenzzahlungen ins Ausland<br />

– insbesondere für Marken- und Vertriebsrechte<br />

– will das Bundeszentralamt<br />

für Steuern in Bonn genau auf Plausibilität<br />

und Sinnhaftigkeit kontrollieren.<br />

Eigentlich würde Schäuble diese Maßnahmen<br />

gern im OECD-weiten Rahmen<br />

beschließen. Der nationale Alleingang,<br />

den der Minister nun vorbereiten lässt, ist<br />

für ihn nur die zweitbeste Lösung. n<br />

christian.ramthun@wiwo.de | Berlin<br />

WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 33<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

»Breitbandagenda 2030«<br />

FORUM | Beim Ausbau von superschnellen Glasfasernetzen hinkt Deutschland gewaltig hinterher. Vom<br />

Staat mitgegründete Netzgesellschaften könnten den Rückstand aufholen. Von Karl-Heinz Neumann<br />

Die Bundesregierung hat in ihrer Digitalen<br />

Agenda noch einmal die<br />

Ziele der Breitbandstrategie bekräftigt:<br />

Bis 2018 sollen die Telekommunikationsnetze<br />

so ausgebaut werden,<br />

dass jeder Bürger und jedes Unternehmen<br />

Zugang zu einem Breitbandanschluss<br />

mit einer Download-Geschwindigkeit<br />

von mindestens 50 Megabit pro<br />

Sekunde hat.<br />

Der Blick auf 2018 greift jedoch zu kurz.<br />

Wir müssen auch in Deutschland die Frage<br />

stellen, wie unsere Telekommunikationsinfrastruktur<br />

die heute technisch mögliche<br />

Leistungsfähigkeit erreicht, die die digitale<br />

Wirtschaft des 21. Jahrhunderts benötigt.<br />

Experten sind sich einig, dass nur eine bis<br />

in die Wohnungen der Endkunden durchgehende<br />

Glasfaserinfrastruktur (FTTH)<br />

restriktionsfrei die Bedürfnisse der Zukunft befriedigen kann.<br />

In Deutschland sind wir noch nicht sehr weit beim Aufbau solch<br />

einer zukunftsfähigen FTTH-Glasfaserinfrastruktur: Gerade einmal<br />

2,6 Prozent aller Haushalte können heute einen FTTH-Anschluss<br />

erhalten. Damit liegt Deutschland weit unter dem EU-<br />

Durchschnitt von 12,3 Prozent und weist eine der niedrigsten<br />

Netzabdeckungsraten auf. Führende Länder wie Schweden und<br />

Dänemark haben bereits eine FTTH-Abdeckung von 45 Prozent.<br />

Neumann, 60,<br />

ist Direktor des<br />

Wissenschaftlichen<br />

Instituts für Infrastruktur<br />

und Kommunikationsdienste.<br />

Ausbau stockt<br />

Verlegung von<br />

Glasfaserkabeln<br />

FLÄCHENDECKENDES GLASFASERNETZ BIS 2030<br />

Es ist verständlich, dass die Politik ihre Ziele für Legislaturperioden<br />

definiert. Für den strukturellen Umbau von volkswirtschaftlicher<br />

Infrastruktur reichen derartige Zeitperspektiven aber nicht<br />

aus. Für den Bereich der Energienetze haben wir dies erkannt. Die<br />

aktuellen Trassenplanungen erfolgen hier für einen Zeitraum bis<br />

2050. Ein flächendeckendes Glasfasernetz kann in<br />

Deutschland bis zum Jahr 2030 aufgebaut sein; dies<br />

sollte das über 2018 hinausgehende neue und weitere<br />

Ziel der Breitbandpolitik werden.<br />

Nach Berechnungen des Wissenschaftlichen Instituts<br />

für Infrastruktur und Kommunikationsdienste<br />

kostet der (hier relevante) Aufbau einer flächendeckenden<br />

Glasfaserinfrastruktur rund 45 Milliarden Euro,<br />

wenn man bereits getätigte relevante Investitionen<br />

berücksichtigt. Dies bedeutet bis 2030 einen Investitionsbedarf<br />

von drei Milliarden Euro pro Jahr. Die Investitionen<br />

aller Betreiber müssten um gut 50 Prozent pro<br />

Jahr im Vergleich zum heutigen Niveau steigen.<br />

Die Analyse des Investitionsbedarfs zeigt, dass auch<br />

die Perspektive 2030 für ein flächendeckendes Glasfasernetz<br />

ehrgeizig ist. Ein derartiges Ziel ist<br />

nicht mit dem bisherigen „inkrementellen<br />

Ansatz“ des Netzausbaus erreichbar. Es<br />

bedarf eines „disruptiven Ansatzes“, um<br />

das flächendeckende Glasfasernetz zu erreichen.<br />

Was könnten die Elemente eines<br />

derartigen disruptiven Ansatzes sein?<br />

1. Breitbandförderung konzentriert sich<br />

heute auf die Förderung der Mitverlegung<br />

von Leerrohren und Glasfasern, die in den<br />

Verteilerschränken auf den Bürgersteigen<br />

enden. Wesentlich zielführender ist es,<br />

wenn die begrenzten Mittel der staatlichen<br />

Breitbandförderung ausschließlich<br />

in den Aufbau von FTTH-Netzen fließen.<br />

2. Frequenzauktionserlöse fließen bislang<br />

überwiegend dem allgemeinen<br />

Staatshaushalt zu. Auktionen als Frequenzvergabeverfahren<br />

könnten wieder stärker an Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn die<br />

daraus generierten Mittel dem Sektor nicht entzogen, sondern für<br />

Real-Investitionen wieder zugeführt werden.<br />

3. Der Bund ist heute direkt und indirekt noch mit über 30 Prozent<br />

an der Deutschen Telekom beteiligt. Nicht nur aus ordnungspolitischen<br />

Gründen ist es überzeugender, wenn der Bund sich<br />

von weiteren Anteilen trennt. Der Wert reicht mehr als aus, um die<br />

Wirtschaftlichkeitslücke des Glasfaserausbaus zu schließen.<br />

4. Disruptive Ansätze des Glasfasernetzaufbaus in Ländern wie<br />

Neuseeland, Australien oder Singapur sehen ein wesentlich direkteres<br />

Engagement des Staates vor. Durch Gründung und Beteiligung<br />

an Glasfasernetzgesellschaften setzt der Staat in diesen<br />

Ländern seine Infrastrukturziele unmittelbar um. Der<br />

Bund müsste eine Holdinggesellschaft gründen, die<br />

sich an regionalen Glasfasernetzgesellschaften als<br />

Minderheitsgesellschafterin beteiligt. Alle Netzbetreiber<br />

in ihrer Region werden eingeladen, ihre bestehenden<br />

Netze in die Glasfasergesellschaft als Sacheinlage<br />

einzubringen. Der Bund finanziert die Holdinggesellschaft<br />

mit Privatisierungserlösen aus dem Verkauf<br />

von Telekom-Anteilen. Spätestens fünf Jahre nach<br />

dem Aufbau von Glasfasernetzen privatisiert der<br />

Bund seine Beteiligungen an den Regionalgesellschaften<br />

wieder.<br />

Es ist Zeit, die Perspektive auf die Zeit nach 2018 zu<br />

richten. Nur so entsteht eine realistische Chance für einen<br />

flächendeckenden Glasfaserausbau bis 2030. n<br />

FOTO: CARO/SEEBERG, PR<br />

34 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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SHANGHAI | Die<br />

Goldene Woche, ein<br />

kollektiver Urlaub,<br />

ist alles andere als<br />

golden. Von Philipp<br />

Mattheis<br />

Urlaub von<br />

Amts wegen<br />

FOTOS: JOHANN SEBASTIAN KOPP, WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, XXXXXXX<br />

An meinem ersten chinesischen<br />

Herbstfest wollte<br />

ich mich den Sitten des<br />

Landes anpassen, nahm<br />

Urlaub und fuhr nach<br />

Hangzhou. Das ist eine<br />

bekannte Stadt an einem geschichtsreichen<br />

See. Ich hatte mir eine beschauliche<br />

Kleinstadt am Wasser vorgestellt, mit Ruhe<br />

und Natur. Ich kam in eine Acht-Millionen-Stadt,<br />

in der es für mich nur noch ein<br />

Mehrbettzimmer in einer Jugendherberge<br />

gab. Vor den Restaurants türmte sich<br />

der Müll. Um den See schoben sich Menschenketten<br />

in Tippelschritten, die entweder<br />

auf ihrem Smartphone spielten,<br />

sich hektisch etwas in den Mund stopften<br />

oder ihren Kindern hinterher schrien. Für<br />

den individualistisch geprägten, lärmsensitiven<br />

Mitteleuropäer kann so etwas eine<br />

traumatische Erfahrung sein.<br />

Schuld daran hat eine Behörde namens<br />

NFA, das Nationale Ferienamt. Die<br />

verordnet ihren Bürgern zwei Ferienwochen<br />

im Jahr: Die Goldene Woche im<br />

Herbst und eine zweite Woche um das<br />

Chinesische Neujahrsfest im Winter. Urlaub<br />

zu anderen Zeiten? Untersagt! Also<br />

fahren zwischen dem 1. und 7. Oktober<br />

gut 450 Millionen Menschen gleichzeitig<br />

zur Großen Mauer, zum See nach Hangzhou<br />

oder in den Nationalpark Jiuzhaigou,<br />

und hinterlassen dort insgesamt<br />

Hunderte Tonnen von Müll. Die freien Tage<br />

müssen die Chinesen an den nächsten<br />

Wochenenden vor- und nacharbeiten,<br />

weswegen die meisten nach den Ferien<br />

erst recht urlaubsreif sind.<br />

Für Ausländer gilt die Regelung zum<br />

Glück nicht. In diesem Jahr gehe ich<br />

deswegen ins Büro und arbeite – in Ruhe,<br />

es sind ja alle weg.<br />

Philipp Mattheis ist Korrespondent<br />

der WirtschaftsWoche in Shanghai.<br />

WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 35<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

Für die Freiheit<br />

Occupy-Initiator<br />

Tai (Mitte) lässt<br />

sich mit Gleichgesinnten<br />

aus<br />

Protest den<br />

Kopf rasieren<br />

Nur eine von neun<br />

HONGKONG | Die Demokratie-Bewegung Occupy Central sieht sich<br />

als Vorkämpfer für mehr Freiheit in China – ein Irrtum.<br />

Benny Tai trägt ein schwarzes Hemd,<br />

auf dem etwa dort, wo sein Herz<br />

ist, eine gelbe Schleife leuchtet.<br />

„Schwarz steht dafür, dass wir das Vertrauen<br />

verloren haben“, sagt er. „Gelb ist die<br />

Hoffnung.“ Der Jura-Professor sitzt in seinem<br />

kleinen Büro am Campus der Universität<br />

von Hongkong. Hinter ihm lehnt seine<br />

Gitarre, auf der steckt ein Hut. Als Zeichen<br />

seines Protests hat er sich den Kopf kahl rasieren<br />

lassen, gemeinsam mit zwei anderen<br />

Aktivisten der „Occupy-Central-with-<br />

Love-and-Peace“-Bewegung.<br />

Mitte September sind wieder Tausende<br />

seinem Aufruf gefolgt und friedlich durch<br />

Hongkong gezogen, um für mehr Demokratie<br />

zu demonstrieren. Alle trugen sie<br />

Schwarz und die gelbe Schleife. Es kam zu<br />

Festnahmen, aber es gab keine Gewalt. Darauf<br />

legt Tai Wert. Die schärfste Drohung<br />

der Occupy-Bewegung ist eine Sitzblockade,<br />

um das Bankenviertel lahmzulegen.<br />

gung war bis jetzt ein inoffizielles Internet-<br />

Referendum, bei dem sich 800 000 Hongkonger<br />

für die freie Nominierung aussprachen.<br />

Die Regierung in Peking bezeichnet<br />

das Referendum als illegal.<br />

Am Sonderstatus Hongkongs hat Peking<br />

kein Interesse – im Gegenteil, die aktuelle<br />

Politik zielt darauf ab, die Stadt zu marginalisieren.<br />

Wirtschaftlich stellt das Festland<br />

Hongkong ohnehin in den Schatten. Vor 30<br />

Jahren kam Hongkong auf zwölf Prozent<br />

der chinesischen Wirtschaftsleistung, jetzt<br />

sind es nur noch drei Prozent. Schon lange<br />

hat die Stadt ihre Rolle als größter Containerhafen<br />

Chinas an Shanghai verloren.<br />

Sollte die Regierung tatsächlich eines<br />

Tages den Yuan freigeben und Kapitalverkehrskontrollen<br />

abschaffen, dürfte Hongkong<br />

auch seine Rolle als Finanzzentrum<br />

an Shanghai abgeben. Nicht zuletzt<br />

machen interne Probleme der liberalen<br />

Enklave zu schaffen. So leben in der<br />

Stadt mit den meisten Milliardären weltweit<br />

15 Prozent der Bevölkerung unter der<br />

Armutsgrenze. Die Immobilienpreise steigen<br />

immer weiter, was zu einem nicht<br />

geringen Teil auch an chinesischen Investoren<br />

liegt.<br />

Für Unternehmen wartet der Stadtstaat<br />

mit attraktiven Bedingungen auf: eine Flat<br />

Tax in Höhe von 16,5 Prozent, geringe<br />

Bürokratie und keine Import- und Exportzölle.<br />

Vor allem Letzteres hat Hongkong in<br />

den vergangenen Jahren zu einem Shoppingparadies<br />

für Festlandchinesen werden<br />

FREIE KANDIDATENWAHL<br />

Als die britische Kronkolonie 1997 zurück<br />

an die Volksrepublik fiel, sicherte Peking<br />

der Stadt unter dem Slogan „Ein Land, zwei<br />

Systeme“ für 50 Jahre eine gewisse Autonomie<br />

zu und versprach auch, 2017 den Regierungschef<br />

der Stadt frei wählen zu lassen.<br />

Die Pläne stehen nach wie vor. Nur will<br />

Peking die zwei oder drei Kandidaten, die<br />

sich zur Wahl stellen, selbst aussuchen.<br />

Occupy Central dagegen fordert freie Kandidatenwahl.<br />

Der größte Coup der Bewelassen.<br />

2013 strömten mehr als 40 Millionen<br />

von ihnen in die Stadt, um sich mit<br />

iPhones oder Louis-Vuitton-Taschen einzudecken,<br />

für die sie auf dem Festland Luxussteuer<br />

von bis zu 30 Prozent zahlen<br />

müssen. Bei den Einwohnern von Hongkong<br />

sind die Besucher aus dem Festland<br />

aus all diesen Gründen nicht sehr beliebt.<br />

Doch die Sorgen der Occupy-Bewegung<br />

reichen weiter. Nach und nach hat Peking<br />

in den vergangenen Jahren die Schrauben<br />

enger angezogen, die Pressefreiheit eingeschränkt<br />

und die Eigenständigkeit der Justiz<br />

verringert. Einen globalen Finanzstandort<br />

ohne Pressefreiheit und unabhängige<br />

Justiz aber halten viele für unmöglich.<br />

Noch seien die Vorteile Hongkongs gegenüber<br />

dem Festland für viele Unternehmen<br />

eindeutig, sagt Wolfgang Ehmann, stellvertretender<br />

Geschäftsführer der Auslandshandelskammer<br />

in Hongkong, fügt aber<br />

hinzu: „Langfristig ist der kosmopolitische<br />

Charakter der Stadt in Gefahr.“<br />

Peking schafft Fakten und setzt auf eine<br />

Integration der Stadt ins boomende Perlflussdelta.<br />

Gerade wird im Stadtteil<br />

Kowloon an einem Anschluss ans Hochgeschwindigkeitsnetz<br />

gearbeitet. Gleichzeitig<br />

entsteht derzeit eine gigantische Brücke<br />

nach Macao und ins Festland. „Hongkong<br />

wird eine von neun Metropolen Südchinas<br />

werden und dabei Stück für Stück seine<br />

Sonderstellung verlieren“, prophezeit Stefan<br />

Kracht von der Unternehmensberatung<br />

Fiducia in Hongkong. „Das aber muss<br />

nicht schlecht für die Stadt sein.“ Wirtschaftlich<br />

könne Hongkong dabei viel gewinnen,<br />

vor allem Zugang zu den vielen<br />

Konsumenten in Südchina.<br />

MARGINALISIERUNG VERHINDERN<br />

Politisch möchte die Occupy-Bewegung<br />

genau diese Einbindung und damit verbundene<br />

Marginalisierung verhindern.<br />

Warum, fragt Benny Tai, könne Hongkong<br />

nicht eine Pionierrolle für den Rest Chinas<br />

sein? „Hier gibt es Rechtsstaatlichkeit und<br />

eine Zivilgesellschaft. Das ist doch genau<br />

das, was Peking langfristig auf dem Festland<br />

aufbauen will!“<br />

Tatsächlich zählt es zu den erklärten Zielen<br />

Xi Jinpings, die Rechtsstaatlichkeit weiter<br />

aufzubauen. Aber von den bürgerlichen<br />

Freiheiten ist auf dem Festland nach wie<br />

vor nichts zu spüren. Ein ähnlicher Protest<br />

wie die Occupy-Central-Bewegung auf<br />

dem Festland ist für Tai undenkbar. „Das<br />

würde ich niemanden raten“, sagt er. „Viel<br />

zu gefährlich!“<br />

n<br />

philipp.matheis@wiwo.de | Shanghai<br />

FOTO: REUTERS/TYRONE SIU<br />

36 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

Kampf um die Schoten<br />

MADAGASKAR | Weltweit steigt die Nachfrage nach dem Edelgewürz Vanille. Wie sich das deutsche<br />

Unternehmen Symrise durch Entwicklungshilfe den Nachschub sichert.<br />

Begehrter Rohstoff Der madagassische<br />

Vanillefarmer René Totoantsarika lässt seine<br />

Pflanzen gut versteckt im Urwald wachsen<br />

– als Schutz vor Dieben<br />

ßendes Wasser, die medizinische Versorgung<br />

ist ein Albtraum und die nächste größere<br />

Stadt eine 90-minütige Autofahrt entfernt.<br />

Wenn der Vanillefarmer morgens um<br />

sieben Uhr sein Tagwerk beginnt, muss er<br />

sich folglich über viele Dinge Sorgen machen,<br />

Räuber eingeschlossen. Nur über eines<br />

nicht:dass er keinen Abnehmer für seine<br />

Vanille finden könnte.<br />

EMOTIONALE BINDUNG<br />

Früher hat er die geernteten Schoten bisweilen<br />

an windige Zwischenhändler verkauft,<br />

heute kommt sein bevorzugter Geschäftspartner<br />

aus dem niedersächsi-<br />

Die kleine Parzelle, mit der René Totoantsarika<br />

seinen Lebensunterhalt<br />

bestreitet, ist gut versteckt und für<br />

Außenstehende schwer zu finden. Der Weg<br />

führt vorbei an Reisfeldern, durch Tümpel<br />

und Gestrüpp, in dem es von Geckos und<br />

unerfreulich großen Tausendfüßlern wimmelt;<br />

dann geht es einen steilen, unwegsamen<br />

Hang hinauf. Der 48-Jährige hat seine<br />

Machete dabei. Man weiß ja nie. Vor der<br />

letzten Ernte sind Plünderer mit Gewehren<br />

durch die Gegend gezogen, um Pflanzen<br />

zu stehlen. Denn was sich in Totoantsarikas<br />

verborgenem Privaturwald hochrankt,<br />

ist das nach Safran wertvollste Gewürz der<br />

Welt: Vanille.<br />

Der Bauer lebt in Maroambiny, einem<br />

Dorf im Norden Madagaskars. Er wohnt<br />

mit Frau und zwei kleinen Kindern in einer<br />

Holzhütte, es gibt weder Strom noch flieschen<br />

Holzminden. Es ist der MDax-Konzern<br />

Symrise, einer der weltgrößten Hersteller<br />

von Duft- und Aromastoffen – und<br />

der erste und einzige deutsche Investor<br />

auf Madagaskar. Das Unternehmen verarbeitet<br />

die Vanille vor Ort zu einem Extrakt,<br />

mit dem später große Lebensmittelhersteller<br />

Pudding und Eis verfeinern. „Früher<br />

kamen und gingen die Vanillekäufer.<br />

Die Symrise-Leute sind die ersten, die geblieben<br />

sind“, sagt Totoantsarika.<br />

Beim Ankaufspreis, der je nach Ernte<br />

deutlich schwanken kann, lässt das Unternehmen<br />

zwar nicht mit sich handeln. „Da<br />

orientieren wir uns an der Marktlage“, sagt<br />

Symrise-Manager Clemens Tenge, der<br />

den Titel „Global Competence Director“<br />

trägt und die Vanilleaktivitäten des Konzerns<br />

auf Madagaskar koordiniert. Trotzdem<br />

ist die Geschäftsbeziehung zu Toto-<br />

FOTOS: GIZ/GUY STUBBS, DDP IMAGES/PICTURE PRESS<br />

38 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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antsarika und den rund 7000 anderen<br />

Bauern, mit denen der Konzern kooperiert,<br />

eher unkonventionell. Die Bauern<br />

haben keine festen Lieferverträge und<br />

könnten auch einen anderen Abnehmer<br />

wählen. Symrise versucht aber, durch diverse<br />

freiwillige Hilfen und Sozialleistungen<br />

eine emotionale Bindung zu schaffen,<br />

damit die Bauern nicht so leicht auf die<br />

Idee kommen, ihre Schoten woanders loszuschlagen.<br />

80 Prozent der<br />

weltweit geernteten<br />

Vanille kommt aus<br />

Madagaskar<br />

KOOPERATION MIT DER REGIERUNG<br />

Dabei hilft dem Unternehmen ein Projekt<br />

der deutschen Bundesregierung, die versucht,<br />

in Madagaskar den aus dem Bauwesen<br />

bekannten Public-Private-Partnership-Gedanken<br />

auf die Entwicklungshilfe<br />

zu übertragen. Die Deutsche Gesellschaft<br />

für Internationale Zusammenarbeit (GIZ)<br />

ist mit Symrise und dem niederländischbritischen<br />

Konzern Unilever eine Kooperation<br />

eingegangen, um die Lebensbedingungen<br />

der Vanillebauern zu verbessern.<br />

Dazu zählen effizientere Anbaumethoden,<br />

eine finanzielle Unterstützung von<br />

46 Grundschulen der Region und der Aufbau<br />

von drei landwirtschaftlichen Berufsschulen.<br />

Das Programm läuft bis Ende<br />

2016, das Bundesministerium für wirtschaftliche<br />

Zusammenarbeit und Entwicklung<br />

übernimmt 680 000 Euro, Unilever<br />

steuert 400 000 Euro bei und Symrise<br />

303 000 Euro.<br />

Die Holzmindener spenden pro Kilo<br />

angekaufter Vanille einen Geldbetrag an<br />

die örtlichen Elternorganisationen für<br />

Schulbücher und bessere Lehrergehälter.<br />

In Notfällen gibt Symrise den Bauern zudem<br />

„Reiskredite“: Die Familien erhalten<br />

gratis Reis, den sie nach der nächsten Ernte<br />

mit Vanille bezahlen. Die wichtigste<br />

Maßnahme aber ist: GIZ, Unilever und<br />

Symrise haben zusammen mit einem einheimischen<br />

Versicherungsunternehmen<br />

und der NGO Planet Finance eine Krankenversicherung<br />

für die Bauern aufgebaut.<br />

„Viele können sich so erstmals überhaupt<br />

eine medizinische Behandlung<br />

leisten“, sagt GIZ-Landesdirektor Alan<br />

Walsch.<br />

Natürlich ist es nicht nur christliche<br />

Nächstenliebe, die die Unternehmen umtreibt:<br />

Sie sichern sich mit ihrem sozialen<br />

Engagement den Nachschub für einen begehrten<br />

Rohstoff. Die globale Nachfrage<br />

steigt beständig, die Anbaufläche ist begrenzt<br />

– und 80 Prozent der weltweit verkauften<br />

Vanille kommt aus Madagaskar.<br />

Das Problem: Anders als Reis, der<br />

mehrfach geerntet werden kann, reift die<br />

Vanille nur einmal im Jahr. Einen Großteil<br />

ihres Jahreseinkommens bekommen die<br />

Vanillefarmer daher an einem einzigen<br />

Tag ausgezahlt, wenn sie ihre frisch geernteten<br />

Schoten an einem von der Regierung<br />

festgelegten Markttag in der Küstenstadt<br />

Sambava anbieten. Wird das Haushaltsgeld<br />

vorher knapp, bleibt vielen Bauern<br />

oft nur ein Weg: Sie verkaufen halbreife<br />

„grüne“ Vanille an Zwischenhändler, oft<br />

zu einem Fünftel des später erzielbaren<br />

Preises. Die frühe Ernte senkt aber die<br />

Qualität, für Symrise ist der Rohstoff damit<br />

verloren – und den Bauern fehlt es<br />

später erst recht an Geld. „Wir haben daher<br />

ein Interesse an wohlhabenden Bauern“,<br />

sagt Symrise-Manager Tenge.<br />

„Wohlhabend“ ist zwar nicht gerade<br />

das, was Besuchern in Maroambiny als<br />

Erstes einfällt. Madagaskar zählt zu den<br />

ärmsten Staaten der Welt, 92 Prozent der<br />

22 Millionen Einwohner müssen von weniger<br />

als zwei Dollar pro Tag leben. Vanillebauern<br />

indes bringen es in guten Jahren<br />

auf das Vierfache.<br />

Und das Geschäft wird auch künftig<br />

weiterlaufen. Am 13. Oktober nimmt südlich<br />

von Sambava eine neue Symrise-Fabrik<br />

die Arbeit auf. Über eine Million Euro<br />

haben die Niedersachsen in Gebäude und<br />

Anlagen investiert. Auf dem 45 Hektar<br />

großen Betriebsgelände will das Unternehmen<br />

künftig 200 Tonnen Vanilleschoten<br />

pro Jahr zu Extrakt verarbeiten – doppelt<br />

so viel wie in seiner 150 Kilometer<br />

entfernten alten Produktionsstätte,<br />

die jetzt demontiert<br />

wird. Zur Eröff-<br />

»<br />

39<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

»<br />

nung reist Vorstandschef Heinz-Jürgen<br />

Bertram an, auch der deutsche Botschafter<br />

hat sich angesagt.<br />

Es ist ein durchaus mutiger Schritt, denn<br />

Symrise investiert in einer aus deutscher<br />

Sicht ökonomischen Diaspora. Dies liegt<br />

nicht allein daran, dass die neue Fabrik bisher<br />

nur über einen holprigen Feldweg zu erreichen<br />

ist und auf sandigem Untergrund<br />

im nordmadagassischen Niemandsland<br />

liegt. Es gibt auf der Insel kein weiteres deutsches<br />

Unternehmen und erst recht keine<br />

Außenhandelskammer, die Investoren beraten<br />

könnte. Die deutsche Botschaft, in anderen<br />

Staaten meist mit einen Wirtschaftsattaché<br />

versehen, besteht auf Madagaskar aus<br />

zwei Personen – dem Botschafter und seinem<br />

Stellvertreter. Nach einem Putsch 2009,<br />

der einen Discjockey an die Macht brachte<br />

und das Land ins Chaos stürzte, wurden die<br />

Kontakte auf ein Minimum reduziert. Erst<br />

nachdem im Januar ein neuer demokratisch<br />

92 Prozent der<br />

Einwohner leben<br />

von weniger als<br />

zwei Dollar pro Tag<br />

gewählter Präsident mit dem klangvollen<br />

Namen Hery Rajaonarimampianina sein<br />

Amt antrat, kommen die Kontakte mit der<br />

ehemaligen französischen Kolonie langsam<br />

wieder in Gang.<br />

Im Tagesgeschäft muss sich Symrise<br />

gleichwohl selber helfen. Die meisten Bauteile<br />

der neuen Fabrik etwa mussten aus<br />

Deutschland importiert werden. Ein großes<br />

Problem ist auch die Energieversorgung –<br />

es gibt in Sambava kein für industrielle<br />

Zwecke geeignetes Stromnetz und kein<br />

Kraftwerk weit und breit. „Wir haben daher<br />

improvisiert“, sagt Manager Tenge. Genauer:<br />

Die neue Fabrik wurde mit Dieselgeneratoren<br />

und einem mächtigen Holzofen bestückt.<br />

Viele Vanillebauern transportieren<br />

ihre Ware nämlich mit selbst gebastelten<br />

Bambusflößen den Fluss Lokoho hinunter.<br />

Bisher ließen sie die Flöße danach in den<br />

Indischen Ozean treiben. Künftig kauft ihnen<br />

Symrise die Flöße ab – und verfeuert<br />

das Holz anschließend im Fabrikofen.<br />

Wer mag, kann auch dies als Beitrag<br />

zu einer nachhaltigen Entwicklung verstehen.<br />

n<br />

bert.losse@wiwo.de<br />

BERLIN INTERN | Politiker streiten um Plastiktüten,<br />

Glühbirnen und Lebkuchen. Es geht um Nostalgie<br />

und Misstrauen gegen den Markt. Von Cordula Tutt<br />

Verbohrt bis verboten<br />

Oje, er hat sie weggeschmissen.<br />

Flott flatterte die Tüte in der Sylter<br />

Spätsommerbrise davon. So<br />

etwas bleibt hängen. Schleswig-<br />

Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig<br />

(SPD) mixte sich in beuliger Freizeitkluft<br />

erst den Eis-Cocktail und schüttete ihn<br />

dann übern Kopf, er sprang sogar kopfüber<br />

ins Meer. Es war aber die Eiswürfeltüte,<br />

für die es Kommentare hagelte.<br />

Gegner der Plastiktüte, Freunde der alten<br />

Glühbirne und Kämpfer gegen zu zeiti-<br />

Diesmal ohne Tüte Ministerpräsident<br />

Torsten Albig vor landestypischer Kulisse<br />

ges Weihnachtsgebäck zeigen dieser Tage,<br />

dass sie Themen setzen in einer Republik,<br />

die andere Probleme nicht hat oder verdrängt.<br />

Sie stehen für den Wunsch, dass<br />

das Leben doch bitte geordnet und übersichtlich<br />

sein soll. Es ist die Sehnsucht nach<br />

der guten alten Zeit – wann genau war die<br />

eigentlich? – oder einfach ein Misstrauen<br />

gegen den Markt und die Freiheit Einzelner.<br />

Vordergründig geht es um Umweltschutz,<br />

wenn Bundestagsabgeordnete wie<br />

Detlev Pilger (SPD) „ein EU-weites Verbot“<br />

für Plastiktüten fordern. Wenn Menschen<br />

wie auf dem stillgelegten Berliner Flughafen<br />

Tempelhof 30 000 Tüten zum Ausrufezeichen<br />

verketten. Die Grünen wollen seit<br />

2011 Plastiktüten am besten verbieten. 76<br />

nutzt jeder Durchschnittsdeutsche im Jahr.<br />

Ist ja auch nicht in Ordnung. Einmal gebraucht<br />

landet etliches Plastik auf Jahre im<br />

Grünen, im Gully oder im Meer. Doch besser<br />

wäre, Tütenfreunde zahlen zu lassen.<br />

Mindestens das, was es kostet, dass aus<br />

Beuteln in Büschen wieder eine saubere<br />

Sache wird. Klappt in Irland oder Kalifornien.<br />

Die „scandal bags“ (so nennt mancher<br />

auf Englisch die Knistertüten, weil deren<br />

Inhalt sichtbar bleibt) sind fast restlos<br />

fort, Stofftaschen wieder da.<br />

Die Sehnsucht nach Überschaubarkeit<br />

und ein klares Bild des Gegners treiben<br />

auch die Alternative für Deutschland (AfD)<br />

in den Verbraucherschutz. Überschaubar,<br />

das war früher. Gegner ist die EU. Die ist bürokratisch<br />

und reguliert zu viel in Deutschland.<br />

Parteichef Bernd Lucke lehnt sich<br />

dagegen öffentlich mit der Glühbirne auf –<br />

und verkauft sie gleich mit. 10er-Pakete für<br />

jeweils 9,99 Euro sind im AfD-Shop der<br />

Kassenschlager. Weil die Birnen Stromfresser<br />

sind, gilt seit 2009 ein EU-weites Verbot.<br />

Lagerbestände werden noch verhökert<br />

– etwa an die AfD. Anderswo liegen nur<br />

LED-Leuchten mit komplizierten Leuchtstärken,<br />

Wattzahlen und Spektralkurven im<br />

Regal.<br />

Dabei finden die meisten Energiesparen<br />

gut, schon weil’s Geld spart. Überzeugender<br />

als starre Verbote (und putzige Reaktionen<br />

der AfD) wäre auch hier: Lasst den<br />

Geldbeutel entscheiden. Effiziente Staubsauger<br />

und Autos könnten sich schon sichtbar<br />

im Laden besser rechnen als Energiefresser.<br />

Die lassen sich per Abgabe<br />

belasten. Solche Anreize würden die überflüssige<br />

Debatte um 1600-Watt-Sauger<br />

gleich mit wegputzen.<br />

Mündige Verbraucher entscheiden auch<br />

selbst, ob sie im September oder erst zum<br />

Glühwein im Advent einen Lebkuchen oder<br />

Stollen in den Mund nehmen wollen. Eine<br />

Umfrage ließ uns jetzt wissen, ein Drittel<br />

der Deutschen wünscht, der Verkauf der<br />

Weihnachtsspezereien solle erst im November<br />

beginnen. Was für Probleme.<br />

Toleranz? Nicht mal gesellschaftlich können<br />

sich die Grünen dazu gerade durchringen.<br />

Da geißelte die Bundestagsabgeordnete<br />

Sylvia Kotting-Uhl ein Dirndl der<br />

Parlamentarischen Staatssekretärin<br />

Dorothee Bär (CSU) als „rückständig“.<br />

Früher gönnten andere den Grünen ihre<br />

Turnschuhe und Rauschebärte nicht.<br />

FOTOS: WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, AGENTUR FOCUS/GÖTZ SCHLESER<br />

40 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Der Volkswirt<br />

KOMMENTAR | Statt einer Rezession<br />

droht Russland „nur“ Stagnation.<br />

Putin kann den Sanktionen trotzen.<br />

Von Florian Willershausen<br />

Stirb langsam<br />

Tief im Westen hat sich<br />

jemand übel verkalkuliert.<br />

Trotz scharfer<br />

Wirtschaftssanktionen,<br />

mit denen EU und USA die<br />

Russen zum Rückzug aus der<br />

Ukraine zwingen wollen, wächst<br />

deren Wirtschaft weiter. Die<br />

Weltbank hat nun ihre Wachstumsprognose<br />

für 2015 zwar<br />

merklich nach unten korrigiert<br />

– statt um 1,5 Prozent soll das<br />

Bruttoinlandsprodukt (BIP) nur<br />

noch um 0,3 Prozent zunehmen.<br />

Auch für 2016 steht nur<br />

ein Miniplus von 0,4 Prozent in<br />

den Prognosen. Zu wenig für<br />

ein Schwellenland, das bei Infrastruktur-<br />

und Anlageinvestitionen<br />

weit mehr aufzuholen<br />

hat als China oder Brasilien.<br />

HOHE DEVISENRESERVE<br />

Dennoch ist man im Westen enttäuscht:<br />

Ein Wachstum um die<br />

null Prozent bedeutet Stagnation,<br />

nicht aber Rezession. Es<br />

droht kein ökonomischer Notstand,<br />

der Kremlchef Wladimir<br />

Putin die Knie schlottern lässt<br />

und die Rückgabe der Krim oder<br />

ein Ende des Zündelns in der<br />

Ostukraine erzwingen würde.<br />

Kritischer als heute war die Lage<br />

Russlands in der Finanzkrise ab<br />

2008, als es mit dem BIP zeitweise<br />

um fast acht Prozent bergab<br />

ging (auch weil der Ölpreis<br />

im Keller war). Damals schaffte<br />

es der Kreml, die Krisenfolgen<br />

mit der Umverteilung von Haushaltsmitteln<br />

und Reserven kleinzuhalten<br />

– und diesmal dürfte<br />

ihm das erst recht gelingen.<br />

Denn der Ölpreis, Sanktionen<br />

hin oder her, rangiert einigermaßen<br />

stabil über 100 Dollar pro<br />

Barrel, derweil die Zentralbank<br />

Reserven in Höhe von 465 Milliarden<br />

Dollar hortet. Die ließen<br />

sich notfalls einsetzen, wenn<br />

Unternehmen in Schieflage geraten<br />

– etwa der hoch verschuldete<br />

staatliche Ölriese Rosneft,<br />

der den Staat mangels Zugang<br />

zu westlichem Kapital um gut 30<br />

Milliarden Euro anpumpte.<br />

Auf kurze Sicht werden die<br />

Sanktionen Putins Regime also<br />

nicht in den Kollaps treiben.<br />

Langfristig freilich ist das auf der<br />

bloßen Verteilung von Petromilliarden<br />

basierende Wirtschaftsmodell<br />

nicht lebensfähig. Putin<br />

duldet ein investitionsfeindliches<br />

Klima mit Rechtsunsicherheit<br />

und Korruption, das Neuinvestitionen<br />

abwürgt. In der Folge<br />

hinken die Russen dem Fortschritt<br />

im Rest der Welt hinterher<br />

– und keiner merkt so recht,<br />

wie Putins borniertes Herrschaftsmodell<br />

zum Grab für den<br />

Wohlstand im Lande wird.<br />

Putins Unberechenbarkeit<br />

und weniger die Sanktionen sind<br />

denn auch der Grund, weshalb<br />

die Weltbank auf Jahre ein Nullwachstum<br />

für Russland sieht:<br />

„Die politische Unsicherheit<br />

über den ökonomischen Kurs,<br />

den das Land einschlagen wird,<br />

wirft lange Schatten auf die mittelfristigen<br />

Aussichten Russlands“,<br />

heißt es in ihrem jüngsten<br />

Bericht.<br />

ZIELE VERFEHLT<br />

Indes war nie erklärtes Ziel der<br />

Sanktionsbefürworter, der<br />

russischen Volkswirtschaft zu<br />

schaden. Vielmehr zielen Teilembargos<br />

und Finanzmarktrestriktionen<br />

darauf, des Kremls<br />

kaschierten Angriff auf die Nachbarschaft<br />

zu stoppen. Doch prorussische<br />

Separatisten kontrollieren<br />

Teile des Landes, die Krim<br />

ist russisch – und der Westen<br />

muss sich langsam eingestehen,<br />

dass Sanktionen ihre Ziele verfehlen.<br />

NEW ECONOMICS<br />

Keine Deflation in Sicht<br />

Eine neue Studie zeigt: Die Angst vor einem<br />

dauerhaft sinkenden Preisniveau in der Währungsunion<br />

ist unbegründet.<br />

Kaum ein Tag vergeht, an dem<br />

nicht ein Notenbanker oder<br />

Bankanalyst davor warnt, die<br />

Währungsunion drohe in eine<br />

Phase mit sinkenden Preisen zu<br />

rutschen. Das Horrorszenario,<br />

dass die Deflationswarner beschwören,<br />

lautet etwa so: Die<br />

maue Konjunktur drücke die<br />

langfristigen Inflationserwartungen<br />

nach unten. Das treibe<br />

die erwarteten Realzinsen nach<br />

oben und bremse die Investitionen.<br />

Konjunktur und Preise<br />

gingen dadurch weiter auf Talfahrt.<br />

Im Gefolge der Deflation<br />

wachse die reale Schuldenlast<br />

der Bürger und Unternehmen,<br />

Masseninsolvenzen drohten.<br />

BLICK AUF JAPAN<br />

Doch nun entlarvt eine aktuelle<br />

Studie der Ökonomen Volker<br />

Wieland, Mitglied im Rat der<br />

fünf Wirtschaftsweisen, und<br />

Maik Wolters, Forscher am Institut<br />

für Weltwirtschaft (IfW) in<br />

Kiel, das Gerede von der Deflationsspirale<br />

als Panikmache.*<br />

Wieland und Wolters greifen bei<br />

ihrer Analyse auf das Konzept<br />

der Phillips-Kurve zurück. Diese<br />

beschreibt den Zusammenhang<br />

zwischen Inflation, gesamtwirtschaftlicher<br />

Aktivität und Inflationserwartungen.<br />

Unter Verweis<br />

auf empirische Studien argumentieren<br />

die Autoren, dass die<br />

Phillips-Kurve einen nicht linearen<br />

Verlauf aufweist. Das<br />

heißt:Der Einfluss der Konjunktur<br />

auf die Inflation variiert, je<br />

nachdem ob sich die Wirtschaft<br />

in einer Hoch- oder Niedriginflationsphase<br />

befindet. So neigen<br />

die Unternehmen in Hochinflationsphasen<br />

eher dazu, ihre<br />

Absatzpreise in Reaktion auf<br />

* Volker Wieland, Maik Wolters: Is there a<br />

Threat of Self-Reinforcing Deflation in<br />

the Euro-Area? A View through the Lens<br />

of the Phillips Curve, Kiel Policy Brief 79<br />

Schwankungen der Konjunktur<br />

zu ändern als in Niedriginflationsphasen.<br />

Ein Beispiel dafür<br />

ist Japan. Die Unternehmen<br />

dort haben ihre Preise Ende der<br />

Neunzigerjahre lediglich moderat<br />

gesenkt, obwohl die Konjunktur<br />

damals schlecht lief.<br />

Daher ist Japan eine Deflations-<br />

Rezessionsspirale erspart geblieben,<br />

die Preise sanken nur<br />

moderat. Ökonometrische Berechnungen<br />

für Japan zeigen,<br />

dass bei einem Absinken des Inflationstrends<br />

um ein Prozent<br />

der Einfluss der Konjunktur auf<br />

die Inflation um 0,06 Prozent<br />

sinkt. Übertragen auf die Euro-<br />

Zone bedeutet dies, dass in der<br />

aktuellen Niedriginflationsphase<br />

ein Rückgang der gesamtwirtschaftlichen<br />

Kapazitätsauslastung<br />

um ein Prozent die<br />

Teuerungsrate nur um 0,074<br />

Prozentpunkte drückt. „Eine<br />

sich selbst verstärkende Deflation<br />

ist daher sehr unwahrscheinlich“,<br />

urteilen die Autoren der<br />

Studie. Gegen eine Deflation<br />

spreche zudem, dass die Inflationserwartungen<br />

nach gängigen<br />

Messkonzepten deutlich über<br />

null Prozent lägen. Dazu komme,<br />

dass die jüngste Schwäche<br />

des Euro die Inflation nach oben<br />

treibe.<br />

malte.fischer@wiwo.de<br />

Noch nicht bei Null<br />

Inflationsrate in Deutschland und<br />

in der Euro-Zone in Prozent<br />

3,0<br />

2,5<br />

2,0<br />

1,5<br />

1,0<br />

0,5<br />

Deutschland<br />

Euro-Zone<br />

0 2012 2014<br />

Quelle: Eurostat, Destatis<br />

FOTO: JOHANN SEBASTIAN KOPP FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

42 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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KONJUNKTUR DEUTSCHLAND<br />

Gegenwind für die<br />

Exportwirtschaft<br />

Der alte Rekord fiel im vergangenen<br />

Juli: Erstmals knackte<br />

die deutsche Ausfuhrwirtschaft<br />

die 100-Milliarden-Euro-Marke<br />

beim Umsatz. Insgesamt<br />

nahmen die Exporteure stolze<br />

101 Milliarden Euro ein , das<br />

waren 8,5 Prozent mehr als im<br />

Vorjahresmonat.<br />

Ob es in den kommenden<br />

Monaten neue Spitzenwerte<br />

geben wird, ist allerdings fraglich.<br />

Denn die labile Konjunktur<br />

in der Euro-Zone sowie die<br />

politischen Krisen im Nahen<br />

Osten und in der Ukraine belasten<br />

zunehmend das Klima.<br />

Die Exporterwartungen der<br />

deutschen Unternehmen im<br />

verarbeitenden Gewerbe fielen<br />

im August von 7,6 auf 5,8 Saldenpunkte,<br />

vor allem weil deutsche<br />

Autobauer und Zulieferer<br />

deutlich schwächere Auslandsgeschäfte<br />

befürchten.<br />

Der <strong>vom</strong> Münchner ifo Institut<br />

exklusiv für die Wirtschafts-<br />

Woche erstellte Exportklimaindex<br />

ist im August sogar zum<br />

dritten Mal in Folge gesunken<br />

und erreicht nur noch 0,11 Saldenpunkte<br />

(siehe Grafik). Der<br />

Indikator bündelt den realen<br />

Außenwert des Euro – also die<br />

preisliche Wettbewerbsfähigkeit<br />

der Ausfuhrwirtschaft –<br />

sowie das Konsum- und Geschäftsklima<br />

auf unseren wichtigsten<br />

Absatzmärkten. Zwar<br />

legte im August die preisliche<br />

Aufwärtstrend beendet<br />

Exportklima und Ausfuhren<br />

0,25<br />

0,20<br />

0,15<br />

0,10<br />

0,05<br />

0<br />

–0,05<br />

–0,10<br />

–0,15<br />

–0,20<br />

–0,25<br />

Exporte (real,<br />

saisonbereinigt,<br />

Veränderung zum<br />

Vorjahr in Prozent)<br />

Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands<br />

gegenüber dem Vormonat<br />

deutlich zu: Der Euro wertete<br />

gegenüber dem Dollar um<br />

1,6 Prozent ab. Auf der anderen<br />

Seite jedoch brach das Unternehmens-<br />

und Verbrauchervertrauen<br />

in vielen Industriestaaten<br />

ein. Vor allem in Europa<br />

zeigen sich die Wirtschaftsakteure<br />

deutlich pessimistischer.<br />

In Italien etwa ging das<br />

Unternehmens- und Verbrauchervertrauen<br />

den dritten<br />

Monat in Folge zurück, auch<br />

Frankreich, die Niederlande,<br />

Griechenland, Polen und<br />

Tschechien meldeten ein Minus.<br />

Optimistischer beurteilten<br />

zuletzt hingegen US-Unternehmen<br />

die Zukunft.<br />

Exportklimaindikator<br />

1<br />

¹ Geschäfts- und Konsumklima auf den wichtigsten Absatzmärkten Deutschlands sowie<br />

realer Außenwert des Euro (Indexpunkte); Quelle: ifo<br />

bert.losse@wiwo.de<br />

2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014<br />

1,5<br />

1,0<br />

0,5<br />

0<br />

–0,5<br />

–1,0<br />

–1,5<br />

–2,0<br />

–2,5<br />

–3,0<br />

–3,5<br />

Geschäftsklima<br />

trübt sich ein<br />

Die Perspektiven für die deutsche<br />

Wirtschaft trüben sich<br />

weiter ein. Der Geschäftsklimaindex<br />

des Münchner ifo Instituts<br />

ist im September von<br />

106,3 auf 104,7 Zähler gefallen.<br />

Nach dem fünften Rückgang in<br />

Folge hat das viel beachtete<br />

Konjunkturbarometer nun den<br />

tiefsten Stand seit April 2013 erreicht.<br />

Analysten hatten zuvor<br />

ein deutlich geringeres Minus<br />

erwartet. Die rund 7000 befragten<br />

Unternehmen schätzten sowohl<br />

ihre aktuelle Lage als auch<br />

die Aussichten für die kommenden<br />

sechs Monate pessimistischer<br />

ein als noch im Monat<br />

zuvor.<br />

Das dürfte auch Folgen für<br />

das deutsche Wirtschaftswachstum<br />

haben. „Nach dem schwachen<br />

zweiten Quartal werden<br />

wir wahrscheinlich auch ein<br />

schwaches drittes Quartal haben“,<br />

sagt ifo-Konjunkturexperte<br />

Klaus Wohlrabe.<br />

Volkswirtschaftliche<br />

Gesamtrechnung<br />

Real. Bruttoinlandsprodukt<br />

Privater Konsum<br />

Staatskonsum<br />

Ausrüstungsinvestitionen<br />

Bauinvestitionen<br />

Sonstige Anlagen<br />

Ausfuhren<br />

Einfuhren<br />

Arbeitsmarkt,<br />

Produktion und Preise<br />

Industrieproduktion 1<br />

Auftragseingänge 1<br />

Einzelhandelsumsatz 1<br />

Exporte 2<br />

ifo-Geschäftsklimaindex<br />

Einkaufsmanagerindex<br />

GfK-Konsumklimaindex<br />

Verbraucherpreise 3<br />

Erzeugerpreise 3<br />

Importpreise 3<br />

Arbeitslosenzahl 4<br />

Offene Stellen 4<br />

Beschäftigte 4, 5<br />

2012 2013<br />

Durchschnitt<br />

0,4<br />

0,8<br />

1,0<br />

–4,0<br />

–1,4<br />

3,4<br />

3,2<br />

1,4<br />

2012 2013<br />

Durchschnitt<br />

–0,9<br />

–4,2<br />

0,1<br />

3,3<br />

105,0<br />

46,7<br />

5,9<br />

2,0<br />

1,6<br />

2,1<br />

2896<br />

478<br />

29355<br />

0,1<br />

0,9<br />

0,4<br />

–2,4<br />

–0,2<br />

3,0<br />

0,9<br />

1,5<br />

–0,2<br />

2,5<br />

0,2<br />

–0,2<br />

106,9<br />

50,6<br />

6,5<br />

1,5<br />

–0,1<br />

–2,5<br />

2950<br />

457<br />

29722<br />

II/13 III/13 IV/13 I/14 II/14<br />

Veränderung zum Vorquartal in Prozent<br />

0,8<br />

0,6<br />

0,0<br />

2,3<br />

3,0<br />

0,0<br />

1,4<br />

1,3<br />

Mai<br />

2014<br />

–1,6<br />

–1,7<br />

–0,2<br />

–1,1<br />

110,4<br />

52,3<br />

8,5<br />

0,9<br />

–0,8<br />

–2,1<br />

2904<br />

475<br />

30145<br />

1 Volumen, produzierendes Gewerbe, Veränderung zum Vormonat in Prozent; 2 nominal, Veränderung zum Vormonat in<br />

Prozent; 3 Veränderung zum Vorjahr in Prozent; 4 in Tausend, saisonbereinigt; 5 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte;<br />

alle Angaben bis auf Vorjahresvergleiche saisonbereinigt; Quelle: Thomson Reuters<br />

0,3<br />

0,7<br />

0,6<br />

–0,5<br />

1,8<br />

0,2<br />

0,7<br />

1,7<br />

Juni<br />

2014<br />

0,4<br />

–2,7<br />

1,0<br />

1,0<br />

109,7<br />

52,0<br />

8,6<br />

1,0<br />

–0,8<br />

–1,2<br />

2911<br />

483<br />

30234<br />

0,5<br />

–0,8<br />

–0,1<br />

2,1<br />

0,7<br />

0,2<br />

1,7<br />

0,7<br />

Juli<br />

2014<br />

1,9<br />

4,6<br />

–1,4<br />

4,7<br />

108,0<br />

52,4<br />

8,9<br />

0,8<br />

–0,8<br />

–1,7<br />

2900<br />

484<br />

–<br />

0,7<br />

0,8<br />

0,4<br />

2,1<br />

4,1<br />

1,2<br />

0,0<br />

0,5<br />

Aug.<br />

2014<br />

–<br />

–<br />

–<br />

–<br />

106,3<br />

51,4<br />

8,9<br />

0,8<br />

–<br />

–<br />

2901<br />

495<br />

–<br />

–0,2<br />

0,1<br />

0,1<br />

–0,4<br />

–4,2<br />

0,1<br />

0,9<br />

1,6<br />

Sept.<br />

2014<br />

–<br />

–<br />

–<br />

–<br />

104,7<br />

50,3<br />

8,6<br />

–<br />

–<br />

–<br />

–<br />

–<br />

–<br />

Letztes Quartal<br />

zum Vorjahr<br />

in Prozent<br />

0,8<br />

1,0<br />

1,0<br />

2,1<br />

0,7<br />

1,6<br />

2,5<br />

4,1<br />

Letzter Monat<br />

zum Vorjahr<br />

in Prozent<br />

2,6<br />

5,0<br />

1,0<br />

8,5<br />

–3,1<br />

–1,6<br />

22,9<br />

–<br />

–<br />

–<br />

–1,5<br />

9,5<br />

1,9<br />

WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 43<br />

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Der Volkswirt<br />

WARUM EIGENTLICH...<br />

...fördert menschliches Vertrauen das<br />

Wirtschaftswachstum?<br />

Kann zu viel Misstrauen schädlich sein? Kollegen im Meeting<br />

Wenn Konjunkturexperten an<br />

ihren Analysen feilen, schauen<br />

sie sich nicht nur harte Fakten<br />

an: Zum Instrumentenkasten<br />

gehören mittlerweile auch Indizes<br />

zum Verbraucher- und Unternehmervertrauen.<br />

Auch auf<br />

den Finanzmärkten spielt Vertrauen<br />

eine große Rolle und<br />

beschäftigt die Analysten. Der<br />

Datendienstleister Thomson<br />

Reuters gibt seit Kurzem einen<br />

„Trust-Index“ heraus, bei dem<br />

Forscher das Vertrauen in die<br />

Top 50 der globalen Finanzinstitutionen<br />

messen.<br />

Doch wie wirkt der Faktor<br />

Vertrauen konkret auf eine<br />

Volkswirtschaft? Der Ökonom<br />

Paul Whiteley von der Universität<br />

Essex hat drei Gründe identifiziert,<br />

warum interpersonelles<br />

Vertrauen das Wachstum fördern<br />

kann. Erstens: Vertrauen<br />

reduziert die Transaktionskosten.<br />

Für einen erfolgreichen Geschäftsabschluss<br />

müssen die<br />

beteiligten Unternehmen Anbahnungs-,<br />

Abwicklungs- und<br />

Kontrollkosten einkalkulieren,<br />

die umso höher ausfallen, desto<br />

suspekter einem der Partner ist.<br />

Zweitens hilft gegenseitiges<br />

Vertrauen, Probleme kollektiven<br />

Handelns wie das Trittbrettfah-<br />

MEHR ZUM THEMA<br />

Wie wichtig Kundenvertrauen<br />

für Hersteller<br />

ist lesen Sie auf Seite 88<br />

rerphänomen zu lösen. Dieses<br />

entsteht, wenn man <strong>vom</strong> Nutzen<br />

eines Gemeinschaftsguts profitiert,<br />

ohne eine Gegenleistung<br />

erbringen zu müssen. Mehr<br />

noch als bei Bereitstellungsproblemen<br />

rein öffentlicher Güter<br />

hilft Vertrauen bei Aneignungsproblemen<br />

sogenannter Allmendegüter.<br />

Hier kommt es zu<br />

einer Übernutzung von prinzipiell<br />

für alle zugänglichen Ressourcen<br />

oder Gütern.<br />

Interpersonelles<br />

Vertrauen kann<br />

in diesem Fall helfen,<br />

dass Personen<br />

auf individuelle<br />

Nutzenmaximierung verzichten<br />

und sogar Kosten in Kauf nehmen,<br />

um eine kollektive Lösung<br />

zu stabilisieren. Bestes Beispiel:<br />

die Überfischung der Meere. Es<br />

ist schwer, zu kontrollieren, ob<br />

einzelne Fischer mehr fangen,<br />

als sie gemäß einer Quote dürfen.<br />

Der behördliche Aufwand<br />

ist groß. Gäbe es genügend Vertrauen<br />

unter den Fischern, dass<br />

sich alle an ihre Fangmengen<br />

halten, würde sich das Problem<br />

von selbst lösen.<br />

Der dritte Grund für die<br />

wachstumsfördernde Wirkung<br />

von Vertrauen ist, dass sogenannte<br />

Prinzipal-Agent-Probleme<br />

in Ländern mit hohem<br />

Vertrauensniveau signifikant<br />

geringer sind. Arbeitgeber in<br />

den OECD-Ländern können<br />

sich zum Beispiel eher darauf<br />

verlassen, dass Arbeitnehmer<br />

ihre Arbeit ordentlich machen<br />

und zu ihren Arbeitsverträgen<br />

stehen. Dies ist ökonomisch relevant,<br />

weil eine ständige Kontrolle<br />

der Effektivität und Qualität<br />

der Mitarbeiter mit hohen<br />

Kosten verbunden wäre.<br />

Die Ökonomen Stephen<br />

Knack und Paul Zak haben zudem<br />

herausgefunden, dass die<br />

Qualität des Bildungssystems<br />

und der Abbau ökonomischer<br />

Ungleichheit das Vertrauen fördern.<br />

Die Wissenschaftler stellten<br />

fest, dass das Vertrauen in<br />

sozial und ökonomisch homogenen<br />

Gesellschaften höher ist<br />

und diese auch deshalb höhere<br />

Wachstumsraten aufweisen.<br />

Die Faustregel der Ökonomen:<br />

Steigt der Anteil der Menschen,<br />

die ihre Mitbürger<br />

generell für vertrauenswürdig<br />

halten,<br />

um 15 Prozent<br />

an, erhöht sich das<br />

Pro-Kopf-Wachstum<br />

um ein Prozent.<br />

Doch es gibt auch andere<br />

Auffassungen. In saturierten<br />

Volkswirtschaften mit hohem<br />

Vertrauensniveau kann ein weiterer<br />

Vertrauenszuwachs die<br />

wirtschaftliche Dynamik sogar<br />

bremsen, sagt der Ökonom<br />

Felix Roth von der Universität<br />

Göttingen. Gesellschaften mit<br />

sehr hohem Vertrauensniveau<br />

seien eher in der Lage, unbequeme<br />

Reformen zu blockieren.<br />

„Wenn Bürger sich untereinander<br />

mehr vertrauen,<br />

können sie sich eher zu einer<br />

sozialen Bewegung zusammen-<br />

schließen, um Reformbemühungen<br />

der Regierung zu verhindern“,<br />

sagt Roth. Anders sei<br />

dies bei Ländern mit geringem<br />

interpersonellen Vertrauen.<br />

Diese hätten einen signifikanten<br />

Wachstumsanstieg zu verzeichnen,<br />

wenn das Vertrauensniveau<br />

steigt. „Vertrauen stellt<br />

hier eine Art Substitut dar und<br />

wirkt sich vor allem in Systemen<br />

ohne effizientes Rechtssystem<br />

positiv auf das Wachstum aus,<br />

etwa in Entwicklungsländern.“<br />

LEGITIMITÄT GEFÄHRDET<br />

Wissenschaftler unterscheiden<br />

mehrere Formen von Vertrauen.<br />

„Interpersonelles Vertrauen beruht<br />

auf alltäglichen Interaktionen<br />

zwischen Menschen, die<br />

sich fremd sind. Systemisches<br />

Vertrauen beruht auf dem Vertrauen<br />

in Institutionen wie Regierung,<br />

Parlament, aber auch<br />

das Wirtschaftssystem“, sagt<br />

Roth. Er hat herausgefunden,<br />

dass die Finanz- und Euro-Krise<br />

zwar keinen europaweiten Abfall<br />

des Vertrauensniveaus erzeugte,<br />

es aber große Unterschiede zwischen<br />

den EU-Ländern gibt. So<br />

wies Deutschland Ende 2012 ein<br />

höheres systemisches Vertrauensniveau<br />

auf als vor der Krise.<br />

In Spanien, Griechenland,<br />

Portugal und Irland ist das Vertrauen<br />

in die nationalen und<br />

EU-Institutionen jedoch stark<br />

gesunken. Und das hat Folgen,<br />

meint Roth. „Geringes systemisches<br />

und institutionelles Vertrauen<br />

gefährdet die Legitimität<br />

der Institutionen und das Vorhaben<br />

der Staaten, ihre Haushalte<br />

zu sanieren.“ Er warnt:„Strukturreformen<br />

sind meist zum Scheitern<br />

verurteilt, wenn die Bevölkerung<br />

ihren Regierungen das<br />

Vertrauen entzieht.“<br />

nils heisterhagen | politik@wiwo.de<br />

FOTO: GETTY IMAGES<br />

44 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Der Volkswirt<br />

WELTWIRTSCHAFT Norwegen<br />

Ende eines Märchens<br />

Mit Öl haben es die Norweger zu Reichtum geschafft. Doch die Reserven<br />

schrumpfen – und in der Wirtschaft gibt es kaum Alternativen.<br />

In neonfarbener Arbeitskluft,<br />

mit weißem Helm und Sicherheitsbrille<br />

mischte sich<br />

Tord Lien unter die Arbeiter. Es<br />

war ein Termin nach seinem<br />

Geschmack:Auf dem Ölfeld<br />

Ekofisk in der norwegischen<br />

Nordsee eröffnete der Ölminister<br />

eine neue Bohrplattform. In<br />

seiner Rede wählte der Politiker<br />

der rechtspopulistischen Fortschrittspartei<br />

markige Worte:<br />

„Hier steht ein Grundpfeiler für<br />

den Aufstieg Norwegens zur<br />

Energienation.“<br />

Das war 2013. Ein Jahr später<br />

dürfte Lien ein wenig von seinem<br />

Optimismus verloren haben.<br />

Denn die Ölindustrie des<br />

Landes ist ins Schlingern geraten.<br />

In den ersten sieben Monaten<br />

des Jahres brachen die<br />

staatlichen Einnahmen aus der<br />

Petroleumsteuer um 20 Prozent<br />

im Vergleich zum Vorjahr ein.<br />

Bis Ende des Jahres sollen bis zu<br />

4,5 Milliarden Euro weniger an<br />

den Staat fließen als gedacht –<br />

wegen geringerer Produktion,<br />

aber auch wegen des sinkenden<br />

Ölpreises. Die Petroleumsteuer<br />

müssen alle Unternehmen zahlen,<br />

die Öl und Gas vor der norwegischen<br />

Küste fördern. Sie ist<br />

der größte Posten bei den norwegischen<br />

Staatseinnahmen –<br />

und ein Indikator für den Zustand<br />

der gesamten Branche.<br />

RESERVEN FÜR 9 JAHRE<br />

„Norwegen ist noch immer zu<br />

stark von der Ölbranche abhängig“,<br />

warnt Elisabeth Andrae,<br />

Ökonomin bei Commerzbank<br />

Research. Öl und Gas machten<br />

2013 knapp 60 Prozent aller Exporte<br />

aus. Eine nachhaltige Diversifizierung<br />

der Wirtschaft,<br />

von der Politik immer mal wieder<br />

angekündigt, ist bislang<br />

ausgeblieben.<br />

Die wichtigste Ölmesse des<br />

Landes (Offshore Northern Sea)<br />

stand in diesem Jahr zwar unter<br />

dem Motto „Change“. Doch der<br />

Ölminister möchte <strong>vom</strong> Wandel<br />

nicht viel wissen. Sein Credo:<br />

„Wir müssen unsere Ölproduktion<br />

erhöhen, um unseren<br />

Wohlfahrtsstaat zu finanzieren.“<br />

Liens Ziel ist es, die Produktion<br />

auf 90 Prozent des heutigen Niveaus<br />

zu halten. Doch wie soll<br />

das gehen? Seit 2000 ist die Ölproduktion<br />

stark rückläufig;<br />

jährlich wird heute nur noch<br />

die Hälfte aus dem Meeresboden<br />

vor der Küste geholt wie damals.<br />

Nach Analysen der US-<br />

Energiebehörde EIA liegen vor<br />

Noch guter Dinge Ölminister Tord Lien<br />

(rechts) beim Besuch einer Ölplattform<br />

Norwegen ist eines der reichsten<br />

Länder der Welt...<br />

BIP pro Kopf<br />

(in 1000 Dollar)<br />

1 Luxemburg<br />

2 Norwegen<br />

3 Katar<br />

4 Schweiz<br />

5 Australien<br />

6 Dänemark<br />

7 Schweden<br />

8 Singapur<br />

9 USA<br />

10 Kanada<br />

.<br />

18 Deutschland<br />

Quelle: IWF, BP<br />

110,4<br />

100,3<br />

100,2<br />

81,3<br />

64,9<br />

59,2<br />

57,9<br />

54,8<br />

53,1<br />

52,0<br />

45,0<br />

Norwegen nur noch 5,83 Milliarden<br />

Barrel Ölreserven, die<br />

sich nach heutigem Stand technisch<br />

und wirtschaftlich ausbeuten<br />

ließen. Bei der aktuellen<br />

Ausbeutungsgeschwindigkeit<br />

von knapp 1,8 Millionen Barrel<br />

pro Tag würde das nur noch für<br />

knapp neun Jahre reichen.<br />

Zwar hofft das norwegische<br />

Energieministerium auf weitere<br />

6,4 Milliarden Barrel in entdeckten<br />

Feldern. Allerdings<br />

sind diese Zahlen unsicher.<br />

Hinzu kommt:Einige der Quellen<br />

können in den nächsten<br />

Jahren kaum angezapft werden<br />

– aus Kostengründen. Vielversprechende<br />

Funde liegen in<br />

...doch die Quelle des Wohlstands<br />

ist in Gefahr<br />

Norwegische Ölproduktion pro Tag<br />

(in 1000 Barrel)<br />

3500<br />

3000<br />

2500<br />

2000<br />

1500<br />

2000<br />

2013<br />

arktischen Gewässern, etwa der<br />

Barentssee. Doch angesichts<br />

rückläufiger Weltmarktpreise<br />

und teurer Technologie ist ein<br />

Ausbau riskant. Im Juni kündigte<br />

der Konzern Statoil überraschend<br />

zwei Verträge mit Bohrplattformen.<br />

Ein mit Gazprom<br />

begonnenes Großprojekt in der<br />

Barentssee – das Gasfeld Stockmann<br />

– liegt seit 2011 auf Eis.<br />

Das norwegische Statistikamt<br />

rechnet für 2015 mit einem<br />

Rückgang der Investitionen in<br />

die Ölbranche um 7,5 Prozent.<br />

Manche Analysten befürchten<br />

sogar einen Einbruch um bis zu<br />

20 Prozent. Ein Grund dafür sei,<br />

dass einige Projekte bereits in<br />

der letzten Investitionsphase<br />

stünden, während neue Felder<br />

nicht so schnell erschlossen<br />

werden wie geplant.<br />

20 000 JOBS IN GEFAHR<br />

Im Februar verkündete Statoil<br />

Sparmaßnahmen in Höhe von<br />

knapp einer Milliarde Euro. Bis<br />

zu 1400 Stellen könnten wegfallen.<br />

Bjørn Asle Teige, Chef des<br />

Gewerkschaftsverbandes YS,<br />

fürchtet sogar noch größere<br />

Konsequenzen: „Vorsichtig geschätzt<br />

könnten bis zu 10 000<br />

Stellen verschwinden.“ Beziehe<br />

man alle Dienstleister ein,<br />

könnte die Branche um bis zu<br />

20 000 Stellen ärmer werden. In<br />

Norwegen arbeiten 250 000<br />

Menschen in der Ölindustrie.<br />

Dabei war es das Öl, das Norwegen<br />

zu einem der reichsten<br />

Länder der Welt gemacht hat.<br />

Das „Ölmärchen“, wie das prosperierende<br />

Zeitalter mit fossilen<br />

Brennstoffen in Norwegen genannt<br />

wird, begann Mitte der<br />

Siebzigerjahre, als große Funde<br />

ausländische Investoren anlockten.<br />

Durch den Ölboom<br />

stieg das Pro-Kopf-Einkommen<br />

von 3600 auf 72 200 Euro.<br />

Wirklich verarmen dürften<br />

die Nordländer daher auch bei<br />

einer anhaltenden Krise nicht:<br />

Der norwegische Staatsfonds,<br />

in den die Petroleumsteuer<br />

fließt, verwaltet immer noch<br />

rund 680 Milliarden Euro.<br />

matthias streit | politik@wiwo.de<br />

FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA/SCANPIX<br />

46 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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DENKFABRIK | Mit den angekündigten Käufen von kreditbesicherten Wertpapieren<br />

übernimmt die Europäische Zentralbank die Ausfallrisiken der Banken und überträgt<br />

sie auf die Steuerzahler. Damit überschreitet die EZB erneut ihr geldpolitisches Mandat.<br />

Die Bundesregierung ist verpflichtet, dagegen vorzugehen. Von Hans-Werner Sinn<br />

Mutation zur Bad Bank<br />

FOTOS: ROBERT BREMBECK FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, SIMONE M. NEUMANN<br />

Gegen den Protest der<br />

Bundesbank greift<br />

die Europäische Zentralbank<br />

(EZB) den<br />

Banken Südeuropas ein weiteres<br />

Mal unter die Arme. Sie<br />

will ihnen einen Teil ihrer toxischen<br />

Kreditforderungen<br />

gegen den privaten Sektor abnehmen,<br />

um sie für die Bankenunion<br />

fit zu machen. Dazu<br />

sollen die Banken ihre Kreditforderungen<br />

zu ABS-Papieren<br />

bündeln und an die EZB verkaufen.<br />

Am liebsten würde<br />

die EZB nur die besseren<br />

Tranchen dieser Papiere erwerben<br />

und der Europäischen<br />

Investitionsbank den Schrott<br />

überlassen. Da aber die Politik<br />

nicht mitmacht, wird sie sich<br />

die Hände selbst schmutzig<br />

machen müssen – und zur<br />

Bail-out-Behörde mutieren.<br />

DIE FINGER VERBRANNT<br />

Die EZB begann als eine Zentralbank,<br />

die Geldpolitik betreibt.<br />

Sie gewährte den nationalen<br />

Mitgliedszentralbanken<br />

das Recht, lokalen Geschäftsbanken<br />

gegen hohe Sicherheiten<br />

kurzfristig gerade so viel<br />

Geld zu leihen, wie als Transaktionsmittel<br />

in den jeweiligen<br />

Ländern benötigt wurde. Aber<br />

schon als im Jahr 2008 die Finanzkrise<br />

ausbrach, gewährte<br />

sie den Ländern Südeuropas<br />

und Irlands fiskalische Ersatzkredite<br />

für die wegbrechenden<br />

privaten Kredite, die aus dem<br />

Ausland gekommen waren. Sie<br />

erlaubte es den nationalen Notenbanken<br />

der sechs europäischen<br />

Krisenländer nicht nur,<br />

das Geld zu drucken und an die<br />

Banken zu verleihen, das für<br />

die Liquiditätsversorgung im Inneren<br />

benötigt wurde, sondern<br />

gab ihnen eine Druckerlaubnis<br />

für weitere 1000 Milliarden Euro<br />

(Target-Kredit). Damit konnten<br />

die Bürger dieser Länder ihre<br />

Auslandsschulden tilgen sowie<br />

ausländische Vermögenswerte<br />

und Güter erwerben.<br />

Dann wies der EZB-Rat die Notenbanken<br />

seiner Mitgliedsländer<br />

an, den Krisenstaaten für 223<br />

Milliarden Euro direkt Kredit zu<br />

gewähren (SMP-Programm), und<br />

gab ein unbegrenztes Schutzversprechen<br />

für deren Staatspapiere<br />

ab (OMT-Programm). Das<br />

senkte die Zinsen, zu denen sich<br />

die Krisenländer verschulden<br />

konnten, und setzte die Verschuldungslawine<br />

wieder in Gang.<br />

»Die Politik<br />

dürfte stillhalten<br />

und die Mandatsüberschreitung<br />

der EZB<br />

verharmlosen«<br />

Diese Maßnahmen dienten<br />

dem Bail-out, also der Rettung<br />

überschuldeter Banken und<br />

Staaten sowie ihrer internationalen<br />

Gläubiger. Sie lenkten aber<br />

auch neues Investitionskapital<br />

wieder dahin, wo es eigentlich<br />

nicht hinwollte, weil sich Investoren<br />

bereits die Finger verbrannt<br />

hatten.<br />

So umfassend die Maßnahmen<br />

waren, sie könnten sich gegenüber<br />

dem, was nun kommt, als<br />

zweitrangig erweisen. Die EZB<br />

betritt mit der direkten Kreditvergabe<br />

an den Privatsektor ein wesentlich<br />

größeres Feld als jemals<br />

zuvor. Dass der EZB-Präsident<br />

ankündigt, er wolle die EZB-Bilanz<br />

schon im ersten Schritt um<br />

eine Billion Euro erhöhen, zeigt,<br />

wohin die Reise geht.<br />

Viele private Kreditnehmer<br />

Südeuropas, allen voran Unternehmen<br />

der Bau- und Immobilienwirtschaft,<br />

stehen nach dem<br />

Platzen der Immobilienblase am<br />

Rande der Pleite. Mit ihnen tun<br />

es ihre Banken. Mit den ABS-<br />

Käufen werden die absehbaren<br />

Abschreibungsverluste der Banken<br />

sozialisiert – und es werden<br />

Risiken von vielen Hunderten von<br />

Milliarden Euro von den Gläubigern<br />

dieser Banken auf die Steuerzahler<br />

in der Euro-Zone übertragen.<br />

Die EZB mutiert, wie der<br />

Ex-Bundesbank-Präsident und<br />

jetzige UBS-Chef Axel Weber<br />

feststellt, zur Bad Bank.<br />

Die EZB begründet ihre ABS-<br />

Käufe mit einer angeblichen Deflationsgefahr.<br />

Doch angesichts<br />

einer immer noch vorhandenen,<br />

wenn auch schwachen Inflation<br />

(die Kerninflationsrate liegt bei<br />

0,9 Prozent), wirkt dieses Argument<br />

vorgeschoben. Im Übrigen<br />

ist die Deflation für Südeuropa<br />

keine Gefahr, sondern notwendige<br />

Voraussetzung für die Wiederherstellung<br />

der Wettbewerbsfähigkeit.<br />

Es geht in Wahrheit um<br />

eine fiskalische Rettungsmaßnahme,<br />

die in den Bereich der<br />

Wirtschaftspolitik gehört und<br />

der EZB nicht zusteht. Abermals<br />

überschreitet die EZB ihr<br />

Mandat, das dem Vertrag von<br />

Maastricht zufolge auf die<br />

Geldpolitik beschränkt ist und<br />

wirtschaftspolitische Maßnahmen<br />

explizit untersagt. Eine<br />

Mandatsüberschreitung hatte<br />

das Bundesverfassungsgericht<br />

bereits wegen des OMT-Programms<br />

konstatiert.<br />

VON MERKEL GEDECKT<br />

Doch wiederum dürfte die Politik<br />

stillhalten und die Mandatsüberschreitung<br />

dulden und öffentlich<br />

verharmlosen. Wie<br />

schon beim OMT-Programm<br />

werden die Regierungen der<br />

Euro-Zone der EZB sogar dankbar<br />

sein, dass sie sich nicht mit<br />

ihren knausrigen Parlamenten<br />

herumschlagen müssen. Das<br />

„whatever it takes“ hätte Mario<br />

Draghi nie gewagt, wenn er dafür<br />

im Juni 2012 nicht die Rückendeckung<br />

der Regierungschefs<br />

und speziell von Angela<br />

Merkel erhalten hätte. So jedenfalls<br />

die Aussage des ehemaligen<br />

italienischen Regierungschefs<br />

Mario Monti am<br />

18. September 2014 in Rom.<br />

Das Problem ist nur, dass das<br />

Verfassungsgericht der Bundesregierung<br />

im Februar ausdrücklich<br />

verboten hat, Mandatsüberschreitungen<br />

tatenlos<br />

zuzusehen, geschweige denn<br />

sie zu billigen. Sie ist vielmehr<br />

verpflichtet, dagegen vorzugehen.<br />

Tut sie es nicht, kann sie<br />

jeder Bürger vor dem Verfassungsgericht<br />

dazu zwingen.<br />

Hans-Werner Sinn ist Präsident<br />

des ifo Instituts und Ordinarius<br />

an der Ludwig-Maximilians-<br />

Universität in München.<br />

WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 47<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Wettlauf um die Claims<br />

FIRMENÜBERNAHMEN | Das Trauma der gescheiterten Fusionen in den USA ist passé.<br />

Deutsche Konzerne zahlen Spitzenpreise für Rekordakquisitionen in den Vereinigten<br />

Staaten, weil sie spät dran sind. Dafür sind sie besser vorbereitet als früher. Und<br />

Alternativen gibt es kaum, auch wenn es im Einzelfall noch kräftig knirschen dürfte.<br />

Das Wunderwerk hört auf das<br />

graue Kürzel LNGO und passt<br />

in einen Standardschiffscontainer.<br />

Doch die Maschine hat<br />

es in sich. Sie kann täglich<br />

mehr als 22 000 Liter Erdgas verflüssigen<br />

und so transportfähig machen. Zum Einsatz<br />

kommen soll sie auf den zahlreichen<br />

neuen Schiefergasfeldern in den USA, die<br />

nicht an Pipelines angeschlossen sind.<br />

Wenn die Anlage nicht mehr gebraucht<br />

wird, lässt sie sich ohne größeren Aufwand<br />

zum nächsten Bohrloch verfrachten.<br />

Zusammengeschraubt haben die Anlage<br />

Ingenieure des amerikanischen Unternehmens<br />

Dresser-Rand. Das hat noch weitere<br />

Maschinen im Angebot, die Erdgas fördern<br />

und transportieren. Seit die USA mithilfe<br />

von Wasser und umstrittenen Chemikalien<br />

immer mehr Öl und Gas aus tiefen Gesteinsschichten<br />

schwitzen, sind Anlagen<br />

aus dem texanischen Houston ein Renner.<br />

Das sollen sie künftig für Siemens werden.<br />

Nachdem der Münchner Technologiekonzern<br />

schon vor Jahren Interesse an<br />

Dresser-Rand bekundet hatte, schlug Konzernchef<br />

Joe Kaeser in der Nacht zum<br />

Montag vergangener Woche zu. Umgerechnet<br />

5,8 Milliarden Euro wollen die Bayern<br />

für die Übernahme lockermachen.<br />

Damit reiht sich Siemens ein in einen<br />

Aufkauf historischen Ausmaßes (siehe<br />

Grafik Seite 55). Innerhalb von nicht einmal<br />

zwei Wochen haben sich deutsche<br />

Konzerne US-Unternehmen für hohe Milliardenbeträge<br />

unter den Nagel gerissen.<br />

Neben Siemens jagten der Darmstädter<br />

Pharmakonzern Merck, der Autozulieferer<br />

ZF Friedrichshafen und der Softwareriese<br />

SAP den Wert deutscher Firmenübernahmen<br />

in den USA auf ein jährliches Allzeithoch<br />

von 69 Milliarden Dollar. US-Zeitungen<br />

von „Wall Street Journal“ bis „New York<br />

Times“ berichteten verwundert wie anerkennend<br />

über die „deutsche Shoppingtour“.<br />

Was wie ein lockerer Durchmarsch anmutet,<br />

ist vielfach teuer erkauft und birgt<br />

gewaltige Risiken. Wer sich in den USA engagiert,<br />

der betritt gefährliches Gelände.<br />

Das zeigten in der jüngeren Vergangenheit<br />

schauderhafte Fälle wie die misslungene<br />

Fusion von Daimler und Chrysler und der<br />

VOLLE ENERGIE<br />

Mit der Übernahme von Dresser-Rand will<br />

Siemens-Chef Joe Kaeser am Öl- und<br />

Gasboom in den USA mitverdienen. Dafür<br />

zahlt er einen extrem hohen Preis<br />

gescheiterte Angriff der Deutschen Post<br />

auf die US-Marktführer UPS und Fedex.<br />

Doch die Erinnerung an diese Niederlagen<br />

ist verblasst, die Lage deutlich anders<br />

als vor 10, 15 Jahren. Speisten sich Übernahmen<br />

damals vielfach aus Großmannssucht,<br />

gibt es heute für sie gute Gründe.<br />

Deutsche Unternehmen haben sich in den<br />

vergangenen Krisenjahren wackerer geschlagen<br />

als viele internationale Wettbewerber<br />

und reichlich Bargeld angehäuft,<br />

das sie nun sinnvoll einsetzen wollen. Die<br />

Zinsen sind historisch niedrig und wirken<br />

gleich doppelt: Zum einen fehlen den Unternehmen<br />

attraktive Möglichkeiten, gehortete<br />

Milliarden profitabel anzulegen,<br />

zum andern lassen sich Zukäufe so selten<br />

günstig finanzieren.<br />

WIEDER VERTRAUEN<br />

Dass der Blick da vor allem nach Amerika<br />

geht, ist nur konsequent. In Europa sind<br />

die konjunkturellen Aussichten für weiteres<br />

Wachstum begrenzt, größere Zukäufe<br />

verhindert zudem das strenge Kartellrecht.<br />

Die USA dagegen haben sich erholt und<br />

bieten nicht zuletzt dank niedriger Energiekosten<br />

und mäßiger Löhne auch Industrieunternehmen<br />

verlockende Perspektiven.<br />

Und anders als etwa asiatische<br />

Schwellenländer gelten sie als politisch<br />

und rechtlich verlässlich.<br />

Hinterhergeworfen bekommen die Unternehmen<br />

ihre US-Wunschkandidaten<br />

deswegen allerdings nicht. Denn das gute<br />

Übernahmeklima hat sich längst herumgesprochen<br />

und die Bewertungen der US-<br />

Unternehmen in die Höhe getrieben. Zudem<br />

macht der im Vergleich zum Dollar<br />

zuletzt gefallene Euro-Kurs Zukäufe für<br />

»<br />

FOTO: LAIF/WOLFGANG STAHR<br />

50 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Warum deutsche Konzerne<br />

jetzt in den USA zuschlagen<br />

• Stagnierender Absatz in Europa<br />

• Wachstum und Reindustrialisierung in den USA<br />

• Fallende Energiepreise durch Schiefergas und Öl<br />

• Volle Konzernkassen<br />

• Geringe Finanzierungskosten durch niedrige Zinsen<br />

Auf Allzeithoch<br />

Firmenkäufe deutscher Unternehmen in den USA<br />

(Volumen in Milliarden Dollar)<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

96 98 00 02 04 06 08 10 12 14<br />

WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 51<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»<br />

Gefährliches Gelände<br />

WAGNIS AMERIKA<br />

Fast zehn Milliarden Euro gibt ZF-Chef<br />

Stefan Sommer für den Kauf des<br />

US-Autozulieferers TRW aus. Die Produkte<br />

passen gut zusammen – die Kulturen auch?<br />

deutsche Unternehmen zusätzlich teuer.<br />

Die Preise, die Merck, Siemens und Co.<br />

bezahlen, gelten zumindest als sportlich.<br />

Letztlich gibt es für deutsche Konzerne<br />

aber kaum eine Alternative, wenn sie weiter<br />

international wachsen und in der Weltspitze<br />

mitmischen wollen.<br />

Der Übernahmeboom kommt spät, aber<br />

gewaltig. In den vergangenen Monaten<br />

hatten deutsche Konzernlenker Investmentbanker<br />

und andere Berater bisweilen<br />

an den Rand der Verzweiflung gebracht.<br />

Die konnten noch so sehr schwärmen, wie<br />

verlässlich sich das volkswirtschaftliche<br />

Umfeld stabilisiert habe und wie sehr die<br />

niedrigen Leitzinsen die Kredite für Firmenübernahmen<br />

verbilligt hätten. Die Unternehmenschefs<br />

blieben unbeeindruckt.<br />

Gab es ein attraktives Ziel, blockierten zudem<br />

die Aufsichtsräte die Milliarden. Zu<br />

groß war die Sorge, dass eine große Krise<br />

wie 2008 einen Strich durch optimistische<br />

Rechnungen machen könnte.<br />

So kam es, dass deutsche Unternehmen<br />

noch 2013 vergleichsweise läppische 19<br />

Milliarden Dollar für Firmen im Ausland<br />

ausgaben. Von der weltweit bewunderten<br />

Stärke der hiesigen Industrie war da nicht<br />

viel zu spüren. Im Gegenteil: Ausländische<br />

Käufer griffen in Deutschland zu. Die größte<br />

Transaktion 2013 war die Übernahme<br />

von Kabel Deutschland durch den britischen<br />

Mobilfunkkonzern Vodafone.<br />

Nun aber ist das Vertrauen in den Chefetagen<br />

und den Aufsichtsräten zurück.<br />

„Die Rahmenbedingungen für Akquisitionen<br />

sind schon seit über zwei Jahren günstig,<br />

aber deutsche Unternehmen waren zunächst<br />

sehr vorsichtig. Jetzt nutzen sie die<br />

Position der Stärke um sich Marktzugang<br />

und Marktanteile zu sichern“, sagt Ken Oliver<br />

Fritz, Co-Chef der Investmentbank Lazard<br />

in Deutschland. „Deutsche Unternehmen<br />

haben lange auch international auf<br />

organisches Wachstum gesetzt und ergänzen<br />

die Strategie jetzt durch Übernahmen.<br />

Auch die Kapitalmärkte honorieren<br />

Wachstumsschritte“, meint auch Berthold<br />

Fürst, Leiter des deutschen Geschäfts mit<br />

Fusionen und Übernahmen bei der Deutschen<br />

Bank.<br />

Dass die deutschen Konzernbosse dafür<br />

tief in die Kasse greifen, ist offenbar Teil des<br />

Kalküls. „Angesichts der niedrigen Basiszinsen<br />

sind Prämien für attraktive Zielunternehmen<br />

unvermeidlich“, sagt Banker<br />

Erfolge und Misserfolge deutscher Unternehmen bei der Übernahme<br />

amerikanischer Wettbewerber<br />

Übernahmen<br />

Daimler/Chrysler<br />

(1998)<br />

Deutsche Post/<br />

Airborne<br />

(2003)<br />

Lufthansa/JetBlue<br />

(2008)<br />

Adidas/Reebok<br />

(2005)<br />

Bertelsmann/Random<br />

House (1998)<br />

Aldi Nord/Trader<br />

Joe's (1978)<br />

Quelle: eigene Recherchen<br />

Ziel<br />

Aufbau des weltgrößten<br />

Autokonzerns<br />

Angriff auf UPS und Fedex<br />

in den USA<br />

Kooperation mit Service-<br />

Führer, mehr Unabhängigkeit<br />

Angriff auf Nike<br />

Einstieg in US-Markt<br />

US-Rivalen und Lidl zuvorkommen<br />

Folgen<br />

Trennung 2007, circa zehn<br />

Milliarden Euro Schaden<br />

Ausstieg aus US-Express-<br />

Geschäft, schätzungsweise rund<br />

zehn Milliarden Euro Schaden<br />

Erwartungen nicht erfüllt,<br />

Ausstieg 2017<br />

Quälend lange Sanierung,<br />

sinkende Konzernmarge<br />

Heute größter Buchkonzern<br />

der Welt<br />

US-Geschäft ist Wachstumstreiber<br />

für Aldi<br />

Fazit<br />

Fürst. „Viele Unternehmen verfügen schon<br />

lange über hohe Barreserven und stehen<br />

zunehmend unter Druck, diese sinnvoll<br />

einzusetzen“, sagt Alexander Doll, Co-Chef<br />

der britischen Bank Barclays in Deutschland.<br />

Verglichen mit Aktienrückkäufen<br />

und der Anlage des Geldes zum Minizins,<br />

ist die Übernahme eines Konkurrenten oft<br />

die sinnvollste Lösung.<br />

VERDAMMT HOCH<br />

Das gilt auch für Siemens. Der Konzern hat<br />

gut acht Milliarden Euro flüssig, drei Milliarden<br />

bringt der Verkauf seiner Beteiligung<br />

an der Hausgerätegruppe BSH an Bosch<br />

zusätzlich rein. Der Konzern steht vor einem<br />

Neuanfang, der Kauf von Dresser-<br />

Rand ist die wohl letzte Möglichkeit, am<br />

Boom der Schiefergas- und Ölförderung in<br />

den USA mitzuverdienen. Wenn die<br />

Münchner das wollten, dann müssten sie<br />

„unbedingt jetzt“ zuschlagen, sagt ein Unternehmensberater.<br />

„In maximal zwei Jahren<br />

sind die Claims verteilt, um eigene Kapazitäten<br />

aufzubauen und Technik zu entwickeln,<br />

fehlt die Zeit.“ Allerdings sei der<br />

Preis, mit dem Siemens den Schweizer Rivalen<br />

Sulzer deutlich überbot und dem US-<br />

Rivalen General Electric zuvorkam, „verdammt<br />

hoch“.<br />

Der aktuelle Kaufrausch hat aber nicht<br />

nur die Preisempfindlichkeit in deutschen<br />

Vorstandsetagen herabgesetzt. Auch andere<br />

dortige Gepflogenheiten haben ihren<br />

Schrecken verloren und gelten als kalkulierbares<br />

Risiko. „Die Unternehmen nehmen<br />

mit ihren Akquisitionen auch rechtliche<br />

Risiken in Kauf. Dazu zählen etwa das<br />

amerikanische Schadensersatzrecht mit<br />

seinen hohen Strafzahlungen und die<br />

komplexen Vorgaben der Börsenaufsicht<br />

SEC“, sagt Nikolaos Paschos, auf Übernahmen<br />

spezialisierter Anwalt bei der Kanzlei<br />

Linklaters in Düsseldorf.<br />

Auch Statistiken, nach denen die meisten<br />

Fusionen ihre Ziele nicht erreichen,<br />

hemmen den Drang nach Größe kaum.<br />

„Das Vorgehen bei Übernahmen hat sich<br />

in den vergangenen zehn Jahren deutlich<br />

professionalisiert“, sagt Matthias Rückriegel,<br />

Partner bei der Unternehmensberatung<br />

Roland Berger. Früher glaubten Vorstände<br />

noch, dass ihre Arbeit mit dem Abschluss<br />

des Kaufvertrages erledigt sei. Das<br />

hat sich geändert. „Viele haben heute mehr<br />

internationale Führungskräfte und stehen<br />

anderen Unternehmenskulturen offener<br />

gegenüber“, sagt Rückriegel.<br />

So hat der deutsche Softwarekonzern<br />

SAP längst ein zweites festes Quartier in<br />

»<br />

FOTO: DDP IMAGES/DAPD/DANIEL MAURER; INFOGRAFIK: STEFFEN MACKERT<br />

52 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Teuer, riskant, aber nötig<br />

Was die Großübernahmen deutscher Konzerne in den USA bringen<br />

Siemens (D)<br />

(Oil & Gas)<br />

Umsatz: 5,2 Mrd €<br />

Gewinn*: 433 Mio €<br />

Hauptprodukte:<br />

Turbinen, Kompressoren,<br />

Pumpen, Anlagen zur<br />

Öl- und Gasförderung<br />

$<br />

Übernahmepreis<br />

7,6<br />

Mrd.<br />

Dresser-Rand (USA)<br />

Umsatz: 2,3 Mrd €<br />

Gewinn*: 244 Mio €<br />

Hauptprodukte:<br />

Anlagen zur Förderung<br />

von Schiefergas und -öl<br />

sowie zur Gasverflüssigung;<br />

Ausrüstung für Raffinerien<br />

Logik: Siemens verschafft sich ein starkes Standbein<br />

im boomenden Geschäft mit der Förderung von Öl<br />

und Schiefergas in den USA.<br />

Chancen: Über Dresser-Rand kann Siemens künftig<br />

weitere Produkte wie etwa Automatisierungstechnik<br />

verkaufen.<br />

Risiken: Amortisation des hohen Kaufpreises<br />

Fazit: Ab 2016 rechnet Siemens mit einer weiter<br />

anziehenden Konjunktur in der Öl- und Gasförderung.<br />

SAP (D)<br />

Umsatz: 16,8 Mrd €<br />

Gewinn*: 4,5 Mrd €<br />

Hauptprodukte:<br />

Firmensoftware<br />

$<br />

Übernahmepreis<br />

8,3<br />

Mrd.<br />

Concur<br />

Technologies (USA)<br />

Umsatz: ca. 544 Mio €<br />

Verlust: 17,4 Mio. €<br />

Hauptprodukte:<br />

Software für Firmenreisen,<br />

Cloud Computing<br />

Logik: Stärkung des Geschäfts mit Cloud Computing.<br />

Chancen: Großes Wachstum der Geschäftsreise-<br />

Software im Cloud-Markt mit Concur als Marktführer.<br />

Risiken: Verschuldung verdoppelt sich, weniger<br />

Spielraum für weitere Zukäufe.<br />

Fazit: SAP erreicht neue Kunden im US-Markt, die<br />

sich auch für andere SAP-Produkte interessieren<br />

könnten.<br />

ZF<br />

Friedrichshafen (D)<br />

Umsatz: 16,8 Mrd €<br />

Gewinn*: 756 Mio €<br />

Hauptprodukte:<br />

Getriebe, Dämpfer,<br />

Fahrwerksysteme<br />

$<br />

Übernahmepreis<br />

13,5<br />

Mrd.<br />

TRW Automotive<br />

(USA)<br />

Umsatz: 12,7 Mrd €<br />

Gewinn*: 891,2 Mio €<br />

Hauptprodukte:<br />

Elektrische Lenkungen,<br />

ABS, Fahrerassistenzsysteme<br />

Logik: Anschluß an Bosch und Continental, stärkere<br />

Position gegenüber Autoherstellern, schließt technologische<br />

Lücken in der Elektronik, stärkere Präsenz in<br />

den USA und China.<br />

Chancen: Erweiterung der Produktpalette, stärker in<br />

regionalen Märkten wie den USA und China.<br />

Risiken: Unterschiedliche Firmenkulturen, Fusion<br />

bindet enorme Managementkapazitäten.<br />

Fazit: Erfolg hängt davon ab, wie schnell die künftige<br />

Unternehmensstruktur und neue Verantwortlichkeiten<br />

installiert werden.<br />

Bayer (D)<br />

Umsatz: 40,2 Mrd €<br />

Gewinn*: 4,9 Mrd €<br />

Bekannte Marken:<br />

Aspirin, Alka Seltzer,<br />

Rennie, Bepanthen<br />

$<br />

Übernahmepreis<br />

14,2<br />

Mrd.<br />

Merck & Co (USA)<br />

Umsatz (OTC): 1,4 Mrd €<br />

Gewinn**: 495 Mio €<br />

Bekannte Marken:<br />

Scholl (Fußpflege),<br />

Claritin (Allergiemittel)<br />

Logik: Ausbau des Geschäfts mit frei verkäuflichen<br />

Medikamenten.<br />

Chancen: Gute Ergänzung der Produktpalette,<br />

stabiles und margenstarkes Geschäft mit<br />

rezeptfreien Medikamenten.<br />

Risiken: Hoher Preis, dadurch wachsende<br />

Verschuldung.<br />

Fazit: Logischer Schritt auf dem Weg zur angepeilten<br />

Weltmarktführerschaft im Geschäft mit nicht<br />

verschreibungspflichtigen Präparaten.<br />

Merck (D)<br />

Umsatz: 10,7 Mrd €<br />

Gewinn*: 1,6 Mrd €<br />

Hauptprodukte:<br />

Medikamente, Flüssigkristalle,<br />

Chemikalien<br />

$<br />

Übernahmepreis<br />

17,0<br />

Mrd.<br />

Sigma-Aldrich (USA)<br />

Umsatz: 2,1 Mrd €<br />

Gewinn*: 515 Mio €<br />

Hauptprodukte:<br />

Laborausrüstung,<br />

Chemikalien<br />

Logik: Stärkung des Laborgeschäfts, Ergänzung zum<br />

2010 übernommenen US-Hersteller Millipore.<br />

Chancen: Einnahmen für Laborausstattung sind<br />

verlässlicher als Erträge aus dem riskanteren<br />

Pharmageschäft.<br />

Risiken: Netto-Finanzverschuldung dürfte von<br />

2 auf bis zu 15 Milliarden Euro explodieren.<br />

Fazit: Nach Rückschlägen bei neuen Medikamenten<br />

Aussicht auf ruhigeres Fahrwasser.<br />

* vor Zinsen und Steuern (Ebit); ** vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda); Quelle: Unternehmen, eigene Recherche<br />

WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 53<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»<br />

den USA. Der weltweit führende Anbieter<br />

für Unternehmenssoftware hat 8,3 Milliarden<br />

Dollar für das US-Unternehmen<br />

Concur ausgegeben – die bisher größte<br />

Übernahme der Firmengeschichte. Concur<br />

programmiert Software zur Buchung und<br />

Abrechnung von Reisen. Interessant ist das<br />

für SAP nicht so sehr deshalb, weil die USA<br />

weiter der mit Abstand größte Softwaremarkt<br />

sind, sondern vor allem weil sich die<br />

Vorgänge bei Concur komplett internetbasiert<br />

abspielen. Dort, in der sogenannten<br />

Cloud, sieht SAP-Chef Bill McDermott die<br />

Zukunft seines Unternehmens.<br />

KULTURELL RISKANT<br />

Seit 2007 hat SAP etliche Zukäufe in Milliardenhöhe<br />

gestemmt. Dabei erschienen<br />

auch die Preise für Unternehmen namens<br />

Successfactors und Ariba zunächst hoch.<br />

Inzwischen haben sich die Zukäufe aber<br />

als richtig und sogar relativ günstig erwiesen.<br />

Und die Nordbadener wissen nun, wie<br />

man große Brocken halbwegs reibungsund<br />

geräuschlos integriert. Zudem weilt<br />

Aufsichtsratschef und Konzernübervater<br />

Hasso Plattner einen großen Teil seiner<br />

Zeit in den USA, während der Amerikaner<br />

Wolke mit Aussicht<br />

SAP war schon vor dem Kauf von Concur<br />

teils amerikanisch, teils deutsch, mit<br />

Bill McDermott an der Konzern- und Hasso<br />

Plattner an der Aufsichtsratsspitze<br />

McDermott den Konzern <strong>vom</strong> beschaulichen<br />

badischen Walldorf aus steuert – eine<br />

beispiellose Konstellation.<br />

Auch für den Darmstädter Pharma- und<br />

Chemiekonzern Merck sind die USA kein<br />

vermintes Gelände mehr. Bereits 2010 hatte<br />

das Unternehmen zugeschlagen und für<br />

fünf Milliarden Euro den Laborausrüster<br />

Millipore übernommen. Verglichen mit<br />

dem aktuellen Zukauf, war das fast ein<br />

Klacks. Die Übernahme des US-Laborausrüsters<br />

Sigma Aldrich für umgerechnet 13<br />

Milliarden Euro ist der größten Zukauf in<br />

seiner fast 350-jährigen Geschichte. Merck<br />

will damit seine Stellung im weltweiten Geschäft<br />

mit Laborreagenzien und vor allem<br />

seine Marktposition in Nordamerika ausbauen.<br />

Dort erzielten die Darmstädter derzeit<br />

nur etwa 19 Prozent ihres Jahresumsatzes<br />

von etwa elf Milliarden Euro.<br />

Obwohl die USA mit Abstand der größte<br />

Markt sind, waren Übernahmen großer<br />

Pharmaunternehmen bisher die Ausnahme.<br />

Den Startschuss zum großen Sprung<br />

über den Teich gab im Frühjahr dieses Jahres<br />

Bayer-Chef Marijn Dekkers, indem er<br />

das Geschäft mit rezeptfreien Medikamenten<br />

<strong>vom</strong> US-Konzern Merck & Co. übernahm.<br />

Der hat nichts mit Merck in Darmstadt<br />

zu tun, besitzt aber bekannte Marken<br />

wie das Fußpflege-Label Scholl.<br />

Mit größerer Spannung als bei Siemens,<br />

SAP oder Merck werden Branchenkenner<br />

beobachten, wie sich der Getriebehersteller<br />

ZF mit seiner Erwerbung in den USA<br />

schlagen wird. Zwar gilt Experten die Elek-<br />

FOTO: LAIF/VU/NICK CUBBIN, PR (5)<br />

Kleiner, wendiger, schneller...<br />

Die künftigen neun Divisionen von Siemens und ihre Bedeutung für den Konzern nach der Übernahme von Dresser-Rand<br />

Divisionen:<br />

Produkte und<br />

Anwendungen:<br />

Angestrebte<br />

Marge<br />

(in Prozent):<br />

POWER AND GAS<br />

11–15<br />

Gasturbinen,<br />

Dampfturbinen,<br />

Energiegewinnung<br />

aus Schiefergas<br />

WIND POWER AND<br />

RENEWABLES<br />

5–8<br />

Windkraftanlagen<br />

ENERGY MANAGEMENT<br />

11–15<br />

Stromübertragung,<br />

Kraftwerkssteuerung,<br />

Transformatoren<br />

BUILDING<br />

TECHNOLOGIES<br />

8–11<br />

Gebäudesicherheit,<br />

Brandschutz,<br />

Gebäudeautomatisierung<br />

Zuständigkeit<br />

im Vorstand:<br />

Lisa Davis<br />

Lisa Davis<br />

Lisa Davis<br />

Roland Busch<br />

Divisionen:<br />

Produkte und<br />

Anwendungen:<br />

Angestrebte<br />

Marge<br />

(in Prozent):<br />

Zuständigkeit<br />

im Vorstand:<br />

DIGITAL FACTORY PROCESS INDUSTRIES<br />

FINANCIAL SERVICES MOBILITY<br />

AND DRIVES<br />

Software zur<br />

Steuerung von<br />

Fertigungsprozessen,<br />

Industrieroboter<br />

14–20 8–12 15–20 6–9<br />

Klaus Helmrich Klaus Helmrich Ralf Thomas<br />

Industrieautomatisierung<br />

Finanzdienstleistungen<br />

Hochgeschwindigkeitszüge,<br />

U-Bahnen,<br />

Straßenbahnen,<br />

Zugleitsysteme<br />

Roland Busch<br />

Quelle: Siemens<br />

54 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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tronik- und Digitalexpertise von TRW Automotive<br />

als „komplementär“ zur ZF-Produktpalette,<br />

der US-Zweig ergänzt also das<br />

bisherige Geschäft. Zudem schließt das<br />

Unternehmen aus Friedrichshafen am Bodensee<br />

sowohl bei der Größe als auch bei<br />

der Digitalisierung des Autos zu den<br />

Marktführern Bosch und Continental auf.<br />

Doch ob die zehn Milliarden Euro – die<br />

mit Abstand größte Übernahme in der fast<br />

100-jährigen Firmengeschichte – sich auszahlen,<br />

wird sich bei ZF und TRW auf dem<br />

Gebiet der Firmenkultur entscheiden. Mit<br />

einem Umsatz von fast 13 Milliarden Euro<br />

wenig kleiner, ist TRW ein börsennotiertes<br />

Unternehmen, das nach den Regeln und<br />

Erfordernissen des Kapitalmarktes tickt,<br />

während ZF als Stiftungsunternehmen<br />

agiert, mit Friedrichshafens Oberbürgermeister<br />

im Aufsichtsrat. Der Zusammenschluss<br />

sei deshalb „kulturell riskant“, sagt<br />

der Manager einer internationalen Unternehmensberatung.<br />

„Das wird knirschen.“<br />

Experten gehen davon aus, dass die<br />

Großübernahmen in den USA in naher Zukunft<br />

nicht die einzigen bleiben werden.<br />

Zwar werde der Boom nicht mit gleicher<br />

Intensität weitergehen. Da sich an den<br />

Weltweit auf Wachstumssuche<br />

Zukäufe deutscher Unternehmen im Ausland<br />

(Volumen in Mrd. US-Dollar)<br />

2007<br />

2008<br />

2009<br />

2010<br />

2011<br />

2012<br />

2013<br />

2014<br />

Quelle: Dealogic<br />

34<br />

37<br />

25<br />

43<br />

19<br />

62<br />

Rahmenbedingungen bis auf Weiteres wenig<br />

ändern dürfte, würde es aber immer<br />

wieder auch zu Mammuttransaktionen<br />

speziell in den USA kommen.<br />

Denn die Vereinigten Staaten durchleben<br />

gerade eine Reindustrialisierung, die<br />

sich zu einer Zeitenwende entwickeln<br />

dürfte. Seit 2010 kletterte die Zahl der US-<br />

Jobs in der industriellen Fertigung um<br />

rund 600 000 – Tendenz: weiter so. Von<br />

2015 werden die Gesamtkosten der Produktion<br />

in den USA laut einer Studie von<br />

Boston Consulting nicht mehr höher sein<br />

97<br />

165<br />

als in China. Die USA wären dann einer der<br />

günstigsten Produktionsstandorte der<br />

Welt. Die Lohnstückkosten in den USA<br />

sind seit 2000 nahezu unverändert, auch<br />

bei den Energiepreisen werden sie international<br />

kaum noch unterboten. Das Wachstum<br />

der Bevölkerung von derzeit 318 auf<br />

rund 400 Millionen Amerikaner im Jahr<br />

2050 dürfte zudem für einen ausreichenden<br />

Nachschub an Arbeitskräften sorgen.<br />

Aspiranten, die dies für Akquisitionen in<br />

den USA nutzen wollen, gibt es genug. Der<br />

Duisburger Standhandelskonzern Klöckner<br />

& Co hat die USA zum „Kernwachstumsmarkt“<br />

erklärt. Über 50 Standorte hat<br />

das Unternehmen in den USA bereits. Das<br />

ist Konzernchef Gisbert Rühl („Die USA<br />

sind der bessere Industriestandort“) nicht<br />

genug. „Wir schauen uns laufend Übernahmekandidaten<br />

in den USA an“, heißt es<br />

aus Rühls Umfeld.<br />

Das Trauma der „Heirat im Himmel“, wie<br />

Ex-Daimler-Chef Jürgen Schrempp 1998<br />

den Flop mit Chrysler pries, ist passé. Dafür<br />

suchen die deutschen Konzernchefs in<br />

den USA jetzt den Erfolg auf Erden. n<br />

cornelius.welp@wiwo.de | Frankfurt, michael kroker,<br />

jürgen salz, martin seiwert | New York, reinhold böhmer<br />

...und extravagant<br />

Eigenständig außerhalb der Konzernstruktur<br />

Division:<br />

Produkte und<br />

Anwendungen:<br />

Angestrebte<br />

Marge<br />

(in Prozent):<br />

Zuständigkeit<br />

im Vorstand:<br />

HEALTHCARE<br />

15–19<br />

Ultraschall,<br />

Computertomografen,<br />

Magnetresonanztomografen,<br />

Labordiagnostik<br />

Hermann Requardt<br />

Dass Siemens-Chef Joe Kaeser sich bei<br />

der Neuorganisation des zuletzt behäbigen<br />

Technologiekonzerns nicht mit kosmetischen<br />

Korrekturen begnügt, hat er wenige<br />

Tage vor Inkrafttreten der künftigen Organisation<br />

am 1. Oktober bewiesen. Zum einen<br />

griff er sich den amerikanischen Ausrüster<br />

der Öl- und Gasindustrie Dresser-Rand. Der<br />

soll zusammen mit der ebenfalls frisch erworbenen<br />

Gasturbinensparte von Rolls-<br />

Royce die künftige Division Power and Gas<br />

entscheidend stärken. Zum anderen überließ<br />

er die 50 Prozent an der BSH Bosch<br />

Siemens Hausgeräte GmbH dem bisherigen<br />

Partner Bosch und trennte sich damit endgültig<br />

von allen Konsumgütern.<br />

Eine „Operation an Haupt und Gliedern“<br />

nennt Kaeser den gravierendsten Konzernumbau<br />

in den vergangenen 25 Jahren.<br />

Neun statt zuvor vier Sektoren umfasst Siemens<br />

nun. Das Unternehmen soll dadurch<br />

flinker und weniger bürokratisch werden.<br />

Eine der großen Neuerungen ist die Aufgliederung<br />

der Energiesparte in drei Divisionen<br />

sowie die Verlagerung deren Zentrale in<br />

die USA unter der Amerikanerin Lisa Davis.<br />

Damit wird das Energiegeschäft in den Vereinigten<br />

Staaten, auf dem Heimat-Turf des US-<br />

Erzrivalen General Electric, eines der großen<br />

Siemens-Zukunftsfelder.<br />

Zum großen Gewinnbringer hat Kaeser die<br />

Digitalisierung der Industrie erkoren und das<br />

Geschäft in einer eigenen Division untergebracht.<br />

Im April verkündeten die Münchner<br />

eine Kooperation mit McAfee, dem amerikanischen<br />

Anbieter von Sicherheitssoftware.<br />

Eine Sonderrolle spielt künftig die Medizintechnik,<br />

die sich in den kommenden Jahren<br />

durch neue Verfahren und den Einsatz<br />

der IT radikal verändern dürfte. Um schnell<br />

reagieren zu können, befreit Kaeser das<br />

hoch lukrative Geschäft von den Konzernstrukturen<br />

und lässt die extravagante Division<br />

künftig ohne formalen Beschluss im<br />

Vorstand über Investitionen entscheiden.<br />

Auch einen Börsengang schließt Kaeser<br />

nicht aus.<br />

FORDERUNGEN ERFÜLLT<br />

Bei Analysten kommt das neue Geschäftstableau<br />

durchweg gut an. „Im Grunde<br />

macht er genau das, was wir immer gefordert<br />

haben“, sagt Wolfgang Donie von der<br />

Nord/LB. Bei den mehr als 360 000 Mitarbeitern<br />

dagegen herrscht große Verunsicherung.<br />

Insgesamt 11 600 Arbeitsplätze<br />

sind von der Neuorganisation betroffen,<br />

vor allem in der Verwaltung und im Management.<br />

Wie viele Stellen wegfallen, ist<br />

immer noch unklar.<br />

Trotzdem tragen die Arbeitnehmervertreter<br />

den Umbau im Grundsatz mit.<br />

„Wenn am Ende wirklich ein entscheidender<br />

Bürokratieabbau steht, unterstützen<br />

wir das“, sagt ein Gewerkschafter.<br />

matthias.kamp@wiwo.de | München<br />

WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 55<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»Wir sind zwar alt,<br />

aber auch modern«<br />

INTERVIEW | Kasper Rorsted Der Henkel-Chef will in Russland trotz<br />

der Ukraine-Krise weiter wachsen und setzt auf Digitalisierung.<br />

Herr Rorsted, vor rund einer Woche hat<br />

Henkel den US-amerikanischen Klebstoffspezialisten<br />

Bergquist mit einem Umsatz<br />

von rund 130 Millionen Euro übernommen<br />

– die vierte Akquisition binnen<br />

weniger Monate. Warum wieder nur etwas<br />

Kleines anstelle eines großen Coups?<br />

Wir haben allein im zweiten Quartal 2014<br />

Unternehmen im Gesamtwert von mehr als<br />

1,2 Milliarden Euro übernommen. Und jetzt<br />

kommt noch Bergquist hinzu. Das ist aus<br />

meiner Sicht eine beträchtliche Größenordnung.<br />

Bei Klebstoffen sind wir schon weltweit<br />

führend. Da kommt es für uns weniger<br />

auf Marktanteil oder Umsatzgröße an.<br />

Sondern?<br />

Mit Bergquist bekommen wir Zugang zu<br />

einer Technologie, die uns bisher weitgehend<br />

gefehlt hat – vereinfacht: Wärmedämmung<br />

durch Klebstoffe. Sie kennen ja<br />

das Phänomen, dass Smartphones oder<br />

Tablets bei längerem Surfen und Laden<br />

heiß werden. Genau dagegen bietet Bergquist<br />

Lösungen an und ist auf diesem Gebiet<br />

sogar Weltmarktführer. Mit den anderen<br />

Zukäufen haben wir unser Kerngeschäft<br />

bei Waschmitteln in Europa und im<br />

Friseurgeschäft in den USA gestärkt. Natürlich<br />

können wir uns vorstellen, in der Zukunft<br />

noch deutlich größere Zukäufe zu tätigen.<br />

Aber es muss dementsprechend etwas<br />

Passendes auf dem Markt sein.<br />

Müssen Sie nicht endlich mal wieder<br />

im Kosmetikgeschäft groß zuschlagen,<br />

in dem Henkel mit 3,5 Milliarden Euro<br />

Umsatz im Vergleich zu L’Oréal oder<br />

Beiersdorf mit Nivea recht klein ist.<br />

Was man von uns erwartet, ist, dass wir die<br />

Ziele erreichen, die wir uns von 2012 bis<br />

2016 gesteckt haben. Also beispielsweise<br />

den Konzernumsatz von heute gut 16 Milliarden<br />

auf 20 Milliarden zu steigern und dabei<br />

den Gewinn pro Aktie im Schnitt um<br />

zehn Prozent pro Jahr zu erhöhen. Als Vorstandsvorsitzender<br />

sollte man sehr vorsichtig<br />

sein, sein Handeln an den Wünschen<br />

Dritter auszurichten, auch wenn das<br />

Analysten oder Journalisten sind. Denn die<br />

können morgen oder übermorgen ihre<br />

Meinung einfach ändern. Aber so kann<br />

man kein Unternehmen führen.<br />

In Ihrem angesprochenen Vier-Jahres-<br />

Plan ist Russland eine der großen Wachstumssäulen<br />

und mit mehr als einer<br />

Milliarde Euro Umsatz schon heute der<br />

viertgrößte Markt für Henkel hinter<br />

den USA, Deutschland und China. Soll<br />

es mit Blick auf die Ukraine-Krise und<br />

die Sanktionen dabei bleiben?<br />

Ja, dabei wird es bleiben. Wir werden immer<br />

mit Krisen in unseren Märkten zu tun<br />

haben, gerade in den Schwellenländern.<br />

Das gilt ja auch für bestimmte Regionen im<br />

Nahen und Mittleren Osten. Wir sind seit<br />

1990 in Russland aktiv. Seitdem erleben wir<br />

dort die vierte Krise. Mit dem Risiko müssen<br />

wir kalkulieren. Wir bauen derzeit die<br />

neunte Fabrik in Russland,<br />

ein Klebstoffwerk in Novosibirsk,<br />

3000 Kilometer östlich<br />

von Moskau. Und es<br />

werden ganz bestimmt<br />

noch weitere Fabriken hinzukommen.<br />

Sie waren im Juni, ein<br />

Vierteljahr nach dem<br />

Anschluss der Krim an<br />

Russland, in Ihrer Zentrale<br />

in Moskau. Wie waren Ihre<br />

Eindrücke?<br />

Die Stimmung war schon zu<br />

diesem Zeitpunkt eingetrübt.<br />

Aber nach meinem<br />

Eindruck stand die Bevölkerung<br />

hinter Präsident Wladimir<br />

Putin. Das ist aber<br />

nun auch schon wieder drei<br />

Monate her. Ich stehe in<br />

ständigem Kontakt mit unserem Management<br />

in Russland und der Ukraine. Wir beschäftigen<br />

rund 1000 Mitarbeiter in der<br />

Ukraine und etwa 2500 in Russland. Die Sicherheit<br />

und Gesundheit unserer Mitarbeiter<br />

stehen für uns an erster Stelle. Dann<br />

erst schauen wir uns die Auswirkungen auf<br />

das Geschäft an.<br />

Gab oder gibt es denn konkrete Bedrohungen<br />

für Leib und Leben?<br />

DER DIGITALISIERER<br />

Rorsted, 52, war 2008<br />

der erste Henkel-Chef, der<br />

nicht aus Deutschland<br />

kam und dazu noch branchenfremd<br />

war. Der Däne<br />

startete nach dem Wirtschaftsstudium<br />

in Kopenhagen<br />

seine berufliche<br />

Laufbahn in der IT-Branche<br />

bei Oracle. Dann wechselte<br />

er zu Compaq und ging<br />

nach der Übernahme<br />

durch Hewlett-Packard<br />

(HP) zur neuen Mutterfirma.<br />

2005 wurde er von<br />

außen in die Geschäftsführung<br />

bei Henkel geholt.<br />

Im April 2008 übernahm<br />

Rorsted den Vorstandsvorsitz<br />

von Ulrich Lehner.<br />

Bisher nicht. Aber wir haben es unseren<br />

Mitarbeitern in der Ukraine ermöglicht,<br />

während der Unruhen auf dem Maidan<br />

nicht im Büro in Kiew, sondern von zu<br />

Hause aus zu arbeiten. In der Südostukraine<br />

haben wir keinen Standort, aber es wurde<br />

den dortigen Mitarbeitern im Vertrieb<br />

angeboten, die Region zu verlassen und<br />

von anderen Städten aus zu arbeiten.<br />

Welche Auswirkungen hat die Krise auf<br />

das Geschäft?<br />

Die Russland-Krise betrifft nicht nur Russland<br />

oder die Ukraine, sondern ganz Osteuropa.<br />

Hier sind zum einen die negativen<br />

Währungseinflüsse ein Thema. Unabhängig<br />

davon spüren wir aber auch organisch<br />

ein nachlassendes Wachstum in der gesamten<br />

Region. Dadurch wird sich in der<br />

zweiten Jahreshälfte das Gewinnwachstum<br />

im Konzern abschwächen.<br />

Dennoch weichen Sie kein Jota von Ihrer<br />

Jahresprognose ab, beim Umsatz organisch<br />

um drei bis fünf Prozent zu wachsen<br />

und die Gewinnmarge leicht auf 15,5<br />

Prozent zu steigern. Wie soll das gehen?<br />

Wir stehen weiter zu unseren Zielen für das<br />

laufende Jahr. Wir müssen eben mehr als<br />

früher zwischen langfristigen Strategien<br />

und kurzfristigen Anpassungen balancieren.<br />

Wenn der Umsatz nicht<br />

so wächst wie geplant, muss<br />

man eben die <strong>Ausgabe</strong>n anders<br />

steuern. So schauen<br />

wir uns jetzt natürlich noch<br />

intensiver an, wo wir kurzfristig<br />

die variablen Kosten<br />

reduzieren können...<br />

...und das heißt genau?<br />

Wir schauen uns alle Kosten<br />

an, <strong>vom</strong> Einkauf über Reiseund<br />

Werbekosten bis hin zu<br />

<strong>Ausgabe</strong>n für externe Beratung.<br />

Kürzungen bei den<br />

langfristigen Investitionen<br />

wird es nicht geben. Im Gegenteil:<br />

Wir werden in diesem<br />

Jahr zwischen 500 und<br />

550 Millionen Euro in Standorte<br />

und Infrastruktur investieren.<br />

Das ist so viel wie in<br />

keinem der anderen sechs Jahre, in denen<br />

ich die Verantwortung bei Henkel habe.<br />

Wird es denn Veränderungen bei der<br />

Belegschaft geben, etwa durch Kurzarbeit,<br />

Ausnutzung von Arbeitszeitkonten<br />

oder Vorruhestandsregelungen?<br />

Nichts davon ist geplant. Es gibt keine Abbauprogramme,<br />

eben weil wir uns frühzeitig<br />

auf die Veränderungen eingestellt haben.<br />

Wir haben 2012 ausdrücklich „schnelle<br />

»<br />

FOTO: FRANK BEER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

56 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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»Virtuelles Führen<br />

wird immer wichtiger<br />

und ist nicht<br />

einfach. Das muss<br />

gelernt werden«<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»<br />

Marktveränderung“ als Megatrend identifiziert<br />

und unsere Strategie bis 2016 darauf<br />

aufgebaut. Denn eines ist doch klar: Nach<br />

der Finanzkrise 2008 ist – außer vielleicht<br />

2011 – nie wieder wirklich Ruhe in Politik<br />

und Wirtschaft eingekehrt. Und so wird das<br />

wohl auch bleiben. Umso mehr müssen wir<br />

uns auf unsere Stärken konzentrieren und<br />

unser langfristiges Ziel, führend in Marken<br />

und Technologien sein. Das geht nur, wenn<br />

wir besser als die Wettbewerber sind.<br />

Das sagen alle Unternehmenschefs. Was<br />

wollen Sie konkret besser machen als Ihre<br />

Wettbewerber?<br />

Unsere Mitarbeiter, die Menschen, die die<br />

Produkte entwickeln und verkaufen, sind<br />

der entscheidende Faktor.<br />

... auch wieder was, das jeder Manager<br />

behaupten würde.<br />

Wir sagen das nicht nur, wir handeln auch<br />

danach. Wir haben beispielsweise ein Führungskräfteprogramm<br />

zusammen mit der<br />

amerikanischen Harvard Business School<br />

in Boston entwickelt, das alle unsere 150<br />

Top-Manager absolvieren.<br />

Was sollen Ihre Spitzenleute dort lernen?<br />

Ganz wichtig ist uns Führung. Nicht nur die<br />

Frage, wie führe ich Mitarbeiter, sondern<br />

auch, wie führe ich mich selbst. Nur mit<br />

besseren Führungskräften werden wir auch<br />

bessere Produkte auf den Markt bringen.<br />

Was müssen wir uns darunter vorstellen.<br />

Der Wandel, der sich in der Art der Kommunikation<br />

vollzieht, betrifft auch das<br />

Führungsverhalten. Ich sehe meine Kollegen<br />

aus dem Vorstand oder dem Top-<br />

Management persönlich nur sehr unregelmäßig.<br />

Und so geht es vielen Kollegen, die<br />

internationale Teams leiten. Das heißt,<br />

man muss virtuell führen, über E-Mails<br />

oder Videokonferenzen. Das wird immer<br />

wichtiger, ist zugleich aber überhaupt nicht<br />

einfach. Das muss gelernt werden.<br />

Was ist so schwierig daran?<br />

Um virtuell zu führen, muss ich meine Mitarbeiter<br />

persönlich kennen, auch wenn sie<br />

rund um den Globus verstreut sind. Und<br />

dabei gilt dann auch noch die Konzernsprache<br />

Englisch. Das heißt, der überwiegende<br />

Teil der Mitarbeiter spricht oder<br />

schreibt nicht in seiner Muttersprache. Nur<br />

wenn ich mein Gegenüber persönlich kenne,<br />

ist es nicht von Bedeutung, wenn eine<br />

Ambitionierter Fahrplan<br />

Die Ziele des Henkel-Konzerns bis 2016<br />

16,3<br />

20<br />

Konzernumsatz<br />

(in Milliarden<br />

Euro)<br />

7,2<br />

Umsatz in den<br />

Wachstumsmärkten<br />

2<br />

(in Milliarden Euro)<br />

2013 2016<br />

10 +10 +10 1<br />

Gewinn<br />

je Vorzugsaktie<br />

(in Prozent)<br />

1 durchschnittliches jährliches Wachstum 2013 bis 2016;<br />

2 z.B. Brasilien, China, Indien, Russland; Quelle: Henkel<br />

E-Mail nicht perfekt formuliert ist. Ich muss<br />

lernen, kein Wort auf die Goldwaage zu legen<br />

und dass nicht so entscheidend ist, wie<br />

etwas gesagt wird, sondern was. Das geht<br />

nur, wenn Sie zuvor Vertrauen geschaffen<br />

haben. Technologie ersetzt das niemals.<br />

Virtuelles Führen ist nur ein kleiner Ausschnitt<br />

aus einer großen Digitalisierungsoffensive,<br />

die Sie Henkel verordnet<br />

haben. Was haben Sie vor?<br />

Die Digitalisierung geht von den typischen<br />

IT-Themen wie der Vereinheitlichung von<br />

Prozessen und Daten über die Veränderungen<br />

in der Arbeitswelt wie durch virtuelles<br />

Führen. Hinzu kommt die Ausweitung<br />

der E-Commerce-Aktivitäten für unsere<br />

Industriekunden im Klebstoffgeschäft<br />

und natürlich die Interaktion mit den Endkunden<br />

bei Waschmitteln oder Kosmetik.<br />

Die Unternehmen, die am besten die Digitalisierung<br />

ausnutzen, werden einen deutlichen<br />

Vorteil im Wettbewerb haben.<br />

Heißt Interaktion mit dem Endkunden,<br />

dass Henkel in letzter Instanz selber Pril,<br />

Persil oder Schwarzkopf-Shampoo über<br />

das Internet verkaufen wird?<br />

Nein, das haben wir nicht vor. Wir suchen<br />

primär den Dialog mit dem Kunden, wir<br />

wollen ihm neue Produkte vorstellen und<br />

Tipps rund um das Produkt geben. Und wir<br />

hätten natürlich auch gerne ein Feedback<br />

von ihm. Dafür mussten wir früher viel<br />

mehr in Marktforschung investieren. Heute<br />

können wir uns hier Facebook oder<br />

Twitter zunutze machen.<br />

»Kürzungen bei den langfristigen<br />

Investitionen wird es nicht geben«<br />

Bedienen Sie sich dazu der Daten von<br />

Google oder Facebook?<br />

Im Moment machen wir das alles ohne Kooperation<br />

mit anderen Unternehmen und<br />

kaufen auch keine Daten. Natürlich muss<br />

man dazu Menschen im Unternehmen haben,<br />

die das Thema verstehen und umsetzen<br />

können. Die Teams bauen wir seit zwei<br />

Jahren aus unseren eigenen Reihen auf.<br />

Konzerne wie Bosch oder die Deutsche<br />

Telekom kooperieren bei der Digitalisierung<br />

ihres Geschäfts mit Start-ups aus<br />

diesem Metier oder kaufen sich diese<br />

sogar ein. Machen Sie das auch?<br />

Nein, das machen wir nicht. Wir bauen das<br />

in Eigenregie auf.<br />

Sie trauen einem fast 150-jährigen Urgestein<br />

wie Henkel tatsächlich zu, in den<br />

eigenen Reihen eine Start-up-Mentalität<br />

zu entwickeln?<br />

Wir sind zwar schon alt, aber wir sind auch<br />

modern. Wir können Mitarbeiter mit den<br />

entsprechenden Fähigkeiten und Interessen<br />

fördern und befördern. Das ist dann<br />

eben ein Stück weit Henkel-Kultur. Wir haben<br />

ein sechsköpfiges Digital-Council eingerichtet,<br />

das direkt an den Vorstand berichtet.<br />

Und meine Vorstandskollegen und<br />

ich fliegen im November für eine Woche<br />

nach Palo Alto in die US-Internet-Hochburg<br />

Silicon Valley und besuchen dort die<br />

maßgeblichen Unternehmen...<br />

...Sie als bekennender Facebook-<br />

Verweigerer?<br />

Stimmt. Privat mache ich einen großen Bogen<br />

darum. Ich stehe berufsbedingt schon<br />

genug in der Öffentlichkeit. Ein wenig Privatsphäre<br />

sollte schon bleiben.<br />

Wie weit ist die Digitalisierung bei Ihnen<br />

persönlich angekommen. Bestellen Sie<br />

sich, wenn Sie die Woche über fernab von<br />

Ihrer Familie leben, schon mal per<br />

Smartphone eine Pizza oder Sushi?<br />

Nein, Essen bestelle ich nicht online. Aber<br />

Bücher und Bekleidung vielfach schon.<br />

Auch Zeitungen und Zeitschriften lese ich<br />

fast nur noch digital. Und mit meinen beiden<br />

ältesten Söhnen, die seit Kurzem in Kalifornien<br />

studieren, kommuniziere ich über<br />

Facetime, der Videotelefonie von Apple.<br />

Verraten Sie uns Ihre drei Lieblings-Apps?<br />

Die Lufthansa-App, weil ich eben sehr viel<br />

fliege, den Nachrichten-Dienst WhatsApp,<br />

auch um mit den Kindern in Kontakt zu<br />

bleiben, und Herzrasen.<br />

Ist das eine Flirt-App für Top-Manager?<br />

(Lacht) Nein, meine Lieblings-Fußball-<br />

App, weil ich gerne über aktuelle Spiele<br />

und Spielstände informiert bin.<br />

n<br />

mario.brueck@wiwo.de, reinhold böhmer<br />

58 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Wahre Werte<br />

LUXUS | Deutsche Hersteller reagieren auf die sinkende Nachfrage<br />

in China, nachdem Peking die Hatz auf Korruption und Protz bei<br />

Parteikadern eröffnet hat – und bauen ihre Präsenz in Japan aus.<br />

Die Schmuckmanufaktur Wellendorff<br />

aus dem Badischen Pforzheim<br />

scheut keinen Aufwand. Wer in der<br />

Bar des Fünf-Sterne-Hotels Ritz-Carlton in<br />

Tokio einen Cocktail „Wellendorff“ genießt,<br />

erhält ein Champagnerglas, auf dessen<br />

Rand eine Mischung aus Goldstaub und<br />

Zucker schimmert. Dazu gibt es die eindrucksvolle<br />

Aussicht aus dem 45. Stock auf<br />

das Lichtermeer von Japans Hauptstadt.<br />

Mit dem kostenlosen Drink wirbt Wellendorff<br />

für die Schmuckboutique, die das<br />

Unternehmen Anfang Oktober im Erdgeschoss<br />

des Hotels offiziell eröffnet. Die Rin-<br />

ge aus der Wellendorff-Kollektion tragen<br />

den gleichen Namen wie die für den Cocktail<br />

verwendeten Zutaten Hibiskus, Lavendel<br />

und Vanille. „Mit kleinen, persönlichen<br />

Dingen wollen wir den großen Unterschied<br />

machen“, sagt der für Japan zuständige Geschäftsführer<br />

Peter Kesselmann.<br />

Die Ladeneröffnung durch Wellendorff<br />

in Japan markiert eine Trendwende für die<br />

deutschen Luxushersteller. Edle Autos,<br />

Kameras, Schreibgeräte oder Taschen<br />

made in Germany feiern gerade Verkaufsrekorde<br />

in Nippon. Die expansive Wirtschaftspolitik<br />

von Premierminister Shinzo<br />

Abe, auch Abenomics genannt, hat das Inselland<br />

aus seinem Dornröschenschlaf<br />

nach Finanzkrise und Tsunami-Katastrophe<br />

geweckt. Die Abwertung des Yen trieb<br />

die Firmengewinne nach oben, und der<br />

starke Anstieg der Aktienkurse fachte die<br />

Konsumfreude der Vermögenden im Inland<br />

an. Damit gehört Japan trotz rasch alternder<br />

Bevölkerung laut einer neuen Studie<br />

der Unternehmensberatung McKinsey<br />

aktuell zu den „gesündesten“ Luxusmärkten<br />

der Welt.<br />

LUXUSNATION JAPAN<br />

McKinsey-Konkurrent Bain erwartet beim<br />

Absatz von Nobelwaren in Japan deshalb<br />

in diesem Jahr ein währungsbereinigtes<br />

Plus von neun bis elf Prozent, so viel wie in<br />

keiner anderen Weltregion. Der Jahresauftakt<br />

verlief vielversprechend. In den Monaten<br />

vor der Erhöhung der Verbrauchsteuer<br />

im April konnten einige Marken ihren Umsatz<br />

mehr als verdoppeln, und die Absatzdelle<br />

danach ist schon überwunden. „Wir<br />

Pflicht zum<br />

eigenen Flagship-Store<br />

Leica verkauft<br />

Kameras in Japan<br />

mithilfe traditionell<br />

gekleideter<br />

Geishas<br />

FOTO: LEICA, WELLENDORFF<br />

60 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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haben in Japan ein Rekordjahr<br />

hingelegt“, sagt Jérôme Lambert,<br />

Chef der angeschlagenen<br />

Hamburger Edelmarke<br />

Montblanc, die zum<br />

Schweizer Luxusgüterimperium<br />

Richemont gehört. Nicht<br />

nur Schreibgeräte, auch die eigenen<br />

Uhren und Lederwaren<br />

entwickelten sich hervorragend.<br />

Die Inselnation leuchtet für die Luxusproduzenten<br />

umso heller, je klarer wird,<br />

dass beim Nachbarn China die Zeiten des<br />

rasanten Wachstums vorbei sind. 2011 war<br />

der Umsatz der Branche im Reich der Mitte<br />

noch um 20 Prozent nach oben geschossen.<br />

Die Konsumenten kauften schnell und<br />

zahlten hohe Preise. Doch seit seinem<br />

Machtantritt vor zwei Jahren greift Staatspräsident<br />

Xi Jinping gegen Korruption<br />

durch, um den Unmut im Volk über zur<br />

Schau gestellten Reichtum von Beamten<br />

und Kadern zu dämpfen.<br />

Staatsbedienstete müssen sich nun einschränken,<br />

um nicht in Ungnade bei der<br />

Parteiführung zu fallen: Sie müssen sich<br />

bei den offiziellen Gelagen zurückhalten,<br />

dürfen nicht mehr allzu üppige Geschenke<br />

annehmen und müssen auch auf Bestechungsgeld<br />

und die anschließenden Einkäufe<br />

in Luxustempeln verzichten. Dadurch<br />

ist der Absatz von Uhren aus der<br />

Schweiz, Bordeaux-Weinen und Cognac<br />

aus Frankreich sowie Mode aus Italien eingebrochen.<br />

Dior, Cartier und andere veranstalteten<br />

Sonderverkäufe für ausgewählte<br />

Kunden, um ihre Lager zu leeren. Daraufhin<br />

stagnierte der Luxusumsatz in China<br />

2013 inflationsbereinigt auf dem Niveau<br />

des Vorjahrs, 2014 verläuft bisher ähnlich.<br />

Kirschblüten in Gold gefasst<br />

Diesen Ring aus 18 Karat Gold hat Wellendorff<br />

zur Eröffnung der Boutique in Japan<br />

entworfen und verkauft ihn auch nur dort.<br />

Preis<br />

12 300 Euro<br />

SHOWROOM MIT SEELE<br />

Der unerwartete Tiefschlag erinnert die erfolgsverwöhnte<br />

Branche nun daran, dass<br />

Japan nach den USA weiterhin der weltgrößte<br />

Luxusmarkt ist. „Den japanischen<br />

Markt zu vernachlässigen wäre daher<br />

falsch, zumal wir weitere Potenziale sehen“,<br />

sagt Montblanc-Chef Lambert. Der<br />

japanische Kunde sei ein Connaisseur, der<br />

Sammlerstücke und Maßanfertigungen<br />

hoch schätze.<br />

Allerdings dürfen die Luxushersteller<br />

nicht hoffen, das ausbleibende Wachstum<br />

in China einfach in Japan wettmachen zu<br />

können. Denn dort läuft das Geschäft anders<br />

als im bevölkerungsreichsten Land<br />

der Welt. Zwar geben Nippons Konsumenten<br />

im Schnitt doppelt so viel Geld für Nobelprodukte<br />

aus wie ein Europäer und kaufen<br />

Teures auch schon in jüngeren Jahren.<br />

Doch so einfach wie die Chinesen lassen<br />

sich die Japaner nicht das Geld aus der Tasche<br />

ziehen, sondern verlangen von den<br />

Herstellern Einsatz.<br />

Ohne ein eigenes Flaggschiff-Geschäft in<br />

teurer Lage gibt es für internationale Anbieter<br />

keine Präsenz in Nobelkaufhäusern<br />

wie Mitsukoshi. Vorgemacht hat es Leica.<br />

Der letzte deutsche Kamerahersteller testete<br />

2006 den Aufbau eigener Geschäfte zuerst<br />

in Japan und exportierte das Konzept<br />

dann von Japan in die ganze Welt. Heute<br />

macht Leica in seinen je acht eigenen Boutiquen<br />

und Verkaufsstellen in Elektroniklä-<br />

»Die Konsumenten<br />

suchen besondere<br />

Erlebnisse«<br />

Kazunori Fuke, Japan-Chef Leica<br />

den in Japan zwei Drittel des Umsatzes. In<br />

einem reifen Markt wie Japan besäßen<br />

schon viele Menschen Luxuswaren, sagt<br />

der Leica-Landeschef Kazunori Fuke. „Für<br />

solche Konsumenten geht es nicht mehr<br />

um das Produkt selbst, sondern sie suchen<br />

beim Kaufen besondere Erlebnisse.“<br />

Leica inszeniert sich in Japan deshalb<br />

ähnlich aufwendig wie Schmuckproduzent<br />

Wellendorff. Das Unternehmen aus dem<br />

hessischen Wetzlar präsentiert seine Kameras<br />

in den Geschäften als Einzelstücke<br />

wie in einem Museum und dazu seine eigene<br />

Geschichte anhand historischer Modelle.<br />

Der Kamerahersteller will seinen<br />

Kunden so auch die Seele des Unternehmens<br />

näherbringen.<br />

Für die jüngste Filiale in der Altstadt<br />

der früheren Kaiserstadt<br />

Kyoto renovierten die Deutschen<br />

eigens ein über 100 Jahre<br />

altes Holzhaus. Bei Kursen<br />

der Leica-Akademie können<br />

die Kunden in einem professionellen<br />

Studio über dem Ladengeschäft<br />

die Vorzüge der Kameras<br />

selbst erfahren. Ein breiteres Sortiment soll<br />

über die anspruchsvollen Amateurfotografen<br />

hinaus Einsteiger und Frauen anlocken.<br />

„Es gibt noch viel Raum für Leica-<br />

Wachstum in Japan“, meint Landeschef Kazunori<br />

Fuke, der <strong>vom</strong> französischen Luxuskonzern<br />

Hermès kam, der knapp die Hälfte<br />

der japanischen Leica-Tochter besitzt.<br />

Auch Wellendorff will in Japan wachsen,<br />

indem das Unternehmen den Verkauf seines<br />

kostbaren Geschmeides selbst in die<br />

Hand nimmt. Bisher hatte der Familienbetrieb<br />

sich dazu eines japanischen Partners<br />

bedient. Die Marke wurde nicht beworben,<br />

da es nur kleine Stückzahlen gab.<br />

EDEL OHNE PROTZ<br />

Inzwischen seien die Konsumenten in Japan<br />

weniger markenfixiert und suchten<br />

ständig Neues und Hochwertiges, erklärt<br />

Christoph Wellendorff, der die Manufaktur<br />

mit seinem Bruder in vierter Generation<br />

leitet. Daher sei jetzt der richtige Zeitpunkt<br />

für eine eigene Niederlassung. „Die Japaner<br />

können besser als viele andere unsere<br />

Firmenkultur verstehen“, meint Wellendorff.<br />

Die „wahren Werte“ aus dem Firmenmotto<br />

wie Understatement, Perfektion,<br />

Handwerkskunst und Familie würden<br />

auch in Japan geschätzt und gelebt.<br />

In diesem Sinne schulen die Badener<br />

nun ihr Verkaufspersonal in Japan. „Die<br />

Kunden sollen zum Beispiel erfahren, dass<br />

neue Stücke nur ins Sortiment kommen,<br />

wenn sie von den Frauen der Familie Wellendorff<br />

persönlich getragen und für perfekt<br />

befunden wurden“, sagt Geschäftsführer<br />

Kesselmann. Die Tokioter Boutique<br />

zielt zudem auf ausländische Hotelgäste<br />

und damit auch auf Chinesen.<br />

Wegen der Moralkampagne und hoher<br />

Inlandspreise in ihrem Heimatland tätigen<br />

die 50 Millionen Luxuskonsumenten in<br />

China nämlich zwei Drittel dieser <strong>Ausgabe</strong>n<br />

im Ausland. Japan gehört zu ihren bevorzugten<br />

Zielen – ein Grund mehr, warum<br />

deutsche Luxushersteller dort ihre Präsenz<br />

ausbauen.<br />

n<br />

martin.fritz@wiwo.de | Tokio<br />

WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 61<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Weißer Elefant<br />

BOMBARDIER | Der kanadische Zug- und Flugzeugkonzern<br />

droht an den Problemen mit seiner neuen Passagiermaschine zu<br />

zerbrechen – ein Lehrstück in Selbstüberschätzung.<br />

Seinen Produktionshallen am Firmensitz<br />

in Dorval stattet Bombardier-Chef<br />

Pierre Beaudoin gerne einen<br />

Besuch ab. In den weißen Hangars<br />

zwischen den Startbahnen des internationalen<br />

Flughafens der kanadischen Metropole<br />

Montréal baut der Flugzeug- und Zughersteller<br />

die mindestens 50 Millionen<br />

Dollar teuren großen Maschinen des Typs<br />

Global. Mit denen können bis zu 16 Insassen<br />

wie Geschäftsreisende, vermögende<br />

Privatleute oder auch Regierungsbeamte<br />

bequem 10 000 Kilometer ohne Zwischenlandung<br />

fliegen. Die Mitarbeiter arbeiten<br />

hier rund um die Uhr in den sechs Fertigungsbuchten<br />

mit je zwei großen Privatjets.<br />

Während Ingenieure und Mechaniker<br />

Navigationssysteme installieren, prüfen<br />

hauseigene Designer das harmonische Zusammenspiel<br />

des extra flauschigen Teppichbodens<br />

aus reiner Schurwolle mit den<br />

Seidenvorhängen und dem rindslederbezogenen<br />

Toilettendeckel.<br />

„Ein tolles Geschäft“, freut sich Beaudoin,<br />

dessen Familie rund vier Prozent der<br />

Anteile des börsennotierten Konzerns hält.<br />

Die Nobelflieger bringen ihm nicht nur<br />

Prestige. Mit gut einem Viertel des Konzernumsatzes<br />

von gut 18 Milliarden US-<br />

Dollar und rund einem Drittel des operativen<br />

Gewinns von 900 Millionen sind die<br />

Jets die wichtigste Stütze seines Geschäfts.<br />

Weniger Freude machen Beaudoin seine<br />

Besuche in Mirabel, dem 40 Kilometer von<br />

Dorval entfernten zweiten großen Flughafen<br />

Montréals. Dort baut Bombardier seine<br />

Jets der neuen C-Serie für den Linienverkehr<br />

der großen Fluggesellschaften.<br />

Mit dem Flieger für bis zu 160 Passagiere<br />

droht der finanziell bislang grundsolide<br />

Konzern seine Zukunft zu verspielen.<br />

Denn beim Versuch, mit den in dieser Größenklasse<br />

dominierenden Herstellern Airbus<br />

und Boeing mitzuhalten, haben die<br />

Kanadier bisher nur eine von deren Unarten<br />

kopiert: Die Maschine kommt wegen<br />

technischer Pannen mindestens zwei Jahre<br />

später als geplant und beschert Beaudoin<br />

Mehrkosten von gut einer Milliarde Dollar.<br />

FLUG IN DIE MARKTLÜCKE<br />

Die Zahl der Bestellungen für die C-Serie<br />

blieb dabei weit unter den Erwartungen zurück.<br />

Investoren sehen den Wert des Fluggeschäfts<br />

für Bombardier praktisch bei null.<br />

„Ein Lehrstück in Selbstüberschätzung“,<br />

ätzt Analyst Richard Aboulafia von der auf<br />

die Flugbranche spezialisierten Denkfabrik<br />

Teal Group aus Fairfax im US-Staat Virginia.<br />

Den Ernst der Lage zeigt ein Blick auf die<br />

Finanzen. In den vergangenen drei Geschäftsjahren<br />

hat das Fluggeschäft über einen<br />

negativen Cash-Flow 2,5 Milliarden<br />

Dollar verbrannt. Allein im ersten Halbjahr<br />

2014 kostete das Abenteuer C-Serie weitere<br />

1,3 Milliarden Dollar. „Bombardier hat<br />

nicht das Rückgrat wie Boeing oder Airbus,<br />

um solche Herausforderungen abzufedern“,<br />

urteilt der unabhängige Branchenexperte<br />

Scott Hamilton aus Seattle im<br />

»<br />

Der Umstürzler<br />

Konzernchef und Erbe Pierre Beaudoin will<br />

das angeschlagene Fluggeschäft von Grund<br />

auf erneuern<br />

FOTO: ALEXI HOBBS<br />

62 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Bremsklotz Flug<br />

Geschäftszahlen des Bombardier-Konzerns<br />

Das Fluggeschäft verbrennt Geld...<br />

Transport (Bahntechnik)<br />

Umsatz 2013 (in Milliarden Dollar)............................ 8,8<br />

Gewinn (Ebit, in Millionen Dollar).............................505<br />

Service-Leistungen<br />

System- und<br />

Signaltechnik<br />

Luftfahrt<br />

Umsatz 2013 (in Milliarden Dollar)............................ 9,4<br />

Gewinn (Ebit, in Millionen Dollar)............................388*<br />

Geschäftsflieger<br />

Service-<br />

Leistungen<br />

Verkehrsflugzeuge<br />

13%<br />

Freier Cash-Flow<br />

Transport (in Millionen Dollar)..................................688<br />

Luftfahrt (in Millionen Dollar)..............................–1239<br />

...und lebt vor allem von den Privatjets<br />

Marktanteile Geschäftsflugzeuge<br />

(nach Umsatz in Prozent)<br />

38<br />

33<br />

17<br />

6<br />

5<br />

1<br />

19%<br />

Anderes<br />

8%<br />

20%<br />

18%<br />

Embraer<br />

Cessna<br />

Beechcraft<br />

Dassault<br />

* ohne Einmaleffekte; Quelle: Bombardier<br />

63%<br />

59%<br />

Züge<br />

Marktanteile Geschäftsflugzeuge<br />

(nach 2013 ausgelieferten Maschinen in Prozent)<br />

32<br />

25<br />

14<br />

14<br />

14<br />

1<br />

36<br />

31<br />

29<br />

4<br />

Beechcraft<br />

Sukhoi<br />

Dassault<br />

Embraer<br />

Cessna<br />

Gulfstream<br />

Bombardier<br />

Gulfstream<br />

Embraer<br />

Bombardier<br />

ATR<br />

Bombardier<br />

Marktanteile regionale Verkehrsflugzeuge 20 bis 99 Sitze<br />

(nach 2013 gelieferten Maschinen in Prozent)<br />

»<br />

US-Staat Washington. Analysten wie David<br />

Newman von Cormark Securities aus<br />

Toronto in Kanada wollen gar eine Aufspaltung<br />

des Konzerns nicht ausschließen:<br />

„Die aktuelle Umstrukturierung macht das<br />

im Falle eines Falles einfacher.“<br />

Dabei sollte die C-Serie eigentlich den<br />

Kanadiern ihr Stammgeschäft Flug sichern.<br />

Beaudoins Vater Robert, Schwiegersohn<br />

von Firmengründer Joseph-Armand<br />

Bombardier, hatte den Konzern zum drittgrößten<br />

Flugzeughersteller der Welt gemacht<br />

– mit gut 2000 ausgelieferten Fliegern<br />

in den vergangenen 25 Jahren.<br />

Er schloss eine Marktlücke: Weil trotz des<br />

Luftfahrtbooms der Neunzigerjahre in vielen<br />

Städten die damals üblichen Hundertsitzer-Jets<br />

halb leer blieben, nahm Beaudoin<br />

senior das größte<br />

Modell seiner Privatjets,<br />

füllte es statt mit wenigen<br />

noblen Leder-Fauteuils<br />

mit Airline-Sitzen<br />

und nannte es CRJ.<br />

Mit den auch als Regionaljets<br />

bekannten<br />

50-Sitzern konnten nun<br />

große Airlines wie Lufthansa<br />

auch kleinere Orte<br />

wie Paderborn an ihre<br />

Drehkreuze anbinden.<br />

Das funktionierte, bis 2008 der Spritpreis<br />

pro Tonne auf 1500 Dollar explodierte. Nun<br />

bestellten die Fluglinien bei Embraer aus<br />

Brasilien deren sparsamere und für Passagiere<br />

bequemere E-Jets.<br />

Die Probleme haben die Familie und der<br />

damalige zwischen den Beaudoins als CEO<br />

tätige Robert Brown zunächst eher ignoriert.<br />

Statt ein neues Modell anzubieten,<br />

versuchten es die Kanadier mit Ablegern<br />

und streckten ihren CRJ auf fast doppelte<br />

Größe. Doch Embraer zog bei den Verkaufszahlen<br />

vorbei.<br />

Als Beaudoin junior 2008 Konzernchef<br />

wurde, kündigte er ein neues Flugzeugmodell<br />

an. Mit bis zu 160 Sitzen war es größer<br />

als alle bisherigen Bombardier-Modelle<br />

und machte damit erstmals den Marktführern<br />

Airbus und Boeing Konkurrenz. Der<br />

C-Serien-Flieger sollte dank neuer Technologien<br />

und leichteren Materialien sparsamer<br />

fliegen. Dazu setzte Bombardier auf<br />

ein revolutionäres Triebwerk des US-Anbieters<br />

Pratt & Whitney, die das angeblich<br />

20 Prozent weniger Benzin verbrauchende<br />

Getriebe zusammen mit dem deutschen<br />

Partner MTU bauten.<br />

Dass sich Bombardier mit den Neuerungen<br />

übernehmen könnte, wies jeder im<br />

»Ich will in<br />

jede Entscheidung<br />

eingebunden<br />

sein«<br />

Management von sich. „Wir haben Erfahrung,<br />

weil wir jedes Jahr mindestens eine<br />

neue Maschine auf den Markt bringen“,<br />

gab sich der heutige Chef des Linienfliegerbaus<br />

Mike Acermone im Sommer 2013<br />

kurz vor dem geplanten Erstflug zuversichtlich<br />

und lobte vor allem das Testprogramm<br />

für das Flugzeug.<br />

Vier Tage später musste er den Erstflug<br />

verschieben, weil etwas mit der Software<br />

nicht stimmte. Als die drei Monate später<br />

funktionierte, startete der Flieger unter<br />

großem Jubel. Doch offenbar hatte Bombardier<br />

unterschätzt, wie viel komplexer<br />

das Testprogramm eines neuen Passagierjets<br />

im Vergleich zu Privatjets war. So hatte<br />

die Maschine im Mai 2014 nach einem<br />

Viertel der Testzeit mit 300 Flugstunden<br />

nur gut zehn Prozent<br />

des geplanten Pensums<br />

absolviert.<br />

Es folgte ein weiterer<br />

Rückschlag. Bei einem<br />

Test Ende Mai explodierte<br />

eines der als innovativ<br />

gepriesenen<br />

Triebwerke und beschädigte<br />

einen Flügel. Erst<br />

Anfang September nach<br />

einem größeren Umbau<br />

am Triebwerk flogen die<br />

ersten Maschinen wieder. Weil die Reparatur<br />

der Verbundwerkstoffe aber offenbar<br />

schwieriger war als gedacht, fliegt die bei<br />

der Explosion beschädigte Maschine bis<br />

heute nicht.<br />

Bombardier zog sich nach dem Vorfall<br />

zurück, statt bei Fluglinien und Öffentlichkeit<br />

um Vertrauen zu werben. „Das stärkt<br />

nicht gerade unser Vertrauen“, so ein führender<br />

Manager eines Kunden. Die Reaktion<br />

kam prompt. So wartet Bombardier<br />

nicht nur verzweifelt auf neue Aufträge<br />

und liegt mit derzeit gut 200 Bestellungen<br />

weit unter der bereits vor den jüngsten<br />

Pannen optimistischen Zahl von 300, ab<br />

der die Maschine Geld bringen soll.<br />

Auch die bestehenden Orders wackeln.<br />

Die ursprünglich als Erstbetreiberin eingeplante<br />

schwedische Fluggesellschaft Malmö<br />

Aviation verschob kürzlich ihre Auslieferungen,<br />

obwohl sie das ihre Vorzugskonditionen<br />

kosten dürfte. Dazu stammt ein<br />

Teil der Aufträge aus wirtschaftlich unsicheren<br />

Ländern wie dem Irak oder der<br />

Ukraine sowie von Russland, das von weiteren<br />

Sanktionen bedroht wird.<br />

Darum hat Konzernchef Beaudoin nun<br />

die Reißleine gezogen. „Ich will in jede Entscheidung<br />

direkt eingebunden werden“,<br />

Pierre Beaudoin, Konzernchef<br />

64 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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FOTOS: BOMBARDIER<br />

Die Hoffnungsträger<br />

Das Geschäft mit exklusiven Langstreckenflugzeugen<br />

wie dem Modell Global 6000<br />

ist hochprofitabel<br />

sagt er. Dafür hat er im Fluggeschäft die<br />

oberste Führungsebene gestrichen und<br />

sich Privatjets, Passagierflieger sowie die<br />

2015 neu hinzu kommende Sparte für den<br />

Bau von Flugzeugkomponenten inklusive<br />

Ingenieurservice direkt unterstellt.<br />

Transparenter, kundenorientierter und<br />

kosteneffizienter soll Bombardier dadurch<br />

werden. In der Herstellung ist allerdings<br />

Der Geldvernichter<br />

Die neuen Passagierjets der C-Serie kommen<br />

zwei Jahre später als geplant und sorgen<br />

für gut eine Milliarde Dollar Mehrkosten<br />

wenig Luft für Einsparungen: Flugzeugbau<br />

ist größtenteils Handarbeit. „Der Grad der<br />

Automatisierung ist ausgereizt“, räumt<br />

Beaudoin ein.<br />

Stattdessen will der Bombardier-Boss bis<br />

Jahresende weitere 1800 Jobs in der rund<br />

36 000 Mitarbeiter starken Flugzeugsparte<br />

streichen. „Alle hier sind verunsichert“,<br />

sagt Manager Frank Ricci aus der Fertigung<br />

der mittelgroßen Challenger-Privatjets.<br />

„Die jetzt angekündigten Stellenstreichungen<br />

werden bestimmt nicht die letzten<br />

sein.“<br />

Trotzdem sind viele Investoren nicht<br />

überzeugt, dass Beaudoins Umbau ausreicht.<br />

Sie empfehlen Beaudoin einen Blick<br />

auf die bisher bei der flugbegeisterten<br />

Eignerfamilie etwas stiefmütterlich behandelte<br />

Zugsparte. Dort hat seit Juni 2013 der<br />

frühere Chef der Airbus-Hubschraubersparte<br />

Lutz Bertling das Sagen. Der<br />

Deutsche hat 1000 Jobs gestrichen, Entscheidungsprozesse<br />

verschlankt und Entwicklungskosten<br />

aufgestockt. „Davon“, sagt<br />

Manash Goswami, Portfolio-Manager<br />

beim Bombardier-Aktionär First Asset<br />

Investment Management, „kann die Luftfahrtsparte<br />

einiges lernen.“<br />

Dass diese vor allem mehr Flieger verkauft,<br />

hofft Vermögensverwalter John<br />

Zechner, dessen JZechner Associates aus<br />

Toronto seine Bombardier-Aktien bereits<br />

im Februar abgestoßen hat. „Ohne neue<br />

Orders bleibt die C-Serie ein unnützer großer<br />

weißer Elefant.“<br />

n<br />

karin.finkenzeller@wiwo.de | Paris,<br />

ruediger kiani-kress<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Klinken putzen<br />

SERIE DIE TURNAROUNDER (IV) | Sky Deutschland-Chef Brian<br />

Sullivan ist auf dem besten Weg zu schaffen, was unmöglich<br />

schien: hierzulande mit Bezahlfernsehen Geld verdienen.<br />

Heute, knapp fünf Jahre nach dem bizarren<br />

Start, kann der 52-Jährige über den ersten<br />

Abend im neuen Unternehmen lachen.<br />

Denn seit seinem nächtlichen Amtsantritt<br />

wittert Sky Deutschland Morgenluft.<br />

3,8 Millionen Abonnenten meldete der<br />

Bezahlfernseh-Anbieter nach dem zweiten<br />

Quartal des Jahres, so viele wie nie zuvor.<br />

Mit 1,66 Milliarden Euro verzeichnet Sky,<br />

das seinen Berichtszeitraum zum 30. Juni<br />

umgestellt hat, pro forma seinen bislang<br />

höchsten Jahresumsatz, mit monatlichen<br />

Durchschnittserlösen von 34,52 Euro pro<br />

Abo den höchsten Wert und nicht zuletzt<br />

durch die Einführung von Zwei-Jahres-<br />

Abos die niedrigste Kündigungsrate.<br />

Unter dem Strich schreibt Sky mit einem<br />

Verlust von 151 Millionen Euro weiter tiefrote<br />

Zahlen. Dennoch sieht sich der Chef<br />

auf Kurs: „Wir arbeiten an unserem Turnaround<br />

und haben hoch gesteckte Ziele.<br />

Wir haben aber auch schon große Fortschritte<br />

gemacht und stehen heute sehr<br />

viel besser da als noch vor drei, vier Jahren.“<br />

Sollte Sullivan das Wunder von Unterföhring<br />

gelingen und Sky ein profitables<br />

Unternehmen werden – ihm wäre ein Platz<br />

in der deutschen Medienhistorie sicher.<br />

Denn bislang hat es noch kein Unternehmen<br />

geschafft, im hiesigen Pay-TV-Geschäft<br />

nachhaltig Geld zu verdienen.<br />

Weihnachtsfeiern können trübe Veranstaltungen<br />

sein, selbst in der<br />

angeblich so bunten Medienbranche.<br />

Da fliegt zum Beispiel ein rothaariger<br />

Amerikaner von London aus zu später<br />

Stunde im tiefsten Dezember gen München.<br />

Draußen tobt ein Sturm, das Flugzeug<br />

wackelt. Spät landet der Reisende und<br />

rast durch die Nacht in den Vorort Unterföhring,<br />

rein in ein Bürogebäude. Da stehen<br />

tatsächlich noch ein paar unentwegte<br />

Hanseln in einem schummrig beleuchteten<br />

Raum und ziehen das Ende einer Betriebsfeier,<br />

die um 22 Uhr vorbei sein sollte,<br />

noch ein wenig hinaus. Wein und Bier sind<br />

Zartes Pflänzchen<br />

Sky-Chef<br />

Sullivan hofft auf<br />

gute Ernte<br />

schon alle. Sie harren aus, damit der künftige<br />

Chef jetzt nicht ganz allein dasteht.<br />

Der steigt auf eine kleine Bühne, spricht<br />

ein paar Worte auf Englisch. „Und bald danach<br />

sind alle nach Hause gegangen“, sagt<br />

Brian Sullivan und grinst. „Wahrscheinlich<br />

gab es irgendwo anders eine bessere Party.“<br />

DIE TURNAROUNDER<br />

Die WirtschaftsWoche<br />

analysiert in loser Folge,<br />

wie die Chefs von<br />

Krisenunternehmen die<br />

Wende geschafft haben.<br />

HORRENDE KOSTEN<br />

Die Großen der Branche hatten es Mitte<br />

der Neunzigerjahre vehement und mit<br />

wachsender Verzweiflung probiert. Dann<br />

stieg erst der Gütersloher Medienriese Bertelsmann<br />

mangels Erfolg 1999 beim Bezahlkanal<br />

Premiere aus, den er gemeinsam<br />

mit dem Münchner Rechtehändler Leo<br />

Kirch und dem französischen Anbieter<br />

Canal+ betrieben hatte. Anschließend fusionierte<br />

Kirch Premiere mit seinem eigenen<br />

Konkurrenzangebot DF1 zu Premiere<br />

World – das von da an tonnenschwer am<br />

Hals des Fernsehpioniers hing und wegen<br />

chronischer Erfolglosigkeit und horrender<br />

Rechtekosten mit dazu beitrug, die Kirch-<br />

Gruppe mitsamt den Sendern ProSieben<br />

und Sat.1 2002 in die Pleite zu treiben.<br />

Rund sechs Milliarden Euro, heißt es in<br />

Branchenkreisen, habe der Versuch verschlungen,<br />

den deutschen Couch-Potatos<br />

das Glotzen gegen Extragebühr schmackhaft<br />

zu machen. Auch Rupert Murdoch,<br />

dessen New Yorker Medienkonzern 21<br />

Century Fox gerade dabei ist, seinen Sky-<br />

Deutschland-Anteil von knapp 57 Prozent<br />

an seine englische Beteiligung BSkyB zu<br />

verkaufen, um so einen europäischen<br />

»<br />

FOTO: LAIF/HANS-BERNHARD HUBER<br />

66 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Dickes Plus bei Abonnenten und Umsatz<br />

Die wichtigsten Kennziffern von Sky der vergangenen fünf Jahre seit dem Amtsantritt von Vorstandschef Sullivan im April 2010*<br />

Umsatz<br />

(in Millionen Euro)<br />

Ebitda<br />

(in Millionen Euro)<br />

Gewinn/Verlust<br />

(in Millionen Euro)<br />

Abonnenten<br />

(in Millionen)<br />

Umsatz/Abo<br />

(in Euro pro Monat)<br />

Abo-Kündigungsquote<br />

(in Prozent)<br />

2009/10 908,8<br />

–281,4<br />

–409,6<br />

2,476<br />

27,97<br />

20,1<br />

2010/11<br />

1052,3<br />

–235,1<br />

–369,1<br />

2,759<br />

30,39<br />

12,4<br />

2011/12<br />

1238,3<br />

–94,6<br />

–224,0<br />

3,132<br />

31,87<br />

11,5<br />

2012/13<br />

1427,5<br />

12,7<br />

–144,2<br />

3,453<br />

33,24<br />

12,0<br />

2013/14<br />

1655,3<br />

28,8<br />

–150,5<br />

3,813<br />

34,52<br />

10,1<br />

* Sky hat zum 1. Juli das Geschäftsjahr auf den Zeitraum Juli bis Juni geändert. Geschäftsjahre vor 2013/14 daher pro forma auf Grundlage aggregierter Quartalszahlen; Quelle: Sky<br />

»<br />

Pay-TV-Riesen zu schmieden, macht da<br />

bisher keine Ausnahme. Jahrelang schon<br />

mit Kirch in einem Boot, zahlte der australo-amerikanische<br />

Medienzar weiter drauf.<br />

Und jetzt schickt Murdoch einen unprätentiösen<br />

Amerikaner in etwas zu weit geschnittenen<br />

Anzügen, und der kriegt allem<br />

Anschein nach die Kurve, aus dem Milliardengrab<br />

doch einen Erfolg zu machen?<br />

Zwar haben Sky und Sullivan noch ein<br />

gutes Stück Weg vor sich. Doch Sonia<br />

Rabussier hält den Erfolg für möglich: „Sullivan<br />

ist dabei, den Turnaround bei Sky zu<br />

schaffen“, prophezeit die Commerzbank-<br />

Analystin. „Wenn es jemandem gelingt,<br />

Sky unterm Strich profitabel zu machen,<br />

dann ihm.“ Sullivan mag das schmeicheln.<br />

Doch offiziell hält er den Ball lieber flach:<br />

„Wir sind ein kleines Unternehmen, aber<br />

wir wachsen schnell. Noch erreichen wir<br />

gerade mal zehn Prozent der deutschen<br />

Haushalte; wir erwarten jedoch, dass diese<br />

Zahl deutlich steigen wird.“ Und längst hat<br />

er es sich abgewöhnt, wie seine zahlreichen<br />

Vorgänger von den Abo-Zahlen zu<br />

schwadronieren, die Sky brauche, um Gewinne<br />

zu erzielen. Er bleibt lieber vage.<br />

Sullivan will vor allem eines nicht einleuchten:<br />

In Großbritannien feiert BSkyB<br />

seit Jahren Erfolge. In Deutschland ist das<br />

Interesse an Medien groß und das an Technik<br />

nicht minder. Und da soll kein Platz<br />

sein für profitable Pay-TV-Anbieter?<br />

Knacken will Sullivan den Markt vor allem<br />

mit langem Atem. Er will erst einmal<br />

Reichweite schaffen und Kunden ködern.<br />

Klappt das und bleiben genug bei der<br />

Stange, folgen die Erträge von selbst, so die<br />

Hoffnung. Sky braucht Masse – weltweit<br />

gieren Medienkonzerne danach. Und auf<br />

dem Weg dahin, das zeigen die steigenden<br />

Abo-Zahlen, hat er ein besseres Händchen<br />

als seine Vorgänger, indem er just an den<br />

Stellschrauben fuhrwerkt, die am unglamourösesten<br />

sind: Kundenservice, neue<br />

Technik und Steigerung der Zahl der Vertriebspartner.<br />

„Im Pay-TV ist es einfach,<br />

kurzfristige Entscheidungen zu treffen, die<br />

am Ende aber weder für das Unternehmen<br />

noch für die Kunden von Vorteil sind“, sagt<br />

Sullivan. „Stattdessen muss man in Produkte,<br />

Programme und die Nutzer-Erfahrung<br />

investieren. Danach braucht es eben<br />

seine Zeit, bis die Kunden das wertschätzen<br />

lernen.“ Deshalb steckt Sky Geld in<br />

seine Kunden-Callcenter, die vorher einen<br />

miesen Ruf hatten, weil das Unternehmen<br />

lange das Sparbrötchen gab. „Heute gewinnen<br />

wir Preise für unser Kunden-<br />

Management“, sagt Sullivan.<br />

»Es braucht Zeit,<br />

ehe Kunden Investitionen<br />

wertschätzen<br />

lernen«<br />

Brian Sullivan, Sky-Chef<br />

Für alle Nutzer scheint das indes nicht zu<br />

gelten: Seit dem Anpfiff der laufenden<br />

Bundesliga-Saison Anfang August beschweren<br />

sich landesweit Kneipenbesitzer,<br />

denen Sky teils deftige Preiserhöhungen<br />

von mitunter mehr als 50 Prozent abverlangt.<br />

Viele haben bereits gekündigt.<br />

Intern setzte Sullivan von Beginn an Zeichen.<br />

Er treibt im Frühjahr 2010 seine Leute<br />

dazu an, eine Sky-App für Apples iPad zu<br />

programmieren, das im Sommer auf den<br />

Markt kommt. Bis zum Start des Tablets<br />

haben sie nur sechs Wochen Zeit. Sullivan<br />

will, das Sky Deutschland dabei ist. Fragt<br />

in die Runde beim großen, inzwischen<br />

abgeschafften 30-Mann-Wochenmeeting:<br />

Schaffen wir das? Erste Antwort:Es wird eine<br />

Menge Geld kosten und zweitens viel<br />

Zeit. Für Sullivan kein Hinderungsgrund:<br />

„Try it.“ Und wenn es nicht klappt? „It’s<br />

okay, try it“. Es klappt. „Auf diese Weise haben<br />

wir der Branche gezeigt, dass wir Neues<br />

entwickeln, statt an alten und überholten<br />

Technologien und Services festhalten<br />

zu wollen“, sagt Sullivan. Gleichzeitig massiert<br />

er das Ego der Mitarbeiter, denen jahrelang<br />

in den Ohren klang, sie säßen in einer<br />

Investitionsruine. Er treibt sie an zu zeigen,<br />

was sie draufhaben.<br />

Aus der App entwickelt Sky bald das Zusatzangebot<br />

Sky Go. Analystin Rabussier:<br />

„Das war der Gamechanger für Sky.“ Die<br />

Kunden sind seitdem am Bundesliga-<br />

Samstag nicht länger ans Wohnzimmer gefesselt<br />

und können den TV-Kick auf Tablet<br />

oder Laptop überall mit hinnehmen. Sullivan<br />

schätzt seine Kunden offenbar richtig<br />

ein, die Nachbarn, Verwandten, Freunden<br />

nur zu gern das Sky-Programm auf dem<br />

schicken neuen Gerät vorführen – für Sky<br />

ist das besser als teure Werbung.<br />

Sullivan führt weitere Technik-Neuerungen<br />

ein. So vervielfacht er die Zahl der Kanäle,<br />

die im hochauflösenden HD-Verfahren<br />

viel schärfere Fernsehbilder zeigen:<br />

„Damals hatten wir sieben HD-Kanäle, im<br />

Vergleich zu anderen Märkten war das verschwindend<br />

wenig.“ Heute sind es über 80.<br />

Schließlich begegnet Sullivan der Gefahr,<br />

dass Sky den wichtigsten TV-Trend<br />

der Dekade verpasst: Internet-Fernsehen<br />

68 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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FOTO: ACTION PRESS<br />

Teure Tore<br />

Sky zahlt der<br />

Bundesliga 486<br />

Millionen Euro<br />

auf Abruf. „Wir hatten keine Infrastruktur<br />

dafür, sondern nur lineare Sender, die nach<br />

einem starren Programmschema abliefen.“<br />

Also investiert er Geld, verschafft seinen<br />

Kunden die Möglichkeit, Spielfilme und<br />

Serien dann anzuschauen, wann sie es<br />

wollen – auch als Antwort auf neue Konkurrenten<br />

wie die US-Online-Videothek<br />

Netflix, die Mitte September in Deutschland<br />

startete (WirtschaftsWoche 38/2014).<br />

Zugleich sorgt er dafür, dass die Sky-Programme<br />

von immer mehr Kunden gesehen<br />

werden können. Seine Vorgänger hatten<br />

vermieden, bei Kabelnetzbetreibern Klinken<br />

zu putzen, einem der wichtigsten<br />

Transportwege für TV-Signale. Sullivan<br />

schließt Vertriebsallianzen mit Kabel<br />

Deutschland und Unity Media – und 2013<br />

mit der Telekom, was Sky einen Abo-Schub<br />

einträgt. „Das war ein Einmaleffekt“, sagt<br />

Analystin Rabussier. „Jetzt muss Sky beweisen,<br />

dass es auch aus eigener Kraft weiter<br />

Kunden hinzugewinnen kann.“<br />

KAMPF UM INHALTE<br />

Die Argumente für die Vertriebspartner liefern<br />

die Inhalte, vor allem die Fußballbundesliga.<br />

Entsprechenden Aufwand<br />

trieb Sullivan, um Sky 2012 die Übertragungsrechte<br />

aller 612 Spiele der ersten und<br />

der zweiten Liga zu sichern. Für das nötige<br />

Kleingeld – im Schnitt zahlt Sky der Liga bis<br />

Mitte 2017 pro Saison rund 486 Millionen<br />

Euro – bürgt Murdoch.<br />

Die bisherige US-Mutter ist es auch, die<br />

die Finanzierung des Deutschland-Ablegers<br />

auf langfristig sichere Füße stellt. Bis<br />

2018 ist Sky abgesichert und kann investieren,<br />

woran sich auch nach der geplanten<br />

Übernahme durch BSkyB nichts ändern<br />

dürfte. Sky, damit rechnen Beobachter,<br />

wird von der Allianz profitieren, der auch<br />

Sky Italia angehören soll.<br />

Gemeinsam könnten die Partner mehr<br />

eigene Filme und Serien produzieren lassen,<br />

an denen sie alle Rechte halten. Denn<br />

ob es auf Dauer ausreicht, die Streifen bei<br />

den Hollywoodstudios einzukaufen, die<br />

sich die gewünschte Exklusivität für die<br />

Ausstrahlungsrechte angesichts steigender<br />

Nachfrage immer teurer bezahlen lassen,<br />

daran zweifeln Branchenexperten.<br />

Der Kampf um diese Inhalte wird immer<br />

härter. So hält zwar ausgerechnet Sky auf<br />

Dauer die deutschen Erstausstrahlungsrechte<br />

an der US-Polit-Serie „House of<br />

Cards“, die der Konkurrent Netflix produzierte<br />

und die diesem reichlich Renommee<br />

verschaffte. Doch Netlix-Chef Reed Hastings<br />

kündigte bereits an, weiter kräftig in<br />

eigene Sendungen wie den Abenteuer-<br />

Streifen „Marco Polo“ zu investieren, die er<br />

exklusiv seinen Abonnenten zeigen will.<br />

Hastings kann Eigenproduktionen in mehr<br />

als 50 Ländern zeigen und profitiert von<br />

Skaleneffekten, die Sky so nicht hat.<br />

Voraussichtlich 2016 wird zudem die<br />

Deutsche Fußball-Liga erneut die Bundesliga-Rechte<br />

ausschreiben. Nicht nur Commerzbank-Expertin<br />

Rabussier hält es für<br />

möglich, dass Sky dann auch Konkurrenz<br />

durch völlig neue Mitspieler wie Google<br />

oder Amazon drohen: „Da kann es nicht<br />

schaden, mit BSkyB einen Verbündeten<br />

mit tieferen Taschen zu haben.“<br />

n<br />

peter.steinkirchner@wiwo.de<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Ostern und Weihnachten an einem Tag<br />

Henschel-Eigner Henke räumt auf<br />

Auferstanden<br />

HENSCHEL | Ein Ingenieur will die gefallene Ikone der deutschen<br />

Industrie wieder an die Weltspitze führen.<br />

kauft. Aber das Land Hessen verbürgte sich<br />

bei den Banken für den Jungunternehmer.<br />

Denn mit der Sparte erwarb Henke nicht<br />

nur Mitarbeiter, Maschinen und Marke,<br />

sondern auch Patente. Inzwischen hat er<br />

weitere angemeldet – auch auf seinen Namen.<br />

Manche Idee kommt ihm so spontan,<br />

dass er während einer Autofahrt schon mal<br />

an einer Raststätte anhält und auf einer<br />

Serviette eine grobe Skizze zeichnet.<br />

„Bei uns sind immer wieder individuelle<br />

Lösungen gefragt“, erklärt der Chef. Getriebe<br />

für unterschiedliche Züge, Getriebe für<br />

Bohrtürme, Getriebe für Bergwerke und<br />

für die Formel 1. Produziert wird nur in<br />

Deutschland. Denn für Henschel-Produkte<br />

made in Germany könne er 10 bis 15<br />

Prozent mehr verlangen als die ausländischen<br />

Konkurrenten, sagt Henke.<br />

Der Brief kam postwendend zurück.<br />

Das Kasseler Industrieunternehmen<br />

Henschel hatte die Annahme<br />

verweigert. „Zu wenig Porto“, sagt Absender<br />

Matthias Henke. Also fuhr er selbst<br />

nach Kassel und gab die Unterlagen persönlich<br />

ab. Er kam zwar nur bis zum Pförtner,<br />

wurde aber später von der Geschäftsleitung<br />

eingeladen und erhielt, was er begehrte:<br />

einen Job als Trainee. Das war 1991.<br />

Heute gehört ihm das Kasseler Werk.<br />

Henschel, das war einst Europas größter<br />

Hersteller von Lokomotiven sowie ein Produzent<br />

von Lastwagen und Bussen. Daran<br />

erinnert jetzt nur noch das Henschel-Museum.<br />

Henke will an die Tradition anknüpfen,<br />

zumindest ein bisschen: Das Unternehmen<br />

fertigt nun Getriebe für Lokomotiven.<br />

In dieser Nische, als Anbieter spezieller<br />

Antriebstechnik, soll es wieder zur Weltspitze<br />

aufsteigen. Plant Ingenieur Henke. Und<br />

geht dabei so unkonventionell und forsch<br />

vor wie bei seiner Bewerbung als Trainee.<br />

Dabei war Antriebstechnik nicht das Arbeitsfeld,<br />

das er sich erträumt hatte. Ursprünglich<br />

wollte der gebürtige Vorpommer<br />

Biologie studieren, Vögel beobachten.<br />

Doch für einen Platz an der Uni hätte er<br />

sich für drei Jahre bei der Volksarmee verpflichten<br />

müssen. Das lehnte Henke ab,<br />

wie er zuvor schon die Jugendweihe abgelehnt<br />

hatte. So ging er zur Reichsbahn, ließ<br />

sich zum Elektrotechniker ausbilden und<br />

studierte später Maschinenbau.<br />

Henke hadert nicht lange, er orientiert<br />

sich schnell um. Auch Unternehmer mochte<br />

er, sozialisiert im Sozialismus, zunächst<br />

nicht werden. Der hessische Kero Private<br />

Equity Fonds, damals Eigner von Henschel,<br />

musste ihn 2006 dazu drängen, zumal er<br />

nicht einmal genügend Geld besaß. So viel<br />

verdiente er, inzwischen Geschäftsführer,<br />

nicht, zudem hatte er gerade ein Haus ge-<br />

Lokomotive des<br />

Fortschritts<br />

» 1810 Georg Christian Carl Henschel<br />

gründet in Kassel eine Gießerei.<br />

» 1848 Das Unternehmen baut erstmals<br />

Lokomotiven, wird später Branchenführer<br />

in Europa. Von 1925 an produziert<br />

es auch Lkws und Busse.<br />

» 1957 Henschel steckt in die Krise,<br />

wird an Rheinstahl verkauft, danach an<br />

Thyssen. Die Sparten Lok und Auto<br />

werden später abgestoßen.<br />

» 2003 Kero erwirbt Henschel, filetiert<br />

die Firma und verkauft den Kern, die<br />

Antriebstechnik, 2006 an Henke.<br />

GRILLEN VOR DEM WERK<br />

Seine rund 200 Mitarbeiter mögen seine<br />

Art, obwohl er den Tarifvertrag gekündigt<br />

hat und sie deshalb schon auf zwei Lohnerhöhungen<br />

verzichten mussten. Aber wenn<br />

er durch die Werkhalle läuft, und er läuft oft<br />

durch, begrüßt er die Beschäftigten mit<br />

Handschlag und viele sogar mit Namen.<br />

Liegt ein Gerät oder eine Palette am falschen<br />

Platz, zitiert der Chef nicht den Arbeiter<br />

herbei, sondern packt selbst an. Als<br />

er im Juni seinen 50. Geburtstag feierte,<br />

warfen die Beschäftigten vor der Werkhalle<br />

den Grill an und schenkten ihrem Chef das<br />

Getriebe für einen ICE-Zug. „Da freute ich<br />

mich, als wären Ostern und Weihnachten<br />

auf einen Tag gefallen“, erinnert sich Henke.<br />

Überhaupt Getriebe: Für sie kann er sich<br />

so begeistern, wie Fußballfans für die Weltmeisterschaft<br />

der deutschen Elf. Beim Gang<br />

durch die Fabrik bleibt er an fast jedem größeren<br />

Getriebe stehen, lächelt und jongliert<br />

mit Begriffen wie Doppelschneckenextruder<br />

und Sphäroguss. 37,1 Millionen Euro<br />

Umsatz hat Henschel im letzten Jahr erwirtschaftet<br />

und eine, so Henke, „auskömmliche<br />

Rendite erzielt, aber nicht zweistellig“.<br />

Jetzt will er die Produktion ausweiten, allerdings<br />

in der alten Halle. Neue Maschinen<br />

hat er schon bestellt, knapp vier Millionen<br />

Euro investiert, erzählt er und läuft<br />

zum nächsten Getriebe. Sein Sakko hat er<br />

längst abgelegt. Bei seinem Tempo gerät er<br />

schon mal ins Schwitzen. Zum Ausgleich<br />

macht er, wovon er als Jugendlicher geträumt<br />

hat: Vögel beobachten.<br />

n<br />

hermann.olbermann@wiwo.de<br />

FOTO: PAAVO BLOFIELD/HENSCHEL, MAURITIUS IMAGES/ALAMY<br />

70 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Roter<br />

Teppich<br />

MOTORRÄDER | Seit der Finanzkrise<br />

hat sich der europäische<br />

Markt nicht mehr erholt.<br />

Anders in Asien: Dort beschert<br />

der neue Wohlstand deutschen<br />

Herstellern zweistellige<br />

Zuwachsraten.<br />

Einer der größten Bewunderer der<br />

Feuerstühle mit der markanten Farbe<br />

steht seit Kurzem an der Spitze der<br />

thailändischen Regierung. „Ich liebe die<br />

roten Motorräder“, bekannte General Prayuth<br />

Chan-ocha kürzlich mit Hinweis auf<br />

den Edelhersteller Ducati. Prayuth führt<br />

die Militärjunta, die am 22. Mai mit einem<br />

Putsch die Macht in Thailand übernommen<br />

hat. Seit Ende August ist er zugleich<br />

Premierminister des Landes.<br />

Der thailändische General ist nicht der<br />

einzige Ducati-Liebhaber in dem Königreich.<br />

Seit der Hersteller aus Bologna, der<br />

seit zwei Jahren zum VW-Konzern gehört,<br />

2011 sein Montagewerk in der Nähe von<br />

Bangkok eröffnete, kommen die Mechaniker<br />

kaum nach. 2013 rollten fast 10 000 Motorräder<br />

von den thailändischen Ducati-<br />

Bändern. 2015 werden es 11 000 sein, 2020<br />

schon etwa 20 000. Auf ähnliche Zuwächse<br />

im Asiengeschäft kommt auch der Münchner<br />

Konkurrent BMW. Die wichtigsten<br />

Märkte sind Thailand, Malaysia und China.<br />

„Die Möglichkeiten in der Region hier sind<br />

gigantisch“, schwärmt Francesco Milicia,<br />

Chef bei Ducati in Thailand.<br />

Diese Entwicklung steht in krassem Gegensatz<br />

zum Motorradgeschäft in Europa.<br />

Dort haben sich die Verkäufe seit der Finanzkrise<br />

immer noch nicht erholt. Fast 2,5<br />

Hand anlegen Hersteller wie BMW finden in<br />

Thailand nicht genug geeignetes Personal<br />

Millionen verkauften die Händler in der EU<br />

2007, im vergangenen Jahr waren es weniger<br />

als die Hälfte. In Italien und Spanien<br />

liegt der Absatz immer noch gut 70 Prozent<br />

unter dem Niveau von 2007.<br />

Kein Wunder, dass BMW und Ducati auf<br />

Fernost hoffen – auch weil die Behörden<br />

dort ihnen den roten Teppich ausrollen.<br />

Thailand etwa hat seine Unternehmenssteuern<br />

kürzlich von 30 auf 20 Prozent gesenkt.<br />

Und wenn Motorradhersteller mehr<br />

als 40 Prozent ihrer Komponenten in Thailand<br />

einkaufen, zahlen sie zudem auf die<br />

übrigen Teile sowie auf eingeführte Maschinen<br />

und Anlagen keine Importzölle.<br />

ZOLLFREIER EXPORT<br />

Gut 20 Millionen Euro hat Ducati in Thailand<br />

investiert. Rund 400 Mitarbeiter fertigen<br />

in den Werkshallen fünf verschiedene<br />

Modelle. Ende Oktober wird Ducati auf der<br />

Kölner Motorradmesse ein weiteres Modell<br />

mit weniger als 100 PS vorstellen, das<br />

in Thailand und Italien gefertigt und weltweit<br />

vertrieben wird.<br />

„Wir sind nicht wegen der niedrigeren<br />

Lohnkosten nach Thailand gegangen“, sagt<br />

Ducati-Statthalter Milicia, während er<br />

durch die penibel sauberen Fabrikhallen<br />

führt. Grund ist neben den staatlichen Vergünstigungen<br />

die hoch entwickelte Zulieferindustrie.<br />

Hinzu kommt der Binnenmarkt<br />

der zehn Mitgliedsländer der<br />

Vereinigung Südostasiatischer Staaten<br />

(Asean), der Anfang 2015 in Kraft tritt.<br />

Dann kann Ducati zollfrei in die Nachbarländer,<br />

etwa Malaysia, exportieren.<br />

Solche Aussichten haben auch BMW<br />

nach Thailand gelockt. Bisher mussten die<br />

Münchner ihre Maschinen nach Asien exportieren,<br />

seit Anfang des Jahres fertigen<br />

sie in der Nähe von Bangkok. Mit dem<br />

Wegfall der Importzölle ist nun etwa die<br />

zweizylindrige F 800 R in Thailand nicht<br />

mehr teurer als in Deutschland, wo sie<br />

8900 Euro kostet. Vorher fielen in Thailand<br />

60 Prozent Importzoll an, in Indonesien 50<br />

und in Vietnam 77 Prozent.<br />

Zwar bewegte sich der BMW-Absatz<br />

2013 mit 400 in Thailand verkauften Motorrädern<br />

noch auf niedrigem Niveau. Doch<br />

das Absatzplus zwischen Januar und Juli<br />

dieses Jahres lag bei 16 Prozent. Bis Jahresende<br />

will BMW in seinem Werk in Thailand<br />

1000 Maschinen montieren.<br />

Probleme haben die deutschen Hersteller<br />

lediglich bei der Personalsuche. Denn<br />

in Thailand herrscht praktisch Vollbeschäftigung.<br />

„Unter den ausländischen Unternehmen<br />

herrscht ein gnadenloser Wettbewerb<br />

um Talente“, sagt Milicia. Er zahlt den<br />

Ducati-Mitarbeitern am Jahresende drei<br />

Monatsgehälter als Bonus. Trotzdem liegt<br />

die Fluktuation bei 15 Prozent.<br />

Vielleicht fördert ja jetzt die Ducati-Kantine<br />

die Treue: Sie bietet jeden Tag italienische<br />

Pasta an. Die Mitarbeiter liebten es, so<br />

Milicia: „Vor allem, wenn die Köche die italienische<br />

Küche mit lokalen Spezialitäten<br />

wie Chili oder Ananas kombinieren.“ n<br />

matthias.kamp@wiwo.de | Bangkok<br />

Edelmotorräder von Ducati sind in<br />

Thailands Militärregierung beliebt<br />

FOTOS: PR (2)<br />

72 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Sonderangebote im<br />

Briefkasten<br />

Der Stanzteilhersteller<br />

Ahlberg-Gruppe wächst<br />

durch Zukäufe<br />

Preis der Freiheit<br />

Worauf Unternehmen bei der Finanzierung von Firmenübernahmen achten müssen, beschreibt die<br />

dritte Folge der WirtschaftsWoche-Serie in Kooperation mit der Beratung Deloitte.<br />

Die Ahlberg Metalltechnik Gruppe in Berlin beliefert<br />

die Automobilindustrie mit Stanz-, Biege-,<br />

Dreh- und Frästeilen. Mario Ahlberg, Chef<br />

des Mittelständlers, bekommt regelmäßig Post mit<br />

Sonderangeboten – nicht für Waschpulver oder Tiefkühlkost,<br />

sondern für komplette Unternehmen. Häufig<br />

stammen die Offerten von Banken, manchmal<br />

auch von den Firmeneigentümern. In den vergangenen<br />

Jahren hat Ahlberg regelmäßig zugegriffen, wenn<br />

die Angebote passten. Zuletzt hat er die Werner<br />

Scholz Präzisionsdreh- und Frästeile in Berlin für einen<br />

mittleren einstelligen Millionenbereich gekauft.<br />

Solche Summen kann nicht jeder Mittelständler<br />

aus eigener Kraft stemmen, die meisten müssen sich<br />

das Geld leihen. Fragt sich allerdings bei wem, die<br />

Wahl der richtigen Finanzierung und des Geldgebers<br />

ist schwierig: Die Kreditgeber und -nehmer müssen<br />

zueinander passen, und die Konditionen für die<br />

Rückzahlung des Kredites dürfen das operative Geschäft<br />

nicht gefährden.<br />

Wegen der niedrigen Zinsen sitzt das Geld locker,<br />

viele Investoren und Firmen suchen nach Anlagemöglichkeiten.<br />

Entsprechend knapp sind gute Kaufgelegenheiten.<br />

Das führt häufig dazu, dass die Preise<br />

den tatsächlichen Firmenwert übersteigen.<br />

Die Banken sind daran nicht ganz unschuldig, weil<br />

sie selbst für vergleichsweise riskante Projekte gern<br />

SERIE<br />

Mittelstand<br />

Fit for Future<br />

Fusionen & Übernahmen<br />

Der richtige Partner (I)<br />

Finanzinvestoren (II)<br />

Finanzierung (III)<br />

Osteuropa/Asien (IV)<br />

Integration (V)<br />

Interview (VI)<br />

Geld verleihen und so die Nachfrage nach oben treiben.<br />

Wenn dann der Kaufinteressent nicht aufpasst,<br />

wird es kritisch. „Unternehmer sind im Vorfeld der<br />

Übernahme eines anderen Unternehmens häufig<br />

sehr optimistisch“, warnt Christian Ukens, Partner<br />

Debt Advisory & Financial Restructuring Services bei<br />

Deloitte. „Eventuelle Synergieeffekte werden nicht<br />

selten über-, die Kosten für den Neukauf hingegen<br />

unterschätzt.“ Zwei Drittel der Zukäufe seien unter<br />

dem Strich Fehlinvestitionen.<br />

Zwar gibt es beim Erwerb eines Unternehmens fast<br />

immer die Möglichkeit, durch Zusammenlegen von<br />

Abteilungen, durch gemeinsame Nutzung von Anlagen<br />

oder gemeinsamen Einkauf Geld zu sparen.<br />

Doch genauso häufig kommt es auch zu Überlappungen,<br />

etwa bei der Produktpalette, sodass Personal<br />

entlassen oder Kapazitäten abgebaut werden müssen.<br />

Das kostet Geld, etwa für Abfindungen. Hinzu<br />

kommen die Kosten für die Finanzierung der Transaktion,<br />

für Anwälte und Berater oder die Umstrukturierung<br />

des vergrößerten Unternehmens. „Der zusätzliche<br />

Investitionsbedarf sollte durch dafür vorgesehene<br />

Tranchen im Kreditvertrag entsprechend berücksichtigt<br />

werden“, empfiehlt Experte Ukens.<br />

In der Regel haben mittelständische Unternehmen<br />

dafür nicht genug flüssige Mittel und sind deshalb auf<br />

externe Geldgeber angewiesen. Dabei gibt es grund-<br />

FOTOS: PR (2)<br />

74 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Mit Unterstützung von Deloitte*<br />

sätzlich drei Möglichkeiten: die Aufnahme von Krediten<br />

oder die Einwerbung frischen Eigenkapitals etwa<br />

durch einen Börsengang oder die Aufnahme eines<br />

Finanzinvestors in den Gesellschafterkreis.<br />

Doch Eigenkapitalerhöhungen durch fremde Geldgeber<br />

kommt für viele Mittelständler nicht infrage, sie<br />

fürchten sich davor, nicht mehr Herr im eigenen Haus<br />

zu sein. Auch für den Berliner Autozulieferer Ahlberg<br />

nicht: „Ich will selbstbestimmt bleiben und mir von<br />

niemanden reinreden lassen“, sagt der Firmenchef.<br />

Einen Teil des Kaufpreises für die Übernahme hat<br />

Ahlberg über eine stille Beteiligung finanziert, die<br />

nicht im Handelsregister auftaucht, den Rest über einen<br />

Bankkredit. „Das kostet zwar ein paar Euro mehr,<br />

aber das ist mir meine Freiheit wert. Deshalb bin ich<br />

schließlich Unternehmer geworden.“<br />

Eine nachvollziehbare Entscheidung, findet Berater<br />

Ukens. „Im Moment profitieren Mittelständler von<br />

der durch die Wettbewerbssituation getriebenen Liquidität<br />

im Bankenmarkt.“ Ukens empfiehlt Bankkredite<br />

aber auch, weil sie individuell ausgestaltet werden<br />

können. Das verschafft den Unternehmen Spielraum<br />

im operativen Geschäft. Die Zahl der benötigten<br />

Banken hängt <strong>vom</strong> Umfang des Kredits ab. Für<br />

kleinere Projekte reichen sogenannte bilaterale Kredite<br />

zwischen 30 und 50 Millionen Euro, bei denen<br />

das Geld nur von einer Bank kommt. „Bei größeren<br />

Akquisitionsfinanzierungen braucht es einen größeren<br />

Bankenkreis“, sagt Ukens. In einer sogenannten<br />

Klub-Finanzierung schließen sich dann mehrere<br />

Geldhäuser zusammen. Die mittelfristige Finanzierungssumme<br />

liegt bei solchen Gemeinschaftskrediten<br />

meist bei zwischen 50 und 80 Millionen Euro.<br />

Großdarlehen von 100 bis 150 Millionen werden<br />

meist als sogenannte syndizierte Kredite oder Konsortialfinanzierungen<br />

vergeben. Auch dann sind<br />

mehrere Banken im Boot, die Laufzeit ist aber länger.<br />

Vorteil dieser Konstruktion: „Die Abhängigkeit von<br />

einzelnen Finanzinstituten ist geringer“, sagt Ukens.<br />

Ahlberg arbeitet bei der Finanzierung mit der Berliner<br />

Sparkasse zusammen. Von der Sparkasse kam<br />

auch das letzte Übernahmeangebot für die Werner<br />

Scholz Präzisionsdreh- und Frästeile. Der damalige<br />

Inhaber war Sparkassen-Kunde und wollte sein Unternehmen<br />

aus Altersgründen verkaufen, weil ein<br />

Nachfolger fehlte. Auch zwei weitere Unternehmen,<br />

die heute zu seiner Gruppe gehören, kaufte Ahlberg,<br />

weil die Vorbesitzer Nachfolgeprobleme hatten.<br />

Inzwischen beschäftigt seine Gruppe 135 Mitarbeiter.<br />

Das Unternehmen entwickelt sich positiv: Der<br />

Gesamtumsatz stieg von 5,8 Millionen Euro 2012 auf<br />

8,6 Millionen im vergangenen Jahr. Die Sparkasse zögerte<br />

darum nicht, ihm den nötigen Kredit zu geben.<br />

Auf fünf wichtige Punkte müssen Kreditnehmer bei<br />

den Vertragsverhandlung achten:<br />

n Laufzeit: Sie bestimmt, in welchem Zeitraum ein<br />

Kredit zurückgezahlt werden muss, und kann individuell<br />

ausgehandelt werden. Hier sollten sich Unternehmen<br />

am sogenannten Kapitaldienst orientieren.<br />

»Mittelständler<br />

profitieren<br />

im Moment<br />

von der<br />

Liquidität<br />

im Bankenmarkt«<br />

Finanzierungsexperte<br />

Deloitte-Berater Ukens<br />

Regional verwurzelt<br />

Mit welchen Banken Mittelständler<br />

in Deutschland<br />

zusammenarbeiten<br />

Lokale Banken<br />

83%<br />

Deutsche Großbanken<br />

72%<br />

Förderinstitute<br />

35%<br />

Landesbanken<br />

34%<br />

Ausländische Banken<br />

29%<br />

Genossenschaftsbanken<br />

21%<br />

Privatbanken<br />

20%<br />

Quelle: Deloitte Finanzierung<br />

im Mittelstand, 2012<br />

Dieser beschreibt, wie hoch die Gewinne im operativen<br />

Geschäft sind – und was unterm Strich davon für<br />

die Rückzahlung übrig bleibt. Dabei muss auch bedacht<br />

werden, welche Investitionen das neue Projekt<br />

erfordert. Diese Aufwendungen müssen von einer<br />

realistischen Rückzahlungsrate abgezogen werden.<br />

n Kapitaldienst: Neben der monatlichen und jährlichen<br />

Tilgung kann auch eine endfällige Tilgung nach<br />

einer bestimmten Zeit vereinbart werden. Ein Unternehmen<br />

sollte in den Verhandlungen nicht zu viel<br />

versprechen, sondern die Geschäftsentwicklung eher<br />

konservativ beurteilen. „Die Zeiträume für Laufzeit<br />

und Tilgung müssen realistisch bleiben, sonst sind sie<br />

nicht zu halten“, sagt Deloitte-Experte Ukens.<br />

n Sicherheiten: Von den Banken werden am liebsten<br />

Grundstücke, Gebäude und grundschuldrechtliche<br />

Beleihungen akzeptiert. „Das übernehmende Unternehmen<br />

sollte sich aber gut überlegen, welche Sicherheiten<br />

es gewähren will“, rät Ukens. Wird etwa eine<br />

Immobilie als Sicherheit verpfändet, kann sie ohne<br />

Zustimmung der Bank nicht verkauft werden.<br />

n Unternehmensverfassung, die sogenannte Corporate<br />

Governance: Damit hier keine Probleme auftreten,<br />

sollten Kreditnehmer vor Vertragsabschluss<br />

prüfen, ob Leitung und Kontrolle des Unternehmens<br />

gesichert sind. Vor allem in familien- und in inhabergeführten<br />

Unternehmen gibt es damit manchmal<br />

Probleme. Häufig enthalten Kreditverträge nämlich<br />

Klauseln, nach denen die Bank ein Darlehen fällig<br />

stellen kann, wenn es im Kontrollgremium des Unternehmens<br />

einen Wechsel gibt. Auch wenn ein Familienunternehmen<br />

während der Laufzeit des Kredits<br />

Anteile verkaufen will, kann es Probleme geben, denn<br />

die Banken müssen zustimmen. Ist der Verkauf bereits<br />

bei Abschluss des Kredits absehbar, sollten dafür<br />

Ausnahmeregelungen getroffen werden.<br />

n Vertragsfreiheit: Auch Kreditverträge können bis zu<br />

einem gewissen Grad frei gestaltet werden. Geregelt<br />

werden können die Aufnahme zusätzlicher Bankund<br />

Leasingfinanzierungen, der Verkauf von Anlagevermögen<br />

oder Höchstbeträge für Dividendenausschüttungen.<br />

Auch die Aussetzung von Rückzahlungen<br />

für ein oder zwei Quartale kann vereinbart werden,<br />

vor allem bei Unternehmen mit saisonalem Geschäft<br />

ist das überlegenswert. Banken mögen flexible<br />

Regelungen weniger, solche Finanzierungen sind<br />

deshalb teurer.<br />

Der Berliner Unternehmer Ahlberg will trotz der<br />

guten Erfahrungen mit Firmenübernahmen vorerst<br />

nichts mehr kaufen, sondern sich auf die Integration<br />

der bisherigen Erwerbungen in seine Firmengruppe<br />

konzentrieren. Demnächst will er zum Beispiel alle<br />

Firmen an einem Standort zusammenziehen. Dafür<br />

muss Ahlberg bauen – und denkt darum schon mal<br />

über die nächste Finanzierungsrunde nach. n<br />

lea deuber | unternehmen@wiwo.de<br />

* Die Inhalte auf diesen Seiten wurden von der<br />

WirtschaftsWoche redaktionell erstellt.<br />

WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 75<br />

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Technik&Wissen<br />

Hilfreiche<br />

Überflieger<br />

DROHNEN | Bootsflüchtlinge retten, Bodenschätze aufspüren,<br />

Medikamente verteilen – um das zu ermöglichen,<br />

will die EU den Luftraum für die smarten Fluggeräte<br />

öffnen. Ist das der Durchbruch für die fliegenden Roboter?<br />

Komische Vögel sind sie am Edersee<br />

gewöhnt. Strandläufer, Haubentaucher,<br />

sogar Seeadler lassen<br />

sich an Deutschlands drittgrößtem<br />

Stausee blicken. Aber<br />

der Flugkünstler, der an diesem Sommertag<br />

über der majestätischen Talsperre in Nordhessen<br />

abhebt, ist eine Premiere: Sechs Propeller,<br />

vier Beine, eine Kamera am Rumpf –<br />

eine knallorangene Drohne saust in den<br />

stahlblauen Himmel hinauf, immer auf die<br />

mächtige, kirchturmhohe Staumauer zu.<br />

Das Manöver ist Teil eines Schauflugs. Die<br />

Entwickler des Kasseler Start-ups Aibotix<br />

demonstrieren, wie ihr Flugroboter Aibot<br />

die Inspektion der Hunderte Meter langen<br />

Betonwälle erleichtert. „Unser Kopter fliegt<br />

Dämme systematisch ab und nimmt<br />

Tausende gestochen scharfe Bilder auf“, sagt<br />

Aibotix-Geschäftsführer Jörg Lamprecht.<br />

„So lassen sich selbst kleinste Risse aufspüren.“<br />

Was Bauingenieure bisher tagelang beschäftigte,<br />

erledige seine Drohne in Minuten,<br />

verspricht Lamprecht.<br />

Lange waren Drohnen – ob ferngesteuert<br />

oder autonom fliegend – nur als Spielzeug<br />

oder Kriegsgerät bekannt. Nun aber erweisen<br />

sich die unbemannten Plastikvögel<br />

auch im kommerziellen Gebrauch immer<br />

öfter als nützliche Werkzeuge. Sie erkennen<br />

leckende Pipelines, vermessen Areale oder<br />

helfen Bauern bei der Feldarbeit, indem sie<br />

ihnen zeigen, wo Unkraut wuchert.<br />

Noch hemmt zwar Bürokratie den<br />

Alltagseinsatz der Roboflieger, muss jeder<br />

Flug von den Luftfahrtbehörden der Bundesländer<br />

genehmigt werden. Doch ein<br />

Vorstoß der EU-Kommission verspricht<br />

bald deutlich bessere Startbedingungen: Ab<br />

2016 sollen europaeinheitliche Vorschriften<br />

den Betrieb der Fernsteuerflieger regeln. Sie<br />

könnten dann so regelmäßig abheben wie<br />

bisher nur Flugzeuge. In den USA soll ein<br />

solches Gesetz schon 2015 kommen.<br />

Es dürfte also lebendig werden im Luftraum.<br />

Zahlreiche Unternehmen bereiten<br />

den Einsatz von Flugrobotern vor – mit teils<br />

faszinierenden, teils skurrilen Ideen: Am<br />

Mittwoch erst kündigte die Posttochter DHL<br />

Europas ersten autonom fliegenden Paketboten<br />

an: Er soll regelmäßig Medikamente<br />

<strong>vom</strong> ostfriesischen Norddeich zwölf Kilometer<br />

weit zur Insel Juist liefern. In Bordeaux<br />

lässt der Winzer Bernard Magrez<br />

Drohnen über Weinbergen kreisen, die per<br />

Infrarotsensoren ermitteln, welche Trauben<br />

erntereif sind. Und Google will Solarflieger<br />

in bis zu 20 Kilometer Höhe schicken, um<br />

schnelle Internet-Verbindungen per Funk in<br />

entlegene Gebiete zu bringen.<br />

Bereits in zehn Jahren, schätzt die EU-<br />

Kommission, könnten zivile Drohnen zehn<br />

Prozent des Luftfahrtmarkts in Europa ausmachen<br />

– das entspräche 15 Milliarden Euro<br />

Umsatz pro Jahr. In den USA rechnet der<br />

Immer mehr Geschäftsflieger<br />

Zahl der bekannten Drohnentypen* für<br />

militärische und zivile Einsatzzwecke<br />

700<br />

600<br />

500<br />

400<br />

300<br />

200<br />

100<br />

0<br />

militärische Nutzung<br />

609<br />

315<br />

kommerzielle Nutzung<br />

2010 2011 2012 2013<br />

* weltweit; Quelle: Statista; RPAS Yearbook<br />

2014<br />

Branchenverband Association for Unmanned<br />

Vehicle Systems International sogar<br />

hoch, dass eine allgemeine Flugerlaubnis<br />

für Drohnen die Wirtschaft bis 2025 um<br />

insgesamt 82 Milliarden Dollar stärke – und<br />

100000 neue Jobs schaffe.<br />

Das mag arg optimistisch sein. Doch zumindest<br />

technisch steht dem Aufstieg der<br />

Drohnenschwärme nicht mehr viel im Wege.<br />

Denn die Mikroflieger halten inzwischen<br />

auch ohne Pilot ihre Flugbahn – was sie dem<br />

Technologiesprung in einer ganz anderen<br />

Branche verdanken: dem Mobilfunk. Dessen<br />

riesige Nachfrage nach billigen, aber<br />

FOTO: PR<br />

78 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Inspektion aus der Luft<br />

Eine Kameradrohne des<br />

Start-ups Aibotix untersucht<br />

die Edertalsperre<br />

exakten Lage- und Bewegungssensoren für<br />

Smartphones hat die Module auch für die<br />

Drohnenbauer drastisch vergünstigt – bei<br />

dennoch konstant wachsender Leistung.<br />

ROBOTER DER LÜFTE<br />

Die nur noch ein paar Cent teuren Chips<br />

machen nicht nur den Bau von 100-Euro-<br />

Spielzeugdrohnen möglich, die sogar bei<br />

Windstößen noch ihre Fluglage halten (siehe<br />

Seite 82). Auch für professionelle Flieger<br />

sind die Computer mittlerweile schlau genug,<br />

um präzise Routen zu verfolgen, die<br />

Steuerungen ausreichend reaktionsschnell,<br />

Videos<br />

In unserer<br />

App-<strong>Ausgabe</strong><br />

finden Sie Filme<br />

von Drohnen im<br />

Einsatz<br />

um Hindernissen auszuweichen, und die<br />

Batterien so kraftvoll, dass sie Lasten sogar<br />

kilometerweit transportieren können.<br />

Wo also werden die hilfreichen Überflieger<br />

uns künftig Arbeit abnehmen?<br />

Wie realistisch sind Drohnenkuriere,<br />

die unsere Online-<br />

Einkäufe bis zur Haustür bringen?<br />

Und wie stellen die Hersteller<br />

sicher, dass uns nicht eines Tages<br />

defekte oder gekaperte Flugroboter<br />

auf den Kopf fallen?<br />

Die Suche nach Antworten beginnt<br />

auf einem Militärareal südlich<br />

von Wien. Das österreichische Unternehmen<br />

Schiebel testet dort seinen Camcopter<br />

S-100. Wer die Spähdrohne in Aktion<br />

erleben will, muss sich einen Weg durch<br />

Panzersperren und über unbefestigte<br />

Wege bahnen – und übersieht<br />

dabei allzu leicht den kleinen<br />

Punkt am Himmel. Erst als<br />

der Flieger aus der Höhe zum Boden<br />

schießt, stark abbremst und<br />

schließlich fast lautlos über den<br />

Baumwipfeln schwebt, erkennt<br />

der Besucher den nur drei Meter<br />

langen Helikopter.<br />

»<br />

WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 79<br />

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Technik&Wissen<br />

»<br />

Bis zu 200 Kilometer weit kann er fliegen<br />

und vorprogrammierte Manöver ohne<br />

menschliche Eingriffe ausführen. Noch aus<br />

fünf Kilometer Höhe macht seine Kamera<br />

jedes Gesicht und Autokennzeichen erkennbar.<br />

Ein Sender überträgt die Bilder live<br />

an die Bodenstation, wo Piloten die Steuerung<br />

jederzeit übernehmen können.<br />

Sogar bei Windstärken, bei denen die See<br />

rau wird, kann der Camcopter noch problemlos<br />

auf schwankenden Schiffen landen.<br />

Das macht die Schiebel-Drohne bei Militärs<br />

um den gesamten Globus zum begehrten<br />

Späher. Doch nun wollen die Österreicher<br />

auch den kommerziellen Markt ansteuern.<br />

„Noch ist das zivile Segment klein, weil der<br />

für unsere Produkte nutzbare Luftraum<br />

stark eingeschränkt ist“, sagt Geschäftsführer<br />

Hans Georg Schiebel, „aber der zivile Einsatz<br />

ist ein absoluter Wachstumsmarkt.“<br />

JAGD AUF UNKRAUT – UND DIEBE<br />

Erst vor wenigen Tagen hat das Unternehmen<br />

einen neuen Kunden gewonnen: Die<br />

Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit<br />

in Europa (OSZE) bestellte mehrere<br />

Camcopter, um damit die russischukrainische<br />

Grenze zu überwachen. Auch<br />

über dem Mittelmeer zieht der Flieger seit<br />

Kurzem Runden. Die italienische Marine<br />

will damit Flüchtlingsschiffe aufspüren –<br />

und Helfer schneller zu Booten in Seenot<br />

schicken können.<br />

Es sind vor allem die Kameras, die Drohnen<br />

für viele neue Einsatzzwecke so interessant<br />

machen. Selbst aus großer Höhe machen<br />

die hochauflösenden Sensoren<br />

kleinste Details am Boden sichtbar.<br />

Ende Juli fanden Helfer in Texas<br />

mithilfe einer Drohne eine vermisste<br />

Frau. Die fliegende Kamera hatte<br />

zwischen dichten Bäumen einen verlorenen<br />

Tennisschuh abgelichtet, der die Retter<br />

auf die Spur zu der Vermissten brachte.<br />

Und bei der Elbeflut 2013 nutzten die ehrenamtlichen<br />

Kräfte der deutschen Hilfsorganisation<br />

@fire unbemannte Flieger, um Lagekarten<br />

zu erstellen, Deiche zu überwachen<br />

und frühzeitig Treibgut zu entdecken, bevor<br />

es die Deiche beschädigte.<br />

Das Kasseler Start-up Aibotix hat sogar eine<br />

Kameradrohne entwickelt, die binnen<br />

Minuten millimetergenaue 3-D-Modelle ihrer<br />

Umgebung erstellt – und so Vermessungstechnikern<br />

viele Tage mühsamer Arbeit<br />

abnimmt. Dazu fliegt die Drohne festgelegte<br />

Routen ab und macht Tausende überlappender<br />

Fotos. Daraus berechnet eine<br />

Geo-Software später ein genaues räumliches<br />

Höhenprofil der Gegend.<br />

Schneller liefern In Kürze fliegt DHL eilige Arzneimittel per autonomem<br />

Paketkopter mit Tempo 60 zur Nordseeinsel Juist<br />

Mehr als 500 Aibotix-Flugroboter sind<br />

weltweit schon im Einsatz. Minenbetreiber<br />

in Norwegen und Australien vermessen damit<br />

täglich ihre Abraumberge, um zu schätzen,<br />

wie viele Metalle darin stecken. Der<br />

Energiekonzern RWE setzt die Flieger ein,<br />

um Strommasten auf Schäden zu kontrollieren.<br />

Bisher mussten dazu Techniker auf jeden<br />

einzelnen Mast klettern – oder teuer mit<br />

herkömmlichen Helikoptern heranfliegen.<br />

Auch Windräder und Brücken scannt die<br />

Drohne aus der Luft und macht Haarrisse,<br />

Roststellen oder Verformungen im Millimeterbereich<br />

sichtbar.<br />

Fliegende Kameras<br />

erkunden brennende<br />

Gebäude<br />

Kameradrohnen können aus der Luft sogar<br />

erkennen, was dem menschlichen Auge<br />

verborgen bleibt. Unkraut etwa, das auf Feldern<br />

wuchert und der Saat wichtige Nährstoffe<br />

raubt. Um die Gewächse aus der Luft<br />

zu entdecken, hat das US-Start-up Precisionhawk<br />

ein Robo-Flugzeug mit Spektrometern<br />

ausgestattet – Kameras, die das<br />

Wellenspektrum des einfallenden Lichts<br />

sezieren. Unkraut setzt sich farblich klar<br />

von den gewünschten Gewächsen ab.<br />

„Landwirte können damit genau planen,<br />

wo sie Pestizide einsetzen müssen“, sagt Tyler<br />

Collins, Leiter der Geschäftsentwicklung<br />

bei Precisionhawk. „Das spart Kosten und<br />

schont die Umwelt.“ Auch für den Einsatz<br />

Schärfer sehen Ein ferngesteue<br />

Schiebel sucht über dem Mittel<br />

der Pflanzenschutzmittel gibt es inzwischen<br />

Drohnen, etwa <strong>vom</strong> japanischen Hersteller<br />

Yamaha. Die Modelle von Precisionhawk allerdings<br />

erkennen zusätzlich auch kleinste<br />

Pflanzenkeimlinge und machen sichtbar,<br />

wo die Landmaschinen bei der Aussaat eine<br />

Reihe ausgelassen haben. Der Landwirt<br />

kann dann nachpflanzen.<br />

Mehr als 15000 Dollar kostet so ein fliegender<br />

Scanner für den Acker. Bisher darf er<br />

in den USA allerdings nur in sechs Testregionen<br />

abheben. Collins hofft, dass die neuen<br />

Flugregeln ab kommenden Jahr den Einsatz<br />

auch landesweit erlauben. Drohnen zu fliegen<br />

soll dann auch für Landwirte nur noch<br />

eine Sache von wenigen Mausklicks sein:<br />

Die Route auf der Landkarte markieren,<br />

auf Start drücken – schon hebt der<br />

Flieger vollautomatisch ab.<br />

Die fliegenden Kameras ermöglichen<br />

auch völlig neue Formen der<br />

Überwachung und Verbrecherjagd<br />

durch Polizei und Geheimdienste. Im<br />

EU-Projekt Aeroceptor untersuchen Forscher,<br />

wie Drohnen künftig verdächtige Autos<br />

und Boote stoppen können. Als mögliche<br />

Methoden nennt die EU-Kommission<br />

elektromagnetische Strahlen, die die Elektronik<br />

der Fahrzeuge außer Gefecht setzen,<br />

und abwerfbare Netze, die sich in Rädern<br />

oder Propellern verfangen.<br />

FÜNF JAHRE IN DER LUFT<br />

Doch noch sind viele Fragen völlig ungeklärt.<br />

Wie etwa, wer dann für Unfälle verantwortlich<br />

wäre? Was Drohnen künftig dürfen<br />

und was nicht, wird noch viele politische<br />

Debatten auslösen.<br />

Bisher sieht etwa ein Vorschlag des Europäischen<br />

Rats vor, dass Piloten die autonomen<br />

Flieger ständig überwachen müssen.<br />

FOTOS: GETTY IMAGES/ULRICH BAUMGARTEN, CORBIS/ITAR TASS, PR<br />

80 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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ter Helikopter des Herstellers<br />

meer nach Flüchtlingsbooten<br />

Vielleicht gibt es also künftig Fluglotsen für<br />

den Drohnenluftraum. Und das könnte eine<br />

ziemlich umfangreiche Aufgabe werden:<br />

Denn rein technisch sind die Geräte bald<br />

nicht mehr nur in der Lage, vorgegebene<br />

Routen autonom abzufliegen, sondern dabei<br />

auch fast endlos in der Luft zu bleiben.<br />

Daran arbeitet etwa der US-Drohnenhersteller<br />

Titan Aerospace, der im April <strong>vom</strong> Internet-Konzern<br />

Google übernommen wurde.<br />

Sein autonomes Fluggerät hat rund 50<br />

Meter Spannweite, wiegt aber nur rund 175<br />

Kilogramm. Ausgestattet mit Akkus und mit<br />

Solarzellen in den Flügeln, soll es bis zu fünf<br />

Jahre lang in der Luft bleiben.<br />

FLIEGENDE BOHRMASCHINE<br />

Künftig möchte Google ganze Flotten der<br />

Solardrohne steigen lassen. In 20 Kilometer<br />

Höhe, doppelt so hoch wie Passagierjets,<br />

sollen sie den Erdball umkreisen und von<br />

dort per Funk für schnelle Verbindungen<br />

zum Internet sorgen – vor allem in Regionen<br />

Afrikas, Asiens und Südamerikas, wo es weder<br />

Mobilfunknetze noch Telefonleitungen<br />

gibt. Bisher nutzen nur rund 2,5 Milliarden<br />

Menschen das Internet. Fliegende Funkmasten,<br />

hofft Google, könnten bald weitere<br />

Milliarden Nutzer ins Web bringen.<br />

Die Technik ist so weit fortgeschritten,<br />

dass Google ebenso wie der Online-Händler<br />

Amazon und die Deutsche Post erwägen,<br />

Drohnen als Lieferboten einzusetzen: Dann<br />

müssten Kunden nicht mehr auf den Paketzusteller<br />

warten oder zum Shoppingcenter<br />

fahren, um einzukaufen. Stattdessen bringt<br />

eine Drohne die Ware direkt vor die Haustür.<br />

Selten genutzte Gegenstände, etwa<br />

Bohrmaschinen, müsste der Heimwerker<br />

überhaupt nicht mehr kaufen – er könnte<br />

sie sich via Luftkurier ausleihen.<br />

Mehr ernten Die Robo-Flieger <strong>vom</strong> US-Start-up Precisionhawk<br />

zeigen dem Landwirt, wo er sein Getreide nachsäen muss<br />

Der Empfänger brauche dafür nicht einmal<br />

vor Ort sein, glaubt Bart Theys. Der Forscher<br />

der Universität Leuven bei Brüssel<br />

entwickelt eine Landeplattform für solche<br />

Liefervögel – nicht größer als ein Schreibtisch.<br />

Ein Roboterarm schiebt Pakete in den<br />

Frachtschlitz der Drohne, bis sie dort in einen<br />

Haltemechanismus einklinken – wie<br />

ein Akku in einer Kamera.<br />

RECHTSLAGE<br />

Worauf Drohnenflieger<br />

achten müssen<br />

A Unter welchen Voraussetzungen in<br />

Deutschland Drohnen aufsteigen dürfen,<br />

hängt <strong>vom</strong> Zweck der Nutzung ab.<br />

Für Private gilt: Wiegt der Flieger weniger<br />

als 5 Kilogramm, ist keine Genehmigung<br />

nötig. Er muss aber in Sichtweite<br />

des Piloten bleiben.<br />

A Gewerbliche Flüge müssen dagegen<br />

von den Luftfahrtbehörden der jeweiligen<br />

Bundesländer bewilligt werden.<br />

A Wiegt die kommerzielle Drohne weniger<br />

als 5 Kilogramm kann die Behörde<br />

die Bewilligung für zwei Jahre erteilen.<br />

Ist sie schwerer, ist für jeden Flug<br />

eine Einzelgenehmigung erforderlich.<br />

A Prinzipiell gilt: Piloten dürfen ihre<br />

Drohnen nur auf Sicht und nie höher als<br />

100 Meter fliegen. Flüge über Menschen<br />

sind verboten. Die Privatsphäre<br />

Unbeteiligter darf – etwa durch Fotoaufnahmen<br />

– nicht gefährdet werden.<br />

Am Ziel, das bis zu 30 Kilometer entfernt<br />

sein kann, landet der Lufttransporter auf<br />

einer baugleichen Plattform, die das Paket<br />

wieder automatisch auslädt. „Drohnen<br />

sind schneller als Lieferwagen“, sagt Theys,<br />

„sie sind preiswerter im Betrieb und sie<br />

verbrauchen weniger Energie.“ Sogar Auftanken<br />

sollen die Geräte bald von selbst:<br />

Das Berliner Start-up Skysense entwickelt<br />

eine Bodenstation, auf der Drohnen automatisch<br />

ihre Batterie laden.<br />

Zunächst werden Lieferdrohnen auf fest<br />

definierten Kurzstrecken in bis zu 100 Meter<br />

Höhe fliegen, hofft Theys. „Sie könnten<br />

Ersatzteile oder Dokumente über ein großes<br />

Betriebsgelände transportieren.“ Auf<br />

dem Weg dürften allerdings keine unerwarteten<br />

Hindernisse auftauchen, etwa<br />

Baukräne oder neue Strommasten. Denn<br />

die erkennen Drohnen bislang noch nicht.<br />

Aber auch daran arbeiten Wissenschaftler<br />

bereits – etwa Hannes Kaufmann und<br />

Annette Mossel von der Technischen Universität<br />

Wien. Ihre vierrotorige Minidrohne<br />

erstellt aus den Bildern einer eingebauten<br />

Smartphone-Kamera ein 3-D-Modell der<br />

Umgebung. Damit fliegt der Quadrokopter<br />

inzwischen durch abgesperrte Universitätsräume,<br />

ohne anzuecken.<br />

„Die Drohne könnte von der Feuerwehr<br />

in brennende Gebäude geschickt werden<br />

und einen Zugangsplan für die Einsatzkräfte<br />

erstellen“, sagt Kaufmann. Ein anderes<br />

Einsatzgebiet hat sich der Wiener Forscher<br />

<strong>vom</strong> Massachusetts Institute of Technology<br />

abgeschaut. Dort führt eine autonome<br />

Drohne Besucher über den Campus.<br />

Das Start-up Apoair in Elz bei Limburg<br />

wiederum will einen Schritt weiter gehen<br />

als DHL mit dessen ostfriesischen Medikamentenshuttle<br />

zur Insel Juist. Die Idee der<br />

Hessen: Apotheker sollen Pillenschachteln<br />

auch über bewohntem Gebiet per Flugroboter<br />

an Patienten senden. Dazu nutzen<br />

sie ein Fluggerät, das sie über eine eigene<br />

Internet-Plattform programmieren. „Sie<br />

geben das Ziel ein“, sagt Geschäftsführerin<br />

Karin Türk, „klicken auf Start, und die Maschine<br />

hebt ab.“ Als Testkunden hat das<br />

Start-up auch Universitätskliniken im Visier.<br />

Dort, auf abgezäuntem Gelände,<br />

könnten Drohnen zum Beispiel bald Blutproben<br />

zum Labor fliegen.<br />

Ab 2016, so die Hoffnung der Pioniere,<br />

könnte es erlaubt sein, Drohnen im Regelbetrieb<br />

ohne Sichtkontakt fliegen zu lassen.<br />

Dann wollen sie bereit sein.<br />

n<br />

andreas macho, andreas menn | technik@wiwo.de<br />

Lesen Sie weiter auf Seite 82 »<br />

WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 81<br />

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Technik&Wissen<br />

GADGETS<br />

Ziemlich abgehoben<br />

Alltagsdrohnen sind mal schwebendes Stativ für Fotografen,<br />

mal witziges Fluggerät fürs Wohnzimmer. Dank günstiger<br />

Technik aus der Handywelt kann sie inzwischen fast jeder<br />

problemlos steuern.<br />

Für Filmer – DJI Phantom 2 Vision+<br />

Die automatische Flugstabilisation und die in drei Achsen fernsteuerbare<br />

Kamera machen die Phantom zum fliegenden Auge, das Filme in Full-HD-Qualität<br />

dreht und Fotos mit 14 Megapixel schießt. Die Steuersoftware hält automatisch<br />

Abstand von Flugverbotszonen und bringt die Drohne nach bis zu<br />

25 Flugminuten automatisch zum Startort zurück.<br />

Preis: 1069 Euro<br />

Für Spieler – Parrot Rolling Spider<br />

Autostabilisator und Saltofunktion machen die<br />

Mikrodrohne zum fliegenden Clown für abgehobene Stunts<br />

in Innenräumen oder – bei Windstille – draußen. Maximal<br />

acht Minuten bleibt der 55-Gramm-Flieger in der Luft.<br />

Gesteuert wird er über eine Handy-App.<br />

Preis: 99 Euro<br />

Für Reisende – AirDroids Pocket Drone<br />

Wer auch im Urlaub Luftaufnahmen machen will, klappt<br />

den Tri-Rotor-Flieger zusammen und nimmt ihn mit. Der Besitzer<br />

kann ihn manuell per App steuern oder bis zu 20 Minuten im<br />

definierten Abstand automatisch fliegen lassen.<br />

Preis: rund 650 Euro<br />

Für Rasante – Lehmann LA 200<br />

Bis zu 30 Minuten lang jagt der Nurflügler mit maximal 80 Kilometern<br />

pro Stunde durch die Luft. Manuell gesteuert oder entlang programmierter Routen<br />

entfernt sich der 950 Gramm schwere Flieger bis zu drei Kilometer <strong>vom</strong> Startplatz.<br />

Der Autolandungsmodus bringt ihn am Ende sicher zurück.<br />

Preis: rund 3000 Euro<br />

Für Einsteiger – Blade Nano QX<br />

Mit 18 Gramm Gewicht ist die Blade Nano QX so<br />

etwas wie die Libelle unter den Drinnen-Drohnen. Maximal<br />

zehn Minuten Flugdauer sind drin, es gibt Flugmodi für<br />

Anfänger und für Fortgeschrittene.<br />

Preis: rund 80 Euro<br />

Für Sportler – Hexo+<br />

Hat der Pilot Abstand und Flughöhe voreingestellt, folgt<br />

ihm die Drohe wie ein Hund dem Herrchen – und dreht automatisch<br />

Videos <strong>vom</strong> Surfen, Snowboarden oder der Radtour.<br />

15 Minuten Flug bei Maximaltempo 70 sind drin.<br />

Preis: rund 950 Dollar (ab 2015)<br />

FOTOS: PR<br />

82 Redaktion: thomas.kuhn@wiwo.de Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Technik&Wissen<br />

Zwischen heute<br />

und morgen<br />

Ohne Schall und Rauch<br />

Mit Hybridantrieb ist der i8<br />

politisch korrekt unterwegs<br />

AUTOTEST | Der BMW i8 macht mit Hybridantrieb und Recyclingteilen auf Öko, mit Flügeltüren<br />

und Motorleistung auf Rennmaschine. Die Sportfahrerin und Physikerin Jutta Kleinschmidt lernte bei<br />

einer Rallye beide Facetten kennen: im Stadtverkehr und beim Kräftemessen mit einem Tesla.<br />

Guck mal – da hört man ja gar nichts!“<br />

Wie ein Mensch mit den Augen hören<br />

kann, bleibt das Geheimnis der<br />

jungen Frau am Wegesrand. Aber das Staunen<br />

steht ihr ins Gesicht geschrieben, als<br />

der Sportwagen auf der Düsseldorfer<br />

Rheinuferpromenade an ihr vorbeirollt, in<br />

Schrittgeschwindigkeit und im Schleichmodus:<br />

Für den Antrieb des BMW i8 sorgt<br />

gerade ein Elektromotor, dessen leises<br />

Summen beinahe von den Reifengeräuschen<br />

übertönt wird.<br />

Als sich zwei Fußgänger dem Auto mit<br />

gezückten Fotohandys in den Weg stellen,<br />

stoppt Jutta Kleinschmidt den Wagen und<br />

öffnet die Fahrertür. Ein Fehler. Denn sofort<br />

bildet sich eine Menschentraube, die<br />

neugierig ins Fahrzeug schaut und die Insassen<br />

mit Fragen bombardiert: Wie<br />

schnell ist der? Wie fährt der so? Wie weit<br />

kommt der mit einer Batterieladung?<br />

Geduldig beantwortet Kleinschmidt, die<br />

2001 als erste und bisher einzige Frau die<br />

berüchtigte Wüstenrallye Paris–Dakar<br />

gewann, alle Fragen. Im Motorsport hat die<br />

52-Jährige gelernt, auch in hektischen Situationen<br />

Ruhe zu bewahren. Was ihr jetzt,<br />

am Tag der Elektromobilität in Düsseldorf<br />

und obendrein als Sportdirektorin der<br />

gleichzeitig startenden Elektrorallye e-Cross<br />

Deutschland, hilft, gelassen zu bleiben.<br />

Dank ihres phänomenalen Gedächtnisses<br />

für Zahlen und Fakten hat die studierte<br />

Physikerin für jeden Neugierigen die passende<br />

Antwort. Also: Der Reihe nach.<br />

SCHEIN & SEIN<br />

Es gibt derzeit kaum ein Auto, das die Blicke<br />

so auf sich zieht wie der neue Ökosportler<br />

aus München: Alle Köpfe fliegen<br />

herum, wenn der i8 um die Ecke biegt.<br />

Kopf an Kopf Kräftemessen von BMW und<br />

Tesla auf der Rennpiste von Zolder<br />

Den BMW-Designern ist wirklich ein großer<br />

Wurf gelungen. Seine Proportionen –<br />

lange Fronthaube, große Radhäuser, kurzes<br />

Heck, breite Spur – entsprechen klassischem<br />

Sportwagendesign. Aber in vielen<br />

Details macht er auch deutlich: Hier<br />

kommt die neue Zeit. Das gilt für die extrovertierte,<br />

aufwendige Luftführung am<br />

Fahrzeugheck ebenso wie für die tiefgezogene<br />

Nase, hinter der sich der Elektromotor<br />

verbirgt. Zeigen kann ich ihn bei<br />

einem kurzen Zwischenstopp aber ebenso<br />

wenig wie den kleinen Drei-Zylinder-<br />

Motor unter dem Minikofferraum oder<br />

die Hochvolt-Batterie im Fahrzeugboden:<br />

Alles ist gut verpackt oder versteckt, einiges<br />

davon sogar nur mit Spezialwerkzeug<br />

zu erreichen.<br />

Spektakulär sind auch die Flügeltüren,<br />

die nach kurzem Druck auf einen Taster in<br />

der Griffmulde sanft nach oben aufschwingen<br />

und den Blick freigeben auf die<br />

Fahrgastzelle, die aus kohlefaserverstärktem<br />

Kunststoff geformt und mit Recyclingmaterialien<br />

ausgekleidet ist. Wer das Life-<br />

Modul entern will, sollte schlank und gelenkig<br />

sein: Es ist ein wenig Übung und<br />

Sportlichkeit nötig, um einigermaßen elegant<br />

in den Fahrersitz zu gelangen. Auch<br />

sehen die Flügeltüren zwar cool aus. Im<br />

Parkhaus tut der Fahrer aber gut daran,<br />

FOTO: RUDOLF WICHERT FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

84 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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ausreichend Abstand zur Betonwand und<br />

zum nächsten Fahrzeug zu lassen – zu<br />

groß ist sonst die Gefahr von Remplern<br />

und Lackkratzern.<br />

SAUS & BRAUS<br />

Wer schon einmal einen BMW gefahren hat,<br />

findet sich im i8 schnell zurecht: Das in blaues<br />

Licht getauchte Cockpit ist erfreulich konventionell<br />

gestaltet. Das Head-up-Display,<br />

das Fahrgeschwindigkeit und Tempolimits<br />

in die Frontscheibe projiziert, findet sich<br />

heute auch schon in Allerweltsautos. Die eigentliche<br />

Show beginnt mit dem Druck auf<br />

den Startknopf in der Mittelkonsole: Eine futuristische<br />

Klangfolge signalisiert mir, dass<br />

volle Bordspannung anliegt. Einen Warp-<br />

Antrieb besitzt der i8 zwar nicht, aber die Beschleunigungswerte<br />

sind bereits im (rein<br />

elektrischen) Eco-Modus phänomenal: Vom<br />

Start weg liegen an der Vorderachse immerhin<br />

250 Newtonmeter an. Das reicht, um jedes<br />

Ampelrennen zu gewinnen.<br />

Im Sport-Modus schaltet sich der kleine<br />

Hochdrehzahl-Benziner an der Hinterachse<br />

dazu – der i8 wird nicht nur zum Allradler,<br />

sondern mit den vereinten Kräften beider<br />

Motoren vollends zur Rennmaschine. Das<br />

zeigt sich spätestens am nächsten Tag auf<br />

der früheren Formel-1-Rennstrecke im belgischen<br />

Zolder. Dort tritt der BMW im Rahmen<br />

der e-Cross gegen das 421 PS starke,<br />

rein elektrische Model S von Tesla an. Um es<br />

kurz zu machen: beim Tracktest über eine<br />

Viertelmeile fliegen beide Autos fast gleichauf<br />

über die Ziellinie, die Marke von 100 Kilometern<br />

pro Stunde ist hier wie da nach etwas<br />

mehr als vier Sekunden erreicht. Und<br />

das, obwohl der Tesla deutlich leistungsstärker<br />

ist. Doch sein Mehrgewicht von rund 615<br />

Kilogramm frisst diesen Vorteil wieder auf.<br />

Aber je länger die Strecke, desto mehr<br />

Mühe hat der Tesla, dem BMW zu folgen.<br />

Dafür fährt der Tesla nach drei Runden –<br />

wenn auch deutlich geschwächt – immer<br />

noch elektrisch, der BMW überwiegend mit<br />

dem kleinen, aber quicklebendigen Drei-<br />

Zylinder hinter der Rücksitzbank. Konsequenz:<br />

Weil die Rennstrecke an diesem Tag<br />

für Elektromobile reserviert ist, wird der i8<br />

wegen Lärmbelästigung der Strecke verwiesen.<br />

Der Verweis auf die Flugübungen<br />

der belgischen Luftwaffe über dem Gelände<br />

akzeptierte der Platzwart nicht.<br />

Schuld hat die bescheidene Speicherkapazität<br />

der Lithium-Ionen-Batterie im i8.<br />

Im Stadtverkehr beträgt die Reichweite damit<br />

maximal 30 Kilometer. Auf der Rennstrecke<br />

ist spätestens nach fünf Kilometern<br />

Schluss mit der Flüsterfahrt. Schade, damit<br />

Motorengebrüll war gestern Rennfahrerin<br />

Kleinschmidt findet Gefallen an E-Mobilen<br />

kann der i8 nicht mehr verbergen, dass er<br />

zwar von der Zukunft kündet, aber mit zumindest<br />

drei Rädern noch in der Gegenwart<br />

steht. Immerhin hilft der Hybridantrieb,<br />

den Kraftstoffverbrauch deutlich zu<br />

senken: Ähnlich starke, rein konventionell<br />

angetriebene Sportwagen verbrauchen<br />

wenigstens 40 Prozent mehr Benzin. Illusorisch<br />

ist aber zu glauben, der Normverbrauch<br />

von 2,1 Litern ließe sich im Alltagsverkehr<br />

erzielen: Auf der Testfahrt lag der<br />

Schnitt dreimal so hoch.<br />

Technische Details<br />

Antrieb<br />

Hybridantrieb, bestehend aus Drei-Zylinder-Benziner<br />

mit 1499 ccm Hubraum<br />

und 170 kW (231 PS) Leistung plus<br />

Synchron-Elektromotor mit 96 kW (131<br />

PS) Leistung und 250 Nm Drehmoment<br />

Fahrleistungen<br />

0–100 km/h in 4,4 Sekunden,<br />

Höchstgeschwindigkeit: 250 km/h<br />

(120 km/h elektrisch)<br />

Energiespeicher<br />

An der Steckdose aufladbare Lithium-<br />

Ionen-Batterie mit 355 Volt Spannung<br />

und 7,1 kWh Kapazität<br />

Energieverbrauch<br />

Nach Norm 2,1 Liter Super/100 km<br />

(49 g CO 2 /km) plus 11,9 kWh Strom;<br />

Testverbrauch: 6,5 Liter Super plus 5,3<br />

kWh/100 km; Tankinhalt: 42 Liter<br />

Kraftübertragung<br />

Allradantrieb, zuschaltbar<br />

6-Gang-Automatikgetriebe<br />

Gewicht<br />

1485 kg leer, Zuladung 370 kg<br />

Verkaufspreis<br />

Basispreis: 126 000 Euro,<br />

Testwagenpreis: 136 450 Euro<br />

SCHALTEN & WALTEN<br />

Reichweitenängste kennen Besitzer von<br />

Plug-in-Hybridautos nicht: Die Batterie<br />

können sie während der Fahrt und im<br />

Sport-Modus mithilfe des Verbrennungsmotors<br />

sowie des Generators aufladen, damit<br />

das Auto bei der Rückkehr in die Stadt<br />

wieder elektrisch rollen kann. Oder der<br />

Fahrer hängt das Auto bei der Ankunft am<br />

Ziel an eine Haushaltssteckdose. Eine<br />

Schnellladung des Akkus ist so aber nicht<br />

möglich. Das bedeutet leider drei Stunden<br />

Wartezeit – und ein wenig Kabelsalat. Laternenparker<br />

tun gut daran, eine Kabeltrommel<br />

einzupacken. Denn das mitgelieferte<br />

Ladeteil ist gerade drei Meter lang.<br />

Helfen könnte elektromagnetische Induktion:<br />

Strom wird dann kabellos aus einer<br />

Bodenplatte gezapft. Eine derartige Technik<br />

testet BMW gerade in der neuen Formel-E-Meisterschaft<br />

für elektrische Rennwagen,<br />

wo der i8 als Safety Car eingesetzt<br />

wird. Das macht mir Hoffnung.<br />

Ansonsten ist der i8 ein völlig unkompliziertes,<br />

voll alltagstaugliches Auto. Wer<br />

sich mit dem Antriebskonzept vertraut gemacht<br />

hat und eine Weile per Fahrerlebnistaste<br />

– wieder so eine Wortschöpfung –<br />

mit den fünf Antriebsmodi experimentiert<br />

hat, findet rasch die Fortbewegungsart, die<br />

perfekt zu Umgebung und Einsatzzweck<br />

passt: geräuschlos in Wohngebieten, sportlich-rasant<br />

auf Autobahnabschnitten ohne<br />

Tempolimit und bei wenig Verkehr. Dass<br />

im Heck nur ein Drei-Zylinder werkelt, hat<br />

der Fahrer schnell vergessen: Der i8 ist in<br />

meinen Augen ein echter Sportwagen.<br />

GELD & KAPITAL<br />

Mit einem Basispreis von 126 000 Euro<br />

bleibt die Hybridflunder aus München für<br />

Normalverdiener unerreichbar. Wer aber<br />

über das nötige Geld verfügt, ein Faible für<br />

Sportwagen hat und sich zu den extrovertierten<br />

Typen zählt, kommt um den i8<br />

kaum herum: Optisch gibt es derzeit kein<br />

schöneres Auto in dieser Preisklasse, technisch<br />

kaum ein faszinierenderes. Zudem<br />

sollen Hybridautos nach den jüngsten<br />

Plänen der Bundesregierung ja bald freie<br />

Fahrt auf Busspuren in den Städten bekommen<br />

– das wäre ein geldwerter Vorteil.<br />

Hinzu kommt: Dank seines Antriebskonzepts<br />

ist der i8 wahrscheinlich noch eine<br />

ganze Weile umwelt- wie auch sozialverträglich.<br />

Obwohl beim Tag der Elektromobilität<br />

eigentlich ein wenig fehl am Platz,<br />

löste sich die Traube der Schaulustigen in<br />

Düsseldorf jedenfalls nur langsam auf. n<br />

Aufgezeichnet und bearbeitet von franz.rother@wiwo.de<br />

WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 85<br />

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Technik&Wissen<br />

VALLEY TALK | Von der Praktikantin zum CEO: Wie<br />

eine deutsche Studentin in Kalifornien mit einer<br />

überzeugenden Geschäftsidee Millionen einsammelt.<br />

Von Matthias Hohensee<br />

Erfolg im zweiten Anlauf<br />

FOTO: JEFFREY BRAVERMAN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

Eigentlich war Laura Behrens Wu<br />

vor anderthalb Jahren ins Silicon<br />

Valley aufgebrochen, um als Praktikantin<br />

beim US-Start-up Lendup<br />

zu arbeiten. Doch schon nach ein paar<br />

Monaten beim Online-Zahlungsdienst<br />

packte die gebürtige Hamburgerin der<br />

Ehrgeiz, selber Unternehmerin zu werden<br />

– mit einem Internet-Marktplatz für Waren<br />

ausländischer Händler.<br />

Doch als sie Saeed Amidi das Konzept<br />

präsentierte, fand der es nicht ausgefallen<br />

genug. Den Chef von Plug and Play Tech<br />

Center, einem der hiesigen Start-up-Brutkästen,<br />

überzeugte aber die Beharrlichkeit<br />

und Energie der Praktikantin. Er empfahl<br />

ihr, mit einer verbesserten Idee wiederzukommen.<br />

Die 23-jährige Studentin der Wirtschaftswissenschaften<br />

an der Universität St. Gallen<br />

nahm das Angebot an. Sie entwickelte<br />

einen Service, mit dem kleinere Online-<br />

Händler den Warenversand über verschiedene<br />

Lieferdienste koordinieren und dabei<br />

die nach Preis und Lieferzeit beste Variante<br />

wählen können. Schon bei der Recherche<br />

für ihre ursprüngliche Idee war Behrens Wu<br />

aufgefallen, welche Probleme unabhängige<br />

Online-Shops mangels brauchbarer Software<br />

mit dem Verschicken ihrer Waren haben.<br />

Zudem können gerade kleinere Läden<br />

kaum mit den billigen bis kostenlosen Lieferkonditionen<br />

großer Wettbewerber wie<br />

Amazon konkurrieren.<br />

20 PROZENT PLUS – MONATLICH<br />

Zwar gab es schon ähnliche Versanddienste,<br />

wie etwa das US-Start-up Easypost.<br />

Doch Behrens Wu erweiterte das Modell.<br />

Sie bündelt mit ihrem neuen Online-Service<br />

Shippo die Nachfrage ihrer Kunden, handelt<br />

so bessere Konditionen bei den Versendern<br />

heraus und gibt diese wieder an<br />

die angeschlossenen Web-Shops weiter.<br />

Im November 2013 gingen sie und ihr St.<br />

Galler Kommilitone Simon Kreuz mit Shippo<br />

in San Francisco an den Start – mit fünf<br />

Kunden. Inzwischen sind 5000 unter Vertrag,<br />

und das Unternehmen wächst monatlich<br />

um 20 Prozent. Nicht schlecht für ein<br />

Start-up mit gerade einmal acht Personen,<br />

inklusive der beiden Gründer.<br />

Während Amazon mit seiner Einkaufsmacht<br />

bis zu 95 Prozent Rabatt bei Lieferdiensten<br />

heraushandeln kann, hat es Shippo<br />

laut Behrens Wu schon auf bis zu 80<br />

Prozent gebracht. Sie fokussierte sich zunächst<br />

auf Versender, die Marktanteile gewinnen<br />

wollten und deshalb bessere Konditionen<br />

boten. So etwa der staatliche US<br />

Postal Service. Inzwischen hat Shippo alle<br />

führenden Lieferdienste integriert.<br />

Das Wachstum des Start-ups hat sich im<br />

Silicon Valley herumgesprochen. Gerade<br />

haben Behrens Wu und Kreuz zwei Millionen<br />

Dollar Risikokapital für die Expansion<br />

eingesammelt, unter anderem <strong>vom</strong> Silicon-<br />

Valley-Finanzierer SoftTech, dessen Gründer<br />

Jeff Clavier in den Aufsichtsrat einzieht.<br />

Die Gründer schwärmen von der Leistungsgesellschaft<br />

im Silicon Valley. „Wo hat<br />

man das schon, dass Praktikanten derart<br />

ernst genommen werden?“, meint Behrens<br />

Wu, die sich nun als eine der wenigen Startup-Chefinnen<br />

behaupten muss.<br />

Ihr Wirtschaftsstudium in St. Gallen haben<br />

die beiden Gründer erst einmal unterbrochen,<br />

und eine Rückkehr ist derzeit eher<br />

unwahrscheinlich. Zu interessant ist die Erfahrung,<br />

Skaleneffekte nicht nur akademisch,<br />

sondern auch in der Praxis beobachten<br />

zu können. Daneben lockt beide<br />

nicht nur der Reiz, mit den Dienstleistern<br />

um die besten Rabatte zu feilschen. Sie<br />

wollen Shippo auch als Marktplatz ausbauen,<br />

mit dem die Versender Nachfrage und<br />

Preise besser abstimmen können.<br />

Noch müssen die Gründer beweisen,<br />

dass sie mit ihrem Modell und dessen niedrigen<br />

Margen langfristig Geld verdienen<br />

können. Aber eine wichtige Voraussetzung<br />

haben sie mit ihrem Angebot schon mal erfüllt:<br />

Shippo löst ein echtes Problem.<br />

Und das können hier im Valley längst<br />

nicht alle Start-ups von sich sagen.<br />

Der Autor ist WirtschaftsWoche-Korrespondent<br />

im Silicon Valley und beobachtet<br />

von dort seit Jahren die Entwicklung der<br />

wichtigsten US-Technologieunternehmen.<br />

WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 87<br />

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Management&Erfolg<br />

Härteste Währung<br />

VERTRAUENSINDEX | Von Amazon bis Zwilling, von Apotheken bis Werkzeugherstellern:<br />

Der exklusive WirtschaftsWoche-Vertrauensindex zeigt erstmals, welchen Marken<br />

Deutschlands Kunden vertrauen. Warum Vertrauen essenzielle Basis für ökonomischen<br />

Erfolg ist. Und wie sich Unternehmen diese Vorschusslorbeeren verdienen können.<br />

Die alte Duschkabine abbauen,<br />

eine neue montieren und ein<br />

Fenster in die Terrassenabtrennung<br />

einbauen: uebo1960<br />

hatte sich was vorgenommen<br />

fürs Wochenende. Die größte Sorge des internetaffinen<br />

Heimwerkers: Weil er viele<br />

verschiedene Schraubenarten benötigte,<br />

musste er an seinem Akkuschrauber die<br />

passenden Schraubendreherklingen, im<br />

Fachjargon Bits genannt, immer wieder<br />

wechseln – unter Heimwerkern wie professionellen<br />

Handwerkern ein Dauerproblem,<br />

für dessen Lösung die Werkzeugsparte<br />

von Bosch das Modell PSR Select<br />

entwickelt hat: ein Akkuschrauber mit integrierter<br />

Trommel für zwölf Standard-<br />

Bits, die man so lange dreht, bis der gewünschte<br />

Bit im Sichtfenster erscheint.<br />

Als „sehr hilfreich und genial“ beschreibt<br />

uebo1960 im Internet-Forum bosch-do-it.de<br />

seine Erfahrungen beim Einbau von Dusche<br />

und Fenster. „Ich bin rundum zufrieden mit<br />

der Leistung des Produkts.“<br />

Auf der von Bosch betriebenen Plattform<br />

finden sich Dutzende Einträge dieser Art.<br />

Hier diskutieren Heimwerker über ihre<br />

neuesten Projekte, stellen Fragen zum<br />

Bohren, Schleifen, Dübeln, erzählen von<br />

ihren Erfahrungen mit Geräten von Bosch<br />

oder anderen Herstellern. Ganz ähnlich<br />

auch auf der Bosch-eigenen Bob Community<br />

(„Hier reden Profis“): Hier können<br />

professionelle Handwerker fachsimpeln,<br />

untereinander oder mit Bosch-Mitarbeitern<br />

– etwa über die Sinnhaftigkeit drehbarer<br />

Doppel-Bits. „Wenn so etwas gewünscht<br />

wird, kann sich BOB das Bauen<br />

solcher Bits ja mal überlegen“, regt User<br />

Blau-Grün an. „Oder was meint ihr?“<br />

Ob positiv oder kritisch – Anmerkungen<br />

wie diese sind in den Augen von Henning<br />

von Boxberg Gold wert. Regelmäßig lässt<br />

der Vorsitzende der Bosch-Werkzeugsparte<br />

Bosch Power Tools nicht nur Händler zu<br />

ihren Erfahrungen befragen. Vor allem<br />

über seine Internet-Kanäle sammelt Bosch<br />

kontinuierlich Feedback von Heimwerkern<br />

und Profi-Schraubern und lässt es in die<br />

Entwicklungsarbeit einfließen.<br />

Händler, Hotels, Haushalt<br />

Welchen 20 Branchen wir am meisten<br />

vertrauen<br />

Branche<br />

Elektronikmärkte<br />

Baumärkte<br />

Unterhaltungselektronik<br />

Uhrenhersteller<br />

Fluggesellschaften<br />

Kreditkartengesellschaften<br />

Kamerahersteller<br />

Kaffeevollautomatenhersteller<br />

Hotels – Mittelklasse<br />

Haushaltsgeräte<br />

Paketdienste<br />

Schreibgeräte<br />

Kfz-Prüfstellen<br />

Hotels – Premium<br />

Haushaltselektronik<br />

Luxusmarken<br />

Hotels – Budget<br />

Audiohersteller<br />

E-Mail-Anbieter<br />

Software<br />

Quelle: ServiceValue/WirtschaftsWoche 2014<br />

Branchendurchschnitt<br />

(in Prozent)<br />

79<br />

76<br />

76<br />

75<br />

75<br />

74<br />

73<br />

72<br />

69<br />

69<br />

68<br />

68<br />

68<br />

67<br />

67<br />

67<br />

64<br />

63<br />

62<br />

62<br />

„Wir entwickeln unsere Produkte <strong>vom</strong><br />

Verwender her“, sagt von Boxberg. „Dafür<br />

erforschen wir die Bedürfnisse, Probleme<br />

und Anwendungsfelder der Kunden, um<br />

innovative Lösungen zu finden, die dem<br />

Verwender wirklichen Nutzen bieten.“<br />

So machte die Bosch-Werkzeugsparte<br />

im vergangenen Jahr 35 Prozent ihres<br />

Umsatzes mit Produkten, deren Markteinführung<br />

weniger als zwei Jahre zurücklag.<br />

Und die dem Unternehmen in den Geschäftsfeldern<br />

Elektrowerkzeuge, Zubehör<br />

und Messtechnik die Marktführerschaft sicherten,<br />

die 2014 mit mehr als 100 Produktneuheiten<br />

verteidigt werden soll.<br />

„Technik fürs Leben“ heißt der Bosch-<br />

Slogan, der diese Strategie kompakt bündelt<br />

– und bei Bosch-Kunden offenbar<br />

glaubhaft rüberkommt.<br />

ESSENZIELLE BASIS<br />

Das belegt jedenfalls der WirtschaftsWoche-Vertrauensindex,<br />

für den die Analyse-<br />

Gesellschaft ServiceValue 248 435 Kunden<br />

von 863 Unternehmen und Marken aus 54<br />

Branchen befragt hat (siehe Seite 97).<br />

Demnach vertrauen 95,6 Prozent der befragten<br />

Kunden dem schwäbischen Unternehmen<br />

als Werkzeughersteller. Einsame<br />

Spitze nicht nur innerhalb dieser Sparte –<br />

auch branchenübergreifend genießt kein<br />

Unternehmen größeres Vertrauen seiner<br />

Kunden.<br />

„Ob für Unternehmen und ihre Kunden<br />

oder ganze Volkswirtschaften“, sagt Rolf<br />

van Dick, Professor am Institut für Psychologie<br />

der Universität Frankfurt, der die<br />

WirtschaftsWoche-Umfrage begleitet hatte,<br />

„Vertrauen ist die essenzielle Basis jeder<br />

ökonomischen Beziehung.“<br />

»<br />

88 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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FOTOS: PEOPLE PICTURE/RAINER ECKHARTER, REUTERS/MIKE BLAKE, PR (3), DDP IMAGES/DAPD/HARALD TITTEL, CARO FOTOAGENTUR/MARIA CONRADI, IMAGO/ROLF BRAUN, REUTERS/JASON REDMOND<br />

WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 89<br />

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Management&Erfolg<br />

»<br />

Die Bedeutung des Vertrauens als Basis<br />

einer freiheitlichen Gesellschaft, als<br />

Schmierstoff seiner Volkswirtschaft ist in<br />

der Tat kaum zu überschätzen. „In God we<br />

trust“ steht seit 1864 auf jeder Münze der<br />

US-amerikanischen Währung – Vertrauen<br />

nicht nur in Gott, sondern auch in wirtschaftliche<br />

Prosperität. Wie eng Vertrauen<br />

und ökonomisches Wachstum zusammenhängen,<br />

haben etwa die Ökonomen Stephen<br />

Knack und Paul Zak herausgefunden:<br />

Steigt der Anteil der Menschen, die ihre<br />

Mitbürger generell für vertrauenswürdig<br />

halten, um 15 Prozent, erhöht sich das Pro-<br />

Kopf-Wachstum um ein Prozent.<br />

320 000 MITGLIEDER WENIGER<br />

Wie unersetzbar wichtig Vertrauen für das<br />

Funktionieren wirtschaftlicher Beziehungen<br />

ist, zeigt sich vor allem dann, wenn es<br />

verschwindet: Ob Weltwirtschaftskrise<br />

1929 oder Finanz- und Bankenkrise 2007 –<br />

unabhängig von ihren unmittelbaren Auslösern<br />

war Kern und Ursache dieser tief<br />

greifenden Umwälzungen stets der Verlust<br />

von Vertrauen – in die Stabilität von Währungen,<br />

die Zuverlässigkeit von Unternehmensbilanzen,<br />

die Redlichkeit einzelner<br />

Politiker und Manager.<br />

320 000 Mitglieder kehrten dem ADAC<br />

den Rücken, nachdem bekannt geworden<br />

war, dass die Organisation Rankings gefälscht<br />

hatte. Und allein 1000 Versicherte<br />

kündigten der Ergo mit Hinweis auf die<br />

publik gewordenen Lustreisen einiger Ver-<br />

triebler des Versicherungskonzerns.<br />

„Vertrauen ihrer Kunden ist<br />

die härteste Währung für Unternehmen“,<br />

sagt Peter Maas,<br />

Management-Professor an der<br />

Universität St. Gallen. „Und<br />

ein Mechanismus, um soziale<br />

Komplexität zu reduzieren.<br />

Wenn ich vertraue, muss ich<br />

nicht wissen“ (siehe Interview<br />

Seite 98).<br />

Dieses Vertrauen der Kunden<br />

zu gewinnen ist ein langer Weg,<br />

auf dem man seinen Grundsätzen treu bleiben<br />

sollte: Statt der gesetzlich vorgeschriebenen<br />

50 000 Zyklen verlangt etwa Bosch<br />

von den Schaltern seiner Profi-Geräte doppelt<br />

so viele Belastungstests, bevor das Gerät<br />

auf den Markt kommt. Und die Rückholfeder<br />

bei Pendelschutzhauben von Handkreissägen<br />

muss 250 000 Zyklen durchhalten<br />

– fünfmal so viele wie vorgeschrieben.<br />

Doch Qualität allein genügt nicht – sie<br />

muss auch kommuniziert werden: Besonders<br />

gut können das offenbar Elektronikmärkte<br />

wie Saturn („Geiz ist geil“) und<br />

Media Markt („Ich bin doch nicht blöd“)<br />

und Baumärkte wie Obi („Wie wo was weiß<br />

Obi“) oder Hornbach („Mach es zu Deinem<br />

Projekt“), die durch einprägsame<br />

Dauerbeschallung auf sich aufmerksam<br />

machten. „Die Werbung von Media Markt<br />

ist den Leuten vertrauter als der eigene<br />

Onkel“, sagt Thomas Strerath, Chef der<br />

MEHR ZUM THEMA<br />

Wie alle 863 Marken im<br />

Vertrauensindex<br />

abgeschnitten haben,<br />

sehen Sie ab Montag<br />

auf wiwo.de/vertrauen<br />

und in unserer iPad-<br />

<strong>Ausgabe</strong>.<br />

Welche Bedeutung<br />

Vertrauen für Wachstum<br />

hat, lesen Sie auf<br />

Seite 42<br />

Werbeagentur Ogilvy & Mather.<br />

„Man kommt gar nicht an ihr<br />

vorbei.“<br />

Doch umgekehrt gilt auch:<br />

Wer laut ist, muss auch Leistung<br />

liefern. „Die Saturn-Fachberater<br />

etwa gehen aktiv auf<br />

Kunden zu“, sagt Marketingexperte<br />

Dieter Castenow von der<br />

Agentur Castenow Communications.<br />

„Sie lassen auch beim<br />

Preis mal mit sich handeln.“ Die<br />

Folge: Keiner Branche bringen<br />

Kunden so viel Vertrauen entgegen<br />

wie Bau- und Elektrofachmärkten.<br />

„Halte, was du versprichst“: Was Marc<br />

Sasserath Unternehmen rät, um glaubwürdig<br />

zu bleiben (siehe Seite 94), gehört auch<br />

zum Kern der Aldi-Erfolgsstory. Lustig<br />

oder gar sexy zu sein dürfe man <strong>vom</strong> Discounter<br />

nicht erwarten – „das hat er aber<br />

auch nie von sich behauptet“, sagt Sasserath.<br />

„Aldi verspricht etwas sehr Einfaches,<br />

und das wird dann auch erfüllt.“<br />

JENSEITS DES RATIONALEN<br />

Beste Voraussetzung für einen Bonus jenseits<br />

des Rationalen. „Wer einer Marke vertraut“,<br />

sagt Werber Strerath, „lässt sich bei<br />

seiner Kaufentscheidung auch kaum durch<br />

Testberichte beeinflussen.“<br />

So wie schlechte Presse nicht zwangsläufig<br />

das Kundenvertrauen erschüttern muss<br />

– wenn die Leistung stimmt. Beispiel Amazon:<br />

Laut Index vertrauen Kunden keinem<br />

FOTO: PR<br />

FOSSIL<br />

Service ist alles<br />

Wo man denn die Uhr erstanden habe?<br />

Dass ohne den Original-Kassenzettel gar<br />

nichts gehe. Ob die Garantie sowieso nicht<br />

längst abgelaufen sei? Und ob man nicht<br />

einfach schuld sei: Lästige Fragen, die die<br />

Kundin auf sich zukommen sah, als sie sich<br />

per Mail nach den Möglichkeiten einer Reparatur<br />

erkundigte. Der Stundenzeiger ihrer<br />

Fossil-Uhr – ein Geschenk ihres Bruders,<br />

der die Uhr bei Amazon erstanden<br />

hatte – war abgefallen, sie wollte den defekten<br />

Zeitmesser am liebsten direkt in die<br />

Deutschlandzentrale nach Grabenstätt bei<br />

Traunstein senden. Die Antwort kam<br />

Roter Teppich für die Kunden Hohes Vertrauen<br />

dank Kompetenz und Erreichbarkeit<br />

90 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Versandhändler mehr als den Amerikanern<br />

– obwohl die Gewerkschaften wegen<br />

schlechter Arbeitsbedingungen und Niedriglöhnen<br />

Sturm laufen und er alle Steuerschlupflöcher<br />

nutzt. Zumindest, solange<br />

Amazon Bestellungen aus seinem riesigen<br />

Angebot zuverlässig und schnell liefert.<br />

„Vertrauen gilt es jeden Tag aufs Neue zu<br />

bestätigen“, sagt Sven Schuwirth, Leiter der<br />

Marken- und Vertriebsentwicklung bei Audi.<br />

Die Ingolstädter stehen im Vertrauensindex<br />

unter Deutschlands Autobauern an<br />

der Spitze – obwohl sie weder die stärkste<br />

Marke hätten noch am innovativsten seien,<br />

so Markenexperte Sasserath. „Aber Audi<br />

hat kaum Rückrufe und hohe Qualität –<br />

und diese Qualität erzeugt Vertrauen“, sagt<br />

Thomas Klindt, Experte für Produktrückrufe<br />

in der Kanzlei Noerr.<br />

Dass man verlorenes Vertrauen auch zurückgewinnen<br />

kann, zeigt Commerzbank-<br />

Vorstand Arno Walter. „Kunden wollen eine<br />

Bank, die fair und kompetent ist und offen<br />

mit ihnen umgeht“, hat Walter aus Verbraucherumfragen<br />

gelernt. 70 Prozent des<br />

Gehalts von Führungskräften hängen inzwischen<br />

direkt oder indirekt von der Kundenzufriedenheit<br />

ab, die monatlich abgefragt<br />

wird – übers Jahr gesehen bei 140 000<br />

Privat- und Geschäftskunden. Unzufriedene<br />

Kunden rufen Filialleiter selbst an.<br />

Die Bilanz des Kulturwandels: Mehr als<br />

380 000 Neukunden. „Dieses Vertrauen“,<br />

sagt Walter, „ist unbezahlbar.“<br />

n<br />

claudia.toedtmann@wiwo.de; manfred engeser<br />

prompt: „Bitte schicken Sie uns die Uhr<br />

einfach“, hieß es lapidar. Wenig später kam<br />

sie repariert zurück, im Vintage-Karton,<br />

dem Markenzeichen von Fossil.<br />

Kundenorientierung ist erklärtes Ziel der<br />

Fossil Group, des US-Uhrenherstellers, der<br />

neben Eigen- auch zahlreiche Lizenzmarken<br />

im Programm hat – darunter Emporio<br />

Armani, Adidas, DKNY, Diesel, Burberry,<br />

Karl Lagerfeld oder Michael Kors. Edelmarken,<br />

die selbst einen Ruf zu verlieren<br />

hätten, würde Partner Fossil seine Kunden<br />

nicht so zuverlässig betreuen.<br />

„Erreichbarkeit, Zuhören und Fachkompetenz“<br />

sind die erklärten Kernpunkte des<br />

Kundenservices, ob per E-Mail oder am Ladentisch.<br />

Dafür schult Fossil die Verkäufer<br />

seiner weltweit 540 Stores regelmäßig, hält<br />

engen Kontakt zu seinen Fachhändlern. Der<br />

Kunde zahlt es in seiner eigenen Währung<br />

zurück: Keinem Uhrenhersteller bringt er<br />

mehr Vertrauen entgegen als Fossil.<br />

WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 91<br />

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Management&Erfolg<br />

Von aufmerksamen Apothekern...<br />

Welche Marken deutscher Unternehmen in ausgewählten Branchen unter ihren Kunden in Deutschland...<br />

Branche<br />

Apotheken –<br />

Kooperationen<br />

Versandapotheken<br />

Audiohersteller<br />

Autoglasreparatur<br />

Autohäuser<br />

Autohersteller<br />

Autoservice<br />

Autovermieter<br />

Banken –<br />

bundesweit<br />

Banken –<br />

online<br />

Banken –<br />

regional<br />

Baumärkte<br />

Bausparkassen<br />

Carsharing-Anbieter<br />

Unternehmen<br />

Linda Apotheke<br />

mea – meine apotheke<br />

gesund leben-Apotheken<br />

DocMorris.de<br />

versandapotheke.de<br />

Sanicare.de<br />

Bose<br />

Pioneer<br />

Sennheiser<br />

Carglass<br />

Scheiben-Doktor<br />

Ihr Autoglaser<br />

Jacobs Gruppe<br />

Max Moritz<br />

Scherer<br />

Audi<br />

Volkswagen<br />

BMW<br />

Bosch Car Service<br />

A.T.U.<br />

Pit Stop<br />

Sixt<br />

Europcar<br />

Hertz<br />

Commerzbank<br />

Postbank<br />

Deutsche Bank<br />

ING-Diba<br />

Volkswagen Bank<br />

Comdirect<br />

Sparkasse KölnBonn<br />

Kreissparkasse Köln<br />

Sparkasse Bremen<br />

Obi<br />

Bauhaus<br />

Hornbach<br />

LBS<br />

Bauspark. Schwäb. Hall<br />

Wüstenrot Bausparkasse<br />

Car2go<br />

Positive<br />

Abweichung <strong>vom</strong><br />

Branchenmittelwert<br />

in absoluten<br />

Prozentpunkten<br />

29<br />

17<br />

5<br />

26<br />

21<br />

12<br />

24<br />

20<br />

16<br />

38<br />

7<br />

4<br />

29<br />

7<br />

3<br />

29<br />

27<br />

22<br />

25<br />

23<br />

16<br />

30<br />

27<br />

24<br />

26<br />

20<br />

19<br />

24<br />

14<br />

8<br />

13<br />

12<br />

11<br />

14<br />

12<br />

11<br />

19<br />

18<br />

11<br />

15<br />

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Branche<br />

Carsharing-Anbieter<br />

Auszeichnung<br />

Computer-<br />

Fachmärkte<br />

Elektronikmärkte<br />

E-Mail-Anbieter<br />

Energieversorger<br />

Fahrradhersteller<br />

Finanzvertriebe<br />

Fluggesellschaften<br />

Fondsanbieter<br />

Haushaltselektronik<br />

Haushaltsgeräte<br />

Haushaltswaren<br />

Haustechnik<br />

Hotels – Budget<br />

Unternehmen<br />

Stadtmobil<br />

DriveNow<br />

PC-Spezialist<br />

Atelco Computer<br />

Saturn<br />

Media Markt<br />

expert<br />

GMX<br />

web.de<br />

Google mail<br />

E.On<br />

RWE<br />

Vattenfall<br />

Kettler<br />

Hercules<br />

Pegasus<br />

Postbank Finanzberatung<br />

Dt. Vermögensberatung<br />

Swiss Life Select<br />

Lufthansa<br />

Air Berlin<br />

Condor<br />

Deka<br />

Union Investment<br />

Pioneer Investments<br />

Tefal<br />

Kärcher<br />

Rowenta<br />

AEG<br />

Siemens<br />

Miele<br />

WMF<br />

Villeroy & Boch<br />

Zwilling<br />

Vaillant<br />

Grohe<br />

Velux<br />

Ibis<br />

Ramada<br />

B&B Hotels<br />

Positive<br />

Abweichung <strong>vom</strong><br />

Branchenmittelwert<br />

in absoluten<br />

Prozentpunkten<br />

14<br />

4<br />

12<br />

4<br />

12<br />

11<br />

2<br />

18<br />

18<br />

15<br />

27<br />

24<br />

14<br />

35<br />

30<br />

25<br />

24<br />

22<br />

8<br />

20<br />

13<br />

10<br />

18<br />

14<br />

13<br />

22<br />

22<br />

19<br />

23<br />

23<br />

23<br />

32<br />

29<br />

24<br />

30<br />

26<br />

26<br />

16<br />

8<br />

1<br />

Auszeichnung<br />

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92 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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...bis zu vertrauenswürdigen Versicherern<br />

...das höchste Vertrauen genießen (lll höchstes Vertrauen; ll sehr hohes Vertrauen; l hohes Vertrauen)<br />

Branche<br />

Hotels –<br />

Mittelklasse<br />

Hotels –<br />

Premium<br />

Kamerahersteller<br />

Kfz-Prüfstellen<br />

Krankenkassen<br />

Luxusmarken<br />

Ökostromanbieter<br />

Paketdienste<br />

Kaffeevollautomatenhersteller<br />

Kreditkartengesellschaften<br />

Personalvermittlung<br />

u. -überlassung<br />

Privatbanken<br />

Reisebüros<br />

Reiseveranstalter<br />

Unternehmen<br />

Holiday Inn<br />

Best Western<br />

Mercure<br />

Hilton<br />

Maritim Hotel<br />

Steigenberger Hotel<br />

Melitta<br />

Krups<br />

De’Longhi<br />

Canon<br />

Nikon<br />

Kodak<br />

TÜV<br />

Dekra<br />

Techniker Krankenkasse<br />

Barmer GEK<br />

DAK Gesundheit<br />

MasterCard<br />

Visa<br />

Hugo Boss<br />

Calvin Klein<br />

Chanel<br />

Naturstrom<br />

Natur Energie<br />

EnergieGut<br />

DHL<br />

Hermes<br />

UPS<br />

Job AG<br />

Randstad<br />

Persona Service<br />

HSBC Trinkaus & Burkhardt<br />

Merck, Finck & Co<br />

B. Metzler seel. Sohn &Co.<br />

Lufthansa City Center<br />

DER Reisebüro<br />

sonnenklar.tv Reisebüro<br />

TUI<br />

Thomas Cook<br />

Alltours<br />

Positive<br />

Abweichung <strong>vom</strong><br />

Branchenmittelwert<br />

in absoluten<br />

Prozentpunkten<br />

16<br />

11<br />

9<br />

12<br />

12<br />

8<br />

6<br />

5<br />

1<br />

20<br />

15<br />

12<br />

21<br />

20<br />

36<br />

30<br />

22<br />

13<br />

13<br />

24<br />

22<br />

18<br />

12<br />

9<br />

8<br />

23<br />

13<br />

11<br />

18<br />

18<br />

12<br />

4<br />

3<br />

2<br />

20<br />

11<br />

2<br />

36<br />

32<br />

31<br />

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Branche<br />

Schreibgeräte<br />

Schulungen/<br />

Fortbildungen<br />

Software<br />

Telekommunikation<br />

Uhrenhersteller<br />

Auszeichnung<br />

Unterhaltungselektronik<br />

Versandhändler<br />

Versicherer –<br />

Exklusivvertrieb<br />

Versicherer –<br />

Makler<br />

Versicherer –<br />

Multikanalvertrieb<br />

Versicherer –<br />

online<br />

Weinhändler<br />

Werkzeughersteller<br />

Unternehmen<br />

Faber-Castell<br />

Pelikan<br />

Lamy<br />

Ils<br />

FernUniversität Hagen<br />

sgd (Studiengem. Darmstadt)<br />

Microsoft<br />

Adobe<br />

McAfee<br />

Deutsche Telekom<br />

Vodafone<br />

O2<br />

Fossil<br />

Casio<br />

Swatch<br />

Samsung<br />

Philips<br />

Sony<br />

amazon.de<br />

tchibo.de<br />

otto.de<br />

Huk-Coburg<br />

DEVK<br />

Debeka<br />

VHV<br />

HanseMerkur<br />

Condor Versicherungen<br />

Allianz<br />

R+V<br />

Axa<br />

Huk24<br />

Ergo Direkt<br />

CosmosDirekt<br />

Jacques’ Wein-Depot<br />

Vino Weinmärkte<br />

Barrique<br />

Bosch<br />

Black & Decker<br />

Hilti<br />

Quelle: ServiceValue/WirtschaftsWoche 2014<br />

Positive<br />

Abweichung <strong>vom</strong><br />

Branchenmittelwert<br />

in absoluten<br />

Prozentpunkten<br />

26<br />

25<br />

21<br />

14<br />

10<br />

8<br />

27<br />

27<br />

8<br />

32<br />

27<br />

26<br />

14<br />

11<br />

9<br />

18<br />

15<br />

15<br />

39<br />

35<br />

35<br />

29<br />

23<br />

15<br />

30<br />

26<br />

23<br />

26<br />

22<br />

18<br />

31<br />

21<br />

19<br />

26<br />

12<br />

4<br />

41<br />

30<br />

29<br />

Auszeichnung<br />

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WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 93<br />

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Management&Erfolg<br />

Zuverlässig gewartet Lufthansa punktet<br />

bei Kunden mit hoher Technikkompetenz<br />

LUFTHANSA<br />

Zuverlässig zupacken<br />

statt weglächeln<br />

Eigentlich ist es streng verboten – doch für<br />

König Fußball machte das Unternehmen<br />

eine Ausnahme: „Fanhansa“ stand zwischen<br />

Mitte Mai und Mitte Juli auf acht<br />

Flugzeugen der Lufthansa, mit der sie nicht<br />

nur die deutsche Fußballnationalmannschaft<br />

nach Brasilien und wieder zurück<br />

brachte, sondern auch Tausende Fußballfans<br />

transportierte. Als „Überraschung für<br />

unsere Kunden und ein Dank an unsere<br />

Fans“ beschreibt Lufthansa-Marketingleiter<br />

Alexander Schlaubitz die Aktion.<br />

Von der Lufthansa zur Fanhansa: Was<br />

auf den ersten Blick wie ein gelungener,<br />

schnell ausgedachter Marketing-Gag wirkte,<br />

ist für das Unternehmen inzwischen<br />

Programm – nicht nur weil die Fluglinie<br />

erstmals seit Aufnahme des Flugbetriebs<br />

vor fast 60 Jahren für einen Teil der Flotte<br />

und einen begrenzten Zeitraum ihren Namen<br />

auf dem Flugzeugrumpf veränderte.<br />

Sondern weil Service künftig größer geschrieben<br />

werden soll.<br />

Ohne allerdings den Wert der 90-jährigen<br />

Historie infrage zu stellen, die offenbar<br />

wesentlich zum hohen Kundenvertrauen<br />

beiträgt – die Lufthansa ist laut Vertrauensindex<br />

unter ihren Kunden die Airline mit<br />

den höchsten Vertrauenswerten und nach<br />

Bosch das Unternehmen mit den absolut<br />

höchsten Vertrauenswerten: „Je länger die<br />

Unternehmenstradition, umso mehr Kompetenz<br />

trauen die Kunden der Firma zu“,<br />

sagt Management-Professor Peter Maas<br />

von der Universität St. Gallen.<br />

Natürlich: Fast jeder, der schon mal mit<br />

Lufthansa geflogen ist, wird sich schon mal<br />

über die Airline geärgert haben – über unfreundliche<br />

Stewards, pampige Stewardessen,<br />

kaputte Sitze, schlechtes Essen. Oder<br />

über Piloten, die gefühlt alle zwei Monate<br />

streiken.<br />

Aber das kann einem, zugegeben, auch<br />

mit jeder anderen Airline passieren. Über<br />

den Wolken zählen schließlich noch andere<br />

Kriterien als dauerlächelndes Flugpersonal<br />

– und da kann die Lufthansa voll<br />

punkten: in Sachen technischer Zuverlässigkeit<br />

zum Beispiel. Die Flugzeuge haben<br />

wenige Pannen und werden öfter gewartet<br />

als gesetzlich vorgeschrieben. Oder besonders<br />

streng ausgewählte und gut ausgebildete<br />

Piloten. Die achtmal im Jahr Simulatortraining<br />

absolvieren und nicht nur viermal<br />

wie <strong>vom</strong> Gesetzgeber vorgeschrieben.<br />

Selbst das Kabinenpersonal sorgt für besonderes<br />

Vertrauen. Vielleicht nicht weil<br />

mit dem Lächeln so offensiv geworben<br />

wird, wie es asiatische Konkurrenten tun.<br />

Aber weil man den Flugbegleitern in ihren<br />

akkuraten blau-orangenen Uniformen zutraut,<br />

auch bei Turbulenzen in der Luft ruhig<br />

zu bleiben und bei Bedarf unerschrocken<br />

zupacken zu können, wie Branchenkenner<br />

bestätigen.<br />

Natürlich, auch das kann noch besser<br />

werden: Geht es nach Vorstandschef Carsten<br />

Spohr, soll Lufthansa die Airline mit<br />

dem besten Service aller Fluglinien aus Europa<br />

und den USA werden. Das Ziel, spätestens<br />

für Sommer 2015: als erste westliche<br />

Fluggesellschaft die Höchstwertung<br />

von fünf Sternen im Qualitätsranking von<br />

Skytrax erreichen, das in der Branche als<br />

wichtigster Gradmesser gilt. Bislang erreicht<br />

die Lufthansa die maximale Punktzahl<br />

nur für ihre First Class.<br />

Den besseren Service will sich die Lufthansa<br />

mehr als eine Milliarde Euro kosten<br />

lassen und zu den sechs besten Premium-<br />

Carriern der Welt aufsteigen, so Spohrs<br />

Plan – bis spätestens Ende 2015.<br />

Dann soll es auch komfortablere Sitze<br />

geben und der Service der Crew an Bord<br />

und am Boden besser werden. In 200 Mitarbeiterseminaren<br />

sollen 2500 Lufthansa-<br />

Mitarbeiter lernen, noch besser auf die Bedürfnisse<br />

ihrer Kunden einzugehen. An<br />

den Flughäfen soll es dann frisch zubereitetes<br />

Essen geben und im Flieger die Auswahl<br />

unter 100 Kinofilmen – drei Mal mehr<br />

als bisher. Und wer besonders oft mit Lufthansa<br />

durch die Welt gondelt, soll an separaten<br />

Gates schneller die Sicherheitskontrollen<br />

passieren können und später einsteigen<br />

dürfen als Kunden, die nur dann<br />

einsteigen, wenn gerade die nächste Fußballweltmeisterschaft<br />

vor der Tür steht.<br />

TIPPS<br />

»Halte, was du<br />

versprichst«<br />

Wie Sie Vertrauen gewinnen,<br />

verrät Werber Marc Sasserath.<br />

MITARBEITER PFLEGEN<br />

Ihre Mitarbeiter sind das Aushängeschild<br />

Ihrer Marke, nach innen wie nach<br />

außen. Nur wenn sie <strong>vom</strong> Unternehmen,<br />

für das sie arbeiten, überzeugt sind,<br />

können sie auch Ihre Kunden für Ihre<br />

Produkte begeistern. Umgekehrt gilt:<br />

Unzufriedenes Personal zerstört das<br />

Vertrauen in Ihre Marke sehr schnell.<br />

KULANZ BEWEISEN<br />

Ein Kunde beschwert sich? Kein Problem,<br />

sondern eine Chance: Seien Sie<br />

großzügig, beweisen Sie Kulanz, bleiben<br />

Sie stets freundlich, kommunizieren<br />

Sie transparent – Ihr positives Verhalten<br />

wird sich wie ein Lauffeuer zu<br />

Ihren Gunsten verbreiten.<br />

VERSPRECHEN HALTEN<br />

Die Qualität Ihrer Kommunikation und<br />

Ihrer Produkte muss Hand in Hand gehen.<br />

Geben Sie ruhig Garantien ab –<br />

aber versprechen Sie Ihren Kunden nur,<br />

was Sie auch halten können und wollen.<br />

»<br />

FOTO: ROPI/RAINER UNKEL<br />

94 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Management&Erfolg<br />

FABER-CASTELL<br />

Traditioneller<br />

Begleiter<br />

Zwei kämpfende Ritter über dem in grüner<br />

Schreibschrift gehaltenen Firmennamen,<br />

darunter das Gründungsjahr: Since 1764.<br />

Genau 250 Jahre alt ist der Stiftehersteller<br />

aus Stein bei Nürnberg, der seine Historie<br />

auf der unternehmenseigenen Web-Site<br />

durchaus bewusst inszeniert:„Die Kompetenz<br />

von Faber-Castell basiert auf unseren<br />

Wurzeln, unserer Geschichte und unserer<br />

Erfahrung“, heißt es im Online-Auftritt der<br />

Marke. „Und wir nutzen sie, um die Zukunft<br />

unternehmerisch zu gestalten.“<br />

In der Tat wäre es falsch, das hohe Vertrauen,<br />

das Faber-Castell bei seinen Kunden<br />

als höchstplatzierter Stifteproduzent<br />

und branchenübergreifende Nummer drei<br />

im Vertrauensindex nachweislich genießt,<br />

allein auf seine illustre Geschichte zurückzuführen.<br />

Oder darauf, dass Anton Wolfgang<br />

Graf von Faber-Castell, der das Unternehmen<br />

in achter Generation führt, mit<br />

seinem Gesicht für die Marke wirbt.<br />

Wesentlich für den heutigen Erfolg war<br />

ein Strategiewechsel Anfang der Neunzigerjahre.<br />

Die Idee: Faber-Castell zum Lebensbegleiter<br />

zu machen. „Von Kindesbeinen<br />

an wollen wir den Verbraucher an<br />

die Marke binden“, so Unternehmenschef<br />

Anton Wolfgang Graf von Faber-Castell.<br />

Und immer wieder mit innovativen Produkten<br />

an sich binden.<br />

Produktion hautnah<br />

erleben Mit Führungen<br />

stärkt Stiftehersteller<br />

Faber-Castell die<br />

Kundenbindung<br />

Vom Schüler, der in seinen mit Faber-<br />

Buntstiften gemalten Bildern fröhlich radieren<br />

kann, bis zum Künstler, der dank<br />

wasservermalbarer Stifte Zeichnungen in<br />

Aquarelle verwandeln kann. Und sich darauf<br />

verlassen kann, dass die Farben nicht<br />

verblassen, wenn sie in Museen oder Galerien<br />

hängen und dem Sonnenlicht ausgesetzt<br />

sind. Und auch so mancher Senior hat<br />

<strong>vom</strong> Erfindungsreichtum der Traditionsmarke<br />

schon profitiert: Für die „Antirutschzone<br />

aus Wasserlacknoppen auf<br />

dem Stift“ bedankte sich die Deutsche Parkinson<br />

Gesellschaft eigens per Brief, weil<br />

sie die als therapeutische Produkte für<br />

Kranken einsetzt.<br />

Die Erwartung: Wer als Kind gute Erfahrungen<br />

mit den Stiften gemacht hat, gibt<br />

sie auch eines Tages seinen eigenen Kindern.<br />

Damit das so bleibt, lädt das Unternehmen<br />

16 000 Besucher im Jahr in die<br />

schlosseigene Produktion – für viele Schulen<br />

im Umkreis seit Jahrzehnten ein fester<br />

Programmpunkt. Selbst das bayrische<br />

Schulministerium kooperiert mit Faber-<br />

Castell: Allein 2013 veranstaltete es zusammen<br />

mit dem Stiftehersteller 65 Lehrerschulungen<br />

zu Produkten und Kunsterziehung.<br />

Angehende Kunststudenten können<br />

sich in sogenannten Mappenkursen<br />

von Profikünstlern bei der Bewerbung helfen<br />

lassen.<br />

Selbst in Sachen Nachhaltigkeit kann Faber-Castell<br />

glaubwürdig punkten: mit eigenen<br />

Pinien- und Gmelinawäldern in Brasilien<br />

und Kolumbien, die es selbst bewirtschaftet,<br />

um Sozialverträglichkeit und ökologische<br />

Ansprüche sicherzustellen.<br />

AMAZON<br />

Der auf den leeren<br />

Stuhl schaut<br />

Wenn er an einem Meeting mit seinen<br />

Top-Managern teilnimmt, kommt Jeff Bezos<br />

meist in Begleitung – eines Stuhls, den<br />

er zu vielen dieser Treffen mitbringt.<br />

Nicht, um sich selbst oder andere Teilnehmer<br />

draufzusetzen. Der Stuhl bleibt leer –<br />

ganz bewusst, für die Person, um die sich<br />

in den Besprechungen alles dreht, die<br />

aber physisch nie anwesend ist:den Amazon-Kunden.<br />

Der Spleen eines verrückten Unternehmensgründers?<br />

Keineswegs. Was Amazon-Gründer<br />

Bezos mit seiner skurrilen<br />

Methode bei seinen Managern erreichen<br />

wollte: Bei jeder einzelnen ihrer Entscheidungen<br />

sollte stets das Kunden-Interesse<br />

das größte Gewicht haben.<br />

Um diesen gedanklichen Fokus im Laufe<br />

eines Meetings nicht aus den Augen zu<br />

verlieren, lässt er am Schluss noch einmal<br />

bewusst überprüfen, ob die in den zurückliegenden<br />

Stunden getroffenen Entscheidungen<br />

für den Kunden wirklich relevant<br />

sind.<br />

Was Amazon darunter versteht? Der<br />

beste Kundenservice, so die Devise des<br />

Internet-Händlers, ist der, der nicht nötig<br />

ist – weil die unternehmensinternen Abläufe<br />

so exzellent sind, dass der Kunde gar<br />

nicht erst gezwungen ist, ihn mit einer Beschwerde<br />

zu kontaktieren.<br />

Passiert das doch, soll das Problem am<br />

besten direkt beim ersten Kontakt im<br />

Sinne des Kunden gelöst werden und der<br />

Mitarbeiter sich für den Fehler des Unternehmens<br />

entschuldigen, sodass keine<br />

weiteren Anrufe nötig sind.<br />

Um die Zahl der Fehler zu reduzieren,<br />

ließ Bezos Gründe für jede Kundenbeschwerde<br />

eruieren – und ordnete jeden<br />

dieser Fälle einem verantwortlichen Manager<br />

zu und verknüpfte ihn mit fiktiven<br />

Kosten. Riefen also beispielsweise Hunderte<br />

Kunden mit Nachfragen zu einer<br />

Werbeaktion an, die unverständlich betextet<br />

ist oder bei der eine Information<br />

fehlt, wird der Chef der Werbeabteilung<br />

verantwortlich gemacht und intern mit<br />

dem Schaden belastet.<br />

An der Lösung des Problems wiederum<br />

beteiligt Bezos alle Abteilungen – damit<br />

am Ende kein Kunde mehr einen Grund<br />

zur Beschwerde hat.<br />

FOTOS: BERND TELLE, PICTURESBERLIN/JEAN-PAUL RAABE<br />

96 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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METHODE<br />

Nur echte<br />

Kunden zählen<br />

SAMSUNG<br />

Auf dem Schoß<br />

der Kunden<br />

Spätestens nach zwei Minuten tat er es<br />

wieder: Zückte sein Smartphone, checkte<br />

sein Facebook-Profil. Warum der Teenager<br />

so nervös war? „Er hatte Angst vor negativen<br />

Kommentaren“, sagt Luke Mansfield,<br />

Chef des europäischen Produkt-Innovationsteams<br />

von Samsung. Bemerkt hatte er<br />

das bei einem seiner Besuche einer Familie,<br />

mit der er für Marktforschungszwecke<br />

zusammenarbeitet. Jetzt tüfteln die Asiaten<br />

an einer Software, die solche Einträge erkennt<br />

und den Nutzer warnt.<br />

„Wir investieren Rekordsummen in<br />

Marktforschung und Entwicklung“, sagt<br />

Samsung-Deutschland-Chef Hans Wienands.<br />

Von 286 000 Samsung-Mitarbeitern<br />

arbeitet gut jeder vierte in Forschung und<br />

Ganz nah dran<br />

Forschung im<br />

Wohnzimmer<br />

der Kunden<br />

Entwicklung – darunter auch Anthropologen<br />

und Psychologen, die immer wieder<br />

Tage und Wochen mit Kunden oder bei Familien<br />

verbringen, um zu erfahren, wie sie<br />

Technik nutzen, woran sie scheitern, welche<br />

Bedürfnisse sie haben. Etwa leistungsfähigere<br />

Akkus, um nach einem langen<br />

Arbeitstag noch erreichbar zu sein. Die<br />

Lösung: der Ultra-Energiesparmodus.<br />

Lösungen wie diese haben dazu beigetragen,<br />

Samsungs Image radikal zu ändern:<br />

Galt der südkoreanische Elektronikkonzern<br />

vor gut zehn Jahren in den Augen<br />

deutscher Konsumenten noch als beliebige<br />

asiatische Billigmarke, stehen die Produkte<br />

heute für hohen Bedienkomfort und<br />

Qualität. Bester Beleg: 2011 setze sich die<br />

Firma mit ihren Smartphones an die Spitze<br />

der meistverkauften Handys und hängte<br />

die Kultmarke Apple ab. Und gilt unter seinen<br />

deutschen Kunden drei Jahre später<br />

als vertrauenswürdigste Elektronikmarke.<br />

Lesen Sie weiter auf Seite 98 »<br />

Welchen Marken und Unternehmen,<br />

Produkten und Dienstleistungen<br />

vertrauen die Deutschen am meisten?<br />

Um diese Frage beantworten zu können,<br />

hat das Kölner Beratungsunternehmen<br />

ServiceValue zusammen mit<br />

Rolf van Dick, Professor<br />

für Sozialpsychologie<br />

am Institut<br />

für Psychologie der<br />

Universität Frankfurt,<br />

im Auftrag der<br />

WirtschaftsWoche<br />

insgesamt knapp<br />

250 000 Kunden von<br />

863 Unternehmen<br />

aus 54 Kategorien oder Branchen per<br />

Online-Umfrage nach ihren Prioritäten<br />

befragt.<br />

Gewertet wurden ausschließlich Antworten<br />

von Verbrauchern, die auch tatsächlich<br />

Kunde des genannten Unternehmens<br />

sind. Die Ergebnisse spiegeln<br />

die Prozentzahl der positiven Antworten<br />

wider („ja, ich vertraue diesem Unternehmen“),<br />

mit der die genannte<br />

Marke den Grad an Vertrauen übertrifft,<br />

das die befragten Verbraucher<br />

der jeweiligen Branche im Durchschnitt<br />

entgegenbringen.<br />

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Management&Erfolg<br />

INTERVIEW Peter Maas<br />

»Zum Überleben essenziell«<br />

Der Kundenforscher erklärt, warum Vertrauen die härteste Währung für Unternehmen ist.<br />

Herr Professor Maas, haben Sie Ihrer<br />

Lieblingsmarke heute schon vertraut?<br />

Ja, ich habe mir eben zum Feierabend<br />

ein Quöllfrisch, ein frisches Appenzeller<br />

Bier, gegönnt, das eng mit meiner Region<br />

verbunden und hier verwurzelt ist.<br />

Warum ist das Vertrauen ihrer Kunden<br />

die härteste Währung für Unternehmen?<br />

Vertrauen ist ein Mechanismus, um soziale<br />

Komplexität zu reduzieren. Dieser<br />

komplizierte Leitsatz bedeutet etwas<br />

ganz Simples: Wenn ich vertraue, muss<br />

ich nicht wissen.<br />

Zum Beispiel was?<br />

Wenn ich in ein Flugzeug steige, vertraue<br />

ich der Fluggesellschaft – letztlich ohne<br />

genau zu wissen, ob die Airline alle erforderlichen<br />

Checks gemacht hat. Oder ob<br />

der Flugkapitän eine feucht-fröhliche<br />

Nacht hinter sich hat. Ohne besagtes<br />

Vertrauen in dieses Unternehmen müsste<br />

ich nämlich ins Logbuch schauen und<br />

prüfen, ob und welche Wartungsarbeiten<br />

durchgeführt wurden. Ich müsste<br />

mir einen Eindruck <strong>vom</strong> Piloten verschaffen<br />

– wirkt er ausgeschlafen? Ist er<br />

betrunken, oder hat er Drogen genommen?<br />

Der Vertrauensmechanismus hilft<br />

uns, schneller handlungsfähig zu werden<br />

und entscheidungsfähig zu bleiben.<br />

Zum Beispiel vor den übervollen Regalen<br />

in Supermärkten und Kaufhäusern?<br />

Genau. Vertrauen erleichtert unser Dasein<br />

als Konsument. Ist die Qualität von<br />

Produkten einer Marke dauerhaft gut,<br />

leiten Kunden zum einen daraus ab, dass<br />

diese und andere Produkte dieser Marke<br />

dieses Qualitätsversprechen auch künftig<br />

halten. Aber auch, dass dieses Unternehmen<br />

auch in anderen Situationen<br />

zuverlässig und gewissenhaft ist. Etwa<br />

im Fall einer Reklamation.<br />

Das würde ja bedeuten, dass Kunden<br />

nach dem Prinzip Hoffnung handeln?<br />

Welche Alternative hätten sie denn? Natürlich<br />

versuchen wir in den meisten Fällen,<br />

so rational wie möglich zu handeln.<br />

Aber das ist eben aufwendig. Ohne Vertrauen<br />

müssten wir ständig überlegen,<br />

was alles passieren kann. Man kann aber<br />

nicht ständig alles hinterfragen. Vertrauen<br />

ist also ein essenzieller Überlebensmechanismus.<br />

Wenn Vertrauen vor allem auf positiven<br />

Erfahrung beruht: Wie kann ich mich für<br />

eine Marke entscheiden, bevor ich diese<br />

Erfahrung gemacht habe?<br />

Dieses Risiko des ersten Kaufs besteht in<br />

der Tat, und bei Dienstleistungen ist die<br />

DER KUNDENVERSTEHER<br />

Maas, 57, ist Management-Professor an<br />

der Universität St. Gallen mit dem Schwerpunkt<br />

Kundenstrategien.<br />

Gefahr, für die sprichwörtliche Katze im<br />

Sack zu bezahlen und danach enttäuscht<br />

zu sein, noch viel höher. Kunden, die<br />

durch den Kauf von Waren oder Dienstleistungen<br />

ihr Vertrauen gegenüber<br />

einer Marke ausdrücken, geben Vorschusslorbeeren.<br />

Dieses Vorschussvertrauen<br />

wird im Laufe der Zeit zu Erfahrungsvertrauen<br />

– zu positivem, wenn<br />

es auf konkrete frühere, angenehme<br />

Ereignisse baut. Sind die Erfahrungen<br />

negativ, wird der Kunde die Beziehung<br />

früher oder später abbrechen.<br />

Zu Recht...<br />

Schon. Aber es gibt auch Konstellationen,<br />

in denen nicht von vornherein klar ist,<br />

ob ein Unternehmen das vorgeschossene<br />

Vertrauen jemals zurückzahlen kann.<br />

Welche meinen Sie?<br />

Nehmen Sie eine Versicherung: Ob man<br />

mit der zufrieden ist, merkt man letztlich<br />

erst im Schadensfall. Tritt der während<br />

der gesamten Vertragslaufzeit nicht ein,<br />

kommt das Unternehmen nie dazu, dem<br />

Kunden zu beweisen, wie gut sie ist. Er<br />

kann nur daran glauben – also vertrauen.<br />

Deshalb bleibt für Unternehmen die<br />

Vertrauenskomponente in allen Phasen<br />

der Kundenbeziehung wichtig.<br />

Und wie können Unternehmen dieses<br />

Vertrauen aufrechterhalten?<br />

Face-to-Face-Interaktion ist ein wichtiger<br />

Einflussfaktor. Wir vertrauen Menschen<br />

grundsätzlich stärker als Produkten oder<br />

Dienstleistungen. Kunden, die regelmäßig<br />

Kontakt zu einer bestimmten Bezugsperson<br />

eines Unternehmens haben, bauen<br />

schneller Vertrauen auf. Das lässt sich<br />

gerade bei Banken gut beobachten.<br />

Ausgerechnet der Branche, die durch<br />

die Finanzkrise das Vertrauen ihrer<br />

Kunden fast völlig eingebüßt hat?<br />

Zugegeben: Das generelle Misstrauen gegen<br />

die Banken wird sich nach der Krise<br />

so schnell nicht wieder aufbauen lassen.<br />

Aber auf Beraterebene sind die Kunden<br />

durchaus willens und in der Lage zu differenzieren.<br />

Nur über diesen Hebel können<br />

Banken mittelfristig das verloren gegangene<br />

Vertrauen wieder aufbauen. n<br />

claudia.toedtmann@wiwo.de<br />

FOTOS: DANIEL AMMANN<br />

98 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Geld&Börse<br />

»Everybody gets fucked«<br />

INTERVIEW | Marc Faber Die Investorenlegende beklagt die zunehmende Ungleichheit<br />

zwischen Arm und Reich. Schuld daran seien vor allem die Notenbanken. Gegen<br />

die von ihm erwartete Geldentwertung stemmt er sich mit Gold, Schweizer Aktien und<br />

Papieren von Energie- und Telekomunternehmen.<br />

Herr Faber, in der Ukraine herrscht Krieg, im Irak<br />

und in Syrien ist die Terrorgruppe Islamischer<br />

Staat auf dem Vormarsch. Beunruhigt Sie das als<br />

Investor?<br />

Die wirtschaftliche Bedeutung des Nahen Ostens ist<br />

nicht besonders groß. Insofern lässt mich das als Investor<br />

eher kalt. Vielleicht geht der Ölpreis nochmals<br />

nach oben, vielleicht auch nicht. Anders sieht die Sache<br />

schon in Russland aus. Diese unsäglichen Sanktionen<br />

gegen Wladimir Putin haben einen negativen<br />

Effekt auf die Wirtschaft Europas, insbesondere die<br />

deutsche. Das wird viele Großkonzerne und damit<br />

auch ihre Aktionäre etwas kosten. Natürlich leidet<br />

darunter am allermeisten die russische Wirtschaft.<br />

Sie halten nichts von den Wirtschaftssanktionen<br />

gegen Russland?<br />

Geopolitisch sind sie ein Desaster. Sie führen dazu,<br />

dass sich Russland von Europa entfernt und sich<br />

China annähert. Damit fließt mehr russisches Kapital<br />

nach Fernost.<br />

Sind die europäischen Politiker kurzsichtig?<br />

Ich glaube, die Politiker und viele Journalisten hassen<br />

Putin einfach, weil er einer der wenigen intelligenten<br />

Politiker ist. Die Geschichte um den Abschuss<br />

der malaysischen Maschine MH17 über der<br />

Ukraine war doch eine Farce. Das Flugzeug kann<br />

von mehreren Parteien abgeschossen worden sein.<br />

Niemand weiß genau, was da passierte, und trotzdem<br />

hat man sofort den Russen die Schuld gegeben.<br />

Und dass eine Maschine einfach über dem<br />

Indischen Ozean verschwindet, kann mir auch<br />

niemand erzählen. Da ist doch etwas faul an dieser<br />

Geschichte!<br />

Was denn?<br />

Ich weiß es nicht. Aber keiner in Asien hat Interesse,<br />

ein solches Flugzeug abzuschießen. Das können nur<br />

westliche Mächte gewesen sein. Manche sagen, es<br />

hätte sensibles Gerät an Bord, das nicht nach China<br />

gelangen sollte.<br />

Das klingt, als hätten Sie nicht mehr viel Vertrauen<br />

in den Westen...<br />

USA holen auf<br />

Anteil der Staatsausgaben<br />

am Bruttoinlandsprodukt<br />

(in Prozent)<br />

2014 2000<br />

€<br />

56,8<br />

51,7<br />

49,2<br />

46,1<br />

44,6<br />

45,1<br />

45,6<br />

36,4<br />

38,3<br />

33,7<br />

Quelle: EU-Kommission<br />

Das Programm<br />

des Präsidenten<br />

sollte den 20 Prozent<br />

US-Bürgern<br />

ohne Krankenversicherung<br />

eine Police<br />

verschaffen. Aktuell<br />

sind noch 16 Prozent<br />

unversichert,<br />

bis 2015 soll die<br />

Quote auf elf Prozent<br />

sinken. Kritiker<br />

fürchten höhere<br />

Steuern, Gefahren<br />

für Jobs und<br />

steigende Versicherungsbeiträge.<br />

Dass die Europäische Zentralbank seit Jahren Geld<br />

druckt und dass die Regierungen viel zu viel davon<br />

ausgeben, kritisiere ich seit Langem. Die Gelddruckerei<br />

erlaubt Regierungen, den Staat zu extrem<br />

günstigen Konditionen zu vergrößern. Das ist das eigentliche<br />

Problem – die Staatsquote ist zu hoch. Die<br />

aktuelle Politik der Europäischen Zentralbank ist<br />

nicht wachstumsorientiert. Die europäische Wirtschaft<br />

ist moribund. Ich kann mir nicht vorstellen,<br />

wie Europa noch mal drei oder vier Prozent wachsen<br />

soll. Es gibt viel zu viele Regularien – und die<br />

schaden vor allem den kleinen Unternehmen. Große<br />

Unternehmen jubeln.<br />

Warum?<br />

Weil Großkonzerne sich ein Heer von Anwälten leisten<br />

können! Deswegen haben internationale Konzerne<br />

indirekt ein Interesse an mehr Gesetzen. Dadurch<br />

zementiert sich ihre marktbeherrschende<br />

Stellung. Für kleine und mittelständische Unternehmen<br />

wird es dagegen schwieriger.<br />

Die US-Wirtschaft konnte in letzter Zeit dagegen<br />

wieder zulegen. Können die USA nicht wieder zur<br />

Wachstumslokomotive werden?<br />

Die demografischen Faktoren sind in den USA besser.<br />

Aber die Gesundheitsreform Obamacare ist eine<br />

Katastrophe – auch hier steigt die Staatsquote und<br />

Großkonzerne wirken in Form von Lobbyismus auf<br />

die Regierung ein. Letztlich unterscheiden sich<br />

DR. WELTUNTERGANG<br />

Faber, 68, Herausgeber des „Gloom, Boom & Doom<br />

Report“, zählt zu den einflussreichsten Investoren<br />

der Welt. 1987 warnte er rechtzeitig vor dem Crash.<br />

Seine Warnung vor dem Tech-Crash kam zu früh,<br />

aber wer auf ihn hörte, verlor weder 2000 noch in<br />

der Finanzkrise Geld. Als 2009 Aktien out waren,<br />

riet Faber zum Einstieg. Der Schweizer arbeitete für<br />

US-Banken und zog 1973 nach Asien. Er berät<br />

Fonds und managt für Kunden 300 Millionen Dollar.<br />

»<br />

FOTO: EGILL BJARKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

100 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Geld&Börse<br />

»<br />

die Probleme nur gering von denen Europas. Wir<br />

haben keinen freien Kapitalismus mehr. Heute bestimmen<br />

Großkonzerne und Politik alles.<br />

Immerhin wächst Asien. Zwar ist es unsicher, ob<br />

die chinesische Regierung ihr Wachstumsziel von<br />

7,5 Prozent erreichen kann, doch die Region boomt<br />

im Vergleich zum Westen.<br />

China wächst höchstens um vier Prozent pro Jahr!<br />

Leider tickt die Kommunistische Partei Chinas auch<br />

nicht anders als westliche Regierungen. Auf ein<br />

schwächeres Wachstum antwortet man mit mehr<br />

Geld. Das mag zwar zu einer sanften statt zu einer<br />

harten Landung führen. Langfristig aber wird auch<br />

hier das Problem schlimmer.<br />

In diesem Jahr sorgte das Buch „Kapital im 21.<br />

Jahrhundert“ für Aufsehen. Dessen Autor, Thomas<br />

Piketty, beklagt die sich weiter öffnende Schere<br />

zwischen Arm und Reich, weil Kapitalerträge<br />

langfristig immer höher ausfallen als der Lohn von<br />

Arbeit.<br />

Über die wachsende Ungleichheit schreibe ich seit<br />

Jahren! Das ist ja ein Effekt der Gelddruckerei der<br />

Zentralbanken.<br />

Das müssen Sie erklären – was hat das eine mit<br />

dem anderen zu tun?<br />

Stellen Sie sich vor, Sie hätten vor 30 Jahren Immobilien<br />

und ein Aktienpaket geerbt und ihr Kollege<br />

nicht. Auch wenn sie in den letzten Jahren weniger<br />

verdient haben, wären Sie heute um ein Vielfaches<br />

reicher als er. Der Wert dieser Anlageklassen ist so<br />

stark gestiegen, weil Notenbanken wie die Fed in den<br />

USA so viel Geld in das System gepumpt haben. Das<br />

verschweigen die keynesianisch-interventionistisch<br />

geprägten Politiker bloß gerne. Die Reichen kommen<br />

immer besser durch eine Inflation. Das war in<br />

den Zwanzigerjahren in Deutschland oder auch später<br />

in Argentinien nicht anders.<br />

Eine<br />

Einmal-Abgabe<br />

auf Vermögen würde<br />

laut IWF, wenn<br />

sie schnell käme,<br />

das Wachstum<br />

kaum bremsen –<br />

und sie würde von<br />

vielen als gerecht<br />

empfunden. Laut<br />

Deutschem Institut<br />

für Wirtschaftsforschung<br />

brächten<br />

zehn Prozent Vermögensabgabe<br />

bei<br />

250 000 Euro Freibetrag<br />

230<br />

Milliarden Euro.<br />

Aufgeblasen<br />

Frisches Geld (Bilanzsumme<br />

in Mrd. Dollar)<br />

treibt den Aktienindex<br />

2200<br />

1800<br />

1600<br />

1400<br />

1200<br />

Fed-Bilanzsumme<br />

2500<br />

2000<br />

1500<br />

1000<br />

1000<br />

800<br />

S&P 500<br />

600 500<br />

2005 2014<br />

Quelle: Thomson Reuters<br />

4500<br />

3500<br />

Sie sagen also: Die aktuelle Niedrigzins-Politik der<br />

US-Notenbank Fed und der EZB vergrößert letztlich<br />

die Unterschiede zwischen Arm und Reich?<br />

Es ist nicht der einzige Faktor, der die Vermögensungleichheit<br />

vergrößert, aber ein massiver. Die Gelddruckerei<br />

führt zu einer Erosion der Mittelschicht.<br />

Und jetzt kommt der sozialistisch geprägte Piketty<br />

und fordert eine Reichensteuer.<br />

Immerhin liebäugelt auch der Internationale<br />

Währungsfonds (IWF) damit.<br />

Sie nützt bloß nichts! Die richtig reichen Familien in<br />

Deutschland und anderswo haben ihr Vermögen<br />

längst in Stiftungen gepackt. Eine Reichensteuer ist<br />

nichts als eine Symptombekämpfung. Sie löst das<br />

Problem nicht, sondern verschiebt es allenfalls in die<br />

Zukunft.<br />

Was also ist die Lösung, um die Unterschiede<br />

zwischen Arm und Reich zu verringern?<br />

Die Lösung für Europa kann nur sein, die Staatsquote<br />

zu verringern, Regularien und die Verschuldung<br />

abzubauen.<br />

Die meisten Menschen wollen das nicht. Sie sagen:<br />

„Wir brauchen mehr Staat und mehr Umverteilung,<br />

um die Unterschiede auszugleichen.“<br />

Das ist aus den Köpfen der Leute nicht herauszukriegen.<br />

Dabei kann nur Wirtschaftswachstum die Vermögensunterschiede<br />

verringern. Sparpolitik, Austerität,<br />

das ist kurzfristig natürlich sehr schmerzhaft.<br />

Doch langfristig können nur so kleinere Unternehmen<br />

florieren und mehr Arbeitsplätze schaffen. Ich<br />

halte es mit Ronald Reagan: Die Regierung ist nicht<br />

die Lösung, sie ist das Problem.<br />

Warum haben solche liberal-libertären Positionen<br />

in Europa so wenig Rückhalt?<br />

Wie sind eine politisch korrekte Gesellschaft geworden,<br />

die mit allen auf Kuschelkurs ist. Der Konsens<br />

„Staatsausgaben sind gut, hohe Steuern verringern<br />

die Ungleichheit“ wird nicht mehr hinterfragt. Das<br />

kann auf Dauer nicht funktionieren.<br />

Sie sehen die Schere zwischen Arm und Reich also<br />

weiter aufgehen?<br />

Ich will nicht alle Schuld den Zentralbankern geben<br />

– aber sie sind für die Vermögensungleichheit mitverantwortlich.<br />

Ein Grund für die wachsenden Einkommensunterschiede<br />

liegt schlicht in der Globalisierung.<br />

Nehmen Sie einen Top-Fußballspieler von<br />

Bayern München oder Manchester United. Vor 40<br />

Jahren kannten den Spieler vielleicht ein paar Millionen<br />

Menschen. Heute schauen Milliarden Menschen<br />

auf der Welt Fußball. Das heißt, der Marktwert<br />

solcher Spieler ist wesentlich höher als damals. Genauso<br />

verhält es sich mit Unternehmen. Das bedeutet:<br />

Es ist viel schwieriger geworden, an die Spitze zu<br />

gelangen. Aber wer einmal oben angekommen ist, ist<br />

heute mächtiger denn je.<br />

Die Welt, die Sie beschreiben, klingt deprimierend.<br />

Was raten Sie jungen Leuten?<br />

Das ist ein wichtiges Thema. Ich bin 1946 geboren. Bis<br />

in die Achtzigerjahre waren die Preise für Anlagen –<br />

Immobilien, Aktien, Kunst – sehr niedrig. Auch auf<br />

FOTOS: EGILL BJARKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

102 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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dem Sparkonto bekamen Sie zudem gute Zinsen.<br />

Heute bekommen Sie für Erspartes gerade einmal 0,5<br />

Prozent! Wissen Sie, wie viele Jahre es länger dauert,<br />

bis sich Ihr Kapital verdoppelt hat, im Vergleich zu<br />

den Jahrzehnten zuvor? Mir tun junge Leute heute<br />

ehrlich leid. In den USA ist es noch finsterer: Die meisten<br />

Universitätsabsolventen beginnen ihr Arbeitsleben<br />

mit einem Berg Schulden. Die nächsten Jahre<br />

sind sie mit nichts anderem beschäftigt, als ihre Studienkredite<br />

abzubezahlen. Wie soll so jemand ein Haus<br />

kaufen können? Ich bezweifle auch, dass die meisten<br />

jungen Berufstätigen in Europa am Ende des Monats<br />

irgendetwas zurücklegen können. Hinzu kommt ein<br />

weiterer Effekt: Weil die Versicherungen auf dem Kapitalmarkt<br />

nichts mehr verdienen, müssen sie die Prämien<br />

erhöhen. Auch das trifft am Ende wieder den<br />

normalen Bürger. Kurz: Everybody gets fucked!<br />

Wenn Sie Geld für zehn Jahre anlegen müssten und<br />

es nicht umschichten dürften, wohin würden Sie es<br />

packen?<br />

Große Gewinne sind nicht drin, es geht darum, das<br />

Geld zu erhalten. Ich würde es streuen, in etwa<br />

gleichgewichtet in Gold, Immobilien, Aktien und<br />

Unternehmensanleihen. Auf jeden Fall einen Teil in<br />

Aktien. Bargeld ist riskant, weil es in zehn Jahren weniger<br />

wert sein wird als heute. Staatsanleihen werden<br />

nur mit wertlosem Papiergeld zurückbezahlt.<br />

Die Deutschen wissen das aus der Zeit nach dem<br />

Ersten Weltkrieg. Aktien von Siemens, BASF oder<br />

Daimler waren vielleicht keine gute Anlage, aber es<br />

blieb noch etwas. Deshalb werden die Börsen nicht<br />

ins Bodenlose fallen. Heutzutage ist es eher ein Risiko,<br />

keine Aktien zu halten.<br />

In dieser<br />

Rechnung<br />

schlägt der Zinseszins<br />

voll durch: Wer<br />

sein Kapital bei einem<br />

Zinssatz von<br />

0,5 Prozent verdoppeln<br />

will, muss noch<br />

die Urenkel sparen<br />

lassen: 139 Jahre<br />

dauert es, bis aus<br />

5000 endlich 10 000<br />

Euro werden – falls<br />

es dann noch Euro<br />

gibt. Bei 5 Prozent<br />

Zins dauert es nur<br />

14 Jahre.<br />

Ohne Korrektur<br />

Entwicklung des US-<br />

Aktienindex S&P 500<br />

2200<br />

2000<br />

1800<br />

1600<br />

1400<br />

1200<br />

1000<br />

10 11 12 13 14<br />

Was würden Sie tun, wenn Sie heute 25 Jahre alt<br />

wären? Wie würden Sie investieren?<br />

Wenn ich wenig Ehrgeiz habe, würde ich mir einen<br />

Job beim Staat suchen. Dort bekommt man für relativ<br />

wenig Arbeit gutes Geld. Wenn ich Ambitionen<br />

hätte, würde ich auswandern: nach Indien, Südostasien<br />

oder China. Dort gibt es noch Chancen. Aber<br />

auch vielen jungen Leuten hat man über Jahre hinweg<br />

das Gehirn gewaschen.<br />

Wie meinen Sie das?<br />

Ein junger Freund hat sich kürzlich bei Goldman<br />

Sachs beworben. Nach fünf Interviews hat man ihn<br />

schließlich abgelehnt. Großbanken können zwischen<br />

Tausenden von Bewerbern wählen, weil jeder<br />

dort hin will. Dabei muss man nicht immer studieren<br />

oder im Bankensektor arbeiten. Ein anderer Freund<br />

von mir ist Taucher. Er macht Reparaturen an Ölplattformen.<br />

Das ist ein Halbtagsjob und damit verdient<br />

er 170 000 US-Dollar im Jahr. Ein anderer arbeitet<br />

jeden zweiten Monat auf einer Ölplattform. Das<br />

sind gut bezahlte Jobs. Man muss sich nicht zum<br />

Knecht von Goldman Sachs machen, um gut zu verdienen.<br />

Gehen Sie als Mechaniker nach Indien oder<br />

China, und reparieren Sie die Autos reicher Leute!<br />

Ich zum Beispiel bin begeisterter Motorradfahrer.<br />

Das sind sensible Geräte, die gehen ständig kaputt.<br />

Ich würde viel Geld bezahlen, wenn mir das jemand<br />

zuverlässig reparieren kann.<br />

Man nennt Sie auch „Dr. Doom“. Für wie wahrscheinlich<br />

halten Sie denn einen baldigen Crash?<br />

Die Lage momentan ist extrem fragil. Der US-Aktienindex<br />

S&P 500 notierte vor drei Jahren bei knapp<br />

über 1000 Punkten. Jetzt sind es 2000 – ohne dass<br />

Quelle: Thomson Reuters »<br />

WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 103<br />

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Geld&Börse<br />

»<br />

wir eine nennenswerte Korrektur gesehen haben.<br />

Das könnte zu turbulenten Phasen führen.<br />

Gerade erst ging das chinesische E-Commerce-<br />

Unternehmen Alibaba an die Börse. Haben Sie<br />

Aktien gekauft?<br />

Nein, obwohl ich Alibaba-Gründer Jack Ma für einen<br />

höchst intelligenten Mann halte. Ich habe ihn Ende<br />

der Neunziger bei einem Interview kennengelernt.<br />

Da wollte er mich überzeugen, in sein Unternehmen<br />

zu investieren. Das habe ich ausgeschlagen. Auch<br />

Facebook-Aktien habe ich nicht.<br />

Warum?<br />

Ich bin recht konservativ, was meine Auswahl an Aktien<br />

betrifft. Ich kaufe gerne Unternehmen, die nicht<br />

zu teuer sind, aber krisensichere Produkte herstellen:<br />

Lebensmittelproduzenten zum Beispiel. Essen<br />

müssen Leute immer.<br />

Welche europäischen Aktien halten Sie?<br />

Vorsichtig bin ich in Schweizer Blue Chips gegangen,<br />

in Novartis, Roche, Nestlé, Swiss Re, Zurich Insurance,<br />

Swiss Life, UBS. Außerdem habe ich Unternehmen<br />

aus den Sektoren Energie, Telekom und Versorger, wie<br />

etwa GDF Suez, Veolia Environnement, Iberdrola,<br />

Telefónica, Telecom Italia, Orange, Total, Enel, E.On<br />

und RWE. Von den ganzen Tech-Unternehmen aus<br />

dem Silicon Valley halte ich dagegen nicht viel.<br />

Ist das, was gerade in Kalifornien passiert, eine<br />

zweite Dotcom-Blase?<br />

Auf jeden Fall! Diese Unternehmen müssen doch so<br />

viel Cash verbrennen, um zu überleben. Das kann<br />

auf Dauer nicht gut gehen. Aber natürlich werden<br />

den Crash auch einige Firmen überleben. Das war<br />

nach dem Platzen der Blase 2001 nicht anders.<br />

Minen unten<br />

Indexfonds Market Vectors<br />

Gold Miners ETF (in Dollar)<br />

55<br />

50<br />

45<br />

40<br />

35<br />

30<br />

25<br />

20<br />

Jack Ma<br />

ist jetzt der reichste<br />

Mann Chinas. 25<br />

Milliarden Dollar hat<br />

Alibaba beim Börsengang<br />

eingenommen –<br />

Weltrekord! Anleger<br />

sollten auf fallende<br />

Kurse setzen (siehe<br />

Seite 118).<br />

50-Tage-Linie<br />

200-Tage-Linie<br />

2013 2014<br />

Quelle: Thomson Reuters<br />

Sie gelten als Gold-Apologet. Sind Sie immer noch<br />

bullish für Gold?<br />

Gold ist momentan günstig. Seit 2011 sind wir in einem<br />

Bären-Markt. Es ist möglich, dass es nochmals<br />

unter 1000 US-Dollar geht, aber langfristig ist Gold<br />

einfach die beste Versicherung gegen das unverantwortliche<br />

Verhalten der Zentralbanken. Auch die<br />

Goldminen-Aktien sind sehr interessant – manche<br />

Unternehmen sind <strong>vom</strong> Peak 2010 um 60, 70 Prozent<br />

gefallen. Die sind jetzt sehr günstig zu haben.<br />

Was halten Sie von elektronischen Währungen wie<br />

Bitcoins?<br />

Manche meiner Leser halten das für eine Erfindung<br />

wie geschnittenes Brot. Bitcoins sind sicherlich etwas<br />

sehr Interessantes. Es ist ein Weg, Geld am internationalen<br />

Bankensystem vorbeizutransferieren.<br />

Das ist eine brillante Funktion.<br />

Besitzen Sie welche?<br />

Nein. Aber ich sage, noch nicht. Gold und Bitcoin haben<br />

letztlich dieselbe Funktion – sie sind eine Versicherung<br />

für den Worst Case. Ich fühle mich allerdings<br />

mit Gold einfach wohler.<br />

Warum?<br />

Sollte es wirklich zu einem System-Kollaps kommen,<br />

gehe ich davon aus, dass auch das Internet zusammenbrechen<br />

wird. Dann helfen Ihnen Bitcoins auch<br />

nicht mehr. Trotzdem kenne ich erfolgreiche Hedgefondsmanager,<br />

die leuchtende Augen bekommen,<br />

wenn sie von Bitcoins hören. Letztlich ist das auch<br />

eine Generationensache. Ich besitze ja nicht einmal<br />

ein Mobiltelefon, das ich ständig mit mir herumtragen<br />

muss.<br />

n<br />

philipp.mattheis@wiwo.de | Shanghai<br />

FOTO: EGILL BJARKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, BLOOMBERG NEWS/BRENT LEWIN<br />

104 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Geld&Börse<br />

Kaufen, was sonst?<br />

GOLD | Anleger sollten ihre Barren oder Münzen nicht ohne Not<br />

abgeben. Aufstocken statt abbauen ist angesagt.<br />

duktion von zuletzt rund 87 Millionen Unzen,<br />

betragen die überirdischen Goldbestände<br />

das 65-Fache der Jahresproduktion<br />

aller Goldminen. So gesehen ist es die Konstanz<br />

der Goldmenge, die Gold als Wertspeicher<br />

attraktiv macht. Während die<br />

überirdische Goldmenge jährlich nur um<br />

etwa eineinhalb Prozent wächst, will Draghi<br />

das Angebot an Euro um nahezu 50<br />

Prozent erhöhen.<br />

Möglicherweise dauert es aber noch etwas,<br />

bis der Goldpreis in Euro abhebt.<br />

Denn noch ist Sand im Getriebe der Euro-<br />

Pumpmaschine. Als Ersatz für LTRO dürfen<br />

sich Banken jetzt über neue längerfristige<br />

Refinanzierungsgeschäfte (TLTRO) bis<br />

zu vier Jahre Geld in Höhe von sieben Prozent<br />

ihres Bestandes an Krediten für Unternehmen<br />

und Privathaushalte zu 0,15 Prozent<br />

von der EZB pumpen.<br />

Sicher ist sicher<br />

Gold im Tresor als eiserne<br />

Liquiditätsreserve<br />

Unser Ziel ist, die Größe unserer Bilanzsumme<br />

dorthin zu bewegen,<br />

wo sie Anfang 2012 war.“ Um die<br />

Euro-Zone vor dem Absturz in die Deflation<br />

zu retten, erklärt Präsident Mario Draghi<br />

nun die Ausdehnung der Bilanz seiner<br />

Europäischen Zentralbank (EZB) zum<br />

geldpolitischen Ziel. Das ist neu.<br />

Rückblick: Im März 2012 überstieg die<br />

Bilanzsumme des Euro-Systems, vereinfacht<br />

lässt sich an ihr der Prozess der Zentralbankgeldschöpfung<br />

in der Euro-Zone<br />

ablesen, zeitweise 3000 Milliarden Euro.<br />

Ihren Rekordstand erreichte sie wenige<br />

Monate später bei 3102 Milliarden Euro.<br />

Mehr Euro bei konstanter Goldmenge –<br />

diese Relation schob damals auch den<br />

Goldpreis. In Euro kostete die Feinunze<br />

Anfang Oktober 2012 in der Spitze 1386,51<br />

Euro. Das war ein Jahr nachdem der Goldpreis<br />

in Dollar sein Rekordhoch bei<br />

1921,17 Dollar markiert hatte.<br />

Für den steilen Anstieg der Bilanzsumme<br />

des Euro-Systems – und des Goldpreises<br />

in Euro – gesorgt hatte Draghi vor allem<br />

mit zwei 500-Milliarden-Euro-Schüssen<br />

aus der „Dicken Bertha“. Gemeint sind die<br />

beiden dreijährigen Liquiditätsprogramme<br />

LTRO-1 und LTRO-2, die den Banken<br />

von der EZB im Dezember 2011 und März<br />

2012 verabreicht wurden. Vor allem Banken<br />

in Spanien und Italien, die damals unmittelbar<br />

vor dem Kollaps standen, nutzten<br />

die mit 0,05 Prozent fast kostenlosen Liquiditätseinschüsse<br />

zum Kauf heimischer<br />

Staatsanleihen. So entschärften sie die<br />

Schuldenkrise ihrer Regierungen.<br />

WEITERE 1000 MILLIARDEN<br />

Im Januar und März 2015 müssen die Banken<br />

die LTRO-Gelder zurückzahlen. Während<br />

vor allem Institute in Südeuropa bis<br />

heute am LTRO-Tropf hängen, begannen<br />

andere Banken bereits im Sommer 2012<br />

mit der Rückzahlung. Entsprechend geschrumpft<br />

ist seither die Bilanzsumme des<br />

Euro-Systems, auf aktuell 1988 Milliarden<br />

Euro. Nahezu parallel dazu fiel auch der<br />

Goldpreis in Euro wieder auf das Preisniveau<br />

vor der großen Liquiditätsflut zurück,<br />

aktuell notiert die Unze bei 950 Euro (siehe<br />

Seite 107, oberer Chart).<br />

Lässt Draghi seinen Worten Taten folgen,<br />

dann wird die EZB jetzt erneut über 1000<br />

Milliarden frische Euro in das europäische<br />

Bankensystem pumpen. Wird das Angebot<br />

an Euro derart erhöht, dann sollte auch der<br />

in Euro ausgedrückte Preis für Gold wieder<br />

steigen. Schließlich ist Gold nicht beliebig<br />

vermehrbar. Geschätzt 5600 Millionen Unzen<br />

wurden jemals auf der Welt gefördert.<br />

Gemessen an der jährlichen Minenpro-<br />

SCHLEPPENDE KREDITNACHFRAGE<br />

Alle Banken der Euro-Zone zusammen kämen<br />

auf etwa 400 Milliarden Euro. Allerdings<br />

müssen die Banken das Geld zur<br />

Kreditvergabe an die Realwirtschaft einsetzen.<br />

Problem: Die Realwirtschaft fragt wenig<br />

Kredite nach, weil sie entweder nicht<br />

noch mehr Schulden auftürmen oder<br />

mangels guter Perspektiven nicht investieren<br />

will. Der Auftakt des TLTRO-Programms<br />

fiel jedenfalls mau aus.<br />

Am Donnerstag vorvergangener Woche<br />

riefen 255 Banken in der ersten von insgesamt<br />

acht geplanten TLTRO-Auktionen<br />

nur 82,6 Milliarden Euro bei der EZB ab. Je<br />

weniger TLTRO die Banken in Anspruch<br />

nehmen, umso mehr Kreditverbriefungen<br />

und Pfandbriefe muss Draghi von Oktober<br />

an auf die Bilanz nehmen, um sein Eine-<br />

Billion-Euro-Versprechen einzulösen.<br />

Der Aufkauf dieser Wertpapiere ist die<br />

zweite Säule der Bilanzoffensive. Nur geben<br />

die Märkte vermutlich nicht das benötigte<br />

Volumen her, zumindest nicht auf kurze<br />

Sicht. Aber versprochen ist versprochen.<br />

Und so wird es letztlich, wie in den USA,<br />

Großbritannien und Japan, auch in Europa<br />

auf den Kauf von Staatsanleihen durch die<br />

EZB hinauslaufen.<br />

Einen Teilerfolg auf seinem Feldzug gegen<br />

die Deflation hat Draghi schon errungen.<br />

Der Euro hat abgewertet, gegenüber<br />

dem Dollar seit Anfang Mai von 1,3993 auf<br />

zuletzt 1,2725 Dollar. Die Mehrheit der<br />

Ökonomen und Verbände begrüßen einen<br />

schwachen Euro. Geht es nach Draghi, darf<br />

der Euro gar noch schwächer werden. Über<br />

die Abwertung soll Inflation in die Euro-<br />

Zone importiert und die Exportindustrie<br />

FOTO: DPA PICTURE-ALLIANCE/SVEN HOPPE<br />

106 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähiger<br />

gemacht werden. Klingt logisch.<br />

Nur ist eine Währungsabwertung<br />

nur für eine gewisse Zeit ein süßes Gift. Es<br />

gibt in der Wirtschaftsgeschichte kein einziges<br />

Beispiel einer prosperierenden Volkswirtschaft<br />

mit einer schwachen Währung.<br />

Auch wenn das Gegenteil propagiert<br />

wird, de facto ist ein schwacher Euro ein<br />

Betrug am Sparer in der Euro-Zone. Gold<br />

schützt Sparer vor Kaufkraftverlusten seiner<br />

Heimatwährung. Interessant: Vier der<br />

fünf Aufwärtsschübe von Gold in Euro seit<br />

2005 fielen zusammen mit einer Schwächephase<br />

des Euro gegenüber dem Dollar<br />

(siehe mittleren Chart). Auch so gesehen,<br />

könnte der nächste Preisauftrieb für Gold<br />

in Euro bevorstehen.<br />

Von einem gewissen Punkt an werden<br />

Investoren einen exzessiven Gebrauch der<br />

Notenpresse nicht mehr hinnehmen. Spätestens<br />

dann bricht die Währung ein, und<br />

über die Währungsabwertung steigt die Inflation.<br />

Als Folge ziehen sich Investoren<br />

komplett zurück aus dieser Währung, und<br />

die Inflation beschleunigt sich. Am Ende<br />

kommt eine Währungsreform. Um auf die<br />

vorbereitet zu sein, sollte jeder Anleger etwas<br />

Gold besitzen.<br />

Auf jeden Fall bietet physisches Gold, auf<br />

das Anleger direkt zugreifen können, stets<br />

eine Liquiditätsreserve außerhalb des Finanzsystems.<br />

„Physisch bedeutet, dass ich<br />

immer zu meinem Safe gehen, meine Barren<br />

und Münzen rausnehmen und am<br />

Markt verkaufen kann, wenn ich das muss“,<br />

erklärt der Schweizer Vermögensverwalter<br />

Felix Zulauf. Das macht Gold zu einer begehrten<br />

Notfallreserve. Diese Absicherung<br />

kann über Jahre auch Geld kosten, so wie<br />

eine Versicherungspolice.<br />

Für Anleger, die Gold gekauft haben, um<br />

es rasch mit Gewinn wieder zu verkaufen,<br />

hat sich der Goldpreis in letzter Zeit natürlich<br />

glanzlos entwickelt. Zumal Aktien im<br />

Performancerennen mit Gold stark aufgeholt<br />

haben. So lief der Dax zwischen Mitte<br />

2011 und Ende 2013 besser als Gold in Euro<br />

(siehe unterer Chart). Investoren, die<br />

Trends folgen, sind raus aus Gold und rein<br />

in Aktien, weil Aktien eben besser laufen.<br />

MINENAKTIEN MIT CHANCEN<br />

Trotzdem bleibt unklar, warum Aktien mit<br />

der Aussicht auf eine weitere Alimentierung<br />

durch die EZB weiter zulegen sollten,<br />

aber ausgerechnet Gold nicht? Vielleicht<br />

sollte die Losung nicht lauten: Gold statt<br />

Aktien, sondern Gold und Aktien. Investmentlegende<br />

Marc Faber sieht einen Kompromiss:<br />

Goldminenaktien (siehe Interview<br />

ab Seite 100). Einsteigen können Anleger<br />

über einen Goldminenfonds, etwa<br />

den Tocqueville Gold Fund mit der ISIN<br />

FR0010649772.<br />

Denkbar ist, dass auch am Goldpreis gedreht<br />

wird. Schockartige Rückgänge wie<br />

beim Gold beobachtet seien typisch für<br />

Markteingriffe, sagt Dimitri Speck. Der<br />

Analyst des Vermögensverwalters Staedel<br />

Hanseatic aus Riga aber nimmt das gelassen.<br />

Was Anleger tun sollen? „Kaufen, was<br />

sonst?“ Sie bekämen Gold immerhin günstiger,<br />

als es ohne die Eingriffe der Fall wäre.<br />

Manipulationen änderten nichts an der<br />

grundsätzlichen Problematik, dass es zu<br />

viele Papiergeldansprüche gibt.<br />

n<br />

frank.doll@wiwo.de<br />

Weicher Euro, hartes Gold<br />

Entwicklung der EZB-Bilanzsumme (in<br />

Milliarden Euro) und des Goldpreises in Euro<br />

1400<br />

1000<br />

800<br />

600<br />

400<br />

200<br />

05 06 07 08 09 10 11 12 13 14<br />

3500<br />

2500<br />

2000<br />

1500<br />

1000<br />

500<br />

Aufwärtsschübe für Gold in Euro werden meist<br />

ausgelöst durch eine Euro-Schwäche in Dollar<br />

1400<br />

1000<br />

800<br />

600<br />

400<br />

300<br />

1500<br />

1000<br />

500<br />

200<br />

Gold<br />

Gold<br />

1 Euro in Dollar<br />

EZB-Bilanzsumme<br />

05 06 07 08 09 10 11 12 13 14<br />

Absolute und relative Entwicklung von<br />

Goldpreis und Dax<br />

Gold in Euro<br />

Dax<br />

* Indexstand des Dax geteilt durch Goldpreis in Euro;<br />

Quelle: Thomson Reuters<br />

1,60<br />

1,40<br />

1,20<br />

1,00<br />

Dax besser als Gold Dax/Gold-Verhältnis* 20<br />

What's next?<br />

15<br />

10<br />

5<br />

Gold besser als Dax<br />

0<br />

05 06 07 08 09 10 11 12 13 14<br />

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Geld&Börse<br />

Garniertes Soufflé<br />

ROCKET INTERNET | Investoren glauben, dass die deutsche Start-up-<br />

Schmiede das Zeug dazu hat, den Internet-Handel außerhalb der<br />

USA und Chinas zu dominieren. Doch die Aktie ist hochriskant.<br />

Um 9.25 Uhr, fünf Minuten vor dem<br />

offiziellen Verkaufsstart, hatten die<br />

Banken schon Kaufaufträge für alle<br />

neuen Aktien von Rocket Internet in den<br />

Büchern. Das erinnert an beste Neue-<br />

Markt-Zeiten. Am Mittwoch um 9.30 Uhr<br />

gab Rocket-Vorstand Oliver Samwer dann<br />

den Startschuss zum Börsengang, präsentierte<br />

er ernst und sehr verbindlich in<br />

Frankfurt die Daten seines seit 2007 aufgebauten<br />

globalen Start-up-Inkubators. Die<br />

Holding ist inzwischen an 103 Online-Geschäftsmodellen<br />

beteiligt, die in mehr als<br />

100 Ländern aktiv sind und über 20 000<br />

Mitarbeiter beschäftigen. Sollte es in den<br />

nächsten Tagen nicht noch einen Börsencrash<br />

geben, entsteht hier <strong>vom</strong> Start weg<br />

ein Börsenriese, der mit rund sechs Milliarden<br />

Euro Marktwert in einer Liga mit Konzernen<br />

wie der Lufthansa spielen würde.<br />

Schon lange nicht mehr wurde in Frankfurt<br />

so viel Hoffnung so teuer verkauft. Ein<br />

Raketen-Ingenieure Marc, Oliver und<br />

Alexander Samwer (von links) sammeln<br />

an der Börse bis zu 1,6 Milliarden ein<br />

deutscher Vermögensverwalter spricht von<br />

einem „totalen Hype“, den er nicht verstehe.<br />

„Ohne den geglückten Börsengang der<br />

chinesischen Alibaba, bei dem sich hohe<br />

Kursgewinne abräumen ließen, hätte es<br />

Rocket Internet schwer gehabt, Anleger<br />

von dem Geschäft zu überzeugen“, sagt er.<br />

RENOMMIERTE INVESTOREN<br />

Rocket hat renommierte Investoren an<br />

Bord – neben den Samwers, die mit dem<br />

Ebay-Klon Alando und Klingeltonanbieter<br />

Jamba viele Millionen machten, sind unter<br />

anderem die schwedische Beteiligungsgesellschaft<br />

Kinnevik, die US-Investmentbank<br />

JP Morgan, die schottische Fondsgesellschaft<br />

Baillie Gifford und United Internet<br />

mit im Boot. Deren Chef Ralph Dommermuth<br />

steht nicht in dem Ruf ein waghalsiger<br />

Hasardeur zu sein. Und Baillie Gifford,<br />

auch bei Zalando mit dabei, hatte<br />

einst schon mit einem frühen Einstieg bei<br />

Facebook und Amazon Gespür für Online-<br />

Investments bewiesen. Rocket strebt an,<br />

die führende globale Internet-Plattform<br />

außerhalb der USA und Chinas zu werden.<br />

Aber hat die Samwer-Holding wirklich das<br />

Zeug, um mit Netzgiganten wie Amazon<br />

oder Alibaba in einer Liga zu spielen? Oder<br />

entpuppt sich Rocket Internet lediglich als<br />

hübsch garniertes Online-Soufflé, das nach<br />

dem Börsengang in sich zusammenfällt?<br />

VIELE VERSUCHSBALLONS<br />

Klar ist: Seit sieben Jahren geht es für das<br />

Unternehmen bergauf. Es wurden vielversprechende<br />

Online-Konzepte kopiert und<br />

weltweit ausgerollt. Von Chile bis Myanmar,<br />

von Aserbaidschan bis nach Nigeria<br />

erstreckt sich das Rocket-Reich. Die Online-Portale<br />

des Unternehmens verkaufen<br />

Schuhe und Shirts, vermitteln Putzfrauen,<br />

Immobilien oder Kredite via Netz. In<br />

Deutschland sind Home24 und Westwing<br />

bekannt, es gibt die russischen, asiatischen<br />

und brasilianischen Zalando-Pendants<br />

Lamoda, Zalora und Dafiti, das in Brasilien<br />

so bekannt ist wie Zalando hierzulande.<br />

Ein hochdekorierter britischer Fondsmanager<br />

spricht von „dem verrücktesten<br />

Ding, das ich je gesehen habe“. Zunächst<br />

einleuchtende Geschäftsmodelle im Netz<br />

gebe es viele, aber es funktioniere trotzdem<br />

längst nicht alles, und erst recht verdient<br />

nicht alles Geld, sagt ein deutscher Fondsmanager.<br />

In Rocket Internet stecken viele<br />

solcher Versuchsballons, denen die Berliner<br />

sechs bis neun Jahre Zeit lassen wollen,<br />

um profitabel zu werden. Beim Börsenstart<br />

sind die meisten längst noch nicht so weit.<br />

Wie der Preis für das Online-Konglomerat<br />

von rund sechs Milliarden Euro zustande<br />

kommt, bleibt das Geheimnis der Samwers<br />

und der beteiligten Banken. Laut Börsenprospekt<br />

wurden die Rocket-Beteiligungen<br />

bei der jüngsten Finanzierungsrunde<br />

nur mit 2,6 Milliarden Euro bewertet.<br />

Die Differenz entfällt auf die Fantasie<br />

der Investoren. Die ist auch nötig, denn<br />

harte Fakten bleibt der Konzern selbst im<br />

Börsenprospekt schuldig.<br />

So fehlen in dem Papier zentrale Kennzahlen<br />

wie die Höhe der Gesamtverluste,<br />

die bei den Rocket-Beteiligungen 2013 aufliefen.<br />

Lediglich für die elf wichtigsten<br />

Rocket-Ableger dröselt Rocket Internet die<br />

Geschäftszahlen auf: Bei Gesamterlösen<br />

von 757 Millionen Euro summierten sich<br />

die Jahresfehlbeträge der elf sogenannten<br />

„proven winners“, bei denen Rocket aber<br />

auch nur Minderheitsbeteiligungen hält,<br />

auf insgesamt 442 Millionen Euro. Wie tief<br />

FOTO: AGENTUR FOCUS/DIETER MAYR<br />

108 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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allerdings die anderen Rocket-Beteiligungen<br />

in den roten Zahlen stecken, bleibt offen.<br />

Im Prospekt heißt es lediglich: Die<br />

Emittentin verfüge „nicht über Informationen,<br />

die es ihr erlauben würden, den Gesamtverlust“<br />

aller Beteiligungen „verlässlich<br />

zu ermitteln“.<br />

Ein Management, das nicht in der Lage<br />

ist, die Verluste von Portfolio-Unternehmen<br />

zu beziffern – das ist eigentlich ein<br />

K.-o.-Kriterium am sonst so zahlenfixierten<br />

Finanzmarkt. Trotzdem reißen sich Investoren<br />

darum, beim größten deutschen<br />

Börsengang des Jahres dabei zu sein.<br />

ÜPPIG AUSGESCHÜTTET<br />

Wer rechnet schon so genau nach, wenn<br />

das rasante Wachstum lockt, etwa bei der<br />

Online- und Smartphone-Nutzung in<br />

Schwellenländern. „Konsumenten haben<br />

weltweit die gleichen Wünsche. Sie wollen<br />

ihr Handy, den Anzug oder die Pizza online<br />

bestellen“, sagt Samwer. Und Rocket Internet<br />

will ihnen in Afrika oder Lateinamerika<br />

den gleichen Zugang zu Produkten und<br />

Dienstleistungen bieten wie in Deutschland.<br />

Da es einen stationären Einzelhandel<br />

in Afrika und Lateinamerika kaum gibt, ist<br />

die Konkurrenz für E-Commerce nicht so<br />

groß. Ob das Gewinne bringt, bleibt offen.<br />

Die Konsumausgaben in den Schwellenländern<br />

steigen zwar, werden im Vergleich<br />

zu den entwickelten Märkten aber noch<br />

über Jahre auf bescheidenen Niveaus liegen.<br />

Die Geschäftsrisiken sind ungleich<br />

höher. Welche Auswirkungen hat die Ebola-Epidemie<br />

in Afrika auf das Geschäft der<br />

nigerianischen Rocket-Beteiligung Jumia,<br />

Börsenkandidat im Check: Rocket Internet<br />

Verluste bis mindestens 2017 scheinen Investoren nicht zu stören<br />

Branche:<br />

Umsatz 1 2013/14/15/16/17/18:<br />

Nettoergebnis 1, 2 2013/14/15/16/17/18:<br />

Konsortialbanken:<br />

Zeichnungsspanne:<br />

Wert der angebotenen Aktien:<br />

Börsenwert des Unternehmens:<br />

Zeichnungsfrist:<br />

Erstnotiz:<br />

Risiko:<br />

Empfehlung:<br />

Internet-Beteiligungen<br />

welche Folgen haben die Sanktionen des<br />

Westens auf die Nachfrage in Russland –<br />

und damit für Lamoda?<br />

Die aussichtsreichsten Massenmärkte<br />

im Web sind besetzt. Hier noch neue<br />

Marktführer zu kreieren wird schwer.<br />

Trotzdem sollen jedes Jahr zehn neue<br />

Start-ups die Berliner Raketenfabrik verlassen.<br />

Rocket Internet reagiert mit einer Art<br />

Konzern-Upgrade auf die Entwicklung: Mit<br />

einer digitalen Finanzsparte wird das<br />

Bankgewerbe angegriffen. Lendico und<br />

Zencap sind Plattformen, über die Anleger<br />

Geld an Privatleute oder Unternehmen<br />

verleihen können. Im August stieg die philippinische<br />

Telefongesellschaft PLDT bei<br />

Rocket ein, um Angebote für das Bezahlen<br />

per Handy aufzuziehen.<br />

73/109/141/170/204/234 Millionen Euro<br />

174/899/–149/ – 95/– 38/42 Millionen Euro<br />

Berenberg Bank, JP Morgan, Morgan Stanley, Bank of America Merrill<br />

Lynch, Citigroup, UBS<br />

35,50 bis 42,50 Euro<br />

1,34 bis 1,61 Milliarden Euro<br />

5,61 bis 6,71 Milliarden Euro<br />

bis 7. Oktober<br />

9. Oktober<br />

sehr hoch<br />

Bei positiver Marktstimmung zeichnen, aber Gewinne früh mitnehmen<br />

1 berücksichtigt, dass Rocket Internet oft nur Minderheitsaktionär ist, Werte ab 2014 sind Prognosen von Morgan Stanley;<br />

2 Gewinne 2013/14 durch Verkäufe zum Beispiel von Zalando; Quelle: Morgan Stanley; Rocket Internet, eigene Recherche<br />

Dividenden wird Rocket Internet laut<br />

Prospekt „in absehbarer Zukunft“ nicht<br />

zahlen. Schließlich sollen alle verfügbaren<br />

Mittel ins Wachstum investiert werden.<br />

Das war bis vor Kurzem noch anders.<br />

2012 und 2013 schüttete Rocket Internet<br />

an die Samwers und ihren Investorenzirkel<br />

551 Millionen Euro aus. Für 2014<br />

gönnten sich die Samwers eine sogenannte<br />

Vorabausschüttung in Höhe von 287<br />

Millionen Euro, sie machten damit de<br />

facto schon vor dem Börsengang Kasse.<br />

Dass die Alteigentümer weder beim Börsengang<br />

noch in den kommenden zwölf<br />

Monaten Rocket-Aktien abgeben wollen,<br />

wirkt deshalb schon nicht mehr ganz so<br />

beeindruckend.<br />

n<br />

henryk.hielscher@wiwo.de, heike schwerdtfeger | Frankfurt<br />

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Geld&Börse<br />

Gut schweizerisch<br />

BANKEN | Aktien und stimmrechtslose Beteiligungspapiere der<br />

Kantonalbanken sind auch für Euro-Anleger attraktiv.<br />

Heile Welt mit Staatsgarantie<br />

Aktienkennzahlen ausgewählter Schweizer Kantonalbanken<br />

Bank<br />

Glarner Kantonalbank<br />

Thurgauer Kantonalbank (PS)<br />

Graubündner Kantonalbank (PS)<br />

St.Galler Kantonalbank<br />

Luzerner Kantonalbank<br />

Banque Cantonale Vaudoise<br />

ISIN<br />

CH0189396655<br />

CH0231351104<br />

CH0001340204<br />

CH0011484067<br />

CH0011693600<br />

CH0015251710<br />

Sicherheit, Ruhe und Rendite – das lieben<br />

Schweizer Anleger. Deshalb legen<br />

sie sich Aktien und Partizipationsscheine<br />

von Kantonalbanken ins Portfolio.<br />

Die zeigten bisher oft nicht nur eine<br />

gute Kursentwicklung, sondern lieferten<br />

auch anständige Dividendenrenditen. Die<br />

Aktien der Banque Cantonale Vaudoise<br />

(BCV, Waadtländer Kantonalbank) sind in<br />

den vergangenen zehn Jahren von 120 auf<br />

über 500 Franken gestiegen. Bei der Dividendenrendite<br />

liegen die BCV und die St.<br />

Galler Kantonalbank mit über 4,5 Prozent<br />

Durchschnittsrendite in den vergangenen<br />

fünf Jahren vorn. Fünf weitere Kantonalbankpapiere<br />

schafften mehr als drei Prozent.<br />

„Kantonalbanken machen keine großen<br />

Sprünge, erleben aber auch keine Abstürze“,<br />

sagt Michael Kunz, Analyst bei der<br />

nicht börsennotierten Zürcher Kantonalbank.<br />

Mit wenigen Ausnahmen sind es<br />

Wertpapiere mit einer normalerweise<br />

langsamen, aber stetigen Entwicklung.<br />

In der Schweiz gibt es 24 Kantonalbanken.<br />

Fast jeder Kanton (entspricht etwa einem<br />

deutschen Bundesland) hat eine eigene.<br />

Die Banken betreuen als klassische<br />

Universalbanken Privat- und Unternehmenskunden,<br />

vorrangig aus dem eigenen<br />

Kanton. Das defensive Geschäft (kein Investmentbanking)<br />

verstetigt die Gewinne,<br />

außerdem haben fast alle Kantonalbanken<br />

eine Staatsgarantie. Ende 2013 war die Zürcher<br />

Kantonalbank mit 150 Milliarden<br />

Berge, keine Wolkenkratzer<br />

Zentrale der<br />

Glarner Kantonalbank<br />

1 von2014 an Prognosen, 2 letztebezahlte oder beantragte Dividende/Nennwertrückzahlung; CHF =Schweizer Franken,<br />

PS =Partizipationsschein; Quelle: Bloomberg, SIXSwiss Exchange,Zürcher Kantonalbank (ZKB); Stand: 24. September2014<br />

Kurs<br />

CHF<br />

17,55<br />

79,70<br />

1308,00<br />

349,00<br />

252,00<br />

503,00<br />

Kurs-Gewinn-Verhältnis 1<br />

2013 2014 2015<br />

15,5<br />

14,0<br />

17,4<br />

15,2<br />

11,8<br />

15,5<br />

14,0<br />

14,5<br />

17,8<br />

12,7<br />

11,8<br />

14,8<br />

11,9<br />

14,3<br />

17,2<br />

11,6<br />

11,4<br />

14,6<br />

Dividendenrendite<br />

2<br />

%<br />

0,0<br />

0,0<br />

2,9<br />

4,3<br />

4,4<br />

6,4<br />

Marktwert<br />

Mio. CHF<br />

202<br />

1594<br />

3270<br />

1945<br />

2992<br />

4329<br />

Franken Bilanzsumme die größte Kantonalbank,<br />

vor der BCV mit rund 40 Milliarden.<br />

Die addierte Bilanzsumme aller Kantonalbanken<br />

ist etwa halb so groß wie die<br />

der größten Schweizer Bank UBS.<br />

13 Kantonalbanken haben sich in den<br />

vergangenen Jahren dem Publikum geöffnet,<br />

auch wenn die Kantone Mehrheitseigentümer<br />

geblieben sind. An der Börse<br />

werden entweder Aktien oder Papiere ohne<br />

Stimmrecht (Partizipationsscheine, PS)<br />

gehandelt. Die Thurgauer und die Glarner<br />

Kantonalbank (GLKB) gaben ihr Börsendebüt<br />

erst in diesem Jahr, mit unterschiedlichem<br />

Erfolg. Die Partizipationsscheine<br />

der Thurgauer gingen für 74 Franken an<br />

die Börse, zu einem Preis am obersten<br />

Rand der angebotenen Spanne.<br />

VOM KANTON GERETTET<br />

Die Glarner mussten mit dem unteren Ende<br />

der Emissionspreisspanne zufrieden<br />

sein. Vor einigen Jahren scheiterte ihre teure<br />

Expansionsstrategie, der Kanton musste<br />

die Bank retten, und diese wurde gründlich<br />

ausgemistet. Die ZKB, die die Aktie an die<br />

Börse brachte, sieht deren Zukunft nach<br />

dem Aufräumen positiv. Pluspunkte seien<br />

das neu strukturierte Risikomanagement<br />

und ihr in der Schweiz einzigartiges Produkt<br />

namens „Hypomat“. Auf dieser Online-Plattform<br />

können seit 2012 Hypothekenkredite<br />

online abgeschlossen werden –<br />

auch am Wochenende. Das bringt der<br />

GLKB Wachstum, denn jetzt können Kunden<br />

auch außerhalb des Kantons Glarus<br />

via Hypomat einen Kredit aufnehmen.<br />

Negative Schlagzeilen macht dagegen<br />

die Basler Kantonalbank. Sie liegt im Streit<br />

mit den US-Steuerbehörden und geriet in<br />

den Strudel eines großen Anlegerbetruges.<br />

Der PS-Kurs halbierte sich seit 2011. Auf<br />

Talfahrt ist seit Mitte 2013 auch die Berner<br />

Kantonalbank. Die bietet ihren Aktionären<br />

traditionell höhere Zinsen auf Einlagen.<br />

0,25 Prozent für Aktionäre gegenüber 0,15<br />

Prozent für Normalsparer locken heute<br />

aber kaum Neu-Aktionäre an, eher veranlassen<br />

sie Aktionäre zu verkaufen.<br />

Die Bankpapiere werden alle an der Börse<br />

Zürich gehandelt, einige, wie etwa die<br />

GLKB oder die Berner, auch in Frankfurt.<br />

Die Umsätze sind eher gering, Anleger sollten<br />

nur mit Limit ordern. Das Währungsrisiko<br />

ist überschaubar, der Franken bleibt<br />

als sicherer Hafen gefragt. Währungsgewinne<br />

sind aber auch nicht drin – die<br />

Schweizer Notenbank hat den Franken-<br />

Kurs bei 1,20 Euro praktisch eingefroren. n<br />

alexander saheb | geld@wiwo.de<br />

FOTO: DPA PICTURE-ALLIANCE/KEYSTONE/GAETAN BALLY<br />

110 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Barron’s<br />

Strotzend vor Kraft<br />

US-AKTIEN | Apple-Anlegern drohen kurzfristig mal wieder Verluste;<br />

auf lange Sicht aber wurden Schwarzmaler stets Lügen gestraft.<br />

ben Zeitraum 18 Prozent zulegen.<br />

Also muss die Apple-Aktie teurer<br />

geworden sein. Genauso ist es:<br />

Das Verhältnis des Börsenwertes<br />

zu den Gewinnen des Unternehmens<br />

(KGV) beträgt 14,4. Vor einem<br />

Jahr war die Aktie noch zum<br />

Elffachen des erwarteten Gewinns<br />

zu haben. Der Umsatz soll<br />

laut neuesten Analystenschätzungen<br />

2014 180,3 Milliarden Dollar erreichen;<br />

noch im April wurden 181,8 Milliarden<br />

Dollar für das laufende Jahr geschätzt.<br />

Gleichzeitig erwarten die Herren (und wenigen<br />

Damen) der Excel-Tabellen aber einen<br />

Umsatzanstieg auf 199,3 Milliarden<br />

Dollar für das nächste Jahr.<br />

Doug Kass <strong>vom</strong> Hedgefonds Seabreeze<br />

meint: „Die Aktie ist überbewertet.“ Eine<br />

ähnliche Einschätzung hatte Kass 2012 abgegeben<br />

und (kurzfristig) recht behalten:<br />

Die Aktie verlor in sieben Monaten 44 Prozent.<br />

Langfristig aber lag Kass daneben: Er<br />

hatte auch für das Unternehmen Apple<br />

schwarzgemalt. Die von ihm geweissagten<br />

rasanten Verluste an Marktanteilen, Umsätzen<br />

und Gewinnen trafen nicht ein; nur<br />

die Aktie gab zwischenzeitlich nach. Die<br />

Prognose, Samsung werde Apple regelrecht<br />

aufreiben, hat sich als falsch erwiesen,<br />

die Koreaner bekamen noch gravierendere<br />

Probleme als Apple.<br />

ILLUSTRATION: TOM MACKINGER<br />

Der große Wurf ist es nicht. Auf einer<br />

seit Jahren mit Spannung erwarteten<br />

Präsentation stellte<br />

Apple-Chef Tim Cook jüngst die<br />

Apple Watch vor, eine Armbanduhr, die<br />

E-Mails versenden und mit Smartphones<br />

der Besitzer kommunizieren kann. Zwar<br />

schlägt das Design von Apples Smartwatch<br />

alle Apparate der Konkurrenz; sie verfügt<br />

über die beste Software. Doch wer soll die<br />

Dinger kaufen? Denn etwas wirklich Neues<br />

bieten die Uhren allesamt nicht. Nach<br />

Schätzungen wurden 2013 weltweit nur 1,9<br />

Millionen Smartwatches verkauft, die Erwartungen<br />

für 2014 liegen kaum darüber.<br />

Nach einem Kassenschlager, der – wie<br />

iPhone oder Musikplayer iPod – aus dem<br />

Nichts einen eigenen Massenmarkt schafft,<br />

sieht das nicht aus. Genau das, sagen Skeptiker,<br />

muss Apple liefern, sollen die Anleger<br />

weiter die Apple-Aktie massenhaft kaufen<br />

und deren anhaltenden Höhenflug unterstützen.<br />

Aber ist das so? Dafür kam Ende<br />

September das neue iPhone 6. Weltweit<br />

bildeten sich wieder kilometerlange<br />

Schlangen vor den Apple-Stores. Das<br />

iPhone 6 toppt alte Rekorde: Bereits nach<br />

vier Stunden hatte Apple mehr als vier Millionen<br />

der bis zu 1000 Euro teuren Geräte<br />

verkauft. Allen Skeptikern zum Trotz wurde<br />

das bis zu 5,5 Zoll große Gerät rechtzeitig<br />

zum Weihnachtsgeschäft fertig und<br />

dürfte Apples Umsatz kräftig antreiben.<br />

Doch reicht das auch auf lange Sicht?<br />

In den Industrieländern hat jeder potenzielle<br />

Nutzer schon ein Smartphone. Jedes<br />

neue Modell frisst daher die eigenen Umsätze<br />

mit den alten, Apple hat die Preise für<br />

die Vorgänger iPhone 5 und 5s bereits massiv<br />

gesenkt. Nicht alle Anleger haben den<br />

endgültigen Übergang <strong>vom</strong> Wachstumszum<br />

gesättigten Markt verinnerlicht. Sie<br />

verweisen auf die Schwellenländer, dort<br />

gibt es noch Wachstum. Allerdings<br />

herrscht dort ein noch härterer Preiskampf,<br />

vor allem durch chinesische Billigheimer<br />

wie Xiaomi, Coolpad oder Oppo.<br />

Für das laufende Jahr erwartet Apple<br />

selbst nur noch 5,5 Prozent Umsatzwachstum,<br />

nichts mehr also im Vergleich mit neun<br />

Prozent 2013 oder gar 45 Prozent 2012. Geschrumpft<br />

ist auch die Bruttogewinnmarge –<br />

von 43,9 Prozent 2012 auf 37,6 Prozent 2013<br />

und auf erwartete 38,6 Prozent in diesem<br />

Jahr. Das alles ist sattsam bekannt, dennoch<br />

stieg die Aktie in den vergangenen 16 Monaten<br />

um 82 Prozent;die restlichen Aktien dieser<br />

Welt konnten im Schnitt im sel-<br />

Die beste<br />

Geschichte aus<br />

der aktuellen<br />

<strong>Ausgabe</strong> von<br />

dem führenden<br />

amerikanischen<br />

Magazin für<br />

Geldanleger.<br />

130 MILLIARDEN FÜR AKTIONÄRE<br />

Ein Punkt, den Schwarzmaler gern übersehen:<br />

Es ist nicht schlimm, dass Konkurrenten<br />

im Detail besser sind. Ja – es gibt<br />

höher auflösende Bildschirme als den des<br />

iPhone 6. Auch die Kamera des Nokia Lumia<br />

mag besser sein. Doch deswegen kaufen<br />

iPhone-Kunden nicht Nokia oder Samsung.<br />

Apple versteht es, seine Kunden über<br />

eine immense Auswahl an nützlichen Anwendungen<br />

(Apps) und Inhalte zu binden;<br />

hinreichend viele jedenfalls, um so viel<br />

Geld zu verdienen, dass die Anleger derzeit<br />

mit 130 Milliarden Dollar Geldsegen (in<br />

Form von Aktienrückkäufen und Dividenden)<br />

beglückt werden können.<br />

Apple-Pessimisten machen zu oft den<br />

Fehler, dass sie Unternehmenserfolg und<br />

Aktienkursentwicklung gleichsetzen. Das<br />

Unternehmen Apple strotzt vor Kraft,<br />

wird heuer 39 Milliarden Dollar Nettogewinn<br />

erwirtschaften, es wächst nur<br />

nicht mehr so schnell. Das nehmen Anleger<br />

übel, die zu spät und teuer eingestiegen<br />

sind. Klar ist:An der Börse muss Apple<br />

in den gestiegenen Kurs wieder hineinwachsen.<br />

Dieses Muster ist aus<br />

früheren Zyklen der Aktie bekannt.<br />

Bisher gelang das immer<br />

dann, wenn Pessimisten am lautesten<br />

schrien, Apple befinde<br />

sich in einer Abwärtsspirale. So<br />

weit sind wir noch nicht; kurzfristig<br />

drohen Verluste. Danach<br />

aber sollten Anleger Apple wieder<br />

ins Depot nehmen.<br />

n<br />

tiernan ray | geld@wiwo.de<br />

WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 111<br />

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Geld&Börse | Steuern und Recht<br />

SCHEIDUNG<br />

Frieden spart<br />

Steuern<br />

ZINSEN<br />

Fiskus nimmt sechs Prozent<br />

Wer nach erfolglosem Einspruch Steuern nachzahlt, muss die üppig verzinsen.<br />

Teurer als mancher Bankkredit ist ein Kredit <strong>vom</strong><br />

Finanzamt. Von unpünktlichen Steuerzahlern<br />

verlangt der Fiskus 0,5 Prozent Zinsen pro Monat<br />

und damit sechs Prozent für ein ganzes Jahr. Das<br />

Zinsniveau ist seit Jahren gesunken, der Bund<br />

zahlt für seine Anleihen im Schnitt nur noch 0,79<br />

Prozent pro Jahr (Umlaufrendite). Finanzämter<br />

verlangen trotzdem unverdrossen den schon Mitte<br />

der Neunzigerjahre festgelegten Satz. Die sogenannten<br />

Aussetzungszinsen zahlt jeder, der etwa<br />

gegen einen Steuerbescheid erfolglos Einspruch<br />

einlegt oder wegen angespannter Finanzen seine<br />

Steuern stunden muss – und auch Steuerhinterzieher.<br />

Da Steuerfragen gerichtlich mitunter<br />

erst nach Jahren geklärt werden, kann das teuer<br />

werden. Nach einer höchstrichterlichen Entscheidung<br />

des Bundesfinanzhofes (BFH) verstößt<br />

die Praxis nicht gegen die Verfassung – zumindest<br />

nicht für die Zeit von 2004 bis 2011 (IX R 31/13),<br />

um die es in dem Fall ging, den die BFH-Richter<br />

entscheiden mussten. Der Kläger hatte seine Gewinne<br />

aus einem Immobiliengeschäft zunächst<br />

nicht versteuert, weil 2004 noch beim Bundesverfassungsgericht<br />

ein Musterprozess dazu anhängig<br />

war. Dieses Verfahren dauerte sechs Jahre und<br />

ging nicht zugunsten des Steuerzahlers aus. Und<br />

ihn verfolgte das Pech weiter: Auf die Einkommensteuer,<br />

die er nachzahlen sollte, verlangte der<br />

Fiskus sechs Prozent Zinsen pro Jahr. Dies hielt er<br />

wegen der langen Verfahrensdauer für verfassungswidrig,<br />

doch auch dafür fand er unter den<br />

Richtern keine Anhänger.<br />

Eine friedliche Scheidung<br />

kommt offenbar so selten vor,<br />

dass das deutsche Steuerrecht<br />

auf gütliche Einigungen nicht<br />

vorbereitet ist. Der hessische<br />

Fiskus wollte einer Geschiedenen<br />

Steuern abknöpfen, wurde<br />

jetzt aber <strong>vom</strong> Hessischen Finanzgericht<br />

zurückgepfiffen (11<br />

K 1432/11). Die Frau hatte sich<br />

mit ihrem Ehemann vor der<br />

Scheidung darauf geeinigt, dass<br />

sie keinen Versorgungsausgleich<br />

machen. Der ist ansonsten<br />

das übliche Verfahren, um<br />

die während der Ehe erworbenen<br />

Rentenansprüche hälftig zu<br />

teilen. Statt einer höheren Rente<br />

im Alter bekam die Ehefrau<br />

<strong>vom</strong> Ex gleich Geld: Er übertrug<br />

ihr einen mit rund 30 000 Euro<br />

gefüllten Bausparvertrag und<br />

über ein paar Jahre verteilt noch<br />

rund 80 000 Euro. Die Vereinbarung<br />

wurde notariell beurkundete<br />

und <strong>vom</strong> Familiengericht<br />

genehmigt. Das Finanzamt<br />

wollte die Zahlungen als wiederkehrende<br />

Einkünfte besteuern.<br />

Dagegen klagte die Geschiedene<br />

und gewann, weil ein<br />

solcher Ausgleich im Steuerrecht<br />

nicht vorgesehen ist. Die<br />

Zahlungen seien weder eine<br />

steuerpflichtige Entschädigung<br />

noch ein Ersatz für Renteneinkünfte,<br />

so die Richter. Also geht<br />

der Fiskus leer aus.<br />

RECHT EINFACH | Erntezeit<br />

Treckerkolonnen und Lärm von<br />

Erntemaschinen: Im Herbst sind<br />

Landwirte nicht beliebt. Mancher<br />

Streit führt zum Richter.<br />

§<br />

Mähdrescher. Auf einer 5,4<br />

Meter breiten Straße in<br />

Westfalen fuhr ein 3,5 Meter<br />

breiter Mähdrescher. In<br />

einer Kurve rauschte ein entgegen-<br />

kommender Motorradfahrer<br />

auf den grünen Koloss. 13 333<br />

Euro Schmerzensgeld verlangte<br />

der Biker nach seiner Entlassung<br />

aus dem Krankenhaus <strong>vom</strong> Eigen-<br />

tümer der Erntemaschine. Mit Erfolg.<br />

Auf der schmalen Straße hätte<br />

der Agro-Brummi einen Wagen mit<br />

Warnlicht vor sich her fahren lassen<br />

müssen und in der Kurve hupen sollen,<br />

so die Richter (Oberlandesgericht<br />

Hamm, 9 U 17/13).<br />

Lehmschicht. In Schleswig-Holstein<br />

war die Kohlernte in vollem Gange.<br />

Ein Bauer rackerte seit dem frühen<br />

Morgen. Folge: Auf der Landstraße<br />

zwischen seinen Äckern und dem<br />

Hof lag eine zentimeterdicke<br />

Schmutzschicht. Obwohl der Landwirt<br />

50 Meter vor der verunreinigten<br />

Stelle ein Warnschild aufgestellt<br />

hatte, kam eine Autofahrerin bei<br />

leichtem Regen ins Schleudern und<br />

landete im Graben. Schadensersatz<br />

bekam sie nicht. Die Richter stellten<br />

fest, dass die Straße vor allem<br />

von Einheimischen benutzt werde.<br />

Diese seien mit den „Gegebenheiten“<br />

zur Erntezeit vertraut (Oberlandesgericht<br />

Schleswig-Holstein,<br />

7 U 144/01).<br />

Nachtmusik. Am Rand eines Dorfes,<br />

rund 500 Meter entfernt von<br />

einem Bauernhof, wohnte eine<br />

Schwäbin. Im Herbst wurde ihre<br />

Nachtruhe durch entfernte Geräusche<br />

von Erntemaschinen gestört.<br />

Hilfe <strong>vom</strong> Gericht bekam sie aber<br />

nicht. „Vereinzelte Ruhestörungen<br />

zur Erntezeit“, so die Richter,<br />

seien hinzunehmen (Verwaltungsgerichtshof<br />

Baden-Württemberg,<br />

10 S 2317/99).<br />

FOTOS: DDP IMAGES/ECOMEDIA/ROBERT B. FISHMAN, GLOWIMAGES, PR<br />

112 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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MIETPREISBREMSE<br />

Mehr Freiheit bei Neubauten<br />

Die geplante Mietpreisgrenze<br />

soll den Spielraum für Mieterhöhungen<br />

noch weiter beschränken,<br />

als dies schon das<br />

im vergangenen Jahr eingeführte<br />

Mietrecht getan hat. Es hindert<br />

Vermieter überall dort daran,<br />

die Miete stark zu erhöhen,<br />

wo der Wohnungsmarkt schon<br />

als „angespannt“ galt. Viele<br />

Bundesländer haben dies für<br />

sich reklamiert. Per Verordnung<br />

wurde eine Kappungsgrenze für<br />

Städte mit hohen Mieten eingeführt.<br />

Durfte ein Vermieter die<br />

Miete binnen drei Jahren zuvor<br />

um 20 Prozent erhöhen, sind in<br />

diesen Vierteln und etwa in der<br />

kompletten Stadt Berlin nur<br />

TESTAMENT<br />

Kein Kauderwelsch<br />

SCHNELLGERICHT<br />

TEURERE SELBSTANZEIGE AB 2015<br />

§<br />

Der Gesetzentwurf, der die Regeln für eine strafbefreiende<br />

Selbstanzeige verschärft, steht. Wer<br />

von den aktuell günstigeren Regeln profitieren möchte,<br />

sollte sich beeilen. Ab 25 000 Euro hinterzogenen<br />

Steuern pro Jahr könnte schon ab 1. Januar ein Strafzuschlag<br />

verlangt werden, der nicht mehr pauschal<br />

fünf Prozent beträgt, sondern gestaffelt steigt – auf<br />

bis zu 20 Prozent bei über eine Million Euro hinterzogener<br />

Steuern. Hinzu kommen Zinsen von sechs Prozent<br />

pro Jahr auf die Steuerschuld.<br />

Mit einem Testament kann der<br />

Vererber dafür sorgen, dass sein<br />

Vermögen gerecht verteilt wird.<br />

Dazu sollte er aber beim Texten<br />

präzise sein. Das ging bei einem<br />

Mann schief, der schrieb, die<br />

Erbschaft solle gemäß dem<br />

„Berliner Testament“ erfolgen.<br />

Bei diesem setzen sich Eheleute<br />

gegenseitig als Alleinerben ein.<br />

Es ist aber nur gültig, wenn sie<br />

es auch gemeinsam aufsetzen.<br />

Das hatte der Verstorbene nicht<br />

beachtet. Seine Ehefrau muss<br />

ihr Erbe deshalb mit den Kindern<br />

teilen, die ihr Mann aus<br />

erster Ehe hatte (Oberlandesgericht<br />

Hamm, 15 W 98/14).<br />

Unwirksam, weil zu vage, war in<br />

einem anderen Testamentstext<br />

der Passus, dass die Person den<br />

Nachlass bekommen solle, die<br />

sich bis zum Tod um den Erblasser<br />

kümmert (Oberlandesgericht<br />

München, 31 Wx 55713).<br />

Auch eine reine Bildunterschrift<br />

„V. ist meine Haupterbin“,<br />

ist als Testament ungültig<br />

(Oberlandesgericht Hamburg, 2<br />

W 80/13).<br />

noch bis zu 15 Prozent möglich.<br />

Die Obergrenze bleibt immer<br />

die ortsübliche Vergleichsmiete<br />

für Wohnungen ähnlicher Qualität.<br />

Diese Reform des Mietrechts<br />

klammerte Neuvermietungen<br />

aus.<br />

Die neue Mietpreisbremse<br />

soll künftig Neumieter vor einem<br />

hohen Aufschlag schützen.<br />

Künftig darf die Miete nach<br />

einem Mieterwechsel maximal<br />

auf einen Betrag steigen, der<br />

zehn Prozent über der ortsüblichen<br />

Vergleichsmiete liegt.<br />

Aber in den Plänen sind viele<br />

Ausnahmen vorgesehen: Bei<br />

Neubauten, die nach Verabschiedung<br />

des Gesetzes fertiggestellt<br />

werden, müssen die<br />

Vermieter die ortsübliche Miete<br />

nicht bei der Miethöhe berücksichtigen.<br />

Und Vermieter, die<br />

einen Altbau umfassend sanieren,<br />

Gebäude dämmen oder etwa<br />

Bäder erneuern, trifft die<br />

Bremse ebenfalls nicht, wenn<br />

sie nach dem Umbau erstmals<br />

wieder Mieter suchen. Allerdings<br />

ist nicht klar definiert, ab<br />

wann eine Sanierung als umfassend<br />

angesehen wird. Für Altmieter<br />

gilt schon jetzt: Steigt die<br />

Miete nach dem Umbau auf<br />

mehr als 35 Prozent des Nettohaushaltseinkommens,<br />

gelten<br />

sie als Härtefall und werden von<br />

einer Erhöhung ausgenommen.<br />

PARKEN<br />

Vorsicht auf<br />

Rastplätzen<br />

Auf Parkplätzen gilt die Straßenverkehrsordnung<br />

und deren<br />

oberster Grundsatz – ständige<br />

Vorsicht und gegenseitige<br />

Rücksicht. Wer dort fährt, achtet<br />

auf ausparkende Autos. An<br />

Rastplätzen gibt es aber Stellplätze,<br />

die an einer Straße liegen,<br />

deren Fahrspuren durch<br />

Markierungen getrennt sind.<br />

Dort hat der fließende Verkehr<br />

Vorfahrt (Oberlandesgericht<br />

Hamm, 9 U 26/14).<br />

STEUEREXTRAS BEI SANIERUNG<br />

§<br />

Weist eine Kommune ein Sanierungsgebiet aus,<br />

können Immobilieneigentümer Instandsetzungsund<br />

Modernisierungskosten über zwölf Jahre auch für<br />

selbst bewohnte Wohnungen voll absetzen. Dass es<br />

sich um ein Sanierungsgebiet handelt, muss die Gemeinde<br />

bei Wohnblocks für jede Wohnung einzeln bestätigen<br />

(Bundesfinanzhof, IX R 15/13). Das Finanzamt<br />

kann aber schon zuvor die Sonderabschreibung<br />

im Einkommensteuerbescheid berücksichtigen oder<br />

muss die Ablehnung gut begründen (X R 7/12).<br />

PASS WEG BEI HOHER STEUERSCHULD<br />

§<br />

Ein Berliner schuldete dem Fiskus 531 000 Euro<br />

Steuer. Da er seine Wohnsitze nicht ordentlich gemeldet<br />

hatte und um zu verhindern, dass er sich ins<br />

Ausland absetzt, durfte ihm der Pass abgenommen<br />

werden (Verwaltungsgericht Berlin, 23 L 410.14).<br />

ARBEITSRECHT<br />

MARC HILBER<br />

ist Partner<br />

im Bereich<br />

IT-Recht der<br />

Kanzlei<br />

Oppenhoff &<br />

Partner.<br />

n Herr Hilber, darf ein<br />

Arbeitgeber Personalakten<br />

seiner Angestellten in der<br />

Cloud speichern, also extern<br />

bei Unternehmen wie<br />

Google oder Amazon?<br />

Der Arbeitgeber ist für die Sicherheit<br />

der Arbeitnehmerdaten<br />

zuständig und bleibt dies<br />

auch in der Cloud. Er muss Sicherheitsfragen<br />

mit dem<br />

Dienstleister schriftlich in einem<br />

Vertrag festhalten. Das<br />

Speichern außerhalb<br />

Deutschlands ist dann grundsätzlich<br />

zulässig. Dagegen<br />

kann sich der Arbeitnehmer<br />

nicht wehren, es können lediglich<br />

Beteiligungsrechte des<br />

Betriebsrates bestehen.<br />

n Das gilt ohne Einschränkung?<br />

Grenzen gibt es für besondere<br />

Arten personenbezogener<br />

Daten, etwa zur rassischen<br />

und ethnischen Herkunft, zu<br />

politischen Meinungen, religiösen<br />

Überzeugungen, Gewerkschaftszugehörigkeit,<br />

Gesundheit oder zum Sexualleben.<br />

Die dürfen grundsätzlich<br />

nur in eine Cloud im europäischen<br />

Wirtschaftsraum.<br />

n Können Arbeitnehmer<br />

Auskunft darüber verlangen,<br />

wo ihre Daten gespeichert<br />

werden?<br />

Nach dem Bundesdatenschutzgesetz<br />

haben sie zwar<br />

das Recht zu erfahren, welche<br />

Daten über sie gespeichert<br />

sind und an welchen Empfänger<br />

die Daten weitergegeben<br />

wurden. Es ist aber strittig, ob<br />

Cloud-Dienstleister solche<br />

Empfänger sind, über die Auskunft<br />

zu erteilen ist. Die<br />

schlüssigeren Argumente<br />

sprechen aktuell dagegen.<br />

WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 Redaktion: heike.schwerdtfeger@wiwo.de | Frankfurt, sebastian kirsch<br />

113<br />

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Geld&Börse | Geldwoche<br />

KOMMENTAR | Die großen Börsengänge<br />

signalisieren ein Ende der<br />

Hausse. Oder ist diesmal wirklich<br />

alles anders? Von Hauke Reimer<br />

Auf der Welle<br />

Aufschwung auf Halde Autoverladung<br />

für den Export in Bremerhaven<br />

Alle kaufen, als ob es<br />

morgen keine Aktien<br />

mehr gibt. Im Windschatten<br />

von Chinas<br />

Alibaba, die in New York den<br />

größten Börsengang (IPO) aller<br />

Zeiten hinlegte, gehen hierzulande<br />

die Aktien des Online-<br />

Händlers Zalando und der<br />

Start-up-Schmiede Rocket Internet<br />

weg wie geschnitten<br />

Brot. Selbst der chinesische<br />

Daunenverarbeiter Snowbird<br />

schleppt sich aufs Parkett „am<br />

oberen Rand der Preisspanne“,<br />

wie er stolz meldet. (Dass er<br />

statt 10 Millionen nur 1,5 Millionen<br />

Aktien untergebracht hat,<br />

muss er Anlegern ja nicht unbedingt<br />

auf die Nase binden.)<br />

VORSICHT MACHT MUT<br />

Doch zurück zu den Internet-<br />

Riesen: Analyst Roger Peeters<br />

von Close Brothers Seydler vergleicht<br />

den Alibaba-Börsengang<br />

mit dem von Facebook 2012.<br />

Anders als vor zwei Jahren<br />

scheine die IPO-Begeisterung<br />

diesmal auch über den Großen<br />

Teich zu schwappen, schreibt er<br />

in seinem an angelsächsische<br />

Investoren gerichteten Morning<br />

Briefing. Es sei typisch für den<br />

deutschen Markt, dass das Anlegerinteresse<br />

an den Aktien von<br />

einer Menge kritischer Pressestimmen<br />

begleitet werde. Das<br />

deute darauf hin, dass die Kurse<br />

noch eine ganze Weile steigen<br />

könnten.<br />

Peeters bemüht hier die Sentiment-Theorie.<br />

Die sagt: Wenn<br />

Börsenblätter „kaufen, kaufen!“<br />

schreiben und Anleger ihnen folgen,<br />

dann ist an der Börse Alarm<br />

angesagt. Denn die vielen Optimisten<br />

hätten dann schon Aktien,<br />

fallen also als Nachfrager<br />

aus. Sind aber alle vorsichtig,<br />

steigen die Kurse weiter.<br />

Das kann man so sehen. Auch<br />

wenn ein Geschäftsmodell nicht<br />

nachhaltig erfolgreich ist, kann<br />

es für den Börsenerfolg reichen,<br />

wenn es die Fantasie der Anleger<br />

beflügelt. Es könnte ja klappen,<br />

und dann hat man eben die<br />

nächste Amazon im Depot.<br />

Und so war Mitte der Woche<br />

schon absehbar, dass Zalando<br />

und Rocket zu Spitzenpreisen<br />

zugeteilt werden. Und auch,<br />

dass Normalanleger nicht an<br />

Aktien kommen – die werden<br />

knapp gehalten und gehen vor<br />

allem an Londoner Adressen.<br />

Private dürfen dann an der Börse<br />

teurer nachkaufen. Womöglich<br />

macht das sogar Sinn: Eine<br />

Hausse kann länger laufen, als<br />

kluge Leute denken. Die Entscheidung<br />

kann einem niemand<br />

abnehmen: Soll ich weiter die<br />

Welle reiten? Oder nur in Unternehmen<br />

investieren, die mich<br />

auf längere Sicht überzeugen?<br />

Dass die Börsengänge gerade<br />

jetzt kommen, lässt sich auch so<br />

deuten: Alteigentümer und ihre<br />

Investmentbanker sind erfahren<br />

im Timing, sie sehen ein Ende<br />

des Booms und wollen noch ihre<br />

Ernte einfahren. Wer Aktien verkauft,<br />

orientiert sich an den Preisen<br />

börsennotierter Unternehmen.<br />

Die Preise, die aktuell<br />

gezahlt werden, finden Verkäufer<br />

offensichtlich attraktiv. Eine<br />

Häufung großer Börsengänge<br />

signalisiert deshalb seit jeher,<br />

dass die Kurse ausgereizt sind.<br />

Dagegen spricht aktuell nur,<br />

dass Banken und Investoren<br />

noch supergünstig an Geld kommen<br />

und das anlegen wollen.<br />

Sollte dank der lockeren Geldpolitik<br />

diesmal wirklich alles<br />

anders sein? Ich weiß nur: Der<br />

Satz „diesmal ist alles anders“<br />

ist der gefährlichste und teuerste<br />

überhaupt an der Börse.<br />

TREND DER WOCHE<br />

Wackliger Mix für Aktien<br />

Die trüben Konjunkturaussichten machen eine Korrektur<br />

bei Dax und Dow immer wahrscheinlicher.<br />

Unerwartet deutlich kühlt sich<br />

das Wirtschaftsklima in<br />

Deutschland ab. Nachdem der<br />

ifo-Konjunkturindikator zum<br />

fünften Mal in Folge gesunken<br />

ist, schwindet die Hoffnung auf<br />

einen schnellen Dreh nach<br />

oben. Wahrscheinlich sind<br />

selbst die zuletzt auf 1,5 Prozent<br />

gestutzten Wachstumsprognosen<br />

zu optimistisch.<br />

Gemessen an diesen trüben<br />

Aussichten, halten sich die Aktienmärkte<br />

noch. Der Dax liegt<br />

derzeit fünf Prozent unter seinem<br />

Top, der amerikanische<br />

Dow Jones zwei Prozent. Grund<br />

ist die expansive Geldversorgung<br />

durch die Notenbanken.<br />

Mit Wertpapierkäufen bereitet<br />

EZB-Chef Mario Draghi gerade<br />

die nächste Expansionsphase<br />

vor; Fed-Chefin Janet Yellen<br />

dürfte die erste Zinserhöhung<br />

länger als erwartet hinausschieben.<br />

Bleibt die Frage, ob der Mix<br />

aus wackliger Konjunktur und<br />

reichlicher Geldversorgung für<br />

den Aufwärtstrend an den Börsen<br />

ausreicht. Bisher erwiesen<br />

sich alle Kursrückschläge seit<br />

dem Finanzkrisentief 2009 als<br />

Kaufgelegenheiten.<br />

Wertvolle Anlagehinweise<br />

gibt dabei der ifo-Index, der in<br />

der gesamten Anstiegsphase<br />

immer über dem Stand von 100<br />

Punkten blieb, also wirtschaftliche<br />

Expansion signalisierte.<br />

Der September-Rückgang von<br />

106,3 auf 104,7 ist also kein<br />

Beinbruch. Erst wenn der ifo<br />

richtig schnell absäuft, wird es<br />

für Aktien gefährlich: so wie ab<br />

Mitte 2008, als er in sechs Monaten<br />

mehr als 20 Punkte verlor.<br />

Trends der Woche<br />

Entwicklung der wichtigsten Finanzmarkt-Indikatoren<br />

Stand: 25.9.2014 / 18.01 Uhr aktuell seit einer Woche 1 seit einem Jahr 1<br />

Dax 30 9510,01 –2,9 +9,7<br />

MDax 15927,15 –2,0 +6,2<br />

Euro Stoxx 50 3202,31 –2,1 +9,4<br />

S&P 500 1971,91 –2,0 +16,5<br />

Euro in Dollar 1,2712 –1,2 –5,9<br />

Bund-Rendite (10 Jahre) 1 0,93 –0,12 2 –0,92 2<br />

US-Rendite (10 Jahre) 1 2,52 –0,11 2 –0,14 2<br />

Rohöl (Brent) 3 96,84 –0,8 –11,6<br />

Gold 4 1213,75 –0,6 –8,2<br />

Kupfer 5 6766,00 –2,2 –5,4<br />

1<br />

in Prozent; 2 in Prozentpunkten; 3 in Dollar pro Barrel; 4 in Dollar pro Feinunze,<br />

umgerechnet 953,38 Euro; 5 in Dollar pro Tonne; Quelle: vwd group<br />

FOTOS: BERT BOSTELMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, ULLSTEIN BILD/ULRICH BAUMGARTEN, GLOWIMAGES/BLEND IMAGES<br />

114 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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DAX-AKTIEN<br />

Teure Käufe<br />

Siemens zahlt viel für einen strategischen Vorteil;<br />

Merck erschließt sich immerhin gleich mehr Rendite.<br />

HITLISTE<br />

Mit der geplanten Übernahme<br />

des Turbinenherstellers<br />

Dresser-Rand wird Siemens<br />

<strong>vom</strong> Boom der amerikanischen<br />

Öl- und Gasindustrie<br />

profitieren. Ebenfalls ein Vorteil<br />

ist es, dass Dresser schon<br />

heute mit einer Nettorendite<br />

(Reingewinn <strong>vom</strong> Umsatz)<br />

von sieben Prozent auf Siemens-Niveau<br />

arbeitet. Nicht<br />

einmal halb so rentabel ist das<br />

Hausgerätegeschäft (BSH),<br />

das Siemens dafür an Autozulieferer<br />

Bosch verkauft.<br />

Allerdings, der Preis für die<br />

Rochade ist hoch: Für den Jahresumsatz<br />

von Dresser zahlt<br />

Siemens das Zweieinhalbfache,<br />

bekommt aber nur 29 Cent je<br />

Umsatz-Euro für BSH herein.<br />

Auf den ersten Blick hoch erscheint<br />

die sechsfache Umsatzbewertung,<br />

die der Darmstädter<br />

Pharmakonzern Merck für<br />

Sigma-Aldrich bezahlt. Allerdings<br />

bringt der amerikanische<br />

Forschungsspezialist Merck<br />

nicht nur strategisch voran; er<br />

ist auch hochrentabel und wird<br />

die Gewinne von Merck von<br />

Anfang an beflügeln.<br />

Gesunde Branche<br />

17 Prozent für Anleger<br />

S&P 500<br />

Alibaba-Moment<br />

Die aktuelle Rekordjagd des S&P 500 wird nur noch<br />

befeuert von Technologie- und Gesundheitsaktien.<br />

Dax<br />

Kurs Kursent- Gewinn KGV Börsen- Dividen-<br />

(€) wicklung pro Aktie (€) wert den-<br />

1 Woche 1 Jahr 2014 2015 2015<br />

(Mio. €) rendite<br />

(%) 1<br />

Dax 9510,01 –2,9 +9,7<br />

Aktie<br />

Stand: 25.9.2014 / 18.00 Uhr<br />

Adidas 61,28 –1,2 –22,9 3,10 3,65 17 12821 2,45<br />

Allianz 136,65 –0,6 +15,6 13,87 14,05 10 62306 3,88<br />

BASF NA 72,89 –5,0 +1,0 5,78 6,26 12 66948 3,70<br />

Bayer NA 110,20 –2,2 +27,3 5,97 6,94 16 91130 1,91<br />

Beiersdorf 66,42 +0,6 +1,3 2,48 2,75 24 16738 1,05<br />

BMW St 85,25 –5,7 +6,1 9,01 9,44 9 54856 3,05<br />

Commerzbank 12,12 –5,4 +38,0 0,55 0,98 12 13799 -<br />

Continental 151,70 –8,2 +21,0 12,85 14,30 11 30341 1,65<br />

Daimler 60,82 –4,8 +5,2 6,19 6,84 9 65043 3,70<br />

Deutsche Bank 27,59 –0,4 –16,3 2,31 3,28 8 28125 2,72<br />

Deutsche Börse 54,26 –1,5 –2,5 3,66 4,02 13 10472 3,87<br />

Deutsche Post 25,37 –2,0 +5,6 1,71 1,85 14 30673 3,15<br />

Deutsche Telekom 11,91 +2,2 +12,7 0,62 0,65 18 53013 4,20<br />

E.ON 14,46 +0,1 +7,3 0,93 0,97 15 28924 4,15<br />

Fresenius Med.C. St 54,35 +0,1 +12,1 3,54 3,94 14 16715 1,42<br />

Fresenius SE&Co 38,39 –0,9 +24,2 2,02 2,33 16 8663 3,26<br />

Heidelberg Cement St 52,42 –6,0 –10,7 3,93 4,95 11 9829 1,14<br />

Henkel Vz 78,94 –4,9 +4,3 4,29 4,67 17 33354 1,55<br />

Infineon 8,39 –6,1 +10,8 0,45 0,53 16 9068 1,43<br />

K+S NA 22,53 –6,8 +15,0 1,61 1,65 14 4312 1,11<br />

Lanxess 44,90 –4,4 –8,7 2,03 3,14 14 3736 1,11<br />

Linde 150,75 –3,1 +1,0 7,76 8,76 17 27987 1,99<br />

Lufthansa 12,63 –3,9 –13,0 1,45 2,34 5 5807 -<br />

Merck 72,79 +6,3 +27,7 4,64 4,85 15 4704 2,61<br />

Münchener Rückv. 155,25 +0,9 +8,3 17,57 17,50 9 27843 4,67<br />

RWE St 31,48 +0,9 +25,7 2,21 2,24 14 19064 3,18<br />

SAP 56,77 –5,2 +1,3 3,39 3,71 15 69742 1,94<br />

Siemens 93,27 –4,7 +3,4 6,46 7,38 13 82171 3,22<br />

ThyssenKrupp 20,86 –5,6 +14,9 0,56 1,22 17 10730 -<br />

Volkswagen Vz. 166,55 –5,3 –5,3 21,51 24,04 7 77131 2,44<br />

1<br />

berechnet mit der zuletzt gezahlten Dividende<br />

Der US-Aktienindex S&P 500<br />

enthält 502 Aktien mit einem<br />

gemeinsamen Marktwert<br />

von 18 410 Milliarden Dollar.<br />

Untergliedert wird der Index<br />

in zehn Sektoren. Schwergewicht<br />

ist der IT-Sektor mit<br />

19,7 Prozent Indexgewicht,<br />

gefolgt <strong>vom</strong> Finanz- (16,0)<br />

und Gesundheitssektor (13,6).<br />

Seit Jahresbeginn legte der<br />

S&P 500 um 8,8 Prozent zu.<br />

Der Finanzsektor liegt in etwa<br />

gleichauf. Von den restlichen,<br />

weniger hoch gewichteten<br />

Sektoren schnitten nur Rohstoffe<br />

und Versorger besser ab<br />

als der S&P 500. Allerdings kommen<br />

beide gemeinsam nur auf<br />

ein Gewicht von 5,4 Prozent.<br />

Entsprechend wird die Rekordjagd<br />

des S&P 500 nur noch befeuert<br />

von IT- und Gesundheitsaktien.<br />

Sollte einer der beiden<br />

Sektoren an relativer Stärke<br />

verlieren – der Hype um Alibaba<br />

und Apples iPhone 6 spricht für<br />

den IT-Sektor – und der Finanzsektor<br />

nicht gleichzeitig an relativer<br />

Stärke gewinnen, dann<br />

könnte dem S&P 500 tatsächlich<br />

eine Korrektur ins Haus stehen.<br />

Wie sich die einzelnen Sektoren im amerikanischen Aktienindex<br />

S&P 500 geschlagen haben<br />

Sektor<br />

Gesundheit<br />

Informationstechnologie<br />

Versorger<br />

Rohstoffe<br />

S&P 500<br />

Finanzen<br />

Basiskonsum<br />

Energie<br />

Telekommunikation<br />

Industrie<br />

Zyklischer Konsum<br />

Marktwert<br />

Milliarden<br />

Dollar<br />

2500<br />

3620<br />

534<br />

643<br />

18410<br />

2950<br />

1880<br />

1800<br />

429<br />

1890<br />

2170<br />

Quelle: Bloomberg; Stand: 22. September 2014<br />

Sektorgewicht<br />

im<br />

S&P 500<br />

13,6<br />

19,7<br />

2,9<br />

3,5<br />

100,0<br />

16,0<br />

10,2<br />

9,8<br />

2,3<br />

10,3<br />

11,8<br />

seit<br />

3 Monaten<br />

Prozent<br />

+7,0<br />

+6,6<br />

–2,1<br />

+1,5<br />

+2,4<br />

+3,6<br />

+0,6<br />

-6,7<br />

+2,0<br />

–1,0<br />

+3,7<br />

Entwicklung<br />

seit<br />

Jahresanfang<br />

+17,0<br />

+14,1<br />

+12,0<br />

+9,2<br />

+8,8<br />

+8,2<br />

+5,9<br />

+5,1<br />

+4,3<br />

+3,8<br />

+2,5<br />

52-<br />

Wochen-<br />

Hoch<br />

erreicht<br />

am...<br />

19.9.14<br />

19.9.14<br />

30.6.14<br />

19.9.14<br />

19.9.14<br />

19.9.14<br />

19.9.14<br />

23.6.14<br />

29.7.14<br />

9.6.14<br />

4.9.14<br />

WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 115<br />

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Geld&Börse | Geldwoche<br />

AKTIE Roche<br />

28. Dividendenerhöhung<br />

in der Pipeline<br />

Lukratives Labor Roche-<br />

Forscher bei der Gen-Analyse<br />

Für 8,3 Milliarden Dollar hat<br />

Roche das kalifornische Biotechnikunternehmen<br />

Intermune<br />

gekauft. Ein hoher Preis<br />

für ein Unternehmen, das in<br />

diesem Jahr wahrscheinlich<br />

nur 130 Millionen Dollar Umsatz<br />

macht und keinen Gewinn.<br />

Dennoch dürfte sich<br />

der Zukauf für den Schweizer<br />

Pharmakonzern lohnen.<br />

Intermune verfügt über ein<br />

neues Medikament gegen<br />

Lungenfibrose; eine tödlich<br />

verlaufende Krankheit, von<br />

der weltweit rund fünf Millionen<br />

Menschen betroffen sind.<br />

Im November könnte die<br />

amerikanische Gesundheitsbehörde<br />

FDA die Genehmigung<br />

für das Medikament<br />

erteilen. Dank der Vertriebs-<br />

Power von Roche wird dem<br />

neuen Medikament mittelfristig<br />

ein Jahresumsatz von<br />

mehr als einer Milliarde Dollar<br />

zugetraut.<br />

Zudem trägt das neue Mittel<br />

dazu bei, dass Roche mit<br />

Medikamenten gegen Atemwegserkrankungen<br />

eine neue,<br />

vielversprechende Sparte<br />

aufbaut. Bisher machen die<br />

Schweizer hier mit zwei eigenen<br />

Präparaten 1,5 Milliarden<br />

Franken Jahresumsatz. Ein<br />

weiteres Medikament steckt<br />

in der Entwicklungspipeline.<br />

Schwerpunkt von Roche<br />

sind Medikamente gegen<br />

Krebs. Seitdem die Schweizer<br />

2008 den amerikanischen Biotechkonzern<br />

Genentech übernommen<br />

haben und damit zahlreiche<br />

Medikamente gegen<br />

Krebs in ihr Portfolio bekamen,<br />

ist Roche auf diesem Gebiet die<br />

Nummer eins. Und ein weiterer<br />

Durchbruch kündigt sich an: Ein<br />

neues Medikament von Roche<br />

soll die Stärkung der körpereigenen<br />

Immunabwehr gegen Krebs<br />

möglich machen. Insgesamt<br />

stecken in der Entwicklungspipeline<br />

derzeit 27 neue Präparate<br />

und Projekte in fortgeschrittenem<br />

klinischem Stadium.<br />

Vor allem die stabilen Wachstumsraten<br />

seiner führenden<br />

Krebsmedikamente (Herceptin,<br />

Mapthera, Avastin) dürften<br />

Roche in diesem Jahr einen<br />

Umsatzanstieg von 46,8 Milliarden<br />

Schweizer Franken auf<br />

rund 48 Milliarden bringen.<br />

Dass der Franken gegenüber<br />

dem Dollar seit einigen Monaten<br />

rückläufig ist, wird im zweiten<br />

Halbjahr die Währungsbelastungen<br />

verringern. Der<br />

Nettogewinn sollte mindestens<br />

12 Milliarden Franken erreichen,<br />

nach 11,4 Milliarden im<br />

Vorjahr. Steigen sollte nächstes<br />

Frühjahr auch die Dividende –<br />

zum 28. Mal in Folge.<br />

Roche<br />

ISIN: CH0012032113<br />

280<br />

240<br />

200<br />

160<br />

200-Tage-<br />

Linie<br />

120<br />

07 08 09 10 11 12 13 14<br />

Kurs/Stoppkurs (in CHF): 274,50/233,30<br />

KGV 2014/2015: 18,4/17,8<br />

Dividendenrendite (in Prozent): 2,8<br />

Chance<br />

Risiko<br />

Niedrig<br />

Quelle: Thomson Reuters<br />

Hoch<br />

AKTIE KWS Saat<br />

Saat für den nächsten<br />

Aufschwung<br />

Vom Tief im Oktober 2008 bis<br />

zu ihrem Rekordhoch im Februar<br />

2013 legte der Kurs von<br />

KWS Saat um 450 Prozent zu.<br />

Seither konsolidiert die Aktie<br />

die hohen Kursgewinne – eine<br />

gesunde Entwicklung und die<br />

Basis für die Fortsetzung des<br />

langfristigen Aufwärtstrends.<br />

Dass es nicht nur an der<br />

Börse, sondern auch mit dem<br />

Geschäft von KWS Saat weiter<br />

aufwärtsgeht, dafür sorgen<br />

globale Trends: Auf der Welt<br />

wollen immer mehr Menschen<br />

immer mehr essen,<br />

aber die verfügbaren landwirtschaftlich<br />

nutzbaren Flächen<br />

sind begrenzt. Neue Felder<br />

bringen weniger Ertrag wegen<br />

schlechterer Bodenqualität,<br />

bestehende Flächen gehen<br />

durch Bodenschäden verloren.<br />

Klimaforscher sagen eine<br />

Zunahme von Dürreperioden,<br />

Überschwemmungen und<br />

Naturkatastrophen voraus.<br />

Zwar hat der verstärkte Einsatz<br />

von Pestiziden, Düngern<br />

und Landmaschinen die<br />

Produktivität in der Landwirtschaft<br />

stark erhöht, doch die<br />

Zuwachsraten der Ernteerträge<br />

nehmen inzwischen ab.<br />

Der Bedarf an gezielt gezüchteten<br />

und resistenteren Nutzpflanzen<br />

wird zunehmen.<br />

Grüne Hoffnung<br />

Biogassubstrat wird ausgebracht<br />

KWS Saat entwickelt seit 1856<br />

ertragreichere Kulturen und robustere<br />

Pflanzen. Heute ist die<br />

Gruppe mit mehr als 60 Tochtergesellschaften<br />

der weltweit<br />

viertgrößte Saatguthersteller<br />

und in rund 70 Ländern aktiv.<br />

Nach neun Monaten 2013/14<br />

(30. Juni) stieg der Umsatz um<br />

4,6 Prozent auf 921,7 Millionen<br />

Euro. Zwar sank das Betriebsergebnis<br />

(Ebit) von 185,6 auf<br />

167,8 Millionen. Das lag neben<br />

widrigen Währungseinflüssen<br />

vor allem an 30 Millionen Euro<br />

höheren Forschungsaufwendungen.<br />

Schließlich lässt sich<br />

nur ernten, wo gesät wurde.<br />

KWS Saat<br />

ISIN: DE0007074007<br />

300<br />

280<br />

260<br />

240<br />

220<br />

200<br />

50-Tage-Linie<br />

200-Tage-Linie<br />

180<br />

2013 2014<br />

Kurs/Stoppkurs (in Euro): 280,20/256,30<br />

KGV 2014/2015: 22,3/20,4<br />

Dividendenrendite (in Prozent): 1,1<br />

Chance<br />

Risiko<br />

Niedrig<br />

Hoch<br />

Geschäftsjahr endet am 30. Juni;<br />

Quelle: Thomson Reuters<br />

FOTOS: PR<br />

116 Redaktion: Geldwoche+Zertifikate: Frank Doll, Anton Riedl<br />

Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Geld&Börse | Geldwoche<br />

ZERTIFIKATE Alibaba<br />

Noch lange nicht so gut<br />

wie Pfizer oder Coke<br />

ANLEIHE Egger<br />

Rentabler<br />

Holzweg<br />

Banner-Werbung Wall Street<br />

am Tag des Alibaba-IPO<br />

Fast 40 Prozent lagen die ersten<br />

Notierungen von Alibaba<br />

über dem offiziellen <strong>Ausgabe</strong>kurs<br />

von 68 Dollar. Dabei<br />

wäre die neue Aktie des chinesischen<br />

Online-Imperiums<br />

schon zu diesem Preis kein<br />

günstiges Angebot (Wirtschafts-<br />

Woche 38/2014).<br />

Auf 225 Milliarden Dollar<br />

Marktkapitalisierung kommt<br />

Alibaba nun. In dieser Gewichtsklasse<br />

werden an der<br />

Börse Top-Konzerne wie Pfizer<br />

(Pharma), Wal Mart (Konsum)<br />

oder Coca-Cola (Getränke)<br />

gehandelt. Im Unterschied zu<br />

Alibaba stehen die aber schon<br />

seit Jahrzehnten an der Spitze<br />

Spekulation gegen den Alibaba-Hype<br />

ihrer Branche, verdienen im<br />

Durchschnitt netto dreimal so<br />

viel und verfügen über Kapitalmittel,<br />

die bis zu fünfmal so<br />

hoch sind. Mit anderen Worten:<br />

Selbst wenn die Chinesen ihre<br />

erfolgreiche Entwicklung fortsetzen,<br />

würde es vier bis fünf<br />

Jahre dauern, bis sie in diese<br />

Liga hineinwachsen.<br />

Alibaba-Aktien sind damit<br />

reif für eine Wette auf fallende<br />

Kurse. Zum Einsatz kommen<br />

Shortzertifikate oder Verkaufsoptionsscheine.<br />

Das Problem:<br />

Wegen der hohen Kursausschläge<br />

ist mit Knockout-Zertifikaten<br />

das Risiko groß, bei<br />

einer vorübergehenden Aktienkurserholung<br />

aus dem Rennen<br />

zu fliegen; Puts haben den<br />

Nachteil, dass sie wegen der<br />

Kurshektik (Volatilität) ziemlich<br />

teuer sind.<br />

Die Tabelle unten zeigt, wie<br />

risikofreudige Anleger dennoch<br />

– mit kleinem Einsatz! – eine<br />

Spekulation auf rückläufige<br />

Kurse des chinesischen Online-<br />

Händlers starten können.<br />

Hebelzertifikat und Verkaufsoptionsschein auf einen Kursrückgang<br />

der Alibaba-Aktie (Kurs derzeit 90,60 Dollar)<br />

Kurs (Euro)<br />

Stoppkurs (Euro)<br />

Funktion<br />

Kauf-Verkaufs-<br />

Spanne (Prozent)<br />

Emittentin<br />

ISIN<br />

Chance/Risiko<br />

Shortzertifikat<br />

2,38<br />

1,78<br />

Quelle: Banken, Thomson Reuters<br />

Verstärkt die Kursausschläge der<br />

Aktie derzeit mit dreifachem Hebel;<br />

Beispiel: Sinkt die Alibaba-Aktie in<br />

zwei Wochen um 10 Prozent, legt<br />

das Zertifikat um rund 30 Prozent<br />

zu; Achtung: Kurserholung der<br />

Aktie lässt das Zertifikat deutlich<br />

sinken; erreicht die Aktie die<br />

Knockout-Schwelle bei 120 Dollar,<br />

kommt es zum Totalverlust; Laufzeit<br />

bis 18. Dezember 2014; nur für<br />

kurzfristige Spekulation geeignet<br />

0,40<br />

UBS<br />

CH0254711838<br />

10/9<br />

Putoptionsschein<br />

1,74<br />

1,30<br />

Wandelt Kursverluste der Aktie mit<br />

derzeit 1,7-fachem Hebel in Gewinne<br />

um; Beispiel: Sinkt die Alibaba-<br />

Aktie in sechs Wochen um 30 Prozent,<br />

sind rund 50 Prozent Gewinn<br />

möglich; Achtung: Erholung der<br />

Aktie führt zu hohen Verlusten im<br />

Schein; Laufzeit bis 18. Dezember<br />

2015, vorher kein Knockout, aber<br />

Zeitwertverlust; für kurz- bis mittelfristige<br />

Baisse-Spekulation geeignet<br />

0,50<br />

Vontobel<br />

DE000VZ6E0M2<br />

9/8<br />

Mit Jahresrenditen um drei<br />

Prozent gehören Anleihen des<br />

österreichischen Familienunternehmens<br />

Egger Holzwerkstoffe<br />

zu den interessanten<br />

Spezialpapieren. Egger hat<br />

derzeit drei klassische Unternehmensanleihen<br />

mit einem<br />

Volumen von insgesamt 470<br />

Millionen Euro im Angebot.<br />

Größtes Papier ist mit 200 Millionen<br />

Euro Nennwert ein bis<br />

2018 laufender Bond. Er bringt<br />

bei Kaufkursen von 108,25 Prozent<br />

(Börse Frankfurt) knapp<br />

3,1 Prozent Jahresrendite.<br />

Egger begann 1961 mit einer<br />

Spanplattenfabrik in Sankt<br />

Johann in Tirol. Bis heute entstand<br />

daraus ein Konzern aus<br />

17 Werken mit Schwerpunkten<br />

in Österreich, Deutschland<br />

und Großbritannien.<br />

Darüber hinaus gibt es weltweit<br />

Vertriebsbüros, etwa in<br />

Shanghai, Neu-Delhi oder<br />

Santiago de Chile.<br />

Egger stellt Platten, Profile<br />

und Bauelemente aus Holz<br />

her. Eingesetzt werden Egger-<br />

Produkte für Fußböden, Türen,<br />

Fenster, Dekore, Treppen<br />

oder Möbel. Kunden sind<br />

Handwerker, Fachhändler, Baumärkte,<br />

kleine Industriebetriebe<br />

bis hin zu großen Möbelherstellern.<br />

Egger profitiert derzeit <strong>vom</strong><br />

Bauboom in wichtigen Absatzregionen,<br />

vor allem in<br />

Deutschland. Mit ihm dürfte<br />

sich in einer zweiten Welle<br />

auch die Möbelindustrie nach<br />

zuletzt schwächeren Jahren<br />

wieder beleben. Andererseits<br />

ist die Nachfrage in Frankreich<br />

verhalten. Und in Russland,<br />

wo Egger immerhin ein<br />

Zehntel seines Umsatzes<br />

macht, ist der Absatz weiterhin<br />

rückläufig.<br />

Im vergangenen Geschäftsjahr<br />

(bis 30. April 2014) holte<br />

Da raucht der Schlot Egger-<br />

Spanplattenwerk in Nordengland<br />

Egger aus 2,22 Milliarden Euro<br />

Umsatz 312 Millionen Euro operativen<br />

Gewinn vor Zinsen,<br />

Steuern, Abschreibungen und<br />

Amortisation (Ebitda). Im laufenden<br />

Geschäftsjahr spüren<br />

die Tiroler insgesamt eine marginale<br />

Belebung, die womöglich<br />

zu 2,25 Milliarden Euro Umsatz<br />

führen könnte. Die Gewinnmargen<br />

pendeln stabil um 14 Prozent,<br />

womit in der laufenden<br />

Saison rund 315 Millionen Euro<br />

operativer Ertrag realistisch<br />

sind. Daran gemessen machen<br />

die Nettoschulden (rund 660<br />

Millionen Euro) das 2,1-Fache<br />

aus. Angesichts der umfangreichen<br />

Produktionsanlagen ist<br />

das eine gesunde Relation. In<br />

den Büchern stehen 806 Millionen<br />

Euro Eigenkapital, 39 Prozent<br />

der Bilanzsumme.<br />

Egger verspricht, die Eigenkapitalquote<br />

mindestens bei 30<br />

Prozent zu halten und bei den<br />

Schulden maximal bis zum<br />

Dreifachen des Ebitda zu gehen.<br />

Dass die Tiroler in den vergangenen<br />

fünf Jahren trotz allgemeiner<br />

Krisen ihre operativen<br />

Margen zwischen 12 und 16<br />

Prozent halten konnten, spricht<br />

für die Stabilität ihres Geschäfts.<br />

Kurs (%) 108,25<br />

Kupon (%) 5,625<br />

Rendite (%) 3,06<br />

Laufzeit bis 7. März 2018<br />

Währung<br />

Euro<br />

ISIN<br />

AT0000A0NBF0<br />

FOTOS: PICTURE-ALLIANCE/ZUMAPRESS.COM, AGENTUR FOCUS/SCIENCE PHOTO LIBRARY/SIMON FRASER<br />

118 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Geld&Börse | Geldwoche<br />

FONDS Leonardo UI<br />

Alarmiert durch Absturz<br />

schlechter Schuldner<br />

Klagenfurter Grau Hypo Alpe<br />

Adria beschäftigt Investoren<br />

Der US-Fondsriese Blackrock<br />

will sich dafür einsetzen, dass<br />

Unternehmensanleihen standardisiert<br />

werden. Fondsmanager<br />

müssten sich dann<br />

nicht mehr durch dicke Anleihenprospekte<br />

quälen, um Tücken<br />

einzelner Papiere zu finden.<br />

Genau darauf sind aber<br />

kleinere Vermögensverwalter<br />

wie die Berliner ICM Investmentbank<br />

spezialisiert. Sie<br />

lenkt den Mischfonds Leonardo<br />

UI erfolgreich. ICM-Chef<br />

Norbert Hagen tut eine Menge,<br />

um beim Anleihensegment<br />

des Fonds mehr als die<br />

niedrige Kapitalmarktrendite<br />

zu verdienen. Derzeit lässt<br />

Hagen die Anleihenbedingungen<br />

der österreichischen<br />

Hypo Alpe Adria sezieren, um<br />

in der Masse verschiedener<br />

Laufzeiten unterbewertete<br />

Schuldpapiere zu finden.<br />

Nach Lektüre der Prospekte<br />

könnten sich Chancen ergeben,<br />

wenn Papiere, weil Anleger<br />

zu Unrecht einen Verlust<br />

von Staatsgarantien befürchteten,<br />

abgestürzt sind. Detailarbeit<br />

hat den Berlinern auch<br />

bereits bei der portugiesischen<br />

Banco Espírito Santo zu<br />

Profiten verholfen.<br />

Ansonsten verlassen sich<br />

die Experten, die eine halbe<br />

Milliarde Euro verwalten, auf<br />

Marktanalysen der bankenunabhängigen<br />

kanadischen<br />

Gesellschaft BCA. Monatlich<br />

tüftelt BCA anhand von Kriterien<br />

wie weltweiter Liquidität,<br />

Risiko, Bewertungen und<br />

Marktdynamik aus, wie Aktien,<br />

Anleihen und Rohstoffe im<br />

Fonds gewichtet werden sollen:<br />

Aktuell sind es 87 Prozent Aktien<br />

nach 75 im Vormonat. Ein<br />

Drittel davon stecken in den<br />

Schwellenländern Asiens und<br />

Lateinamerikas. Um günstig<br />

investieren zu können, nutzt<br />

Hagen Futures und börsengehandelte<br />

Indexfonds. Die Termingeschäfte<br />

binden wenig<br />

Geld, daher bleibt viel für die<br />

Direktinvestments in Anleihen<br />

übrig. Weil dem Rentenmarkt<br />

nach einem dynamischen Aufschwung<br />

die Puste ausgeht,<br />

rechnet Hagen mit Problemen:<br />

„Wenn ein Markt alt wird, sind<br />

die Rückschläge besonders<br />

heftig.“ Dies lasse sich derzeit<br />

bei den bonitätsschwachen<br />

Unternehmen erkennen. Im<br />

Ratingbereich CCC sind die<br />

Renditeaufschläge zu sicheren<br />

Anleihen ordentlich gestiegen.<br />

Solche Probleme treffen auch<br />

die besseren Bonitäten, sobald<br />

die großzügige Notenbankpolitik<br />

aufhört, glaubt Hagen. Über<br />

Termingeschäfte könnte er von<br />

fallenden Kursen profitieren.<br />

Leonardo UI<br />

ISIN: DE000A0MYG12<br />

170<br />

160<br />

150<br />

140<br />

130<br />

120<br />

110<br />

100<br />

90<br />

Chance<br />

Risiko<br />

MSCI Welt-<br />

Aktienindex<br />

(in Euro)<br />

12 13 14<br />

Niedrig<br />

Quelle: Thomson Reuters<br />

Barclays Euro<br />

Aggregate-<br />

Anleihenindex<br />

Hoch<br />

Die besten Mischfonds<br />

Wie die erfolgreichsten Portfoliomanager abgeschnitten haben<br />

Fondsname<br />

Fonds mit variablem Aktien- und Anleihenanteil<br />

HWB Dachfonds Venividivici<br />

HWB Alexandra Strategies<br />

HWB Victoria Strategies<br />

Degussa Bank Portfolio Privat Aktiv<br />

Acatis Datini Valueflex<br />

HWB International Portfolio<br />

Multi Opportunities III<br />

DWS Capital Growth<br />

Lupus Alpha All Opportunities<br />

Leonardo UI<br />

HWB InvestWorld Europe Portfolio<br />

Ampega Balanced<br />

Zurich Vorsorge Premium<br />

C-Quadrat Arts Total Return Special<br />

Zurich Vorsorge Premium II<br />

Ganador Ataraxia<br />

DWS Vorsorge Premium 3<br />

DWS Top Balance<br />

DWS ZukunftsStrategie<br />

C-Quadrat Strategie AMI<br />

DWS Vermögensstrategie<br />

Aurora Multistrategy<br />

Merit Capital Global Allocation UI<br />

DekaFutur-ChancePlus<br />

R Club C<br />

Axxion Focus Discount<br />

DWS Dynamik<br />

Mainfranken Strategiekonzept<br />

DekaFutur-Chance<br />

DWS Garant 80 FPI<br />

Fonds mit Schwerpunkt Aktien<br />

HWB Portfolio Plus V<br />

Quants Multistrategy<br />

Allianz Strategy 75 CT EUR<br />

Allianz Strategie Wachstum<br />

Fiduka Universal Fonds<br />

BBBank Dynamik Union<br />

Jyske Invest Growth Strategy<br />

Axa Chance Invest<br />

Sarasin GlobalSar Growth<br />

Deka-BasisAnlage VL<br />

Deka-BR 85<br />

RIV Rationalinvest VVF<br />

Fiduka Multi Asset Dynamic UI<br />

Invesco Global Dynamik Fonds<br />

IAC-Aktien Global<br />

Deka-BR 75<br />

DekaStruktur: 2 Chance<br />

DWS Top Portfolio Offensiv<br />

DekaStruktur: Chance 3<br />

ISIN<br />

LU0322916437<br />

LU0322055855<br />

LU0141062942<br />

DE000A0MS7D8<br />

DE000A1H72F1<br />

LU0119626454<br />

LU0198959040<br />

DE000DWS0UY5<br />

LU0329425713<br />

DE000A0MYG12<br />

LU0119626884<br />

DE000A0MUQ30<br />

LU0358624715<br />

AT0000618137<br />

LU0358627221<br />

LU0321869041<br />

LU0272367581<br />

LU0360865058<br />

LU0313399957<br />

DE0005322218<br />

LU0275643301<br />

LU0382148293<br />

DE000A1JCWX9<br />

DE0005896849<br />

FR0010541557<br />

LU0328585541<br />

DE000DWS0RZ8<br />

DE000DK2CE40<br />

DE0005896831<br />

LU0327386305<br />

LU0173899633<br />

DE000A0RKY52<br />

LU0352312853<br />

DE0009797266<br />

DE0008483736<br />

DE0005326565<br />

DK0016262215<br />

DE0009789453<br />

LU0198388380<br />

DE000DK2CFT3<br />

DE0005424527<br />

DE000A0MVZQ2<br />

DE000A0M8WW1<br />

DE0008470469<br />

DE000A0M2JB5<br />

DE0005424543<br />

LU0109012194<br />

DE0009848010<br />

LU0098472607<br />

Wertentwicklung<br />

in Prozent<br />

seit 3<br />

Jahren 1<br />

1 jährlicher Durchschnitt (in Euro gerechnet); 2 je höher die Jahresvolatilität<br />

(Schwankungsintensität) in den vergangenen drei Jahren, desto riskanter der Fonds;<br />

3 weitere Fonds-Tranchen mit ähnlicher Wertentwicklung; Quelle: Morningstar;<br />

Stand: 23. September 2014<br />

1,8<br />

2,2<br />

4,4<br />

24,4<br />

23,3<br />

0,3<br />

20,1<br />

16,0<br />

12,3<br />

18,2<br />

–0,5<br />

19,3<br />

15,8<br />

5,2<br />

15,2<br />

11,5<br />

15,3<br />

12,6<br />

10,4<br />

8,1<br />

11,0<br />

9,9<br />

–<br />

18,4<br />

19,8<br />

15,2<br />

11,1<br />

–<br />

15,6<br />

9,8<br />

6,9<br />

11,0<br />

18,9<br />

17,3<br />

14,3<br />

14,5<br />

15,4<br />

16,9<br />

13,0<br />

–<br />

16,8<br />

13,3<br />

11,9<br />

13,8<br />

15,4<br />

15,3<br />

10,0<br />

18,6<br />

10,1<br />

seit 1<br />

Jahr<br />

35,4<br />

35,3<br />

33,7<br />

33,3<br />

27,3<br />

21,6<br />

17,3<br />

16,9<br />

15,4<br />

15,3<br />

15,0<br />

15,0<br />

15,0<br />

14,9<br />

14,8<br />

14,4<br />

14,1<br />

13,5<br />

13,5<br />

13,3<br />

13,2<br />

13,1<br />

12,8<br />

12,8<br />

12,7<br />

12,7<br />

12,4<br />

12,4<br />

12,4<br />

12,3<br />

35,7<br />

20,1<br />

18,7<br />

18,4<br />

17,8<br />

16,8<br />

16,0<br />

15,6<br />

15,5<br />

15,5<br />

15,4<br />

14,9<br />

14,5<br />

14,4<br />

14,3<br />

14,3<br />

14,2<br />

14,2<br />

14,2<br />

Volatilität<br />

2<br />

in<br />

Prozent<br />

21,7<br />

22,3<br />

20,0<br />

26,5<br />

18,8<br />

15,5<br />

8,2<br />

10,2<br />

7,6<br />

12,4<br />

14,3<br />

10,5<br />

8,9<br />

6,6<br />

9,0<br />

10,3<br />

8,8<br />

6,7<br />

6,9<br />

6,8<br />

7,2<br />

5,9<br />

–<br />

13,7<br />

13,7<br />

12,0<br />

6,4<br />

–<br />

11,4<br />

6,6<br />

18,9<br />

8,9<br />

8,2<br />

7,6<br />

8,8<br />

8,0<br />

9,8<br />

9,0<br />

5,9<br />

–<br />

7,4<br />

6,6<br />

8,4<br />

6,9<br />

7,3<br />

7,0<br />

7,8<br />

8,5<br />

7,8<br />

FOTO: REUTERS/HEINZ-PETER BADER<br />

120 Redaktion Fonds: Heike Schwerdtfeger<br />

Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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CHARTSIGNAL<br />

Schicksalstage<br />

Der mehrmonatige Aufwärtstrend chinesischer<br />

Aktien hat sich erschöpft.<br />

Der breit angelegte Rückgang<br />

der Preise von Industrierohstoffen<br />

spiegelt die Abkühlung<br />

der chinesischen Wirtschaft.<br />

Wie in den USA,<br />

Europa und Japan versucht<br />

aber auch die chinesische Notenbank,<br />

über geldpolitische<br />

Lockerung gegenzusteuern.<br />

Der Realwirtschaft hilft das<br />

bekanntlich wenig – in der<br />

chinesischen Kohleindustrie<br />

etwa, der einstigen Boombranche,<br />

kann fast jedes dritte<br />

Unternehmen die Löhne<br />

nicht pünktlich bezahlen –<br />

aber der Aktienmarkt profitiert,<br />

zumindest temporär.<br />

Der börsennotierte Indexfonds<br />

iShares China Large-<br />

Cap (FXI) investiert derzeit in<br />

26 der größten chinesischen<br />

Unternehmen, deren Aktien<br />

an der Börse Hongkong gekauft<br />

werden können. Seit<br />

2012 endeten drei mittelfristige<br />

Aufwärtstrends des FXI in<br />

der Widerstandszone zwischen<br />

40 und 42 Dollar. Nachdem<br />

sich der FXI Anfang 2013<br />

an der Marke von 42 Dollar<br />

festgefahren hatte (1), fiel der<br />

Kurs unter die Trendlinie T1<br />

(2). Das leitete einen mittelfristigen<br />

Abwärtstrend ein, der im<br />

Sommer bei 31,35 Dollar stoppte<br />

(3). Der anschließende Aufwärtstrend<br />

scheiterte Ende<br />

2013 bereits bei gut 40 Dollar<br />

(4). Dem anschließenden Fall<br />

unter T2 (5) folgte ein Kursrückgang<br />

bis auf 32,58 Dollar (6).<br />

Auch der im März dieses Jahres<br />

einsetzende Kursaufschwung<br />

hat sich inzwischen wieder erschöpft,<br />

bei Kursen um 42 Dollar<br />

(7). Unlängst rutschte der<br />

FXI unter T3 (8).<br />

Kurzfristig ist der FXI extrem<br />

überverkauft, was zusammen<br />

mit der immer noch steigenden<br />

50-Tage-Linie, ähnlich wie nach<br />

den Trendbrüchen im Februar<br />

und Dezember 2013 ( 2, 5), eine<br />

technische Erholung erwarten<br />

lässt. Nach dem Fall unter die<br />

charttechnisch wichtige Unterstützung<br />

bei 40 Dollar droht<br />

mittelfristig allerdings ein Kursrückgang<br />

in Richtung 30 Dollar.<br />

Von diesem Kursniveau aus<br />

könnte sich dann wieder eine<br />

neue mittelfristige Kaufchance<br />

ergeben.<br />

Auf und Ab<br />

Für chinesische Aktien zeigt der Trend wieder nach unten<br />

44<br />

42<br />

40<br />

38<br />

36<br />

34<br />

32<br />

30<br />

2012<br />

T1<br />

1 in Dollar; Quelle: Thomson Reuters<br />

1<br />

2<br />

iShares China Large-Cap ETF 1<br />

Unterstützungszone<br />

3<br />

2013<br />

T2<br />

4<br />

5<br />

Widerstandszone<br />

6<br />

2014<br />

T3<br />

7<br />

8<br />

50-Tage-Linie<br />

200-Tage-Linie<br />

RELATIVE STÄRKE<br />

Versicherung fürs Depot<br />

Die Aussicht auf verlässliche Gewinne macht die<br />

Allianz-Aktie zu einem Basisinvestment.<br />

Wenn die Allianz (Rang 8) 2015<br />

ihr 125-jähriges Bestehen feiert,<br />

dürfte sie angesichts des<br />

bisher guten Jahresverlaufs ein<br />

Top-Ergebnis vorlegen. Die<br />

Schaden- und Unfallversicherung<br />

profitiert von rückläufigen<br />

Zahlungen für Naturkatastrophen,<br />

die Lebensversicherung<br />

wird durch neuartige<br />

Policen beflügelt. Wahrscheinlich<br />

wird Noch-Konzernchef<br />

Michael Diekmann auch die Sanierung<br />

des angeschlagenen US-<br />

Vermögensableger Pimco in die<br />

Wege leiten. Mit durchschnittlich<br />

5,2 Milliarden Euro Nettogewinn<br />

ist die Allianz seit Diekmanns<br />

Amtsantritt 2003 einer<br />

der stabilsten Finanzwerte weltweit.<br />

Es ist wenig wahrscheinlich,<br />

dass beim anstehenden<br />

Umbau der Konzernspitze dieses<br />

Asset aufs Spiel gesetzt wird.<br />

Wer schlägt den Index?<br />

Die innerhalb der vergangenen drei Monate am stärksten<br />

gestiegenen und gefallenen Aktien 1<br />

Rang Aktie Index Kurs 2 Kursentwicklung Relative Trend 3<br />

(€) (in Prozent) Stärke<br />

3 Monate 1 Jahr<br />

(in Prozent)<br />

Gewinner<br />

1 Nemetschek TecDax 81,50 +15,72 +79,71 16,6<br />

2 Sanofi S.A. (FR) Stoxx50 89,37 +14,27 +19,37 15,2<br />

3 Wacker Chemie MDax 99,50 +13,65 +34,92 14,6<br />

4 Merck Dax 73,85 +13,13 +29,56 14,0 4<br />

5 Gagfah (LU) MDax 14,91 +12,78 +55,07 13,7<br />

6 BB Biotech (CH) TecDax 149,50 +12,41 +44,44 13,3<br />

7 Morphosys TecDax 78,45 +11,61 +38,04 12,5 4<br />

8 Allianz Dax 138,50 +11,38 +17,12 12,3<br />

9 LEG Immobilien MDax 55,00 +11,11 +31,42 12,0 5<br />

10 Axa (FR) Stoxx50 19,94 +9,86 +13,04 10,8<br />

11 Fresenius Med.C. St Dax 54,39 +9,69 +12,14 10,6<br />

12 Novartis (CH) Stoxx50 88,80 +9,56 +27,13 9,9<br />

13 ING Groep (NL) Stoxx50 11,53 +7,41 +34,21 8,3 4<br />

14 HSBC (GB) Stoxx50 650,80 +8,23 -4,85 8,1<br />

15 Bayer NA Dax 113,20 +6,79 +30,81 7,7<br />

16 KUKA MDax 47,86 +6,37 +50,22 7,3 4<br />

17 Roche Holding (CH) Stoxx50 285,30 +8,27 +18,43 7,2 4<br />

18 Vodafone (GB) Stoxx50 208,70 +7,27 -17,99 7,1 4<br />

19 ABB (CH) Stoxx50 21,70 +6,69 +0,23 6,7 4<br />

20 Deutsche Bank Dax 28,00 +5,74 -15,06 6,7 4<br />

21 Dt. Wohnen Inhaber MDax 16,97 +5,64 +29,01 6,6<br />

22 Carl-Zeiss Meditec TecDax 23,93 +5,46 +7,60 6,4 5<br />

23 Fresenius SE&Co Dax 39,01 +5,43 +26,20 6,3 4<br />

24 Anh.-Busch Inbev (BE) Stoxx50 89,44 +5,29 +21,51 6,2 4<br />

Verlierer<br />

152 Bilfinger MDax 48,51 -29,74 -37,01 -28,8<br />

151 Leoni MDax 43,37 -28,50 -1,26 -27,6<br />

150 QSC TecDax 2,30 -26,38 -38,50 -25,5<br />

149 Rheinmetall MDax 39,50 -25,68 -6,25 -24,8<br />

148 Software TecDax 19,20 -24,90 -26,17 -24,0<br />

147 SMA Solar Technol. TecDax 22,22 -23,76 -10,13 -22,8<br />

146 Jenoptik TecDax 9,20 -23,04 -17,71 -22,1<br />

145 Cancom TecDax 30,10 -22,58 +40,26 -21,7 5<br />

144 Norma Group MDax 32,88 -22,41 -3,68 -21,5<br />

1<br />

aus Dax, MDax, TecDax und Stoxx Europe 50 im Vergleich zum Stoxx Europe 600;<br />

2<br />

bei GB in Pence, bei CH in Franken; 3 Änderung um mindestens fünf Ränge; 25.9.2014,<br />

13:00 Uhr<br />

WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 121<br />

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Perspektiven&Debatte<br />

Champagner von<br />

britischen Kreidefelsen<br />

WEIN | Winzer erleiden dank extremer Wetterbedingungen immer häufiger starke<br />

Schäden im Berg. Schreitet der Klimawandel so voran, verschiebt sich die Weltkarte<br />

des Weinanbaus. Zum Wohle deutscher Winzer.<br />

Der 2. August 2013 war zunächst<br />

ein netter Sommertag in der<br />

Charente. Sonnig, vielleicht ein<br />

bisschen feuchtwarm. Erst am<br />

Abend um halb neun brauten<br />

sich die Wolken zu einer dunkelgrauen<br />

Masse zusammen, heftiger Wind setzte ein<br />

und dann der Hagel. „So groß wie Boule-<br />

Kugeln waren die Dinger“, erinnert sich Michel<br />

Martineau und formt mit beiden Händen<br />

einen Kreis. Zehn Minuten später war<br />

alles vorbei. Auch die Weinernte. Von den<br />

Trauben des Winzers war nichts mehr übrig.<br />

Nicht mal Blätter hatten die Hagelkörner<br />

am Stock gelassen.<br />

Regen und Hagelschlag sind nicht ungewöhnlich<br />

im Weinbau. Doch die Extremwetterphänomene<br />

werden jedes Jahr mehr<br />

und heftiger. Das Bordelais verlor 2013<br />

so fünf Prozent seiner Ernte. Dieses Jahr<br />

erwischte es das südwestfranzösische<br />

Languedoc am heftigsten. „Wir rechnen<br />

mit 60 Millionen Liter Verlust“, erklärt Philippe<br />

Vergnes, Präsident der Landwirtschaftskammer<br />

von Aude.<br />

In Anbaugebieten weniger gemäßigter<br />

Zonen schlägt das Wetter noch brutaler zu.<br />

Ein arktischer Wirbelsturm zerstörte diesen<br />

Frühling in den nördlichen USA nicht nur<br />

einen großen Teil der Ernte. Bei Temperaturen<br />

von mehr als 20 Grad Celsius unter dem<br />

Mittelwert erfroren in den Finger Lakes und<br />

Niagara viele Rebstöcke. Doch auch wenn<br />

regelmäßige Extremwetterphänomene unter<br />

Forschern als ausgemacht gelten, könnten<br />

die langfristigen, weniger spektakulären<br />

Folgen des Klimawandels gravierender sein.<br />

Wein wächst in gemäßigten Breitengraden.<br />

Auf der Nordhalbkugel ist das etwa<br />

zwischen Mainz und dem Maghreb-Gebirge.<br />

Heizt sich das Klima auf, ändern sich die<br />

Wachstumsbedingungen. „Der Austrieb<br />

kommt jedes Jahr früher“, sagt Pierre Frick,<br />

elsässischer Biowinzer. „Kommt im Frühling<br />

Frost, sind die Triebe hin.“ Um der Hitze<br />

zu trotzen, können Winzer auf geeignete<br />

Rebsorten zurückgreifen. Auch mit einer<br />

schattigen Hang- oder Höhenlage und dem<br />

richtigen Rebschnitt können sie die Trauben<br />

vor zu viel Hitze schützen. Nachts zu<br />

ernten und dann den Traubensaft in einem<br />

gekühlten Tank zu vergären ist bereits jetzt<br />

schon eine gern angewandte Praxis.<br />

KAMPF GEGEN DIE NATUR<br />

Manche Winzer versuchen verzweifelt, die<br />

Natur selbst zu ändern. Im Burgund schossen<br />

unlängst 30 Kanonen Silberjodid in die<br />

Wolken, die die Hagelkörner schmelzen<br />

sollten. In Kanada verwirbeln Windmaschinen<br />

und Hubschrauber die Luft, um Frostschäden<br />

zu vermeiden.<br />

Studien gehen davon aus, dass mittelfristig<br />

große Teile der weltweiten Anbaufläche<br />

nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben sein<br />

werden. Die Wasserversorgung könnte das<br />

größte Problem werden. In Chile etwa stehen<br />

bereits heute 95 Prozent aller Reben unter<br />

Wasserstress. Bei geringeren Niederschlagsmengen<br />

könnte das Grundwasser<br />

noch weiter absinken.<br />

Am härtesten wird es wohl Australien<br />

treffen, dessen heutiger Premierminister<br />

Tony Abbott die Daten zum Klimawandel<br />

einmal schlicht als „Mist“ bezeichnete.<br />

Schon jetzt sinkt die Produktion Jahr für<br />

Jahr. Mehr als 70 Prozent der Anbaufläche<br />

könnten ausfallen, rechneten Wissenschaftler<br />

der University of Texas vor. Experten befürchten,<br />

dass der üppige Shiraz aus dem<br />

Barossa Valley, eine Art Markenzeichen des<br />

Landes, ganz verschwindet. Die ersten Winzer<br />

haben bereits aufgegeben.<br />

Extreme Dürreperioden gab es in Kalifornien<br />

schon in vorkolumbianischer Zeit.<br />

Hätte es die Region mit den namhaften Anbaugebieten<br />

Napa Valley und Sonoma wieder<br />

mit einer natürlichen Schwankung zu<br />

tun, könnte der liberale Lebensstil das Problem<br />

verschärfen. Viele Kalifornier empfinden<br />

es schon als Freiheitsberaubung, den<br />

eigenen Wasserverbrauch auch nur zu messen.<br />

Statt Wassersparen zu propagieren,<br />

schlagen Politiker unterirdische Tunnel bis<br />

in den feuchten Norden vor.<br />

Dennoch denken erste Kommunen um.<br />

Wer dort zur falschen Zeit seinen Rasen<br />

sprengt, wird mit bis zu 400 Euro Strafe pro<br />

Tag belegt. Trotzdem ist unter einigen Weingütern<br />

der Grundwasserpegel schon um einige<br />

Meter gesunken. Seltene Sommerregen<br />

versickern ohne Effekt. „In ein, zwei Generationen<br />

werden wir in manchen Regionen<br />

gar kein Grundwasser mehr haben, wenn<br />

wir weiter auf business as usual setzen“, warnen<br />

Thomas Harter und Helen Dahlke, Professoren<br />

der University of California, Davis.<br />

Die dauerhafte Bewässerung der Weingärten<br />

schwächt aber auch die Pflanzen<br />

selbst. Sie treiben keine tiefen Wurzeln<br />

mehr aus und sind so anfälliger gegen Wassermangel.<br />

Buschfeuer haben es unter solchen<br />

Umständen leicht und gehören im<br />

Wein im Wandel Was passiert, wenn sich<br />

das Klima erwärmt? Pro Grad Celsius verschöben<br />

sich die Grenzen für Weinbau um<br />

etwa 180 Kilometer. Bei vier Grad Erwärmung<br />

lägen die Bedingungen der Champagne<br />

dann in England.<br />

»<br />

ILLUSTRATION: ZSUZSANNA ILIJIN<br />

122 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 123<br />

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Perspektiven&Debatte<br />

»<br />

Golden State längst zum Jahresrhythmus.<br />

Im August dieses Jahres brannten 17 gleichzeitig.<br />

Selbst wenn sie nicht direkt auf die<br />

Weinberge übergreifen, kann der Rauch die<br />

Trauben verderben.<br />

Die Weinwirtschaft geht das Thema Klimawandel<br />

immerhin offen an. Im Wassermanagement<br />

ist die Region führend – dort,<br />

wo viele Winzer schwören, es ginge nicht<br />

ohne Bewässerung, wenn den ganzen Sommer<br />

kein Tropfen Regen fällt. Wissenschaftler<br />

der kalifornischen Stanford University<br />

geben dem kalifornischen Spitzenwein<br />

noch 30 Jahre. Dann müsste<br />

die Hälfte der Anbaufläche in den<br />

kühleren Norden verlegt werden.<br />

Bis Ende des Jahrhunderts könnten<br />

es über vier Fünftel sein.<br />

Weine im kalifornischen Stil fänden<br />

dann gute Bedingungen am kanadischen<br />

Yukon River, den man<br />

sonst eher aus winterlichen Western-Sagas<br />

kennt. Ähnlich sieht es<br />

in China aus, das Land mit dem rasantesten<br />

Anstieg beim Weinkonsum.<br />

Das Land müsste seine Rebflächen<br />

in Bergregionen anlegen, in<br />

denen derzeit Pandabären ein passendes<br />

Habitat vorfinden. Das ist<br />

nicht allein Zukunftsmusik. Schon<br />

heute gibt es Anbauflächen in Indien<br />

und Ägypten, Myanmar und<br />

Schweden.<br />

SCHWINDENDE FINESSE<br />

Einen noch stärkeren Effekt könnte<br />

der Klimawandel aber auf klassische<br />

europäische Anbaugebiete haben.<br />

Dort bestimmt ein kompliziertes<br />

Zusammenspiel von Bodenbeschaffenheit,<br />

Wasserversorgung,<br />

Rebsorte und Klima die Stilistik des<br />

Weins. So entstehen gesetzlich geschützte<br />

Spitzenlagen, manche<br />

nicht größer als ein einziger Weingarten.<br />

Regionen wie Chianti, Burgund<br />

und Bordeaux lassen sich dieses<br />

Alleinstellungsmerkmal sehr gut bezahlen.<br />

Verändert sich nun ein Standortfaktor,<br />

ist es Essig mit der Einzigartigkeit.<br />

Weine aus der Bourgogne, wo die Traube<br />

Pinot Noir hochkomplexe Weine hervorbringt,<br />

haben durch die viele Sonne immer<br />

mehr Zucker und Alkohol, dafür weniger<br />

Säure und Aromen. Sie werden plumper<br />

und schwer. In einem Land, wo der Begriff<br />

Finesse fast religiöse Bedeutung hat, ist das<br />

nah am Sündenfall. So könnte es für manche<br />

Sorte an ihrem Stammplatz bald zu<br />

warm werden. „Ein lange erarbeitetes Sys-<br />

tem von Erfahrungen, Anpassung und Optimierung<br />

wäre dahin“, sagt Winzer Frick.<br />

In den Anbaugebieten Kremstal und<br />

Kamptal macht sich die Vereinigung Österreichische<br />

Traditionsweingüter seit 1990<br />

daran, die besten Lagen zu klassifizieren.<br />

Vorsitzender Michael Moosbrugger weiß,<br />

dass auch dort die Temperaturen die Winzer<br />

vor neue Herausforderungen stellen. „Es<br />

kann gut sein, dass unsere Gebiete ein wenig<br />

nordwärts gehen“, sagt Moosbrugger.<br />

Sorgen mache er sich deswegen aber nicht.<br />

Ab in den Süden In Neuseeland würde es<br />

für Weinbau im Norden zu heiß<br />

Die Klassifizierung der allerbesten Lagen ist<br />

für Moosbrugger eh eine Frage von einer<br />

weiteren Generation.<br />

Im Groben rechnen Experten pro Grad<br />

Erwärmung um eine Verschiebung von 180<br />

Kilometern in Richtung kühlere Region. In<br />

vielen Anbaugebieten sprengt das die regionalen<br />

Grenzen. Treffen die pessimistischen<br />

Voraussagen zu, findet sich das optimale<br />

Klima für Bordeaux Ende des Jahrhunderts<br />

irgendwo in Schottland. Oder auch früher:<br />

Christopher Trotter, Hotelier und Hobbywinzer,<br />

freut sich in diesen Tagen auf seine<br />

erste Ernte des Château Largo. Die Anpflanzung<br />

liegt an Firth of Forth mit Blick auf<br />

Edinburgh.<br />

Bereits ohne Panikmache ist die Weinwelt<br />

im Wandel: Im Süden Großbritanniens regt<br />

sich schon heute Konkurrenz für französische<br />

Winzer. Die Reben für Champagner<br />

wachsen auf Kalkböden mit enormer Mächtigkeit.<br />

Man kann sie in vielen Kellern<br />

dort bewundern. Doch oberirdisch<br />

wird es auch rund um Reims<br />

und Epernay heißer.<br />

Auf der anderen Seite des Ärmelkanals<br />

ist die Bodenstruktur ähnlich,<br />

wie die Kreidefelsen von Dover<br />

erahnen lassen. Schaumweine<br />

werden hier aus denselben Rebsorten<br />

wie in der Champagne produziert,<br />

und das recht ordentlich. Sie<br />

mögen vielleicht die Nase rümpfen,<br />

aber den Franzosen ist das nicht<br />

entgangen. Das Champagnerhaus<br />

Roederer erwägt Investitionen in<br />

Südengland. Der Luxusgüterkonzern<br />

Louis Vuitton Moët Hennessy<br />

ist bereits vor Ort. Auch Bernard<br />

Magrez, Besitzer des legendären<br />

Château Pape Clément, und die kalifornische<br />

Winzerlegende Randall<br />

Grahm inspizieren die Region.<br />

ERNTE IN KEITUM<br />

Zu den vorläufigen Gewinnern des<br />

Klimawandels zählt Deutschland.<br />

„Seit Ende der Neunziger hat es<br />

praktisch keine Missernten mehr<br />

gegeben“, jubelt Werner Näkel, „das<br />

Zeug wird endlich mal reif.“ Der<br />

Ahrwinzer begann vor Jahrzehnten<br />

als einer der ersten, hochwertige<br />

Spätburgunder zu produzieren.<br />

Es gibt schon länger Weingärten<br />

in Hamburg und auf Föhr und Sylt,<br />

die gerne mit Promi-Geklingel gefeiert werden.<br />

Bescheidenen Weinbau gibt es aber<br />

auch in Höxter oder Dortmund. Richtung<br />

Osten finden sich Flächen an Spree, Elbe,<br />

Neiße und in der Uckermark, auf dem Gelände<br />

eines ehemaligen Braunkohlentagebaus<br />

in der Lausitz ebenso. Die Aussichten<br />

sind rosig – fast. Zu den prestigeträchtigsten<br />

Weinen Deutschlands zählen Eisweine. Geerntet<br />

werden sie, wenn das Thermometer<br />

auf mindestens minus sieben Grad fällt. Das<br />

könnte selten werden.<br />

n<br />

matthias stelzig | perspektiven@wiwo.de<br />

ILLUSTRATION: ZSUZSANNA ILIJIN<br />

124 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Perspektiven&Debatte | Kost-Bar<br />

ALLES ODER NICHTS?<br />

MARTIN<br />

SONNENSCHEIN<br />

Vorsitzender der Geschäftsführung<br />

der Unternehmensberatung<br />

A.T. Kearney in<br />

Deutschland<br />

Aktien oder Gold?<br />

Was wäre die Börse ohne Narren!<br />

Nicht von mir, sondern<br />

von André Kostolany.<br />

Cabrio oder SUV?<br />

Lieber Eleganz: Limousine<br />

Fitnessstudio oder Waldlauf?<br />

Ich habe ein einfaches<br />

Rezept, um fit zu bleiben: Ich<br />

versuche meiner Zeit immer<br />

vorauszulaufen.<br />

Paris oder London?<br />

Aber natürlich: Hauptsache,<br />

England!<br />

Dusche oder Wanne?<br />

Wer gerne einmal angerufen<br />

werden möchte, sollte unbedingt<br />

in die Wanne gehen.<br />

Mountainbike oder Rennrad?<br />

Nur auf einem Hollandrad<br />

sitzt man aufrecht mit erhobenem<br />

Kopf.<br />

Berge oder Meer?<br />

Meer! Deshalb fährt meine<br />

Familie mit mir nun schon<br />

über zehn Jahre in die Berge.<br />

Fenster- oder Gangplatz?<br />

Und wem gehört die Armlehne?<br />

Tee oder Kaffee?<br />

GunPowder, Gyokuro, Kariganme,<br />

Morgentau, Temple of<br />

Heaven, Sencha, Shincha,<br />

Bancha – suchen Sie sich<br />

etwas aus.<br />

AUSSTELLUNG ZU DEUTSCHLAND IM BRITISH MUSEUM<br />

Der Blick auf uns<br />

KOCHBUCH VOM TESTER<br />

Herdschule<br />

Der Restaurantkritiker Jürgen<br />

Dollase gibt in seinem neuen<br />

Buch „Himmel und Erde“ Einblicke<br />

in die private „Küche eines<br />

Restaurantkritikers“. Dollase,<br />

wenig unbescheiden, belässt<br />

es dabei nicht bei einer einfachen<br />

Rezeptsammlung. Er erläutert<br />

in umfassenden Texten<br />

seine Weltsicht auf die Kulinarik<br />

und bietet eine „vertiefte, neue<br />

Art der Wahrnehmung“. Er<br />

überträgt Erkenntnisse aus den<br />

Restaurantbesuchen an den<br />

heimischen Herd und versucht<br />

sich unter anderem an einer<br />

„Emanzipation eines Produktes“:<br />

der Steckrübe. at-verlag.ch<br />

THE NEW YORKER<br />

25 Jahre deutsche Einheit – das ist<br />

dem British Museum in London eine<br />

Sonderausstellung wert. Sie wirft<br />

<strong>vom</strong> 16. Oktober an ihren Blick auf<br />

die Geschichte unseres Landes mit<br />

Objekten aus einer Spanne von 600<br />

Jahren, um den Einfluss des Landes<br />

samt seiner sich wandelnden Grenzverläufe<br />

auf die Weltgeschichte zu<br />

illustrieren. Die Darstellung beginnt<br />

bereits mit der Zeit Deutschlands<br />

während des römischen Imperiums,<br />

wandert weiter über das Zeitalter<br />

der Erfindung des Buchdrucks hin<br />

zur Ära nach dem Kalten Krieg.<br />

Neben Kunstwerken von Riemenschneider,<br />

Dürer, Barlach und Baselitz<br />

sind auch Landkarten, Münzen<br />

oder Medaillen zu sehen. Für die<br />

handwerklichen, technischen<br />

Aspekte stehen unter anderem Objekte<br />

wie die Zimmeruhr von 1589,<br />

erschaffen von Isaak Habrecht. Sie<br />

ist eine Anlehnung an die zweite<br />

Uhr des Straßburger Münsters, die<br />

der Schaffhausener 1574 vollendete.<br />

britishmuseum.org<br />

FOTOS: PR,THE TRUSTEES OF THE BRITISH MUSEUM; CARTOON: CHARLIE HANKIN/CONDÉ NAST PUBLICATIONS/WWW.CARTOONBANK.COM<br />

126 Redaktion: christopher.schwarz@wiwo.de<br />

Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Leserforum<br />

Frust fährt mit Taxifahrer ärgert sich über die billigen Konkurrenten<br />

Unternehmen&Märkte<br />

Der Angriff von Uber bringt die<br />

Abgründe des überregulierten Taxigewerbes<br />

ans Licht. Heft 39/2014<br />

Einblick<br />

Franz Rother über Schottland und<br />

die Frage, ob sich Nationalstaaten<br />

überlebt haben. Heft 39/2014<br />

Von Heuss lernen<br />

Alles, was Sie schreiben, ist<br />

richtig. Und doch ist es nicht<br />

vollständig. Nehmen wir zum<br />

Beispiel die Sozialpolitik. Die<br />

Franzosen, die von den Deutschen<br />

fordern, „sich ihrer Verantwortung<br />

für Europa bewusst<br />

zu sein“, würden sich sehr wundern,<br />

wenn die Deutschen den<br />

Franzosen machen würden:<br />

35-Stunden-Woche, sechs Wochen<br />

bezahlten Urlaub, mit 60<br />

Jahren alle in Rente, 9,50 Euro<br />

Mindestlohn. Würde Bundeskanzlerin<br />

Angela Merkel das<br />

mit Wirkung zum 1. Januar 2015<br />

für Deutschland verkünden,<br />

dann sollten Sie mal sehen, was<br />

Karenzminute ignoriert<br />

Die Darstellung der Taxitarife<br />

wird verrissen. Die Wartezeit als<br />

dritter Baustein im Tarif neben<br />

Kilometerpreis und Einschaltpreis<br />

wird vergessen oder ignoriert.<br />

In Hamburg gibt es die Karenzminute<br />

in der Wartezeit.<br />

Das bedeutet: Das Taxameter<br />

zählt die Wartezeit erst ab einer<br />

Minute Stillstand. Im Stau, bei<br />

Stop-and-go oder an roten Ampeln<br />

fällt die Wartezeit folglich<br />

so gut wie gar nicht ins Gewicht.<br />

Eingeführt wurde die Karenzminute,<br />

um die Fahrpreise für<br />

die Kundschaft transparenter<br />

und berechenbarer zu machen.<br />

Dadurch erhoffte man sich ein<br />

höheres Fahrgastaufkommen.<br />

Der Kilometerpreis wurde zum<br />

Ausgleich erhöht. Andere Großstädte<br />

haben in der Wartezeit<br />

die Karenzminute nicht – liegen<br />

dafür aber beim Kilometerpreis<br />

unter dem in Hamburg.<br />

Hans-Michael Primavesi, via E-Mail<br />

Taxiunternehmer, Hamburg<br />

mit dem Euro passiert.<br />

„Deutschland braucht Europa,<br />

aber Europa braucht auch<br />

Deutschland.“ Das war der erste<br />

Satz in der Antrittsrede von<br />

Theodor Heuss als Bundespräsident<br />

im Jahre 1949, und es<br />

stimmt noch immer.<br />

Wolfram Wiesel, via E-Mail<br />

Rösrath (Nordrhein-Westfalen)<br />

Politik&Weltwirtschaft<br />

Wirtschaftssanktionen: Was die EU<br />

gegen Russland noch in petto hat.<br />

Heft 39/2014<br />

Offener Dialog<br />

Die Sanktionen sorgen nur für<br />

eine Zuspitzung des Konfliktes<br />

und schaden der eh schon verarmten<br />

unteren Bevölkerungsschicht<br />

Russlands. Vielmehr ist<br />

ein offener Dialog gefordert, in<br />

dem beide Seiten aufeinander<br />

zugehen. Aber aus der vergangenen<br />

Zeit scheinen beide Seiten<br />

nicht viel gelernt zu haben.<br />

Moritz Ko<br />

wiwo.facebook<br />

Schuss ins Knie<br />

Die deutsche Agrar-, Auto- und<br />

Maschinenbauindustrie ist am<br />

stärksten von den Russland-<br />

Sanktionen betroffen – nicht<br />

Russland. Russland sucht und<br />

findet andernorts, was es<br />

braucht. Also ein Schuss ins<br />

eigene Knie.<br />

Silvia Hartmann<br />

wiwo.facebook<br />

Feindbild<br />

Putin hat Russland aus einer<br />

Ochlokratie geführt, in der nur<br />

noch Kriminelle herrschten.<br />

Das wäre nicht mit Samthandschuhen<br />

gegangen. Der Westen<br />

soll sich ein anderes Feindbild<br />

suchen, wenn er unbedingt<br />

eines braucht.<br />

Christian Rogler<br />

wiwo.facebook<br />

Im Überfluss<br />

Diese Sanktionen treffen nur<br />

jene, die sie verordnet haben.<br />

Russland besitzt sämtliche<br />

Rohstoffe im Überfluss. Es können<br />

sanktionierte Produkte<br />

sehr leicht über Umwege nach<br />

Russland gelangen, zum Beispiel<br />

über Brasilien, China oder<br />

Usbekistan.<br />

Christian Meier<br />

wiwo.facebook<br />

Politik&Wetwirtschaft<br />

Mit Nullzinsen und umstrittenen Wertpapiergeschäften<br />

schickt Mario Draghi<br />

den Euro auf Talfahrt. Heft 38/2014<br />

Politische Union<br />

Mario Draghi vertritt nicht<br />

deutsche Interessen, und seine<br />

Notenbankpolitik schadet<br />

Deutschland, das ist völlig richtig,<br />

aber seine Politik ist im Interesse<br />

der Weichwährungsländer,<br />

wie zum Beispiel Italien,<br />

Frankreich, Spanien, Portugal<br />

und Griechenland. Der Fehler<br />

liegt doch bei denen, die<br />

Deutschland in das „Währungsboot“<br />

mit diesen Weichwährungsländern<br />

gesetzt haben.<br />

Europa hätte eine politische<br />

Union benötigt, eine gemeinsame<br />

Außenpolitik, aber keine<br />

gemeinsame Währung.<br />

Michael Forster<br />

via E-Mail, München<br />

Neue Währung<br />

Vielen Dank für Ihren pointierten<br />

Artikel. Wenn man zu Ihrer<br />

Vermutung der baldigen Parität<br />

von Dollar und Euro den von<br />

Ihnen kürzlich erst interviewten<br />

Philosophen Hans-Hermann<br />

Hoppe hinzuzieht, ahnt man,<br />

was uns blüht. Hoppe geht in<br />

seinen Büchern davon aus, dass<br />

die USA und die EU sich irgendwann<br />

institutionell zusammenschließen<br />

werden und wir alle<br />

morgens mit einer neuen Währung,<br />

dem „Euro-Dollar“ aufwachen.<br />

Die geplante Freihandelszone<br />

ist ein großer Schritt in<br />

diese Richtung.<br />

Prof. Dr. Dietrich von der Oelsnitz<br />

via E-Mail, TU Braunschweig<br />

Geld&Börse<br />

Baufinanzierung: In fünf Schritten zu<br />

einem neuen Hypothekenkredit zum<br />

Niedrigzins. Heft 39/2014<br />

Formfehler<br />

Der einzige Grund, warum<br />

Kunden ihren Kreditvertrag<br />

widerrufen wollen oder sollen,<br />

ist die unerwartete, auch von<br />

den Banken so nicht vorhersehbare<br />

Zinsentwicklung. Wäre<br />

das Zinsniveau höher als die<br />

eigenen Vertragskonditionen,<br />

käme kein Mensch auf die Idee,<br />

den Kreditvertrag wegen unbedeutender<br />

Formfehler zu<br />

widerrufen.<br />

Olaf Karrass, via E-Mail<br />

Greven (Nordrhein-Westfalen)<br />

Leserbriefe geben die Meinung des<br />

Schreibers wieder, die nicht mit der<br />

Redaktionsmeinung übereinstimmen<br />

muss. Die Redaktion behält sich vor,<br />

Leserbriefe gekürzt zu veröffentlichen.<br />

WirtschaftsWoche<br />

Postfach 10 54 65<br />

40045 Düsseldorf<br />

E-Mail: leserforum@wiwo.de<br />

Bei Zuschriften per E-Mail bitten wir<br />

um Angabe Ihrer Postadresse.<br />

FOTO: ARNE WEYCHARDT FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

128 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Firmenindex<br />

Hervorgegangen aus<br />

DER DEUTSCHE VOLKSWIRT<br />

Gegründet 1926<br />

Pflichtblatt der Wertpapierbörsen in<br />

Düsseldorf, Frankfurt und Stuttgart<br />

40045 Düsseldorf, Postfach 105465,<br />

(für Briefe)<br />

40213 Düsseldorf, Kasernenstraße 67,<br />

(für Pakete, Päckchen und Frachtsendungen)<br />

Fon (0211) 887–0, E-Mail wiwo@wiwo.de<br />

REDAKTION<br />

Chefredakteur Roland Tichy<br />

Stellvertretende Chefredakteure Henning Krumrey,<br />

Franz W. Rother<br />

Geschäftsführende Redakteurin/Chefin <strong>vom</strong> Dienst<br />

Angela Kürzdörfer<br />

Creative Director/Leiter Produktentwicklung Holger Windfuhr<br />

Chefreporter Dieter Schnaas<br />

Chefreporter international Florian Willershausen<br />

Menschen der Wirtschaft Hermann J. Olbermann;<br />

Thomas Stölzel, Oliver Voß<br />

Politik & Weltwirtschaft Konrad Handschuch; Bert Losse,<br />

Jens Konrad Fischer, Malte Fischer, Hans Jakob Ginsburg<br />

Unternehmen & Märkte Reinhold Böhmer, Stephanie Heise;<br />

Jürgen Berke, Mario Brück, Rebecca Eisert, Henryk Hielscher,<br />

Rüdiger Kiani-Kreß, Michael Kroker, Peter Steinkirchner,<br />

Reporter: Anke Henrich, Hans-Jürgen Klesse, Jürgen Salz,<br />

Harald Schumacher, Dr. Andreas Wildhagen,<br />

Management: Julia Leendertse*<br />

Technik & Wissen Lothar Kuhn; Thomas Kuhn, Dieter Dürand<br />

(Dossiers), Wolfgang Kempkens (Autor)*, Susanne Kutter,<br />

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Geld & Börse Hauke Reimer; Christof Schürmann, Frank Doll,<br />

Martin Gerth, Stefan Hajek, Niklas Hoyer, Sebastian Kirsch,<br />

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Perspektiven & Debatte Thorsten Firlus-Emmrich;<br />

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Layout Svenja Kruse (stv. AD); Beate Clever, Karin Heine,<br />

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Bildredaktion Silke Eisen; Lena Flamme, Patrick Schuch<br />

Syndication wiwo-foto.de<br />

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Informationsgrafik Anna Tabea Hönscheid, Konstantin Megas,<br />

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Schlussredaktion Martina Bünsow; Dieter Petzold<br />

Produktion Markus Berg, Ute Jansen, Petra Jeanette Schmitz<br />

BÜROS<br />

Berlin Henning Krumrey; Dr. Christian Ramthun, Max Haerder,<br />

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Unternehmen & Märkte Mark Fehr, Cornelius Welp,<br />

Politik & Weltwirtschaft Angela Hennersdorf<br />

Geld & Börse Hauke Reimer; Annina Reimann, Heike Schwerdtfeger<br />

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London SW19 4AA, Fon (0044) 2089446985,<br />

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Anfang des jeweiligen Artikels<br />

A<br />

ADAC....................................................88<br />

Adidas.................................................. 10<br />

Ahlberg Metalltechnik Gruppe............... 74<br />

Aibotix..................................................78<br />

Air Berlin.............................................. 12<br />

Aldi.......................................................88<br />

Alibaba...............................................114<br />

Alitalia.................................................. 12<br />

Allianz................................................ 121<br />

Amazon.................12, 66, 87, 88, 96, 114<br />

Apoair...................................................78<br />

Apple..............................................10, 66<br />

Audi................................................16, 88<br />

Aurubis.................................................16<br />

Automag.................................................8<br />

B<br />

Bain......................................................60<br />

Bankhaus Wölbern................................ 18<br />

Barclays............................................... 50<br />

Bayer....................................................50<br />

Beats....................................................10<br />

Beiersdorf.............................................56<br />

Roland Berger....................................... 50<br />

Berliner Sparkasse................................ 74<br />

BMW.................................4, 8, 16, 72, 84<br />

Bombardier...........................................62<br />

Bonnier.................................................12<br />

Bosch........................................... 54, 115<br />

Bosch Power Tools................................ 88<br />

Boston Consulting................................. 10<br />

BSH Bosch Siemens Hausgeräte............ 54<br />

BSkyB...................................................66<br />

C<br />

Castenow Communications....................88<br />

Cebu Pacific Air.......................................9<br />

Coca-Cola...........................................118<br />

Commerzbank.................................12, 66<br />

Compaq................................................56<br />

Concur..................................................50<br />

D<br />

Deloitte...........................................32, 74<br />

Deutsche Bahn.....................................14<br />

Deutsche Bank......................................50<br />

Deutsche Fußball-Liga...........................66<br />

Deutsche Lufthansa.......................... 9, 94<br />

Deutsche Post...................................4, 78<br />

Deutsche Telekom.................................66<br />

Dotbooks.............................................. 12<br />

Dresdner Bank...................................... 18<br />

Dresser-Rand..........................50, 54, 115<br />

Ducati...................................................72<br />

E<br />

Easypost...............................................87<br />

Egger Holzwerkstoffe.......................... 118<br />

Engel & Völkers..................................... 16<br />

Ergo......................................................88<br />

Etihad...................................................12<br />

EY.........................................................32<br />

F<br />

Faber-Castell.........................................96<br />

Facebook............................................114<br />

FBB........................................................ 9<br />

Fossil Group..........................................90<br />

G<br />

Genentech..........................................116<br />

General Electric.....................................54<br />

GfK.......................................................10<br />

Google..................................4, 32, 66, 78<br />

H<br />

Hanse Ventures.....................................16<br />

Henkel..................................................56<br />

Henschel.............................................. 70<br />

Hermès.................................................60<br />

Hewlett-Packard................................... 56<br />

Hornbach..............................................88<br />

I<br />

Ikea................................................ 16, 32<br />

Intermune...........................................116<br />

K<br />

Kabel Deutschland.......................... 50, 66<br />

Kero Private Equity Fonds......................70<br />

KWS Saat............................................116<br />

L<br />

Lange Assets & Consulting.....................18<br />

Lazard.................................................. 50<br />

Leica.................................................... 60<br />

Lendup................................................. 87<br />

Linklaters..............................................50<br />

M<br />

McAfee.................................................54<br />

McKinsey..............................................60<br />

Media Markt......................................... 88<br />

Mercedes................................................8<br />

Merck...................................................50<br />

Merck KgaA........................................ 115<br />

Millipore............................................... 50<br />

N<br />

Netflix...................................................66<br />

Nissan.................................................... 8<br />

Nord/LB................................................54<br />

O<br />

Obi....................................................... 88<br />

ODS......................................................14<br />

Ogilvy & Mather.....................................88<br />

Oracle...................................................56<br />

P<br />

Pfizer..................................................118<br />

Plug and Play Tech Center..................... 87<br />

Precisionhawk.......................................78<br />

R<br />

Richemont............................................ 60<br />

Roche.................................................116<br />

Rocket Internet........................... 108, 114<br />

Rolls-Royce...........................................54<br />

Rosneft.................................................42<br />

RWE..................................................... 78<br />

S<br />

Salzgitter..............................................16<br />

Samsung...............................................97<br />

SAP...................................................... 50<br />

Saturn.................................................. 88<br />

Schiebel................................................78<br />

ServiceValue................................... 88, 97<br />

Shippo..................................................87<br />

Siemens........................................50, 115<br />

Sigma Aldrich................................50, 115<br />

Sky....................................................... 66<br />

Skysense.............................................. 78<br />

SMS......................................................10<br />

Snowbird............................................ 114<br />

SoftTech...............................................87<br />

Sparkasse Holstein................................18<br />

Spotify..................................................10<br />

Starbucks............................................. 32<br />

Symrise................................................ 38<br />

T<br />

Talocasa............................................... 16<br />

Telegate................................................16<br />

Thyssen................................................ 70<br />

Tipico................................................... 14<br />

Titan Aerospace....................................78<br />

TUI....................................................... 12<br />

U<br />

Uber..................................................... 14<br />

Unilever................................................ 38<br />

Unity Media.......................................... 66<br />

Urdeal.................................................. 16<br />

V<br />

Vodafone.............................................. 50<br />

Volkswagen...........................................72<br />

W<br />

Wal-Mart.............................................118<br />

Wellendorff...........................................60<br />

Y<br />

Yamaha.................................................78<br />

Z<br />

Zalando........................................ 14, 114<br />

WirtschaftsWoche 29.9.2014 Nr. 40 129<br />

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Ausblick<br />

„Die Rendite aus Wind- und<br />

Sonnenstrom finanzieren vor<br />

allem die Einkommensschwachen,<br />

die sich keine<br />

Fotovoltaik und kein<br />

Investment in einen<br />

Windpark leisten können.“<br />

„Wir hätten mit besserer<br />

Versorgung viele iPhones<br />

mehr verkaufen können.“<br />

Tim Cook<br />

Apple-Chef, zum Verkaufsrekord von<br />

zehn Millionen iPhones der neuesten<br />

Generation binnen drei Tagen<br />

Michael Vassiliadis<br />

Chef der Industriegewerkschaft<br />

Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE)<br />

„Wir haben die Möglichkeit, die<br />

Geschicke der globalen Wirtschaftsentwicklung<br />

zu ändern.“<br />

Joe Hockey<br />

Australiens Finanzminister,<br />

über ein Wachstumsprogramm der<br />

G20-Staaten für die Weltkonjunktur<br />

„Die Unternehmen spüren<br />

Gegenwind, die Unsicherheit<br />

nimmt zu.“<br />

Ulrich Grillo<br />

Präsident des Bundesverbandes<br />

der Deutschen Industrie (BDI),<br />

über die Konjunktur<br />

„Die Franzosen werden<br />

Deutschland mögen,<br />

wenn es sich für das Wachstum<br />

in Europa einsetzt.“<br />

„Wir sind überzeugt, dass<br />

Rocket eine einmalige Chance<br />

hat, am Wachstum des<br />

Internet-Handels in Schwellenländern<br />

teilzuhaben.“<br />

Oliver Samwer<br />

Vorstandsvorsitzender von Rocket<br />

Internet, zum Börsengang der<br />

Berliner Start-up-Schmiede<br />

„Wir müssen den Silicon-<br />

Valley-Kapitalismus zähmen.“<br />

Sigmar Gabriel<br />

Bundeswirtschaftsminister (SPD),<br />

über die Macht der Internet-Konzerne<br />

„Entweder wir bauen weiter<br />

Kapazitäten und damit noch<br />

mehr Arbeitsplätze ab –<br />

oder wir gehen ins Ausland.“<br />

Armin Papperger<br />

Rheinmetall-Chef, über die geplante<br />

Restriktion von Rüstungsexporten<br />

Manuel Valls<br />

französischer Ministerpräsident<br />

„So etwas ist vielleicht<br />

französische Politik,<br />

aber keine deutsche.“<br />

„Wir lehnen jeden gesetzlichen<br />

Eingriff ins Streikrecht ab.“<br />

Frank Bsirske<br />

Vorsitzender der Dienstleistungsgewerkschaft<br />

Verdi, über Pläne, kleinere<br />

Gewerkschaften zu entmachten<br />

Markus Söder<br />

bayrischer Finanzminister (CSU),<br />

zum Plan, mit dem Geld aus dem<br />

Euro-Rettungsfonds ESM<br />

Investitionen zu fördern<br />

„Der Fonds ist dafür da, dass er<br />

nicht gebraucht wird.“<br />

Wolfgang Schäuble<br />

Bundesfinanzminister (CDU), über<br />

den Vorschlag, mit dem Geld<br />

des Euro-Rettungsfonds ESM die<br />

Konjunktur zu fördern<br />

„Unser Ziel ist es, der<br />

führende Anbieter und<br />

Systemintegrator für die Ölund<br />

Gasindustrie zu werden.“<br />

Lisa Davis<br />

Siemens-Vorstand und ehemalige<br />

Shell-Managerin, zu dem Kauf des<br />

US-Kompressorenherstellers<br />

Dresser-Rand und dem Ausstieg aus<br />

dem Joint Venture Bosch-Siemens-<br />

Hausgeräte (BSH)<br />

»Was mich nervt, ist diese verbohrte<br />

Nein-Haltung in Deutschland.<br />

Irgendwann fliegt uns unsere<br />

Stillstandskultur um die Ohren.«<br />

Karl-Ludwig Kley<br />

Vorstandsvorsitzender des Chemie- und Pharmakonzerns Merck<br />

sowie Präsident des Verbands der Chemischen Industrie,<br />

zum Streit um Fracking<br />

„Ich stehe einer<br />

Anti-Stress-Verordnung<br />

sehr kritisch gegenüber.“<br />

Angela Merkel<br />

Bundeskanzlerin (CDU)<br />

„Wenn ich im Dienst bin, nicht.<br />

Wenn ich im Urlaub bin und<br />

mit meinen Enkeln Fußball<br />

spielen soll, dann schon.“<br />

Joachim Gauck<br />

Bundespräsident, auf die Frage,<br />

ob er sein Alter von 74 Jahren spüre<br />

„Laut den Ärzten werde<br />

ich 100 Jahre alt.<br />

Laut meinen Träumen werde<br />

ich 113 Jahre alt.<br />

Aber 100 sind, denke ich, sicher.“<br />

Dalai Lama<br />

79, geistiges Oberhaupt der Tibeter<br />

und Friedensnobelpreisträger<br />

ILLUSTRATION: TORSTEN WOLBER<br />

130 Nr. 40 29.9.2014 WirtschaftsWoche<br />

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