Wirtschaftswoche Ausgabe vom 13.10.2014 (Vorschau)
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42<br />
<strong>13.10.2014</strong>|Deutschland €5,00<br />
4 2<br />
4 1 98065 805008<br />
Der „Islamische Staat“ bedroht die Weltwirtschaft<br />
Schweiz CHF 8,20 | Österreich €5,30 | Benelux€5,30 | Griechenland€6,00 | GroßbritannienGBP 5,40 | Italien€6,00 | Polen PLN27,50 | Portugal€6,10 | Slowakei €6,10 | Spanien€6,00 | Tschechische Rep. CZK200,- | Ungarn FT 2140,-<br />
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Einblick<br />
Geschäftsberichte, Markenkommunikation und<br />
Terror als Produkt. Der „Islamische Staat“ agiert wie<br />
ein globaler Konzern. Von Miriam Meckel<br />
Kriegsökonomie<br />
FOTO: FRANK SCHEMMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
Die Geschäfte der radikalen Terrororganisation<br />
„Islamischer<br />
Staat“ („IS“) laufen blendend.<br />
Das klingt schrecklich, ist aber<br />
wahr. Der Kampf um Kobane in Nordsyrien<br />
ist nur eine weitere martialische<br />
Transaktion. Sie ist ausgerichtet auf eine<br />
geopolitische Übernahme – so steigert der<br />
„IS“ seinen Macht- und Marktanteil gegenüber<br />
der internationalen Anti-Terror-<br />
Allianz. Mit bedrückender strategischer<br />
und operativer Präzision arbeiten sich die<br />
Dschihadisten im Mittleren Osten vor. Der<br />
„IS“ ist der reichste und bestorganisierte<br />
Terrorkonzern der Welt. Sein Produkt ist<br />
der Terror, seine Währung die Angst.<br />
Seit 2011 wurde konsequente Arbeit geleistet.<br />
Der „IS“ agiert nicht nur auf<br />
schreckliche Weise kompromisslos. Er legt<br />
über sein Vorgehen in Geschäftsberichten<br />
(„al-Naba“, die Nachricht) Rechenschaft ab<br />
– in Optik und Anmutung ausgerichtet an<br />
Konzernen der Weltwirtschaft und angereichert<br />
mit professionellen Infografiken.<br />
Ihre KPIs (Key Performance Indicators)<br />
heißen: Mordanschläge, Sprengstoffattacken,<br />
Enthauptungen.<br />
Das Institute for the Study of War in Washington<br />
hat die Berichte systematisch<br />
ausgewertet. Allein für das Jahr 2013 verzeichnet<br />
das Portfolio der Terroristen 1083<br />
Morde, 607 Granatenangriffe, 4465 Sprengstoffanschläge.<br />
Der Bericht liefert die Zahlen<br />
nach Bedarf auch noch differenzierter,<br />
auf einzelne Regionen der umkämpften<br />
Gebiete heruntergebrochen.<br />
Die Geschäfte des „Islamischen Staats“<br />
laufen auch finanziell blendend. Um die<br />
425 Millionen Dollar soll die Terrormiliz allein<br />
durch die Plünderung der Zentralbank<br />
von Mossul erbeutet haben. Laufende Einnahmen<br />
stammen aus Schutzsteuern der<br />
Bevölkerung und dem Schwarzhandel mit<br />
Öl aus Quellen in den kontrollierten Gebieten.<br />
Für uns alle ist der Preis hoch: Menschen<br />
werden zu Hunderten brutal abgeschlachtet.<br />
Eine Milliarde Dollar hat der<br />
Kampf gegen den „IS“ die USA bereits gekostet.<br />
Es wird noch viel teurer werden –<br />
Kosten der Konjunktureinbrüche, Destabilisierung<br />
und des Vertrauensverlusts. In einer<br />
Ökonomie der Aufmerksamkeit ist<br />
Angst für Terroristen die härteste Währung.<br />
Uneinigkeit und Partialinteressen bei<br />
den Stakeholdern im arabischen Raum<br />
treiben die Preise hoch. Saudi-Arabien unterstützt<br />
offiziell die US-geführte Allianz im<br />
Kampf gegen den „IS“. Doch auf versteckten<br />
Wegen fließt das Geld von Großfinanziers<br />
im Land in die Kassen der Terroristen.<br />
Die Türkei dagegen, Nato-Partner, wir erinnern<br />
uns dunkel, hat für ihre Panzer an der<br />
Grenze zu Syrien Dauerparkplätze eingerichtet.<br />
Da stehen sie nun rum. Präsident<br />
Erdogan will vor allem eines nicht:die Kurden<br />
in Syrien unterstützen – und liefert ein<br />
Beispiel für politischen „moral hazard“. Die<br />
Türkei will den Nato-Bündnisfall provozieren,<br />
um dann <strong>vom</strong> politischen „Bail-out“<br />
zu profitieren. Diese Uneinigkeit der Staaten<br />
in der Region lässt sich durch den „IS“<br />
wunderbar hedgen: als Absicherung seiner<br />
Strategie geopolitischer und ideologischer<br />
Anteilsübernahme.<br />
TERRORBRANDING IM INTERNET<br />
Alles, was der „Islamische Staat“ tut, ist<br />
durch eine professionelle Kommunikation<br />
des Grauens unterlegt. Videos von Enthauptungen<br />
und Autobombenexplosionen<br />
sind überall im Internet zu finden und verbreiten<br />
sich viral. Im Umgang mit Twitter<br />
und YouTube schlägt der „IS“ manchen US-<br />
Großkonzern. Eine eigene App („Die Morgendämmerung<br />
der Freudenbotschaft“),<br />
die das Telefon der Nutzer hackt und<br />
„IS“-Botschaften am laufenden Bit sendet,<br />
wurde durch Google gestoppt. Aber: Ein<br />
Twitter-Konto wird abgeschaltet, zehn<br />
neue entstehen. Das Internet ist eine große<br />
Marketingplattform – auch für Terroristen.<br />
Die Terrormiliz hat eine starke Marke.<br />
Sie lässt sich auch für die Rekrutierung von<br />
Nachwuchskämpfern effizient nutzen:<br />
„Employer Branding“ für potenzielle<br />
Selbstmordattentäter und Söldner des<br />
grausamen Tötens. Wie weit die Zuversicht<br />
in ein gelungenes Leben und eine hoffnungsvolle<br />
Zukunft bei denen heruntergewirtschaftet<br />
sein muss, die sich davon<br />
blenden lassen, will man sich kaum vorstellen.<br />
n<br />
WirtschaftsWoche <strong>13.10.2014</strong> Nr. 42 3<br />
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Überblick<br />
Menschen der Wirtschaft<br />
6 Seitenblick Hopfen mit Bonbonnote<br />
8 Sportwetten: Staatsvertrag auf der Kippe<br />
9 Bang & Olufsen: Trendwende | Amazon:<br />
Deutsches Rechenzentrum öffnet<br />
10 Interview: Finanzwissenschaftler Markus<br />
Kerber attackiert die EZB | Babynahrung:<br />
Streit um Versorgungslage<br />
12 Nobelpreis: Geschäft für Leica und Zeiss |<br />
Hochtief: Krankheit vorgeschoben | Drei<br />
Fragen zum Kauf von Gruner + Jahr<br />
14 Bahn: Konkurrenz aus England | Audi:<br />
Luxus-Carsharing für Schweden | Draghi:<br />
Deutsche Englischverweigerer bremsen<br />
16 Chefsessel | Start-up UniCoach<br />
18 Chefbüro E.On-Chef Johannes Teyssen<br />
Titel Die Angst rückt näher<br />
So brutal die islamistischen Milizen<br />
im Irak und in Syrien auch wüten – der<br />
Westen wähnt sie weit weg. Doch die<br />
Folgen des Kriegs bekommt die ganze<br />
Welt zu spüren. Europas Sicherheit ist<br />
in Gefahr, neue Risiken bedrohen die<br />
Weltwirtschaft. Seite 20<br />
Politik&Weltwirtschaft<br />
20 Terror Der „Islamische Staat“ bedroht die<br />
Weltwirtschaft | Interview: Alois Stutzer erklärt,<br />
warum Angst mehr schadet als nutzt |<br />
Forum: Volkhard Windfuhr über Versäumnisse<br />
des Westens | Die Bundeswehr könnte<br />
durchaus mehr leisten<br />
32 Streitgespräch Unternehmer Fabian Heilemann<br />
und SPD-Hoffnungsträger Jan Stöß<br />
debattieren die Chancen der IT-Szene Berlin<br />
36 Transparenz Hamburgs Verwaltung stellt<br />
ihre Daten ins Netz. Nicht alle finden das toll<br />
38 Ukraine OSZE-Beobachter leben gefährlich<br />
39 Global Briefing | Berlin intern<br />
Der Volkswirt<br />
40 Kommentar<br />
41 Deutschland-Konjunktur<br />
42 Nachgefragt: Leon Louw Der Aktivist<br />
bricht eine Lanze für die Ungleichheit<br />
44 Denkfabrik Ökonom Holger Schmieding<br />
nimmt Europas Zentralbank in Schutz<br />
Unternehmen&Märkte<br />
46 Fiat Konzernchef Sergio Marchionne baut<br />
das Turiner Traditionsunternehmen um<br />
52 Interview: Keith Block Der Präsident von<br />
Salesforce sagt SAP den Kampf an<br />
54 Banken Faule Schiffskredite in Milliardenhöhe<br />
bedrohen deutsche Institute<br />
58 Allianz Wie Oliver Bäte, der designierte<br />
Vorstandschef, tickt<br />
60 Interview: Ulrich Spiesshofer Der Chef<br />
des Anlagenbauers ABB gesteht Fehler ein<br />
62 Tengelmann Der Verkauf der Supermärkte<br />
ist noch längst nicht über die Bühne<br />
64 Segafredo Espresso-König Massimo Zanetti<br />
ist anders als die meisten seiner Kaste<br />
68 Spezial Mittelstand Kleinere Unternehmen<br />
zeigen, wie sie sich gegen Konzerne behaupten<br />
| Alnatura | Germania | Tobit | Eugen<br />
Trauth & Söhne | Abeking & Rasmussen<br />
84 Serie: Fit for Future (IV) Wie Mittelständler<br />
Probleme bei Firmenübernahmen<br />
in Osteuropa und Asien überwinden<br />
Turiner Träumereien<br />
Mit dem Börsengang inszeniert Konzernchef Sergio Marchionne<br />
für den italienischen Autobauer Fiat ein Finale im Stil einer ernsten<br />
Oper – voller Emotionen, Hoffnungen und Versprechen. Seite 46<br />
TITELILLUSTRATION: DMITRI BROIDO<br />
4 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Nr. 42, <strong>13.10.2014</strong><br />
Technik&Wissen<br />
86 Fotografie Mit lichtstarken und kompakten<br />
High-End-Geräten reagiert die Kameraindustrie<br />
auf den Boom der Smartphones<br />
91 Computer Daddeln am PC wird Profisport<br />
93 Valley Talk<br />
Deutschlands<br />
Geheimwaffe<br />
Ausländer bestaunen<br />
deutsche Mittelständler<br />
wie Alnatura-Chef Götz<br />
Rehn. Mit Flexibilität,<br />
Kundennähe und Innovationen<br />
gelingt es den<br />
Familienunternehmen,<br />
Konzernen zu trotzen<br />
und Weltmarktführer zu<br />
werden. Seite 68<br />
Wohin mit dem Geld?<br />
Wie Sie jetzt 15 000 oder 50 000 Euro in Aktien, Anleihen und Gold<br />
anlegen. Die Strategie ist erprobt, wer langen Atem bewahrt, muss<br />
weder Nullzins noch Aktiencrash fürchten. Seite 100<br />
Management&Erfolg<br />
94 Industrie 4.0 Die Digitalisierung verändert<br />
die Produktion, aber auch Jobprofile<br />
98 Planspiele In virtuellen Szenarien lernen<br />
Jungmanager, Unternehmen zu führen |<br />
Management Cup: Spielen Sie Chef!<br />
Geld&Börse<br />
100 Geldanlage Aktien, Anleihen, Gold: Richtig<br />
investieren in Zeiten der Zins-Dürre<br />
108 Erbschaften Wie geprellte Erben Konten<br />
von Verstorbenen aufspüren<br />
110 Interview: Bill Gross Der Guru über die<br />
Märkte und seinen Abgang bei Pimco<br />
112 Steuern und Recht Bahnstreik und Pendler<br />
| Was Vermieter kassieren dürfen | Erbschaft |<br />
Zusatzleistungen <strong>vom</strong> Chef | Ärger im Büro<br />
114 Geldwoche Kommentar: Anleihe-Desaster |<br />
Trend der Woche: Börsen drehen ab | Dax-<br />
Aktien: Lufthansa | Hitliste: Schwellenländer<br />
| Aktie: Deutsche Bank | Anleihe: VW in<br />
Pfund Sterling | Investmentfonds: Manager<br />
Michael Muders zu gefloppten Internet-<br />
Börsengängen | Chartsignal: ifo-Index<br />
drückt den Dax | Relative Stärke: Südzucker<br />
ILLUSTRATION: EDWIN FOTHERINGHAM; FOTOS: LAIF/OLIVER RUETHER, CORBIS IMAGES/OCEAN/CHRIS TOBIN<br />
Edle Blickfänger<br />
Getrieben durch die Konkurrenz der Smartphones, besinnt<br />
sich die Fotobranche auf ihre Innovationskraft – und erfindet<br />
eine neue Kameragattung. Die hat es in sich. Seite 86<br />
Perspektiven&Debatte<br />
122 Bonds Shakespeares „Kaufmann von<br />
Venedig“ lehrt viel über Schuldenwirtschaft<br />
126 Kost-Bar<br />
Rubriken<br />
3 Einblick, 128 Leserforum,<br />
129 Firmenindex | Impressum, 130 Ausblick<br />
n Lesen Sie Ihre WirtschaftsWoche<br />
weltweit auf iPad oder iPhone:<br />
Diesmal mit unserem neuen<br />
Video-Streitformat „Schlag auf<br />
Schlag“, einem virtuellen<br />
Rundgang durch das<br />
Turiner Auto-Museum<br />
und einem 360-Grad-<br />
Blick durchs Chefbüro.<br />
wiwo.de/apps<br />
n Nordkorea Autor und Nordkorea-<br />
Kenner Rüdiger Frank spricht im<br />
Interview über das verschwiegene<br />
kommunistische Land und Diktator<br />
Kim Jong-un. wiwo.de/nordkorea<br />
facebook.com/<br />
wirtschaftswoche<br />
twitter.com/<br />
wiwo<br />
plus.google.com/<br />
+wirtschaftswoche<br />
WirtschaftsWoche <strong>13.10.2014</strong> Nr. 42 5<br />
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Seitenblick<br />
BIERMARKT<br />
Edler Hopfen<br />
Nach schweren Jahren erleben die deutschen Hopfenbauern eine Trendwende. Denn die<br />
kleinen Brauer der boomenden Craft-Biere benötigen riesige Mengen teurer Spezialsorten.<br />
Reiche Ernte Hopfenbauer<br />
Peter Bentele (Mitte) bei<br />
Tettnang im Hinterland<br />
des Bodensees<br />
6 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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35 000 Tonnen<br />
wurden jetzt in Deutschland geerntet, das ist etwa ein<br />
Drittel der weltweiten Produktion. Der Großteil davon<br />
wird in der bayrischen Hallertau zwischen Landshut<br />
und Ingolstadt angebaut. In den vergangenen<br />
Jahren gingen die Anbauflächen zurück. Doch 2014<br />
gab es wieder einen Anstieg, für Experten eine<br />
Trendwende. Ein Grund: die wachsende Nachfrage<br />
nach Spezialhopfen für Craft-Bier.<br />
Hopfen<br />
1 Prozent der weltweiten Bierproduktion erzeugen<br />
die kleinen, unabhängigen Brauer allein in<br />
den USA, wo der Trend zum Craft-Bier entstanden ist.<br />
Dabei verbrauchen sie jedoch zehn Prozent der weltweiten<br />
Hopfenernte, da die Spezialbiere wie India<br />
Pale Ale oft viel bitterer sind. Zudem nutzen die kleineren<br />
Brauer besondere Hopfensorten. Das „Gewürz<br />
des Bieres“ verleiht diesem so besondere Noten.<br />
5 der 17 deutschen Sorten kamen in den vergangenen<br />
zwei Jahren neu auf den Markt, darunter Polaris „mit<br />
der Note eines Gletschereisbonbons“.<br />
30 Euro kostet ein Kilo der Sorte Centennial.<br />
Für normale Sorten bekommen die Hopfenbauern<br />
im Schnitt fünf Euro. Der Anteil der Aromahopfen<br />
macht inzwischen in Deutschland 55 Prozent aus.<br />
„Trotzdem sind die sogenannten feinen Aromahopfen<br />
der Ernte 2014 schon weitestgehend ausverkauft“,<br />
sagt Thomas Raiser, Verkaufsleiter des weltgrößten<br />
Hopfenhändlers Joh. Barth & Sohn aus Nürnberg.<br />
oliver.voss@wiwo.de, thorsten firlus<br />
Besondere Hopfensorten und ihre Aromen<br />
Aurora<br />
Menthol,<br />
Zitrus,<br />
Holz und<br />
Kräuter<br />
Cascade<br />
Litschi,<br />
Zitrus,<br />
Sahne,<br />
Kräuter und<br />
rote Beeren<br />
Centennial<br />
Harz, Holz<br />
und<br />
rote Beeren<br />
Citra<br />
Grüne<br />
Früchte,<br />
rote Beeren,<br />
Limette,<br />
Mango,<br />
florale Noten<br />
Hallertau<br />
Blanc<br />
Menthol,<br />
grüne Früchte,<br />
fruchtigblumig,<br />
Zitronengras<br />
FOTO: LAIF/BERND JONKMANNS<br />
WirtschaftsWoche <strong>13.10.2014</strong> Nr. 42 7<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
Kein großer Wurf<br />
Hessens Ministerpräsident<br />
Bouffier<br />
SPORTWETTEN<br />
Neues Spiel, neues Glück<br />
Der Staatsvertrag steht auf der Kippe. Nun<br />
sollen die Ministerpräsidenten wieder<br />
ran, fordert der hessische Regierungschef.<br />
Am Donnerstag sind sie gefordert.<br />
Der Glücksspielstaatsvertrag, der auch das Betreiben<br />
von Sportwetten regelt, kommt erneut auf den<br />
Prüfstand. Auf Wunsch des hessischen Ministerpräsidenten<br />
Volker Bouffier beraten er und seine<br />
Kollegen auf ihrer Jahreskonferenz am Donnerstag<br />
in Potsdam, wie es mit der verkorksten Regulierung<br />
der Sportwetten weitergehen soll. Die Regierung in<br />
Wiesbaden steht in der Öffentlichkeit am Pranger,<br />
weil die Zulassung von Sportwetten an allen Ecken<br />
hakt. Dabei führt Hessen nur im Auftrag aus, was alle<br />
16 Bundesländer gemeinsam im Staatsvertrag<br />
beschlossen haben.<br />
Nachdem bei der Vergabe der vorgesehenen 20<br />
Konzessionen viele Bewerber leer ausgegangen<br />
waren, hatten diese vor Gericht zunächst in einer<br />
Eilentscheidung durchgesetzt, dass das Lizenzverfahren<br />
vorläufig ausgesetzt wird. Träten die Zulassungen<br />
sofort in Kraft, könnten sich die glücklichen<br />
ausgewählten Anbieter „angesichts des stark umkämpften,<br />
lukrativen Markts für Sportwetten“ erhebliche<br />
Vorteile sichern, urteilte der Hessische<br />
Verwaltungsgerichtshof Dienstag vergangener Woche.<br />
Die Richter wiesen damit eine Beschwerde des<br />
hessischen Innenministeriums gegen den Stopp<br />
zurück. Sollten die Richter in weiteren Verfahren<br />
verfügen, dass gar der Ausgang des Hauptsacheverfahrens<br />
abgewartet werden müsse, träten die Konzessionen<br />
jahrelang nicht in Kraft.<br />
Zudem hatte das Verwaltungsgericht Wiesbaden<br />
bereits im August festgestellt, dass das Gremium<br />
zur Vergabe der Konzessionen gar nicht befugt sei.<br />
Im sogenannten „Glücksspielkollegium“ entscheiden<br />
die zuständigen Referenten der Länder, teilweise<br />
mit Mehrheit. Hierdurch werde eine „dritte Ebene“<br />
jenseits von Bund und Ländern geschaffen, die<br />
es nicht geben dürfe, hatte der Leipziger Staatsrechtler<br />
Christoph Degenhart in einem Gutachten<br />
begründet. Es halte die darin „aufgezeigten Bedenken<br />
hinsichtlich der Legitimation des Glücksspielkollegiums<br />
für durchgreifend“, so das Gericht.<br />
Hessen hat nun die 15 anderen Bundesländer<br />
wissen lassen, dass es im vertraulichen Kamingespräch<br />
der Ministerpräsidenten am Donnerstag<br />
seinen schon früher einmal vorgebrachten Vorschlag<br />
wiederholen will, die Zahl der Konzessionen<br />
deutlich zu erhöhen. Die Mehrheit der Länder sieht<br />
das skeptisch, weil das Ziel des Staatsvertrages ja<br />
gerade eine Begrenzung des Angebots sei. Sie<br />
wollen zumindest abwarten, ob die Gerichte die<br />
Konzessionen bis zum Ende der Hauptverfahren<br />
aussetzen. In diesem Fall müsse man in der Tat entscheiden,<br />
ob die gesamte Konstruktion erneuert<br />
werden muss.<br />
henning.krumrey@wiwo.de | Berlin<br />
Der Staat gewinnt<br />
Einnahmen der Länder<br />
aus der Rennwett- und<br />
Lotteriesteuer<br />
(in Millionen Euro)<br />
2012 2013 1. Hj. 2014<br />
Rennwett- und Lotteriesteuer<br />
865,2<br />
1432,0<br />
1635,3<br />
darunter: Sportwettsteuer<br />
84*<br />
188,7<br />
106<br />
* die Sportwettsteuer wird ab<br />
1. Juli 2012 erhoben; Quelle: BMF<br />
FOTO: LAIF/GABY GERSTER<br />
8 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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BANG & OLUFSEN<br />
Mehr Läden geplant<br />
Bang & Olufsen-Chef Tue<br />
Mantoni will die Sanierung des<br />
dänischen Unternehmens beschleunigen.<br />
Im Zuge der Finanzkrise<br />
konnte der Konzern<br />
seine Luxusfernseher und Edel-<br />
Soundsysteme nur noch<br />
schleppend absetzen. Nun<br />
scheint das Schlimmste überstanden<br />
zu sein. Im Ende Mai<br />
abgelaufenen Geschäftsjahr<br />
stieg der Umsatz leicht auf rund<br />
385 Millionen Euro. Erstmals erwirtschaftete<br />
Bang & Olufsen<br />
wieder einen kleinen Vorsteuergewinn<br />
von 400 000 Euro. „Zwar<br />
wird es von Quartal zu Quartal<br />
Völlig neuer Sound<br />
Bang & Olufsen-Chef Mantoni<br />
weiterhin Schwankungen geben“,<br />
sagt Mantoni, „aber ich<br />
gehe für die nächsten drei Jahre<br />
von einem jährlichen Wachstum<br />
von zehn Prozent aus.“<br />
In Europa wächst das Unternehmen<br />
derzeit um 20 Prozent<br />
jährlich, vor allem in Deutschland<br />
und Großbritannien. Mit<br />
einem Umsatzanteil von zehn<br />
Prozent ist Deutschland aktuell<br />
der wichtigste Markt.<br />
In China allerdings verdoppelt<br />
der Konzern jedes Jahr seinen<br />
Umsatz. Noch vor drei Jahren<br />
erzielte er dort drei Prozent<br />
des Gesamtumsatzes, heute<br />
sind es zehn Prozent. „In drei<br />
Jahren rechne ich mit 20 Prozent“,<br />
sagt Mantoni.<br />
Als er vor dreieinhalb Jahren<br />
den Chefposten übernahm,<br />
schloss er 150 der damals 800<br />
Läden. „Wir konzentrieren uns<br />
nur noch auf Top-Lagen“, sagt<br />
der Däne. Auch will Bang &<br />
Olufsen mehr Geschäfte in Eigenregie<br />
betreiben statt als<br />
Franchise. In China kaufte<br />
Mantoni den lokalen Franchisepartner.<br />
Rund 40 Läden unterhält<br />
das Unternehmen dort.<br />
Insgesamt will es in den kommenden<br />
Monaten 60 neue<br />
Shops eröffnen, vor allem in<br />
Deutschland, Großbritannien –<br />
und natürlich in China.<br />
matthias.kamp@wiwo.de | München<br />
Aufgeschnappt<br />
AfD im Goldrausch Vom Euro<br />
hält die AfD nicht viel, nun bietet<br />
sie ihren Anhängern eine Alternative<br />
an: Goldmünzen und<br />
Goldbarren aus dem eigenen<br />
Online-Goldshop. Der verlangt<br />
bis zu acht Prozent mehr als andere<br />
Anbieter. So will die Partei<br />
bis Jahresende zwei Millionen<br />
Euro verdienen. Sonst verlöre<br />
sie einen Teil der staatlichen<br />
Zuschüsse. Deren Höhe richtet<br />
sich nach Wahlerfolg und eigenen<br />
Einnahmen. Und die Zuschüsse<br />
will sich die AfD nicht<br />
entgehen lassen – auch wenn<br />
sie in Euro ausgezahlt werden.<br />
Goldene Reserve 121 Gramm<br />
Gold besitzt jeder erwachsene<br />
Deutsche im Durchschnitt, vier<br />
Gramm mehr als vor zwei Jahren,<br />
so eine Studie des Heraeus-<br />
Konzerns. Insgesamt stieg der<br />
private Goldbestand – inklusive<br />
Schmuck – seit 2012 um knapp<br />
200 Tonnen auf 8200 Tonnen.<br />
AMAZON<br />
Premiere in<br />
Deutschland<br />
Der amerikanische Internet-<br />
Riese Amazon eröffnet voraussichtlich<br />
am 23. Oktober sein<br />
erstes deutsches Rechenzentrum,<br />
in dem andere Unternehmen<br />
ihre Daten speichern<br />
können. Mit seiner Tochter<br />
Amazon Web Services (AWS)<br />
ist der Konzern der weltweit<br />
größte Anbieter von Cloud<br />
Computing. Seit der Datenklauaffäre<br />
des amerikanischen<br />
Geheimdienstes NSA beharren<br />
viele europäische Cloud-Computing-Kunden<br />
darauf, dass<br />
ihre Daten nicht auf Speichern<br />
in den USA abgelegt werden.<br />
Auch der US-Konzern Oracle<br />
kündigte jüngst an, dass er in<br />
Deutschland bis zum Jahresende<br />
zwei Rechenzentren ans<br />
Netz bringen will.<br />
Die Amazon-Tochter AWS<br />
betreibt in Europa bisher nur einen<br />
Cloud-Serverpark – in Irland.<br />
Zum Start des deutschen<br />
Rechenzentrums will sogar<br />
AWS-Chef Andy Jassy nach<br />
Deutschland kommen, wie es<br />
in unternehmensnahen Kreisen<br />
hieß. Erste Indizien für den<br />
Start eines deutschen Rechenzentrums<br />
von AWS waren vor<br />
drei Monaten aufgetaucht<br />
(WirtschaftsWoche 29/2014).<br />
thomas.stoelzel@wiwo.de<br />
Fleißige Beamte Wie viele Überstunden deutsche Arbeitnehmer pro Monat leisten<br />
14:36<br />
bezahlte Überstunden<br />
unbezahlte Überstunden<br />
9:36<br />
7:00<br />
7:18<br />
5:00<br />
4:24 4:18<br />
0:12 0:30<br />
0:54<br />
1:18 1:24 1:30 1:24 1:36<br />
0:30<br />
3:36<br />
2:18<br />
0:12 0:24<br />
FOTOS: PR, FOTOLIA<br />
Vorarbeiter<br />
Gelernte<br />
Arbeiter,<br />
Facharbeiter<br />
Quelle: IAB, September 2014<br />
Meister,<br />
Polier<br />
Angestellte,<br />
einfache Arbeit<br />
Beamte im<br />
gehobenen<br />
Dienst<br />
Angestellte,<br />
qualifizierte<br />
Arbeit<br />
Industrieund<br />
Werkmeister<br />
Leitende<br />
hoch qualifizierte<br />
Angestellte<br />
Beamte im<br />
höheren<br />
Dienst<br />
Angestellte<br />
Führungskräfte<br />
WirtschaftsWoche <strong>13.10.2014</strong> Nr. 42 9<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
BABYNAHRUNG<br />
Streit um<br />
Versorgung<br />
Produktion erhöht<br />
Unternehmer<br />
Hipp<br />
Als der US-Lebensmittelriese<br />
Heinz kürzlich Babynahrung<br />
in China wegen zu hoher Bleikonzentration<br />
aus den Läden<br />
nahm, schreckten auch deutsche<br />
Mütter auf. Denn während<br />
des letzten Skandals in China<br />
um verseuchte Babymilch im<br />
Jahr 2013 leerten sich auch hierzulande<br />
die Regale, die hiesigen<br />
Produkte wurde in die Volksrepublik<br />
verkauft. Selbst nach einem<br />
Jahr ist keine Entspannung<br />
in Sicht. „Die Gesamtnachfrage<br />
nach Milchnahrung kann nach<br />
wie vor nicht voll gedeckt werden“,<br />
sagt Christoph Werner,<br />
bei der Drogeriekette dm Geschäftsführer<br />
für Beschaffung.<br />
Um Hamsterkäufen vorzubeugen,<br />
ist die Abgabe vieler Produkte<br />
immer noch beschränkt.<br />
Auch Konkurrent<br />
Rossmann<br />
verkauft<br />
von vielen<br />
Produkten<br />
maximal<br />
drei Stück.<br />
Laut Rossmann<br />
„bestehen<br />
derzeit<br />
bei<br />
Hipp-Produkten<br />
Lieferengpässe“.<br />
Der größte deutsche<br />
Produzent von Babynahrung<br />
widerspricht. „Die Regale sind<br />
national gut gefüllt, und sowohl<br />
wir als auch der Handel haben<br />
auch wieder ausreichend Bestände“,<br />
heißt es aus dem Hause<br />
von Claus Hipp. Die Produktion<br />
wurde deutlich erhöht.<br />
Auch Konkurrent Milupa hat<br />
die Produktion verdoppelt und<br />
spricht von einer Entspannung.<br />
Dies zeigten auch die Nachfragen<br />
besorgter Mütter: „Statt<br />
3000 Anrufen pro Woche bekommen<br />
wir jetzt nur noch 30.“<br />
oliver.voss@wiwo.de<br />
INTERVIEW Markus C. Kerber<br />
»Die EZB verfälscht<br />
den Wettbewerb«<br />
Der Berliner Finanzwissenschaftler klagt gegen<br />
die Europäische Zentralbank. Er befürchtet, dass<br />
sie diktatorische Züge entwickelt.<br />
Herr Kerber, der Europäische<br />
Gerichtshof (EuGH) verhandelt<br />
am Dienstag darüber, ob die<br />
Europäische Zentralbank (EZB)<br />
ihre Kompetenzen überschreitet,<br />
wenn sie Anleihen kriselnder<br />
Euro-Staaten aufkauft. Das<br />
2012 von der EZB angekündigte<br />
OMT-Programm erlaubt ihr<br />
dies. Warum haben Sie dagegen<br />
geklagt?<br />
Allein die Ankündigung, im<br />
Notfall Staatsanleihen zu kaufen,<br />
verfälschte den Wettbewerb<br />
auf dem Markt für Staatsschulden<br />
in der Euro-Zone. Die<br />
Renditen für kurzfristige Staatsanleihen<br />
von Deutschland und<br />
Frankreich etwa kennen keine<br />
nennenswerten Unterschiede –<br />
obwohl die Länder in dramatisch<br />
unterschiedlicher Verfassung<br />
sind. Zudem vernichtet<br />
die Nullzinspolitik der EZB das<br />
Vermögen deutscher Sparer<br />
und schmälert die Refinanzierungsmöglichkeiten<br />
des Bundes.<br />
Das muss aufhören.<br />
Der EuGH hat zuletzt immer<br />
proeuropäisch entschieden, etwa<br />
beim Euro-Rettungsschirm<br />
ESM.<br />
Dass der ESM durchgewinkt<br />
wurde, ist hanebüchen und<br />
könnte ein böses Omen für die<br />
anstehende Verhandlung sein.<br />
Der EuGH ist in den letzten Jahren<br />
zu einem politischen Organ<br />
geworden, das sich als Integrationsmotor<br />
versteht. Dennoch:<br />
Wir werden bestens vorbereitet<br />
in die mündliche Verhandlung<br />
gehen, um das Gericht von unserer<br />
Argumentation zu überzeugen.<br />
Was ist Ihr Kernargument?<br />
Die EZB überschreitet ihr Mandat.<br />
Sie betreibt monetäre<br />
Staatsfinanzierung. Das ist ihr<br />
DER WIDERSPENSTIGE<br />
Kerber, 58, ist Jurist und Professor<br />
für öffentliche Finanzwirtschaft<br />
und Wirtschaftspolitik<br />
an der Technischen Universität<br />
Berlin.<br />
nach Artikel 123 des Vertrags<br />
über die Arbeitsweise der Europäischen<br />
Union verboten und<br />
passiert dennoch. Ganz einfach:<br />
Der ESM kann auf dem<br />
Primärmarkt Anleihen der Krisenländer<br />
bis zu 80 Prozent der<br />
Emission zeichnen und diese<br />
anschließend auf dem Sekundärmarkt<br />
an die<br />
EZB verkaufen. So<br />
fließt frisches Geld<br />
der EZB über den<br />
ESM in die Staatshaushalte<br />
der Krisenländer.<br />
Die Fürsprecher<br />
des OMT-Programms sagen, es<br />
sei keine Staatsfinanzierung,<br />
weil sich die Krisenländer nicht<br />
darauf verlassen könnten, dass<br />
die EZB ihre Anleihen aufkauft.<br />
Das ist für mich nicht stichhaltig.<br />
Die EZB argumentiert, das<br />
Kaufprogramm sei durch die<br />
MEHR ZUM THEMA<br />
Weitere Fragen und<br />
Antworten zum Kurs<br />
der Europäischen Zentralbank<br />
auf wiwo.de/<br />
kerber und in der App<br />
Fokussierung auf Anleihen der<br />
Krisenländer mit einer Laufzeit<br />
von bis zu drei Jahren auf rund<br />
524 Milliarden Euro beschränkt.<br />
Doch das ist lediglich eine unverbindliche<br />
Angabe der EZB.<br />
Die Notenbank will die Refinanzierungskosten<br />
für die Länder<br />
erträglich halten. Das gelingt<br />
nur, wenn sie bei entsprechend<br />
hohen Renditeforderungen der<br />
Investoren eingreift. Und zwar<br />
immer und immer wieder.<br />
Sie können mit Ihrer Klage<br />
doppelt verlieren. Die Richter<br />
könnten nicht nur das OMT-<br />
Programm durchwinken.<br />
Das Urteil könnte dann auch<br />
ein Freifahrtschein für künftige<br />
EZB-Entscheidungen<br />
bedeuten.<br />
Die europäischen Institutionen<br />
– die EZB, aber auch die Europäische<br />
Kommission und das<br />
Europäische Parlament – wollen<br />
ein Urteil, das die Zentralbank<br />
zur weiteren Selbstermächtigung<br />
ermutigt. Auch<br />
perspektivisch. Das Parlament<br />
geht so weit, dass es – stark vereinfacht<br />
– sagt: Die EZB ist unabhängig<br />
und muss daher frei<br />
von Rechtsbindungen sein. Die<br />
EZB könnte demnach schalten<br />
und walten, wie sie will. Ihre<br />
Allmacht hätte diktatorische<br />
Züge.<br />
Was, wenn der EuGH das OMT-<br />
Programm billigt. Ist die<br />
Schlacht dann geschlagen?<br />
Das Verfahren vor dem EuGH<br />
ist mitnichten das Ende der Debatte.<br />
Das Bundesverfassungsgericht<br />
hat bei seiner Entscheidung<br />
im Februar<br />
bereits angedeutet,<br />
dass es Zweifel hat,<br />
ob Anleihenkäufe<br />
durch die EZB nicht<br />
außerhalb des geldpolitischen<br />
Mandats<br />
stattfinden –<br />
und angekündigt, eventuell erneut<br />
einzugreifen. Die Karlsruher<br />
Richter könnten erkennen,<br />
dass das OMT-Urteil des EuGH<br />
in flagranti europäisches Recht<br />
verletzt und damit für Karlsruhe<br />
unverbindlich wird.<br />
tim.rahmann@wiwo.de<br />
FOTO: WENN.COM/SIPA<br />
10 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
CHEMIE-NOBELPREIS<br />
Schub für Leica und Zeiss<br />
Mikroskope für 600 000 Euro Nobelpreisträger Hell<br />
Das Fax, immer wieder das Fax-<br />
Gerät:Wenn Manager oder Politiker<br />
in ihren Sonntagsreden<br />
über den Innovationsstandort<br />
meckern, kommt irgendwann<br />
dieses Beispiel. In Deutschland<br />
erfunden, vermarktet von den<br />
Japanern. Soll heißen, wir Deutsche<br />
haben tolle Ideen, das Geschäft<br />
machen andere.<br />
Es wird Zeit, von diesem lieb<br />
gewonnenen Vorurteil Abschied<br />
zu nehmen. Spätestens<br />
mit dem Chemie-Nobelpreis,<br />
der – Ironie des Schicksals – am<br />
vergangenen Mittwoch an einen<br />
Physiker ging: den deutschen<br />
Stefan Hell, Direktor<br />
HOCHTIEF<br />
Misstrauen gegen Madrid<br />
Zum überraschenden Rücktritt<br />
von Hochtief-Aufsichtsratschef<br />
Thomas Eichelmann sickern<br />
nun Details durch. Nicht aus gesundheitlichen<br />
Gründen habe<br />
er aufgegeben, so ein Eichelmann-Intimus:<br />
„Eichelmann<br />
trägt nicht mehr mit, dass die<br />
Hochtief-Sparten in Europa,<br />
Australien und den USA inzwischen<br />
alle von Madrid aus geführt<br />
werden“ – also von der<br />
Zentrale des Hochtief-Großaktionärs<br />
ACS, der den größten<br />
deutschen Baukonzern 2011<br />
feindlich übernommen hat.<br />
am Max-Planck-Institut für Biophysikalische<br />
Chemie in Göttingen.<br />
Die exklusiven Rechte<br />
an seiner Erfindung und an der<br />
des ebenfalls ausgezeichneten<br />
US-Amerikaners Eric Betzig haben<br />
sich bereits sehr früh die<br />
deutschen Traditionsunternehmen<br />
Leica Microsystems und<br />
Carl Zeiss gesichert. Sie haben<br />
es geschafft, beide Entdeckungen<br />
erfolgreich zu vermarkten.<br />
„Heute prügeln sich Leica<br />
und Zeiss“, so ein Brancheninsider,<br />
„auch dank der beiden um<br />
die Marktführerschaft“ in dem<br />
rund eine halbe Milliarde Euro<br />
schweren Geschäft mit der optischen<br />
Hochleistungs-Mikroskopie.<br />
Sie ist eine Schlüsseltechnik<br />
für Mediziner, mit der sie<br />
das Innere lebender Zellen untersuchen<br />
können. Die Rivalen<br />
aus Japan wie Nikon und Olympus<br />
haben das Nachsehen.<br />
Hells Verbindung zu Leica<br />
reicht weit zurück. Während<br />
seiner Diplomarbeit forschte er<br />
1987 bei der Firma Heidelberg<br />
Instruments Mikrotechnik, deren<br />
Mikroskopie-Geschäft später<br />
in Leica aufging. Seitdem<br />
hält er Kontakt zu dem Unternehmen,<br />
das bereits zwei seiner<br />
Erfindungen zur Marktreife gebracht<br />
hat.<br />
Die WirtschaftsWoche hat<br />
Leica und Stefan Hell deshalb<br />
schon 2006 mit dem Innovationspreis<br />
der deutschen Wirtschaft<br />
ausgezeichnet.<br />
„Die Entscheidung, die Exklusivrechte<br />
an Hells Entdeckung<br />
zu erwerben, war damals<br />
sehr risikoreich“, sagt Bernd<br />
Sägmüller, bei Leica für das Geschäftsfeld<br />
Konfokalmikroskopie<br />
verantwortlicher Direktor.<br />
Es hat sich gelohnt, seit 2008<br />
haben Universitäten und Forschungsinstitute<br />
mehr als 150<br />
der Geräte erworben, die immerhin<br />
im Schnitt knapp<br />
600 000 Euro kosten. „Die Produktion<br />
läuft auf Hochtouren“,<br />
sagt Sägmüller.<br />
Auch die Zeiss-Manager waren<br />
mutig. Denn ihr Partner<br />
Betzig hat sein Mikroskop quasi<br />
in der heimischen Garage erfunden.<br />
Heute verkaufen die<br />
Oberkochener einige Dutzend<br />
pro Jahr.<br />
lothar.kuhn@wiwo.de<br />
Auch Eichelmanns quasi<br />
letzte Amtshandlung kann als<br />
Misstrauensvotum gegenüber<br />
Hochtief-Vorstandschef Marcelino<br />
Fernández verstanden werden.<br />
Der Spanier musste sich<br />
im Aufsichtsrat im September<br />
zu Zweifeln an der Bewertung<br />
von Hochtief-Offshore-Projekten<br />
äußern, die die Wirtschafts-<br />
Woche enthüllt hatte.<br />
harald.schumacher@wiwo.de<br />
DREI FRAGEN...<br />
...zum Kauf von Gruner +<br />
Jahr durch Bertelsmann<br />
Frank<br />
Donowitz<br />
46, Konzernbetriebsrat<br />
von<br />
Gruner + Jahr<br />
in Hamburg<br />
n Was ändert sich, wenn<br />
Bertelsmann ab 1. November<br />
Alleineigentümer des<br />
Verlags Gruner + Jahr mit<br />
Magazinen wie „Stern“ und<br />
„Brigitte“ ist und die Familie<br />
Jahr ihre 15,1 Prozent abgibt?<br />
Neu ist die Klarheit darüber,<br />
wer das Sagen hat. Das Hinund<br />
Herschieben von Verantwortlichkeiten<br />
bei zwei Eignern<br />
ist passé. Den Alleineigentümer<br />
können und werden<br />
wir nun an seinem Bekenntnis<br />
zu Journalismus und Investitionsbereitschaft<br />
messen.<br />
n Sind jetzt mehr als die<br />
rund 400 Arbeitsplätze gefährdet,<br />
die ohnehin schon<br />
auf der Streichliste stehen?<br />
Der Vorstand von Gruner +<br />
Jahr verneint das. Ein zusätzliches<br />
Sparprogramm aus Gütersloh<br />
hätte extreme Risiken.<br />
Schon heute ist hier kein<br />
Kuschelrock: Wir haben bislang<br />
gerade mal erreicht, dass<br />
nicht innerhalb der Elternzeit<br />
gekündigt wird und dass Altersteilzeitverträge<br />
nicht rückabgewickelt<br />
werden.<br />
n Was würde der frühere<br />
Bertelsmann-Patriarch<br />
Reinhard Mohn zur Führung<br />
von Gruner + Jahr sagen, die<br />
schon die Standorte Köln<br />
und München abgewickelt<br />
hat?<br />
Nach allem was ich von ihm<br />
gelesen habe, hätte er kein<br />
Verständnis für die Strategien<br />
der Konzernchefs in Gütersloh<br />
und Hamburg gehabt, die nun<br />
derart geballte Maßnahmen<br />
zur Folge haben.<br />
harald.schumacher@wiwo.de<br />
FOTOS: LAIF/STEFAN THOMAS KROEGER, G+J<br />
12 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
BAHN<br />
Konkurrenz<br />
aus England<br />
In Großbritannien ist Go Ahead<br />
der größte Bahnbetreiber. Zudem<br />
lenkt das börsennotierte<br />
Unternehmen die roten Doppeldeckerbusse<br />
durch London.<br />
In Deutschland will es jetzt den<br />
Nahverkehr auf der Schiene<br />
aufrollen. „Wir werden uns an<br />
einer kleinen Anzahl von<br />
Ausschreibungen beteiligen“,<br />
kündigt Deutschland-Chef<br />
Richard Stuart an. In zwei<br />
Verfahren habe das Unternehmen<br />
schon Gebote eingereicht.<br />
Wo, will Stuart nicht sagen. Experten<br />
gehen von mindestens<br />
einer Ausschreibung in Niedersachsen<br />
aus.<br />
Für die etablierten Anbieter<br />
im Nahverkehr wie die Deutsche<br />
Bahn, Veolia Verkehr und<br />
Abellio wird der Markt nun enger.<br />
Go Ahead arbeitet profitabel,<br />
setzte zuletzt 3,4 Milliarden<br />
Euro um.<br />
In Berlin unterhält es bereits<br />
ein Büro. „Wir fokussieren uns<br />
derzeit auf den Schienenpersonennahverkehr“,<br />
sagt Stuart,<br />
„aber wir werden auch andere<br />
Märkte wie den städtischen<br />
Busverkehr im Auge behalten.“<br />
christian.schlesiger@wiwo.de | Berlin<br />
CARSHARING<br />
Audi testet in<br />
Stockholm<br />
Audi-Vertriebsvorstand Luca<br />
de Meo test in Stockholm erstmals<br />
das Carsharing-Konzept<br />
des Autokonzerns. Es firmiert<br />
als Audi Unite, jeweils maximal<br />
fünf Personen teilen sich für ein<br />
Jahr oder zwei Jahre ein<br />
Auto – das Angebot<br />
reicht <strong>vom</strong> Kleinwagen<br />
A1 bis zum<br />
Wenn Teilen Luxus<br />
wird Audi-Modell R8<br />
TOP-TERMINE VOM 13.10. BIS 19.10.<br />
13.10. Wirtschaftsnobelpreis Die Königlich-Schwedische<br />
Wissenschaftsakademie gibt am Montag<br />
bekannt, wer den diesjährigen Nobelpreis für<br />
Wirtschaftswissenschaft erhält. Einziger deutscher<br />
Preisträger war Reinhard Selten 1994.<br />
Tourismus Auf dem Tourismusgipfel in Berlin berät<br />
die Branche über Folgen der Sharing Economy.<br />
Was Uber für Taxis, ist AirBnB für Hotels: Das Unternehmen<br />
vermittelt Privatzimmer an Reisende.<br />
14.10. EZB Der Europäische Gerichtshof<br />
verhandelt am Dienstag über<br />
eine Klage gegen die Europäische<br />
Zentralbank (EZB). Die Richter<br />
sollen klären, ob das EZB-Programm<br />
für den Ankauf von Anleihen<br />
notleidender Euro-Länder rechtens ist.<br />
Porsche Das Landgericht Hannover befasst sich<br />
mit der Klage gegen die Porsche-Holding. Anleger<br />
fordern rund zwei Milliarden Euro Schadensersatz.<br />
Sie werfen dem Autobauer mangelnde Informationen<br />
im Übernahmekampf mit VW 2008 vor.<br />
15.10. EZB Der Rat der Europäischen Zentralbank trifft<br />
sich am Mittwoch turnusmäßig in Frankfurt.<br />
Konjunktur Das Statistische Bundesamt nennt<br />
Details zur Entwicklung der Preise im September.<br />
Zwangsumtausch Der Europäische Gerichtshof<br />
verhandelt über den Zwangsumtausch griechischer<br />
Staatsanleihen. Private Anleger fordern von<br />
Griechenland Schadensersatz.<br />
18.10. SPD Die Berliner Sozialdemokraten zählen am<br />
Samstag das Mitgliedervotum zur Nachfolge des<br />
Berliner Regierungschefs Klaus Wowereit aus.<br />
Sportcoupé R8. Per App kann<br />
jeder Reservierungswünsche<br />
äußern sowie sehen, wo das<br />
Auto steht und wie viel Benzin<br />
noch im Tank ist.<br />
Das Premium-Sharing kostet<br />
monatlich pro Person je nach<br />
Modell zwischen 1439 und 8849<br />
schwedischen Kronen (160 und<br />
970 Euro). Die Rate enthält auch<br />
monatliche Reinigung und Reifenwechsel.<br />
Wann das Konzept<br />
nach Deutschland kommt und<br />
was es hier kosten wird, steht<br />
noch nicht fest. Stockholm habe<br />
Audi wegen seines guten Abschneidens<br />
bei Innovationsrankings<br />
und eines hohen Anteils<br />
weltoffener Menschen ausgewählt,<br />
erklärt der Autokonzern.<br />
Ein weiterer Grund dürfte sein,<br />
dass die Konkurrenz in der<br />
schwedischen Hauptstadt<br />
gering ist:Weder die<br />
Mercedes-Tochter<br />
Car2Go noch die BMW-<br />
Sixt-Kooperation Drive-<br />
Now sind vor Ort.<br />
rebecca.eisert@wiwo.de<br />
EZB<br />
Sänk ju for<br />
tränsleting<br />
Die Europäische Zentralbank<br />
(EZB) hat ihren Sitz zwar in<br />
Frankfurt am Main, aber offizielle<br />
Amtssprache ist Englisch.<br />
Viele deutsche Banken pochen<br />
aber auf einen Übersetzer,<br />
wenn sie mit den Notenbankern<br />
über die Bankenaufsicht<br />
sprechen. Die EZB hatte die<br />
Dolmetscher auch zugesagt.<br />
Doch nun ist der Sprachendienst<br />
der EZB völlig überfordert,<br />
mit so viel Bedarf der<br />
Da fehlen manchem die Worte<br />
EZB-Präsident Draghi<br />
Deutschen an Englisch-Nachhilfe<br />
hatte er nicht gerechnet.<br />
Außer der Deutschen Bank<br />
nutzen fast alle deutschen Institute<br />
das Übersetzungsangebot<br />
und ringen sich dann ein „Sänk<br />
ju for tränsleting“ ab. Die spanischen<br />
oder italienischen Finanzhäuser<br />
kommen dagegen<br />
ohne Übersetzer klar.<br />
Die Deutschen werden damit<br />
zum Problem für EZB-Präsident<br />
Mario Draghi, denn die<br />
Englisch-Verweigerer verzögern<br />
den gesamten Prozess: Die<br />
EZB führt derzeit einen Bilanzcheck<br />
bei den Banken auf Risiken<br />
durch und unterzieht die<br />
größten europäischen Institute<br />
einem Stresstest. Die Ergebnisse<br />
sollen am letzten Oktober-<br />
Wochenende veröffentlicht<br />
werden.<br />
In Finanzkreisen wird nun<br />
schon darüber spekuliert, dass<br />
das Datum möglicherweise<br />
nicht zu halten sei.<br />
angela.hennersdorf@wiwo.de | Frankfurt<br />
FOTOS: CORBIS IMAGES, PICTURE-ALLIANCE/DPA, PR<br />
14 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
CHEFSESSEL<br />
START-UP<br />
JUNG VON MATT<br />
Thomas Strerath, 48, geht<br />
einen Schritt, „den man<br />
sich gar nicht hätte ausdenken<br />
können“, so ein Insider<br />
der Werbebranche. Der<br />
Deutschland-Chef der Werbeagentur<br />
Ogilvy & Mather<br />
wechselt zum Konkurrenten<br />
Jung von Matt. Seit 2005 arbeitet<br />
Strerath bei Ogilvy, seit<br />
2009 leitet er den deutschen<br />
Ableger, der zum börsennotierten<br />
britischen Agenturkonzern<br />
WPP gehört. Bei<br />
Jung von Matt, einer inhabergeführten<br />
Agentur, wird<br />
der hoch angesehene Werber<br />
Vorstand und Teilhaber.<br />
Sein Vertrag mit Ogilvy läuft<br />
Ende August 2015 aus. Wer<br />
ihm dort nachfolgt, ist noch<br />
nicht bekannt.<br />
BAYER<br />
Otmar Wiestler, 57, Chef<br />
des Deutschen Krebsforschungszentrums,<br />
zieht in<br />
den Aufsichtsrat des Bayer-<br />
Konzerns ein. Dort löst der Mediziner<br />
den früheren Siemens-<br />
Chef Klaus Kleinfeld ab, der<br />
sein Mandat zum 30. September<br />
niedergelegt hat, um sich<br />
auf seine Posten in den USA zu<br />
konzentrieren, wo er den Technologiekonzern<br />
Alcoa leitet.<br />
Der Wechsel passt zum kürzlich<br />
verkündeten Strategiewechsel:<br />
Bayer will sich in den<br />
nächsten 12 bis 18 Monaten<br />
<strong>vom</strong> Industriegeschäft mit Chemikalien<br />
und Kunststoffen<br />
trennen und sich fortan vor allem<br />
auf die Gesundheitssparte<br />
konzentrieren.<br />
ADIDAS<br />
Karen Parkin, 49, steigt am<br />
1. November zur Personalchefin<br />
des Sportartikelherstellers<br />
auf. Sie folgt auf Matthias Malessa,<br />
54, der sich im Juli verabschiedet<br />
hat. 1997 kam die<br />
Britin als Vertriebsdirektorin<br />
zur britischen Adidas-Tochter,<br />
zuletzt verantwortete sie die<br />
weltweiten Lieferbeziehungen<br />
des Konzerns. Diese Aufgabe<br />
übernimmt IT-Chef Jan<br />
Brecht, 42, zusätzlich.<br />
AMD<br />
Lisa Su, 44, bisher für das operative<br />
Geschäft des amerikanischen<br />
Chipherstellers zuständig,<br />
übernimmt sofort den<br />
Chefposten dort. Der Wechsel<br />
kommt so plötzlich, dass AMD<br />
mit dem bisherigen Chef Rory<br />
Read, 52, noch gar nicht die Details<br />
über dessen Ausscheiden<br />
verhandelt konnte.<br />
APPLE<br />
53 Prozent<br />
der Besitzer mobiler Apple-Geräte haben das neue Betriebssystems<br />
iOS8 auch vier Wochen nach dessen Einführung noch nicht<br />
installiert. Anders 2013, als iOS7 herauskam. Damals waren es<br />
nur 30 Prozent, die das System in den ersten Wochen nicht geladen<br />
hatten. Grund sind jetzt Probleme mit der neuen Software.<br />
UNICOACH<br />
Quora für Studenten<br />
Als Benjamin Bauer (Mitte) vor zwei Jahren noch an der Universität<br />
Erlangen-Nürnberg studierte, nervte ihn das umständliche<br />
Erstellen eines Stundenplans. Mit seinen Kommilitonen Andreas<br />
Wünsche (links) und Jan Hohner (rechts) entwickelte er daher<br />
ein eigenes Programm. „Nach vier Tagen nutzten es 1000 Studenten“,<br />
sagt Bauer. Inzwischen erstellen 60 Prozent der Nürnberger<br />
Studenten ihren Stundenplan mit dem Tool.<br />
Nun haben die drei ihr Angebot erweitert und wollen mit ihrem<br />
Start-up UniCoach zum zentralen Informationsportal für Studenten<br />
werden. Zum jetzt beginnenden Wintersemester starten sie<br />
damit für die 25 größten deutschen Hochschulen. „Bislang organisieren<br />
die Studenten sich in Facebook-Gruppen und Foren“, sagt<br />
Bauer. Analog zu bekannten Frage-Antwort-Portalen wie Quora<br />
oder Gute-Frage sollen bei UniCoach Professoren und Prüfungsämter<br />
den Studenten helfen.<br />
Geld verdienen die Gründer bisher durch Werbung, künftig<br />
wollen sie sich als Dienstleister für Hochschulsoftware finanzieren.<br />
„Um Lehrpläne zu erstellen, werden Word-Dokumente mit<br />
400 Seiten von Lehrstuhl<br />
zu Lehrstuhl geschickt“,<br />
Fakten zum Start<br />
Team derzeit 7 Mitarbeiter<br />
Angebot das Stundenplan-Tool<br />
enthält die Daten von 300 000<br />
Vorlesungen<br />
Kunden bisher 5000 Nutzer<br />
sagt Unternehmensgründer<br />
Bauer. Er will helfen,<br />
diese Prozesse zu digitalisieren.<br />
Den ersten Auftrag<br />
hat er schon von der<br />
Nürnberger Universität<br />
erhalten.<br />
oliver.voss@wiwo.de<br />
FOTOS: PR (3)<br />
16 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Menschen der Wirtschaft | Chefbüro<br />
Johannes Teyssen<br />
Vorstandsvorsitzender des Energiekonzerns E.On<br />
Der lang gestreckte Tisch aus<br />
massivem Kirschholz beherrscht<br />
fast das gesamte Arbeitszimmer<br />
in der Düsseldorfer<br />
Konzernzentrale. „Wo vorn und<br />
hinten ist, kann ich selbst bestimmen“,<br />
sagt Johannes Teyssen,<br />
54, und setzt sich ans obere<br />
Ende des Unikats. Dort entgeht<br />
dem Chef des größten deutschen<br />
Energiekonzerns E.On<br />
nichts. Teyssen sieht, wer durch<br />
die Bürotür kommt und kann in<br />
ruhigeren Minuten auch mal einen<br />
Blick hinunter auf den nahen<br />
Rhein werfen. Seit Mai 2010<br />
steht der promovierte Jurist und<br />
Volkswirt an der Spitze des Unternehmens,<br />
das 2000 aus der<br />
Fusion der beiden Mischkonzerne<br />
Veba und Viag entstand.<br />
122,5 Milliarden Euro<br />
360 Grad<br />
In unseren App-<br />
<strong>Ausgabe</strong>n finden<br />
Sie an dieser<br />
Stelle ein interaktives<br />
360°-Bild<br />
setzte der Strom- und<br />
Gaslieferant im vergangenen<br />
Jahr um,<br />
mehr als 62000 Beschäftigte<br />
arbeiten<br />
derzeit für ihn. Teyssen<br />
selbst bezeichnet<br />
sich als „hausgemacht“.<br />
1986 fing er bei der ehemaligen<br />
Versorgungstochter<br />
PreussenElektra in Hannover<br />
an, die später zu E.On kam. Im<br />
Konzern durchlief er eine „klassische<br />
Kaminkarriere“. Bodenständig<br />
ist er geblieben. „Wer<br />
mit mir spricht, soll auf Augenhöhe<br />
sitzen“, sagt er. Sein 35<br />
Quadratmeter großes Büro passt<br />
zu dieser selbst auferlegten Zurückhaltung:<br />
keine<br />
Statussymbole, nicht<br />
einmal ein Wimpel<br />
seines Lieblingsvereins<br />
Bayern München<br />
ist zu entdecken.<br />
Stattdessen hängen<br />
an den weißen Wänden<br />
zwei Bilder: ein<br />
Original des deutschen Malers<br />
und Bildhauers Horst Antes und<br />
ein surrealistisches Werk des<br />
amerikanischen Künstlers Robert<br />
Motherwell mit dem Titel<br />
„Black Mozart“. Dass Teyssen ein<br />
Faible für moderne Kunst hat,<br />
zeigen die akkurat ausgerichteten<br />
Kunst-und Fotobände auf<br />
dem Sideboard in seinem Chefzimmer.<br />
Auch die Familie ist<br />
präsent. Mehrere Fotos seiner<br />
Frau zusammen mit ihren vier<br />
Kindern hat der E.On-Manager<br />
um seinen Monitor gruppiert.<br />
„Meine Familie bekommt von<br />
mir immer Streicheleinheiten“,<br />
sagt Teyssen, lacht und zeigt auf<br />
sein Mauspad mit Familienfoto.<br />
ulrich.groothuis@wiwo.de<br />
FOTO: STEFAN KRÖGER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
18 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Kampf dem Kalifat<br />
TERRORISMUS | So brutal die islamistischen Milizen im Irak und in Syrien auch wüten –<br />
der Westen wähnt sie weit weg. Doch die Folgen des Kriegs bekommt die ganze Welt zu<br />
spüren. Europas Sicherheit ist in Gefahr, neue Risiken bedrohen die Weltwirtschaft.<br />
Zynisch wirkt Wirtschaft, wenn<br />
sie selbst übelste Grausamkeiten<br />
in diesen kriegerischen Zeiten<br />
kalt zu lassen scheint. Seit<br />
vier Monaten morden und<br />
brandschatzen sich radikale Islamisten<br />
durch den Irak und Syrien – ohne dass der<br />
Ölpreis panisch Kapriolen dreht. Im Norden<br />
Syriens trennen köpfende Killer des<br />
sogenannten „Islamischen Staats“ („IS“)<br />
keine drei Kilometer von türkischem Boden<br />
– wirtschaftlich ist dort aber bislang alles<br />
noch im Lot. Im Dunkelreich der Illegalität<br />
gelingt es der Terror-Miliz sogar, das<br />
im Nordirak erbeutete Öl zu Geld zu machen,<br />
um damit und mit Spendengeldern<br />
aus aller Welt weiter Waffen zu kaufen.<br />
Zwar geraten islamistische Fanatiker<br />
und Kurden – wie Mitte vergangener Woche<br />
– auch in deutschen Städten aneinander,<br />
doch noch wähnen wir unsere Wirtschaft<br />
nicht in Gefahr. Ein Trugschluss!<br />
Denn der Terror in Nahost gefährdet die<br />
Sicherheit auch in Europa und stellt die<br />
Nato vor eine schwere Probe. Die Kosten<br />
werden in die Milliarden gehen – auch für<br />
Deutschland. Und neben dem Staat werden<br />
auch die Unternehmen zahlen.<br />
Das Gefährliche und Neue an dieser<br />
Krise ist ihre Grenzenlosigkeit, sagt Josef<br />
Janning <strong>vom</strong> European Council on Foreign<br />
Relations in Berlin. Da sich Staaten<br />
wie Syrien und der Irak als funktionsunfähig<br />
erweisen, werden „nationale Identitäten<br />
von religiösen Ideologien zerstört“.<br />
In Ländern mit gesellschaftlichen Konflikten<br />
fängt der radikale Islamismus jene<br />
auf, die sich in nationalen Grenzen nicht<br />
(mehr) aufgehoben fühlen. Dem „IS“-<br />
Vorbild folgend, könnten Grenzen auch in<br />
Libyen und Myanmar, Indonesien oder<br />
Pakistan infrage gestellt werden, fürchtet<br />
FOTO: LAIF/POLARIS/PUBLIC DOMAIN<br />
20 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Knapp<br />
1 Mrd.<br />
Dollar<br />
hat die USA<br />
der Kampf<br />
gegen den<br />
Terror bislang<br />
gekostet<br />
Janning: „So geraten weltweit politische<br />
Ordnungen in Gefahr, auf denen unsere<br />
Sicherheitsarchitektur ruht.“<br />
Kein Wunder, dass sich der stoischen<br />
Ruhe an den Märkten zum Trotz nun<br />
Ökonomen um die Weltwirtschaft sorgen:<br />
Vergangene Woche senkte der Internationale<br />
Währungsfonds (IWF) seine Prognose<br />
für das Wachstum des globalen Bruttoinlandsprodukts<br />
für 2014 auf 3,3 Prozent<br />
– im April ging der IWF noch von 3,7 Prozent<br />
aus. Krisen wie die in Nahost könnten<br />
weit über die Region hinaus Schaden<br />
anrichten.<br />
Die Politik ist alarmiert. Behörden richten<br />
sich auf Attacken in Deutschland ein,<br />
immerhin nutzen Terrorzellen das liberal-naive<br />
Deutschland mit Erfolg als Versteck.<br />
Schon mehren sich Stimmen, wie<br />
die Bundeswehr um- und aufgerüstet<br />
werden sollte, damit sie in Kampfeinsätzen<br />
eine größere Hilfe sein kann (siehe<br />
Seite 30). Bereits heute kostet die Flucht<br />
von Millionen viele Staaten Milliarden,<br />
auch Deutschland wird die <strong>Ausgabe</strong>n für<br />
humanitäre Hilfe weiter aufstocken müssen.<br />
Jene für den Wiederaufbau werden<br />
später, aber mit Wucht folgen.<br />
Deutsche Unternehmen müssen auf<br />
Großaufträge im arabischen Raum verzichten,<br />
wenn wegen des Terrors Kraftwerke<br />
oder Wasserwege vorerst nicht gebaut<br />
werden. Mit der Türkei droht ein<br />
wichtiger Wirtschaftspartner an der fast<br />
gelöst geglaubten Kurdenfrage zu zerbrechen.<br />
Flughäfen müssen in die Sicherheit<br />
investieren, Reedereien Schifffahrtsrouten<br />
umplanen. Dabei hat der neue Kampf<br />
gegen den Terror erst begonnen – und ein<br />
Ende ist noch lange nicht Sicht. Welche<br />
Folgen sich bereits jetzt absehen lassen,<br />
lesen Sie auf den nächsten Seiten. »<br />
WirtschaftsWoche <strong>13.10.2014</strong> Nr. 42 21<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Schätzungen<br />
nach kämpfen<br />
30000<br />
Mann für die<br />
radikalen<br />
„IS“-Milizen<br />
Militäreinsatz<br />
BIS ZU 22 MILLIARDEN DOLLAR<br />
WERDEN DIE USA IN DEN KAMPF<br />
GEGEN DIE „IS“-MILIZEN STECKEN.<br />
Mit viel Knall und Rauch hatte sich die erste<br />
Milliarde Dollar bis Anfang Oktober in<br />
Luft aufgelöst:Der Einsatz gegen den „Islamischen<br />
Staat“ („IS“) in Syrien und im Irak<br />
kostete die USA bis Ende September zwischen<br />
780 und 930 Millionen Dollar,<br />
schätzt der Washingtoner Thinktank Center<br />
for Strategic and Budgetary Assessments<br />
(CSBA). Für die Berechnung der<br />
künftigen Kosten haben die Militärexperten<br />
drei Szenarien entwickelt: Entweder<br />
die USA beschränken sich auf begrenzte<br />
Luftschläge, es kommt zu intensiven Luftangriffen<br />
– oder sie setzen im „worst case“<br />
Bodentruppen ein.<br />
Im ersten Fall geht das CSBA von 90 Luftangriffen<br />
pro Tag aus, was, auf den Monat<br />
gerechnet, mit 200 bis 320 Millionen Dollar<br />
zu Buche schlüge. Im zweiten Szenario<br />
würde es etwa 120 Einsätze täglich geben,<br />
flankiert von 5000 Soldaten. Dann kämen<br />
Kosten von 350 bis 570 Millionen Dollar im<br />
Monat auf die USA zu. Die Entsendung von<br />
etwa 25 000 Mann am Boden würde die<br />
monatliche Rechnung auf bis zu 1,8 Milliarden<br />
Dollar steigen lassen. Während jeder<br />
Soldat in Nahost jährlich gut eine Million<br />
Dollar kostet, fallen Materialkosten bei<br />
Lufteinsätzen weniger ins Gewicht. Ein Raketenangriff<br />
kostet 1,5 Millionen Dollar, ein<br />
Kampfjet fliegt für 20 000 Dollar die Stunde.<br />
Aufs Jahr gerechnet, werde der Krieg gegen<br />
den „IS“ also zwischen 2,4 und 22 Milliarden<br />
Dollar kosten, schätzt CSBA-Budgetexperte<br />
Todd Harrison. Ein solcher Betrag<br />
ist für die Amerikaner nicht ungewöhnlich.<br />
Der „War on Terror“, den die<br />
USA nach den Anschlägen <strong>vom</strong> 11. September<br />
2001 begannen, verschlang nach<br />
vorsichtigen Schätzungen 4375 Milliarden<br />
Dollar, pro Bürger also knapp 14 000 Dollar.<br />
Zu diesem Ergebnis kommt das Eisenhower<br />
Research Project der Brown University<br />
im US-Bundesstaat Rhode Island.<br />
„Winzig“ empfindet die Kosten im<br />
„IS“-Krieg der Budgetexperte Harrison –<br />
sofern man sie mit dem Etat des US-Verteidigungsministeriums<br />
(550 Milliarden Dollar)<br />
vergleicht oder an den jährlichen <strong>Ausgabe</strong>n<br />
im Irak (bis zu 164 Milliarden Dollar)<br />
und Afghanistan (bis zu 122 Milliarden<br />
Dollar) misst. Sollte die US-Regierung allerdings<br />
einen jahrelangen Anti-Terror-Krieg<br />
führen, um auch den letzten Terroristen<br />
„bis an die Pforten der Hölle zu jagen“ (US-<br />
Vizepräsident Joe Biden), würde die Rechnung<br />
von maximal 22 Milliarden Dollar<br />
weit überzogen. Über dieses Risiko spricht<br />
derzeit in Washington niemand.<br />
Energiemärkte<br />
ES IST PARADOX: TROTZ DES KRIEGS<br />
IN NAHOST IST DER ÖLPREIS SEIT<br />
JUNI UM 24 DOLLAR GESUNKEN.<br />
Natürlich machen sich Erdölverbraucher<br />
und -händler Gedanken über Terror und<br />
Krieg im Nahen Osten. Die Region hat einen<br />
Anteil von 32 Prozent an der Weltproduktion<br />
und verfügt über 48 Prozent der<br />
gesicherten und wirtschaftlich nutzbaren<br />
Erdölvorkommen. So ließe sich leicht erklären,<br />
dass der Rohölpreis am Handelsplatz<br />
London, bei Jahresanfang 2014 und<br />
noch Monate danach stabil um die 110<br />
Dollar, im Juni auf 115 Dollar hochschnellte,<br />
als die „IS“-Krieger die irakische Großstadt<br />
Mossul einnahmen, die größte Raffinerie<br />
des Landes belagerten und auf die<br />
Hauptstadt Bagdad marschierten.<br />
Seither ist die Terrortruppe nicht schwächer<br />
geworden, der Ölpreis in London aber<br />
22 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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40000<br />
Barrel Erdöl<br />
werden jeden<br />
Tag aus dem<br />
„IS“-Gebiet in<br />
die Türkei<br />
geschmuggelt<br />
FOTOS: REUTERS/STRINGER, VISUM/PANOS PICTURES/DAVID ROSE<br />
stetig gefallen, inzwischen auf etwa 91 Dollar.<br />
Das liegt an den weltweit eher schlechten<br />
Konjunkturaussichten, aber auch an<br />
der Hoffnung, die „IS“-Krieger würden den<br />
Vormarsch in Richtung der großen Ölfelder<br />
im Südirak niemals schaffen. „Über 90<br />
Prozent unseres Ölexports stammt doch<br />
aus dem Süden und wird im Hafen Basra<br />
verschifft“, betont der neue irakische Erdölminister<br />
Adil Abd al-Mahdi, „da muss sich<br />
niemand Sorgen machen.“ Den Ausfall der<br />
Ölproduktion im irakischen Norden kann<br />
der Weltmarkt leicht verkraften. Denn<br />
weltweit geht die Erdölnachfrage derzeit<br />
zurück. Großkunden wie die USA machen<br />
sich durch Fracking und andere neue<br />
Techniken zunehmend unabhängig von<br />
Ölscheichs, Mullahs und Gotteskriegern.<br />
„Solange die Opec keinerlei Anstalten<br />
macht, das Angebot zu reduzieren, dürften<br />
die Preise unter Druck bleiben“, sagt der<br />
Energieexperte Eugen Weinberg von der<br />
Commerzbank in Frankfurt. Eine solche<br />
Politik der großen arabischen Produzenten<br />
ist unwahrscheinlich. Ostasiatische Kunden<br />
der Saudis berichten von Preisnachlässen<br />
für langfristige Kontrakte: Das Königreich<br />
will seinen Marktanteil halten –<br />
und die hohen Einnahmen aus dem Ölgeschäft.<br />
Die sind bitter nötig, wenn das Land<br />
ernsthaft in den Kampf gegen die „IS“-<br />
Terroristen einsteigen will. Ideologisch ist<br />
die saudische Gesellschaft für die Propaganda<br />
des Kalifatstaats extrem anfällig. Um<br />
dagegenzuhalten, braucht die Herrscherfamilie<br />
Geld für sozialpolitische Wohltaten.<br />
Investitionsklima<br />
DEUTSCHE ANLAGENBAUER HABEN<br />
2013 IN NAHOST ANLAGEN FÜR 2<br />
MILLIARDEN EURO VERKAUFT.<br />
Es sind eben nicht nur Syrien und der Irak,<br />
die der Kalifatstaat mit seinen Horden bedroht.<br />
Keine Gesellschaft der Region ist erhaben<br />
über die radikalen Ideologien. Die<br />
potenzielle Instabilität durch den Terror in<br />
der Nachbarschaft belastet das Investitionsklima<br />
in Nahost insgesamt. 2013 gingen<br />
von dort Aufträge für Großanlagen wie<br />
Chemie- oder Kraftwerke in Höhe von zwei<br />
Milliarden Euro ein. So konnten die deutschen<br />
Hersteller ihr Minus im Asien-Geschäft<br />
teils kompensieren, wo Chinesen inzwischen<br />
lieber bei Chinesen bestellen.<br />
Doch jetzt lähmt der Terror das Geschäft.<br />
Etwa im Libanon, wo vergangene Woche<br />
die Islamisten erstmals angriffen. Kämpfe<br />
zwischen Schiiten und Sunniten könnten<br />
das kleine Land schnell ins Chaos stürzen.<br />
Der Aufschwung der vergangenen zwei<br />
Jahrzehnte wäre abrupt beendet. Dabei ist<br />
der Libanon mit seinen Finanzbeziehungen<br />
zu den reichen Golfstaaten ein wichtiges<br />
Steinchen im Mosaik der Wirtschaftsordnung<br />
in Nahost. So wichtig der Libanon<br />
für die Wirtschaft ist, so entscheidend ist<br />
Jordanien für die geopolitische Stabilität:<br />
Das Land ist ein hochgerüsteter Puffer zwischen<br />
Israel und dem Irak, zwischen Saudi-Arabien<br />
und Syrien. Jordaniens prowestlicher<br />
und ziemlich autoritärer König<br />
regiert gut ausgebildete, aber oft arbeitslose<br />
Untertanen, die gemäßigt islamistische<br />
Parteien wählen – noch.<br />
All das mag die Weltwirtschaft ertragen,<br />
solange das große Saudi-Arabien nicht attackiert<br />
wird. Aber wie sicher ist das? Kritiker<br />
meinen, die so befremdliche Ideologie<br />
der „IS“-Terroristen sei die logische Konsequenz<br />
aus den Lehren der in Saudi-Arabien<br />
staatlich verordneten Spielart des Islam.<br />
Und fände darum auch Anhänger unter<br />
saudischen Untertanen, die <strong>vom</strong> Ölreichtum<br />
persönlich nicht profitiert haben.<br />
Erst recht in Jordanien. Und im Libanon.<br />
Und so weiter.<br />
»<br />
WirtschaftsWoche <strong>13.10.2014</strong> Nr. 42 23<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Finanzplatz<br />
Beirut: Das<br />
Zentrum für<br />
wachsende<br />
Geschäfte mit<br />
der Region ist<br />
in Gefahr<br />
Luftverkehr<br />
LUFTSICHERHEIT IN DEUTSCHLAND<br />
KOSTET HEUTE 450 MILLIONEN EU-<br />
RO PRO JAHR. AIRLINES FÜRCHTEN<br />
SCHÄRFERE KONTROLLEN.<br />
Vielleicht kommt der Terror schon bald in<br />
Deutschland an. Vor allem der zivile Luftverkehr<br />
unterliege „gegenüber anderen<br />
Verkehrsträgern einer besonderen Gefährdung<br />
durch den internationalen Terrorismus“,<br />
heißt es im Bundesinnenministerium.<br />
Deutschland werde <strong>vom</strong> „IS“ „bislang<br />
nicht öffentlich als Ziel propagiert“. Da die<br />
Bundesrepublik aber Teil der Anti-Terror-<br />
Koalition ist, heißt es im Ministerium,<br />
„können deutsche Einrichtungen ins Zielspektrum<br />
geraten“.<br />
Im Falle der Eskalation würden Sicherheitsmaßnahmen<br />
auch an den Flughäfen<br />
deutlich verschärft werden müssen. Vorgaben<br />
wie etwa das Flüssigkeiten-Verbot an<br />
Bord verlängern im besten Fall den Sicherheitscheck.<br />
Andere kosten richtig Geld. So<br />
müssen EU-Flughäfen seit einigen Jahren<br />
vermeiden, dass ankommende Passagiere<br />
aus Nicht-Schengen-Staaten auf abfliegende<br />
Reisende treffen. Baumaßnahmen haben<br />
allein den Frankfurter Flughafen einen<br />
dreistelligen Millionenbetrag gekostet.<br />
Sollte der „IS“ mit Anschlägen auf die<br />
Luftverkehrswirtschaft drohen, wären<br />
wohl zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen<br />
nötig. Zum Beispiel könnte die Sensibilität<br />
der Torsonden erhöht, die Kontrolle per<br />
Hand für jeden Fluggast vorgeschrieben<br />
oder sogar Handgepäck generell verboten<br />
werden. „Die Kontrollen sind beliebig erweiterbar“,<br />
sagt ein Kenner der Flughafensicherheit.<br />
Zusätzliches Personal wäre erforderlich,<br />
die Preise würden steigen.<br />
Schon heute tragen alle Fluggäste mit einer<br />
Luftsicherheitsgebühr von bis zu zehn Euro<br />
zu den 450 Millionen Euro Sicherheitskosten<br />
bei – dieser Posten könnte künftig<br />
deutlich höher ausfallen.<br />
Deutsche Airlines beobachten die Entwicklungen<br />
in Nahost aufmerksam. Zumal<br />
der „IS“-Terror sie zwingen könnte, riskante<br />
Lufträume zu umfliegen. So fliegt die<br />
Lufthansa seit einem Jahr nicht mehr über<br />
syrisches Gebiet. Auch den Südirak meiden<br />
die Kraniche seit August dieses Jahres.<br />
Die Lufthansa-Flüge würden dadurch aber<br />
nur wenige Minuten länger dauern, Mehrkosten<br />
seien „vernachlässigbar“, heißt es im<br />
Konzern. Wenn ganz Vorderasien umflogen<br />
werden müsste, würde das aber teurer<br />
werden.<br />
Flüchtlinge<br />
FÜR JEDEN DER 30 000 FLÜCHTLIN-<br />
GE GIBT DER DEUTSCHE STAAT PRO<br />
JAHR RUND 11 600 EURO AUS.<br />
Seit Sommer vergangenen Jahres sind fast<br />
30 000 syrische Flüchtlinge nach Deutschland<br />
gekommen. Mit mehr als 3000 Asylsuchenden<br />
pro Monat stellen die Syrer die<br />
größte Flüchtlingsgruppe, aber der Zustrom<br />
an Flüchtlingen aus dem Irak<br />
schwillt ebenfalls an: Allein im Juli waren<br />
es mehr als 1600. Für die Flüchtlinge zu<br />
sorgen gilt als humanitäre Selbstverständlichkeit<br />
– aber die kostet Geld. Die Kosten<br />
zu beziffern ist allerdings schwierig, da sie<br />
zwischen Bund, Ländern und Gemeinden<br />
aufgeteilt werden. Das größte Los zahlen<br />
Kommunen, die für Unterbringung, Verpflegung<br />
und medizinische Versorgung zuständig<br />
sind. Eine Abfrage bei den Ländern<br />
zeigt: Niedersachsen (5932 Euro jährlich<br />
pro Flüchtling), Rheinland-Pfalz (6042 Euro)<br />
und Sachsen (6000 Euro) zahlen niedrige<br />
Pauschalen, Brandenburg ist mit 9100<br />
Euro pro Flüchtling am spendabelsten.<br />
Es ist jedoch schwer abschätzbar, welcher<br />
Anteil der tatsächlichen Kosten von<br />
diesen Pauschalen gedeckt wird. Denn von<br />
Bund und Ländern bekommen die Kom-»<br />
24 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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INTERVIEW Alois Stutzer<br />
»Angst kostet Freiheit«<br />
Der Wirtschaftsprofessor von der Universität Basel erklärt, warum wir<br />
auf Terrorismus übertrieben reagieren – und wie er uns beeinflusst.<br />
FOTOS: LAIF/POLARIS/MARO KOURI, PR<br />
Herr Stutzer, laut einer aktuellen Umfrage<br />
haben 63 Prozent der Deutschen<br />
Angst vor terroristischen Anschlägen.<br />
Überrascht Sie diese hohe Quote?<br />
Nein. Wir wissen aus der Forschung,<br />
dass Menschen seltene jedoch momentan<br />
präsente Ereignisse, wie einen Terroranschlag,<br />
systematisch überschätzen.<br />
Selbst wenn ich auf dem Bürgersteig gehe,<br />
ist die Wahrscheinlichkeit, von einem<br />
Auto angefahren zu werden, höher,<br />
als einem Anschlag zum Opfer zu fallen.<br />
Warum haben wir dann so viel mehr<br />
Angst vor Terroristen als vor Autos?<br />
Neue Risiken erhalten in den Medien eine<br />
viel höhere Aufmerksamkeit. Als vor<br />
einigen Wochen der Verdacht auf eine<br />
Terrorzelle in der Schweiz publik wurde,<br />
gab es in unseren Nachrichten eine Vielzahl<br />
von Beiträgen dazu. Die Berichterstattung<br />
verzerrt die Wahrnehmung.<br />
Es sind aber nicht nur die traditionellen<br />
Medien, die berichten. Die Terroristen<br />
selbst verbreiten ihre Videos über soziale<br />
Kanäle. Macht das die Bedrohung für<br />
uns unmittelbarer?<br />
Das gehört zur Strategie der Dschihadisten.<br />
Ein normaler Mensch kann diese<br />
Grausamkeit überhaupt nicht begreifen,<br />
bekommt sie aber dennoch in Bild und<br />
Ton präsentiert. Das überfordert uns. Die<br />
Medien sollten darüber nachdenken,<br />
solche Gräueltaten nicht mehr zu zeigen.<br />
Damit würden sie weniger Angst verbreiten<br />
und den Islamisten einen Hebel –<br />
auch bei der Rekrutierung – entziehen.<br />
Im Internet wären die Bilder dennoch<br />
auffindbar.<br />
Dort muss man sie aber aktiv suchen.<br />
Aber klar, eine koordinierte Selbstzensur<br />
ist in Zeiten der sozialen Medien kaum<br />
möglich.<br />
DER PSYCHOLOGE<br />
Stutzer, 42, lehrt<br />
Wirtschaft an der<br />
Universität Basel und<br />
erforscht das Zusammenspiel<br />
von Ökonomie<br />
und Psychologie.<br />
Hat die diffuse Furcht vor Terror auch<br />
Auswirkungen auf unser Handeln?<br />
Sicher. Nach dem 11. September 2001 etwa<br />
haben viele US-Amerikaner auf Flüge<br />
verzichtet und sind auch weite Strecken<br />
mit dem Auto gefahren. Mit fatalen Folgen:<br />
Viele sind bei Unfällen gestorben,<br />
weil sie total übermüdet gefahren sind.<br />
Haben die Deutschen auch schon solche<br />
vermeintlichen Sicherheitsstrategien<br />
gegen den „IS“-Terror entwickelt?<br />
Ja, aber in kleinerem Ausmaß. Touristen<br />
suchen sich etwa andere Reiseziele. Diese<br />
Reaktion kennen wir schon länger:<br />
Wenn beispielsweise die ETA in Spanien<br />
angekündigt hatte, an der Costa Brava<br />
Touristen ins Visier zu nehmen, sind die<br />
Buchungen runtergegangen. Vielleicht<br />
halten sich die Deutschen unterbewusst<br />
auch schon seltener an öffentlichen Plätzen<br />
auf. Aber für weitere Gegenstrategien<br />
ist die Gefahr hierzulande zu diffus.<br />
Folgen gibt es dennoch, wenn sich die<br />
Bevölkerung vor Terrorismus ängstigt?<br />
Natürlich. Zum Beispiel wächst derzeit<br />
die Skepsis gegenüber dem Islam. Das<br />
könnte den Zusammenhalt unserer Gesellschaft<br />
belasten. Und auch das Spannungsfeld<br />
zwischen Sicherheit und Freiheit<br />
droht sich erneut zu verschieben,<br />
weil Staaten ihre Bürger beschützen wollen<br />
– neue Kameras an öffentlichen Plätzen,<br />
verschärfte Kontrollen im Internet.<br />
Hier kostet Angst nicht nur Geld, sondern<br />
auch Freiheit. Wichtig wäre, dass<br />
solche Maßnahmen mit einem Ablaufdatum<br />
versehen werden, sodass sie<br />
automatisch wieder außer Kraft treten.<br />
Welche konkrete Auswirkung auf unser<br />
ökonomisches Handeln hat Angst?<br />
Die Forschung zeigt, dass Menschen, die<br />
nicht direkt bedroht sind – also wie die<br />
Deutschen –, in solchen Situationen<br />
eher sparen. Sie wollen sich absichern,<br />
weil turbulente Zeiten bevorstehen.<br />
Menschen aus den Krisengebieten reagieren<br />
anders. Sie konsumieren stärker,<br />
denn wer baut schon ein Haus, wenn es<br />
morgen vielleicht zerstört wird. n<br />
kristin.schmidt@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche <strong>13.10.2014</strong> Nr. 42 25<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Libanon und<br />
die Türkei<br />
nehmen je<br />
1 Mio.<br />
Flüchtlinge<br />
vor der Terrormiliz<br />
in Schutz<br />
»<br />
munen Zuschüsse. Aufschlussreich sind<br />
daher die Werte aus Schleswig-Holstein, einem<br />
Land, das bislang noch recht gut mit<br />
den Flüchtlingsströmen klarkommt. Hier<br />
bekommen die Städte 70 Prozent der Kosten<br />
erstattet, zuletzt waren es 8126 Euro pro<br />
Flüchtling. Das bedeutet: Die Unterbringung<br />
eines Flüchtlings kostet insgesamt gut<br />
11 600 Euro im Jahr, das kann als Anhaltspunkt<br />
für einen Bundesdurchschnitt gelten.<br />
Aber die Kapazitäten sind schon an<br />
den Grenzen: Die Stadt Düsseldorf mietet<br />
Hotelzimmer an, da keine Quartiere mehr<br />
frei sind. Das kostet sie mehr als 1000 Euro<br />
im Monat, allein für die Unterbringung. Einige<br />
Bundesländer haben bereits angekündigt,<br />
ihre Pauschalen deutlich zu erhöhen.<br />
Humanitäre Hilfe<br />
SYRIENS NACHBARN VERKRAFTEN<br />
DIE FLÜCHTLINGE NICHT. NUN HILFT<br />
BERLIN MIT 145 MILLIONEN EURO.<br />
Geradezu knausrig sind die Deutschen bei<br />
der Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien<br />
und dem Irak – zumal, wenn man die Migrationspolitik<br />
der armen Anrainerländer<br />
Jordanien und Libanon als Maßstab ansetzt.<br />
Letzteres hat bis dato Flüchtlinge im<br />
Umfang eines Viertels seiner Bevölkerung<br />
aufgenommen. Das wäre, als wenn die<br />
Deutschen 20 Millionen Flüchtlinge aufnehmen<br />
müssten. Dabei kann sich weder<br />
Jordanien noch der Libanon eine solche<br />
Großzügigkeit leisten. Den Libanon besuchte<br />
kürzlich der Bundestagsabgeordnete<br />
Omid Nouripour (Grüne). „Viele Syrer<br />
leben dort auf Müllhalden, es gibt oft kein<br />
fließendes Wasser und keinen Strom“, sagt<br />
er. In vielen Schulklassen gebe es inzwischen<br />
mehr syrische als libanesische Kinder,<br />
was soziale Spannungen anheize. Der<br />
Haushaltsausschuss bewilligte vergangene<br />
Woche zusätzliche 145 Millionen Euro für<br />
humanitäre Hilfe in der Region. Das reicht<br />
nicht, sagt Nouripour – er verlangt 400 Millionen<br />
Euro an Nothilfe für das laufende<br />
Jahr. Das sei der Bedarf, den die Vereinten<br />
Nationen ermittelt hätten.<br />
Auf längere Sicht werden die Kosten jene<br />
der schnellen Hilfe weit übersteigen: Große<br />
Teile der Infrastruktur in Syrien und im<br />
Irak sind zerstört, die Länder mit „IS“-Präsenz<br />
sind wirtschaftlich nicht funktionsfähig.<br />
Der Irak etwa mag viel Öl haben – doch<br />
soziale Konflikte in der Gesellschaft lassen<br />
sich nicht lösen, wenn es wegen Korruption<br />
ungleich verteilt wird. Es wird Aufgabe<br />
des Westens sein, solche Länder zum<br />
Funktionieren zu bringen: Korruptionsbekämpfung,<br />
gute Regierungsführung, Entwicklung<br />
des ländlichen Raums – Entwicklungshelfer<br />
werden sich in zahlreicher werdenden<br />
„failed states“ austoben können.<br />
Aufrüstung<br />
EIN KILOMETER GRENZE KOSTET<br />
SAUDI-ARABIEN 800 000 EURO. AUCH<br />
DIE TÜRKEI WIRD INVESTIEREN.<br />
Militärische Kosten für Deutschland halten<br />
sich in Grenzen. Berlin liefert Waffen im<br />
Wert von rund 70 Millionen Euro an kurdische<br />
Peschmerga – Kosten für Transport<br />
und Schulung kommen hinzu. Die Bundeswehr<br />
könnte den Kurden auch ein Ausbildungszentrum<br />
bauen, schlug Bundesverteidigungsministerin<br />
Ursula von der<br />
Leyen (CDU) vor. Zudem sind 270 deutsche<br />
Soldaten in der Türkei im Einsatz, um<br />
mit Patriot-Raketenabwehrsystemen die<br />
Grenze zu schützen. Offiziell ist das ein<br />
Bündnis-Einsatz, keiner gegen Terror, wie<br />
ein Sprecher betont. Die Kosten der Operation<br />
ließen sich noch nicht beziffern.<br />
Derweil steigt der politische Druck, dass<br />
sich die Deutschen auch am Luftkrieg be-<br />
26 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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FOTO: VISUM/PANOS PICTURES/BRIAN SOKOL<br />
iPad<br />
In unserer App-<br />
<strong>Ausgabe</strong> finden<br />
Sie eine Zeitleiste<br />
über die Entwicklung<br />
des „IS“<br />
teiligen. Das wäre für die Politik das Höchste,<br />
was dem pazifistischen deutschen Michel<br />
zu vermitteln wäre (siehe Seite 30).<br />
Hinter den Kulissen ist zudem eine Diskussion<br />
über die Strategie der Bundeswehr im<br />
Gange: Was kann, will oder soll die Bundeswehr<br />
in der sicherheitspolitischen Allianz<br />
des Westens tun? Geht es künftig wieder<br />
um Landesverteidigung, oder soll die<br />
Armee auch anderswo kämpfen können?<br />
Braucht sie Transportkapazitäten, moderne<br />
Aufklärungssysteme oder beides?<br />
In jedem Fall wird der Wehretat steigen,<br />
sagt Roderich Kiesewetter. Der Oberst a. D.<br />
und CDU-Bundestagsabgeordnete rechnet<br />
ab 2016 mit einem schrittweisen Anstieg<br />
des Verteidigungshaushalts von 33 auf bis<br />
zu 40 Milliarden Euro. Das sei notwendig,<br />
auch um Investitionsprojekte abschließen<br />
zu können. Zudem herrsche in der Armee<br />
Personalbedarf, der mit einer Marketing-<br />
Offensive behoben werden<br />
müsse. „Auf keinen<br />
Fall sollten wir die Wehrpflicht<br />
wieder einführen“,<br />
sagt Kiesewetter. Er<br />
schlägt vor, Männern und<br />
Frauen nach der Schule<br />
einen Freiwilligendienst<br />
bei Armee, Feuerwehr<br />
oder im sozialen Bereich<br />
anzubieten – und ihnen diese Zeit auf die<br />
Lebensarbeitszeit zu reduzieren.<br />
Horrende Kosten trägt der Steuerzahler,<br />
auch manch ein Unternehmen. Dennoch<br />
gibt es Profiteure des Terrors, etwa den<br />
Münchner Rüstungshersteller Cassidian.<br />
Die Tochter der europäischen Airbus-<br />
Group bastelt Drohnen und Lenkflugkörper<br />
und liefert Systeme zur Grenzsicherung,<br />
etwa an Saudi-Arabien: Die 1500 Kilometer<br />
lange Nordgrenze des Landes hat<br />
einen Auftragswert von 1,2 Milliarden Euro.<br />
Ein Kilometer Grenze kostet demnach<br />
800 000 Euro. Wobei die Saudis das Luxus-<br />
Paket bestellt haben, das über Stacheldraht<br />
und Kamera hinaus auch den Datenabgleich<br />
per Satellit einschließt.<br />
Auch die Türkei verlangt nach einer sicheren<br />
Grenze, später wohl auch der Irak<br />
und Syrien. Für deutsche Rüstungshersteller<br />
öffnet sich trotz anhaltendem Beschuss<br />
zu Hause ein immer größerer Markt in Nahost,<br />
von wo der Terror die Welt bedroht. So<br />
zynisch kann eben Wirtschaft sein. n<br />
florian.willershausen@wiwo.de | Berlin;<br />
konrad fischer, hansjakob ginsburg, christian schlesiger,<br />
cordula tutt, martin seiwert | New York<br />
Lesen Sie weiter auf Seite 28 »<br />
WirtschaftsWoche <strong>13.10.2014</strong> Nr. 42 27<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Weg mit den Tabus<br />
FORUM | Die brutale Machtausdehnung des „Islamischen Staats“ verändert schlagartig die soziopolitische<br />
Landkarte in Nahost. Es ist an der Zeit, die grundlegenden Probleme der Region anzugehen: Ein eigener<br />
Kurdenstaat muss her – und der Islam muss sich kulturell verändern. Von Volkhard Windfuhr<br />
Nicht das Auf und Ab des revolutionären<br />
Aufbegehrens in den<br />
arabischen Kernländern verursachte<br />
den Aufstieg der islamistischen<br />
Mordbuben des „IS“. Im Irak<br />
und in Syrien waren es die konfessionsgebundenen<br />
Privatarmeen schiitischer<br />
und sunnitischer Politiker, die<br />
nach der amerikanischen Irak-Invasion<br />
2003 die Nation spalteten. Der erste<br />
Identitätsbezug war fortan die Glaubensrichtung,<br />
nicht der Staat. Die<br />
neuen Streitkräfte sind konfessionell<br />
und tribalistisch zusammengesetzt<br />
und kaum einsatzfähig. Hinzu kommen<br />
ethnische Zentrifugalkräfte. Die<br />
Turkmenen fühlten sich allein gelassen,<br />
während die Kurden ein de facto<br />
selbstständiges Staatswesen im Nordirak aufbauten, mit eigenem<br />
Verwaltungsapparat, Parlament und eigener Armee. Christen und<br />
Angehörige anderer vorislamischer Glaubensgemeinschaften, wie<br />
Mandäer und Jesiden, wurden zum Freiwild der Milizen. Angriffe<br />
auf ihre Kirchen und Wohngebiete ließen sie in den kurdischen<br />
Norden des Irak abwandern, wo eine strikte Trennung von Staat<br />
und Religion herrscht. Die religiöse Aufwiegelung im Raum Bagdad<br />
und im Süden führte bald zu täglichen Zusammenstößen schießbereiter<br />
Milizen. Fanatische schiitische Kampfgruppen liegen bis<br />
heute im Dauerkonflikt mit sunnitischen Glaubenskriegern. Wirtschaft<br />
und Handel im Land stagnieren trotz des Erdöls. Die Kämpfer<br />
des „Islamischen Staates“ haben das entstehende Vakuum genutzt<br />
und über ein Drittel des Staates unter ihre Kontrolle gebracht.<br />
Auch in Syrien sind die Opfer der Kalifat-Terroristen Christen,<br />
übertrittsunwillige Jesiden und Liberale. Doch es trifft ebenfalls<br />
die syrischen Kurden, die in ihren Städten und Dörfern keinerlei<br />
religiöse Indoktrinierung zulassen. Hunderttausende von ihnen<br />
flüchteten bereits in die Türkei. Doch Ankara hilft den Kurden nur<br />
ungern. Denn die verlangen von der Regierung kulturelle und<br />
sprachliche Autonomie. Der Zorn über die lasche türkische Haltung<br />
im Konflikt mit dem „Islamischen Staat“ führt zu gewalttätigen<br />
Protesten und droht in bürgerkriegsähnliche Zustände auszuarten.<br />
Doch hier könnte der Westen helfen.<br />
Das türkische Tabu, den Kurden echte Autonomie zu gewähren,<br />
darf nicht länger einer friedlichen Vernunftlösung im Weg stehen.<br />
Im auseinanderfallenden Ex-Jugoslawien hatten die USA und die<br />
Nato die widerspenstigen Serben mit Waffengewalt gezwungen,<br />
die Kosovaren und die Bosnier in die Unabhängigkeit zu entlassen.<br />
„Wir haben das Recht auf einen eigenen Staat ebenso wie die Israelis<br />
und die Palästinenser“, erklärte mir Masuud Barzani, Präsident<br />
der autonomen Kurdenregion im Nordirak schon 2003. Der<br />
Windfuhr, 77, begann seine journalistische Laufbahn<br />
1958 in Kairo als Rundfunkredakteur, unter anderem<br />
für die Deutsche Welle. Von 1974 bis 2013 arbeitete er<br />
in Beirut und Kairo als Nahost-Korrespondent für das<br />
Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“.<br />
armenische Patriarch Karekin II. erinnert<br />
gar an das Versprechen von US-<br />
Präsident Woodrow Wilson aus dem<br />
Jahr 1921, Kurden und Armeniern die<br />
Unabhängigkeit zu verschaffen.<br />
Das aber setzt voraus, dass auch<br />
Syrien die dort ansässigen Kurden<br />
zunächst nach dem Muster des Nordirak<br />
in die Autonomie entlässt. Moskau<br />
bemüht sich bereits seit vier<br />
Monaten, das Baath-Regime in Damaskus<br />
von der Notwendigkeit zu<br />
überzeugen, „seinen“ Kurden eine<br />
eigene Selbstverwaltungsregion zu<br />
überlassen, um diese später mit dem<br />
kurdischen Nordirak zu einem Staat<br />
zu verschmelzen. Die Chancen für ein<br />
Gelingen sind gut. In der Türkei könnten<br />
einige Gebiete in Südostanatolien, etwa die zu über 90 Prozent<br />
von Kurden bewohnte Provinz Hakkârî, problemlos den Kurden<br />
überlassen werden. Das zu erreichen wäre eine wichtige Aufgabe<br />
der westlichen Diplomatie, weil damit ein Fehler vergangener<br />
Jahrzehnte korrigiert würde. Im Dienste des Friedens.<br />
ZWEITER TABUBRUCH NÖTIG<br />
Der Kampf gegen die „IS“-Banden und Hintermänner erfordert<br />
aber auch einen Tabubruch in den islamischen Ländern selbst.<br />
Der Islam, wie er heute den Heranwachsenden vermittelt wird,<br />
muss reformiert werden. Die Texte des Koran und der Aussprüche<br />
des Propheten bedürfen keiner Überarbeitung, aber einer zeitgemäßen<br />
Interpretation. „Wir Moslems brauchen einen islamischen<br />
Martin Luther“, forderte der zukunftsorientierte Ex-Scheich der<br />
einflussreichen Kairoer Al-Azhar-Universität, Scheich Mohammad<br />
Hassan Tantawi, schon vor 15 Jahren. „Wir müssen den Koran<br />
wieder neu lesen. Vor 120 Jahren war das Koranverständnis gegenwartsbezogener<br />
als heute.“ Der Westen kann dabei hilfreich sein,<br />
wenn er Aufklärung und sachlichen Dialog liefert, ohne faule<br />
Kompromisse mit den menschenverachtenden Predigern des kulturellen<br />
Zusammenpralls einzugehen.<br />
Das islamistische Experiment der Moslembruderschaft in Ägypten<br />
ist gescheitert. Doch die arabischen Revolutionäre haben weiterhin<br />
eine Chance und Aufgabe: Echte Demokratie, Menschwürde<br />
und der Kampf gegen die Pervertierung weltweit gültiger Werte<br />
fallen in ihren Aufgabenbereich. Der Wahlspruch der demokratieunfähigen<br />
Islamisten „Al Islam din wa-daula“ („Der Islam ist<br />
Staat und Religion“) darf nicht mehr in Hirne und Herzen geimpft<br />
werden.<br />
n<br />
Lesen Sie weiter auf Seite 30 »<br />
FOTO: SCOTT NELSON<br />
28 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Bedingt abhebbereit Tornado-Kampfjet<br />
der Bundeswehr<br />
Da geht noch was<br />
BUNDESWEHR | Die Luftwaffe könnte in der Allianz<br />
gegen den islamistischen Terror eine Rolle spielen –<br />
wenn sie denn dürfte.<br />
Militärisch gesehen ist die internationale<br />
Koalition gegen die „IS“-Milizen<br />
eine Koalition der Luftstreitkräfte.<br />
Angeführt von den USA, haben mehrere<br />
westliche Staaten Jagdbomber, Aufklärungsflugzeuge<br />
und Tanker in die Region<br />
verlegt: Der Kampf gegen die Dschihadisten<br />
wird aus der Luft geführt – am Boden<br />
sollen die irakische Armee und vor allem<br />
die Kurden sowohl im Irak als auch in Syrien<br />
die Gotteskrieger zurückdrängen.<br />
An Luftschlägen könnte sich auch die<br />
Bundeswehr beteiligen, wenn es politisch<br />
gewünscht wäre – denn auch Deutschland<br />
betrachtet sich als Teil der Anti-„IS“-Koalition,<br />
die die USA im September auf dem<br />
Nato-Gipfel in Wales ins Leben gerufen haben.<br />
Die deutschen Streitkräfte wären<br />
dann mit Einheiten beteiligt, die in den<br />
Einsätzen der vergangenen Jahre kaum gefordert<br />
waren: Im Kampf setzte die Luftwaffe<br />
ihre Tornado-Kampfjets zuletzt 1999<br />
in den Nato-Angriffen auf Serbien ein.<br />
Über Afghanistan wurden die Tornados<br />
ausschließlich für die Aufklärung genutzt.<br />
Nach dem Muster der anderen beteiligten<br />
Länder – neben den USA sind das<br />
Frankreich, Großbritannien, die Niederlande,<br />
Belgien und Dänemark sowie mehrere<br />
arabische Staaten und Australien – kämen<br />
für Angriffe am Boden nur diese jahrzehntealten<br />
Maschinen infrage, obwohl<br />
diese nicht über Panzerabwehr-Lenkraketen<br />
verfügen. Die neueren Eurofighter-<br />
Kampfjets, ursprünglich als Abfangjäger<br />
vorgesehen, werden noch auf die Möglichkeiten<br />
des Luftangriffs vorbereitet.<br />
Deutschland spart<br />
Rüstungsausgaben ausgewählter Länder<br />
(2013, in Prozent des Bruttoinlandsprodukts)<br />
9,0<br />
5,6<br />
5,0<br />
4,2<br />
3,8<br />
3,8<br />
2,3<br />
2,3<br />
2,2<br />
2,1<br />
1,6<br />
1,3<br />
1,0<br />
Israel<br />
Saudi-Arabien<br />
Vereinigte Arabische Emirate*<br />
Russland<br />
Bahrain<br />
USA<br />
Großbritannien<br />
Türkei<br />
Frankreich<br />
China<br />
Italien<br />
Deutschland<br />
Japan<br />
* 2012, Quelle: Weltbank<br />
Das Taktische Luftwaffengeschwader 33<br />
in Büchel in Rheinland-Pfalz ist die Heimatbasis<br />
der Tornado-Jagdbomber, mehrere<br />
Maschinen könnten rasch in die Region<br />
verlegt werden. Allerdings sind diese<br />
Jagdbomber für die Art des Luftkrieges, wie<br />
sie derzeit im Irak und in Syrien gefordert<br />
ist, nur bedingt geeignet. Die Luftwaffen-<br />
Tornados können ihre Ziele mit lasergelenkten<br />
Präzisionsbomben angreifen –<br />
doch für Angriffe auf bewegliche Ziele wie<br />
Fahrzeugkonvois sind solche Bomben wenig<br />
sinnvoll. Angriffe auf Ölfelder aber<br />
könnten die Deutschen starten – die USA<br />
und arabische Kampfjets hatten diese und<br />
auch Raffinerien gezielt angegriffen, um eine<br />
Einkommensquelle der „IS“ in den von<br />
ihr kontrollierten Gebieten zu zerstören.<br />
Eine Einsatzbasis für die deutschen Tornados<br />
wäre zu finden, selbst wenn der<br />
Nato-Partner Türkei keinen Flugplatz zur<br />
Verfügung stellen will. Die Briten starten<br />
ihre Tornado-Flüge auf einer eigenen Basis<br />
in Zypern, die möglicherweise auch<br />
Platz für die Luftwaffe hätte. Wenn nicht,<br />
käme der Flugplatz Decimomannu auf<br />
Sardinien infrage. Für den Einsatz über<br />
dem Irak und vielleicht auch Syrien müssten<br />
die Tornados allerdings in der Luft betankt<br />
werden.<br />
Wie alle Kampfjets der beteiligten Nationen<br />
hätten aber auch die deutschen ein<br />
Problem: Die Ziele im selbst ernannten „Islamischen<br />
Staat“ mit seiner wenig staatlichen<br />
Infrastruktur müssen erst einmal erkannt<br />
und geortet werden. Den USA, erst<br />
recht den anderen Staaten, fällt es aber<br />
schwer, mit ihrer Luftaufklärung die wirklich<br />
wichtigen Ziele auszumachen – vor allem,<br />
wenn es darauf ankommt, Opfer unter<br />
der Zivilbevölkerung zu vermeiden.<br />
BOOTS ON THE GROUND<br />
Ohne die berühmten „Boots on the<br />
ground“, die Soldaten im Kampfgebiet, können<br />
die Flugzeuge nur eingeschränkt operieren:<br />
Spezialkräfte am Boden könnten die<br />
Jets per Funk an ein erkanntes Ziel lotsen<br />
und außerdem mit Lasergeräten diese Ziele<br />
so markieren, dass die lasergesteuerten<br />
Bomben exakt treffen. Angeblich sollen sowohl<br />
die USA als auch die Briten solche<br />
Spezialkräfte im<br />
Irak im Einsatz haben,<br />
bestätigt wurde<br />
das bisher nicht.<br />
online<br />
Der Autor schreibt<br />
einen viel beachteten<br />
Blog unter<br />
augengeradeaus.net<br />
Rein militärisch<br />
gesehen, wäre auch<br />
die Bundeswehr in<br />
der Lage, mit Spezialkräften<br />
solche Aktionen<br />
durchzuführen.<br />
Doch das wäre ein noch viel weiter gehender<br />
Schritt als eine Beteiligung an einem<br />
Luftkrieg – und deshalb noch unwahrscheinlicher.<br />
Denn mit Bodentruppen,<br />
und dazu müsste auch der Einsatz von<br />
Spezialkräften gezählt werden, will offiziell<br />
kein westliches Land in diesen Konflikt<br />
eingreifen. Zu groß ist die Furcht, damit in<br />
eine neue, nicht mehr kontrollierbare Auseinandersetzung<br />
hineinzugeraten. n<br />
thomas wiegold | politik@wiwo.de<br />
FOTO: CARO/SCHULZ<br />
30 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
ENTSCHEIDER...<br />
Stöß, 41, könnte Nachfolger<br />
des Berliner Bürgermeisters<br />
Klaus Wowereit werden. Der<br />
SPD-Landeschef – von Beruf<br />
Richter – muss sich noch<br />
gegen weitere SPD-Kandidaten<br />
durchsetzen: Fraktionschef<br />
Raed Saleh und Senator<br />
Michael Müller. Sein Motto:<br />
„Arm ist nicht sexy!“<br />
...GEGEN MACHER<br />
Heilemann, 32, ist Investor<br />
und Gründer. Seine erste<br />
Internet-Firma Dailydeal<br />
verkaufte er gemeinsam mit<br />
seinem Bruder 2011 an<br />
Google – für 114 Millionen<br />
Dollar. Ihre Holding Heilemann<br />
Ventures ist derzeit an<br />
zehn deutschen Start-ups<br />
beteiligt.<br />
»Werden Sie ein Digital-Chef!«<br />
STREITGESPRÄCH | Jan Stöß und Fabian Heilemann Der eine will Berlins neuer Bürgermeister werden,<br />
der andere die Stadt zur Start-up-Weltmetropole machen. Aber wie? Eine Diskussion über das Vorbild<br />
Silicon Valley, die Gründerangst deutscher Ingenieure und Verlockungen des ganz großen Geldes.<br />
FOTO:<br />
32 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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FOTO: ANDREAS CHUDOWSKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
Herr Stöß, Herr Heilemann, gerade sind<br />
die Berliner Start-up-Stars, Zalando und<br />
Rocket, an die Börse gegangen. Wer von<br />
Ihnen beiden hat Aktien gekauft?<br />
Stöß:(lacht) Da fangen Sie mal an!<br />
Heilemann: Man könnte aus Lokalpatriotismus<br />
einsteigen. Aber ich bin vor allem<br />
im Nasdaq investiert und werde vorerst dabei<br />
bleiben. Das upside-Potenzial der beiden<br />
Aktien ist angesichts der Lage des Gesamtmarktes<br />
relativ gering, das downside<br />
hingegen erheblich. Also: nein.<br />
Stöß: Ich kenne politisch nur upside-<br />
Potenzial. Und im Ernst: Ich besitze gar<br />
kein Aktienportfolio und werde jetzt auch<br />
nicht damit anfangen. Aber die beiden<br />
Börsengänge sind für Berlin eine Zäsur, ein<br />
gewaltiger Schritt nach vorne, weil die Aufmerksamkeit<br />
so groß ist – weltweit.<br />
Herr Stöß, wenn Sie Internet-Firmen besuchen:<br />
Was überrascht Sie da am meisten?<br />
Stöß: Das Großartige sind die vielen Menschen<br />
aus allen Ländern, die dort arbeiten.<br />
Wo in Deutschland findet man das? Die<br />
richtigen Fachleute zu finden ist für Startups<br />
in Berlin offenbar kein Problem. Die<br />
Marke Berlin ist unser unique selling point.<br />
Und so muss es auch bleiben.<br />
Heilemann: Wahrscheinlich gibt es keine<br />
europäische Stadt, die da mithalten kann.<br />
London, wenn überhaupt. Aber dort ist das<br />
Leben eben absurd teurer. Diese Kombination<br />
aus Internationalität und geringen Lebenshaltungskosten<br />
ist genau der breeding<br />
ground, auf dem die Szene in den letzten<br />
fünf Jahren gewachsen ist.<br />
Stöß: Ich habe allerdings den Ehrgeiz, dass<br />
sich daran ein bisschen was ändert. Denn<br />
billiges Leben hieß bisher auch zu häufig,<br />
dass die Löhne und Gehälter niedrig sind.<br />
Berlin wächst zwar stark, auch wirtschaftlich,<br />
aber vor allem pro Kopf ist das Einkommen<br />
noch zu gering. Hier müssen wir<br />
ran. Wir wollen nicht auf ewig der größte<br />
Nehmer im Finanzausgleich bleiben.<br />
Sie können allerdings schlecht selbst die<br />
Gehaltsverhandlungen übernehmen...<br />
Stöß: Keine Sorge. Was ich möchte, ist eine<br />
Debatte, was gute Arbeit im digitalen<br />
Zeitalter bedeutet. Gerade in Start-ups<br />
gelten meist keinerlei Tarifverträge, die<br />
Grenzen zwischen angestellt und selbstständig<br />
verwischen. Ordentliche Löhne<br />
gehören definitiv zu guter Arbeit, wie ich<br />
sie verstehe.<br />
Heilemann: Es stimmt, unsere Branche ist<br />
weitgehend tarif- und gewerkschaftsfrei.<br />
Aber: Bei uns verfängt keine Mindestlohnforderung,<br />
nicht in unserer Unternehmensgruppe<br />
und auch bei anderen nicht.<br />
Bei uns steht immer eine zwei vor dem<br />
vierstelligen Monatsgehalt.<br />
Einen Betriebsrat...<br />
Heilemann: ...haben wir nicht. Hat aber<br />
auch wenig Sinn: Wir sind nur wettbewerbsfähig,<br />
wenn wir flexibel und extrem schnell<br />
reagieren können. Es ist so schon schwierig<br />
genug, zu überleben. Stellen Sie sich Finanzierungsrunden<br />
in unserer Branche wie eine<br />
Pyramide vor: extrem steil. Da schaffen<br />
es nicht alle nach oben. Betriebliche Mitbestimmung<br />
kann da für geringeres Tempo<br />
sorgen. Im Übrigen: Wir arbeiten so intensiv<br />
und offen mit unseren Mitarbeitern, dass<br />
wir hier auch ohne Betriebsrat sehr gut Interessen<br />
zum Ausgleich bringen können.<br />
Stöß: Einspruch!<br />
Heilemann: Bei uns herrscht eben nicht<br />
wie in vielen alten Industrien ein hierarchisches<br />
Verhältnis, das ausgeglichen werden<br />
müsste. In unserem Gebäude hier arbeiten<br />
zahlreiche junge Unternehmen.<br />
Wer auf uns keine Lust mehr haben sollte,<br />
geht nur eine Hausnummer weiter, viel-<br />
»Geld geben ist<br />
doch keine<br />
Staatsaufgabe!«<br />
Jan Stöß<br />
leicht nur eine Etage. Das Ringen um gute<br />
Programmierer oder Online-Marketingprofis<br />
ist echt kein Spaß.<br />
Stöß: Ich bleibe trotzdem beim Einspruch.<br />
Betriebliche Mitbestimmung muss auch in<br />
Ihrer Branche zur Regel werden. Solange<br />
es aufwärts geht, spielt die Organisation<br />
der Arbeitnehmer oft keine Rolle, aber<br />
wenn es schwierig wird, sieht das schnell<br />
anders aus. Wenn jemand gekündigt wird,<br />
gibt es eben doch wieder eine Hierarchie.<br />
Vizekanzler Sigmar Gabriel will den „Silicon-Valley-Kapitalismus<br />
zähmen“. Können<br />
Sie das verstehen, Herr Heilemann?<br />
Heilemann: Ich kann mir zumindest vorstellen,<br />
was er meint. Etwas wie Google,<br />
Amazon und Facebook hat es in der Wirtschaftsgeschichte<br />
noch nicht geben. Selbst<br />
Rockefeller und Ford haben nie die ganze<br />
Welt derart dominiert. Das muss man ohne<br />
Verklärung analysieren, aber bitte auch ohne<br />
Verdammung. In erster Linie sind das<br />
extrem erfolgreiche Unternehmen, weil sie<br />
Dienste anbieten, die Milliarden von Menschen<br />
nutzen wollen.<br />
Stöß: Aber die problematischen Fragen<br />
sind doch unübersehbar: Google hat rund<br />
95 Prozent Marktanteil. Es ist nicht nur eine<br />
Suchmaschine, sondern auch Wettbewerber<br />
vieler Dienste, die darauf angewiesen<br />
sind, dass sie per Google-Suche gefunden<br />
werden. Hier hat ein privates Unternehmen<br />
faktisch ein Monopol, und die Spielregeln<br />
sind nicht klar. Deshalb hat Gabriel<br />
recht, wenn er diese Fragen aufwirft.<br />
Was überwiegt denn: Die Probleme? Oder<br />
der Optimismus, der Gründergeist?<br />
Stöß: Aus Berliner Sicht überwiegt der Optimismus.<br />
Für Berlin ist das Internet eine<br />
Erfolgsgeschichte, die wir fortsetzen wollen.<br />
Alles, was der Start-up-Szene hier in<br />
der Stadt hilft zu bleiben, zu wachsen und<br />
neue Jobs zu schaffen, sollten wir tun. Aber<br />
wir verschließen nicht die Augen vor den<br />
Risiken, die wir politisch angehen müssen.<br />
Herr Heilemann, Sie haben in Stanford<br />
promoviert, für Google gearbeitet. Was<br />
haben Sie da gelernt?<br />
Heilemann: Nationale Lösungen sind<br />
schwieriger als früher. Datenschutz, Monopole,<br />
auch Besteuerung, all das müssen wir<br />
in globaler Perspektive denken. Es hat<br />
Gründe, warum die großen Venture-Capital-Deals<br />
nicht in Deutschland gemacht<br />
werden, sondern über Luxemburg, London<br />
oder Delaware laufen. Das regulatorische<br />
Korsett und die Anlage-Richtlinien für<br />
institutionelle Anleger hierzulande schrecken<br />
ab. Deswegen fehlt uns bis heute eine<br />
florierende Wagniskapitalbranche.<br />
Was soll Politik da tun? Und was lassen?<br />
Heilemann: Ganz ehrlich: Am Anfang ist<br />
Politik ein irrelevanter Faktor. Bürokratie<br />
und rechtlicher Rahmen bestimmen vielleicht<br />
über zwei bis drei Prozent meines Erfolgs.<br />
Mindestens 95 Prozent gründen dagegen<br />
auf unsere Technologie, dem Marketing<br />
und dem Vertrieb, also der operativen<br />
execution der Geschäftsidee.<br />
Stöß: Seien wir realistisch: Die Leute gründen<br />
nicht in Berlin, weil wir die weltweit<br />
schnellste Verwaltung haben, sondern weil<br />
die Stadt eben so großartig ist, weltläufig,<br />
wild und aufregend. Wir müssen also alles<br />
tun, damit dieser Geist erhalten bleibt.<br />
Heilemann: Da bin ich ganz bei Ihnen.<br />
Stöß: Dann dürfen wir gesellschaftliche<br />
Freiräume nicht zerstören, müssen freie Flächen<br />
erhalten, Zufall geschehen lassen. Und<br />
trotzdem gute Politik machen: Räume und<br />
Grundstücke sollte die Stadt auch für diejenigen<br />
reservieren, die zwar nicht am meisten<br />
zahlen, aber das kreativste Konzept haben.<br />
Wir sollten dafür sorgen, dass in unseren<br />
Behörden Englisch gesprochen wird.<br />
»<br />
WirtschaftsWoche <strong>13.10.2014</strong> Nr. 42 33<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
»<br />
Und wir brauchen endlich eine funktionierende<br />
one-stop agency für Gründer.<br />
Den Berlin-Hype in allen Ehren, aber im<br />
Silicon Valley wird 25-mal mehr Geld investiert<br />
als hier. Wie soll sich das ändern?<br />
Heilemann: Wenn wir in Berlin Firmen<br />
aufbauen wollen, die ernsthaft in der Weltliga<br />
mitspielen können, brauchen wir<br />
zweierlei: Talente und Kapital. Beim Geld<br />
hat sich einiges zum Guten getan, gerade<br />
wenn es um die Startphase geht. Unser<br />
Problem ist der Schritt danach, das Wachstum.<br />
Eine halbe oder Dreiviertelmillion<br />
einzusammeln, ist nicht das Thema. Aber<br />
bei zwei bis drei Millionen wird es eng.<br />
Das müssen Sie erklären.<br />
Heilemann: Institutionelle Venture-Capital-player,<br />
die das Vermögen von Investoren<br />
verwalten, finden in Deutschland derzeit<br />
keine guten steuerlichen und rechtlichen<br />
Rahmenbedingungen. Wie werden<br />
die Erträge der Venture-Fonds selbst und<br />
die Gewinnbeteiligungen der Fonds-Manager<br />
besteuert? Das sind standortpolitisch<br />
gesehen sehr kritische Fragen. Das<br />
Gros des US-Venture-Capital kommt doch<br />
von Versicherern, Pensionsfonds und Banken,<br />
weil sie Anlage-Richtlinien haben, die<br />
ihnen zu einem gewissen Prozentsatz auch<br />
die Investition in alternative Asset-Klassen<br />
ermöglichen. In Deutschland ist das anders.<br />
Und das ist ein strukturelles Problem<br />
für unser digitales Ökosystem.<br />
Stöß: Langsam, Berlin muss selbst investieren.<br />
Dafür benötigen wir ebenfalls Geld.<br />
Deshalb können wir Ihnen und anderen<br />
bei Steuererleichterungen nicht allzu weit<br />
entgegenkommen. Ich setze eher auf Ausrufezeichen<br />
wie Rocket. Geld geben ist ja<br />
keine Staatsaufgabe.<br />
Heilemann: Da sind wir uns einig.<br />
Stöß: Danke. Sie sind doch ein gutes Beispiel<br />
für die Kraft von Traditionen: Ein junger<br />
Mann, der eine Vision hat, die er trotz<br />
aller Hürden durchzieht. 1847 hat nicht<br />
weit von hier ein Mann namens Werner<br />
von Siemens eine Telegrafen-Werkstatt<br />
aufgebaut. Gründen liegt einfach in der<br />
DNA dieser Stadt.<br />
Damit sind wir bei Talenten: Was fehlt der<br />
Humboldt-Universität, was Stanford hat?<br />
Heilemann: Da herrscht ein riesiger kultureller<br />
Unterschied. Die Helden dort heißen<br />
Mark Zuckerberg, Steve Jobs oder Larry<br />
Page. Das sind die Sterne am Firmament<br />
von Nordkalifornien. Jeder will der nächste<br />
sein, der da oben funkelt.<br />
Hier arbeiten die Leute lieber beim Staat.<br />
Heilemann: Nicht nur. Wir wollten mal mit<br />
der RWTH Aachen ein Projekt aufbauen.<br />
»In der Politik<br />
würde ich<br />
wahnsinnig«<br />
Fabian Heilemann<br />
Das scheiterte, weil deutsche Ingenieure –<br />
brillante Leute – eben nicht das Risiko der<br />
Selbstständigkeit lieben, sondern Siemens,<br />
Porsche oder Bosch.<br />
Und das heißt?<br />
Heilemann: In Deutschland gründen immer<br />
noch überwiegend BWLer. Schauen<br />
Sie sich die wichtigsten Köpfe des vergangenen<br />
Jahrzehnts doch mal an, da finden<br />
Sie immer wieder eine Uni in der Vita: die<br />
Business School WHU in Vallendar. Im Valley<br />
ist es genau andersrum: Da sind die<br />
Programmierer und Tech-Nerds die Stars.<br />
Manager kauft man sich eben ein, weil<br />
man sie braucht.<br />
Stöß: Sehen wir das doch positiv. Wir bieten<br />
andere Chancen. Hier können motivierte<br />
Leute in kleinen Unternehmen Großes<br />
bewegen. Das Leben ist noch günstig,<br />
es gibt keine Studiengebühren. Dabei soll<br />
es auch bleiben. Ich würde mir nur noch<br />
mehr Berliner Absolventen wünschen, die<br />
ihren ersten Job nicht woanders suchen.<br />
Häufig erlebt man unter Netzprofis Belustigung<br />
über digitale Analphabeten in der<br />
Politik. Empfinden Sie beide das auch so?<br />
Heilemann: Ich will Ihrer Analyse nicht<br />
widersprechen, aber ich persönlich sehe<br />
das anders. Ich habe selber in meiner Jugend<br />
Politik gemacht und habe Freunde,<br />
die heute Landtags- oder Bundestagsabgeordnete<br />
sind. Um Deutschland als Digital-<br />
»Gründen liegt<br />
einfach in der<br />
DNA der Stadt«<br />
Jan Stöß<br />
Standort zu stärken, investiere ich Zeit, in<br />
der ich Politikern meine Ansichten vermittele.<br />
Nur für mich selber wäre Politik<br />
nichts. Ständig Kompromisse schließen,<br />
diskutieren, kaum Ergebnisse – ich würde<br />
wahnsinnig werden.<br />
Stöß: Manchmal gibt es diese Verachtung,<br />
ja. Dagegen hilft nur miteinander sprechen.<br />
Der Graben darf nicht weiter aufreißen.<br />
Wenn wir für die Internet-Szene gute<br />
Politik machen sollen, dann brauchen wir<br />
ernsthaften Input.<br />
Ist hier unter Wowereit genug passiert?<br />
Stöß:Lassen Sie uns über die Zukunft sprechen<br />
und nicht über die Vergangenheit.<br />
Wenn ich Regierender Bürgermeister werde,<br />
dann wird die Internet-Wirtschaft einer<br />
meiner Schwerpunkte. Ich will einen nachhaltigen<br />
Aufschwung.<br />
Gutes Stichwort: Nicht alle Gründer legen<br />
auf ein nachhaltiges Geschäftsmodell<br />
Wert. Die suchen lieber den schnellen<br />
Exit, um mit ein paar Millionen aus dem<br />
Firmenverkauf das Leben zu genießen.<br />
Heilemann: Das sehe ich komplett anders.<br />
Mehr als 300 Millionen Euro fließen durchschnittlich<br />
jedes Jahr nach Berlin in Startups.<br />
Damit werden Unternehmenswerte<br />
geschaffen, die beim Zwei- bis Dreifachen<br />
der Investitionssumme liegen. Hier wird<br />
unterm Strich definitiv kein Geld vernichtet.<br />
Ich wehre mich auch gegen dieses Zerrbild<br />
von Gründern, die zu schnell zu reich<br />
geworden sind. Die große Mehrzahl gibt<br />
weiter Gas. Ich persönlich sitze nach wie<br />
vor jeden Morgen um neun am Ikea-<br />
Schreibtisch und arbeite oft bis in die<br />
Nacht, investiere und gründe neue Unternehmen.<br />
Mit all den Rückschlägen und<br />
Frustrationen, die das manchmal mit sich<br />
bringt. Das müsste ich nicht. Ich könnte<br />
auch auf Sylt oder an der Côte d’Azur rumhängen.<br />
Tue ich aber nicht.<br />
Herr Heilemann ist durch den Verkauf seiner<br />
Firma zum Millionär geworden. Ist das<br />
eigentlich eine Geschichte, die Ihr sozialdemokratisches<br />
Herz erwärmt, Herr Stöß?<br />
Stöß: (lacht) Wenn er jetzt noch einen Betriebsrat<br />
bekommt, dann ja!<br />
Heilemann: Wenn ich Ihnen im Gegenzug<br />
auch noch einen Rat geben darf: Herr Wowereit<br />
hat uns mit einem Ohr zugehört,<br />
aber mit mehr auch nicht. Wenn Sie sein<br />
Nachfolger werden, dann machen Sie die<br />
Internet-Wirtschaft wirklich zu Ihrem dominierenden<br />
Thema. Reden Sie nicht nur<br />
darüber. Werden Sie der Digital-Regierungschef<br />
Deutschlands! Nur so kann Berlin<br />
sich sanieren.<br />
n<br />
max.haerder@wiwo.de | Berlin<br />
FOTO: ANDREAS CHUDOWSKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
34 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Behördenstriptease<br />
DATENSCHUTZ | Als erstes Bundesland verpflichtet Hamburg<br />
seine Behörden, alle Dokumente offenzulegen. Datenschützer<br />
feiern das Transparenzgesetz und fordern die Ausweitung.<br />
Doch der Praxistest zeigt: Sorge ist angebracht.<br />
Schatz in der Hand Der Hamburger Piraten-Politiker Burkhard Masseida<br />
Als einer der Ersten wird Christoph<br />
von Rauchhaupt durchleuchtet. Insgesamt<br />
43 925 Euro und 48 Cent hat<br />
der Hamburger Arzt von der städtischen<br />
Denkmalbehörde seit 2012 erhalten, um<br />
eine historische Immobilie zu Wohnzwecken<br />
umzubauen und zu sanieren. Zu viel?<br />
Völlig in Ordnung? Darüber können sich<br />
ab sofort seine Nachbarn oder Patienten<br />
den Kopf zerbrechen. Denn seit dem 6. Oktober<br />
ist diese Information öffentlich.<br />
Seit einer Woche gilt in Hamburg das<br />
Transparenzgesetz. Alle Behördendokumente,<br />
deren Nutzung nicht auf den<br />
Dienstgebrauch beschränkt wird, müssen<br />
nun online veröffentlicht werden. Maschinenlesbar<br />
und mit Suchfunktion. Unternehmen,<br />
die Aufgaben der Daseinsvorsorge<br />
übernehmen, sind ebenfalls betroffen.<br />
Das Denkmalschutzamt hat den Anfang<br />
gemacht: Am Montagmorgen stellten die<br />
Beamten eine Liste aller Zuwendungsempfänger<br />
der vergangenen zwei Jahre online.<br />
Seitdem folgten über 100 weitere Dokumente,<br />
gut 26 000 waren zuvor bereits zu<br />
Testzwecken veröffentlicht worden. Das<br />
Gesetz ist ein absolutes Novum. In der Slowakei,<br />
wo die Idee ihren Ursprung hat, ist<br />
nur ein kleiner Teil aller behördlichen Dokumente<br />
betroffen. Datenschützer sind begeistert,<br />
fordern eine flächendeckende<br />
Einführung. In mehreren Bundesländern<br />
sind Gesetze nach Hamburger Vorbild geplant.<br />
Dabei ist schon nach einer Woche<br />
absehbar, dass der Hamburger Feldversuch<br />
mittelfristig vor allem eines offenbaren<br />
wird: die Risiken, die im Transparenzjubel<br />
untergehen.<br />
Burkhard Masseida wird einer der regelmäßigen<br />
Gäste auf der Plattform sein. „Ich<br />
interessiere mich vor allem für die Daten<br />
über die Arbeit der Hamburger Polizei“,<br />
sagt Masseida. Der 40-Jährige arbeitet als<br />
Türsteher, im kommenden Jahr soll er nebenbei<br />
die Hamburger Piratenpartei als<br />
Spitzenkandidat in die Bürgerschaftswahl<br />
führen. Er ist einer der Erfinder des Gesetzes,<br />
im Herbst 2011 hat Masseida selbst<br />
mehr als 1500 Unterschriften gesammelt,<br />
um aus der Idee ein Bürgerbegehren zu<br />
machen. Am Anfang hatte er die Initiative<br />
„Mehr Demokratie“ an seiner Seite, später<br />
kamen Transparency und der Chaos Computer<br />
Club hinzu. Um die Überparteilichkeit<br />
zu ermöglichen, zogen sich die Piraten<br />
dann aus der Projektspitze zurück. Das<br />
Thema Transparenz hat seine Partei groß<br />
gemacht.<br />
NUR EIN WERKZEUG<br />
Jetzt ist das Gesetz da und die Partei längst<br />
nicht mehr groß. Masseida ist dennoch begeistert:<br />
„Das Portal wird einen Paradigmenwechsel<br />
einläuten“, sagt er. „Die Behörden<br />
werden merken, dass Offenheit ihnen<br />
nicht schadet.“ Zumindest Renate Mitterhuber<br />
hat er schon überzeugt. Die stellvertretende<br />
Leiterin der IT-Abteilung der<br />
Hamburger Finanzbehörde hat die Umsetzung<br />
des Gesetzes koordiniert. „Von immer<br />
mehr Kollegen bekomme ich positive<br />
Rückmeldungen, denn auch wir erhalten<br />
durch das Portal einen neuen Überblick<br />
über unsere eigenen Aktivitäten.“<br />
So bunt wie das Behördenleben ist der<br />
erste Eindruck von der Plattform. Nach<br />
dem Denkmalschutzamt hat die Behörde<br />
für Stadtentwicklung die „Kooperationsvereinbarung<br />
mit der Vattenfall-Gruppe“<br />
ins Netz gestellt, wenig später das Personalamt<br />
die „Dienstvereinbarung über verlängerte<br />
Mittagspausen“. Da ist zu lesen,<br />
dass die Mitarbeiter ihre Pause von den regulären<br />
30 Minuten auf bis zu zwei Stunden<br />
ausweiten dürfen, wenn sie es anderswo<br />
durch die Mehrarbeit reinholen. Wenig<br />
später folgt die „Anstaltsverfügung“ der Sozialtherapeutischen<br />
Anstalt Hamburg über<br />
die Einrichtung von „DVD-Gruppen“. Insassen<br />
und Sicherheitsverwahrte dürfen<br />
demnach DVDs anschauen – aber nur gemeinsam.<br />
Und: „In der Regel sind Filme<br />
mit einer FSK-Zulassung ,ab 18 Jahren‘<br />
nicht geeignet.“ Und solche Sachen sollen<br />
die Hamburger jetzt täglich zum Morgenkaffee<br />
studieren?<br />
FOTO: ARNE WEYCHARDT FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
36 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Die Transparenz<br />
ist da, doch die<br />
Partei ist weg, die<br />
das Thema erfand<br />
„Wir haben da ein Werkzeug geschaffen,<br />
mit dem jeder arbeiten kann, wenn es nötig<br />
ist“, erklärt Masseida. „Wenn Sie eine<br />
Kettensäge kaufen, laufen Sie ja auch nicht<br />
gleich in den Wald und machen alle Bäume<br />
platt.“ Schon recht, und dennoch zeigen<br />
gerade diese banalen Beispiele, dass<br />
die allumfassende Transparenz etwas<br />
Grundsätzliches verändern könnte im Umgang<br />
zwischen Bürgern und Staat. Vertrauen<br />
in die Arbeit der Behörden wird durch<br />
die Illusion umfassender Kontrolle ersetzt.<br />
Die Kontrolle des Staats durch seine<br />
Bürger ist ein hehres Ziel, für das es bereits<br />
einige Instrumente gibt. Das Informationsfreiheitsgesetz<br />
garantiert, dass auf<br />
konkrete Anfragen ziemlich umfassende<br />
Antworten folgen müssen. „Wir müssen<br />
wegkommen von dieser Rolle als Bittsteller,<br />
wo der Bürger im Prinzip als Querulant<br />
gesehen wird“, sagt Masseida. Bisher<br />
musste der Bürger sich rechtfertigen, warum<br />
er etwas wissen will. Ab jetzt soll der<br />
Staat begründen, wenn er Dinge nicht verraten<br />
will.<br />
Das ist mit dem Gesetz zweifellos gelungen.<br />
Doch vor lauter Begeisterung über die<br />
Vorzüge der Offenheit wurde wohl vergessen,<br />
dass diese auch jemanden bloßstellen<br />
kann: den Menschen dahinter. „Wenn ich<br />
eine Ausschreibung der Stadt gewinne,<br />
kann ab sofort jeder Konkurrent sehen,<br />
mit welchen Preisen ich kalkuliere“, sagt<br />
Tobias Bergmann, Geschäftsführer des<br />
Hamburger Beratungsunternehmens<br />
nordlicht consultants. Zwar gilt das Transparenzgesetz<br />
für alle Aufträge in gleicher<br />
Weise, aber eben nur innerhalb Hamburgs.<br />
„Ein Unternehmer aus Bayern kann<br />
seine Kalkulation darauf abstimmen, ohne<br />
dass ich Ähnliches über seine Angebote<br />
wüsste“, sagt Bergmann. Zwar dürfen Unternehmen<br />
der Verwaltung vorschlagen,<br />
was in einem Vertrag geschwärzt werden<br />
soll, die Entscheidung aber verbleibt bei<br />
den Beamten. So erfährt man auf dem<br />
Transparenzportal, dass das Ingenieurbüro<br />
WKC Hamburg für die „Instandsetzungsplanung<br />
für die 85 Meter lange<br />
Kaimauer am Lotsekai“ insgesamt 130 827<br />
Euro erhalten hat. Wäre es ein Wunder,<br />
wenn bei der nächsten Kaimauer einer<br />
129 000 Euro bietet?<br />
Selbst wenn es nicht zu solchen direkten<br />
Folgen kommt, ändern wird sich der Geist,<br />
der durch die Behördenflure weht. Am<br />
Dienstag folgte das Dokument „Hausordnung<br />
der Behörde für Justiz und Gleichstellung“.<br />
Punkt 11.3.2: „Das Abstellen von<br />
Fahrrädern in Büros oder auf Verkehrsflächen<br />
innerhalb des Dienstgebäudes ist untersagt.“<br />
Oder 11.4: „In die Papierkörbe<br />
sind nur Papierabfälle zu entsorgen.“ Geht<br />
jetzt ein Bürger hin und schwärzt einen<br />
Mitarbeiter wegen solcher Verstöße an,<br />
wenn der sein Begehren ablehnt? Wer zur<br />
Blockwartmentalität neigt, dem eröffnen<br />
sich ganz neue Betätigungsfelder.<br />
Bis auf Weiteres scheint der Hamburger<br />
im Allgemeinen noch recht harmlose Ziele<br />
zu verfolgen: Der meistgesuchte Begriff in<br />
den ersten Tagen lautete „Baumkataster“. n<br />
konrad.fischer@wiwo.de<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Fürsorge Fehlanzeige<br />
UKRAINE | Das Auswärtige Amt stellt Mitarbeiter an, die im OSZE-<br />
Auftrag den Krieg beobachten – für viel Geld und wenig Sicherheit.<br />
der Bund jener strengen Fürsorgepflichten,<br />
denen private Arbeitgeber über das Arbeitsrecht<br />
unterliegen. Anders als Soldaten<br />
fehle OSZE-Beobachtern jegliche soziale<br />
Absicherung. „Das mag formal legal sein,<br />
legitim ist es nicht“, so Abeln.<br />
Rechtswissenschaftler Holger Berens<br />
warnt, vertraglich sei „in keiner Weise geregelt,<br />
wer für Fürsorgepflichten am Einsatzort<br />
verantwortlich ist“, so der Experte für Mitarbeiterentsendung,<br />
der an der Rheinischen<br />
Fachhochschule in Köln lehrt. Bei Verletzung<br />
dieser Pflichten könne „Schadensersatz<br />
und unter Umständen Schmerzensgeld<br />
verlangt werden“. Die OSZE verweist auf Anfrage<br />
an das Auswärtige Amt. Dort verweist<br />
man auf das Gesetz aus dem Jahre 2009, das<br />
„zahlreiche Fürsorgeleistungen“ vorsehe.<br />
Jeder, den Deutschland auf die Mission in<br />
der Ukraine schicke, mache dies „freiwillig<br />
und in voller Kenntnis der Lage vor Ort“.<br />
Als neulich die Neuen kamen, blickten<br />
sie zum Einstand in Gewehrläufe<br />
prorussischer Separatisten. In Kiew<br />
müssen sie das Navi falsch eingenordet haben<br />
– jedenfalls führte der Weg die Beobachter<br />
nicht ins Camp der Organisation für<br />
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa<br />
(OSZE), sondern direkt an die Front. Rings<br />
um den Geländewagen knallten Schüsse,<br />
irgendwo detonierten Granaten. Schließlich<br />
stoppten bewaffnete Rebellen die vier<br />
Zivilisten am Checkpoint – mitten in der<br />
Nacht, und keiner sprach Russisch.<br />
Diese Neulinge hatten Glück: An jenem<br />
Abend konnten sie heimkehren, niemand<br />
wurde entführt. Noch mehr Fortune hatten<br />
Kollegen einige Tage später, als ukrainische<br />
Soldaten OSZE-Jeeps unter Beschuss nahmen.<br />
Nur die Panzerung rettete fünf Mann<br />
das Leben. Nein, gefahrlos ist die „Special<br />
Monitoring“-Mission in der Ukraine nicht.<br />
„Ständig passiert etwas“, sagt ein Teilnehmer.<br />
„Es ist ein Wunder, dass es bisher weder<br />
Tote noch Verletzte gab.“<br />
Sofern es dazu kommt, wäre es ihr Pech.<br />
Die Bundesregierung und andere EU-Länder<br />
bestücken OSZE-Missionen mit Personal,<br />
das an Kurzzeitverträge ohne jegliche<br />
Fürsorgeverpflichtung und mit minimalen<br />
Sozialleistungen geknebelt ist. Das Auswärtige<br />
Amt zahlt Beobachtern kein Gehalt,<br />
sondern eine Aufwandsentschädigung,<br />
die OSZE überweist Verpflegungspauschalen.<br />
So kommt ein deutscher Be-<br />
Unter Beschuss Zivile Beobachter der OSZE<br />
befinden sich plötzlich mitten im Krieg<br />
obachter auf 7000 Euro brutto – ein hübsches<br />
Salär für Uni-Absolventen. Doch Risiken<br />
in Krisenregionen tragen die Beobachter:<br />
Sie verpflichten sich laut einem der<br />
WirtschaftsWoche vorliegenden Vertrag,<br />
„eine Krankenversicherung abzuschließen,<br />
die die besonderen Risiken des Einsatzes<br />
abdeckt“. Auf Anfrage teilt die OSZE<br />
mit, man habe Verträge mit Versicherern<br />
und vermittle psychologische Beratung.<br />
Arbeitsrechtler haben da ihre Zweifel. In<br />
der Praxis schließe jeder Versicherer Risiken<br />
in Kriegsgebieten von Leistungen aus,<br />
sagt Christoph Abeln, Chef einer gleichnamigen<br />
Berliner Kanzlei. Es sei „gesetzlich<br />
fixierter Widersinn“, was der Bund per Gesetz<br />
zur „Regelung von Sekundierungen im<br />
Rahmen von Einsätzen der zivilen Krisenprävention“<br />
nicht nur für OSZE-Missionen<br />
festschreibt: Ausgerechnet gegenüber Mitarbeitern<br />
in Krisengebieten entzieht sich<br />
250 Kräfte<br />
der OSZE sind in der<br />
Ukraine im Einsatz<br />
MITTEN IM KRIEG<br />
Im Moment setzt die OSZE in der Ukraine<br />
250 Kräfte ein – darunter 17 Deutsche. Für<br />
250 weitere läuft eine Ausschreibung, die<br />
Neuen sollen Erfahrung bei der Überwachung<br />
von Waffenstillständen mitbringen.<br />
Viele Freiwillige sind in umkämpften Ostgebieten<br />
der Ukraine unterwegs, sprechen<br />
mit Soldaten und Rebellen, befragen Anwohner.<br />
Einer von ihnen ist Bruno Brückmann;<br />
seinen wahren Namen will er nicht<br />
gedruckt sehen. „Mit friedlichem Beobachten<br />
hat diese Mission nichts zu tun“, sagt er.<br />
„Wir stecken mitten in einem Krieg mit<br />
Mörsern und Granaten.“ Nie habe er einen<br />
Einsatz erlebt, der „so dilettantisch vorbereitet<br />
und begleitet wurde wie dieser“, sagt<br />
er in Richtung der OSZE-Führung in Wien.<br />
Dort heißt es, der Einsatz „ist und bleibt eine<br />
zivile Mission“. Die Sicherheitslage werde<br />
ständig überprüft, es gebe „angemessene<br />
Maßnahmen zur Risikominimierung“.<br />
Friedrich Haas kennt die Ukraine. Er ist<br />
Chef der Bielefelder Sicherheitsberatung<br />
AKE, war in Beobachtermissionen tätig<br />
und begleitet nun Fernsehteams in den Osten<br />
des Landes. „Vielen Beobachtern fehlt<br />
die Erfahrung, sie unterschätzen leicht die<br />
Gefahr.“ Wer bei früheren Einsätzen dabei<br />
gewesen sei, habe sich auf Armeen verlassen<br />
können: Wer sich im Kosovo in ein Minenfeld<br />
verirre, den hole die Truppe ab. In<br />
der Ukraine nicht: „Da werden Sie nicht<br />
einmal bei einem Beinbruch versorgt.“ Bei<br />
der OSZE heißt es, man baue mit der Vergrößerung<br />
der Mission eine medizinische<br />
Versorgung vor Ort auf. Das tut auch not. n<br />
florian.willershausen@wiwo.de | Berlin, thomas kuhn<br />
FOTO: CORBIS IMAGES/ITAR TASS/SAZONCHIK KONSTANTIN<br />
38 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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FOTOS: SAMMY HART, WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, BERLINPRESSPHOTO/HENNING SCHACHT<br />
PARIS | Die Regierung<br />
spart an der<br />
Kinderprämie –<br />
Eltern schlagen<br />
Alarm. Von Karin<br />
Finkenzeller<br />
Kindersegen<br />
auf der Kippe<br />
Frankreich, du hast es<br />
besser. Zumindest was<br />
die Geburtenrate angeht,<br />
schien das bisher zu stimmen.<br />
Mit 1,99 Kindern<br />
pro Frau liegt Frankreich<br />
weit vor Deutschland und gilt als leuchtendes<br />
Vorbild, was die Vereinbarung von<br />
Beruf und Familie angeht. Da wird zwar<br />
ausgeblendet, dass auch die Nachbarn<br />
ein Krippenplatzproblem haben und Kinder<br />
in ihren Horten häufig kein Fleckchen<br />
Grün sehen. Aber es ist schon richtig: Die<br />
Drei-Kind-Familie ist in Frankreich nicht<br />
ungewöhnlich. Doch jetzt fürchten die<br />
Nachbarn um ihre hohe Geburtenrate.<br />
Weil die Kassen leer sind, will die Regierung<br />
die Prämie ab dem zweiten Kind<br />
von derzeit 923 Euro um zwei Drittel senken<br />
– zumindest bei Familien, die sich<br />
das leisten können. Zudem soll die Erziehungszeit<br />
von derzeit drei Jahren auf 18<br />
Monate reduziert werden, wenn nur ein<br />
Elternteil die Auszeit nimmt. Offiziell soll<br />
dies Väter dazu animieren, sich ebenfalls<br />
ausgiebig mit dem Nachwuchs zu beschäftigen.<br />
Insgeheim aber hofft die<br />
Regierung darauf, dass dies nicht klappt<br />
und sie 300 bis 400 Millionen Euro pro<br />
Jahr einsparen kann. Schon empören<br />
sich Experten und Vorsitzende von Elternvereinigungen.<br />
Französische Paare könnten,<br />
so die einhellige Befürchtung, es<br />
sich künftig dreimal überlegen, Kinder zu<br />
kriegen oder den Zeitpunkt dafür weit<br />
nach hinten verschieben.<br />
Charles de Gaulle würde sich im Grab<br />
umdrehen. Der erste Präsident nach dem<br />
Zweiten Weltkrieg hatte die Geburtenförderprogramme<br />
doch eingeführt, damit<br />
viele, viele Franzosen nie wieder von den<br />
Deutschen überrannt würden.<br />
Karin Finkenzeller ist Frankreich-<br />
Korrespondentin der WirtschaftsWoche.<br />
BERLIN INTERN | Nicht Politik verdirbt den Charakter,<br />
sondern Charaktere verderben die Politik. Beim<br />
Journalismus ist es nicht anders. Von Henning Krumrey<br />
Kohle mit Kohl<br />
Der politische Kampf war sein<br />
Lebenselixier, nichts Menschliches<br />
war ihm hier fremd, etliche<br />
Intrigen hat er erlitten, mindestens<br />
genauso viele angezettelt. Auf seine<br />
alten Tage wird Helmut Kohl aber noch<br />
Hauptperson eines Eifersuchtsdramas.<br />
Als enttäuschter Liebhaber drängt der<br />
Journalist Heribert Schwan ins Rampenlicht,<br />
den Kohl als Geistschreiber für seine<br />
Memoiren angeheuert hatte. Zwischen<br />
2001 und 2002 trafen sich der abgewählte<br />
Geht doch Kanzlerin Merkel hat die Gabel<br />
– anders als Kohl damals klagte – im Griff<br />
Bundeskanzler und der auserwählte Autor<br />
zu 105 Sitzungen, meist im Hobbykeller<br />
des berühmten Oggersheimer Bungalows.<br />
Schwan zeichnete die Gespräche auf<br />
Tonkassetten auf. Danach ging’s an die<br />
Produktion der ersten drei Bände; ab 2004<br />
verzichtete Schwan auf Hausbesuche, um<br />
Kohls neuer Partnerin Maike Richter aus<br />
dem Weg zu gehen. 2009 erhielt er Hausverbot,<br />
just als er mit der ersten Hälfte des<br />
vierten Bandes aufwarten wollte.<br />
Wut und Rache müssen Schwan treiben,<br />
wenn er die bösesten Kommentare und klaren<br />
Einordnungen des Einheitskanzlers veröffentlicht<br />
– ohne Absprache. Gleichwohl<br />
sieht sich Schwan berechtigt, die besonders<br />
klingenden Sprüche in ebensolche Münze<br />
umzuwandeln. „Ich bin der, der das Vermächtnis<br />
verwalten kann, so habe ich mich<br />
empfunden.“ Diese Rolle beansprucht inzwischen<br />
freilich auch Maike Kohl-Richter.<br />
Schwans Partner in der Aufbereitung und<br />
Vermarktung der Kohl’schen Tiraden ist der<br />
Autor und Filmemacher Tilman Jens. Ihm<br />
gelingt das Kunststück, bereits zum dritten<br />
Mal mit dem (Ab-)Leben eines Menschen<br />
ein Geschäft zu machen. Als „Stern“-Reporter<br />
war er nach dem Tod des Schriftstellers<br />
Uwe Johnson in dessen Haus in England<br />
eingedrungen, um Material zu sammeln.<br />
Nach der illegalen Recherche endete seine<br />
Karriere bei der Illustrierten. Zwischen 2008<br />
und 2010 konnte er aus der Alzheimer-<br />
Erkrankung seines Vaters, des Germanisten,<br />
Moralphilosophen und -apostels Walter<br />
Jens, Aufsehen und Kapital schlagen. Und<br />
nun also Kohls „Vermächtnis“. Gemein haben<br />
alle drei Objekte von Jens’ Neugier, dass<br />
sie sich nicht mehr selbst wehren können.<br />
Kein Zweifel: Kohl wird all die süffigen<br />
Beschimpfungen so gesagt haben. Sie decken<br />
sich mit vielen, die er bei vertraulichen<br />
Gesprächen im Büro, am Vorabend von<br />
Parteitagen, in kleiner Runde oder bei arrangierten<br />
Abendessen in der pfälzischen<br />
Heimat mit Wonne unter die Journalisten<br />
brachte. Kein Geheimnis beispielsweise ist,<br />
dass der frühere Fraktionsvorsitzende<br />
Friedrich Merz sich <strong>vom</strong> CDU-Patriarchen<br />
wie ein dummer Junge behandelt fühlte<br />
und sich Kohls gönnerhaft-herablassendes<br />
DuSie („Merz, gib mal ...“) verbat. Ihn beschimpft<br />
der Senior als „politisches Kleinkind“.<br />
Den späteren Minister- und Bundespräsidenten<br />
Christian Wulff hatte er vor<br />
dessen Aufstieg so oft und vernehmbar als<br />
Niete charakterisiert, dass Wulff sich am<br />
Abend seines niedersächsischen Wahlsieges<br />
im Frühjahr 2003 kurz nach 18 Uhr bei<br />
Kohl telefonisch mit den Worten meldete:<br />
„Hier spricht der Loser aus Hannover.“<br />
Als wollte er die Brisanz seines Vertrauensbruchs<br />
herunterspielen, sagt Schwan:<br />
„Wer Kohl ein bisschen kennt, für den bietet<br />
das Buch nichts Neues.“ Da hat er recht.<br />
Schwan behauptet, Kohl würde ihm auf<br />
die Schulter klopfen und ausrufen: „Volksschriftsteller,<br />
Gratulation!“ Doch wer Kohl<br />
kennt, der ahnt, dass er Schwans Verhalten<br />
zwar eindeutig, aber anders werten würde.<br />
Er würde einfach den einen Vokal in dessen<br />
Namen durch zwei andere ersetzen.<br />
WirtschaftsWoche <strong>13.10.2014</strong> Nr. 42 39<br />
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Der Volkswirt<br />
KOMMENTAR | In ihrem Herbstgutachten bestätigen die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute<br />
den Abwärtstrend der deutschen Wirtschaft. Zugleich warnen<br />
sie davor, die geldpolitischen Schleusen weiter zu öffnen und breit angelegte<br />
öffentliche Investitionsprogramme aufzulegen. Von Malte Fischer<br />
Ende der Kuschel-Konjunktur<br />
War es nicht ein tolles<br />
Gefühl, als uns<br />
vor wenigen Monaten<br />
noch fast<br />
täglich Nachrichten von einer<br />
kräftig wachsenden Wirtschaft,<br />
neuen Beschäftigungsrekorden<br />
und steigenden Einkommen<br />
das Gefühl vermittelten: Es<br />
geht uns gut – und morgen<br />
wird es uns noch besser gehen?<br />
Während um uns herum<br />
in Europa Krise angesagt war,<br />
wähnten wir uns in Deutschland<br />
auf einer Insel der Wirtschafts-Glückseligen.<br />
Die Krise<br />
nahmen wir allenfalls televisionär<br />
wahr oder – mit einem<br />
Schuss Ferienlaune gepaart –<br />
als Urlauber am Mittelmeer.<br />
SCHLUSS MIT LUSTIG<br />
Doch jetzt ist es mit der bundesdeutschen<br />
Kuschel-Konjunktur<br />
vorbei. Im Tagesrhythmus prasseln<br />
Horrormeldungen aus der<br />
Wirtschaft auf uns nieder. Im<br />
August brachen die Aufträge in<br />
der Industrie ein, die Produktion<br />
sank, und auch im Export – der<br />
Paradedisziplin der deutschen<br />
Wirtschaft – ging es steil bergab.<br />
Daran mag die ungewöhnliche<br />
Lage der Sommerferien eine<br />
Teilschuld tragen. Doch auch<br />
der mittelfristige Trend der Konjunktur<br />
zeigt nach unten. Das<br />
bestätigten in der vergangenen<br />
Woche die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute<br />
in ihrem<br />
Herbstgutachten. Darin<br />
prognostizieren sie für dieses<br />
Jahr nur noch ein Wachstum<br />
des realen Bruttoinlandsprodukts<br />
(BIP) von 1,3 Prozent, im<br />
nächsten Jahr dürfte die Rate<br />
auf 1,2 Prozent sinken. Ausschlaggebend<br />
für das unsanfte<br />
Bremsmanöver ist die erlahmende<br />
Weltwirtschaft. In den<br />
Ländern der Euro-Zone, die den<br />
wichtigsten Absatzmarkt für die<br />
deutschen Unternehmen bilden,<br />
stagniert die Wirtschaft; in den<br />
Schwellenländern hat sie erheblich<br />
an Dynamik eingebüßt. Nur in<br />
den USA und in Großbritannien<br />
dreht sich der Konjunkturmotor –<br />
künstlich angekurbelt durch<br />
Niedrigzinsen – etwas schneller.<br />
Die trüben Absatzaussichten und<br />
die internationalen Konflikte<br />
(Ukraine, Irak) liegen wie Mehltau<br />
auf den Investitionsplanungen der<br />
Unternehmen. „Kaum etwas<br />
spricht dafür, dass sich die Investitionszurückhaltung<br />
bald legen<br />
wird“, schreiben die Institute in<br />
Weniger Wachstum, mehr Arbeitslose<br />
Bruttoinlandsprodukt und Arbeitslose in Deutschland<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
ihrem Gutachten. Die Folgen werden<br />
auch auf dem Arbeitsmarkt<br />
zu spüren sein. Die Institutsökonomen<br />
rechnen für nächstes Jahr<br />
mit einem Anstieg der Arbeitslosenzahl<br />
um 56 000 (siehe Grafik).<br />
KEIN AKTIONISMUS<br />
Angesichts der konjunkturellen<br />
Tristesse kann es nicht verwundern,<br />
dass in den Büros der Europäischen<br />
Zentralbank (EZB) und<br />
der Berliner Ministerien die<br />
Alarmglocken läuten. Während<br />
man in Frankfurt erwägt, die Geldschleusen<br />
noch weiter zu öffnen,<br />
Bruttoinlandsprodukt 1 Arbeitslose 2<br />
2010 2011 2012 2013 2014 3 2015 3<br />
1 Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent; 2 in Millionen; 3 Prognose;<br />
Quelle: Gemeinschaftsdiagnose<br />
3,3<br />
3,1<br />
2,9<br />
2,7<br />
2,5<br />
terkarieren die Bestrebungen der<br />
Bankenunion, Eigentümer und<br />
Gläubiger der Banken im Krisenfall<br />
die Verluste tragen zu lassen.<br />
Zudem reizten die Käufe die Banken<br />
zu noch riskanteren Finanzgeschäften<br />
an. Zu den an den Finanzmärkten<br />
heiß diskutierten<br />
Käufen von Staatsanleihen durch<br />
die EZB schweigen die Institute<br />
jedoch. Dieses Instrument stünde<br />
„derzeit aus politischen Gründen<br />
nicht zur Verfügung“, heißt es im<br />
Gutachten. Diese Einschätzung ist<br />
naiv. Die Erfahrung hat gezeigt,<br />
dass sich die EZB über alle politi-<br />
sinniert man in Berlin über punktuelle<br />
Entlastungen für die Wirtschaft.<br />
Zu Recht warnen die Institute<br />
daher davor, in der Geld- und<br />
Finanzpolitik nun in blindem Aktionismus<br />
zu verfallen. Ausgesprochen<br />
kritisch gehen sie mit der<br />
Geldpolitik der EZB ins Gericht.<br />
Sie habe ihre Möglichkeiten zur<br />
Stimulierung der Konjunktur ausgeschöpft.<br />
Weiter gehende Maßnahmen<br />
richteten mehr Schaden<br />
an, als sie Nutzen stiften. Die von<br />
der EZB angekündigten Käufe von<br />
forderungsbesicherten Wertpapieren<br />
stellen nach Ansicht der Institute<br />
eine „Altlastenbereinigung<br />
der Bankbilanzen“ dar und konschen<br />
Einwände hinwegsetzt<br />
und selbstermächtigend ihren<br />
geldpolitischen Handlungsspielraum<br />
über die gültigen Rechtsnormen<br />
hinweg ausweitet, wenn<br />
ihr dies opportun erscheint. Hier<br />
hätte man sich ein kritisches<br />
Wort der Institute gewünscht.<br />
Blieb dies aus, weil es keinen<br />
Konsens in der Sache gab?<br />
FEHLENDER MUT<br />
Den Finanzpolitikern empfehlen<br />
die Institute, auf groß angelegte<br />
Konjunkturprogramme zu verzichten,<br />
wie sie von Politikern<br />
aus Frankreich, Italien und den<br />
USA immer wieder gefordert<br />
werden. Stattdessen sollte die<br />
Regierung die sich abzeichnenden<br />
Budgetüberschüsse nutzen,<br />
um die Steuerbelastung etwa<br />
durch den Abbau der kalten<br />
Progression zu reduzieren. Auf<br />
der <strong>Ausgabe</strong>nseite sollte die Regierung<br />
mehr Geld für die Bildung<br />
und die punktuelle Verbesserung<br />
der öffentlichen<br />
Infrastruktur ausgeben. Statt<br />
derartiger etatistischer Reflexe<br />
hätten die Institute sich allerdings<br />
besser Gedanken darüber<br />
machen sollen, wie man diese<br />
für das Wachstum der Wirtschaft<br />
wichtigen Bereiche stärker<br />
für private Investoren öffnet.<br />
Immerhin haben die Institute<br />
erkannt, dass eine wachstumsfördernde<br />
Finanzpolitik nicht<br />
zuvorderst im Geldausgeben<br />
besteht. Daher fordern sie mehr<br />
Deregulierung und Entbürokratisierung.<br />
Zudem kritisieren<br />
sie den Mindestlohn, der faktisch<br />
ein Arbeitsverbot für<br />
gering Qualifizierte darstellt.<br />
Doch für die Forderung, auf<br />
dessen Einführung ganz zu<br />
verzichten, fehlte den Instituten<br />
leider der Mut.<br />
FOTO: FRANK SCHEMMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
40 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
KONJUNKTUR DEUTSCHLAND<br />
Der Aufschwung kommt<br />
erst im nächsten Jahr<br />
Kaum ist die Produktion in der<br />
deutschen Industrie gesunken,<br />
da grassiert auch schon wieder<br />
das hässliche R-Wort: Rezession.<br />
Die deutsche Wirtschaft, so<br />
unken Analysten, könnte im<br />
dritten Quartal erneut geschrumpft<br />
sein. Nach dem Minus<br />
von 0,2 Prozent im zweiten<br />
Quartal wäre es der zweite<br />
Rückgang des realen Bruttoinlandsprodukts<br />
(BIP) in Folge.<br />
Damit wäre die Definition einer<br />
Rezession erfüllt. Auch für das<br />
Jahresschlussquartal deutet<br />
sich kein Ende des Abwärtstrends<br />
an. Wichtige Frühindikatoren<br />
wie der ifo-Geschäftsklimaindex<br />
und die Einkaufsmanagerindizes<br />
befinden sich<br />
auf Talfahrt, die Bestelleingänge<br />
bei den Unternehmen sinken.<br />
Doch es gibt einen Hoffnungsschimmer,<br />
dass die konjunkturelle<br />
Durststrecke<br />
nächstes Jahr zu Ende geht. Er<br />
kommt <strong>vom</strong> Earlybird, dem<br />
Frühindikator, den die Commerzbank<br />
monatlich exklusiv<br />
für die WirtschaftsWoche berechnet.<br />
Anders als andere<br />
Frühwarnsignale beruht der<br />
Earlybird außer auf Stimmungsumfragen<br />
auch auf der<br />
Messung des monetären und<br />
des außenwirtschaftlichen Umfelds<br />
der deutschen Wirtschaft.<br />
Gegenüber dem ifo-Geschäftsklima<br />
weist er daher einen Vorlauf<br />
von etwa einem Jahr auf.<br />
Im September setzte der Earlybird<br />
mit einem Plus auf 0,49<br />
Punkte seinen Aufwärtstrend<br />
fort, den er Anfang 2014 begonnen<br />
hatte. Ausschlaggebend dafür<br />
war die Abwertung des Euro.<br />
Gegenüber den wichtigsten<br />
Handelspartnerwährungen verlor<br />
die Gemeinschaftswährung<br />
im Vorjahresvergleich real ein<br />
Prozent an Wert. Dagegen hat<br />
sich das weltwirtschaftliche<br />
Umfeld, das ebenfalls in den<br />
Earlybird eingeht, eingetrübt.<br />
Das gilt vor allem für die<br />
Schwellenländer. Die Ökonomen<br />
der Commerzbank rechnen<br />
daher für dieses und das<br />
nächste Jahr nur mit einem<br />
Wirtschaftswachstum von je 1,3<br />
Prozent.<br />
Der Earlybird macht Hoffnung<br />
Bruttoinlandsprodukt und Earlybird-Konjunkturbarometer<br />
1,00<br />
0,75<br />
0,50<br />
0,25<br />
0<br />
–0,25<br />
–0,50<br />
–0,75<br />
–1,00<br />
Earlybird 2<br />
malte.fischer@wiwo.de<br />
Bruttoinlandsprodukt<br />
1<br />
1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011 2014<br />
1<br />
zum Vorquartal (in Prozent); 2 gewichtete Summe aus kurzfristigem realem Zins, effektivem<br />
realem Außenwert des Euro und Einkaufsmanagerindizes; Quelle: Commerzbank<br />
4,0<br />
3,0<br />
2,0<br />
1,0<br />
0<br />
–1,0<br />
–2,0<br />
–3,0<br />
–4,0<br />
Produktion<br />
bricht ein<br />
Die aktuelle Konjunkturschwäche<br />
trifft den Kern der deutschen<br />
Wirtschaft. Im verarbeitenden<br />
Gewerbe brach die<br />
Produktion im August um 4,8<br />
Prozent ein. Im Durchschnitt<br />
der Monate Juli/August lag sie<br />
um 0,5 Prozent unter dem<br />
Schnitt des zweiten Quartals.<br />
Auch im Baugewerbe ging der<br />
Output zurück (minus 2,0 Prozent).<br />
Dagegen steigerte die<br />
Energiewirtschaft ihre Erzeugung<br />
leicht um 0,3 Prozent. Das<br />
Minus im gesamten produzierenden<br />
Gewerbe betrug somit<br />
4,0 Prozent. Zwar drückte die<br />
späte Lage der Sommerferien<br />
die wirtschaftliche Aktivität im<br />
Bundesgebiet im August nach<br />
unten. Auch die Auftragseingänge<br />
der Industrie sanken, das<br />
Minus belief sich auf 5,7 Prozent.<br />
Doch mittlerweile zeigt<br />
auch der Trend von Aufträgen<br />
und Produktion nach unten.<br />
Keine guten Aussichten also.<br />
Volkswirtschaftliche<br />
Gesamtrechnung<br />
Real. Bruttoinlandsprodukt<br />
Privater Konsum<br />
Staatskonsum<br />
Ausrüstungsinvestitionen<br />
Bauinvestitionen<br />
Sonstige Anlagen<br />
Ausfuhren<br />
Einfuhren<br />
Arbeitsmarkt,<br />
Produktion und Preise<br />
Industrieproduktion 1<br />
Auftragseingänge 1<br />
Einzelhandelsumsatz 1<br />
Exporte 2<br />
ifo-Geschäftsklimaindex<br />
Einkaufsmanagerindex<br />
GfK-Konsumklimaindex<br />
Verbraucherpreise 3<br />
Erzeugerpreise 3<br />
Importpreise 3<br />
Arbeitslosenzahl 4<br />
Offene Stellen 4<br />
Beschäftigte 4, 5<br />
2012 2013<br />
Durchschnitt<br />
0,4<br />
0,8<br />
1,0<br />
–4,0<br />
–1,4<br />
3,4<br />
3,2<br />
1,4<br />
2012 2013<br />
Durchschnitt<br />
–0,9<br />
–4,2<br />
0,1<br />
3,3<br />
105,0<br />
46,7<br />
5,9<br />
2,0<br />
1,6<br />
2,1<br />
2896<br />
478<br />
29355<br />
0,1<br />
0,9<br />
0,4<br />
–2,4<br />
–0,2<br />
3,0<br />
0,9<br />
1,5<br />
–0,2<br />
2,5<br />
0,2<br />
–0,2<br />
106,9<br />
50,6<br />
6,5<br />
1,5<br />
–0,1<br />
–2,5<br />
2950<br />
458<br />
29722<br />
II/13 III/13 IV/13 I/14 II/14<br />
Veränderung zum Vorquartal in Prozent<br />
0,8<br />
0,6<br />
0,0<br />
2,3<br />
3,0<br />
0,0<br />
1,4<br />
1,3<br />
Juni<br />
2014<br />
0,4<br />
–2,5<br />
1,1<br />
1,0<br />
109,7<br />
52,0<br />
8,6<br />
1,0<br />
–0,8<br />
–1,2<br />
2913<br />
482<br />
30233<br />
1 Volumen, produzierendes Gewerbe, Veränderung zum Vormonat in Prozent; 2 nominal, Veränderung zum Vormonat in<br />
Prozent; 3 Veränderung zum Vorjahr in Prozent; 4 in Tausend, saisonbereinigt; 5 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte;<br />
alle Angaben bis auf Vorjahresvergleiche saisonbereinigt; Quelle: Thomson Reuters<br />
0,3<br />
0,7<br />
0,6<br />
–0,5<br />
1,8<br />
0,2<br />
0,7<br />
1,7<br />
Juli<br />
2014<br />
1,6<br />
4,9<br />
–1,1<br />
4,8<br />
108,0<br />
52,4<br />
8,9<br />
0,8<br />
–0,8<br />
–1,7<br />
2902<br />
484<br />
30263<br />
0,5<br />
–0,8<br />
–0,1<br />
2,1<br />
0,7<br />
0,2<br />
1,7<br />
0,7<br />
Aug.<br />
2014<br />
–4,0<br />
–5,7<br />
2,6<br />
–5,8<br />
106,3<br />
51,4<br />
8,9<br />
0,8<br />
–0,8<br />
–1,9<br />
2905<br />
494<br />
–<br />
0,7<br />
0,8<br />
0,4<br />
2,1<br />
4,1<br />
1,2<br />
0,0<br />
0,5<br />
Sept.<br />
2014<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
104,7<br />
49,9<br />
8,6<br />
0,8<br />
–<br />
–<br />
2918<br />
500<br />
–<br />
–0,2<br />
0,1<br />
0,1<br />
–0,4<br />
–4,2<br />
0,1<br />
0,9<br />
1,6<br />
Okt.<br />
2014<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
8,3<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
Letztes Quartal<br />
zum Vorjahr<br />
in Prozent<br />
0,8<br />
1,0<br />
1,0<br />
2,1<br />
0,7<br />
1,6<br />
2,5<br />
4,1<br />
Letzter Monat<br />
zum Vorjahr<br />
in Prozent<br />
–5,9<br />
–4,2<br />
0,1<br />
–1,0<br />
–3,1<br />
–2,3<br />
16,9<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–1,6<br />
9,7<br />
1,8<br />
WirtschaftsWoche <strong>13.10.2014</strong> Nr. 42 41<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Der Volkswirt<br />
NACHGEFRAGT Leon Louw<br />
»Ammenmärchen der Linken«<br />
Wir sollten die Ungleichheit der Einkommen und Vermögen feiern, statt sie zu beklagen,<br />
sagt der <strong>vom</strong> Marxisten zum Libertären gewandelte frühere Anti-Apartheid-Aktivist.<br />
Herr Louw, das in diesen<br />
Tagen in deutscher Sprache<br />
erschienene Buch des französischen<br />
Ökonomen Thomas<br />
Piketty „Das Kapital im 21.<br />
Jahrhundert“ hat weltweit eine<br />
Diskussion um die Einkommens-<br />
und Vermögensverteilung<br />
ausgelöst. Wie groß ist<br />
die Lücke zwischen Arm und<br />
Reich wirklich?<br />
In den vergangenen 25 Jahren<br />
sind dank des kräftigen Wirtschaftswachstums<br />
weltweit<br />
rund zwei Milliarden Menschen<br />
der Armut entronnen.<br />
Da die Einkommen in unterschiedlichem<br />
Maße gestiegen<br />
sind, ist die Verteilung ungleicher<br />
geworden. Das sollten wir<br />
aber nicht beklagen, sondern<br />
feiern. Denn die Ungleichheit<br />
spiegelt den Erfolg bei der Armutsbekämpfung<br />
wider. Ökonomen<br />
wie Thomas Piketty,<br />
die die Ungleichheit beklagen,<br />
blenden das aus. Statt sich Gedanken<br />
darüber zu machen,<br />
wie diejenigen, die noch immer<br />
arm sind, ihre Einkommen<br />
verbessern können, trachtet<br />
Piketty mit seinen Umverteilungsforderungen<br />
den Reichen<br />
nach deren Vermögen.<br />
Wäre es nicht besser, die Einkommen<br />
stiegen gleichmäßig?<br />
Warum? Die Menschen sind<br />
mit unterschiedlichen Fähigkeiten<br />
ausgestattet. Einige arbeiten<br />
und sparen mehr als andere,<br />
einige bauen Kapital auf<br />
und werden Unternehmer, andere<br />
wiederum werden Angestellte.<br />
In einer freien Gesellschaft<br />
entwickeln sich die<br />
Einkommen und Vermögen<br />
der Menschen unterschiedlich,<br />
weil sie unterschiedliche Begabungen<br />
haben. Wer das bekämpft,<br />
hindert die Menschen<br />
DER KÄMPFER<br />
Louw, 66, leitet die Free Market<br />
Foundation, eine der einflussreichsten<br />
Denkfabriken Afrikas.<br />
Louw, <strong>vom</strong> Marxisten zum Libertären<br />
gewandelt, hat als Anwalt<br />
aufseiten des ANC gegen die<br />
Apartheid gekämpft und wurde<br />
zwei Mal für den Friedensnobelpreis<br />
nominiert.<br />
daran, ihren Status quo entsprechend<br />
ihren Fähigkeiten<br />
zu verbessern.<br />
Was sind die entscheidenden<br />
Faktoren, um die Armut zu<br />
überwinden?<br />
Die Erfahrung zeigt:Der beste<br />
Weg aus der Armut sind marktwirtschaftliche<br />
Reformen wie<br />
Deregulierung, Privatisierung<br />
und die Freigabe von Preisen.<br />
Beispiele dafür sind die Reformen<br />
in Indien nach 1993, die<br />
Sonderwirtschaftszonen in<br />
China und die Privatisierungspolitik<br />
in Afrika. Ginge es Verteilungsökonomen<br />
wie Piketty<br />
darum, den Armen zu helfen,<br />
müssten sie mehr Marktwirtschaft<br />
statt mehr Umverteilung<br />
fordern.<br />
Piketty fürchtet, die Ungleichheit<br />
könne die Gesellschaft<br />
auseinanderreißen...<br />
...wofür es keine Belege gibt.<br />
Der Ökonom Thomas Sowell<br />
hat gezeigt, dass Gesellschaften<br />
mit großer Ungleichheit<br />
weniger von sozialen Spannungen<br />
und Gewalttaten betroffen<br />
sind als Gesellschaften,<br />
in denen die Einkommen näher<br />
beieinander liegen. Ein<br />
Beispiel ist die Entwicklung in<br />
Südafrika. Die Einkommen der<br />
Schwarzen und der Weißen haben<br />
sich seit dem Ende der<br />
Apartheid zunehmend angeglichen.<br />
Gleichzeitig haben die<br />
sozialen Spannungen im gesamten<br />
Land zugenommen. Jeder<br />
weiß aus eigenen Erfahrungen:<br />
Die Missgunst ist unter<br />
ähnlich entlohnten Kollegen<br />
meist größer als gegenüber<br />
dem besser bezahlten Vorgesetzten.<br />
Die Vorstellung der<br />
politischen Linken, die Armen<br />
trachteten den Begüterten<br />
nach deren Reichtum, ist ein<br />
Ammenmärchen, eine Neuauflage<br />
der längst widerlegten<br />
Klassenkampftheorie des<br />
Marxismus. Die Realität sieht<br />
anders aus. Die Menschen<br />
sind stolz darauf, wenn sie bei<br />
erfolgreichen Unternehmen<br />
arbeiten, auch wenn sie nur<br />
einen Bruchteil dessen verdie-<br />
»Die Armen<br />
entscheiden mit<br />
ihren Käufen,<br />
wer reich wird«<br />
nen, was der Unternehmensinhaber<br />
erhält.<br />
Heißt das, wir sollten uns über<br />
Einkommensungleichheit<br />
keine Gedanken machen?<br />
Grundsätzlich sollten wir Einkommensungleichheiten<br />
ebenso akzeptieren wie die<br />
Tatsache, dass einige Menschen<br />
blonde, andere hingegen<br />
schwarze Haare haben.<br />
Allerdings gibt es Ungleichheit,<br />
die auf Betrug, Diebstahl und<br />
Vetternwirtschaft beruht. Sie<br />
ist nicht akzeptabel, denn der<br />
Reichtum der einen geht hier<br />
zulasten des Eigentums der<br />
anderen. Die meisten Reichen<br />
aber sind reich, weil sie Produkte<br />
und Dienstleistungen<br />
anbieten, mit denen sie ihre ärmeren<br />
Mitmenschen glücklich<br />
machen. In einer Marktwirtschaft<br />
entscheiden die Armen<br />
mit ihren Käufen darüber, wer<br />
reich wird.<br />
Muss der Staat nicht für mehr<br />
Chancengleichheit sorgen?<br />
Studien zeigen, dass die Lebenschancen<br />
der Menschen in<br />
erster Linie von ihren Genen<br />
bestimmt werden. Diese lassen<br />
sich ebenso wie andere wichtige<br />
Einflussgrößen, etwa die Familie<br />
und die Sozialstruktur,<br />
in die die Menschen hineingeboren<br />
werden, von staatlicher<br />
Seite nicht ändern, es sei denn,<br />
man will einen totalitären<br />
Staat. Die Politiker sollten daher<br />
aufhören, Sozialingenieure<br />
zu spielen und die Menschen<br />
zu manipulieren, als seien sie<br />
Figuren auf einem Schachbrett.<br />
In einer freien Gesellschaft gibt<br />
es nur eine Form der Gleichheit,<br />
für die der Staat sorgen<br />
muss: die Gleichheit vor dem<br />
Gesetz.<br />
malte.fischer@wiwo.de<br />
FOTO: FINANCIAL MAIL/ARNOLD PRONTO<br />
42 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Der Volkswirt<br />
DENKFABRIK | Die Kritik an den Anleihenkäufen der Europäischen Zentralbank ist<br />
unberechtigt. Die Ausfallrisiken der Papiere sind geringer als befürchtet. Zudem<br />
steigern die Zinseinnahmen daraus den Gewinn der Zentralbank. Davon profitieren<br />
auch die deutschen Steuerzahler. Von Holger Schmieding<br />
Das Märchen von der Schrottbank<br />
Oh, Kassandra. Im<br />
deutschen Elfenbeinturm<br />
hättest du dich<br />
wohlgefühlt. Dort<br />
reißt der Strom der Schauergeschichten<br />
nicht ab. Im Jahr<br />
2005 machte die düstere<br />
These die Runde, Deutschland<br />
würde zu einer Basar-Ökonomie<br />
verkommen. Stattdessen<br />
begann bei uns damals dank<br />
der Reformen des Jahres 2004<br />
eine industrielle Renaissance,<br />
um die uns die Welt bis heute<br />
beneidet. Und trotz schriller<br />
Warnungen deutscher Ökonomen<br />
der letzten fünf Jahre,<br />
dass die Politik der Europäischen<br />
Zentralbank (EZB) unweigerlich<br />
zu Inflation führen<br />
müsse, ist der Auftrieb der<br />
Verbraucherpreise heute so<br />
verhalten wie selten zuvor.<br />
ANFÄNGERFEHLER<br />
Jetzt hat sich auch Hans-Werner<br />
Sinn, Chef des ifo Instituts,<br />
dem Chor der Kritiker angeschlossen,<br />
die die EZB als „Bad<br />
Bank“ verunglimpfen (WirtschaftsWoche<br />
40/2014). Durch<br />
die avisierten Käufe fragwürdiger<br />
Anleihen würde sie Banken<br />
deren Bilanzschrott abnehmen<br />
und den Steuerzahlern unverantwortliche<br />
Risiken aufbürden.<br />
Genauso wie einst die Fehlprognose,<br />
die EZB führe uns in die<br />
Inflation, beruht die „Bad<br />
Bank“-Anklage auf einem volkswirtschaftlichen<br />
Anfängerfehler.<br />
Denn Einkommen und Wohlstand,<br />
Arbeitsplätze und<br />
Risiken sind keine fest vorgegebenen<br />
Größen, die nur umverteilt<br />
werden können, sei es zwischen<br />
Arm oder Reich oder<br />
zwischen Geschäfts- und Notenbanken.<br />
Nein, diese Größen<br />
werden entscheidend durch die<br />
Wirtschaftspolitik gestaltet. Eine<br />
falsche Geldpolitik erhöht die Risiken,<br />
eine angemessene Geldpolitik<br />
mindert die Risiken.<br />
Rezessionen sind teuer. Gemessen<br />
am Anstieg unserer Staatsschulden,<br />
hat die Mega-Rezession<br />
nach der Lehman-Pleite im Herbst<br />
2008 die deutschen Steuerzahler<br />
über 250 Milliarden Euro gekostet.<br />
Im Sommer 2012 stand Deutschland<br />
erneut am Rande einer Rezession.<br />
Erst mit seiner Ansage,<br />
der grassierenden Spekulation auf<br />
einen Zerfall des Euro notfalls<br />
energisch entgegenzutreten, hat<br />
EZB-Präsident Mario Draghi die<br />
Panik gestoppt. Er hat uns damit<br />
Rezessionskosten von mehreren<br />
»Die Geldpolitik<br />
der EZB ist angemessen,<br />
sie<br />
schmälert das<br />
Risiko einer<br />
Rezession«<br />
Milliarden Euro erspart. Seit Mai<br />
haben der russische Feldzug gegen<br />
die Ukraine und andere geopolitische<br />
Risiken die deutsche<br />
Konjunktur erneut aus dem Tritt<br />
gebracht. Der jüngste Einbruch<br />
der ifo-Geschäftserwartungen<br />
zeigt, dass eine Rezession nicht<br />
mehr auszuschließen ist. Die EZB<br />
hat die Aufgabe, den Preisauftrieb<br />
bei knapp zwei Prozent pro Jahr zu<br />
halten. Mit nur noch 0,3 Prozent<br />
verfehlt sie dieses Ziel derzeit erheblich.<br />
Die aktuelle Schwäche<br />
gerade auch der deutschen Konjunktur<br />
spricht gegen ein spürbares<br />
Anziehen der Euro-Inflation in<br />
den kommenden Jahren. Das ein-<br />
deutige Mandat der EZB verpflichtet<br />
sie zum Gegensteuern. Da sie<br />
die Leitzinsen nicht mehr senken<br />
kann und den Spielraum für konventionelle<br />
Refinanzierungsangebote<br />
bereits ausgereizt hat, ist der<br />
Ankauf von Anleihen der nächste<br />
naheliegende Schritt. Die EZB wird<br />
Zinstitel in Form von Pfandbriefen<br />
und verbrieften Kreditbündeln<br />
kaufen. Sie tut dies im Tausch gegen<br />
Zentralbankgeld, das sie nahezu<br />
kostenlos schöpfen kann. Die<br />
zusätzlichen Zinseinnahmen erhöhen<br />
ihren Gewinn. Diesen Zusatzgewinn<br />
reicht sie anteilig an den<br />
deutschen Steuerzahler weiter,<br />
der über die Bundesbank zu 27<br />
Prozent Eigentümer der EZB ist.<br />
Natürlich könnten dem Zusatzgewinn<br />
auch Verluste gegenüberstehen,<br />
wenn die gekauften Titel<br />
ausfallen. Aber wie groß ist dieses<br />
Risiko? Die Ausfallrate für die Gesamtheit<br />
der Papiere, die die EZB<br />
kaufen will, lag von Mitte 2007<br />
bis Herbst 2013 bei 1,5 Prozent.<br />
Trotz der Weltfinanzkrise und der<br />
Euro-Krise, die in diese Zeit fielen,<br />
war die Ausfallrate sehr gering.<br />
Denn die europäischen Papiere<br />
sind von anderer Qualität als<br />
amerikanische ABS-Anleihen einschließlich<br />
der berüchtigten „Subprime-Papiere“,<br />
deren Ausfallrate<br />
in jener Zeit bei 18,4 Prozent lag.<br />
Die EZB will sich bei ihren Käufen<br />
auf die hochwertigen Segmente<br />
des Marktes konzentrieren. Für<br />
diese Segmente lagen die Ausfallraten<br />
selbst in der Finanzund<br />
Euro-Krise vielfach nur bei<br />
0,1 Prozent oder darunter. Die<br />
Wahrscheinlichkeit ist gering,<br />
dass Einzelverluste der EZB aus<br />
solchen Papieren ihre zusätzlichen<br />
Zinsgewinne aufzehren.<br />
RISKANTES NICHTSTUN<br />
Noch wichtiger aber ist, dass<br />
die EZB mit einer angemessenen<br />
Geldpolitik das Risiko<br />
einer Rezession schmälert.<br />
Damit verringert sie die Ausfallgefahr<br />
für Wertpapiere innerhalb<br />
und außerhalb ihrer<br />
Bilanz. In einem banalen Sinn<br />
haben die Kritiker natürlich<br />
recht: Menschliches Handeln<br />
birgt immer Chancen und Risiken.<br />
Aber Nichtstun wäre weit<br />
riskanter. Eine Zentralbank,<br />
die keine Geldpolitik betriebe,<br />
könnte mit einer Minibilanz<br />
weder einen Gewinn machen<br />
noch ein Risiko eingehen. Aber<br />
der Schaden, den sie durch<br />
den Verzicht auf Geldpolitik<br />
anrichtete, wäre katastrophal.<br />
Die Welle von Insolvenzen,<br />
Arbeitsplatzverlusten sowie<br />
Steuer- und Kreditausfällen<br />
würde nahezu alle Bürger teuer<br />
zu stehen kommen. Nur<br />
auf hypothetische Risiken zu<br />
schauen greift zu kurz. Die Notenbank<br />
muss eine angemessene<br />
Geldpolitik betreiben.<br />
Indem sie dies tut, mindert sie<br />
die Risiken für alle Beteiligten,<br />
auch für die deutschen Steuerzahler.<br />
Schmieding ist Chefvolkswirt<br />
der Berenberg Bank in London.<br />
Zuvor hat er unter anderem für<br />
Merrill Lynch gearbeitet.<br />
FOTOS: PR, WESTEND61/MARTIN MOXTER<br />
44 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Finale furioso<br />
FIAT | Vorstandschef Sergio Marchionne verwandelt den traditionsreichen Autobauer<br />
aus Turin in den Wurmfortsatz einer seelenlosen italo-amerikanischen Holding.<br />
Die einstige Ikone lebt künftig von putzigen Winzlingen aus heimischer Produktion und<br />
US-Importen mit Fiat-Aufkleber – und von der vagen Hoffnung, mit Alfa Romeo und<br />
Maserati vielleicht einmal zu VW oder BMW aufzuschließen.<br />
Der 13. Oktober soll in die Geschichte<br />
der Autoindustrie<br />
eingehen. An diesem Montag<br />
wird der Konzern Fiat Chrysler<br />
Automobiles an der Wall<br />
Street in New York gelistet. Das Datum ist<br />
mit Bedacht gewählt. Denn am zweiten<br />
Montag des Monats feiern Amerikaner ihre<br />
Entdeckung 1492 durch den gebürtigen<br />
Italiener Christoph Kolumbus, dessen<br />
Landsmann Amerigo Vespucci dem Kontinent<br />
später sogar noch seinen Namen gab.<br />
Entsprechend groß ist das Pathos, mit<br />
dem Konzernchef Sergio Marchionne auf<br />
beide Seiten des Atlantiks blickt und<br />
spricht. „Für uns wird der Columbus Day<br />
der Beginn einer neuen Welt, einer neuen<br />
Ära sein.“<br />
Eine neue Ära, eine neue Welt – daran<br />
schmiedet der 62-jährige Italo-Kanadier<br />
seit 2009, als er an der Spitze von Fiat 20<br />
Prozent des damals insolventen US-Autobauers<br />
Chrysler erwarb. Der Coup war nur<br />
ein erster Schritt. Anfang dieses Jahres sicherte<br />
sich Marchionne für 3,2 Milliarden<br />
Euro die restlichen Anteile des drittgrößten<br />
US-Autobauers, die bis dahin die nordamerikanische<br />
Autogewerkschaft UAW indirekt<br />
gehalten hatte. Auf diese Weise entstand<br />
das Gebilde Fiat Chrysler Automobiles,<br />
kurz: FCA, das nun an der Wall Street<br />
notiert.<br />
Auf dem Papier schickt Marchionne in<br />
New York einen Autoriesen aufs Parkett:<br />
Mit 4,4 Millionen verkauften Fahrzeugen<br />
und 300 000 Mitarbeitern steht das italienisch-amerikanische<br />
Paar auf Position sieben<br />
der größten Autohersteller der Welt.<br />
Gleichwohl ist der Wall-Street-Neuling mit<br />
einer Marktkapitalisierung von rund 9,3<br />
Milliarden Euro zum Börsenauftritt in der<br />
Branche ein Zwerg. Daimler etwa kommt<br />
auf 64 Milliarden und BMW auf 54 Milliarden.<br />
Einzig gegenüber dem französischen<br />
Wettbewerber PSA Peugeot-Citroën kann<br />
Marchionne Staat machen. Der angeschlagene<br />
Konzern ist mit 8,1 Milliarden Euro<br />
noch weniger wert.<br />
Die Anleger hat Marchionne auf Superlative<br />
eingestimmt:Sieben Millionen Autos<br />
der Marken Fiat, Alfa Romeo, Chrysler,<br />
Dodge, Ram, Jeep, Maserati und Ferrari<br />
will er bis 2018 verkaufen, 40 Prozent mehr<br />
als heute. Zudem soll FCA <strong>vom</strong> Massenzum<br />
Premiumanbieter aufsteigen. Die Arbeitsteilung<br />
steht fest:Ferrari, Maserati, Alfa<br />
Romeo und Jeep sorgen für Wachstum<br />
und Rendite, Chrysler, Ram und Dodge für<br />
das nötige Volumen und Fiats Miniflitzer<br />
für eine gute CO 2 -Bilanz.<br />
Für den Anfangsechziger wird die endgültige<br />
Verschmelzung von Fiat und Chrysler<br />
der letzte Akt seiner Karriere in dem<br />
Doppelkonzern. Denn Ende 2018 will er,<br />
wie er am vergangenen Dienstag verlauten<br />
ließ, das Unternehmen verlassen und etwas<br />
Neues anfangen. Für Fiat inszeniert<br />
Marchionne damit ein Finale furioso einer<br />
ebenso wechselvollen wie tragischen Geschichte.<br />
Ein Stoff, wie gemacht für eine<br />
italienische Oper – mit dem Triumphalismus<br />
in Giuseppe Verdis Nabucco und der<br />
schonungslosen Vorhaltung in Wolfgang<br />
Amadeus Mozarts Don Giovanni. Ein Stoff<br />
voller Emotionen, großer Hoffnungen und<br />
gebrochener Versprechen.<br />
Fiats Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft<br />
– als Opera seria, eine ernste Oper,<br />
mit Ouverture, drei Akten und am Ende einer<br />
melodramatischen Erlösung.<br />
Die Ouverture<br />
Marchionne steht auf einem Säulensockel<br />
mit der Inschrift „Fabrica Italia“,<br />
zu Deutsch: Fabrik Italien. Er trägt wie<br />
üblich einen schlammbraunen Pullover,<br />
darunter ein weißes Polo-Shirt. Ein<br />
goldener Lorbeerkranz bedeckt seinen<br />
Kopf. Marchionne gestikuliert wild.<br />
Links vor ihm steht eine Gruppe Arbeiter<br />
in Fiat-Werkskleidung. Sie schwenken rote<br />
Fahnen und Transparente mit politischen<br />
Kampfparolen aus den Sechzigerjahren<br />
des 20. Jahrhunderts wie „Avanti<br />
popolo“ (Vorwärts, das Volk) und „Lotta<br />
continua“ (der Kampf geht weiter).<br />
Rechts vor Marchionne streichelt ein<br />
Arbeiter einen Fiat 500, daneben pinselt<br />
ein anderer Arbeiter das Fiat-Logo auf<br />
die Motorhaube eines Dodge Journey. Auf<br />
einem Stuhl vor Marchionne sitzt Volkswagen-Chef<br />
Martin Winterkorn im<br />
dunkelblauen Zweireiher und blickt mit<br />
skeptischer Miene ins Publikum, umgeben<br />
von mehreren Herren in dunklen Businessanzügen,<br />
die dem Publikum den Rücken<br />
zuwenden. Das Orchester spielt auf.<br />
<br />
Marchionne ist in Hochstimmung. Er greift<br />
zu der Leier, die er mit sich trägt, und richtet<br />
sich an die Arbeiter: Seht, ich bringe<br />
euch gute Nachricht. Hoch lebe Fiat, hoch<br />
die Fabrik Italien, zu der ich euer Heimatland<br />
mache.<br />
Die Arbeiter drehen sich zu Marchionne,<br />
der euphorisch fortfährt:Chrysler war pleite<br />
2009, da sind wir eingestiegen. Seit<br />
»<br />
»»<br />
ILLUSTRATION: EDWIN FOTHERINGHAM<br />
46 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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WirtschaftsWoche <strong>13.10.2014</strong> Nr. 42 47<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
Kurzem haben wir die Mehrheit. Wir<br />
machen was draus. Wir werden ein Riese,<br />
wir werden global. Unser Sitz ist London,<br />
um Steuern zu spar’n. Unser Motor heißt<br />
Chrysler, dort drüben, über dem Teich. Unser<br />
Herz aber, ganz klar, bleibt hier in Italien.<br />
Heut ist der Tag an der Börse, ihr werdet<br />
sehen. Viva Fiat, Fabrica Italia!<br />
Doch noch bevor Marchionne von der<br />
Leier lässt, geht sein Gesang unter im Chor<br />
der Arbeiter. Mit anklagender Stimme<br />
wenden sie sich an Marchionne: Zu oft, zu<br />
viel hast du uns versprochen. Fabrica Italia<br />
– pah! Alles nur Phrasen, gebrochenes<br />
Wort. Wo sind die 20 Milliarden, die du uns<br />
verheißen? Kurzarbeit in Pomigliano, kein<br />
Licht in Mirafiori, 5400 Kollegen seit drei<br />
Jahren in Angst.<br />
Marchionne verzieht keine<br />
Miene. Als der Chor der Arbeiter<br />
endet, will er etwas erwidern.<br />
Doch die Herren in den dunklen<br />
Businessanzügen kommen ihm<br />
zuvor und schmettern ihm in<br />
hartem Sprechgesang entgegen:<br />
Einst war Fiat Mirafiori Europas<br />
Musik<br />
In unserer App-<br />
<strong>Ausgabe</strong> hören<br />
Sie hier die<br />
passenden Opern<br />
zum Text<br />
größte Autofabrik, heut schafft sie mit<br />
Glück nur halb so viel, wie sie könnt: lächerliche<br />
390 000 Fiat im Jahr.<br />
Da reißt Marchionne der Geduldsfaden.<br />
Er zeigt auf den grauhaarigen Herrn vor<br />
ihm am Rande der Bühne: Seht ihn euch<br />
an, das ist der Feind: Martin Winterkorn,<br />
Chef von VW! Ein Blutbad bringt sein Wirken,<br />
Rabatte auf alles. Das zerstört unsere<br />
Margen, den Gewinn obendrein. Will uns<br />
womöglich auch Alfa Romeo nehmen.<br />
Für kurze Zeit gelingt es Marchionne,<br />
Gehör bei den Arbeitern zu finden: Versprech<br />
euch fünf Milliarden für Alfa Romeo.<br />
Glaubt mir, 2018 ist es so weit. Neben<br />
jedem BMW wird bald ein neuer Alfa erstrahl’n.<br />
Damit überrollen wir sie alle, ob<br />
Audi, Mercedes, VW und BMW.<br />
Der Umsatz wird hoch geh’n, ich<br />
führe Ferrari, persönlich und sicher<br />
zum ganz großen Sieg.<br />
Doch Marchionnes Stimme<br />
geht unter in den Anklagen der<br />
Herren in den Businessanzügen<br />
und dem Chor der Arbeiter, die<br />
schimpfend die Bühne verlassen.<br />
»»<br />
Erster Akt<br />
Die Auslese<br />
Links auf der Bühne befindet sich ein<br />
Schrottplatz mit einem Kran, in dessen<br />
Zangen ein Lancia Delta hängt, ein<br />
Fahrzeug jener Fiat-Tochter, deren Modelle<br />
Marchionne künftig nicht mehr europaweit,<br />
sondern nur noch in Italien<br />
verkaufen will. Daneben stehen zwei<br />
Arbeiter mit großen Vorschlaghämmern<br />
und zertrümmern einen Fiat Punto. Auf<br />
einer Kanzel am rechten Rand der Bühne<br />
steht Marchionne im schlammbraunen<br />
Pullover mit Lorbeerkranz und kontrolliert<br />
die Arbeiter. Hinter dem Vorhang<br />
und noch nicht zu sehen steht ein<br />
großgewachsener, glatzköpfiger Herr mit<br />
schwarzgerahmter kantiger Designerbrille<br />
und betrachtet die Szene.<br />
<br />
Marchionne lehnt sich über den Rand der<br />
Kanzel und gibt mit den Händen Anweisungen.<br />
Die Arbeiter halten inne und<br />
ILLUSTRATION: EDWIN FOTHERINGHAM<br />
48 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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schauen angstvoll zu ihm auf. Marchionne<br />
blickt in die einzelnen Gesichter und wendet<br />
sich fast flehentlich an die Arbeiter:<br />
Lasst das Weinen, lasst das Klagen! Wir<br />
bauen nur noch, was der Käufer bezahlt.<br />
Schluss mit dem Lancia, den uns außer<br />
hier keiner mehr abnimmt. Schluss mit<br />
dem Punto ab kommendem Jahr. Höret<br />
mir zu, wir zahlen nur drauf. Jeder Fiat kostet<br />
uns Geld: 224 Euro im Schnitt im vergangenen<br />
Jahr. Lasst es euch sagen, wie<br />
mies es hier läuft. 2,2 Cent blieb’n zuletzt<br />
übrig <strong>vom</strong> Euro Umsatz. Das, im Konzern,<br />
ist zu wenig, klar.<br />
Die Arbeiter haken sich unter und wiederholen<br />
im Chor: Wir haben verstanden,<br />
wie mies es hier läuft. Also Schluss mit dem<br />
Lancia. Schluss auch mit dem Punto im<br />
kommenden Jahr. Nur noch Cinquecento,<br />
Panda und Ypsilon – nichts anderes mehr.<br />
Marchionne blickt zufrieden, die Arbeiter<br />
gehen zurück an ihren Platz und hantieren<br />
mit Akkuschrauber, Zange und Werkzeugschlüssel.<br />
Da tritt der Herr mit der schwarzgerahmten<br />
Designerbrille hinter dem Vorhang<br />
hervor und wendet sich an das Publikum.<br />
Werte Gesellschaft, gestatten Tumminelli.<br />
Freunde nennen mich Paolo, bin<br />
Italiener, einer von hier. Die Menschen, die<br />
mich kennen, die schätzen mich sehr. Früher,<br />
vor Jahren, hab ich hier gebrütet, für<br />
Alfa, im Stilzentrum, gleich um die Ecke,<br />
nicht weit weg von hier. Heut bin ich Professor<br />
für Design in Germania, an einer<br />
Hochschule in Colonia, nicht weit weg<br />
<strong>vom</strong> Rhein, und berate Unternehmen zu<br />
Marken und Design.<br />
Werte Gesellschaft, lasst uns nicht vergessen:<br />
Fiat war das industrielle Herz Italiens,<br />
Italien war Fiat. Drei von fünf Autos<br />
im Lande, die kamen von hier. Heute ist’s<br />
anders, ganz traurig zu sagen. Nicht einmal<br />
mehr jeder Dritte fährt mehr Fiat. Vorbei<br />
sind die goldenen Zeiten. Die Marke ist<br />
heut eine Molekularversion ihrer selbst.<br />
Auf den Kern reduziert, den kleinsten Nenner<br />
gebracht, molekularer bald noch als<br />
heute, ohne Punto und Lancia. Doch mutig<br />
war der Schritt, einer musste ihn wagen.<br />
Italien, es ehrt und fürchtet Marchionne,<br />
als Retter von Fiat und harten Patron.<br />
»»<br />
Zweiter Akt<br />
Das Geheimlabor<br />
Auf der Bühne steht ein Schild mit der<br />
Aufschrift „Da Giorgio“, zu Deutsch: bei<br />
Giorgio: So heißt das vertrauliche Projekt,<br />
in dem Marchionne neue Modelle<br />
entwickeln lässt. Im Hintergrund stehen<br />
in weißen Tüchern verhüllte Autos. Auf<br />
einem Werktisch liegt ein Automotor, an<br />
dem ein Mann in weißem Kittel arbeitet.<br />
Daneben steht Marchionne, wieder im<br />
braunen Pullover, diesmal aber mit<br />
dunkler Sonnenbrille. Das Orchester<br />
spielt das Lied der Gefangenen aus<br />
Nabucco, der Chor hinter der Bühne<br />
singt: „Flieg, Gedanke, auf goldenen<br />
Schwingen, flieg, umschwebe die Hügel,<br />
die Höhen, wo die Linden, die fächelnden<br />
Lüfte süß und weich in sich tragen der<br />
Heimaterde Duft.“<br />
<br />
Von links und von rechts nähern sich Frauen<br />
und Männer in weißen Kitteln,<br />
»<br />
WirtschaftsWoche <strong>13.10.2014</strong> Nr. 42 49<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
schwarzen Hüten mit tiefen Krempen<br />
und dunklen Sonnenbrillen. Jeder tippt einen<br />
Code in ein Gerät vor der Tür, die sich<br />
sodann öffnet. Der Raum füllt sich. Marchionne<br />
richtet sich an die Eingetroffenen.<br />
Wir planen Rekorde, Autos viel leichter,<br />
auf ganz neuer Plattform, für Alfa Romeo.<br />
Dazu neue Motoren, mit Ferrari und Maserati.<br />
Besseres auf der Welt habt ihr bestimmt<br />
nicht gesehen. 600 Leute, all’samt<br />
Ingenieure, hab’n wir hier, all’samt von Fiat<br />
und Maserati, von Ferrari sowieso. Schon<br />
bald sind wir fertig, im Juni nächsten Jahres.<br />
Dann wird er da stehen, der neue Alfa,<br />
elegant wie einst Giulietta, sportlich wie<br />
unser 4C-Coupé. Acht neue Modelle in vier<br />
Jahren, mehr Premium geht nicht, wir beweisen<br />
es hier.<br />
Die Mitarbeiter lauschen, Marchionne<br />
fährt fort: Statt 74 000 Alfas heute werden<br />
es 400 000 sein. Dazu 1,9 Millionen Jeeps<br />
aus Melfi, das Werk dort wird gefüllt dadurch.<br />
Und auch Mirafiori wird aufleben,<br />
mit Coupés und SUVs. Und Ferrari, oh<br />
glaubt mir, wird doppelt gut geh’n. Hoch lebe<br />
Fiat, hoch Autofabrica in unserem Land.<br />
»»<br />
DRITTER AKT<br />
Die Entzauberung<br />
Auf der Bühne steht ein Tisch mit den<br />
Männern in Businessanzügen, die ins<br />
Publikum blicken. Sie sind langjährige<br />
Kenner der Automobilbranche: der<br />
Amerikaner John Murphy, der jährlich in<br />
seiner Studie „Car Wars“ den US-Automarkt<br />
analysiert; der Italiener Maurizio<br />
Landini, Chef der linken italienischen<br />
Metallgewerkschaft Fiom; Stefan Bratzel,<br />
Professor für Automobilwirtschaft und<br />
Leiter des Center of Automotive Management<br />
an der Fachhochschule der Wirtschaft<br />
in Bergisch Gladbach bei Köln;<br />
Jochen Siebert von der Unternehmensberatung<br />
JSC Automotive in Shanghai;<br />
Clemens Wasner von der auf Automotive<br />
spezialisierten Unternehmensberatung<br />
EFS in Wien; Design-Professor Tumminelli.<br />
Vor dem Tribunal sitzt Marchionne,<br />
den Rücken zum Publikum.<br />
<br />
Einer der Herren in den Businessanzügen<br />
schaltet einen Projektor an, der eine Liste<br />
von Vorwürfen an die Adresse Marchionnes<br />
an die Wand wirft. Dies ist der Katalog,<br />
beginnt der Herr im Businessanzug an<br />
Marchionne gewandt. Betrachten Sie ihn,<br />
und lesen Sie ihn mit uns.<br />
Als Erster erhebt sich Auto-Professor<br />
Bratzel und beginnt: Fiat hat ein Qualitätsproblem,<br />
2013 bei Rückrufen auf dem zweitschlechtesten<br />
Platz weltweit; bei Antrieben<br />
weit abgeschlagen, obwohl sich die Zukunft<br />
im Autobau hier entscheid’t; nur 1000 Patente<br />
2013, gegenüber 3000 bei Ford und<br />
6000 bei General Motors. Und Alfa Platz 33<br />
im Ranking der Besten, weit abgeschlagen<br />
von Premium à la Mercedes, Audi, BMW.<br />
Sodann wechseln sich die anderen am<br />
Tisch der Reihe mit der Kritik ab. ESF-Berater<br />
Wasner betont: Ohne einzigartige Technologie<br />
keine Chance zum Aufstieg, die Japaner<br />
haben’s versucht, es aber nie richtig<br />
geschafft! Designer Tumminelli wirft ein:<br />
Mit schickem Design allein seid ihr mit Alfa<br />
Romeo zur Exoten-Nummer verdammt.<br />
Gewerkschafter Landini sagt skeptisch: Wir<br />
ILLUSTRATION: EDWIN FOTHERINGHAM<br />
50 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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wollen wissen, woher das Geld für die Pläne<br />
stammt; nie haben wir konkrete Pläne<br />
für Investitionen in die Fabriken gesehen.<br />
Die Herren in den Businessanzügen am<br />
Tisch werden immer angriffslustiger. Berater<br />
Siebert aus Shanghai hält Marchionne<br />
vor: In China kennt niemand Alfa. Woher<br />
soll da der Erfolg kommen? 30 000 verkaufte<br />
Alfa bis 2018, wenn’s gut geht und ihr<br />
Glück habt, das Höchste der Gefühl’. Und<br />
der Amerikaner Murphy blafft Marchionne<br />
an: Eure Wachstumsprognosen sind nichts<br />
als Luftschlösser, bald ist die Luft raus!<br />
Da fährt Marchionne von seinem Stuhl<br />
auf, dreht sich zum Publikum und schreit<br />
außer sich vor Wut: Wenn ich nicht an die<br />
Ziele glaubte, hätte ich sie nicht gemacht.<br />
In Italien haben wir Dinge getan, die jeder<br />
ökonomischen Vernunft widersprachen –<br />
gezwungen dazu aus Tradition, verhaftet,<br />
es den Gewerkschaften recht zu tun. Wir<br />
müssen uns von Zwängen befreien, die der<br />
Marktwirtschaft nur überflüssige Bremsen<br />
Auf Traumfahrt<br />
Wie sich Fiat-Chrysler in den kommenden<br />
fünf Jahren entwickeln soll (produzierte<br />
Autos in Millionen Stück)<br />
0,8<br />
0,7<br />
0,02<br />
2013<br />
4,4<br />
0,9<br />
1,5<br />
0,1<br />
0,4<br />
Jährliche Wachstumsraten<br />
Fiat, Abarth +5 %<br />
Alfa Romeo +40 %<br />
Chrysler +15 %<br />
Fiat Professional, RAM<br />
Quelle: Unternehmensangaben<br />
+6 %<br />
0,08<br />
0,7<br />
1,9<br />
Jeep<br />
Dodge<br />
2018<br />
7,0<br />
1,9<br />
1,2<br />
+22 %<br />
–3 %<br />
0,4<br />
0,8<br />
Maserati, Ferrari +32 %<br />
Raus aus den Schulden<br />
Wie sich Umsatz, Überschuss und Schulden<br />
bis 2018 entwickeln sollen (in Mrd. Euro)<br />
150<br />
120<br />
90<br />
Umsatz<br />
Nettoverschuldung<br />
Jahresüberschuss<br />
60<br />
0<br />
2013 2014 2016 2018<br />
Quelle: Unternehmensangaben Fiat-Chrysler<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
sind. Meine Strategie war und ist nichts für<br />
Herzkranke, ich bleibe dabei! Seht ihr<br />
nicht, wie Maserati es macht? 16 Prozent<br />
Rendite zu Ende des vergangenen Jahrs.<br />
Alfa Romeo und Jeep werden ebenfalls<br />
zweistellige Margen bringen. Ferrari bietet<br />
uns jede Technologie, gemeinsam mit<br />
Chrysler sind wir so gut wie nie!<br />
Marchionne schleudert den Lorbeer in<br />
eine Ecke und verlässt mit stolzer Haltung<br />
die Bühne.<br />
Die Erlösung<br />
Das Bühnenbild zeigt das Fiat-Werk in<br />
Melfi in der süditalienischen Provinz Basilikata.<br />
Fabrikneue Jeeps der Modellreihe<br />
Renegade und des neuen Fiat 500X reihen<br />
sich aneinander, dazu ein Ferrari-Geländewagen<br />
und ein futuristisch anmutender<br />
Alfa Romeo Crossover. Marchionne steht<br />
mit dem Rücken an einem Fiat 500 und<br />
lächelt. Zwischen den Autos spaziert<br />
Elkan Agnelli, Enkel des Fiat-Gründers<br />
Giovanni Agnelli und Sprecher der Familie,<br />
die heute noch 30 Prozent am Konzern<br />
hält. Süditalienische Sonne taucht die<br />
polierten Karossen in gleißendes Licht. Auf<br />
die Bühne tritt der Chor der Investoren.<br />
Das Orchester intoniert das melodramatische<br />
Vorspiel aus La Traviata.<br />
<br />
Du hast uns die Taschen voll gemacht,<br />
Marchionne! Dafür danken wir sehr. Die<br />
Börse preist dich für deine Vision. Doch<br />
warum nur, warum willst bald geh’n?<br />
Machst dich <strong>vom</strong> Acker, hast selbst gut verdient,<br />
deinen Abschied versüßt. Was soll<br />
mit Fiat-Chrysler gescheh’n?<br />
Agnelli stoppt den Chor der Investoren<br />
und wendet sich an Marchionne: Du hast<br />
deine Schuldigkeit getan, du darfst gehen.<br />
Genug Nachfolger stehen bereit: Rochard<br />
Tobin, Chef unsrer Tochter CNH Industrial;<br />
Alfredo Altavilla, hat Fiat in Europa und<br />
dem Mittleren Osten regiert; auch Jeep-<br />
Chef Mike Manley und Harald Wester, der<br />
Maserati in Germania für uns heute lenkt;<br />
dazu Cledorvino Belini von Fiat in Brasilien.<br />
Gehe nur, geh, arrivederci und ciao!<br />
Marchionne dreht sich dem Publikum<br />
zu, die Hand auf dem Herzen: Ich habe Fiat<br />
einmal gerettet, ein zweites Mal will ich es<br />
nicht. Er nimmt den Lorbeerkranz ab, legt<br />
in auf ein rotes Samtkissen und tritt ab. n<br />
rebecca.eisert@wiwo.de, martin seiwert | New York,<br />
ulrike sauer | Rom, franz rother, reinhold böhmer<br />
WirtschaftsWoche <strong>13.10.2014</strong> Nr. 42 51<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»Auf der Bugwelle«<br />
INTERVIEW | Keith Block Der Präsident der US-Softwareschmiede<br />
Salesforce will SAP überholen und Primus in der Cloud werden.<br />
Mr. Block, Sie sind gerade unter die zehn<br />
größten Softwarehäuser der Welt vorgestoßen.<br />
Wo wollen Sie hin?<br />
Ganz klar, wir konzentrieren uns ganz darauf,<br />
SAP aus Deutschland zu überholen.<br />
Wieso nicht erst einmal ihren langjährigen<br />
Arbeitgeber und SAP-Rivalen Oracle?<br />
Natürlich wollen wir am Ende alle überholen<br />
und zum größten Softwareunternehmen<br />
der Welt aufsteigen.<br />
(Lacht.) SAP ist derzeit Marktführer<br />
bei Anwendungssoftware für<br />
Unternehmen, also unserem Kernmarkt.<br />
Da ist es doch klar, dass<br />
wir uns konkret SAP vornehmen.<br />
Wie wollen Sie das<br />
schaffen, obwohl SAP<br />
fast fünfmal so viel<br />
Umsatz macht?<br />
Unter anderem mit<br />
internationaler Expansion.<br />
Wir investieren<br />
kräftig in Europa.<br />
Deutschland<br />
ist dabei besonders<br />
wichtig. Wir bauen<br />
unsere Niederlassung<br />
in München aus, haben<br />
gerade ein zusätzliches<br />
Büro in Berlin eröffnet<br />
und stellen Mitarbeiter<br />
ein. Im Geschäftsjahr<br />
2015 wollen<br />
wir in Europa rund 500<br />
neue Stellen schaffen. Wir<br />
erhoffen uns hier viel von unserer Partnerschaft<br />
mit der Deutschen Telekom. Wir<br />
werden die Rechenkapazitäten ihrer IT-<br />
Tochter T-Systems nutzen und über sie unsere<br />
Angebote im deutschsprachigen<br />
Raum vertreiben.<br />
Wer sollte denn statt zu SAP zu einem viel<br />
kleineren US-Anbieter gehen?<br />
Wir denken, dass gerade der deutsche<br />
Mittelstand, der ja besonders<br />
flexibel im weltweiten Wettbewerb<br />
sein muss, ein riesiges Potenzial<br />
für unsere moderne Anwendungssoftware<br />
bietet...<br />
...ein Potenzial, das SAP auch –<br />
lange vergeblich – zu heben<br />
versucht.<br />
Ich sage nicht, dass es leicht<br />
wird. Wir wissen, wie wichtig<br />
es ist, eine lokale Präsenz<br />
zu haben, also wie ein<br />
deutsches Unternehmen<br />
zu agieren. SAP ist ein<br />
großartiges Unternehmen,<br />
fußt aber auf traditioneller<br />
Unternehmenssoftware,<br />
die vor Ort installiert<br />
wird. Der Trend<br />
geht eindeutig zum<br />
Cloud-Computing, also<br />
zur Software aus dem Internet,<br />
die sich schneller<br />
und flexibler an den Kunden<br />
bringen lässt. Wir sind<br />
der Pionier. Das ist unser<br />
Wettbewerbsvorteil.<br />
SAP hat US-Cloud-Anbieter wie zuletzt für<br />
8,3 Milliarden Euro den Reisesoftwareanbieter<br />
Concur gekauft. Glauben Sie<br />
SAP-Chef Bill McDermott nicht, dass er<br />
weltweit die meisten Cloud-Kunden hat?<br />
SAP macht noch immer das Gros des Umsatzes<br />
mit traditioneller Software. Ich<br />
denke, dass die meisten Leute wissen,<br />
dass Salesforce das größte Cloud-Softwareunternehmen<br />
der Welt ist. Das zeigen<br />
die Zahlen des US-Marktforschungsunternehmens<br />
Gartner. Wir treiben die<br />
Bugwelle im Markt. Ein Unternehmen,<br />
das sein Geschäft ausweitet oder neu organisiert,<br />
baut nicht mehr eigene Datencenter<br />
aus, sondern setzt auf die Cloud.<br />
Deshalb wächst Salesforce um mehr als<br />
30 Prozent im Jahr.<br />
Sind nicht nach den Enthüllungen von<br />
Edward Snowden über die Spionagepraktiken<br />
der US-Regierung immer mehr<br />
Unternehmen und Verbraucher gegen die<br />
Auslagerung ihrer Daten in die Cloud?<br />
Damit haben wir nichts zu tun. Ich verstehe<br />
die Reaktionen. Aber wir tun alles, um<br />
das Vertrauen der Kunden sicherzustellen.<br />
Es ist unsere Geschäftsgrundlage.<br />
Wo liegen die Daten der deutschen Salesforce-Kunden?<br />
Nach den Grundsätzen des Safe-Harbor-<br />
Abkommens mit der EU, das das Übertragen<br />
personenbezogener Daten in die USA<br />
regelt, liegen diese Daten in den USA. In<br />
diesem Monat eröffnen wir allerdings unser<br />
erstes europäisches Rechenzentrum in<br />
Großbritannien. Deutsche Kunden können<br />
sich dann auch für die dortige Speicherung<br />
entscheiden. Uns ist wichtig, dass unsere<br />
Kunden entscheiden können. Deshalb<br />
bauen wir gerade in Kooperation mit der<br />
Deutschen Telekom ein Rechenzentrum in<br />
Deutschland auf, das voraussichtlich 2015<br />
in Betrieb geht.<br />
matthias.hohensee@wiwo.de | Silicon Valley<br />
FOTO: JAMIE TAKANAKA FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
DER HIMMELSSTÜRMER<br />
Block, 53, ist seit Juni<br />
2013 Präsident des Cloud-<br />
Softwareanbieters Salesforce<br />
in San Francisco.<br />
Zuvor hatte er zwei Jahre<br />
als Unternehmensberater<br />
und seit 1986 für die<br />
US-Datenbankschmiede<br />
Oracle gearbeitet. Salesforce<br />
gilt als Pionier bei<br />
Computerprogrammen aus<br />
dem Internet und Rivale<br />
von SAP und Oracle.<br />
Verkehrte Welt<br />
Top 10 der Softwareunternehmen nach Umsatz und Wachstum 2013<br />
Umsatz (in Mrd. $)<br />
1.<br />
2.<br />
3.<br />
4.<br />
5.<br />
6.<br />
7.<br />
8.<br />
9.<br />
10.<br />
Microsoft<br />
Oracle<br />
IBM<br />
SAP<br />
Symantec<br />
EMC<br />
HP<br />
VMware<br />
CA Technologies<br />
Salesforce.com<br />
29,6<br />
29,1<br />
18,5<br />
6,4<br />
5,6<br />
4,9<br />
4,8<br />
4,2<br />
3,8<br />
* gegenüber Vorjahr; Quelle: Gartner, März 2014<br />
Wachstum (in Prozent)*<br />
65,7 1. Salesforce.com<br />
33,3<br />
2. VMware 14,1<br />
3. SAP 9,5<br />
4. Microsoft 6,0<br />
5. EMC 4,9<br />
6. Oracla 3,4<br />
7. IBM 1,4<br />
8. Symantec –0,8<br />
9. CA Technologies –2,6<br />
10. HP –2,7<br />
52 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Blut in der Bilanz<br />
BANKEN | Maue Schiffskredite in Milliardenhöhe<br />
schlummern seit Jahren in den Büchern der<br />
Banken. Beim Stresstest der EZB werden sie für<br />
manches deutsche Institut zur Überlebensfrage.<br />
Letzte Geldquelle<br />
Die Verschrottung<br />
von Frachtkähnen<br />
wie hier in Indien<br />
bringt immerhin<br />
zwischen vier und<br />
acht Millionen Euro<br />
Anfang des Jahres war das Wetter in<br />
Australien so schlecht, dass nur wenig<br />
Kohle für den Export verladen<br />
werden konnte. Die Krise in der Ukraine<br />
hat die Seetransporte über die Krim fast<br />
zum Erliegen gebracht. Und China importiert<br />
zwar fleißig, aber doch nicht ganz so<br />
viel Eisenerz und Rohöl wie gedacht.<br />
Es sind schlechte Nachrichten, vor allem<br />
für Oliver Faak. Der leitet bei der Nord/LB<br />
in Hannover das Geschäft mit Schiffsfinanzierungen<br />
und ist Kummer gewöhnt. Seit<br />
gut sechs Jahren steckt die Sparte in der<br />
Krise, etliche Schiffe fahren so wenig ein,<br />
dass ihre Reeder nicht mal die Zinsen für<br />
ihre Kredite zahlen können. Auf absehbare<br />
Zeit dürfte sich das kaum ändern. Bis Ende<br />
2015 rechnet das Institut mit einem schwachen<br />
Markt und auch danach bestenfalls<br />
mit einer leichten Erholung.<br />
Skepsis ist derzeit besonders angebracht.<br />
Über Jahre haben die Banken an den Krediten<br />
festgehalten und auf eine Erholung<br />
des Marktes gesetzt. Die Taktik könnte sich<br />
jetzt rächen. Denn die Europäische Zentralbank<br />
(EZB) schaut sich bei ihrem aktuellen<br />
Stresstest die Schiffsfinanzierungen<br />
besonders kritisch an. Wenn sie am Sonntag,<br />
dem 26. Oktober, die Ergebnisse präsentiert,<br />
drohen einige deutsche Institute<br />
deshalb durchzufallen. Für sie stellt sich<br />
anschließend die Existenzfrage.<br />
BEDROHLICHE DIMENSION<br />
In den vergangenen Monaten haben die<br />
Banken Kredite verkauft und ihre Risikovorsorge<br />
deutlich erhöht. Doch noch immer<br />
sitzen HSH Nordbank, Nord/LB und<br />
Commerzbank auf Finanzierungen von<br />
zusammen fast 50 Milliarden Euro. Wie<br />
dramatisch die Lage ist, zeigt die Selbsteinschätzung<br />
der Commerzbank. Mit 6,4 Milliarden<br />
Euro sind bei ziemlich genau der<br />
Hälfte ihrer Kredite die Schuldner bereits<br />
in Verzug oder kurz davor.<br />
Vor allem bei den beiden norddeutschen<br />
Landesbanken haben die Finanzierungen<br />
im Verhältnis zur Größe der Institute eine<br />
bedrohliche Dimension. Über die sind<br />
deutsche Aufseher schon lange besorgt,<br />
selbst der Internationale Währungsfonds<br />
warnte vor weiteren Abschreibungen.<br />
Die konnten die Banken bisher vermeiden.<br />
Sie bewerten ihre Kredite vor allem<br />
aufgrund von Prognosen über die künftigen<br />
Erträge der Schiffe. Die Daten dafür<br />
stammen von spezialisierten Brokern. Da<br />
in der Schifffahrt alles mit allem zusammenhängt,<br />
sind die Modelle ungemein<br />
komplex, aber letztlich Kaffeesatzleserei.<br />
Jede politische Krise macht sie zunichte.<br />
Die EZB ist denn auch wenig begeistert<br />
von dem Ansatz. Sie schockte die Banken<br />
mit der Idee, Schiffe nach dem aktuellen<br />
Verkaufspreis und nicht nach den vermuteten<br />
Frachterlösen zu bewerten. Tatsächlich<br />
schwanken die Marktpreise der Schiffe<br />
immens. Sie liegen aber deutlich unter den<br />
Modellrechnungen der Banken.<br />
Denn die Branche hat einen beispiellosen<br />
Preisverfall bei Frachtschiffen erlebt.<br />
Weltweit laufen auf den Werften unver-<br />
»<br />
FOTO: LUZPHOTO/FOTOGLORIA<br />
54 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
Dunkle Wolken<br />
HSH-Chef<br />
Constantin von<br />
Oesterreich<br />
muss den Stresstest<br />
der EZB<br />
fürchten<br />
ändert viele neue Exemplare <strong>vom</strong> Stapel,<br />
obwohl die Nachfrage deutlich geringer<br />
ist. Neue Kähne kosten deshalb heute<br />
30 Prozent weniger als vor der Krise.<br />
Technische Umbrüche beim Bau von<br />
Containerschiffen verschärfen den Verfall.<br />
Über Jahrzehnte tuckerten die Frachter<br />
weitgehend unverändert über die Meere,<br />
Spritverbrauch war keine wesentliche Größe.<br />
Das hat sich fundamental geändert.<br />
Um Transportkosten zu senken, sind neue<br />
Schiffe deutlich sparsamer und oft auch<br />
größer. Die Älteren fahren heute langsamer,<br />
als sie könnten, um Sprit zu sparen.<br />
Konkurrenzfähig sind sie dennoch nicht.<br />
Dummerweise haben deutsche Banken<br />
vor allem diese Problemfälle finanziert.<br />
Nach einigem Ringen haben sich EZB<br />
und Banken auf einen Kompromiss geeinigt,<br />
nach dem die EZB einen pauschalen<br />
Abschlag auf die Schiffswerte vornimmt.<br />
Weitere Gespräche zwischen Aufsehern<br />
und Banken liefen in der vergangenen Woche.<br />
Denn auch der veränderte Ansatz der<br />
EZB trifft die Banken empfindlich.<br />
Daran sind sie nicht unschuldig. Denn in<br />
den Jahren vor 2008 glaubten sie an einen<br />
ewig wachsenden Welthandel. Da der vor<br />
allem über Schiffe stattfinden sollte, vergaben<br />
sie nahezu unbegrenzt Kredite und<br />
missachteten sämtliche Vorsichtsregeln.<br />
Zumal es über Jahrzehnte so gut wie keine<br />
Ausfälle gegeben hatte. So verlangten die<br />
Institute oft weniger als 30 Prozent Eigenkapital,<br />
und wenn einem Reeder die Mittel<br />
fehlten, finanzierten sie diese vor. Viel verdienten<br />
sie dabei nicht. Ihre Margen lagen<br />
teilweise unter einem Prozent.<br />
Besonders großzügig zeigte sich die HSH<br />
Nordbank. Die Landesbank plante 2008<br />
den Gang an die Börse und warb für sich<br />
als „weltgrößter Schiffsfinanzierer“. Den Titel<br />
hat sie verteidigt, heute ist er jedoch ein<br />
schwerer Makel. Seit Monaten geistern Untergangsszenarien<br />
durch die Finanzwelt.<br />
Sollte die Bank beim EZB-Test durchfallen,<br />
müssten wohl die Länder Hamburg und<br />
Schleswig-Holstein als Eigentümer mit<br />
Steuergeld einspringen. Da sie die Bank<br />
schon mal gerettet haben, könnte der zuständige<br />
EU-Wettbewerbskommissar in<br />
Brüssel die Abwicklung anordnen.<br />
RADIKAL RAUS<br />
Mit der Holzvertäfelung und den grünen<br />
Ledersesseln wirkt der Konferenzraum im<br />
Erdgeschoss des Instituts am Gerhart-<br />
Hauptmann-Platz unweit der Alster wie eine<br />
schon etwas abgewetzte Kapitänskajüte.<br />
Hier wollen die HSH-Banker Claus Ganter<br />
und Insa Bergmann zeigen, dass ihre<br />
Lage ernst, aber nicht aussichtslos ist. Dass<br />
sie nicht verzweifelt Löcher stopfen, während<br />
ihr Schiff längst sinkt.<br />
Tatsächlich tut die HSH viel, um Kredite<br />
über Wasser zu halten. So unterstützt sie<br />
Zäher Abschied<br />
Schiffsfinanzierungen deutscher Banken<br />
(in Milliarden Euro)<br />
30<br />
HSH Nordbank<br />
25<br />
Commerzbank<br />
20<br />
Nord/LB<br />
15<br />
10<br />
2010 2011<br />
Quelle: Unternehmensangaben<br />
2012 2013 2014<br />
Reeder dabei, ihre Schiffe so zu modernisieren,<br />
dass die mit neuen Modellen mithalten<br />
können. Für eine gewisse Zeit stundet<br />
sie Zahlungen und hilft bei der Suche<br />
nach neuen Investoren. „Wir wollen gemeinsam<br />
mit den Eigentümern erreichen,<br />
dass die Schiffe im laufenden Betrieb genug<br />
Geld für Zinsen und Raten erzielen“,<br />
sagt Banker Ganter.<br />
Konkret heißt das oft: Die Eigner müssen<br />
Kapital nachschießen. Das klappt oft,<br />
wenn es sich um Großunternehmen oder<br />
wohlhabende Reederfamilien handelt.<br />
Kompliziert wird es dagegen, wenn das Kapital<br />
wie oft in Deutschland von privaten<br />
Fondsanlegern kommt. Die sind schon<br />
enttäuscht, dass die versprochenen Renditen<br />
ausgeblieben sind, und wollen erst<br />
recht nichts nachzahlen. Etliche haben gegen<br />
die Banken geklagt.<br />
Seit 2010 hat die HSH ihr Engagement bei<br />
Schiffen um immerhin zehn Milliarden Euro<br />
reduziert. Die meisten Kredite sind planmäßig<br />
zurückgeführt worden. Der Verkauf<br />
an durchaus interessierte Finanzinvestoren<br />
liegt nicht im Fokus der Bank. „Wir wollen<br />
das Erholungspotenzial selbst realisieren“,<br />
sagt Bankerin Bergmann. Zudem muss die<br />
Bank die Garantie der Länder vor unnötigen<br />
Verlusten schützen. Daher sind Verkäufe<br />
zum Sparpreis schwierig.<br />
Wegen der niedrigen Marktpreise hielten<br />
sich die Banken mit Verkäufen lange zurück.<br />
Die Commerzbank geht mittlerweile<br />
anders vor. Mitte 2012 hat sie das Neugeschäft<br />
mit der Finanzierung von Schiffen<br />
eingestellt, seitdem stehen die Zeichen auf<br />
beschleunigter Abwicklung. Kürzlich erst<br />
hat sie neun Containerschiffe an den Finanzinvestor<br />
KKR und die britische Borealis<br />
Maritime verkauft.<br />
Die Frankfurter Bank muss keine Angst<br />
mehr haben, künftige Geschäftspartner zu<br />
verprellen, jede der beiden Landesbanken<br />
schon. So will HSH-Chef Constantin von<br />
Oesterreich in diesem Jahr für 1,4 Milliarden<br />
Euro neue Schiffe finanzieren.<br />
Doch die Lasten der Vergangenheit engen<br />
den Spielraum der Banken ein. Oft<br />
bleibt den Reedern mitunter nur ein Ausweg.<br />
Zwar liegt die mittlere Lebenserwartung<br />
eine Schiffs bei gut 25 Jahren. Doch<br />
inzwischen treten auch viele deutlich jüngere<br />
Kähne die letzte Reise an – zu den Abwrackwerften<br />
an den Stränden Indiens<br />
oder Chinas. Die Rohstoffe, die bei der<br />
Ausweidung anfallen, bringen zwischen<br />
zwei und acht Millionen Euro. Das ist nicht<br />
viel, aber besser als nichts.<br />
n<br />
cornelius.welp@wiwo.de | Frankfurt<br />
FOTO: LAIF/HENNING BODE<br />
56 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Unternehmen&Märktet | Dossier<br />
Vorbilder<br />
Treue zu Prinzipien<br />
Muhammad Ali? Udo Jürgens?<br />
Helmut Kohl? Derlei<br />
Idole passen nicht zum Chef<br />
der auf Nüchternheit bedachten<br />
Allianz. Selbst der<br />
sonst stets genannte verstorbene<br />
Apple-Chef Steve Jobs<br />
ist da wohl zu flippig. Stattdessen<br />
müssen zwei garantiert<br />
Unverdächtige als berufliche<br />
Vorbilder herhalten.<br />
Zum einen ist das Marvin<br />
Bower, der die Unternehmensberatung<br />
McKinsey<br />
Disziplinierter Denker<br />
McKinsey-Ikone Bower<br />
mehr als 60 Jahre lang prägte<br />
und als ihr eigentlicher<br />
Gründervater gilt. Bower<br />
verordnete ihr noch heute<br />
gültige Standards und Prinzipien<br />
wie Disziplin und<br />
Kundenorientierung. Zweites<br />
Vorbild ist Wolfgang<br />
Schieren, der als Allianz-<br />
Chef die weltweite Expansion<br />
vorantrieb. Gleichzeitig<br />
avancierte er über Konzernbeteiligungen<br />
zum Mittelpunkt<br />
der sogenannten<br />
Deutschland AG. Die wird<br />
Bäte sicher nicht wiederbeleben<br />
und so lange wie Schieren,<br />
der von 1971 bis 1991<br />
an der Spitze stand, wird er<br />
auch nicht bleiben. Es sei<br />
denn, der Aufsichtsrat kippt<br />
die anachronistisch wirkende<br />
Vorstands-Altersgrenze<br />
der Allianz von 60 Jahren.<br />
Gekommen, um zu<br />
bleiben Künftiger<br />
Allianz-Chef Bäte<br />
Sprinter auf der Langstrecke<br />
Allianz | Chefs des Versicherungskonzerns halten sich oft zehn Jahre. Oliver<br />
Bäte hat gute Chancen auf eine erfüllte Amtszeit – wenn er sich bremst.<br />
Opulente Arbeitsplätze mag Oliver Bäte<br />
nicht so. „Manager lieben es, in komfortablen<br />
Büros in der Nähe der Oper zu arbeiten“,<br />
schimpfte der frische Allianz-Vorstand<br />
2009 bei einer Konferenz. Das sei viel zu<br />
teuer und drücke die Produktivität.<br />
Im Mai zieht der 49-Jährige nun in das<br />
beste Büro der größten europäischen Versicherung<br />
mit Sitz am Englischen Garten<br />
in München. Seit Bäte Anfang 2008 von der<br />
Unternehmensberatung McKinsey in den<br />
Allianz-Vorstand wechselte, hat er dort eine<br />
Art Top-Trainee-Programm absolviert. Sein<br />
Förderer und künftiger Vorgänger Michael<br />
Diekmann betraute ihn nacheinander mit<br />
den Ressorts Organisation, Finanzen und<br />
Westeuropa. Dabei ist bei der Allianz eigentlich<br />
Kontinuität angesagt. In ihrer fast<br />
125-jährigen Geschichte gab es erst neun<br />
Chefs. Zu Bätes Start steht der Konzern<br />
stark da, Turbulenzen um die US-Töchter<br />
Pimco und Fireman’s Fund stören, sind<br />
aber beherrschbar. Die strukturellen<br />
Herausforderungen jedoch sind gewaltig.<br />
Niedrigzinsen drücken die Erträge, Geschäft<br />
wandert ins Internet ab. Bäte muss<br />
schnell umbauen, ohne zu viel einzureißen.<br />
cornelius.welp@wiwo.de, matthias kamp<br />
58 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Vorlieben<br />
Ruf der Ferne<br />
In seiner Karriere ist Bäte viel<br />
herumgekommen, als Westeuropa-Chef<br />
der Allianz ständig<br />
in Frankreich und Italien<br />
unterwegs. Seinen Wohnsitz<br />
in Köln hat der Spross des<br />
Nachbarorts Bensberg aber<br />
bis jetzt behalten. Hier hat<br />
er nach einer Lehre bei der<br />
WestLB Betriebswirtschaft<br />
studiert, der Uni ist er als Lehrbeauftragter<br />
verbunden. Als<br />
Allianz-Chef wird der Vater<br />
von drei Kindern mit der Familie<br />
nun aber doch nach<br />
München umziehen. Noch bei<br />
McKinsey war Bäte für eine<br />
Hang zur Heimat<br />
Bäte-Wohnort Köln<br />
Weile in Elternteilzeit, mittlerweile<br />
unternimmt er mit seinem<br />
Anhang gern Fernreisen.<br />
In seiner knappen Freizeit reitet<br />
er und interessiert sich für zeit-<br />
genössische Kunst. Und beim<br />
Fußball steht er auf der Gewinnerseite.<br />
Passend zur Allianz-Arena<br />
ist er Bayern-München-Fan.<br />
Stärken &<br />
Schwächen<br />
Ungestüm nach oben<br />
Mit intellektueller Brillanz<br />
Zusammenhänge blitzschnell<br />
erfassen und vor allen<br />
anderen die richtigen<br />
knallharten Schlüsse ziehen<br />
– schon als Unternehmensberater<br />
war Bäte einer der<br />
Schnellsten unter lauter<br />
ganz Schnellen. Das sah er<br />
auch selbst so und machte<br />
sich damit nicht nur Freunde.<br />
Im hierarchischen Alli-<br />
FOTOS: AGENTUR FOCUS/THOMAS DASHUBER, BILDAGENTUR HUBER, IMAGO (2), GETTY IMAGES/BLOOMBERG, BLOOMBERG<br />
Freunde & Gegner<br />
Wenig verwurzelt<br />
Bäte war der Wunschkandidat<br />
von Allianz-Chef Diekmann,<br />
der ihn persönlich in den Konzern<br />
holte. Außerhalb des Unternehmens<br />
ist der Neue dicke<br />
mit Henkel-Boss Kasper Rorsted<br />
und Tidjane Thiam, dem<br />
Chef des britischen Versicherers<br />
Prudential. Mit beiden<br />
trifft er sich regelmäßig zum<br />
Austausch. Auch E.On-Vormann<br />
Johannes Teyssen und<br />
Jörg Schneider, Finanzvorstand<br />
des Rückversicherers<br />
Munich Re, zählen zu seinem<br />
Sympathischer Konkurrent<br />
Prudential-Chef Thiam<br />
engsten Kreis. Ein offener Widersacher<br />
ist nicht bekannt.<br />
Eine Perspektive muss Bäte<br />
Markus Rieß bieten. Der Chef<br />
des deutschen Versicherungsgeschäfts<br />
galt auch als Kandidat<br />
für den Top-Job, rückt nun<br />
aber nicht mal in den Konzernvorstand<br />
auf. Bäte kommt<br />
gut an bei Analysten und Investoren,<br />
die rund 9000 selbstständigen<br />
Allianz-Vertreter<br />
respektieren ihn aber allenfalls.<br />
Sie hätten sich einen<br />
Chef gewünscht, der tiefere<br />
Wurzeln in der Allianz hat.<br />
Geschlagener Kollege Allianz-<br />
Deutschland-Manager Rieß<br />
Ziele &<br />
Visionen<br />
Digital ist besser<br />
Noch kommen die meisten<br />
Kunden über traditionelle<br />
Vertreter zu ihrer Versicherung,<br />
doch die Bedeutung<br />
des Internets und vor allem<br />
der Online-Vergleichsportale<br />
wächst unaufhaltsam.<br />
Hier hat die Allianz Nachholbedarf.<br />
Aus Bätes Umfeld<br />
stammt das Ziel einer „digitalen<br />
Allianz, die die PS der<br />
Vertreter auf die Straße<br />
bringt“. Die vage Vision soll<br />
das Verbindende zwischen<br />
alter und neuer Versicherungswelt<br />
betonen. Wie die<br />
konkret funktionieren kann,<br />
hat Bäte in Italien vorgemacht.<br />
Dort schließen die<br />
Kunden ihre Policen auch<br />
beim Vertreter digital ab,<br />
dank Baukastensystem geht<br />
das einfach, günstig und vor<br />
allem aus einer Hand. Das in<br />
Italien erfolgreiche Modell<br />
will Bäte so ähnlich auf den<br />
ganzen Konzern ausdehnen.<br />
Wegweiser zur Spitze<br />
Bäte mit Förderer Diekmann<br />
anz-Konzern eckte er mit<br />
seiner ungestümen Art erst<br />
recht an. Wo an sich kommunikative<br />
Zurückhaltung<br />
angesagt ist, äußerte sich Bäte<br />
in rasender Geschwindigkeit<br />
ungewohnt deutlich und<br />
nicht immer schmeichelhaft.<br />
Mittlerweile hat er allerdings<br />
dazugelernt und sich dem<br />
Tempo der anderen angepasst.<br />
Er erklärt Mitarbeitern<br />
mehr und hört ihnen auch<br />
mal zu. Seine fachliche Kompetenz<br />
ist unumstritten,<br />
dank seiner McKinsey-Jahre<br />
in New York und der Leitung<br />
des Allianz-Geschäfts in<br />
Westeuropa kennt er sich international<br />
gut aus. Was ihm<br />
am meisten hilft ist die ehrliche<br />
Begeisterung für das<br />
Produkt Versicherung. „Für<br />
ihn gibt es wirklich nichts<br />
Spannenderes“, sagt ein<br />
Weggefährte verwundert.<br />
WirtschaftsWoche <strong>13.10.2014</strong> Nr. 42 59<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»Kollektive Naivität«<br />
INTERVIEW | Ulrich Spiesshofer Der deutsche Chef des Schweizer Anlagenbauers<br />
ABB gesteht Fehler im Geschäft mit Windstrom auf hoher See ein<br />
und verteidigt sein umstrittenes Aktienrückkaufprogramm.<br />
DER ERNÜCHTERTE<br />
Spiesshofer, 50, leitet seit September vergangenen<br />
Jahres den ABB-Konzern mit<br />
Hauptsitz in Zürich, der in Deutschland rund<br />
10 000 Mitarbeiter beschäftigt und 2013<br />
gut 32 Milliarden Euro Umsatz machte.<br />
Herr Spiesshofer, sagt Ihnen die<br />
Zahl 21,34 etwas?<br />
(Überlegt lange.) Nein.<br />
Das war der Aktienkurs von ABB<br />
bei Ihrem Amtsantritt als<br />
Vorstandschef am 15. September<br />
2013. Sagt Ihnen die Zahl<br />
21,53 etwas?<br />
Ja, das war unser gestriger Aktienkurs.<br />
In dem Jahr unter Ihrer Führung<br />
stagnierte der Aktienkurs von<br />
ABB, während er bei Ihren<br />
Konkurrenten Siemens um zwölf<br />
und bei General Electric um<br />
neun Prozent zulegte. Was machen<br />
Sie falsch?<br />
Bis Januar ist der Aktienkurs gestiegen,<br />
danach hat er sich korrigiert.<br />
Damals haben wir die großen<br />
Probleme der Sparte Energietechniksysteme<br />
erkannt und<br />
sofort transparent gemacht. Das<br />
war natürlich kein idealer Einstieg<br />
für mich als neuer Vorstandschef.<br />
Da der Großteil unserer<br />
Geschäfte gut läuft, ist der Aktienkurs<br />
dabei nicht völlig in den<br />
Keller gegangen. Wir haben nicht<br />
komplett das Vertrauen der Anleger<br />
verloren, das war mir wichtig.<br />
Aber die Anleger sagen heute:<br />
Wir sind vorsichtig und warten erst mal ab,<br />
ob ABB das wieder hinbekommt. Ich habe<br />
für die Reaktion der Aktionäre Verständnis.<br />
Da muss man auch realistisch und bescheiden<br />
sein.<br />
Warum haben Sie soeben die langfristigen<br />
Ziele für Umsatz und Gewinn kassiert, die<br />
bei Ihrem Amtsantritt galten?<br />
Ich messe Ziele immer am aktuellen Stand<br />
der Dinge, nicht an der Vergangenheit. Die<br />
Weltwirtschaft wächst mit 3,0 bis 3,5 Prozent,<br />
und wir haben momentan massive<br />
Unsicherheiten – ich nenne nur Ebola, die<br />
Auseinandersetzungen im Mittleren Osten,<br />
die noch nicht ausgestandene Finanzkrise<br />
oder den Kampf um die Energiehoheit.<br />
Daran gemessen sind unsere neuen<br />
Ziele noch immer extrem ambitioniert:Wir<br />
wollen schneller wachsen als das Bruttosozialprodukt<br />
und schneller als unsere Märkte.<br />
Wir wollen also Marktanteile gewinnen.<br />
Wie realistisch die Ziele der Vergangenheit<br />
angesichts der jetzigen wirtschaftlichen<br />
und politischen Lage waren, das überlasse<br />
ich Ihrer eigenen Beurteilung.<br />
Wieso kommt Ihre Sparte Energiesysteme<br />
nicht in die Gänge?<br />
In der Sparte sind 80 bis 85 Prozent des Geschäfts<br />
absolut in Ordnung. Aber wir haben<br />
uns auch die Bücher gefüllt mit langfristigen<br />
Aufträgen, die wir nicht<br />
hätten annehmen sollen. Der Bau<br />
einer Offshore-Windkraftanlage<br />
kann bis zu acht Jahre dauern.<br />
Wenn in der Mitte Probleme auftauchen,<br />
kann man nicht einfach<br />
sagen: Ich schreibe das ab und<br />
höre auf. Man muss es durchziehen.<br />
Auch wenn es viel kostet, wir<br />
werden den Kunden zufriedenstellen.<br />
Wie konnte es so weit kommen?<br />
Das ist in der Tat enttäuschend.<br />
Wir haben uns mit dem Plattformbau<br />
eine Bürde auferlegt, die wir<br />
nicht beherrschten. Das Risikomanagement<br />
hat bei der Annahme<br />
der Aufträge nicht angeschlagen.<br />
Wir haben jetzt massive Änderungen<br />
in den Prozessen, im<br />
Geschäftsmodell und bei den Ressourcen<br />
durchgeführt, damit das<br />
nicht mehr passiert. Aber es wird<br />
eine Weile dauern, bis wir diesen<br />
unprofitablen Auftragsbestand<br />
abgearbeitet haben. Die Probleme<br />
gehen wir zielstrebig an, wegzaubern<br />
kann ich sie nicht.<br />
Siemens hat den gleichen Fehler<br />
gemacht. Warum sind bei<br />
Ihnen nicht die Alarmglocken<br />
losgegangen?<br />
In dem Moment, als die Probleme<br />
bei Siemens auftauchten,<br />
sind bei uns die Alarmglocken<br />
durchaus losgegangen. Aber da<br />
war es zu spät. Es war vielleicht<br />
eine kollektive Naivität, mit der<br />
man überhaupt in diese Geschäfte<br />
eingestiegen ist.<br />
Warum haben Sie im Übernahmekampf<br />
um Ihren französischen<br />
Wettbewerber Alstom nicht mitgeboten,<br />
obwohl Sie im vergangenen Jahr<br />
Akquisitionen angekündigt hatten?<br />
Weil Alstom nicht zu uns passt. Wir waren<br />
schon mal im Energieerzeugungsgeschäft,<br />
das haben wir 1999 verkauft – ein großer<br />
Teil von Alstom sind ja ehemalige ABB-Teile.<br />
Dahin wollen wir nicht zurück. Wir haben<br />
uns klar auf Energieübertragung und<br />
-verteilung fokussiert. 80 Prozent des weltweiten<br />
Elektrizitätsmarktes unterliegen<br />
dem Verbot, dass ein Energieerzeuger<br />
auch in der Energieübertragung und -verteilung<br />
tätig ist. Und dieser Trend nimmt<br />
noch zu.<br />
Sie haben die Konzernleitung auf zwölf<br />
Mitglieder erweitert. Nach jedem<br />
Lehrbuch sind das viel zu viele.<br />
FOTO: RENÉ RUIS<br />
60 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Die Lehrbücher haben wir alle gelesen,<br />
aber das sind Lehrbücher, das ist keine Praxis.<br />
Wir haben weiterhin die Gruppenfunktionen<br />
und fünf Divisionsleiter, und in Zukunft<br />
haben wir drei Regionalleiter. Diese<br />
haben – ebenso wie die Länderchefs – die<br />
oberste Aufgabe, sich portfolioübergreifend<br />
um den Kunden zu kümmern. Alles<br />
andere, der Einkauf beispielsweise, geht in<br />
die Sparten. So ist die Konzernleitung sehr<br />
viel näher am Kunden als früher.<br />
ABB hat ein Aktienrückkaufprogramm<br />
über knapp dreieinhalb Milliarden Euro<br />
angekündigt. Fällt Ihnen nichts Besseres<br />
ein, was Sie mit Ihrem Geld machen könnten,<br />
etwa eine Akquisition?<br />
Wir generieren jedes Jahr sehr viel Cash<br />
aus dem laufenden Geschäft. Außerdem<br />
haben wir Randbereiche abgestoßen und<br />
daraus rund eine Milliarde Dollar erlöst.<br />
Aber wir haben auch die bereits erwähnten<br />
Probleme in der Sparte Energiesysteme.<br />
Auch die Integration unserer Großeinkäufe<br />
Thomas & Betts sowie Power One ist noch<br />
nicht vollkommen abgeschlossen. Und wir<br />
machen einen Organisationsumbau. Auf<br />
diese vier Themen zusätzlich noch eine<br />
große Akquisition zu packen wäre mir zu<br />
viel. Jetzt beteiligen wir erst mal die Shareholder<br />
durch das Aktienrückkaufprogramm<br />
an unserem Erfolg. Für Akquisitionen<br />
haben wir noch immer genügend finanziellen<br />
Spielraum. Ab 2015 denken wir<br />
wieder darüber nach.<br />
Ein Viertel der zurückgekauften Aktien<br />
wird an die Mitarbeiter verteilt im Rah-<br />
»Die Probleme gehen<br />
wir zielstrebig<br />
an, wegzaubern<br />
kann ich sie nicht«<br />
men eines Bonusprogramms. Auf der vergangenen<br />
Hauptversammlung haben die<br />
Aktionäre eine Kapitalerhöhung abgelehnt,<br />
die das gleiche Ziel gehabt hätte.<br />
Jetzt führen Sie das Bonusprogramm<br />
durch die Hintertür trotzdem ein.<br />
Den Vorwurf mit der Hintertür weise ich<br />
entschieden zurück. Es geht um die Finanzierung<br />
der seit vielen Jahren bestehenden<br />
Aktienprogramme, das haben wir voll<br />
transparent gemacht. Die Aktionäre wollten<br />
keine Verwässerung ihrer Anteile hinnehmen,<br />
deshalb haben sie die Kapitalerhöhung<br />
abgelehnt.<br />
Halten wir fest: Sie wollten zusätzliche<br />
Boni ausschütten, in Form von Aktien.<br />
Die Aktionäre haben das – ungewöhnlich<br />
genug – abgelehnt. Jetzt besorgen<br />
Sie sich die Aktien an der Börse, um<br />
die Boni dennoch ausschütten zu<br />
können. Sie missachten den Willen der<br />
Aktionäre.<br />
Jetzt dürfen wir zwei Dinge nicht verwechseln:<br />
20 000 unserer Angestellten erhalten<br />
einen Teil ihres Lohnes in Aktien oder investieren<br />
im Rahmen ihres Sparprogrammes<br />
in ABB-Titel. Dafür kaufen wir Aktien.<br />
Das geht bis weit unter die Konzernleitung.<br />
Ich finde es extrem wichtig, dass möglichst<br />
viele Mitarbeiter am Aktienkapital der Firma<br />
beteiligt sind, damit sie ein gemeinsames<br />
Interesse haben an der Weiterentwicklung<br />
der Firma. Die Boni für das Top-Management<br />
machen in diesem Programm<br />
nur einen Bruchteil aus.<br />
Marc Kowalsky | Bilanz<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Fahrt ins Blaue Tengelmann-Chef Haub<br />
droht mit dem Verlust von 16 000 Jobs<br />
Die Schlecker-Keule<br />
TENGELMANN | Der Verkauf der Supermarktsparte wird<br />
zum Duell zwischen Unternehmenschef Karl-Erivan Haub<br />
und Wettbewerbshüter Andreas Mundt.<br />
Umden Widrigkeiten des deutschen<br />
Wettbewerbsrechts zu trotzen,<br />
schwört Karl-Erivan Haub auf ein<br />
einfaches Mittel: rein in die Laufschuhe,<br />
raus in die Natur und los. „Wie oft standen<br />
wir in den Verhandlungen mit dem Kartellamt<br />
in einer Sackgasse“, sinnierte der Tengelmann-Chef<br />
vor einem Jahr in einem Interview<br />
über den Verkauf der Discounttochter<br />
Plus. „Beim Laufen habe ich darüber<br />
nachgedacht:Wie kommen wir da weiter?<br />
Da ist mir im Wald ziemlich häufig etwas<br />
eingefallen.“<br />
Der Tengelmann-Chef wird auch in den<br />
kommenden Monaten wieder reichlich<br />
Zeit an der frischen Luft verbringen müssen.<br />
Er will die Supermarktsparte seines<br />
Konzerns verkaufen. Bis Sommer 2015 soll<br />
der Hamburger Handelsriese Edeka die<br />
451 Kaiser’s-Tengelmann-Märkte übernehmen.<br />
Die Verträge sind unterzeichnet, der<br />
Deal ist eigentlich perfekt – wären da nicht<br />
nicht die Beamten um Bundeskartellamtschef<br />
Andreas Mundt, die bereits Widerstand<br />
signalisiert haben.<br />
Die Konfliktlinien sind klar: Wettbewerb<br />
gegen Marktmacht, Prinzipien contra Arbeitsplätze,<br />
Kartellamtspräsident Mundt<br />
versus Unternehmenspatron Haub. Der Fall<br />
Tengelmann hat das Zeug, zur Machtprobe<br />
zwischen Konzern und Amt zu werden. Ein<br />
Fernduell bahnt sich an, das die Handelszunft<br />
über Monate in Atem halten wird.<br />
ÄRGER MIT ANSAGE<br />
Für seinen Eröffnungszug wählte Haub das<br />
vertraute Terrain der Konzernzentrale in<br />
Mülheim an der Ruhr. In einem holzgetäfelten<br />
Saal aus der Wirtschaftswunder-Ära<br />
erklärte er am Dienstag seine Sicht der<br />
Dinge. Wuchtige Kronleuchter illuminieren<br />
den Raum. An den Wänden prangen<br />
Kupferstiche italienischer Bauten. In einem<br />
Regal im Vorraum reihen sich ein paar<br />
Marktmacht im Blick Behördenchef Mundt<br />
muss Gegenwind der Öffentlichkeit fürchten<br />
ledergebundene Klassiker. „Dramen in<br />
Versen“, steht auf einem Einband. Das<br />
passt zum Mülheimer Trauerspiel.<br />
Vorn im Saal saß Haub im schwarzen<br />
Anzug und fühlte sich nach eigenem Bekunden<br />
„ein bisschen wie bei einer Beerdigung“.<br />
Trotzdem, seine Entscheidung stehe<br />
fest, sagte Haub. 15 Jahre habe der Konzern<br />
die Supermärkte alimentiert. Nun sei<br />
Schluss. Die Läden würden verkauft.<br />
Und das Kartellamt?<br />
Der drahtige 54-Jährige nickt kurz, als<br />
wolle er sich für das Stichwort bedanken,<br />
und antwortet: „Es muss eine Lösung geben.“<br />
Im Zweifel riskiere er auch Ärger mit<br />
dem Bonner Amt.<br />
Der kam prompt. Während Haub in<br />
Mülheim noch Fragen beantwortete, vermeldeten<br />
die Nachrichtenagenturen schon<br />
die erste Reaktion der Behörde. Die Nachfragemacht<br />
des Lebensmitteleinzelhandels<br />
sei bereits heute ein Problem, gab Kartellamtschef<br />
Mundt zu Protokoll. Das Kartellamt<br />
werde den Tengelmann-Verkauf daher<br />
„intensiv prüfen“.<br />
Was nach Amtsroutine klingt, ist in<br />
Wahrheit eine Kampfansage. Nur selten<br />
äußert der Chef einer Bundesbehörde<br />
öffentlich seine Bedenken zu einem Verfahren,<br />
das gerade erst begonnen hat.<br />
Dabei gilt Mundt nicht als Mann, der sich<br />
allzu forsch aus der Deckung wagt. Seit fünf<br />
Jahren residiert der Jurist im Chefbüro eines<br />
strahlend weißen, landschlossartigen Gebäudekomplexes<br />
in Bonn. Ein nobles Umfeld<br />
– das färbt ab. Durchaus eitel genießt<br />
der 54-Jährige die öffentlichen Auftritte und<br />
die Machtfülle seines Amtes. Mundt ist ein<br />
Karrierebeamter, der auch eine große Stadtsparkasse<br />
oder eine Industrie- und Handelskammer<br />
leiten könnte, nicht aber Unternehmer<br />
sein, der auf eigenes Risiko investiert.<br />
Der Mittfünfziger braucht im Gegenteil den<br />
zuverlässigen Handlungsrahmen, um damit<br />
Handlungsspielräumen von Unternehmern<br />
Grenzen zu setzen. Das ist sein Job.<br />
Gleichwohl weiß Mundt, dass er sich –<br />
wie jetzt auch bei Tengelmann – nicht im<br />
politikfreien Raum bewegt. Er habe verstanden,<br />
dass er bei heiklen Themen auch<br />
die Öffentlichkeit auf seine Seite ziehen<br />
muss, sagt ein Berliner Kartellrechtler.<br />
Im Fall Tengelmann gilt das ganz besonders.<br />
Sollten Mundts Beamte den Deal<br />
stoppen, droht Haub unverhohlen mit der<br />
Schlecker-Keule. Die Pleite der Drogeriekette<br />
hatte zum Verlust von 23 000 Jobs ge-<br />
FOTOS: WAZ FOTOPOOL/MATTHIAS GRABEN, COLOURBOX, CARO/ZENSEN<br />
62 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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führt und Zwietracht in<br />
die damalige christlichliberale<br />
Bundesregierung<br />
getragen. „Im<br />
schlimmsten Fall“ werde<br />
er Tengelmann komplett<br />
abwickeln, so<br />
Haub an Mundts Adresse,<br />
16 000 Arbeitsplätze<br />
wären dann in Gefahr,<br />
ohne dass es dadurch<br />
mehr Wettbewerb geben<br />
werde. Denn seine Supermärkte hätten<br />
im Lebensmittelhandel einen Marktanteil<br />
von nur 0,6 Prozent und damit eine<br />
verschwindend geringe Bedeutung.<br />
BESORGNISERREGENDER TREND<br />
Das war nicht immer so. Früher, als der Besprechungssaal<br />
in Mülheim noch Vorstandskasino<br />
hieß, war Tengelmann das<br />
Maß aller Dinge in der Branche. 1971 übernahm<br />
das Unternehmen den Rivalen Kaiser’s<br />
und stieg zum größten Lebensmittelhändler<br />
des Landes auf. Haubs Vater expandierte<br />
in zusätzliche Geschäftsfelder –<br />
und verzettelte sich. Erst als der Senior seine<br />
Söhne ranließ – allen voran Karl-Erivan<br />
1,8<br />
Milliarden<br />
Euro Umsatz<br />
erzielte Kaiser’s<br />
Tengelmann<br />
2013<br />
Haub – stabilisierte sich<br />
die Gruppe.<br />
Der frühere McKinsey-Berater<br />
stutzte das<br />
Konglomerat auf eine<br />
Handvoll Kernbeteiligungen<br />
zurecht. Seither<br />
lautet ein Credo des<br />
Clans, nie zu lange an<br />
Verlustbringern festzuhalten.<br />
Ende 2010 wurde<br />
der amerikanische<br />
Discount-Ableger A&P in die Insolvenz geschickt.<br />
Drei Jahre zuvor hatte Haub den<br />
Billigheimer Plus ausgemustert und an<br />
Edeka verkauft.<br />
Doch kaum hatten die Hamburger den<br />
Zuschlag erhalten, grätschten die Bonner<br />
Kartellwächter dazwischen. Die Behörde<br />
gab den Deal nach monatelangem Gezerre<br />
zwar frei, doch nur unter strikten Auflagen.<br />
Hunderte Plus-Filialen musste Tengelmann<br />
an Edekas Rivalen abtreten.<br />
Noch wichtiger: Das Amt untersagte<br />
auch eine geplante Einkaufskooperation<br />
zwischen Edeka und der Tengelmann-Supermarktsparte.<br />
Nun geht es um deutlich<br />
mehr. Selbst wenn Mundt wollte, könnte er<br />
sich über das damalige Verbot jetzt nicht<br />
einfach hinwegsetzen.<br />
Gerade erst hat sein Haus zudem eine<br />
Branchenanalyse zum Lebensmittelhandel<br />
veröffentlicht. Auf 400 Seiten dröseln<br />
die Kartellwächter die Hackordnung im<br />
Handel auf. Branchenprimus Edeka, Rewe,<br />
die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland<br />
sowie Aldi beherrschen demnach 85 Prozent<br />
des Marktes. Die Entwicklung sei „besorgniserregend“,<br />
konstatiert Mundt.<br />
Dass er dem Deal ohne Auflagen zustimmt,<br />
halten Experten damit für nahezu<br />
ausgeschlossen. Doch auch die Rolle als<br />
Arbeitsplatzvernichter, in die ihn Haub im<br />
Falle eines Verbots drängen wird, dürfte<br />
dem Kartellwächter kaum zusagen. Ein<br />
Kompromiss könnte letztlich ähnlich wie<br />
bei Plus aussehen. Tengelmann müsste einen<br />
Teil der Filialen an Konkurrenten abtreten.<br />
Doch wie ein solcher Zuschnitt der<br />
Standorte ausfallen müsste, ist unklar.<br />
Vielleicht hilft Mundt ja der Haub’sche<br />
Ansatz bei der Lösung des Problems:<br />
Mundt ist zwar kein Läufer, aber begeisterter<br />
Skifahrer. Und klare Bergluft hat schon<br />
immer den Blick geweitet.<br />
n<br />
henryk.hielscher@wiwo.de, harald schumacher<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Signor Segafredo<br />
Hinter Kaffeemultis<br />
wie Nestlé und Kraft<br />
ist der Familienkonzern<br />
weltweit die<br />
Nummer fünf<br />
Der Ketzer aus dem Veneto<br />
SEGAFREDO | Der Eigentümer des italienischen Espressoherstellers, Massimo Zanetti, will an<br />
die Börse. Der Gewinner der Globalisierung tickt anders als die meisten seiner Kaste.<br />
Um die Menschheit auf den italienischen<br />
Kaffeegeschmack zu bringen,<br />
ist Massimo Zanetti kein Weg zu<br />
weit. Er verfrachtet Espresso nach Ulan Bator<br />
in der Mongolei, ins Herz Asiens, um<br />
ihn, wenn es sein muss, bei minus 25 Grad<br />
auszuschenken. Am Ende der Welt, in Ushuaia<br />
im argentinischen Patagonien, der<br />
südlichsten Stadt der Welt, kommt das<br />
schwarze Lebenselexier aus seinen Maschinen.<br />
Und im 30. Stock des Shinjuku<br />
Grand Tower mitten in Tokios Shoppingparadies<br />
Nishi-Shinjuku eröffnete er vor<br />
wenigen Wochen die 327. Filiale seiner<br />
Kette Segafredo Zanetti Espresso Café.<br />
Nun hat sich der Kaffeehersteller aus<br />
dem Hinterland Venedigs zu einem neuen<br />
Ziel aufgemacht – an die Börse. Anfang November<br />
sollen die Aktien seiner Holding<br />
Massimo Zanetti Beverage Group (MZB<br />
Group) aus dem norditalienischen Treviso<br />
in Mailand in den Handel gehen.<br />
Vom Firmensitz bis in die lombardische<br />
Finanzmetropole sind es zwar nur 240 Kilometer.<br />
Vielen italienischen Familienunternehmern<br />
aber ist das eine unüberbrückbare<br />
Entfernung. Für Börsenaspirant Zanetti<br />
gilt das nicht. „Signor Segafredo“, wie<br />
er in Italien genannt wird, tickt anders als<br />
die meisten seiner Kaste.<br />
Der hochgewachsene Veneter verbindet<br />
Bodenständigkeit mit Zukunftsdrang. Mit<br />
weißem Haarschopf und bunter Brille sitzt<br />
er entspannt in einem Clubsessel in seinem<br />
Büro in der Villa Zanetti, in der er vor<br />
66 Jahren als Sohn und Enkel von Kaffeehändlern<br />
zur Welt kamt. Neben dem gediegenen,<br />
lederbezogenen Schreibtisch hängt<br />
ein riesiger Flachbildschirm an der Wand.<br />
»Die Größe von<br />
Starbucks ist<br />
allein eine Frage<br />
des Geldes«<br />
Segafredo-Eigentümer Massimo Zanetti<br />
Vor dem Heiligenbild gegenüber steht das<br />
Modell des Privatjets, mit dem er durch<br />
sein Firmenimperium jettet.<br />
„Kaupé“ taufte der umtriebige Unternehmer<br />
das Flugzeug, was in der Sprache<br />
des südamerikanischen indigenen Mapuche-Volkes<br />
„sich zu Hause fühlen“ bedeutet.<br />
In dem Zimmer, in dem Zanetti geboren<br />
wurde und aufwuchs, speisen heute<br />
die Mitarbeiter der Firmenzentrale. Seine<br />
Mutter war zur Geburt in den abgelegenen<br />
Raum gezogen. „Mein Vater wollte die<br />
Schreie nicht hören“, erzählt er. Vor vier<br />
Jahren kehrte Zanetti an seinen Ursprung<br />
zurück und bezog mit seiner Holding die<br />
frisch restaurierte Villa aus dem 17. Jahrhundert<br />
bei Treviso. Im Seitenflügel, wo er<br />
als Kind im Lager zwischen Kaffeesäcken<br />
spielte, ließ er einen modernen Veranstaltungssaal<br />
einrichten. „Hierhin werde ich<br />
die Analysten einladen“, eröffnete er beim<br />
Einzug in das grauweiß getünchte architektonische<br />
Schmuckstück einem Mitarbeiter.<br />
Der Patrone hielt Wort. Es ist Mitte September.<br />
Zanetti tritt vor die versammelte<br />
FOTO: PR<br />
64 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Schar Aktienprofis und rattert seine Story<br />
herunter: Mit 3,5 Millionen verkauften Kaffeesäcken<br />
pro Jahr ist er die Nummer fünf<br />
weltweit hinter großen Multis wie Nestlé<br />
und Kraft, die den Markt beherrschen; er<br />
besitzt 50 Tochterfirmen mit vielen bekannten<br />
Auslandsmarken, macht eine Milliarde<br />
Euro Jahresumsatz, Tendenz: steigend,<br />
er schafft einen Auslandsanteil von<br />
90 Prozent; und er betreibt eigene Plantagen,<br />
handelt mit den grünen Kaffeebohnen,<br />
röstet sie, stellt Espressomaschinen<br />
her und besitzt Kaffeebars.<br />
ENTTÄUSCHT VON BERLUSCONI<br />
Jenseits der Kaffeewelt lief es für den Erfolgsunternehmer<br />
nicht so glatt. 1994 ließ<br />
er sich von Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi<br />
mitreißen. Zanetti zog im Glauben<br />
an das Versprechen einer liberalen Revolution<br />
für die frisch gegründete Rechtspartei<br />
Forza Italia in den italienischen Senat ein.<br />
Nach zwei Jahren hatte er jedoch genug<br />
<strong>vom</strong> Polit-Gezänk in Rom.<br />
Von den einheimischen Kaffeedynastien<br />
Lavazza und Illy hebt sich Zanetti nicht nur<br />
durch seine internationale Ausrichtung ab.<br />
Er ist, und das in Italien, kein Missionar des<br />
Espressokults. Espresso bleibe eine Nische,<br />
sagt er trocken und spöttelt: „Nur die Italiener<br />
kamen auf diese Idee und haben dazu<br />
auch noch eine Maschine erfunden.“<br />
Kaffee, darauf besteht Zanetti fast ketzerisch,<br />
das sei Filterkaffee. Mit ihm macht er<br />
70 Prozent des Umsatzes. Dabei passt er<br />
sich den jeweiligen lokalen Trinkgewohnheiten<br />
an, indem er Markenhersteller rund<br />
um den Globus übernahm und an 14<br />
Standorten produziert. Auch Barack Obama<br />
ist sein Kunde. Im Weißen Haus wird<br />
die Marke Kauai von den Hawaii-Inseln getrunken,<br />
der Heimat des US-Präsidenten.<br />
Mit dem Premium-Label Kauai übernahm<br />
Zanetti auf Hawaii auch 1500 Hektar<br />
Kaffeeplantagen. In Skandinavien ist er mit<br />
der finnischen Kaffeemarke Meira auf dem<br />
Markt. In die Tassen der niederländischen<br />
Königsfamilie kommt sein Kaffee Tiktak. In<br />
Nossa Senhora da Guia, im Herzen Brasiliens,<br />
gehört Zanetti die nach eigenen Angaben<br />
mit 2000 Hektar größte private Kaffeeplantage<br />
der Welt.<br />
Das lateinamerikanische Land hat für<br />
Zanetti besondere Bedeutung. In seiner<br />
Villa in Treviso liegt der Prachtband „Mein<br />
Paradies – Bilder und Emotionen aus Brasilien“<br />
auf dem Tisch. Er ist Zanettis großer<br />
Leidenschaft gewidmet, der grünen Bohne.<br />
Damit aber erregte er bei den Analysten<br />
Argwohn. Sie drängten ihn erfolgreich,»<br />
WirtschaftsWoche <strong>13.10.2014</strong> Nr. 42 65<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Edle Setzlinge Die Segafredo-Top-Kaffeesorte<br />
Kauai wird von US-Präsident Obama getrunken<br />
und wächst in dessen Heimat Hawaii<br />
Von der Bohne bis zur Tasse Auch die<br />
Plantagen auf Hawaii für die Kaffeesorte<br />
Kauai gehören Segafredo<br />
Klasse und Masse Bei den Kaffeetrinkern<br />
steht die Marke Segafredo für Durchschnitt,<br />
Ware aus Hawaii für gehobene Ansprüche<br />
»<br />
die Firmenbeteiligungen in Anbau und<br />
Handel aus seiner Holding auszugliedern.<br />
Dieses Geschäft sei zu sehr den Schwankungen<br />
von Rohstoffpreisen und Devisenkursen<br />
unterworfen. Also bringt Zanetti<br />
nun ein geschrumpftes Unternehmen mit<br />
750 Millionen Euro Umsatz an die Börse.<br />
Die Wachstumsstrategie des umtriebigen<br />
Italieners ist schnell erzählt. Zanetti<br />
setzt darauf, ferne Absatzmärkte von innen<br />
aufzurollen. Dazu steigt er durch Übernahmen<br />
ansässiger Unternehmen in neue<br />
Länder ein und exportiert anschließend<br />
italienische Lebensart in Form von Espresso<br />
Segafredo. In insgesamt 500 Läden weltweit<br />
serviert und verkauft er die Kaffeespezialitäten<br />
inzwischen. „Wir sind sehr flexibel<br />
in der Nutzung der im Konzern vorhandenen<br />
Kompetenzen“, sagt Zanettis Generaldirektor<br />
Pascal Héritier, ein Schweizer.<br />
Barista numero 6<br />
Die zehn größten Kaffeebarbetreiber Europas<br />
Quelle: FoodService<br />
Costa Coffee 1923<br />
McCafé 1856<br />
Starbucks 1698<br />
Tchibo 820<br />
Caffè Nero 618<br />
Segafredo<br />
Shokoladnitsa<br />
Coffeeright<br />
Coffee Republic<br />
Coffee House<br />
Kaffeebars<br />
2013<br />
500<br />
408<br />
252<br />
250<br />
225<br />
GROSSER COUP MIT 25 JAHREN<br />
Beispiel Neuseeland: Im Februar übernahm<br />
Zanetti die Firma EspressoWorkz in<br />
Auckland, die in dem Inselstaat Kaffee und<br />
Kaffeemaschinen vertreibt. Dann schob er<br />
Segafredo ins Sortiment. Im Mai schlug er<br />
in Thailand zu und kaufte den alteingesessenen<br />
Kaffeehersteller und Barausrüster<br />
Boncafé, Marktführer in Südostasien und<br />
den Golfstaaten. Damit stellt Zanetti sich<br />
auf Januar 2016 ein: Dann senkt das neue<br />
Asean-Freihandelsabkommen die Zölle für<br />
Importe aus der Region auf fünf Prozent.<br />
Den Sprung in die Weltliga des Kaffees<br />
hat Zanetti in dritter Familiengeneration<br />
geschafft. 1973, mit 25 Jahren, kaufte er den<br />
Röster Segafredo aus Bologna. Das Traditionsunternehmen<br />
war in Schwierigkeiten,<br />
aber gut etabliert im Geschäft mit der Gastronomie.<br />
Zanetti erkannte, dass das Geheimnis<br />
des Erfolgs weniger in der Kaffeeherstellung<br />
als im Kundenservice liegt. Er<br />
konzentrierte sich auf das Verhältnis zu<br />
den Profis, kümmerte sich um die Betreiber<br />
der Espressobars, kaufte weitere Röstereien<br />
und übernahm den Espressomaschinen-Hersteller<br />
La San Marco im Friaul.<br />
Dann griff Zanetti im Filterkaffee trinkenden<br />
Europa an. In Frankreich legte er<br />
sich den drittgrößten Produzenten Vaudour<br />
Danon zu. Seinem deutschen Geschäftspartner<br />
J.J. Darboven nahm er eine<br />
Rösterei in Salzburg ab. Gleichzeitig baute<br />
er eine Café-Kette auf, um die Marke Segafredo<br />
im Ausland populär zu machen. Der<br />
Startschuss fiel 1985 im französischen Rouen.<br />
Deutschland hat heute 90 Filialen.<br />
In seiner Botschaft an neue Aktionäre<br />
zielt Zanetti vor allem auf die unterentwickelten<br />
Märkte. „In armen Ländern ist der<br />
Kaffeekonsum niedrig. Je stärker sie wachsen<br />
und je reicher sie werden, desto erstrebenswerter<br />
wird das Kaffeetrinken für die<br />
Bürger“, sagt er. Das Vordringen der Kaffeekultur<br />
sorgte im vergangenen Jahrzehnt für<br />
einen Anstieg des globalen Konsums von<br />
90 Millionen auf 142 Millionen Säcke Kaffee.<br />
Die Zukunft des Geschäfts sieht Zanetti<br />
in Teeländern wie Russland, Japan, Indien<br />
und China. Im Internet-Fernsehen im<br />
Reich der Mitte liefen gerade 15 Folgen der<br />
Seifenoper „Funny Coffee“ an, die in einem<br />
Segafredo-Café spielen. Die Schleichwerbung<br />
funktioniert. 41 Millionen Zuschauer<br />
hätten die ersten Episoden gesehen, berichtet<br />
Generaldirektor Héritier.<br />
Zanetti ist Globalisierungsgewinner.<br />
Gleichwohl verpasste er vor gut 25 Jahren<br />
eine große Chance. Damals ließ sich ein<br />
gewisser Howard Schultz von ihm durch<br />
die Segafredo-Rösterei bei Bologna führen.<br />
Den Amerikaner faszinierte die italienische<br />
Barkultur, er kannte auch das Segafredo-Café<br />
in Rouen. Nach seiner Rückkehr<br />
aus Italien gründete er die Kaffeekette Starbucks,<br />
die heute mehr als 20 000 Filialen<br />
hat. Ärgert Zanetti das? „Die Größe ist allein<br />
eine Frage des Geldes“, sagt er. „Starbucks<br />
Erfolg liegt in der Börse begründet.“<br />
Zanetti selbst zieht es an die Börse, um das<br />
Unternehmen fit für die Zukunft zu machen.<br />
Denn der Veneto, Zanettis Heimat,<br />
leidet besonders stark unter verpatzten Generationswechseln<br />
und ruinösen Familienfehden.<br />
„Ich will klare Verhältnisse für<br />
die vierte Generation schaffen.“ Die beiden<br />
Kinder Laura und Matteo sind bereits im<br />
Unternehmen tätig. Zanetti schickt sich an,<br />
35 Prozent der Aktien abzugeben und über<br />
eine Kapitalerhöhung 150 Millionen Euro<br />
in die Konzernkasse zu holen.<br />
Damit schafft er Raum für Wachstumsfantasien.<br />
„Ich schaue nach Afrika“, sagt Zanetti.<br />
Öffneten sich die Länder dort, gebe es<br />
einen ganzen Kontinent zu erobern. n<br />
ulrike sauer | Rom, unternehmen@wiwo.de<br />
FOTOS: PR (3)<br />
66 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Spezial | Mittelstand<br />
Im Schatten der Giganten<br />
ERFOLGSFAKTOREN | Trotz Globalisierung und Kostenvorteilen durch Größe behaupten<br />
sich Mittelständler gegenüber Konzernen. Wie schaffen sie das?<br />
Der Mittelstand ist die „secret<br />
weapon“, die Geheimwaffe<br />
Deutschlands. Zu diesem Befund<br />
kam der US-Journalist<br />
Peter Ross Range, nachdem er<br />
sich wochenlang bei Konzernen, Familienunternehmen<br />
und mittelständischen Betrieben<br />
zwischen Flensburg und dem<br />
Schwarzwald umgesehen hatte. Der Ex-<br />
Korrespondent des „Time Magazine“ wollte<br />
auf seiner Deutschland-Reise ergründen,<br />
warum die deutsche Wirtschaft der<br />
weltweiten Finanzkrise 2008/09 und der<br />
aktuellen Rezession im Euro-Raum trotzte.<br />
Die Antwort des Amerikaners: Es ist „the<br />
German Mittelstand“.<br />
Hinter dem Mythos, den die rund 3,7<br />
Millionen kleinen und mittleren deutschen<br />
Firmen verbreiten, verbirgt sich keine Metaphysik,<br />
sondern ein Bündel betriebswirtschaftlicher<br />
Erfolgsfaktoren. Mittelständische<br />
Unternehmen sind in der Regel flexibler<br />
als Konzerne, weil sie sich schneller neu<br />
organisieren, das Personal besser anpassen<br />
und neue Techniken vielfach auf kurzem<br />
Dienstweg einführen. Denn ihre Entscheidungsstrukturen<br />
sind einfacher und die<br />
Hierarchien flacher. Zudem spielen langfristige<br />
Beziehungen und vielfach informelle<br />
Kontakte zu Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten<br />
oder Banken eine wichtige Rolle.<br />
Daraus hat sich in Deutschland etwas<br />
entwickelt, was wie ein Turbo für die<br />
»<br />
FOTO: LAIF/OLIVER RÜTHER<br />
Spezial | Mittelstand<br />
Zwischen Prinzipien und<br />
Betriebswirtschaft<br />
Alnatura-Chef Rehn<br />
schwört auf die<br />
eigene Firmenkultur<br />
und ständig neue<br />
Produkte<br />
68 Erfolgsfaktoren Was deutsche<br />
Mittelständler so stark macht<br />
70 Alnatura Biodiscount schlägt die<br />
klassischen Ökoläden<br />
72 Germania Fluggesellschaft auf<br />
niedrigem Kostenniveau<br />
76 Tobit Softwareschmiede mit Lust<br />
am schöpferischen Zerstören<br />
78 Eugen Trauth & Söhne<br />
Schokoküsse direkt ab Fabrik<br />
80 Abeking & Rasmussen Schwimmende<br />
Rolls Royce für Betuchte<br />
68 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Spezial | Mittelstand<br />
»<br />
einzelnen Mitteständler wirkt:sogenannte<br />
Cluster, also Ansammlungen von Firmen,<br />
in denen sich im Umkreis weniger Kilometer<br />
viele erfolgreiche Unternehmen zum gegenseitigen<br />
Nutzen zusammengefunden haben.<br />
Mal sind es Schneidewarenhersteller wie in<br />
der Klingenstadt Solingen bei Düsseldorf,<br />
mal Wälzlagerspezialisten in Schweinfurt in<br />
Unterfranken oder Schließtechnik in Velbert<br />
im Bergischen Land.<br />
BARRIEREN FÜR WETTBEWERBER<br />
Im Extremfall knubbeln sich Weltmarktführer<br />
auf engstem Raum, etwa im Hohenlohischen,<br />
wo der Montagetechnik-<br />
Champion Reinhold Würth residiert, oder<br />
in Ost- und Südwestfalen mit dem Pumpen-<br />
und Ventilhersteller Hora oder dem<br />
rund um den Globus geschätzten Küchenbauer<br />
Siematic. Diese Unternehmen sind<br />
zugleich regional verwurzelt und international<br />
sehr aktiv. Die meisten konzentrieren<br />
sich auf Nischen, haben sich in engem<br />
Kontakt mit ihren Kunden hochgradig<br />
spezialisiert und den Sprung in alle Herren<br />
Länder geschafft. Um sich unersetzlich<br />
zu machen, schicken viele ihre Servicekräfte<br />
gleich mit, um bei Problemen –<br />
ob technischer oder organisatorischer Art<br />
– helfen zu können. Zugleich sind dies<br />
Barrieren für Wettbewerber, die ins gleiche<br />
Geschäft einsteigen wollen.<br />
Auf diese Weise müssen mittelständische<br />
Champions auch nicht zwingend Großunternehmen<br />
fürchten. Wer es geschickt anstellt,<br />
findet ein gedeihliches Leben in Nischen,<br />
die für Konzerne uninteressant sind.<br />
So behauptet sich der Schokoladenhersteller<br />
Halloren aus dem ostdeutschen Halle<br />
erfolgreich gegen Schokoriesen wie Mondelez<br />
(Milka), Storck (Merci) oder Ritter.<br />
Oder die deutsche Minifluggesellschaft<br />
Germania jettet erfolgreich im Windschatten<br />
von Lufthansa und Air Berlin.<br />
Die Geschäftsmodelle überzeugen inzwischen<br />
auch Finanzinvestoren. BWK in<br />
Stuttgart etwa wird zum Januar 2015 <strong>vom</strong><br />
Lebensmittelriesen Nestlé dessen Babykostmarken<br />
Alete und Milasan samt einer<br />
Fabrik übernehmen. Damit treten die<br />
Schwaben gegen den französischen Nahrungsmittelmulti<br />
Danone an, der mit Milupa<br />
und Aptamil auf dem Markt ist, sowie<br />
gegen Drogeriemarktketten wie dm oder<br />
Rossmann, die ihre umsatzstarken Eigenmarken<br />
in die eigenen Regale drücken.<br />
Die WirtschaftsWoche stellt die Erfolgsrezepte<br />
von fünf Mittelständlern aus unterschiedlichen<br />
Branchen vor.<br />
n<br />
mario.brueck@wiwo.de<br />
Grüner Preisbrecher<br />
ALNATURA | Die Biodiscountkette macht mit günstiger gesunder<br />
Ware klassischen Ökoläden das Leben schwer.<br />
Wenn Götz Rehn von seinem Unternehmen<br />
spricht, klingt das, als ginge es um einen<br />
mildtätigen Verein. Lohnkosten bezeichnet<br />
er als Mitarbeitereinkommen,<br />
Fragen nach „seiner“ korrigiert er konsequent<br />
in „unsere“ Firma. Und wirtschaftliches<br />
Handeln ist für ihn ein Akt der Solidarität:<br />
„Man muss erkennen, dass Arbeitsteilung<br />
auch bedeutet, für andere tätig<br />
zu sein. Das ist tatsächlich selbstlos;<br />
dann ist Wirtschaft eigentlich zutiefst altruistisch.“<br />
So abgehoben das Prinzip wirkt, so erfolgreich<br />
ist es bei der Biodiscountkette Alnatura:<br />
mehr als eine halbe Milliarde Euro<br />
Jahresumsatz, Wachstumsraten von zehn<br />
Prozent im Lebensmittelmarkt, zehn neue<br />
Filialen allein 2014, Expansion in die<br />
Schweiz. So liest sich die wirtschaftliche Bilanz<br />
von Alnaturas Selbstlosigkeit. Details<br />
zum Ende September abgelaufenen Geschäftsjahr<br />
nennt Alnatura-Frontmann<br />
Rehn nicht. Nur so viel: „Unsere Marge ist<br />
auskömmlich, das reicht.“<br />
Damit das so bleibt, setzt Alnatura auf einen<br />
Ansatz, der sich sonst eher bei Textilketten<br />
wie Hennes & Mauritz (H&M) oder<br />
Zara besichtigen lässt. Ähnlich wie die Modeunternehmen<br />
ist Alnatura Händler und<br />
Hersteller zugleich. Die Hausmarke Alnatura<br />
gilt als wichtigstes Label in Bioläden.<br />
Bei der Vermarktung seines Vorzeigelabels<br />
geht Alnatura-Gründer und -Chef<br />
Rehn noch weiter. Er verkauft Alnatura-<br />
Produkte nicht nur in eigenen Läden, sondern<br />
auch in denen von Partnern wie der<br />
Drogeriekette dm. Das macht die Marke<br />
bekannter und mindert das Absatzrisiko.<br />
Alnatura beliefert 3600 Verkaufsstellen<br />
in 14 Ländern. Filialgeschäft und Produkthandel<br />
tragen je die Hälfte zum Umsatz<br />
bei. Dieser lag im Geschäftsjahr 2012/13<br />
bei rund 593 Millionen Euro, 15 Prozent<br />
mehr als im Vorjahr. Für das abgeschlossene<br />
Geschäftsjahr geht Rehn erneut von<br />
zweistelligem Wachstum aus.<br />
Gegründet hat er das Unternehmen vor<br />
30 Jahren. „Hätte ich gewusst, wie schwierig<br />
es ist, ein Filialgeschäft aufzubauen,<br />
hätte ich es wohl gelassen“, erzählt Rehn.<br />
Unterstützung kam <strong>vom</strong> damaligen dm-<br />
Chef Götz Werner. „Er sagte ganz klar:<br />
Wenn, dann jetzt“, so Rehn. „Ich war<br />
schließlich schon 35 Jahre alt.“ Werner<br />
zeigte Rehn, worauf es im Filialgeschäft ankommt,<br />
und nahm die Alnatura-Produkte<br />
ins dm-Sortiment auf. Bis heute ist dm<br />
Rehns wichtigster Vertriebspartner. Dane-<br />
FOTO: DDP IMAGES/THOMAS LOHNES<br />
70 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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en werden Alnatura-Produkte auch von<br />
Lokalmatadoren wie der in Osthessen und<br />
Thüringen vertretenen Supermarktkette<br />
Tegut oder von der in Hamburg aktiven<br />
Drogeriekette Budnikowsky verkauft.<br />
„Alnatura kennt die Anforderungen des<br />
Lebensmitteleinzelhandels genau“, sagt<br />
Handelsexperte Thomas Roeb von der<br />
Hochschule Bonn-Rhein-Sieg und liefert<br />
damit eine Erklärung für den Erfolg.<br />
80 NEUE PRODUKTE PRO JAHR<br />
Ein weiterer Faktor ist die Kundennähe. Direktkontakte<br />
sind für Rehn essenziell. So<br />
veranstaltet er regelmäßige Frage-Antwort-<br />
Runden mit Kunden. Im Gegenzug arbeitet<br />
Alnatura weder mit Marktforschern zusammen,<br />
noch gibt es teure Produkttests.<br />
Rehn: „Manche würden sagen: Wir sind<br />
vollkommen unprofessionell aufgestellt.“<br />
Rehns Konsumentenforschung scheint<br />
aber aufzugehen: Alnatura führt circa 80<br />
neue Produkte pro Jahr ein, davon floppen<br />
nach eigenen Angaben nur zehn Prozent.<br />
Für die Branche ein Spitzenwert. Nach Angaben<br />
des Nürnberger Marktforschers GfK<br />
fallen im Handel mehr als 60 Prozent aller<br />
Produktneueinführungen durch.<br />
ALNATURA<br />
Umsatz: 593 Millionen Euro<br />
Gewinn: Hoher einstelliger Millionenbetrag<br />
(Schätzung)<br />
Beschäftigte: 2200<br />
Erfolgsrezept: Verkauf von ausgewählten<br />
Produkten auch über Wettbewerber<br />
Jeweils neueste verfügbare Daten: hier Stand 2012<br />
Während Wettbewerber auf Zahlen setzten,<br />
bekommt Alnatura laut Rehn durch<br />
direkten Kontakt mit den Konsumenten<br />
ein gutes Gefühl für den Markt. Handelsexperte<br />
Roeb sieht den Erfolg schlicht darin,<br />
dass Alnatura einen kleineren Markt<br />
bedient: „Rewe oder Edeka könnten diesen<br />
Ansatz nicht übernehmen, weil sie eine<br />
größere und differenziertere Kundschaft<br />
haben.“<br />
Allen Aussagen über Kundennähe und<br />
Altruismus zum Trotz:Kleine Bioläden klagen,<br />
sie könnten mit den niedrigen Preisen<br />
von Alnatura nicht mithalten. Zudem<br />
musste sich das Unternehmen vor einigen<br />
Jahren rechtfertigen, warum es teilweise<br />
unter Tariflohn zahlte, etwa in Berlin.<br />
Damals sagte Rehn, er wolle deutschlandweit<br />
die gleiche Bezahlung für gleiche Stellen<br />
– und nicht nach Standort verschiedene<br />
Löhne. Außerdem gebe es für die Belegschaft<br />
zusätzliche kostenlose Leistungen wie<br />
Kunst- und Sportkurse. Die Presse höhnte<br />
daraufhin „Yoga statt Lohn“ oder „Ein Ökokapitalist<br />
sahnt ab“. Der öffentliche Druck<br />
war groß, Alnatura passte die Gehälter an.<br />
In der Zentrale im südhessischen Bickenbach<br />
erinnern hohe Schiefertafeln an<br />
die Grundsätze des Unternehmens: ganzheitlich<br />
denken, kundenorientiert handeln,<br />
selbstverantwortlich sein. „Der Unterschied<br />
von Alnatura liegt in der Haltung<br />
unserer Mitarbeiter: Die haben Interesse<br />
an den Dingen, die wir machen, und wollen<br />
mit der Geschäftsführung zusammenarbeiten“,<br />
so Rehn.<br />
Dies werde vor allem in schwierigen Situationen<br />
deutlich. Kürzlich stellte Alnatura<br />
seine komplette Software um. Rehn:<br />
„Das war eine Riesenleistung. Andere Unternehmen<br />
werden durch so etwas tagelang<br />
stillgelegt.“<br />
»<br />
katharina matheis | unternehmen@wiwo.de<br />
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Spezial | Mittelstand<br />
Unter dem Radar<br />
GERMANIA | Die Fluggesellschaft aus Berlin steuert mit<br />
konkurrenzlos niedrigen Betriebskosten weiter auf Erfolgskurs.<br />
Andreas Wobig orientiert sich mit<br />
Germania an den klassischen Erfolgsrezepten<br />
seiner Branche: Er<br />
sieht sie sich an – und tut meistens das Gegenteil.<br />
Mögen Berater und Chefs führender<br />
Gesellschaften wie Lufthansa den Vorteil<br />
der Größe predigen sowie den Fokus<br />
auf Vielflieger und den Heimatmarkt legen.<br />
Germania aus Berlin meidet Großstädte,<br />
fliegt Urlauber und Geschäftsleute, aber<br />
auch Emigranten aus Osteuropa und dem<br />
Nahen Osten in ihre Heimat. Dabei bedient<br />
sie fast keine Route täglich und hat gleich<br />
zwei Tochterlinien im Ausland, davon als<br />
einzige Linie Europas eine Mehrheitsbeteiligung<br />
in Afrika.<br />
Der Erfolg gibt Wobig Recht. Zwar wollen<br />
sich der 49-Jährige und die Eigentümerfamilie<br />
um die Nachkommen des Gründers<br />
Hinrich Bischoff in bester Mittelständler-<br />
Manier nicht näher zu den Früchten ihres<br />
Tuns äußern. Doch laut der im August veröffentlichten<br />
Bilanz bleiben Germania<br />
2012 im Verbund mit der ebenfalls von Wobig<br />
geleiteten Schwester SAT Fluggesellschaft,<br />
der das Gros der 23 Germania-Jets<br />
gehört, von 260 Millionen Euro Umsatz gut<br />
acht Millionen Gewinn nach Steuern. Das<br />
ist das Dreifache der Lufthansa-Marge.<br />
Das verdankt die mit sechs Millionen<br />
Passagieren nach Lufthansa und Air Berlin<br />
GERMANIA<br />
Umsatz: 230 Millionen Euro/mit<br />
Schwester SAT 260 Millionen Euro<br />
Gewinn: 1 Million Euro/mit Schwester<br />
SAT 8,5 Millionen Euro<br />
Beschäftigte: 850<br />
Erfolgsrezept: Kleine Märkte besetzen<br />
und große Konkurrenten abschrecken<br />
Jeweils neueste verfügbare Daten: hier Stand 2012<br />
drittgrößte deutsche Fluglinie vor allem einer<br />
Stärke: „Sie kann kleine Märkte so<br />
schnell besetzen, dass sie für die Großen<br />
kaum noch attraktiv sind“, heißt es in einer<br />
Analyse des Centre for Aviation, eines auf<br />
die Branche spezialisierten Marktforschers<br />
mit Hauptsitz in Sydney.<br />
Dafür sorgen klassische Mittelstandstugenden,<br />
allen voran die in der extrem<br />
schwankungsanfälligen Fliegerei besonders<br />
wichtige Sparsamkeit. „Germania hat<br />
die wohl niedrigsten Betriebskosten auf<br />
dem Kontinent“, lobt der Hamburger Luftfahrtexperte<br />
Heinrich Großbongardt.<br />
Gründe sind vor allem eine schlanke Verwaltung,<br />
die vergleichsweise bescheidenen<br />
Gehälter und die gute Auslastung der<br />
Flugzeuge.<br />
Knauserigkeit ist das wichtigste Erbe von<br />
Gründer Bischoff. Der 1936 in Erfurt geborene<br />
promovierte Jurist kaufte 1979 die marode<br />
Fluggesellschaft SAT und entdeckte<br />
eine Marktlücke: den Verleih von Flugzeugen<br />
an Fluglinien und andere Unternehmen<br />
mit oder ohne Personal.<br />
Lufthansa-Schreck Germania-Chef<br />
Wobig arbeitet profitabler als der<br />
Marktführer<br />
»<br />
FOTO: MICHAEL HANDELMANN<br />
72 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Spezial | Mittelstand<br />
»<br />
Dabei ging der wegen seiner Vorliebe für<br />
Pullover und großzügig geschnittene Hosen<br />
anfangs unterschätzte Unternehmer<br />
nicht selten rabiat vor: Wollte ein Großer<br />
wie Lufthansa keine Maschinen abnehmen,<br />
drohte er kurzerhand, ihm auf wichtigen<br />
Strecken Konkurrenz zu machen. „Und<br />
das war mehr als glaubhaft, weil er schon<br />
immer die niedrigsten Kosten hatte, nicht<br />
zuletzt, weil er an sich keine Flugzeugmiete<br />
zahlen musste“, so ein Insider. So brachte<br />
Bischoff seine Flieger nebst Besatzung<br />
auch bei den Konkurrenten Air Berlin, TUI<br />
und Condor unter.<br />
Später reüssierte Germania auch beim<br />
Geschäft mit Flügen für Unternehmen und<br />
Behörden. Als Erstes schnappte sich die Linie<br />
in den Neunzigerjahren den Beamten-<br />
Knausrigkeit<br />
gehört zum<br />
Erbgut der Fluggesellschaft<br />
shuttle, der nach dem Regierungsumzug<br />
von Bonn nach Berlin vor allem Mitarbeiter<br />
des Verteidigungsministeriums hin und<br />
her flog. Später folgte der Werksverkehr<br />
zwischen den beiden großen Fabriken des<br />
Flugzeugherstellers Airbus in Hamburg<br />
und dem südfranzösischen Toulouse.<br />
Weil das Modell nach dem Tod des<br />
Gründers Ende 2005 immer weniger trug,<br />
erfand sich die Linie neu. „Wir können<br />
auch ein paar Dinge, die andere nicht können“,<br />
erzählt Chef Wobig nicht ohne Stolz.<br />
Dazu zählt eine ungewöhnliche Zurückhaltung.<br />
Mögen andere Linien auch ihre<br />
Flotte häufig auf Verdacht aufstocken: „Wir<br />
haben nur so viele Flugzeuge, wie wir das<br />
ganze Jahr über gut und profitabel füllen<br />
können“, sagt der Manager mit markantem<br />
Kinn und Pfadfinder-Haarschnitt.<br />
Zudem streut die Gruppe das Risiko. Neben<br />
der Fliegerei betreibt sie das Wartungsgeschäft,<br />
aber auch Hotels wie das Usedom<br />
Palace an der Ostsee und das Waldhaus<br />
Prieros bei Berlin – ehemals Wohnsitz des<br />
DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck.<br />
Die Vielfalt macht Germania extrem flexibel.<br />
Sollte überraschend ein Reiseveranstalter<br />
ein paar Extraflüge nach Mallorca ordern,<br />
kann sich Wobig – auch dank der Kontakte<br />
der Leasing-Schwester SAT – fast über<br />
Nacht zusätzliche Maschinen besorgen und<br />
diese nahtlos in den Flugplan einfügen. Das<br />
funktioniert nicht zuletzt deshalb, weil Germania<br />
ihre eigenen Jets anders als etwa<br />
Lufthansa und Air Berlin ohne große Besonderheiten<br />
so einrichtet wie das Gros der<br />
im Leihmarkt üblichen Maschinen.<br />
Noch mehr hilft Germania diese Antrittsschnelligkeit,<br />
wenn die Linie künftig<br />
wie geplant vor allem das Geschäft mit Flügen<br />
auf eigene Rechnung ausbaut und dabei<br />
Marktlücken entdeckt. „Und die gibt es<br />
reichlich, wenn man nur genau hinsieht“,<br />
sagt Wobig.<br />
Diese findet er beispielsweise bei Flügen<br />
aus Kleinflughäfen wie Erfurt oder Bremen.<br />
Aus diesen Märkten haben sich Lufthansa<br />
und Air Berlin entweder bei ihrem<br />
Schrumpfkurs zurückgezogen – oder waren<br />
waren nie präsent, wie etwa in Kassel.<br />
Hier finden sich nicht nur kleine Reiseveranstalter<br />
oder Privatkunden, die für einen<br />
bequemen Abflug vor ihrer Haustür gerne<br />
einen Aufpreis zahlen. „Diese Airports sind<br />
dann auch bei Starthilfen wie niedrigeren<br />
Gebühren oder Marketinghilfen so großzügig,<br />
dass für eine Airline mit geringen<br />
Kosten das Risiko gering ist“, weiß der Chef<br />
eines größeren deutschen Airports.<br />
Germania hat auch ein Geschäft aufgebaut,<br />
das sonst fast niemand betreibt: Flüge<br />
für in Europa lebende Emigranten, die<br />
in ihren Heimatländern Geschäfte abwickeln<br />
oder Verwandte und Freunde besuchen<br />
wollen. Im Rahmen dieses „ethnischen<br />
Verkehrs“ steuert Germania aus<br />
mehreren Ländern Europas selten angeflogene<br />
Länder an. Dazu zählen das Kosovo,<br />
Irak, Libanon, der Osten der Türkei sowie –<br />
bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs – Syrien.<br />
„Es ist ein komplexes Geschäft, das für<br />
viele Fluglinien zu aufwendig und am Ende<br />
oft zu klein ist“, sagt Wobig.<br />
MODELL FÜR DEN EXPORT<br />
Für Germania lohnt sich der Aufwand. Die<br />
Berliner verfügen über die nötigen Partner<br />
für den meist abseits in Agenturen oder<br />
über Privatleute laufenden Verkauf der Tickets.<br />
Außerdem haben sie die nötigen<br />
Fachleute im Unternehmen für die in selten<br />
angeflogenen Ländern oft schwierigen<br />
Verhandlungen über die Landerechte.<br />
Inzwischen exportiert Germania ihr Erfolgsmodell.<br />
So fliegt sie für britische Reiseveranstalter<br />
aus Norwich, Manchester<br />
sowie London ans Mittelmeer. „Obwohl<br />
wir Flugbegleiter aus Großbritannien einsetzen,<br />
haben angesichts unseres Namen<br />
anfangs vor allem Weltkriegsveteranen ein<br />
74 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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FOTO: ACTION PRESS/ANDREAS DUNKER<br />
wenig die Nase gerümpft“, erzählt ein Unternehmens-Insider.<br />
„Doch inzwischen<br />
haben wir mit unseren im Vergleich zu anderen<br />
britischen Linien relativ großzügigen<br />
Sitzabständen sogar ein paar Fans gewonnen.“<br />
Von Skandinavien aus bietet Germania<br />
im Rahmen des ethnischen Verkehrs<br />
sogar Verbindungen zu zwei Städten<br />
im Nordirak.<br />
Der bislang größte Sprung war die Gründung<br />
der Fluglinie Gambia Bird im westafrikanischen<br />
Gambia, die vor zwei Jahren<br />
ihren Erstflug hatte. Wobig wundert sich,<br />
dass bislang keine andere europäische Gesellschaft<br />
den Schritt gewagt hat. Zwar ver-<br />
Besondere Klientel Germania fliegt in Europa<br />
lebende Emigranten in deren Heimat<br />
dient die in Banjul ansässige Linie, die zu<br />
30 Prozent afrikanischen Investoren gehört,<br />
noch kein Geld. Aber das soll sich –<br />
nicht zuletzt dank kräftiger Hilfe der deutschen<br />
Partner in Sachen Flugmanagement<br />
– bald ändern. Wobig: „Der Kontinent ist<br />
einer der Wachstumsmärkte der Branche,<br />
und Gambia ist eines der politisch stabilsten<br />
Länder mit einer guten Infrastruktur.“<br />
Aus Wobigs Sicht profitiert Germania<br />
von den Erfahrungen der afrikanischen<br />
Tochter beim Aufbau neuer Strecken, besonders<br />
wenn diese – wie die Routen von<br />
Banjul nach London – über bisher ungewohnt<br />
lange Distanzen gehen.<br />
Der Erfolg hat Wobig zu einem weiteren<br />
Schritt ins Ausland ermuntert. Im Frühjahr<br />
2015 soll eine Schweizer Tochter mit zwei<br />
Maschinen an den Start gehen. Sie soll von<br />
Zürich aus für den Veranstalter Hotelplan<br />
fliegen und Ziele im Kosovo und anderen<br />
südosteuropäischen Staaten anbieten.<br />
Trotz des Erfolgs will Wobig auch künftig<br />
vorsichtig wachsen. „Ich kann mir vorstellen,<br />
unsere Flotte auf 40 Flugzeuge zu erweitern“,<br />
so Wobig. Den Umsatz noch in<br />
diesem Jahrzehnt auf 400 Millionen Euro<br />
pro Jahr zu verdoppeln, sei denkbar.<br />
Eine deutlich sichtbare Nummer drei in<br />
Deutschland werden „ist nicht unser Ziel“,<br />
sagt Wobig. Er verweist darauf, dass der<br />
Höhenflug von Air Berlin endete, als diese<br />
Linie durch die Konkurrenz zu Lufthansa<br />
zwischen Hamburg und Frankfurt zu sichtbar<br />
wurde – und Deutschlands größte<br />
Fluglinie mit Kampfpreisen reagierte.<br />
In diesem Fall befolgt Wobig ausnahmsweise<br />
die Gesetze der Flugbranche.<br />
»<br />
ruediger.kiani-kress@wiwo.de<br />
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Spezial | Mittelstand<br />
Selfmademan Am Ende der Debatte<br />
entscheidet bei Tobit-Vorstandschef Groten<br />
den „jungen Wilden unter 25“, wie er sie<br />
nennt. Wer bei Tobit gearbeitet hat, muss<br />
nicht lange nach einem neuen Job suchen,<br />
der Mittelständler gilt als eines der innovativsten<br />
deutschen IT-Unternehmen.<br />
Groten führt sein Unternehmen wie ein<br />
Start-up, das aber bereits seit 28 Jahren. Er<br />
ist überzeugt: „Sobald man etabliert wird,<br />
hat man verloren!“ Im Alter von zwölf Jahren<br />
begann er, Software für Unternehmen<br />
zu programmieren, 1986 gründete er im Alter<br />
von 18 Jahren Tobit. Kurze Zeit später<br />
brach er die Schullaufbahn ab und widmete<br />
sich ganz dem Unternehmen.<br />
Angefangen hat Tobit mit der Kommunikationssoftware<br />
David für Unternehmen.<br />
Diese bündelt alle Informationsflüsse wie<br />
Fax, E-Mail, SMS, Chatfunktion und Voice-<br />
Mail und packt Inhalte relevanter Internet-<br />
Seiten dazu. Inzwischen baut Tobit auch<br />
Informations-Apps für Unternehmen und<br />
Vereine – von der lokalen Feuerwehr über<br />
die Betreiber von YouTube-Kanälen bis zu<br />
Größen wie dem Fußballbundesligisten<br />
Schalke 04. Rund 200 solcher Miniprogramme<br />
fürs Handy produziert das Unternehmen<br />
jeden Tag. „Bisher haben wir<br />
50 000 Apps erstellt, die insgesamt acht<br />
Millionen Menschen nutzen“, sagt er.<br />
Flexibel und verrückt<br />
TOBIT AG | Das innovative Softwareunternehmen <strong>vom</strong> Niederrhein<br />
setzt auf häufige Wechsel in einer jungen Belegschaft.<br />
Geht es nach Vorstandschef Tobias<br />
Groten, dürften bei Tobit Software in<br />
Ahaus am Niederrhein 75 Prozent<br />
der Mitarbeiter nicht länger als fünf Jahre<br />
bleiben. Wer ein Leben in geregelten Bahnen<br />
will, sollte das Unternehmen nach dieser<br />
Zeit verlassen. Die anderen 25 Prozent,<br />
so die Philospie des Firmenchefs, müssen<br />
möglichst flexibel und verrückt genug sein,<br />
um länger zu bleiben.<br />
„Ständige Zellerneuerung ist das Geheimnis<br />
des Ladens“, sagt Groten, der 89<br />
Prozent der Anteile hält. Der Rest gehört einem<br />
engen Freund sowie Entwicklungschef<br />
Franz-Josef Leuders. Frisches Blut holt<br />
er mit Auszubildenden ins Unternehmen,<br />
UNABHÄNGIGKEIT ÜBER ALLES<br />
Das Geschäft läuft offenbar gut, auch wenn<br />
Groten beteuert, dass es „nie Ziele in Sachen<br />
Umsatz oder Gewinn“ gegeben habe.<br />
2013 habe das Unternehmen rund vier Millionen<br />
Euro Gewinn gemacht und werde<br />
im laufenden Jahr ähnlich abschließen.<br />
2011 setzte Tobit laut Bundesanzeiger<br />
knapp 16 Millionen Euro um und erzielte<br />
einen Nettogewinn von fast zwei Millionen<br />
Euro. Bis Juni 2015 will Groten 100 000<br />
Apps auf den Markt gebracht haben, mit<br />
dann insgesamt 25 Millionen Nutzern.<br />
Der 47-Jährige mit dem zerzausten lockigen<br />
grauen Haar, dem zerknitterten Hemd<br />
über der Jeans und den Turnschuhen<br />
– weiß oder gerne auch in Neon-Orange –<br />
gibt den Nonkonformisten aus dem Bilderbuch.<br />
Knapp 90 Prozent der Aktien hält er<br />
selbst. Kein Kunde kommt auf einen Anteil<br />
von mehr als ein Prozent des Umsatzes.<br />
Das verschafft dem Unternehmer viel Freiheit<br />
bei seinen Entscheidungen. „Unabhängigkeit<br />
steht über allen Dingen“, sagt<br />
Grote, „es ist die Grundlage, um etwas<br />
Neues zu machen.“<br />
FOTO: DOMINIK ASBACH FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
76 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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TOBIT<br />
Umsatz: 16 Millionen Euro (2011)<br />
Gewinn: 4 Millionen Euro (2013)<br />
Beschäftigte: 250<br />
Erfolgsrezept: Eine permanente<br />
Frischzellenkur; vieles wird ausprobiert,<br />
vieles aber auch verworfen<br />
Jeweils neueste verfügbare Daten<br />
So kritisiert der Vorstandschef, „wer in<br />
Deutschland eine Idee hat, wird als Allererstes<br />
gefragt: Ist das erlaubt?“. Bei Tobit<br />
frage niemand, was erlaubt sei, und auch<br />
nicht, ob etwas wirtschaftlich sei. Ideen<br />
würden einfach ausprobiert. „Es darf keine<br />
Regeln beim Denken geben“, sagt Grote.<br />
Seine Ideen setzt der IT-Unternehmer im<br />
Entwicklungslabor in Ahaus um. Dort arbeitet<br />
Entwickler Benjamin Gahle. „Tobias<br />
bringt die Idee, wir setzen das um“, sagt der<br />
47-Jährige, der gerade an einem Projekt arbeitet,<br />
bei dem E-Bikes mithilfe des<br />
Smartphones gesteuert werden. Groten<br />
und seine Leute sind zwar „per Du“. Dennoch<br />
„ist der Laden alles andere als demokratisch“,<br />
betont Groten. Einer müsse am<br />
Ende entscheiden.<br />
Dass sich manche Idee als Sackgasse erwies,<br />
stört den Unternehmer nicht. Wenn<br />
etwas nicht funktioniert wie gedacht, dann<br />
stoppt das Enfant terrible die Entwicklung.<br />
Auch Tobit hatte mal eine Nachrichten-<br />
App, noch vor WhatsApp. Dass daraus kein<br />
kommerzieller Erfolg wurde, enttäuscht<br />
Groten nicht: „Man muss sein eigener<br />
Feind und in der Lage sein, auch eigene Sachen<br />
kaputt zu machen.“ Man müsse disruptiv<br />
denken, also in technologischen<br />
Sprüngen.<br />
Grotens unternehmerischer Drang beschränkt<br />
sich nicht auf IT. So hat er den Kinofilm<br />
„Stromberg“ mitfinanziert, ein<br />
Dschungel-Restaurant und einen Nachtclub<br />
eröffnet. Einmal im Jahr veranstaltet<br />
er in Ahaus die Winter-Kirmes Stattalm, die<br />
in sechs Wochen bis zu 200 000 Besucher<br />
anlockt. Seine Partys auf der Computermesse<br />
Cebit in Hannover sind wegen lauter<br />
Musik, Freibier und leicht bekleideten<br />
Tänzerinnen berühmt bis berüchtigt.<br />
Grotens einzige Konstante in seinem Leben<br />
ist die Heimatverbundenheit. In der<br />
30 000-Einwohner-Stadt Ahaus ist er geboren,<br />
hat hier sein Unternehmen und seine<br />
Familie gegründet. Dort will er auch bleiben.<br />
„Ich war noch nie länger als zwei<br />
Wochen aus Ahaus weg“, gesteht er.<br />
In der digitalen Welt gibt sich Groten unangepasst.<br />
So nutzt er Facebook nicht für<br />
die Kontaktpflege oder zum Netzwerken.<br />
Er findet es aber praktisch, sich über dieses<br />
soziale Netzwerk bei vielen Web-Seiten anmelden<br />
zu können, ohne jeweils ein eigenes<br />
Benutzerkonto anlegen zu müssen.<br />
Groten besitzt auch ein Smartphone, ruft<br />
damit aber niemanden an, weil er es als<br />
aufdringlich empfände. Lieber hinterlässt<br />
er eine Textnachricht. Im Sommer hat er es<br />
abgelehnt, sich bei der Ice Bucket Challenge<br />
Wasser mit Eis über den Kopf zu schütten.<br />
Stattdessen spendierte er den Bürgern<br />
von Ahaus 14 000 Kugeln Eis.<br />
Seine Hauptziele habe er schon erreicht,<br />
sagt Groten: „Einen Sohn gezeugt, einen<br />
Baum gepflanzt, ein Haus gebaut.“ Der Rest<br />
sei Bonus, Spaß und Leidenschaft. Tobit zu<br />
verkaufen, komme nicht infrage, Angebote<br />
habe er abgelehnt: „Ich bin keiner für Exits,<br />
eher der nachhaltige, handfeste Typ.“<br />
»<br />
fabian kurmann | unternehmen@wiwo.de<br />
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Spezial | Mittelstand<br />
Mitbringsel aus Amerika Unternehmerin<br />
Trauth erfuhr von der Idee des Fabrikverkaufs<br />
auf einer Rucksacktour durch die USA<br />
Von Mund zu Mund<br />
EUGEN TRAUTH & SÖHNE | Der Pfälzer Schaumkusshersteller überzeugt<br />
Kunden mit Qualität und Direktverkauf in der Fabrik.<br />
Marie-Luise Trauth lehnt an der Verkaufstheke<br />
im Erdgeschoss ihrer<br />
Fabrik und zuckt mit den Achseln.<br />
„Mithalten kann ich mit den Großen nicht“,<br />
sagt die Chefin von Eugen Trauth & Söhne,<br />
„aber das will ich auch nicht.“<br />
Die 62-jährige ist Schaumkusskönigin.<br />
Niemand in ihrer Region im rheinlandpfälzischen<br />
Herxheim bei Landau produziert<br />
und verkauft so viele Schokoküsse wie<br />
Eugen Trauth & Söhne. Der Absatz der luftigen<br />
Süßigkeiten läuft wie geschmiert. Das<br />
Unternehmen sei gesund, der Jahresumsatz<br />
von knapp 619000 Euro im Jahr 2003<br />
auf rund rund 1,1 Millionen Euro 2013 geklettert,<br />
berichtet die Chefin.<br />
Das Königreich der Pfälzerin ist winzig<br />
gegenüber dem Markt, den ihre größten<br />
Konkurrenten Storck und Grabower Süßwaren<br />
mit ihren Marken Dickmann’s und<br />
Topkuss dominieren. Dem Marktforscher<br />
Nielsen zufolge aßen die Deutschen 2013<br />
Schokoküsse im Wert von 87,6 Millionen<br />
Euro. Der Absatz legte zuletzt um 3,7 Prozent<br />
auf 15400 Tonnen zu. Gerade mal 1,2<br />
Prozent davon stammen aus Herxheim.<br />
Dass Trauth sich damit behaupten<br />
kann, liegt am Geschäftsmodell. Sie verkauft<br />
nicht an Händler oder Budenbesitzer,<br />
sondern bietet ihre Schokoküsse im<br />
Direktverkauf an. 200 bis 500 Kunden<br />
kommen täglich vorbei. Dafür musste<br />
Trauth sogar den Parkplatz erweitern.<br />
Manchmal fahren Reisebusse voller<br />
Schaumkussfans vor.<br />
Inhaberin Trauth stammt aus einer Unternehmerfamilie.<br />
Urgroßvater und Vater<br />
waren Bäcker, die den Großhandel mit<br />
Lebkuchengebäck belieferten. In den Siebzigerjahren<br />
wurde der Preiskampf durch<br />
das Vordringen der Supermärkte immer<br />
härter. Als Trauth 1986 die Leitung des Betriebs<br />
übernahm, stellte sie die Firma auf<br />
ein Produkt mit niedrigen Stückzahlen und<br />
hoher Qualität um – auf Schokoküsse.<br />
Wie sie diese verkaufen sollte, lernte die<br />
Einsteigerin auf einer Rucksacktour durch<br />
TRAUTH<br />
Umsatz: 1,1 Millionen Euro<br />
Gewinn: Mehrere Zehntausend Euro<br />
(Schätzung)<br />
Beschäftigte: 13<br />
Erfolgsrezept: Verkauf ausschließlich<br />
in der Fabrik<br />
Jeweils neueste verfügbare Daten: hier Stand 2012<br />
die USA. Dort entdeckte sie Factory Outlets.<br />
Vom Fabrikverkauf „war ich fasziniert.<br />
In Deutschland gab es so etwas nicht. Da<br />
wusste ich, das will ich auch machen.“<br />
Also ließ sie die alte Garage der Fabrik<br />
neu gestalten, eine breite Fensterfront einbauen,<br />
Rohre sichtbar an der Decke anbringen<br />
und moderne Kunst an die Wände<br />
hängen. 1991 eröffnete sie den Fabrikladen.<br />
Leicht sei der Wandel nicht gewesen,<br />
finanziell wie emotional, erzählt die<br />
62-Jährige: „Es war ein schmerzhafter Prozess.“<br />
Zunächst fehlten Aufträge der bisherigen<br />
Großabnehmer. Doch dank Mundpropaganda<br />
finden heute Kunden aus ganz<br />
Süddeutschland den Weg nach Herxheim.<br />
Schnelles Wachstum komme für sie<br />
nicht infrage, sagt Trauth: „Ich möchte lieber<br />
Bestehendes kultivieren.“ Zum Gewinn<br />
will sich die Chefin ebenso wenig äußern<br />
wie die großen Wettbewerber. Lieber zeigt<br />
sie Besuchern ihren Betrieb.<br />
Eine Wendeltreppe führt in die erste Etage.<br />
8000 Schaumküsse pro Stunde spucken<br />
die Maschinen aus, fast fünf Millionen im<br />
Jahr. Neffe Daniel Trauth, von Beruf Lebensmitteltechniker,<br />
überprüft gerade einen<br />
Kühltunnel, in dem sich der flüssige<br />
Schokoüberzug langsam glätten soll. Der<br />
30-jährige Familienspross will den Betrieb<br />
übernehmen, wenn seine Tante in drei Jahren<br />
in den Ruhestand geht. Der Neffe hat<br />
bereits als Jugendlicher mitgearbeitet.<br />
BEIM PREIS KULANT<br />
Unternehmerin Trauth kennt jeden ihrer<br />
13 Mitarbeiter. Eine Arbeiterin steht am<br />
Fließband, packt Schaumküsse in rote<br />
Schachteln und stellt diese in den Lastenaufzug,<br />
der in den Verkaufsraum führt.<br />
Weil die Verpackung nicht die Konkurrenzprodukte<br />
im Regal ausstechen muss, begnügt<br />
sich Trauth mit schlichten roten Kartons<br />
mit weißem Schriftzug. Auf teure Werbung<br />
verzichtet der Kleinbetrieb: „Den<br />
Kunden schmeckt das Produkt so gut, dass<br />
sie es weiterempfehlen.“<br />
Offenbar verfängt auch diese Art der<br />
Mundpropaganda. Im Verkaufsraum stehen<br />
Kartons sortiert nach Schoko, Kokos,<br />
Mokka und Rum. 25 Stück kosten 4,80 Euro.<br />
„Beim Preis sind die Kunden kulant“,<br />
sagt Trauth und schmunzelt: „Doch wehe,<br />
wenn ich an der Rezeptur etwas ändere.“<br />
»<br />
katharina kistler | unternehmen@wiwo.de<br />
FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />
78 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Spezial | Mittelstand<br />
Steuermann A&R-Chef Schaedla hält<br />
die Werft mit zivilen und militärischen<br />
Aufträgen auf Kurs<br />
Rolls-Royce fürs Meer<br />
ABEKING & RASMUSSEN | Die niedersächsische Werft bedient eine<br />
zahlungskräftige Klientel mit individuell entwickelten Yachten.<br />
Bevor er in See stach, musste der Millionär<br />
aus Amerika aufs platte Land<br />
nach Germany. Dort, in der Wesermarsch<br />
mitten in der niedersächsischen<br />
Provinz, hatte der US-Filmunternehmer<br />
Alexander Dreyfoos seine 41 Meter lange<br />
Motoryacht in Auftrag gegeben: bei Abeking<br />
& Rasmussen (A&R) in Lemwerder.<br />
Mit dem Schiff wollte er sich endlich seinen<br />
Traum erfüllen: eine Reise über die<br />
Weltmeere.<br />
Dass der Amerikaner den Edelkahn im<br />
Wert eines mittleren zweistelligen Millionenbetrags<br />
letztlich bei A&R orderte, lag an<br />
seiner Frau Renate. Denn die wird leicht seekrank.<br />
Um Passagiere wie sie bei Laune zu<br />
halten, haben die Niedersachsen eine Technologie<br />
im Programm, die Yachten bei hohen<br />
Wellen ruhig im Wasser liegen lässt. Das<br />
können sonst nur Arbeitsschiffe, die etwa<br />
Windparks auf hoher See anfahren. „Für einen<br />
stolzen Preis“, sagte Dreyfoos, als er den<br />
Kaufvertrag unterschrieb, „aber die Scheidung<br />
von meiner Frau wäre viel teurer.“<br />
Mit Sonderanfertigungen wie Dreyfoos’<br />
Silver Cloud, die vor sechs Jahren <strong>vom</strong> Stapel<br />
lief, ist es den Niedersachsen gelungen,<br />
aus A&R ein Synonym für mondäne<br />
Superyachten und elegant-schnittige<br />
Schiffe made in Germany zu machen. Das<br />
mittelständische Unternehmen gehört<br />
zum handverlesenen Kreis von Werften<br />
ABEKING<br />
Umsatz: 170 Millionen Euro<br />
Gewinn: 20 Millionen Euro<br />
Beschäftigte: 430<br />
Erfolgsrezept: Technologie aus<br />
anderen Feldern nutzen<br />
Jeweils neueste verfügbare Daten: hier Stand 2012<br />
weltweit, die für gutes Geld eine zahlungskräftige<br />
Klientel mit individuellen hochseetüchtigen<br />
Motor- und Segelyachten<br />
der Spitzenklasse ausstatten.<br />
„Rolls-Royce unter den Schiffen“ nennen<br />
Branchenkenner die noblen Wassergefährte<br />
aus Lemwerder. Neben Yachten<br />
baut die Werft auch Lotsenfähren, Arbeitsschiffe<br />
für Forschungsexpeditionen<br />
und den Offshore-Windparkservice sowie<br />
Minen- und Patrouillenboote für die Bundeswehr.<br />
Schon seit Kaisers Zeiten ist die<br />
Marine Kunde.<br />
„Obwohl das sehr unterschiedliche Felder<br />
sind, gibt es in der Entwicklung immer<br />
wieder Synergieeffekte“, sagt Technikvorstand<br />
Karsten Fach. Soll heißen: Das Unternehmen<br />
kann eine Innovation für ein<br />
bestimmtes Schiff auch in anderen Modellen<br />
einsetzen und damit die Kosten auf<br />
mehrere Exemplare umlegen. Minenräumboote<br />
zum Beispiel müssen besonders<br />
leise sein, weil Sprengladungen auf<br />
akustische Reize reagieren. Mit der Technik<br />
für solche Schiffe rüstet A&R auch geräuscharme<br />
Privatyachten aus.<br />
Der Däne Henry Rasmussen gründete<br />
die Werft 1907 mit seinem damaligen Kompagnon<br />
namens Georg Abeking, der in den<br />
Zwanzigerjahren aus dem Unterneh-<br />
»<br />
FOTO: PR<br />
80 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Spezial | Mittelstand<br />
Maßarbeit Bootsbauer A&R aus Lemwerder<br />
liefert Spitzentechnik und bietet seinen<br />
Kunden auch weltweiten Notfall-Service<br />
»<br />
men ausstieg. Baute die Werft anfangs<br />
nur kleine Segeljollen, kamen zunehmend<br />
auch größere Schiffe und schließlich Segelyachten<br />
sowie Spezialanfertigungen hinzu,<br />
die den internationalen Ruf des Unternehmens<br />
begründeten.<br />
Den Drang zu ständigen Innovationen<br />
brachte Gründer Rasmussen mit, der seine<br />
Mitarbeiter ständig neue Ideen ausprobieren<br />
ließ. So baute A&R als erste Werft in<br />
den Sechzigerjahren eine vollgeschweißte<br />
Yacht aus Aluminium. Auch die in Seglerkreisen<br />
legendäre Yacht Germania VI aus<br />
dem Jahr 1967 für den letzten familieneigenen<br />
Chef der einstigen deutschen Waffenschmiede<br />
Krupp, Alfried Krupp von<br />
Bohlen und Halbach, stammte von A&R.<br />
Weitere prominente Kunden waren auch<br />
der Multimilliardär Karim Aga Khan sowie<br />
der 2003 verstorbene Fiat-Patriarch Giovanni<br />
Agnelli.<br />
Mehr als 50 Jahre lang war es Rasmussens<br />
Enkel Hermann Schaedla, der für einen<br />
steten Fluss neuer Ideen im Unternehmen<br />
sorgte. Er wuchs in Kalifornien<br />
auf und studierte in Stanford. Nach einem<br />
Besuch bei seinem Großvater blieb er in<br />
Deutschland und absolvierte eine Lehre<br />
zum Bootsbauer. Als Henry Rasmussen<br />
1959 starb, übertrug er den Betrieb seinem<br />
Enkel.<br />
Anders als sein Großvater hatte er zwar<br />
nicht als Unternehmensgründer reüssiert,<br />
Von 170 Millionen<br />
Euro Umsatz bleiben<br />
gut 20 Millionen<br />
Euro Gewinn<br />
sondern kam als Quereinsteiger ins Unternehmen.<br />
Gleichwohl entwickelte Schaedla<br />
den Betrieb geschickt weiter. So brachte er<br />
Ende der Neunzigerjahre das alte,<br />
schon in Vergessenheit geratene<br />
Bootskonzept des „Small Waterplane<br />
Area Twin Hull“ (kurz:<br />
Swath) zur Marktreife.<br />
Schiffe, die einen solchen<br />
„Doppelrumpf mit wenig Angriffsfläche<br />
im Wasser“ besitzen,<br />
liegen vor allem bei stürmischer<br />
Fotos<br />
In unseren App-<br />
<strong>Ausgabe</strong>n sehen<br />
Sie Luxusyachten<br />
von Abeking &<br />
Rasmussen<br />
See stabiler im Wasser. Das ist etwa für Lotsenschiffe<br />
wichtig – aber auch für Kunden<br />
wie den Filmunternehmer Dreyfoos und<br />
dessen Gattin. A&R gilt in diesem Bereich<br />
als Weltmarktführer.<br />
Für Kontinuität in Lemwerder sorgt die<br />
Konstanz der Familie als Eigentümer. 1987<br />
trat Hermann Schaedlas Sohn Hans in die<br />
Firma ein. Er ist heute Vorstandsvorsitzender<br />
der nicht börsennotierten Aktiengesellschaft.<br />
Um das operative Geschäft kümmern<br />
sich drei Vorstände. „Die Chefs gehen<br />
noch durch die Werkshallen und kennen<br />
den Großteil der langjährigen Mitarbeiter.<br />
Denn wir arbeiten in flachen<br />
Hierarchien“, sagt Technikvorstand<br />
Fach. „Wer eine Idee<br />
hat, stellt sie vor. Und wenn sie<br />
trägt, wird sie umgesetzt.“<br />
Anders als bei einer Konzernwerft<br />
können Kunden individuelle<br />
Änderungswünsche auch direkt<br />
mit der Unternehmensfüh-<br />
FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />
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ung besprechen. A&R bietet nicht nur<br />
Spitzentechnologie, sondern verkauft auch<br />
den Service mit. Hat ein Kunde auf einem<br />
Törn eine Panne, fliegen die Mitarbeiter<br />
des Kundendienstes im Notfall rund um<br />
die Welt, um ihn aus seiner misslichen Lage<br />
zu befreien.<br />
Das zahlt sich für A & R aus. 2012 haben<br />
die 430 Mitarbeiter, von denen 100 Ingenieure<br />
sind, laut Bundesanzeiger bei einem<br />
Umsatz von rund 170 Millionen Euro<br />
gut 20 Millionen Gewinn nach Steuern eingefahren.<br />
Und im Jahr 2013 – die Bilanz erscheint<br />
frühestens zum Jahreswechsel – lief<br />
es ebenso gut.<br />
Während der großen Schiffbaukrise 2008<br />
lag der Umsatz sogar bei 240 Millionen Euro,<br />
aber der Gewinn sackte auf knapp vier<br />
Millionen Euro. Damals gingen reihenweise<br />
Unternehmen der maritimen Industrie<br />
pleite, wie die P+S Werft in Stralsund. Oder<br />
sie mussten wie die Meyer Werft in Papenburg<br />
Spar- und Sanierungsprogramme<br />
auflegen. Zu lange hatten mittlere und größere<br />
Konkurrenten versucht, mit falschen<br />
Produkten wie Containerschiffen oder<br />
Fähren auf dem hart umkämpften Weltmarkt<br />
mitzuhalten.<br />
AUCH DAS MILITÄR BESTELLT<br />
Eine Besonderheit sind bei A&R Kriegsschiffe<br />
– etwa Minensuchboote für die<br />
Bundeswehr und Patroullienboote für die<br />
Türkei, Südafrika und Lettland. Die Bestellungen<br />
der Militärs stabilisieren das Geschäft,<br />
weil diese Aufträge in der Regel<br />
langfristiger vergeben werden als Bestellungen<br />
von zivilen Kunden. „Da es bei öffentlichen<br />
Ausschreibungen zunehmend<br />
auf technische Anforderungen und nicht<br />
mehr allein auf den Preis ankommt, haben<br />
auch Premiumhersteller wie wir eine<br />
Chance“, sagt dazu Technikvorstand Fach.<br />
Derzeit sind allerdings eher die Yachten<br />
die Umsatzbringer. In der Werkshalle stehen<br />
unter den Baunummern 6498 und<br />
6499 zwei riesige Rümpfe, so groß wie<br />
Wohnblöcke. Während Arbeiter die<br />
Schweißnähte mit Spachtelmasse überziehen,<br />
trocknet anderswo der Lack. Bis die<br />
80-Meter-Motoryachten aus den Hallen<br />
bugsiert und auf der Weser zu Wasser gelassen<br />
werden, dauert es noch. Und wem<br />
sie gehören, ist Betriebsgeheimnis. Auftraggeber<br />
schätzen es nicht, wenn zu viel<br />
über ihren schwimmenden Reichtum bekannt<br />
wird. Die Eheleute Dreyfoos, die mit<br />
der Silver Cloud über die Weltmeere fahren,<br />
sind da eine Ausnahme.<br />
n<br />
annkathrin frind | unternehmen@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche <strong>13.10.2014</strong> Nr. 42 83<br />
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Spezial | Stichwort<br />
Heiße Geschäfte<br />
Mittelständler – hier Stahlbearbeitung<br />
bei Wuppermann – erleben im Osten<br />
manche Überraschung<br />
Milka und Gummibärchen<br />
Wie Mittelständler Probleme bei Firmenübernahmen in Osteuropa und Asien überwinden, schildert<br />
der vierte Teil der Serie in Kooperation mit der Unternehmensberatung Deloitte.<br />
Es sollte ein Weg in neue Zeiten sein, in neue<br />
Märkte, kurz: in die Globalisierung. Doch dieser<br />
Weg führte Carl Ludwig Theodor Wuppermann<br />
über altes Kopfsteinpflaster. Klar, die Kapelle<br />
zu seiner Linken und die Weite der Felder zur Rechten<br />
waren malerisch. Aber als sein Auto wie ein Fischerboot<br />
bei Wellengang durch die Landschaft<br />
schaukelte, fragte sich Wuppermann: „Wie in aller<br />
Welt sollen hier unsere Laster mit Tausenden Tonnen<br />
Stahl langfahren?“<br />
Das Ziel des Stahlunternehmers hieß Malomice,<br />
ein verschlafenes polnisches Dörfchen wenige Kilometer<br />
hinter der deutschen Grenze. Losgefahren war<br />
er in Leverkusen, wo die Wuppermann AG ihren Sitz<br />
hat, ein Mittelständler mit 1300 Beschäftigten und einem<br />
Jahresumsatz von mehr als 500 Millionen Euro.<br />
Unternehmer Wuppermann wollte auf den polnischen<br />
Markt, indem er dort ein Werk kaufte, statt wie<br />
zuvor einen eigenen Vertrieb in Rumänien oder eine<br />
eigene Fertigung in Tschechien neu aufzuziehen.<br />
Nach Jahren des Zauderns und Abwartens ist „Outbound-M&A“,<br />
wie Fusionen und Firmenübernahmen<br />
im Ausland auch heißen, im deutschen Mittelstand<br />
wieder in Mode gekommen. Noch bis 2013<br />
ging es abwärts, wie eine Auswertung der „M&A Database“<br />
der Universität St. Gallen zeigt. Doch 2014<br />
haben die Unternehmen die Scheu, die seit der Fi-<br />
SERIE<br />
Mittelstand<br />
Fit for Future<br />
Fusionen & Übernahmen<br />
Der richtige Partner (I)<br />
Finanzinvestoren (II)<br />
Finanzierung (III)<br />
Osteuropa/Asien (IV)<br />
Integration (V)<br />
Interview (VI)<br />
nanzkrise 2008 grassierte, überwunden. Sie wagen<br />
vermehrt wieder den Sprung ins Ausland, etwa nach<br />
Osteuropa und Asien.<br />
„Deutsche Übernahmen haben in China zuletzt<br />
massiv zugenommen“, sagt Mike Braun, China-Experte<br />
des Prüfungs- und Beratungsunternehmens<br />
Deloitte. Aber nicht nur dort, ergänzt Martin Petsch<br />
von der Volks- und Raiffeisenbank-Tochter VR Corporate<br />
Finance, die sich auf Übernahmen und Fusionen<br />
spezialisiert hat: „In Polen ist zurzeit richtig Musik<br />
drin.“<br />
Ein besonders engagierter Vertreter der neuen Ostgänger<br />
ist der Mittelständler Edelmann in Baden-<br />
Württemberg, der mit Verpackungen im vergangenen<br />
Jahr mehr als 220 Millionen Euro Umsatz erzielt hat.<br />
Dierk Schröder, Geschäftsführer und Chef von 2200<br />
Mitarbeitern, brachte es in den vergangenen zehn<br />
Jahren auf rund 30 Unternehmensübernahmen. Er<br />
ging nach China und nach Polen, und immer Knall<br />
auf Fall. Wenn seine Abnehmer ihre Produktion gen<br />
Osten verlagern, ist für Schröder klar: Er muss mitziehen,<br />
sonst kaufen die Unternehmen seine Faltschachteln<br />
bei der Konkurrenz. „Bei uns“, sagt der<br />
Unternehmer, „gehören Unternehmensübernahmen<br />
zur Philosophie.“<br />
Aus Sicht von Markus Reichel liegen die Vorteile<br />
von Übernahmen durch Mittelständler auf der Hand.<br />
FOTOS: PR (2)<br />
84 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Mit Unterstützung von Deloitte*<br />
»Unternehmen<br />
sollten<br />
sich ein<br />
hässliches<br />
Entlein<br />
zum Aufpolieren<br />
suchen«<br />
China-Experte<br />
Mike Braun von Deloitte<br />
Go east<br />
Firmenübernahmen und<br />
-fusionen deutscher<br />
Unternehmen in Osteuropa<br />
und Asien<br />
(2004–2013)<br />
Osteuropa<br />
(ohne Russland)<br />
Asien<br />
(ohne China)<br />
China<br />
Russland<br />
Quelle: Universität<br />
St. Gallen<br />
53<br />
139<br />
122<br />
102<br />
„Mit einer Akquisition kaufen Sie sich einen Markt, eine<br />
Marke, Kunden und Kontakte“, sagt der Vertreter<br />
des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft in<br />
Polen. „Das geht gerade im Ausland viel schneller, als<br />
selbst zu bauen.“<br />
Doch wie auf die Schnelle ein geeignetes Unternehmen<br />
finden? Im Inland ist das kein Problem, da<br />
kennen Unternehmer wie Faltschachtelproduzent<br />
Schröder Wettbewerber, Zulieferer und Abnehmer.<br />
Aber im Ausland?<br />
Schröders Problem ist Brauns Geschäft. Der Deloitte-Berater<br />
vermittelt Firmen Partner wie Ehestifter<br />
Gatten oder Gattinnen. „Mittelständisches Unternehmen<br />
sucht attraktive chinesische Partnerin“, so und<br />
ähnlich lauten die Kontaktanzeigen in seinem Business.<br />
Braun erzählt von Unternehmern, die ihre<br />
Branche bei Alibaba eingeben – und hoffen, dass die<br />
chinesische Online-Handelsplattform ein passendes<br />
Unternehmen auswirft. Andere Mittelständler suchten<br />
das perfekte Unternehmen zum niedrigsten Preis<br />
– als sei China der Wühltisch im globalen Unternehmenskaufhaus.<br />
Braun geht lieber systematisch vor und beginnt mit<br />
der „Primärdatenerhebung“, wie er sagt. Dazu verlässt<br />
er seinen Schreibtisch, spricht mit Außenhandelskammern,<br />
Verbänden, Lieferanten und Kunden.<br />
„Unternehmen sollten keinen eleganten Schwan suchen,<br />
sondern ein hässliches Entlein, das sie aufpolieren<br />
müssen“, rät Braun. Allerdings gehöre dazu<br />
auch der Blick für faule Eier: Hinterzieht das Unternehmen<br />
Steuern? Gehört ihm tatsächlich der gesamte<br />
Grund? Müssen europäische Sicherheitsstandards<br />
erst teuer umgesetzt werden? Solche Probleme seien<br />
in China Alltag, sagt der Experte.<br />
Unternehmen Wuppermann ist vor drei Jahren<br />
fündig geworden und berichtete vergangenes Jahr auf<br />
dem Mittelstandstag der FOM-Hochschule in Essen<br />
<strong>vom</strong> Geschäftsalltag im Osten. Gemein sei Polen und<br />
China das große Wirtschaftswachstum, dozierte der<br />
Mittelständler, aber sonst trenne sie vieles. Während<br />
Polen etwa Rechtssicherheit biete, zuckten Chinesen<br />
da oft nur mit den Achseln.<br />
So schwärmte Wuppermann auf der einen Seite<br />
davon, wie er das polnische Stahlwerk der insolventen<br />
Alpos-Gruppe in Malomice ersteigerte. Das habe<br />
sich gelohnt, weil das polnische Insolvenzrecht in solchen<br />
Fällen jegliche Folgekosten von vornherein ausschließe.<br />
Andererseits musste Wuppermann viele<br />
Fragen beantworten: Was sollte er mit dem Klärwerk<br />
anfangen, das auch zur Stahlfabrik gehörte? Und wie<br />
sollte er in der polnischen Provinz genügend Fachkräfte<br />
finden?<br />
„Wir hatten einfach Glück“, sagt Wuppermann heute.<br />
Aber er hatte auch ein paar gute Ideen: Schon vor<br />
der Auktion fragte er den ehemaligen Werksleiter, ob<br />
dieser nicht Lust habe, das Werk wieder ans Laufen zu<br />
bringen – der Mann hatte. Schon vor der Auktion verhandelte<br />
Wuppermann mit der Gemeinde, ob sie<br />
nicht das Klärwerk für einen symbolischen Zloty kaufen<br />
wolle – sie wollte. Am Ende brachte die Kommune<br />
auf dem Kopfsteinpflaster sogar eine Teerdecke auf.<br />
Längst nicht so glatt ging es 840 Kilometer westlich,<br />
am Edelmann-Firmensitz in Heidenheim an der<br />
Brenz. Firmenchef Schröder verhandelte mit den Managern<br />
des chinesischen Verpackungsherstellers Beijing<br />
Theis Pharmaceutical Packaging and Printing<br />
aus Peking. Einer der neuralgischen Punkte war die<br />
Frage nach dem in China illegalen Dreischichtbetrieb.<br />
Die chinesischen Manager lächelten freundlich,<br />
auch als sie im Laufe der Verhandlungen einräumen<br />
mussten, dass Teile des Grundstücks dem Unternehmen<br />
gar nicht gehörten.<br />
Als Schröder daraufhin einen Preisnachlass raushandeln<br />
wollte, lächelten die Chinesen nicht mehr.<br />
Sechs Stunden musste er neben dem Kaufpreis über<br />
mögliche Abfindungen für die jetzigen Manager streiten<br />
oder darüber, wer künftig welchen Dienstwagen<br />
fahren darf. Am Ende war Schröder zufrieden und<br />
kam zu seinem Werk für Medikamentenschachteln in<br />
China.<br />
Dabei beherzigte der Schwabe offenbar, was Experten<br />
Mittelständlern bei Übernahmen in Ländern wie<br />
China und Polen empfehlen. Sie sollten sich bei Verhandlungen<br />
auf keinen Fall ausschließlich auf den<br />
Preis konzentrieren, sondern ein umfassendes Paket<br />
schnüren. So empfehle es sich, die persönliche Situation<br />
des veräußernden Eigentümers und der Eigentümerfamilie<br />
zu berücksichtigen, meint Deloitte-Berater<br />
Braun: „Das besondere Verständnis der Situation<br />
außerhalb der rein kaufmännischen Denkweise führt<br />
in diesen Ländern oft erst zu einem Zuschlag und darüber<br />
hinaus zu einem angemessenen Kaufpreis.“<br />
Oft fängt die eigentliche Arbeit erst nach der Einigung<br />
an. „Der Vertragsabschluss ist nicht das Ende einer<br />
Übernahme, sondern der Anfang“, sagt Stahlunternehmer<br />
Wuppermann. Denn es gelte, ein fremdes<br />
Unternehmen in die eigenen Strukturen einzupassen,<br />
den Spagat zwischen Hierarchie und Autonomie<br />
der neuen Tochter zu schaffen und die fremde Belegschaft<br />
mitzunehmen. Seine immerhin 70 neuen Mitarbeiter<br />
in Polen etwa sprachen kaum Deutsch.<br />
Östlich der Neiße wollten die Arbeiter nicht verstehen,<br />
wieso sie unter ihrem neuen Eigentümer schneller<br />
arbeiten sollten. „Sozialistische Altlasten“, vermutet<br />
Wuppermann als Ursache: „Das wird sich schon<br />
lösen.“ Er setzt darauf, dass sein neuer Ableger das<br />
Problem lösen wird: „Wir sind eine Unternehmensgruppe<br />
mit vielen kleinen Standorten, mit Zentralismus<br />
haben wir wenig zu tun.“<br />
Verpackungshersteller Schröder hat seine neue Fabrik<br />
in Peking zum „Klein-Heidenheim“ umgestaltet,<br />
wie er sagt. Dazu habe er den Maschinenpark auf Vordermann<br />
gebracht – und die Mitarbeiter mit Gummibärchen<br />
und Milka-Schokolade aufgemuntert. n<br />
victor gojdka | unternehmen@wiwo.de<br />
* Die Inhalte auf diesen Seiten wurden von der<br />
WirtschaftsWoche redaktionell unabhängig erstellt.<br />
WirtschaftsWoche <strong>13.10.2014</strong> Nr. 42 85<br />
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Technik&Wissen<br />
Meister des Augenblicks<br />
FOTOGRAFIE | Sie sind schnell, lichtstark und extrem kompakt. Mit einer neuen<br />
Generation von High-End-Kameras gewinnen Nikon, Canon und Co.<br />
neue Käufer – und finden endlich eine Antwort auf den Boom der Smartphones.<br />
Elf Stunden war Bernd Ritschel<br />
Anfang Oktober auf dem Oltroggeweg<br />
überm Tiroler Ötztal unterwegs<br />
– seine Kamera ständig<br />
im Anschlag. Was den Profifotografen<br />
durch die steilen Bergflanken in bis<br />
zu 3000 Meter Höhe trieb, war nicht Lust an<br />
herbstlichen Alpenpanoramen, sondern<br />
der Auftrag eines Kunden: Für den lokalen<br />
Tourismusverband sollte der 50-jährige<br />
Bayer eine Bilderserie übers hochalpine<br />
Bergwandern und Bergsteigen schießen.<br />
„Mit den üblichen Profikameras wäre die<br />
Zwölf-Kilometer-Tour ein echter Kraftakt<br />
geworden“, sagt Ritschel, der statt zur klassischen<br />
Spiegelreflex zur handlichen Fujifilm<br />
X-T1 griff. „Die liefert selbst für Werbeposter<br />
eine vergleichbare Qualität wie eine<br />
Große – und ist nicht mal halb so schwer.“<br />
Klein, aber fein, dieser Trend erfasst<br />
nicht nur Profis. Auch Amateure begeistern<br />
sich für die Kombi aus erstklassiger Bildqualität<br />
und handlichem Kameraformat.<br />
Sie sind der mitunter lausigen Ergebnisse<br />
klassischer Kompakter überdrüssig – und<br />
haben zugleich keine Lust, sich bei kreativen<br />
Fototouren die Schulter an klobigen<br />
Spiegelreflex-Boliden zu verheben.<br />
Deshalb greifen immer mehr Fotofreunde<br />
zu einer neuen Produktgattung, für die<br />
weder Handel noch Hersteller bisher einen<br />
griffigen Namen gefunden haben: Sie sprechen<br />
von Edel-Kompakten, Kreativkameras<br />
oder schlicht von der neuen Ein-Zoll-<br />
Klasse. Sie ist benannt nach ihren Fotosensoren,<br />
die mit meist einem Zoll Diagonale –<br />
gut zweieinhalb Zentimetern – vier- bis<br />
fünfmal größer sind als die bisher üblicherweise<br />
in Kompaktknipsen verbauten Bildchips<br />
(siehe Grafik).<br />
1,2<br />
1,0<br />
0,8<br />
0,6<br />
0,4<br />
0,2<br />
Lieber kleiner<br />
In der Oberklasse wächst die Nachfrage nach<br />
handlichen Kameratypen (in Mio. Stück)<br />
1,2<br />
1,0<br />
0,8<br />
0,6<br />
0,4<br />
0,2<br />
Klasse statt Masse<br />
Die Umsätze mit hochwertigen Kameratypen<br />
steigen (in Mrd. Euro)<br />
0<br />
0<br />
Spiegelreflex, Systemkameras<br />
Systemkameras<br />
2010<br />
Optische Sensibelchen<br />
Größenvergleich aktueller Fotosensoren<br />
(typische Kameraklassen)<br />
Profikameras<br />
Spiegelreflex<br />
Systemkameras<br />
Edel-Kompakte<br />
Kompaktkameras<br />
Top-Smartphones<br />
Spiegelreflex<br />
2011 2012 2013 2014*<br />
Vollformat<br />
Ein Zoll<br />
* Prognose; Quelle: GfK, ProPhoto, eigene Berechnung<br />
Kompaktkameras<br />
2010 2011 2012 2013 2014*<br />
Ob Canon, Nikon oder Sony – fast jeder<br />
wichtige Hersteller startet in diesen Tagen<br />
mit einer entsprechenden Kamera ins umsatzstarke<br />
Weihnachtsquartal. Und fast alle<br />
neuen Modelle vereint – neben den deutlich<br />
empfindlicheren Sensoren und der<br />
kompakten Bauform –, dass sie in der Regel<br />
mit wesentlich lichtstärkeren Objektiven<br />
ausgerüstet sind (siehe Seite 88).<br />
Weil sich zudem von der Blende übers<br />
Scharfstellen bis zur Belichtungszeit sämtliche<br />
Einstellungen auch per Hand steuern<br />
lassen, eröffnen die Kameras alle Möglichkeiten<br />
kreativer Bildgestaltung.<br />
WACHSTUM IN DER NEUEN MITTE<br />
Die neue High-End-Kompaktklasse ist ein<br />
Lichtblick für die von sinkenden Umsatzund<br />
Stückzahlen gebeutelte Fotobranche:<br />
Denn während der Boom der Smartphones<br />
das Geschäft mit traditionellen<br />
Kompaktkameras hat kollabieren lassen<br />
und die Nachfrage nach Spiegelreflexkameras<br />
sinkt, entpuppen sich die Edel-<br />
Kompakten als neuer Wachstumsmarkt.<br />
Trotz ihrer, verglichen mit klassischen<br />
Kompakten, merklich höheren Preise von<br />
500 bis 1000 Euro zieht deren Absatz an<br />
(siehe Grafiken). Und das, obwohl so mancher<br />
Händler fürs gleiche Geld auch respektable<br />
Spiegelreflexmodelle offeriert.<br />
„Die Käufer sind inzwischen offenbar<br />
bereit, auch bei Kompaktkameras für langlebigere<br />
und höherwertige Modelle tiefer<br />
in die Tasche zu greifen“, freut sich Sun<br />
Hong Lim, Kamera-Vertriebschef beim koreanischen<br />
Elektronikriesen Samsung.<br />
„Die Verkaufszahlen der edlen Kompakten<br />
haben im Vergleich zum Vorjahr um rund<br />
die Hälfte zugelegt.“<br />
FOTO: CORBIS IMAGES/OCEAN/CHRIS TOBIN<br />
86 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Edle Blickfänger Immer<br />
mehr Fotofans greifen<br />
unterwegs zu High-End-<br />
Kompaktkameras<br />
Der Trend schlägt sich auch deutlich im<br />
Durchschnittspreis aller verkauften Kameras<br />
nieder. Allein in den vergangenen fünf<br />
Jahren stieg der um rund ein Drittel auf<br />
heute knapp 280 Euro. Dadurch sind die<br />
Folgen des Strukturwandels in der Branche<br />
weniger dramatisch, als es zunächst<br />
scheint: So kauften die Deutschen 2013<br />
zwar gut 13 Prozent weniger Kameras als<br />
im Vorjahr, doch der Branchenumsatz fiel<br />
nur um fünf Prozent.<br />
Weil die Marge der teureren Kameras<br />
meist deutlich größer ist als bei den Billig-<br />
modellen für den Grabbeltisch im Elektronikmarkt,<br />
steigt bei vielen Herstellern sotive<br />
Fotografieren wie etwa das Spiel mit<br />
entdeckt haben und die sich jetzt fürs kreagar<br />
die Profitabilität. „Manchem Manager der Tiefenschärfe begeistern“, sagt Profifotograf<br />
Ritschel.<br />
kommt die Entwicklung also durchaus gelegen“,<br />
sagt Ralf Spoerer, mit Ralfs-Foto- Auch darum kritisiert er scharf, wie die<br />
Bude.de einer der bekanntesten deutschen Produktstrategen der traditionellen Fotoriesen<br />
bisher auf die Handykonkurrenz<br />
Fotoblogger.<br />
Vor allem aber belegt die neue Produktklasse,<br />
dass der Boom der Smartphones er Kompakter im Halbjahrestakt, mit im-<br />
reagierten: „Die Antwort war eine Flut neu-<br />
nicht zwangsläufig das Ende traditionellen mer neuen Pixelrekorden statt einem klaren<br />
Fokus auf die Bildqualität“, moniert Rit-<br />
Kamerabaus bedeuten muss. „In meine<br />
Workshops kommen zunehmend junge schel. Jetzt aber mache sich in der Industrie<br />
endlich die Erkenntnis breit, dass Leute, die übers Handy ihre Liebe zum Bild »<br />
WirtschaftsWoche <strong>13.10.2014</strong> Nr. 42 87<br />
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Technik&Wissen<br />
»<br />
sich Fotoapparate nur durch Qualität<br />
und kreative Aufnahmemöglichkeiten von<br />
den Smartphones absetzen können, so<br />
der Fotoprofi. „Das braucht auch deutlich<br />
größere Bildsensoren, als die<br />
auf schlanke Baugröße getrimmten<br />
Handys sie bieten<br />
können.“<br />
NX<br />
Samsung<br />
mini<br />
Inzwischen sehen<br />
das auch prominente<br />
Vertreter der traditionellen<br />
Fotowelt so.<br />
„Erst hat die Branche<br />
Smartphones als Konkurrenz<br />
ignoriert und<br />
dann zu lange als Gegner<br />
betrachtet“, sagt etwa Canons<br />
Europachef, der Niederländer<br />
Rokus van Iperen. „Ein Irrtum, liefert<br />
uns die Handyfotografie doch gerade<br />
die Kunden, die morgen unsere Kameras<br />
und Serviceangebote nutzen sollen.“<br />
Nur, wie erreichen die Hersteller die<br />
neuen potenziellen Käufer? Sicher nicht<br />
mit den Konzepten traditionellen Fotomarketings:<br />
„Leuten, die via Handy bisher<br />
vor allem Gebrauchsfotos fürs schnelle Teilen<br />
in sozialen Netzen geschossen haben,<br />
die begeisterst du nicht mit Regalen und<br />
Messeständen voller Riesenobjektive“, sagt<br />
Fotoblogger Spoerer.<br />
Der nur zwei Zentimeter<br />
dicken Kamera gelingt der<br />
Spagat zwischen schlichter<br />
Gestaltung und bemerkenswert<br />
guter Bildqualität. Wer will,<br />
kann – über einen Adapter –<br />
selbst Samsungs Profi-<br />
Objektive anschließen.<br />
499 Euro<br />
RADIKALER UMBAU<br />
Auch für Canon-Europachef van Iperen ist<br />
klar: „Die neue Generation der kreativen<br />
Fotografen begeistert sich nicht mehr für<br />
Technik um ihrer selbst willen. Sie ist ihnen<br />
nur Mittel zum Zweck, Emotionen aufs Bild<br />
zu bannen.“<br />
Entsprechend radikal bauten die Japaner<br />
gerade erst auf der Photokina in<br />
Köln, der Leitmesse der Branche,<br />
ihren Auftritt um: Statt<br />
der üblichen Neuheitenflut<br />
zeigten sie dieses Jahr als<br />
Ankerprodukte nur eine<br />
neue Spiegelreflexkamera<br />
– und mit der Power-<br />
shot G7 X einen Neuling<br />
aus der aufstrebenden<br />
Ein-Zoll-Klasse. Was die etwa<br />
in fast völliger Dunkelheit<br />
noch ohne Blitz an Details auf<br />
den Fotosensor bannt, konnten die<br />
Messebesucher anhand von Dioramenszenen<br />
in nahezu unbeleuchteten Testräumen<br />
am Rand des Standes gleich selbst<br />
ausprobieren.<br />
Gerade bei solchen Szenen,<br />
etwa Aufnahmen in der späten<br />
Dämmerung, am Grillfeuer<br />
oder auch bei Feiern<br />
in Räumen, geraten selbst<br />
die besten Smartphones<br />
an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit.<br />
Bilder ohne<br />
Blitz werden verrauscht<br />
oder verwackelt. Durch die<br />
Mikrolinsen fällt schlicht<br />
nicht genug Licht auf deren winzige<br />
Fotosensoren, um ein klares,<br />
farbstarkes Bild zu erzeugen. Und wer den<br />
Aufheller dazuschaltet, sieht nach der Aufnahme<br />
allzu oft in kalkweiß-überblitzte<br />
Gesichter.<br />
Und weil die bei herkömmlichen Kompaktkameras<br />
der Einstiegs- und<br />
Sony<br />
RX 100 Mark III<br />
Kaum größer als eine Packung<br />
Zigaretten, doch bei<br />
der Bildqualität fast auf dem<br />
Niveau guter Systemkameras.<br />
So fasziniert Sonys Edel-Kompakte,<br />
in der sogar ein elektronischer<br />
Sucher<br />
steckt.<br />
Mittelklasse eingesetzten<br />
Sensoren ebenfalls nicht<br />
viel größer sind als ein<br />
halber kleiner Fingernagel,<br />
ist auch da<br />
kaum mehr Bildqualität<br />
zu holen – und<br />
der Qualitätsunterschied<br />
zu Handys<br />
kaum mehr erkennbar.<br />
849 Euro „Die Industrie war zu<br />
lange nicht wirklich innovativ“,<br />
sagt Haruo Ogawa, Chef der<br />
Kamerasparte bei Olympus. Seine Antwort<br />
ist, „große Qualität klein zu machen.<br />
Kompaktere Bauformen, weniger Gewicht,<br />
das kommt bei den Kunden an.“<br />
Ogawa wagte mit seinen Pen- und OM-<br />
D-Systemkameras und deren noch ober-<br />
halb des neuen Ein-Zoll-Formats angesiedelten<br />
Fotochips vor gut vier Jahren erste<br />
Schritte ins Segment handlicher Qualitätskameras.<br />
Inzwischen haben Fotofans mit Hang<br />
zur Kreativität die Wahl zwischen zahlreichen<br />
kompakten Kamerakonzepten.<br />
Wie etwa Samsungs extrem flache NX<br />
mini. Sie paart einen großen Bildsensor<br />
mit (zumindest für Fotopuristen) gewöhnungsbedürftigen<br />
Gehäusefarben wie<br />
Mintgrün, Zartrosa oder Schokobraun sowie<br />
einem nach vorne klappbaren Display.<br />
Selfie-Fotografie auf höchstem Niveau sozusagen.<br />
„Mehr Qualität, pfiffige Optik,<br />
das“, glaubt Samsung-Manager Lim,<br />
„spricht speziell Frauen an, die sich nicht<br />
für lange Ausstattungslisten begeistern,<br />
sondern gute Bilder machen wollen und<br />
Wert auf Lifestyle legen.“<br />
Zugleich adaptiert die Kamerabranche<br />
einen Bildertrend aus der<br />
Smartphone-Welt: eine Art<br />
Nikon 1<br />
AW1<br />
Die Nikon-1er-Serie verbindet<br />
handliches Format mit<br />
einem breiten Objektivangebot.<br />
Dazu sind die Systemkameras<br />
mit bis zu 60 Bildern pro<br />
Sekunde extrem schnell und<br />
im Fall der AW1 sogar wasserdicht.<br />
759 Euro<br />
soziale<br />
Gebrauchsfotografie.<br />
Schnappschüsse<br />
aus dem Handy,<br />
die der Nutzer umgehend<br />
via Mobil-<br />
funk in sozialen Online-Welten veröffentlicht<br />
– von Facebook bis Pinterest.<br />
Daher ermöglichen die Kamerahersteller<br />
inzwischen auch ihren Einzöllern den<br />
Zugang ins Netz. Module für den schnurlosen<br />
Computerfunk WLAN sind Standard.<br />
Mithilfe des Kurzstreckenfunks NFC – etwa<br />
in Canons G7 X, der Fujifilm X30 oder Sonys<br />
RX 100 – lassen sich die Kameras sogar<br />
durch bloßes Berühren mit Handys koppeln.<br />
Die dienen dann als Funkbrücke zu<br />
sozialen Netzwerken, als Megadisplay für<br />
die schnelle Bildkontrolle, als Fernauslöser<br />
für die Kamera – oder auch zum direkten<br />
FOTOS: PR<br />
88 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Upload der Aufnahmen<br />
in Fotoportale und<br />
Cloud-Speicher im Internet.<br />
Denn der Bildertausch<br />
übers Netz, die Diskussion<br />
in Online-Communities,<br />
aber auch die Sicherung der<br />
Aufnahmen gegen Datenverluste<br />
sind kein Privileg mehr von Smartphone-<br />
Fotografen, deren Telefone jede Aufnahme<br />
auf Wunsch gleich im Hintergrund im Internet<br />
archivieren.<br />
Im Gegenteil, die Hersteller treten mit eigenen<br />
Netzdiensten in direkte Konkurrenz<br />
zu Online-Angeboten wie Flickr oder<br />
Dropbox (siehe Kasten Seite 90). Canon<br />
etwa startete sein Irista-Portal – eine Mischung<br />
aus Fotoarchiv und Diskussionsplattform<br />
– im Frühsommer, auch um „die<br />
neue Fotografengeneration da zu erreichen,<br />
wo sie aktiv ist – im Netz, in Communities<br />
und über Apps“, so Europachef van<br />
Iperen. Und folglich findet sich nun in der<br />
G7 X die Option, neue Bilder via Handy in<br />
die Irista-Sammlung zu laden.<br />
Sogar noch etwas konsequenter verknüpft<br />
Panasonics Neuling, die Lumix<br />
CM1 die Bilder- und Online-<br />
Welten. Denn im Grunde ist<br />
der Fotohybride eine Ein-<br />
Zoll-Kamera mit integriertem<br />
Smartphone,<br />
eine Edel-Kompakte<br />
mit direktem Netzzu-<br />
Fujifilm<br />
X30<br />
Canon<br />
G7 X<br />
Klein, schwarz,<br />
stark: Sie ist kaum größer als<br />
eine Billigknipse, glänzt aber<br />
mit Lichtstärke 1,8 bis 2,8 beim<br />
24–100-Millimeter-Zoom<br />
(umgerechnet auf Kleinbildfilm)<br />
und einem extrem<br />
gang. Denn trotz der augenfälligen Verwandtschaft<br />
zum Handy ermöglicht es<br />
auch die Lumix dem Fotografen, alle Kamerafunktionen<br />
manuell zu steuern.<br />
Nur beim Leica-Elmarit-Objektiv muss<br />
der Käufer Abstriche machen: Das ist<br />
zwar mit Blende 2,8 sehr lichtstark,<br />
hat aber eine 28-Millimeter-Festbrennweite.<br />
Statt eines optischen<br />
gibt es nur einen Digitalzoom.<br />
Das ist<br />
durch den zwangsläufigen<br />
Auflösungsverlust<br />
beim Zoomen,<br />
gemessen am Qualitätsanspruch<br />
der Kamera,<br />
nicht mehr als ein<br />
Kompromiss.<br />
Wegbereiter des Ein-Zoll-Segments<br />
war 2011 Nikon mit den ersten Modellen<br />
seiner 1er-Serie, Systemkameras mit<br />
Wechselobjektiven und wegen der kompakten<br />
Bauform extrem schneller<br />
schnellen Autofokus.<br />
650 Euro<br />
Optik und Bedienung<br />
kopieren klassische Analogkameras,<br />
doch bei Lichtstärke<br />
und Rauschverhalten bietet die<br />
X30 klassengemäße Digitalqualität,<br />
auch wenn der Sensor<br />
nicht ganz Zollformat<br />
hat.<br />
549 Euro<br />
Bildfolge von bis zu 60 Aufnahmen<br />
pro Sekunde.<br />
Wegen der zugleich<br />
aber – gemessen an<br />
Spiegelreflexkameras<br />
Panasonic<br />
Lumix CM1<br />
Ist die Lumix eher Edel-<br />
Kompakte mit Smartphone<br />
oder High-End-Fotohandy?<br />
Wie auch immer: Ihr Leica-Objektiv<br />
und der Ein-Zoll-Sensor<br />
liefern Top-Fotos. Nur der<br />
Digitalzoom passt nicht<br />
ins Bild.<br />
899 Euro<br />
– merklich leistungsschwächeren<br />
Bildchips<br />
gab es von Testern<br />
und Fotoprofis<br />
zunächst Kritik an<br />
Rausch- und Schärfewerten<br />
der ersten Modelle.<br />
„Dabei hatten wir sie ja im<br />
Grunde nicht als Spiegelreflex-Ersatz<br />
konzipiert, sondern als ,die bessere<br />
Kompakte‘, und das kam beim<br />
Kunden an“, sagt Nikons deutscher<br />
Chef fürs Handelsmarketing,<br />
Wolfgang Göddertz.<br />
Binnen weniger<br />
Wochen schossen die<br />
Neulinge an die Spitze<br />
der Verkaufs-Charts bei<br />
Systemkameras. Und sie<br />
wurde zur Blaupause für<br />
die neue Generation der<br />
Qualitäts-Kompakten.<br />
Zu denen zählt inzwischen<br />
auch Nikons neues – trotz Wechseloptik<br />
–, wasserdichtes Modell AW1. Das<br />
übersteht Tauchtiefen bis 15 Meter schadlos<br />
und ist mit Weitwinkelobjektiv nicht viel größer<br />
als eine Packung Long-Size-Zigaretten.<br />
„Die Leute sind den Plastikkram leid“,<br />
sagt Fotograf Ritschel. „Wer sich fürs Fotografieren<br />
begeistert, will wieder Wertigkeit,<br />
erfreut sich an Haptik und will auch aktiv in<br />
die Bildgestaltung eingreifen“, erklärt der<br />
Experte den Trend zu stabilen Metallkomponenten<br />
in Rahmen und Gehäusen der<br />
Edelklasse, zu mehrheitlich traditionellem<br />
Kameradesign und zu klassischen Stellrädern<br />
für die wichtigsten Bildeinstellungen.<br />
Blendensteuerung, Zeitvorwahl, Belichtungskorrektur,<br />
all das sind Funktionen,<br />
die Fotografen mit Faible fürs Kreative bei<br />
Smartphones zumeist vergeblich suchen.<br />
Wer gerne mit dem Fokus arbeitet, mit Unschärfen<br />
in Vorder- und Hintergrund oder<br />
Wischeffekten beim Mitziehen sich schnell<br />
bewegender Objekte, der muss nach Alternativen<br />
suchen. Selbst die jüngste Generation<br />
von Foto-Fonen, mit hohem Aufwand<br />
auf die Simulation von Tiefenschärfeeffekten<br />
getrimmt, schafft das eher schlecht als<br />
recht (siehe WirtschaftsWoche 31/2014).<br />
GRENZEN DER PHYSIK<br />
Das ist nicht Unvermögen der Entwickler,<br />
sondern schlichte Physik. Die erschwert<br />
es ihnen schon bei einfachen<br />
Kompaktkameras massiv,<br />
Kreativfunktionen zu integrieren.<br />
Die Designer der<br />
Handys haben’s noch<br />
schwerer. Denn für gute,<br />
lichtstarke und möglichst<br />
scharfe Aufnahmen gilt der alte Entwicklerspruch:<br />
Am Ende zählt nur die Größe –<br />
mehr Raum für Linsen und Sensor. Und<br />
zwar in gleich mehrfacher Hinsicht:<br />
n Bildchip Je größer die Pixel genannten<br />
helligkeits- und farbempfindlichen Punkte<br />
auf dem Bildchip sind, desto mehr Licht<br />
können sie aufnehmen, und desto eher liefert<br />
die Kamera auch ohne Blitz und Stativ<br />
scharfe, rauscharme Bilder.<br />
Dummerweise hat die Jagd nach Auflösungsrekorden<br />
bei Kompaktkameras dazu<br />
geführt, dass die Pixel der einfacheren Kameras<br />
immer winziger wurden – und damit<br />
lichtschwächer. »<br />
WirtschaftsWoche <strong>13.10.2014</strong> Nr. 42 89<br />
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Technik&Wissen<br />
BILDERSPEICHER<br />
Safe im Netz<br />
Was einst der Schuhkarton für Negative<br />
war, ist heute das Internet: das<br />
persönliche Bildarchiv im Digitalzeitalter<br />
– und mehr. Ein Überblick.<br />
Für Thorben Hess war es der GAU, als die<br />
Festplatte seines PCs im Frühsommer<br />
plötzlich den Geist aufgab. Denn auf der<br />
hatte der zweifache Vater aus Mühlheim<br />
alle Familienfotos archiviert. „Plötzlich<br />
verschwanden alle Erinnerungen im digitalen<br />
Nirvana“, sagt der 45-Jährige, der<br />
am Ende mehrere Hundert Euro für die<br />
Datenrettung zahlte, um zumindest einen<br />
Teil der Aufnahmen wiederherzustellen.<br />
Seither sichert er die Bilder in seinem<br />
Online-Album bei der Yahoo-Tochter<br />
Flickr. So wie er machen das schon Millionen<br />
Fotofans weltweit. Teils laden sie die<br />
Bilder – direkt nach der Aufnahme <strong>vom</strong><br />
Kamerahandy – in reine Datenspeicher<br />
wie Dropbox. Teils überspielen sie die<br />
Hort der Erinnerungen<br />
Fotos <strong>vom</strong> PC in Web-Alben, die sie per<br />
Mausklick für Freunde oder Verwandte<br />
freigeben können. Mancher Anbieter ermöglicht<br />
sogar einfache Bildbearbeitungen<br />
wie Rote-Augen-Korrekturen oder<br />
Helligkeitsausgleich direkt übers Netz.<br />
BIS ZU 15 GIGABYTE GRATIS<br />
Gemein ist fast allen Angeboten, dass das<br />
Basispaket gratis ist – aber im Speichervolumen<br />
auf 2 bis 15 Gigabyte limitiert.<br />
Das reicht für Gelegenheitsfotografen.<br />
Wer aber das komplette Bildarchiv im<br />
Netz sichern will, womöglich gar Fotos im<br />
unkomprimierten RAW-Format, muss<br />
zukaufen. Je nach Anbieter kostet das<br />
monatlich zwei bis zehn Euro extra für<br />
100 Gigabyte (siehe Tabelle).<br />
Und das sind nicht die einzigen Kosten,<br />
die der Speicher im Netz verursacht: Weil<br />
der Upload aller Bilder seinen bisherigen<br />
DSL-Anschluss wochenlang blockiert<br />
hätte, hat Fotograf Hess auch das Tempo<br />
seines Internet-Zugangs vervierfacht – für<br />
zehn Euro mehr im Monat. Die Sicherheit<br />
seiner Familienbilder war ihm das wert.<br />
Immer mehr Internet-Anbieter und Kamerahersteller stellen Fotofans Bilder-Speicher<br />
und Online-Alben im Netz bereit. Die Funktionen der Dienste reichen <strong>vom</strong> puren Fotoarchiv<br />
in der Wolke über Bilder-Communitys bis zu einfachen Programmen, mit denen<br />
sich Fotos im Browser optimieren und kleinere Bildfehler beheben lassen.<br />
Web-Speicher<br />
Dropbox Basic<br />
Dropbox Pro<br />
Strato HiDrive Media 20<br />
Strato HiDrive Media 100<br />
Web.de Fotoabum<br />
Web.de Club<br />
Online-Foto-Communitys<br />
Adobe Revel<br />
Adobe Revel Premium<br />
Canon Irista Basis<br />
Canon Irista Value<br />
Fujifilm X World<br />
Yahoo Flickr<br />
PC-Cloud-Kombiangebote<br />
Apple Photos + iCloud<br />
Apple iCloud Erweiterung<br />
Google Picasa + Webalben<br />
Google Drive Erweiterung<br />
Microsoft Fotogalerie + Onedrive<br />
Microsoft Onedrive Erweiterung<br />
Kosten<br />
im Monat<br />
0,00 €<br />
9,99 €<br />
1,49 €<br />
4,90 €<br />
0,00 €<br />
4,99 €<br />
0,00 €<br />
5,49 €<br />
0,00 €<br />
4,99 €<br />
0,00 €<br />
0,00 €<br />
0,00 €<br />
0,99 €<br />
0,00 €<br />
1,99 €<br />
0,00 €<br />
1,99 €<br />
Speichervolumen<br />
(in Gigabyte)<br />
2<br />
1000<br />
20<br />
100<br />
2–10<br />
100<br />
2, 50 Bilder pro<br />
Monat<br />
unbegrenzt<br />
10<br />
50<br />
5<br />
1000<br />
5<br />
20<br />
1<br />
100<br />
15<br />
100<br />
Beschreibung des Angebotes<br />
Speicher mit Ordnerfreigabe<br />
Speicher mit Ordnerfreigabe<br />
Fotoarchiv mit Albumfreigabe<br />
Fotoarchiv mit Albumfreigabe und einfacher<br />
Bildbearbeitung<br />
Kein Upload-Limit<br />
Fotoarchiv mit Facebook- und Flickr-Import<br />
sowie Bilderfilter<br />
Fotoarchiv mit Diskussionsforum<br />
Globale Plattform mit Millionen Nutzern<br />
Fotoverwaltung und -bearbeitung für Mac,<br />
Online-Fotoarchiv mit Albumfreigabe<br />
Fotoverwaltung und -bearbeitung für PC und<br />
Mac, Online-Fotoarchiv mit Albumfreigabe<br />
Fotoverwaltung und -bearbeitung für PC,<br />
Online-Fotoarchiv mit Albumfreigabe<br />
n Blende Es ist immer<br />
wieder überraschend,<br />
welch Objektivrüssel<br />
beim Einschalten aus<br />
mancher Westentaschenknipse<br />
herausfährt.<br />
Die Entwickler<br />
wollen mit dem langen<br />
optischen Rohr<br />
Extra<br />
Die Technikdaten<br />
der vorgestellten<br />
Kameras sowie<br />
Testbilder finden<br />
Sie in der App<br />
einen möglichst großen Zoombereich<br />
abdecken, <strong>vom</strong> starken Weitwinkel bis zum<br />
großen Tele. Doch das geht wieder zulasten<br />
der Lichtstärke. Denn zum einen<br />
schlucken die einfachen Linsensysteme<br />
viel Helligkeit. Zum anderen dringt durch<br />
die winzigen Öffnungen kaum noch Licht.<br />
Damit kommt so manche Kompakte im<br />
Weitwinkelbereich auf maximal Blende<br />
3,6, mitunter gar nur auf Blende 4,0. Und<br />
versucht sich der Fotograf an einer Tele-<br />
Aufnahme, halbiert oder drittelt sich die<br />
Lichtstärke oft genug. Edel-Kompakte wie<br />
Canons G7 X oder Sonys RX 100 III sind dagegen<br />
mit Einstiegsblende 1,8 doppelt so<br />
lichtstark.<br />
Die Folge: Romantische Aufnahmen in<br />
der Dämmerung oder bei Kerzenschein<br />
sind nicht mehr grässlich verrauscht oder<br />
hoffnungslos überblitzt, sondern landen<br />
knackscharf und emotionsstark im Kameraspeicher.<br />
n Beugung Bei einfacheren Kompaktkameras<br />
und Smartphones müssen die Lichtstrahlen<br />
auf ihrem Weg durchs Objektiv eine<br />
oft nicht einmal streichholzkopfgroße<br />
Blende passieren. Dabei werden sie durch<br />
die kleine Öffnung so zusammengestaucht,<br />
dass es zu einem gefürchteten<br />
physikalischen Effekt kommt: der Beugung.<br />
Die Strahlen produzieren nicht mehr<br />
sauber einen Bildpunkt neben dem anderen.<br />
Sie fallen stattdessen teils auf mehrere<br />
angrenzende Pixel und sorgen so für die<br />
ungeliebte Unschärfe.<br />
Völlig vermeiden lässt sich der Effekt nie.<br />
Aber auch hier gilt, je größer Objektiv und<br />
Bildsensor sind, desto besser. Ein Plus<br />
mehr für die Edel-Kompakten.<br />
Und noch etwas spricht für die Abkehr<br />
von den Billigknipsen: „Die Lebenszyklen<br />
der Modelle werden wieder merklich länger,<br />
der Gerätekauf wieder eine Investition<br />
von Dauer“, verspricht Yoshiyuki Nogami,<br />
der bei Sony das weltweite Marketing der<br />
Fotosparte verantwortet.<br />
Für Bilderprofi Ritschel ist es auch eine<br />
Rückbesinnung auf alte Werte: „Die Kameras<br />
sind heute so gut, die kannst du wieder<br />
an deine Kinder vererben.“<br />
n<br />
thomas.kuhn@wiwo.de<br />
90 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Moderne Gladiatoren<br />
Das Spiel League<br />
of Legends lockt<br />
die Massen –<br />
wie hier in Paris<br />
FOTO: BESTIMAGE/HUGO WINTREBERT<br />
Helden der Maus<br />
COMPUTERSPIELE | Daddeln am Rechner hat sich längst zum Profisport<br />
entwickelt – und wird zum Rivalen für Fußball und Formel 1.<br />
Michael Ballack und Oliver Kahn waren<br />
im Sangam-Stadion von Seoul<br />
Heroen. Vor 67000 Zuschauern besiegten<br />
sie hier bei der Fußballweltmeisterschaft<br />
2002 mit der deutschen Mannschaft<br />
Gastgeber Südkorea – und schafften so den<br />
Einzug ins Finale gegen Brasilien.<br />
Wenn sich am kommenden Sonntag<br />
(19.10.) wieder die Ränge des Stadions für<br />
eine WM füllen, werden Deutsche nichts<br />
zu melden haben. Denn bei diesem Sportereignis<br />
geht es nicht um Fußball, sondern<br />
um das Echtzeit-Strategiespiel League of<br />
Legends (LoL). Mit mehr als 85 Millionen<br />
Hobbyspielern ist es eines der erfolgreichsten<br />
Computergames der Welt – und wird<br />
von asiatischen Spielern dominiert.<br />
Wie im Fußball treten zwei Mannschaften,<br />
Clans genannt, gegeneinander an. Die<br />
fünfköpfigen Teams sitzen auf einer Bühne<br />
vor einem riesigen Bildschirm. Gebannt<br />
verfolgen Zehntausende Fans auf den Rängen<br />
und Millionen Zuschauer zu Hause jede<br />
Attacke, mit der die Spieler den Nexus<br />
des Gegners erobern wollen, ein virtuelles<br />
Gebäude. Den umjubelten Siegern winkt<br />
ein Preisgeld von einer Million Dollar.<br />
Für die E-Sport-Szene sind die LoL-Weltmeisterschaften<br />
das größte Ereignis des<br />
Jahres. Längst ist das professionelle Daddeln<br />
ein Massenphänomen geworden. Sicher,<br />
seit es PCs gibt, spielen Menschen an<br />
und mit den Computern. Jetzt aber hat sich<br />
eine Profiszene herausgebildet, die <strong>vom</strong><br />
einstigen Hobby-Vergnügen leben kann, ja<br />
sogar reich damit wird. Entstanden ist ein<br />
Milliardengeschäft mit Sponsoring, Live-<br />
Daddeln total<br />
Fans verbringen weltweit immer mehr Zeit vor<br />
dem Bildschirm, um Profis beim Computerspielen<br />
zuzuschauen (in Mrd. Stunden)<br />
7<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
2010 11 12 13 14 15 16 17 18<br />
ab 2014 Prognose; Quelle: IHS Technology<br />
Übertragungen und stadionfüllenden Mega-Events<br />
wie das Finale der WM.<br />
E-Sport entwickelt sich allmählich zum<br />
ernst zu nehmenden Konkurrenten für<br />
Fußball, Formel 1 oder Tennis. Die Fans<br />
verbringen immer mehr Zeit vor dem Bildschirm,<br />
um die Kämpfe ihrer Helden zu<br />
verfolgen: Bis 2018 sollen sie insgesamt 6,6<br />
Milliarden Stunden lang Videos von Spielen<br />
betrachten, fast eine Verdreifachung<br />
gegenüber 2013 (siehe Grafik). Das entspricht<br />
der Zeit, die alle Frankfurter aufbringen<br />
müssten, um ein Jahr lang ununterbrochen<br />
Computerspielern zuzuschauen.<br />
Folgerichtig beginnen sich die Internet-<br />
Konzerne für den E-Sport zu interessieren.<br />
So schnappte vor Kurzem der Online-<br />
Händler Amazon dem Suchmaschinenriesen<br />
Google Twitch.tv vor der Nase weg, die<br />
wichtigste Sendeplattform der Szene. Stolzer<br />
Kaufpreis: fast eine Milliarde Dollar.<br />
GROSSKONZERNE SIND SPONSOREN<br />
„Wir sind die Zukunft des Entertainments“,<br />
verkündet Alexander Müller selbstbewusst.<br />
Er ist als Managing Director so etwas<br />
wie der Sportchef von SK Gaming aus Köln,<br />
der einzige deutsche Clan, der es zu den<br />
LoL-Weltmeisterschaften nach Südkorea<br />
geschafft hat. Er ist seit 16 Jahren in der<br />
Branche aktiv und weiß, wovon er redet. In<br />
Asien und den USA sind Meisterschaften<br />
wie die jetzt in Südkorea längst Großereignisse.<br />
Aber auch in Europa locken Live-<br />
»<br />
WirtschaftsWoche <strong>13.10.2014</strong> Nr. 42 91<br />
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Technik&Wissen<br />
»<br />
turniere auf der Kölner Spielemesse<br />
Gamescom oder eigene Veranstaltungen<br />
wie die Pariser All-Star Challenge im Mai<br />
die Massen. Viele Unternehmen nutzen<br />
das Umfeld, um für sich zu werben. Ob Intel,<br />
AOL, Acer, Samsung – die Trikots der<br />
Teams sind übersät mit den Namen großer<br />
Konzerne.<br />
„Was die Zuschauerzahlen und unsere<br />
Reichweite betrifft, sind wir attraktiver als<br />
ein Zweitligaverein im Fußball“, versichert<br />
Müller. Eine Mannschaft wie SK Gaming<br />
zählt 500 000 Follower bei Facebook und<br />
nochmal 70 000 bei Twitter – der 1. FC Köln<br />
hat nur wenig mehr. Der deutsche Computeranbieter<br />
Medion nutzt die Popularität<br />
des Clans bereits für sich. Der Hauslieferant<br />
von Aldi und seit einiger Zeit Teil des<br />
chinesischen IT-Riesen Lenovo ist Hauptsponsor<br />
von SK Gaming. Mit den Gesichtern<br />
der Spieler versucht Medion eine junge,<br />
männliche, technikaffine Zielgruppe zu<br />
erreichen. Beim Fußball kaufen die Fans<br />
die Schuhe ihrer Stars – im E-Sports ist das<br />
mit Tastatur und Maus nicht anders.<br />
„Unsere Spieler verdienen mindestens<br />
50 000 Dollar im Jahr. Je nachdem wie erfolgreich<br />
sie sind, sind es auch 100 000 oder<br />
mehr“, erzählt Müller. Zudem zahle SK Gaming<br />
die Reisen, die Hardware, die Lebenshaltung<br />
während der drei bis sechs Jahre einer<br />
Profikarriere. In Südkorea verdienen<br />
manche Stars das Zehnfache. Zudem ist<br />
das Ansehen der Profi-Gamer im Ausland<br />
besser. Ein Grund für viele, in die USA, nach<br />
China oder Südkorea zu wechseln.<br />
JEDER VIERTE DEUTSCHE DADDELT<br />
Immerhin gehört die deutsche Spielerszene<br />
zu einer der größten weltweit. Schätzungen<br />
gehen von gut 40 000 E-Sport-<br />
Clans in Deutschland aus. Laut Bundesverband<br />
Interaktive Unterhaltungssoftware<br />
(BIU) spielen hierzulande mehr als 20 Millionen<br />
Menschen regelmäßig Computerspiele.<br />
„League of Legends und Dota 2 dominieren<br />
klar in Bezug auf die Nutzung“,<br />
sagt David Cole <strong>vom</strong> US-Marktforscher<br />
DFC Intelligence. Für 2014 erwarten die<br />
Experten einen Umsatz von 25 Milliarden<br />
Dollar auf dem Markt der PC-Spiele.<br />
Die Electronic Sports League (ESL), betrieben<br />
von der Kölner Turtle Entertainment<br />
und so etwas wie ein Pendant zum<br />
Deutschen Fußball-Bund (DFB), spricht<br />
von immerhin 1,4 Millionen aktiven LoL-<br />
Spielern hierzulande. Die wenigstens sind<br />
Profis, aber für die meisten ist das Spiel<br />
mehr als eine gelegentliche Freizeitbeschäftigung.<br />
Der DFB zählt zwar knapp sieben<br />
Millionen Mitglieder und etwa 25 000<br />
Clubs. In die Bundesliga schafft es aber<br />
auch hier nur ein Bruchteil der Aktiven.<br />
Nun ist der DFB bald 115 Jahre alt. League<br />
of Legends gibt es erst seit 2009, und<br />
die Spieler- und Zuschauerzahlen wachsen<br />
ständig weiter. „Es ist großartig, zu sehen,<br />
wie weit E-Sport in der kurzen Zeit<br />
gekommen ist“, sagt Dustin Beck, bei Riot<br />
Games verantwortlich für das Thema. Die<br />
US-Firma in chinesischem Besitz hat LoL<br />
entwickelt und bietet es kostenlos an. Umsätze<br />
macht sie mit virtuellen Zusatzinhalten,<br />
etwa besonderen Avataren für die<br />
Spieler.<br />
Längst ähneln die Gepflogenheiten im<br />
E-Sport denen im Profifußball. Hohe Ablösesummen<br />
bei Spielertransfers, mehrtägige<br />
Sperren für schlechtes Benehmen,<br />
ein ausgebildeter Trainerstab und sogar<br />
Sportpsychologen sind nicht mehr ungewöhnlich.<br />
Viele ehemalige Gamer werden<br />
zu Kommentatoren, Trainern oder Managern.<br />
Wie in der Bundesliga gibt es bei<br />
Wettbewerben eine ausführliche Vorberichterstattung<br />
auf den Videoplattformen<br />
im Netz. Die stellen Spieler vor, küren Favoriten.<br />
Einspieler und O-Töne der Profis<br />
stimmen das Publikum auf die große<br />
Show ein.<br />
Das deutsche<br />
LoL-Team ist fast<br />
so populär<br />
wie der 1. FC Köln<br />
Virtuelles real Fans von League of Legends<br />
kleiden sich gern wie die Helden des Spiels<br />
Wichtiger virtueller Treffpunkt der Fans<br />
ist Twitch Die Plattform bietet im Unterschied<br />
zu YouTube die Möglichkeit, die<br />
Spiele live zu erleben. Auch außerhalb der<br />
Profiwettbewerbe tummeln sich hier täglich<br />
gut 70 000 Zuschauer – und das nur bei<br />
LoL. Fans und Profis kommen sich hier so<br />
nah wie sonst nirgends. „80 Prozent des Inhalts<br />
bei Twitch ist reiner E-Sport, und wieder<br />
50 Prozent davon ist nur LoL“, sagt Müller.<br />
Dass Amazon zuschlage, könne er angesichts<br />
des Wachstumspotenzials verstehen,<br />
erklärt er die überraschende Übernahme<br />
durch den US-Konzern, der zunehmend<br />
ins Mediengeschäft expandiert.<br />
KOMMENTATOR IN VOLLZEIT<br />
Twitch hat auch die Selbstvermarktung der<br />
Spieler auf eine neue Stufe gehoben. Das<br />
Stichwort lautet Letsplay: Profis spielen<br />
quasi vor laufender Kamera und erklären<br />
per Videostream ihre Taktiken und Strategien.<br />
Viele haben sich so auf eigene Faust<br />
eine treue Fangemeinde aufgebaut, manche<br />
mit Millionen Mitgliedern. Bei Twitch<br />
wird aber nicht nur zugeschaut, Spieler<br />
und Fans diskutieren per Chat – manchmal<br />
dürfen ein paar Glückliche sogar mit ihren<br />
Stars zusammen spielen.<br />
Einer der bekanntesten Streamer in<br />
Deutschland ist Maxim Markow aus Berlin.<br />
Sein Kanal bei Twitch hat 50 000 Abonnenten.<br />
Er besitzt mittlerweile ein eigenes Studio,<br />
professionelle Ausrüstung, Gäste, Interviews,<br />
Analysen – er ist zum Vollzeit-<br />
Kommentator geworden, der sein Hobby<br />
zum Beruf gemacht hat. Seinen Lebensunterhalt<br />
verdient er durch Werbeverträge,<br />
Sponsoren und Spender. Von den Weltmeisterschaften<br />
in Südkorea berichtet er<br />
live zusammen mit einigen Kollegen –<br />
nicht vor Ort, sondern dank Streaming aus<br />
dem eigenen Studio.<br />
Noch ist E-Sport für Alexander Müller<br />
von SK Gaming ein Hidden Champion. So<br />
wie die vielen unbekannten Weltmarktführer<br />
aus dem heimischen Mittelstand. Die<br />
Professionalität, das Wachstumspotenzial<br />
und all die kleinen und großen Erfolgsgeschichten<br />
des Computersports sind längst<br />
vergleichbar. In der breiten Öffentlichkeit<br />
ist das bisher noch nicht angenommen.<br />
Ändern wird sich das wohl erst, wenn ein<br />
deutsches Werksteam von Siemens, Deutscher<br />
Telekom oder SAP bei den Leagueof-Legends-Weltmeisterschaften<br />
antritt –<br />
so wie es der Elektronikkonzern Samsung<br />
vormacht: Er ist mit gleich zwei eigenen<br />
Clans im Sangam-Stadion am Start. n<br />
thiemo bräutigam | technik@wiwo.de<br />
FOTO: BESTIMAGE/HUGO WINTREBERT<br />
92 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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VALLEY TALK | Warum die Aufspaltung von<br />
Hewlett-Packard entscheidende Schwächen hat.<br />
Von Matthias Hohensee<br />
Mit sich selbst beschäftigt<br />
FOTO: JEFFREY BRAVERMAN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
Über Hewlett-Packard ließe sich<br />
ein Standardwerk der Managementlehre<br />
schreiben. Nicht die<br />
übliche Erfolgsgeschichte über<br />
das erste richtige Garagen-Start-up des<br />
Silicon Valley, das sich mit Produkten wie<br />
Taschenrechnern und Tintenstrahldruckern<br />
mehrmals neu erfand und Legionen<br />
von Gründern inspirierte.<br />
Nein, HP ist vielmehr ein klassisches Fallbeispiel,<br />
wie Top-Manager und deren Berater<br />
unter der Flagge der Profitmaximierung<br />
einen traditionsreichen Konzern in den<br />
Niedergang trieben und ihm vor allem seine<br />
Identität raubten.<br />
Als ich im Herbst 1998 ins Silicon Valley<br />
übersiedelte, war Hewlett-Packard noch<br />
ein stolzer Konzern und für seine Managementphilosophie<br />
berühmt, den HP Way.<br />
Dessen Grundprinzipien lauteten: langfristiges<br />
Denken statt schnellen Profit und der<br />
respektvolle Umgang mit den Mitarbeitern.<br />
Der damalige Chef Lew Platt hatte innerhalb<br />
von nur drei Jahren den Umsatz nahezu<br />
verdoppelt. Doch an der Wall Street war<br />
er umstritten, weil er mit seiner unaufgeregten<br />
Art angeblich das Internet verschlief.<br />
Deshalb löste ihn 1999 Carly Fiorina ab.<br />
Statt eines Ingenieurs stand nun eine von<br />
kurzfristigen Ergebnissen getriebene Vertrieblerin<br />
an der Spitze, die vor allem in Skaleneffekten<br />
dachte. Mit der Begründung,<br />
Kunden kauften am liebsten alles aus einer<br />
Hand, drückte sie gegen den Willen der Belegschaft<br />
den Kauf des texanischen Computerherstellers<br />
Compaq durch. Es folgten<br />
zahlreiche Reorganisationen, bis Sparkommissar<br />
Mark Hurd Fiorina ersetzte, der den<br />
Forschungsetat von HP rigoros kürzte.<br />
Es schloss sich die kurze Chaos-Periode<br />
mit dem ehemaligen SAP-Chef Léo Apotheker<br />
an, die zu Aktionärsklagen wegen der<br />
überteuerten Übernahme des britischen<br />
Softwareunternehmens Autonomy führte.<br />
Schließlich übernahm vor drei Jahren die<br />
ehemalige Ebay-Chefin Meg Whitman das<br />
Ruder. Sie stabilisierte das Unternehmen<br />
finanziell, setzte aber zugleich Massenentlassungen<br />
durch.<br />
Turbulente Zeiten, aber mit einer Konstanten:<br />
An den vielen Übernahmen haben<br />
die beteiligten Manager, Berater und Banker<br />
gut verdient. Diese Tradition setzt Whitman<br />
mit der jetzt verkündeten Aufspaltung<br />
fort. Künftig soll sich ein Konzernteil auf<br />
Drucker und PCs für Privatkunden konzentrieren,<br />
der andere soll sich um Firmenkunden<br />
kümmern. Ob die getrennten Bereiche,<br />
wie versprochen, wirklich agiler sind, darüber<br />
lässt sich debattieren.<br />
VERSPIELTES VERTRAUEN<br />
Die früher <strong>vom</strong> Management immer so betonten<br />
Skaleneffekte durch den gemeinsamen<br />
Einkauf von Komponenten sind jedenfalls<br />
dahin. Und der ärgste Herausforderer<br />
Lenovo geht den umgekehrten Weg. Als<br />
größter PC-Hersteller der Welt und gestärkt<br />
durch die Übernahme von IBMs Servergeschäft<br />
wollen die Chinesen aggressiv ins<br />
Geschäft mit Firmenkunden vorstoßen.<br />
Derweil ist HP wieder einmal mit sich<br />
selbst beschäftigt. Schwer wiegt der Vertrauensverlust<br />
von Whitman. Sie soll das Firmenkundengeschäft<br />
führen und den Hardwarehersteller<br />
überwachen. Noch bis vor<br />
Kurzem hatte sie die Belegschaft in dem<br />
Glauben gelassen, sie werde eine Aufspaltung<br />
verhindern. Nun sollen sich die Mitarbeiter<br />
aussuchen, ob sie bei einem Computerhersteller<br />
arbeiten wollen, der gegen<br />
Apple und Samsung antritt und bis heute<br />
keine überzeugende Strategie für Handys<br />
oder Tablets hat. Oder bei einem Firmenkundenspezialisten,<br />
der seine Cloud-Computing-Sparte<br />
erst noch etablieren muss.<br />
Das ist die große Schwäche des neuen<br />
Konzepts. Wer will bei einem Konzern arbeiten,<br />
der sich ständig umstrukturiert? HP<br />
braucht engagierte Mitarbeiter, um sich<br />
neu zu erfinden. Warum die kommen oder<br />
bleiben sollen, darauf gibt Whitmans Plan<br />
keine überzeugende Antwort.<br />
Der Autor ist WirtschaftsWoche-Korrespondent<br />
im Silicon Valley und beobachtet<br />
von dort seit Jahren die Entwicklung der<br />
wichtigsten US-Technologieunternehmen.<br />
WirtschaftsWoche <strong>13.10.2014</strong> Nr. 42 93<br />
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Management&Erfolg<br />
Inselhopping in der<br />
Werkshalle<br />
INDUSTRIE 4.0 | Neue Jobprofile, mehr Verantwortung, flachere Hierarchien: Wie die<br />
Digitalisierung nicht nur die Automatisierung der Produktion beschleunigt,<br />
sondern auch die Arbeitsorganisation revolutioniert. Was Mitarbeiter in den Werkshallen<br />
künftig können müssen – und wer wem etwas zu sagen hat.<br />
Immer wenn morgens um sieben zu<br />
Schichtbeginn Not am Mann ist, legt<br />
Werksmeister Giuseppe Dolce selbst<br />
Hand an. Streift den grauen Arbeiterkittel<br />
über sein kariertes Hemd,<br />
schnappt sich ein Smartphone <strong>vom</strong> Organisationsbrett<br />
und geht in die Werkshalle zu<br />
einem großen Bildschirm, der dort an der<br />
Wand hängt. Mit seinem Telefon scannt<br />
Dolce einen auf der Mattscheibe eingespielten<br />
QR-Code ab – nun hat er alle digitalen<br />
Daten für Bauplan, Größe und Stückzahl<br />
der Zahnräder geladen, die er gleich<br />
produzieren wird. Daten, die er auch auf<br />
seinem Bildschirm über seiner Fräsmaschine<br />
parat hat. Fehlt Material, benachrichtigt<br />
er mit einem kurzen Wischen über sein<br />
Diensttelefon den Transportwagen. Der<br />
schlägt ihm die beste Route ins Materiallager<br />
vor, aus dem Dolce das fehlende Material<br />
besorgt. Zurück in der Werkshalle setzt er<br />
mit leichtem Fingertippen schließlich die<br />
Maschine in Bewegung, die mit dem Fräsen<br />
der gewünschten Zahnräder beginnt –<br />
wohlabgeschirmt hinter Plexiglas.<br />
„Faszinierend, wie Produktion heutzutage<br />
läuft“, sagt Dolce. Seit Januar 2014 baut<br />
der 53-Jährige ein Team von 20 Facharbeitern<br />
auf, in dem jeder mehrere Arbeitsplätze<br />
beherrschen soll. Ihre Aufgabe: das Metall<br />
für die Produktion von Zahnrädern und<br />
Getrieben in der digital gesteuerten Werkshalle<br />
des mittelständischen Maschinenbauers<br />
Wittenstein in Fellbach bei Stuttgart<br />
in Form zu bringen. Natürlich: Die Zähne<br />
der silbernen oder goldenen Räder werden<br />
noch immer gefräst und geschliffen. Aber<br />
das leise Rauschen, wenn Wasser und Öl<br />
die Maschinen automatisch temperieren<br />
und schmieren, ist wohl die letzte Reminiszenz<br />
an die traditionelle industrielle Fertigung.<br />
Statt sich beim eigenhändigen Fräsen<br />
und Drehen den Rücken zu ruinieren<br />
oder die Finger schmutzig zu machen,<br />
kontrollieren die Facharbeiter heute den<br />
Gang der Maschinen durch Tippen und<br />
Wischen über interaktive Bildschirme.<br />
Statt auf Weisungen zu warten, entscheiden<br />
sie selbst, in welcher Reihenfolge sie<br />
ihre Aufträge abarbeiten – der Bildschirm<br />
zeigt ihnen alle Optionen. Türmen sich bei<br />
einem Teammitglied die Zahnrad-Aufträge<br />
im Rechner, kann ein Kollege sich in die<br />
Aufträge einklinken und die Maschine mit<br />
im Auge behalten.<br />
„Wer 15 Jahre dieselben Handgriffe gemacht<br />
hat, mag zuerst nicht glauben, dass<br />
es für jeden leichter wird, wenn alle mehr<br />
können“, sagt der gelernte Industriemechaniker<br />
und Elektrotechniker Dolce, der<br />
Lernen, denken, reden<br />
Welche Kompetenzen die vernetzte Fabrik<br />
von Produktionsmitarbeitern verlangt<br />
(in Prozent)<br />
91<br />
81<br />
79<br />
79<br />
78<br />
75<br />
74<br />
71<br />
64<br />
63<br />
Lebenslanges Lernen<br />
Interdisziplinäres Denken<br />
Aktive Problemlösung<br />
Höhere IT-Kompetenz<br />
Austausch mit vernetzten Systemen<br />
Kenntnis des Gesamtprozesses<br />
Beherrschung komplexer Arbeitsinhalte<br />
Steuerung der Kommunikation<br />
Mitwirken am Innovationsprozess<br />
Koordination von Arbeitsabläufen<br />
Quelle: Fraunhofer IAO/Ingenics, Befragung unter 518<br />
Produktionsverantwortlichen deutscher Unternehmen;<br />
Mehrfachnennung möglich<br />
vor seinem Wechsel zu Wittenstein 2013<br />
selbst 30 Jahre lang im Schichtsystem an<br />
Spritzpumpen geschafft hatte, bevor er begann,<br />
dank Doppelqualifikation, Meisterschule<br />
und seiner kommunikativen Art bei<br />
Wittenstein die Einführung der digitalen<br />
Fertigung zu begleiten. „Jetzt sieht jeder,<br />
dass die Belastung gerechter verteilt wird.“<br />
RADIKALES UMDENKEN<br />
Pilotprojekte wie in Fellbach weisen den<br />
Weg in die digitale Produktion, die derzeit<br />
unter dem Schlagwort Industrie 4.0 diskutiert<br />
wird. Den Schlüssel nicht nur für die<br />
bestmöglichen technologischen Lösungen,<br />
sondern auch für die dafür nötige Qualifikation<br />
und Organisation ihrer Mitarbeiter<br />
wird in der nächsten Dekade für deutsche<br />
Unternehmen existenzieller Erfolgsfaktor.<br />
Allein bei Bosch laufen derzeit 50 Projekte,<br />
mit denen das Unternehmen untersucht,<br />
wie Internet und Maschinen zusammenwachsen<br />
und für mehr Produktivität sorgen.<br />
Voraussetzung für diesen neuerlichen<br />
Effektivitäts- und Effizienzschub: radikales<br />
Umdenken, am Schreibtisch wie in der<br />
Werkshalle. Die Folge: Abteilungs- und<br />
Fachgrenzen werden eingerissen, Jobprofile<br />
ändern sich, gewohnte Arbeitsabläufe<br />
werden auf den Kopf gestellt.<br />
„Die Digitalisierung reduziert die Monotonie<br />
vieler Arbeitsabläufe und schafft Zeitsouveränität“,<br />
sagt DGB-Chef Reiner Hoffmann.<br />
„Auf der anderen Seite kommt es<br />
aber zu einer enormen Beschleunigung<br />
des technologischen Wandels. Dadurch<br />
sinkt die Halbwertzeit von Qualifikation<br />
dramatisch. Wer jetzt seine Ausbildung<br />
oder seinen Hochschulabschluss macht,<br />
muss sich darauf einstellen, dass in zehn<br />
FOTO: REINER PFISTERER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
94 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Jahren gut 50 Prozent seines Wissens veraltet<br />
ist“ (siehe WirtschaftsWoche 41/2014).<br />
Das gilt auch für lang gediente Facharbeiter<br />
wie Dolce und sein Team. Es ist weniger<br />
der einzelne Handgriff, der sich ändert,<br />
es trifft die gesamte Struktur der Arbeitsplätze,<br />
ja, das Selbstverständnis der Mitarbeiter.<br />
Steht doch nicht mehr das Beherrschen<br />
einzelner Maschinen, sondern das<br />
Steuern komplexer, fach- und gruppenübergreifender<br />
Prozesse im Mittelpunkt ihrer<br />
wachsenden Verantwortung. Sie koordinieren<br />
Arbeitsabläufe eigenverantwortlich,<br />
Wischen statt buckeln<br />
Teamleiter Giuseppe Dolce vor einer<br />
vernetzten, per Bildschirm gesteuerten<br />
Fräsmaschine in der digitalen Pilotfabrik<br />
des Maschinenbauers Wittenstein<br />
müssen sich mit Kollegen und Managern<br />
außerhalb der eigenen Abteilung abstimmen<br />
und Arbeitsprozesse mitgestalten.<br />
Statt ihren Mitarbeitern von oben herab zu<br />
diktieren, was sie zu tun haben, diskutieren<br />
Führungskräfte Entscheidungen im Team<br />
und fordern <strong>vom</strong> Azubi bis zum Ingenieur<br />
Input zum Lösen von Problemen ein. Softwareentwickler<br />
wiederum müssen stärker<br />
als bisher ökonomische Zusammenhänge<br />
berücksichtigen und agieren als Dienstleister,<br />
die ihre digitalen Informationen in die<br />
Produktion einfließen lassen.<br />
„Eine breite Grundausbildung, lebenslanges<br />
Lernen, Flexibilität, Projekt- und<br />
Teamarbeit sind die Schlagwörter für das<br />
Arbeiten in der digitalen Welt von morgen“,<br />
sagt Manfred Wittenstein, Aufsichtsratsvorsitzender<br />
des gleichnamigen Unternehmens<br />
und langjähriger Präsident des Maschinenbauverbands<br />
VDMA. „Uns erwartet<br />
eine Revolution der Arbeitsgestaltung.“<br />
»<br />
WirtschaftsWoche <strong>13.10.2014</strong> Nr. 42 95<br />
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Management&Erfolg<br />
Kombination von Mensch und Technik<br />
noch einmal bis zu 30 Prozent rausholen.“<br />
Bei SEW wird jeder Auftrag eingescannt.<br />
Sind die Daten digital erfasst, fahren dann<br />
Arbeitstische, bei SEW Assistenten genannt,<br />
wie von Zauberhand gesteuert, zwischen<br />
fünf digitalen Produktionsinseln mit<br />
Material von einem Platz zum anderen.<br />
»<br />
Das bestätigt auch eine Studie des<br />
Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft<br />
und Organisation IAO im Auftrag des Beratungsunternehmens<br />
Ingenics, für die mehr<br />
als 500 Entscheider aus deutschen Produktionsunternehmen<br />
befragt wurden. Demnach<br />
rechnet jeder der Befragten ausnahmslos<br />
mit einem Effizienzschub durch<br />
die Digitalisierung – und verlangt von seinen<br />
Mitarbeitern aus Fertigung, Montage<br />
und Logistik vernetztes Denken (siehe<br />
Grafik Seite 94). „Die Digitalisierung der<br />
Produktion wird die Arbeitsorganisation<br />
ebenso grundsätzlich verändern wie viele<br />
Jobprofile“, sagt IAO-Forscher Sebastian<br />
Schlund. „Denn es geht um weit mehr als<br />
reine Technologienutzung.“<br />
GENERATION WISSENSARBEITER<br />
Was im ersten Moment nach Überforderung<br />
klingt, hält Unternehmer Wittenstein<br />
für „realisierbar, wenn wir den Mitarbeitern<br />
klarmachen, dass sie das Neue schaffen<br />
werden, weil gleichzeitig alte, überflüssige<br />
Dinge wegfallen“. In seinem eigenen Unternehmen<br />
werden jetzt staatlich anerkannte<br />
Produktionstechnologen ausgebildet, die<br />
Prozesse an den Anlagen analysieren, simulieren<br />
und optimieren. „Jeder Facharbeiter<br />
wird zum Wissensarbeiter, der seine Sichtweise<br />
auf den Prozess lenken muss“, sagt Jochen<br />
Schlick, der die digitale Fabrik für Wittenstein<br />
aufbaut. „Der Mensch wird zum informierten<br />
Entscheider, der aufgrund seines<br />
Erfahrungswissens Handlungsoptionen<br />
zum optimalen Betrieb der Maschine gegeneinander<br />
abwägt und auswählt.“<br />
Digitale Dauerbaustelle<br />
Kfz-Mechaniker Patrik Hausknecht von<br />
SEW-Eurodrive hat seinen teildigitalisierten<br />
Arbeitsplatz mit entwickelt und spart<br />
beim Getriebebau ein Drittel Arbeitszeit<br />
Am besten funktioniert das, wenn die<br />
Belegschaft beim Umbau der Arbeitsplätze<br />
<strong>vom</strong> Start weg mitmischt – so wie im SEW-<br />
Eurodrive-Werk in Graben-Neudorf im<br />
Landkreis Karlsruhe. Beim Hersteller von<br />
Getrieben und Motoren für die Auto- und<br />
Getränkeindustrie wirkt die Werkshalle wie<br />
eine Dauerbaustelle: Schritt für Schritt<br />
werden hier alle Produktlinien zu digitalen<br />
Inseln umgebaut – ganz nach den Vorstellungen<br />
der Arbeiter, die in Workshops erarbeiten,<br />
wo welches Werkzeug oder Getriebe<br />
für den nächsten Arbeitsschritt optimal<br />
angebracht ist. „Wer die Insel nach seinen<br />
Bedürfnissen mit baut und erlebt, dass die<br />
Veränderung die Arbeit erleichtert, der<br />
macht seinen neuen Job gerne und mit voller<br />
Präzision“, sagt SEW-Eurodrive-Geschäftsführer<br />
Johann Soder. „Wir haben in<br />
den Neunzigerjahren durch Lean Management<br />
35 Prozent an Effizienz gewonnen,<br />
jetzt können wir durch die intelligente<br />
»Digitalisierung<br />
wird die Arbeitsorganisation<br />
grundlegend<br />
ändern«<br />
Sebastian Schlund, Fraunhofer-Institut<br />
EIN DRITTEL ZEIT GESPART<br />
„Diese Assistenten stoppen genau dort, wo<br />
ich eine Schraube oder ein Zahnrad ins<br />
Getriebe einbauen muss, und fahren in die<br />
richtige Höhe“, sagt Kfz-Mechaniker Patrik<br />
Hausknecht. Sich nach dem Werkzeug bücken<br />
fällt ebenso weg wie schweres Heben<br />
und Drehen des Getriebes. War der 28-Jährige<br />
früher für nur eine Getriebeart zuständig<br />
und stand fast 20 Meter <strong>vom</strong> nächsten<br />
Arbeiter weg, arbeitet er jetzt mit zwei Kollegen<br />
im Team und beherrscht den Umgang<br />
mit bis zu zehn Maschinen – weil er<br />
dank der Digitalisierung rund ein Drittel<br />
Zeit spart. Freie Tage, Urlaub, schwankende<br />
Auftragslage sind für Manager wie Mitarbeiter<br />
unkomplizierter zu lösen. Inselhopping<br />
in der Werkshalle – also immer<br />
wieder an anderen Arbeitsplätzen zu arbeiten<br />
– bringt niemanden mehr zum<br />
Schwitzen: Rote Leuchten und der selbstfahrende<br />
Assistent vereinfachen den Griff<br />
zum richtigen Radsatz und zur passenden<br />
Ritzelwelle. Noch gibt es den Auftrag mit<br />
seinen vielen Materialkennziffern zur Kontrolle<br />
zusätzlich auf Papier, aber bald wird<br />
nur noch der Bildschirm Auskunft geben.<br />
„Wir lernen schnell um“, sagt Hausknecht,<br />
„das müssen wir auch, denn das<br />
Einzige, was gleich bleibt, ist die Veränderung.“<br />
Dieses Motto gilt auch bei Borgwarner.<br />
Der Ludwigsburger Automobilzulieferer<br />
sucht IT-Fachleute, die über ihren Bildschirm<br />
hinaus denken, in gruppen- und<br />
fachübergreifenden Teams arbeiten können<br />
und flexibel einsetzbar sind: Borgwarner<br />
arbeitet an einem virtuellen System zur<br />
selbst organisierten Personaleinsatzplanung.<br />
Ziel ist es, immer nur genau so viele<br />
Mitarbeiter im Werk zu haben, wie laut<br />
Auftragslage nötig sind. Mitarbeiter sollen<br />
per App und Chat ihre Verfügbarkeit mit<br />
Vorgesetzten und Kollegen diskutieren.<br />
„Die Frage ist nicht, ob Maschine und<br />
Mensch zusammenwachsen, sondern<br />
wann“, sagt auch Wittenstein-Aufsichtsratschef<br />
Manfred Wittenstein. „Die Digitalisierung<br />
der Produktion ist die einzige<br />
Chance, im Weltmarkt mitzuhalten.“ n<br />
ruth lemmer | management@wiwo.de<br />
FOTO: HARDY MÜLLER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
96 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Management&Erfolg<br />
Spielplatz in der Chefetage<br />
PLANSPIELE | Mitarbeiter einstellen, das Marketingbudget kürzen, die Preise erhöhen:<br />
In virtuellen Szenarien können sich angehende Manager am Computer mit den Grundregeln der<br />
Unternehmensführung vertraut machen, ohne Schaden anzurichten. Ein Selbstversuch.<br />
PHASE 1<br />
Erst mal aus dem Bauch<br />
Seit mehr als 30 Jahren ist das Unternehmen<br />
am deutschen Markt etabliert,<br />
überzeugte mit innovativer<br />
Technik zu moderaten Preisen. Größter Erfolg<br />
des Fahrradherstellers Settler: das Citybike,<br />
von dem er jährlich 25 000 Stück<br />
verkauft. Mit zehn Millionen Euro Umsatz<br />
und knapp 800 000 Euro Gewinn kann sich<br />
der Mittelständler mit seinen 50 Mitarbeitern<br />
behaupten – zumindest noch. Seit<br />
zwei Jahren stagniert der Verkauf, technisch<br />
könnte das Citybike aufgefrischt werden,<br />
steigende Energie- und Materialkosten<br />
sowie die Wirtschaftskrise erschweren<br />
Produktion und Absatz. Die Expansion ins<br />
Ausland könnte helfen.<br />
Was bedeutet das für die Organisation<br />
von Produktion und Vertrieb? Wie viel<br />
Geld muss das Unternehmen in die Hand<br />
nehmen? Welches Personal ist dafür nötig?<br />
Fragen, die mir im Kopf herumschwirren<br />
– mir, dem Chef von Settler, dem CEO per<br />
Mausklick, für vier virtuelle Geschäftsjahre.<br />
Fragen, die ich in diesem Online-Simulationspiel<br />
des E-Learning-Anbieters Tata Interactive<br />
Runde für Runde beantworten<br />
will – um zu sehen, ob ich das Zeug zum<br />
Chef hätte.<br />
Fragen, die ab 22. Oktober auch Sie beschäftigten<br />
könnten – als Teilnehmer des<br />
ManagementCups, den WirtschaftsWoche<br />
und Tata Interactive zum dritten Mal ausrufen<br />
(siehe Kasten Seite 99).<br />
„Diese Simulationsspiele entwickeln gerade<br />
innerhalb eines Unternehmens oft eine<br />
Eigendynamik“, hat Tata-Manager Florian<br />
Gaspar beobachtet. „Da lässt sich online<br />
der reale Intimfeind in der Abteilung<br />
überflügeln, und der Trainee steht im Ranking<br />
plötzlich besser da als sein Chef.“<br />
Um konkurrenzfähig zu bleiben, will ich<br />
das Citybike technisch weiterentwickeln<br />
und im Ausland die sinkende Nachfrage im<br />
Inland kompensieren. Ob ich mir beide<br />
Schritte leisten kann? Eine Recherche im<br />
Infoboard des Online-Spiels – hier kann ich<br />
auf Presseberichte und Marktprognosen,<br />
Infos zu Materialkosten, gesamtwirtschaftlicher<br />
Entwicklung und Auslastung der<br />
Fertigung zugreifen – zeigt mir: Das Ausland<br />
muss warten, ich muss meine <strong>Ausgabe</strong>n<br />
in den Griff kriegen. Mein Vorgänger<br />
hatte Gehälter erhöht, und ich muss meine<br />
veraltete Produktionsanlage aufrüsten. Zusätzliche<br />
Mitarbeiter sind da nicht drin.<br />
Dabei liegt ihre Auslastung bereits bei 93<br />
Prozent. Stemmen die noch mal 1000<br />
Räder mehr? Weil ich die Daten auf die<br />
Schnelle nicht finde, entscheide ich aus<br />
dem Bauch: Die Fertigung bekommt doch<br />
eine Stelle zusätzlich, ich stecke 400 000<br />
Euro in die Werbung und erhöhe das Produktionsziel<br />
auf 26 000 Räder.<br />
Aber zu welchem Preis kann ich sie anbieten?<br />
Auch dazu liefert das Infoboard<br />
Daten: wie stark der Preis den Verkaufserfolg<br />
eines Produkts beeinflusst. Oder wie<br />
viel Prozent Nachlass die Nachfrage wie<br />
stark steigen lässt. In letzter Sekunde senke<br />
ich den Verkaufspreis um fünf Euro – also<br />
genau um den lächerlich geringen Betrag,<br />
vor dem mich das Infoprogramm gewarnt<br />
hatte. Eine Kurzschlusshandlung – aber ich<br />
will das Geschäftsjahr abhaken und lasse<br />
den Computer rechnen.<br />
In zwei Minuten, die mir endlos erscheinen,<br />
jagt der Rechner meine Entscheidungen<br />
durch diverse Szenarien: Macht zu hohe<br />
Arbeitsbelastung meine Mitarbeiter unzufrieden,<br />
liebäugeln sie mit der Konkurrenz.<br />
Investiere ich zu wenig in mein Produkt,<br />
meckern die Kunden, der Verkauf<br />
bricht ein. Auch das Verhalten meiner drei<br />
virtuellen Konkurrenten fließt ein.<br />
Das Ergebnis meines ersten Geschäftsjahres:<br />
mehr Umsatz, weniger Marktanteil.<br />
Und weniger Gewinn.<br />
ILLUSTRATION: THOMAS FUCHS<br />
98 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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PHASE 2<br />
Auf ins Ausland<br />
Mein Gewinn ist zwar rückläufig, aber die<br />
Konkurrenz steht noch schlechter da. Bestes<br />
Ebit, höchste Kundenzufriedenheit,<br />
bester Technologieindex, höchster Gewinn<br />
– schön, schön, schön. Aber ich habe<br />
Marktanteile verloren und hatte Lieferengpässe.<br />
Immerhin: Meine Kasse ist dick gefüllt.<br />
Aber ist das ein Vorteil? Oder haben die<br />
anderen das Geld schon sinnvoll investiert?<br />
Und was will mir der hohe ROCE-<br />
Wert sagen und was ist das überhaupt?<br />
Schnell aufs Glossar geklickt und im Internet<br />
recherchiert – aha: vergleichbar mit<br />
dem ROI, der Rendite aufs eingesetzte Kapital.<br />
Mein EVA, also mein Kapitalerlös<br />
abzüglich der Kapitalkosten, ist im Vergleich<br />
zu den Wettbewerbern auch hoch.<br />
Auch in Sachen Planung überflügle ich<br />
die Konkurrenz deutlich. Welch ein Triumph<br />
– dabei spiele ich nur gegen den<br />
Computer.<br />
Ich wage also den Gang ins Ausland.<br />
Dort will ich die Räder etwas günstiger anbieten,<br />
um Boden gutzumachen. Wie viel<br />
Umsatz ich dort im laufenden Jahr erwarte,<br />
will der Computer wissen. Sagen wir 1,2<br />
Millionen? Oder 1,8 Millionen? Die Euro<br />
werden zum Spielgeld. Auf jeden Fall<br />
brauche ich eine neue Fertigungsanlage:<br />
Ich wähle das Luxusmodell – die Standardmaschine<br />
kommt zu schnell an die<br />
Kapazitätengrenze für meine großen Pläne.<br />
Außerdem brauche ich mehr Vertriebler<br />
und Produktioner und berücksichtige<br />
die Transportkosten ins Ausland. Meine<br />
internationalen Handelspartner bitten um<br />
einen Werbekostenzuschuss. Meiner Entwicklungsabteilung<br />
lege ich auch noch<br />
was drauf. Die Millionen schwinden – gut<br />
so! Gut so? Mal schauen, was der Computer<br />
sagt: Was? Der Gewinn ist zurückgegangen,<br />
meine Kunden sind unzufrieden,<br />
meine Mitarbeiter überlastet, und jetzt<br />
wollen sie auch noch mehr Geld. Puh – ich<br />
mach jetzt Feierabend.<br />
PHASE 3<br />
Wie soll das klappen?<br />
Ich habe ehrgeizige Ziele: Ich will meine<br />
Marktposition verbessern und mich wieder<br />
von der Konkurrenz absetzen. Dafür<br />
investiere ich in Personal: stelle mehr Mitarbeiter<br />
für die Produktion ein, spendiere<br />
dem Team diverse Weiterbildungen, erhöhe<br />
die Betriebsrente und stecke mehr<br />
Geld in Werbung. Gleichzeitig erreicht<br />
mich die Nachricht, dass die Energiekosten<br />
gestiegen sind und sich auch die Materialkosten<br />
verteuern. Wie soll ich das alles<br />
wuppen? Ich klicke hier und da, schiebe<br />
Regler pi mal Daumen von links nach<br />
rechts und wieder zurück – noch stehe ich<br />
ja an zweiter Stelle im Ranking, alles halb<br />
so wild. Das Support-Team empfiehlt mir,<br />
die Produktforschung im Blick zu haben,<br />
sonst würden mich die Wettbewerber abhängen.<br />
Einer nervt mich mit aggressiver Hochpreispolitik<br />
– wahrscheinlich setzt er auf<br />
High-Tech-Designräder mit nachhaltig gefertigten<br />
Bambus-Bauteilen und Ledersattel.<br />
Oder der Hersteller mit den Kampfpreisen<br />
– irgendwie vulgär. Okay, er verkauft<br />
gut, verdient aber nichts. Bleibt hoffentlich<br />
so. Im dritten Wettbewerber sehe ich einen<br />
Verbündeten: ein Durchwurschtler ohne<br />
Wagemut, aber hoch solide.<br />
Weil ich deutlich besser dastehe als er,<br />
leiste ich mir Wertpapiere. Maschinen und<br />
Mitarbeiter sind bis zum Anschlag ausgelastet,<br />
da darf keiner krank werden. Stelle<br />
schnell noch vier neue Mitarbeiter ein, das<br />
System warnt mich: Gute Fachkräfte sind<br />
derzeit knapp. Ich hoffe, ich habe die richtigen<br />
erwischt, setze noch ein paar Schulungen<br />
an und beschließe das Geschäftsjahr<br />
mit einem Klick.<br />
PHASE 4<br />
Das Ruder rumreißen<br />
Die Krise hat mich voll erwischt. Auch die<br />
Konkurrenz musste Federn lassen, aber<br />
bei mir sieht es am übelsten aus: Selbst der<br />
Billigheimer hat mich überflügelt. Jetzt<br />
heißt es Ruder rumreißen: Ich verkaufe<br />
meine Aktien wieder, leere mein Materiallager<br />
und stecke dafür mehr Geld in Werbung,<br />
Training und Sozialausgaben. Und<br />
stelle weitere Mitarbeiter für Produktion<br />
und Forschung ein. Das muss doch noch<br />
klappen!<br />
Aber das Urteil des Computers ist ernüchternd:<br />
Ich war zu knauserig. Die Kasse<br />
ist gefüllt, aber meine Leute mussten<br />
schuften bis zum Umfallen – drei haben gekündigt.<br />
Und auch technisch konnte mein<br />
Fahrrad nicht mithalten. Das Rennen hat<br />
ausgerechnet der Konkurrent mit den Nobelrädern<br />
gemacht. Na warte – morgen<br />
spiele ich noch mal von vorn!<br />
n<br />
jenny niederstadt | management@wiwo.de<br />
MANAGEMENT CUP<br />
Sie sind der<br />
Boss!<br />
Auf den Sieger wartet ein Opel<br />
Adam Rocks für bis zu 20 000 Euro.<br />
DIE STORY<br />
Wir schreiben das Jahr 2018: Die mobile<br />
Kommunikation steht vor dem nächsten<br />
großen Schritt, die Grenze zwischen<br />
Smartphone und Tablet schwindet. Als<br />
international tätiger Hersteller von Laptops<br />
und Desktopcomputern steht Ihr<br />
Unternehmen vor einer fundamentalen<br />
strategischen Neuausrichtung. Konfrontiert<br />
mit den rasanten Entwicklungen im<br />
Tablet- und Smartphone-Markt, ist Ihr<br />
Geschäftsmodell mittelfristig in Gefahr.<br />
Ihr Hoffnungsträger: das Hochleistungs-<br />
Tablet Durablet mit 24-Monats-Akku.<br />
IHRE MISSION<br />
Sie steuern ein Jahr lang den Erfolg des<br />
Durablet – von der Etablierung im Markt<br />
bis zum Eintritt in die Gewinnzone.<br />
RUNDE 1: 22.10.–18.11.<br />
Sie managen das erste Jahr, unterteilt<br />
in vier Quartale – für jedes Quartal<br />
haben sie jeweils eine Woche Zeit.<br />
RUNDE 2: 19.11.–9.12.<br />
Sie kümmern sich um die Weiterentwicklung<br />
der kommenden drei Jahre,<br />
für jedes Geschäftsjahr haben Sie eine<br />
Woche Zeit.<br />
DIE PREISE<br />
In jeder Runde winken Sonderpreise –<br />
darunter Uhren von Nomos Glashütte,<br />
eine Reise nach Fuerteventura oder<br />
Fahrertrainings. Der Spieler mit der<br />
höchsten Gesamtpunktzahl der Finalrunde<br />
gewinnt den Hauptpreis: einen<br />
Opel Adam Rocks für bis zu 20 000 Euro.<br />
ANMELDUNG<br />
Bis 18. November, 12 Uhr,<br />
unter wiwo.de/managementcup<br />
ManagementCup<br />
WirtschaftsWoche <strong>13.10.2014</strong> Nr. 42 99<br />
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Geld&Börse<br />
Die richtige Zeit ist –<br />
jetzt!<br />
GELDANLAGE | Wer Geld übrig hat, kennt das Problem: Wohin damit? Bei Aktien droht<br />
der Crash, bei Gold war er schon da, auch Immobilien scheinen überteuert.<br />
Die Lösung: breit streuen. Wie Sie jetzt 15 000 oder 50 000 Euro am besten anlegen und<br />
später einfach nachjustieren. Die Strategie ist erprobt, wer sie über Jahre durchzieht,<br />
muss weder Nullzins noch Aktiencrash fürchten.<br />
Früher“, sagt Margarethe Klein, 69,<br />
da habe sie sich immer gefreut<br />
auf den Brief von der Bank im Januar.<br />
Der enthielt den Depotauszug<br />
fürs Jahr davor, und Frau<br />
Klein las zufrieden, dass sie wieder ein paar<br />
Tausend Mark Zinsen bekommen hatte.<br />
„Da hatte ich das Gefühl, dass ich belohnt<br />
werde für mein Sparen.“ Freundinnen gingen<br />
drei Mal im Jahr auf Flusskreuzfahrt;<br />
Klein sparte. Weil sie muss: eine Ausbildung<br />
zur Modeschneiderin hat sie gemacht,<br />
aber auch drei Kinder großgezogen.<br />
Vollzeit gearbeitet hat sie daher nur kurz –<br />
und so kaum Rentenansprüche. Sie lebt<br />
von den Zinsen, die das gemeinsam mit ihrem<br />
Mann aufgebaute Vermögen abwerfen<br />
soll, und von einer kleinen Witwenrente.<br />
Die Auswirkungen der aktuellen Niedrigzinsen<br />
sieht Klein schwarz auf weiß auf ihrem<br />
Depotbericht: „Die Weihnachtsgeschenke<br />
für die Enkel fielen in den letzten<br />
Jahren schon ’ne Nummer kleiner aus.“<br />
KEIN ZINS, NIRGENDS<br />
Anhaltende Niedrigzinsen sind für Anleger<br />
mehr als ein Luxusproblem. Sie schmälern<br />
nicht nur die Erträge der Spargroschen;<br />
auch Wertpapiere wie Staatsanleihen, in<br />
die zum Beispiel Lebensversicherungen einen<br />
Großteil ihrer Einlagen investieren<br />
müssen, werfen kaum noch Rendite ab,<br />
Versicherungen schütten ihrerseits immer<br />
weniger an die Anleger aus. Das merken<br />
die spätestens als Rentner. Wenn die Zinsen<br />
20 Jahre lang im Schnitt auch nur 1,5<br />
Prozentpunkte unter der Teuerungsrate<br />
liegen, schrumpft die Kaufkraft eines Vermögens<br />
von 100 000 Euro auf 74 000 Euro.<br />
Dennoch legen die Deutschen weiter zinslastig<br />
an. „Kaum jemand bringt<br />
so viel Geld zur Bank wie wir, obwohl<br />
die Zinsen noch niedriger<br />
sind als im Rest Europas“, sagt<br />
Aktien spielen keine Rolle<br />
Wie die Deutschen ihr Geld investieren<br />
(in Prozent)*<br />
Investmentfonds<br />
Zertifikate<br />
2,0<br />
Rentenpapiere<br />
2,6<br />
Aktien<br />
6,3<br />
9,1<br />
Sonstiges<br />
10,6<br />
Gesamt:<br />
5226<br />
Mrd. Euro<br />
29,6<br />
Ansprüche gegen<br />
Versicherungen<br />
* ohne Immobilien; Stand: Dezember 2013;<br />
Quelle: Bundesbank<br />
39,8<br />
Mehr zur Geldanlage<br />
2015 bietet<br />
unsere Konferenz:<br />
www.wiwo-invest<br />
mentgipfel.de/<br />
Bankeinlagen<br />
Allianz-Chefvolkswirt Michael<br />
Heise. 5226 Milliarden Euro haben<br />
wir in Summe an Privatvermögen<br />
(ohne Immobilien) angehäuft;<br />
mehr als 70 Prozent davon<br />
liegen in Bankeinlagen wie<br />
Tagesgeld und Festgeld, und in<br />
Ansprüchen gegen Versicherungen<br />
(siehe Grafik unten).<br />
Nur jeder zehnte Deutsche ist Aktionär,<br />
direkt oder über Fonds, in den USA jeder<br />
zweite. „Die Börsen-Allergie ist nachvollziehbar,<br />
zwei Mal konnten Anleger dort in<br />
zehn Jahren die Hälfte ihres Einsatzes verlieren“,<br />
sagt Joachim Paul Schäfer, einer der<br />
dienstältesten deutschen Vermögensverwalter,<br />
„viele haben Angst, schon<br />
wieder zu spät zu kommen.“<br />
Und es stimmt: Vor zwei Jahren<br />
waren Aktien billiger. Nur<br />
nutzt diese Erkenntnis wenig,<br />
wenn man hier und heute Geld<br />
anzulegen hat. Wohin also damit,<br />
wenn sichere Zinsen nicht<br />
mal die Inflation ausgleichen<br />
und Aktien so teuer sind, dass<br />
man fürchten muss, direkt in den<br />
nächsten Crash zu laufen?<br />
Die Lösung liegt in der richtigen<br />
Mischung. Ein Depot aus je 30 Prozent<br />
Aktien und Anleihen, 25 Prozent Gold und<br />
15 Prozent Tagesgeld hat Anlegern seit<br />
2000 5,6 Prozent Rendite pro Jahr eingebracht.<br />
Seit Januar 2000 liegt es insgesamt<br />
123 Prozent im Plus – trotz verheerender<br />
Aktiencrashs und Niedrigzinsen. Wie Anleger<br />
sich ein Depot bauen, was sie dabei beachten<br />
müssen und mit welchen Aktien<br />
und Fonds es bestückt werden kann, steht<br />
auf den folgenden Seiten: einmal für 15 000<br />
Euro und einmal für 50 000, die angelegt<br />
werden sollen (siehe Tabelle Seite 103).<br />
DIE ZINSEN BLEIBEN UNTEN<br />
Eins vorweg: Einfacher wird es nicht werden.<br />
Um in der Finanzkrise seit 2008 eine<br />
Depression mit Banken- und Staatspleiten<br />
zu verhindern, haben die Notenbanken die<br />
Märkte mit Geld geflutet und die Zinsen<br />
auf nahe null gesenkt. „Damit haben sie<br />
damals Schlimmeres verhindert, doch nun<br />
haben wir die Folgen dieser Geldpolitik zu<br />
tragen“, sagt Daniel Stelter, Ex-Berater bei<br />
Boston Consulting und Gründer des Krisen-Thinktanks<br />
BTO. „Tagesgeld und Lebensversicherungen<br />
werden durch die<br />
»<br />
FOTO: LAIF/MARTIN LEISSL<br />
100 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Nichts wie weg Private<br />
flohen von der Börse–<br />
auf lange Sicht unklug<br />
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Geld&Börse<br />
30 % AKTIEN<br />
»<br />
unter der Inflationsrate liegenden Zinsen<br />
entwertet, und für Aktien und Immobilien<br />
müssen Anleger so hohe Preise bezahlen,<br />
dass die Renditeaussichten auf Jahre<br />
mau sind.“ Denn die Geschäftsbanken<br />
nutzten das Notenbankgeld weniger, um<br />
damit Kredite an Start-ups oder Mittelständler<br />
zu vergeben. Sie verliehen es weit<br />
großzügiger an Großinvestoren wie Hedgefonds.<br />
Die kauften davon Anleihen, Aktien,<br />
Immobilien. Folge: Alles ist teuer. Privatanleger,<br />
die nicht früh mit auf den Trend<br />
sprangen, haben das Nachsehen.<br />
Dass die Zinsen bald wieder substanziell<br />
steigen, ist sehr unwahrscheinlich. Schuld<br />
daran sind die noch immer viel zu hohen<br />
Schulden der Staaten; sie wurden seit Beginn<br />
der Krise keineswegs abgebaut. Würden<br />
die Zentralbanken jetzt die Zinsen erhöhen,<br />
riskierten sie einen Rückfall in<br />
schlimmste Krisenzeiten. „Die derzeitige<br />
Ruhe trügt; die Schulden können nach wie<br />
vor nicht auf normalem Wege zurückgezahlt<br />
werden“, sagt Schäfer. Der anormale<br />
Weg wären galoppierende Inflation oder<br />
ein Schuldenschnitt, die Zinspapiere entwerten.<br />
NUR KEINE PANIK<br />
Viele fallen nun von einem Extrem ins andere:<br />
„Im Moment fließt viel in Immobilien“,<br />
weiß Uwe Wiesner <strong>vom</strong> Vermögensmanager<br />
Hansen & Heinrich, „die Risiken<br />
blenden viele komplett aus.“ Dort, wo Menschen<br />
Wohnraum weiter nachfragen, sind<br />
die Preise oben: In München etwa kletterten<br />
sie seit 2008 um 56 Prozent. Zinshäuser<br />
in guten Lagen kosten 25 Netto-Jahreskaltmieten<br />
– zu viel.<br />
Ein anderer Vermögensverwalter berichtet<br />
von einem Kunden, Abteilungsleiter bei<br />
einem Dax-Konzern, der aus einem Depot<br />
Mehr Schub fürs Depot<br />
ABB<br />
21<br />
19<br />
17<br />
15<br />
ABB<br />
in Euro<br />
13<br />
12 2013 2014<br />
baut Antriebs- und<br />
Automatisierungstechnik,<br />
etwa Steuersysteme<br />
für Schiffsschrauben.<br />
Vom<br />
Zwang zu mehr Energieeffizienz<br />
profitieren<br />
auch Anleger<br />
von 500 000 Euro 100 000 machte, weil er<br />
2012 fast alles in Gold und Goldminenaktien<br />
investierte – in der festen Überzeugung,<br />
der Euro gehe kaputt, und nur Gold<br />
rette Vermögen.<br />
Besser als solche Hauruck-Umschichtungen<br />
ist es, das Depot zu streuen und regelmäßig<br />
an die für die einzelnen Anlageklassen<br />
festgelegten Quoten anzupassen.<br />
Den Kern sollten Aktien, Anleihen, Cash<br />
und Gold bilden. Sie sind schnell verfügbar,<br />
ihre Preise sind transparent, und Gebühren<br />
halten sich im Rahmen.<br />
Aktien, Anleihen, Cash, Gold<br />
Wie ein Vermögen von 50000 Euro angelegt<br />
werden sollte (in Prozent)<br />
Cash<br />
20<br />
30<br />
Anleihen<br />
Gold<br />
(physisch) 20<br />
50000<br />
Euro<br />
30<br />
Aktien<br />
Akzeptable Renditen sind ohne Aktien<br />
kaum zu schaffen. „Nur die Privatwirtschaft<br />