17.11.2014 Aufrufe

Wirtschaftswoche Ausgabe vom 17.11.2014 (Vorschau)

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47<br />

<strong>17.11.2014</strong>|Deutschland €5,00<br />

4 7<br />

4 1 98065 805008<br />

0%<br />

Raus aus dem<br />

Sparbuch!<br />

Aktien, Anleihen, Gold:<br />

Ihre Strategie für mehr Rendite<br />

Schweiz CHF 8,20 | Österreich €5,30 | Benelux€5,30 | Griechenland€6,00 | GroßbritannienGBP 5,40 | Italien€6,00 | Polen PLN27,50 | Portugal€6,10 | Slowakei €6,10 | Spanien€6,00 | Tschechische Rep. CZK200,- | Ungarn FT 2140,-<br />

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Einblick<br />

Privatanleger sollen neuerdings Strafzinsen zahlen.<br />

Unverschämtheit? Nein, derzeit das richtige Signal<br />

für offensivere Anlagestrategien. Von Miriam Meckel<br />

Versprechen und Strafe<br />

FOTO: FRANK SCHEMMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

Auf Verbrechen steht Strafe. Fragt<br />

sich, welches Verbrechen die Anleger<br />

begangen haben, dass sie<br />

nun mit Negativzinsen bestraft<br />

werden. Keines – so lautet die naheliegende<br />

erste Antwort. An den Finanzmärkten<br />

hat die Kette von Schuld zu Sühne viele<br />

Glieder.<br />

Noch immer stecken wir mitten in der<br />

Staatsschuldenkrise, die Wachstumsprognosen<br />

sind eher mau. Die Inflationsrate<br />

verharrt bei derzeit 0,8 Prozent. Und die<br />

Europäische Zentralbank (EZB) will die<br />

Niedrigzinspolitik fortsetzen und den<br />

Markt weiter mit billigem Geld fluten. Optimale<br />

Voraussetzungen für Anlagerenditen<br />

sehen anders aus.<br />

Im Frühsommer hat die EZB zum ersten<br />

Mal formal die Nulllinie unterschritten.<br />

Banken, die Geld bei der EZB parken, müssen<br />

derzeit einen Strafzins von 0,2 Prozent<br />

zahlen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis<br />

der Negativzins auch die Privatanleger erreichen<br />

würde. Die Deutsche Skatbank hat<br />

mit einem ersten gezielten Stich versucht,<br />

das Thema Strafzins anzureizen. Wenn<br />

nun weitere Banken folgen, zeigt das: Ausgereizt<br />

ist es noch lange nicht.<br />

In seinem Werk über „Die Philosophie<br />

des Geldes“ (1900) schrieb Georg Simmel:<br />

„Eine je größere Bedeutung der Zins im<br />

wirtschaftlichen Leben erhielt, desto geringer<br />

wurde er.“ Das war prophetisch: In diesen<br />

Zeiten gilt: Je mehr wir auf den sicheren<br />

Zins fixiert sind, desto weniger Rendite<br />

bringt uns das angelegte Geld.<br />

Wo kein Verbrechen, da keine Strafe? In<br />

der Zinspolitik setzt diese Logik, scheint es,<br />

aus. Haben sich deutsche Anleger doch etwas<br />

zuschulden kommen lassen? Haben<br />

sie. Deutsche Anleger sind für diese Zeiten<br />

zu konservativ. Risiko? Nein, danke. In<br />

kaum einem anderen Land wird dem Sparbuch<br />

noch immer so gehuldigt wie bei uns.<br />

Sparbuch, Lebensversicherung, Bausparvertrag<br />

und Immobilien sind der<br />

Deutschen liebste Anlageformen. Bei allen<br />

von ihnen gilt: Das Gefühl der sicheren Anlage<br />

ist teuer erkauft. Kleine Beispielrechnung:<br />

Eine Inflationsrate von 1,5 Prozent<br />

im vergangenen Jahr und 0,2 Prozent Zinsen<br />

auf dem Sparbuch ergeben minus 1,3<br />

Prozent. Wir hatten längst Negativzinsen,<br />

bevor die EZB sie eingeführt hat.<br />

Der Glaube an sichere Investments führt<br />

auch zu Verblendung. Anlagen finden reißenden<br />

Zulauf, wenn der schlaue Emittent<br />

„Sicherheit“ als Zauberwort verwendet.<br />

Dann kaufen sich Deutsche auch gern mal<br />

in windige Riesenradprojekte in Singapur,<br />

Peking oder Orlando ein. Irgendwann<br />

kommt die Stunde der Wahrheit und mit<br />

ihr oft der Totalverlust. Und dann ist das<br />

Geschrei groß. Stand doch „sicher“ drauf.<br />

STRAFZINS ALS AUFKLÄRUNG<br />

Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Weder<br />

beim überschätzten geliebten Sparbuch<br />

noch bei der unterschätzten Gefahr<br />

des Vermögensverlusts bei vermeintlich sicheren<br />

Investments. Wer sein Geld heute<br />

richtig anlegen will, muss sich <strong>vom</strong> Sparbuch<br />

verabschieden, die Anlagestrategie<br />

diversifizieren und vor allem auch überschaubare<br />

Risiken eingehen. Dazu kann<br />

der ärgerliche Strafzins durchaus einen<br />

Beitrag leisten: endlich die ängstliche Zurückhaltung<br />

deutscher Anleger gegenüber<br />

der Aktie zu brechen. Als Langfristanlage<br />

sind Aktien unschlagbar. Aus volkswirtschaftlicher<br />

Sicht darf der Strafzins ruhig<br />

richtig weh tun. Mehr als 2000 Milliarden<br />

Euro liegen auf deutschen Sparkonten herum.<br />

Geld, das mit jedem Tag weniger wert<br />

ist. Das Pro-Kopf-Vermögen ist bei uns im<br />

vergangenen Jahr nur um 2500 Euro gestiegen,<br />

in den USA um 10 000 Euro. Vermeintliche<br />

Anlagesicherheit bremst reales Vermögenswachstum.<br />

Höchste Zeit also, die<br />

Anlegerschockstarre zu durchbrechen.<br />

Eine aktuelle wissenschaftliche Studie<br />

zum menschlichen Sparverhalten zeigt:<br />

Kluges Anlageverhalten wird zu einem wesentlichen<br />

Teil vererbt. Die deutsche Liebe<br />

zum Sparbuch als genetische Prädisposition?<br />

Dann sind wir nicht zu retten. Aber:<br />

Nach der Studie ist das Sparverhalten in<br />

den Genen verankert, die auch unsere Gewohnheiten<br />

beim Essen und Rauchen bestimmen.<br />

Es soll ja sogar Menschen geben,<br />

die sich das Rauchen abgewöhnt haben –<br />

aus Einsicht, nicht durch Strafe.<br />

n<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 5<br />

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Überblick<br />

VORGESTELLT<br />

Chefredakteurin Miriam Meckel<br />

präsentiert im Video diese <strong>Ausgabe</strong>.<br />

QR-Code bitte mit dem Smartphone scannen.<br />

Sie benötigen dafür eine App wie RedLaser.<br />

Menschen der Wirtschaft<br />

8 Seitenblick Comeback der Platte<br />

10 Steuern: Streit um Hörbücher und E-Books<br />

11 Coca-Cola: Konzern sponsert Start-ups |<br />

Karstadt: Kürzungen bei Sport-Häusern<br />

12 Interview: Condor-Chef Ralf Teckentrup<br />

protestiert gegen die Hilfen für Air Berlin |<br />

Böckler-Stiftung: Studie als Glücksspiel<br />

13 Escada: Chefsessel verwaist | Staramba:<br />

Popstars aus dem Drucker | Mittelmeer:<br />

Säbelrasseln wegen Öl- und Gasvorkommen<br />

14 Toyota: Teures Wasserstoffauto |<br />

Mietpreisbremse: Hohe Kosten für Städte<br />

16 Chefsessel | Start-up Unlock your Brain<br />

18 Chefbüro Christian Schmidt, Bundesminister<br />

für Ernährung und Landwirtschaft<br />

Politik&Weltwirtschaft<br />

20 Steueroasen Luxleaks hat die Diskussion<br />

um unfaire Praktiken neu entfacht |<br />

Interview: PwC-Chef Dennis Nally fordert<br />

ein moderneres Steuerrecht<br />

25 Arbeitsmarkt Neue Modelle sollen Langzeitarbeitslose<br />

in Lohn und Brot bringen<br />

28 Glücksspiel Wie der Staat mit seinen<br />

Spielbanken Millionen von Euro verzockt<br />

32 Baden-Württemberg Wer bringt die CDU<br />

zurück an die Macht?<br />

34 Strom Berlin plant ein neues Fördermodell<br />

für erneuerbare Energie<br />

36 Interview: Simone Peter Die Parteichefin<br />

der Grünen über ihre Steuerpolitik<br />

38 Global Briefing | Berlin intern<br />

Der Volkswirt<br />

40 Kommentar | New Economics<br />

41 Konjunktur Deutschland<br />

42 Denkfabrik US-Ökonom Martin Feldstein<br />

über das mexikanische Wirtschaftswunder<br />

Unternehmen&Märkte<br />

44 Ulrich Lehner Die umstrittenen Methoden<br />

des mächtigsten deutschen Konzernkontrolleurs<br />

| Welche Aufseher ihr Geld wert sind<br />

56 Interview: Henning Kreke Der Douglas-<br />

Chef baut den Händler zum Parfümeur um<br />

60 Bilfinger Wie die Krisen-Agenda aussieht<br />

62 Fernbusse Nur die Großen überleben<br />

64 Großprojekte Deutsche Konzerne ziehen<br />

immer öfter den Kürzeren | Interview: Voith-<br />

Chef Hubert Lienhard verlangt bessere<br />

Bürgschaften und mehr Druck auf China<br />

70 Spezial Business-IT US-Cloud-Anbieter<br />

entdecken Deutschland | Ein Kölner Startup<br />

will Amazon aufmischen<br />

Technik&Wissen<br />

76 Musik Die große Suche nach einem Super-<br />

Sound | Interview: Technics-Chefin Michiko<br />

Ogawa lässt die Kultmarke wiederaufleben<br />

Titel Wohin mit dem Geld?<br />

Der deutsche Sparbuch-Liebhaber wird<br />

2015 leiden: Die Notenbanken fluten<br />

die Welt weiter mit Geld und halten die<br />

Zinsen unten. Aktien werden profitieren,<br />

aber Anleger sollten auch Geld in<br />

Anleihen stecken – und, sicher ist sicher,<br />

etwas Gold halten. Seite 90<br />

Der Konflikthasser<br />

Deutschlands mächtigster Konzernkontrolleur<br />

Ulrich Lehner steht für eine<br />

neue Deutschland AG und den Konsens.<br />

Doch wenn es hart kommt, stößt der<br />

Kuschelkurs an Grenzen. Seite 44<br />

Luxleaks<br />

Die Empörung über die<br />

Steuerschlupflöcher in<br />

Luxemburg ist groß. Doch<br />

schafft es EU-Kommissionspräsident<br />

Jean-Claude<br />

Juncker, dass auch sein Kleinstaat<br />

sein Steuersystem künftig<br />

fairer gestaltet? Seite 20<br />

TITEL: OTTMAR HÖRL „SPONTI-ZWERG“ WWW.OTTMAR-HOERL.DE; TITELFOTO: WERNER SCHEUERMANN<br />

6 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Nr. 47, <strong>17.11.2014</strong><br />

FOTOS: FRANK BEER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, LAIF/POLARIS, MARC-STEFFEN UNGER, PHOTO BY MAARTEN DE BOER/CONTOUR BY GETTY IMAGES<br />

Schriller Nachbar<br />

Wackelnde Wände, schiefe Ebenen:<br />

Architektur wie die der EZB schreit<br />

nach Aufmerksamkeit. Doch eine<br />

lebenswerte Stadt braucht das Zusammenspiel<br />

der Gebäude. Seite 114<br />

Jäger des verlorenen Klangs<br />

CDs und MP3 sind out. Nun wollen Künstler wie Neil Young, Hi-Fi-<br />

Hersteller und Plattenstudios mit kristallklarem Super-Sound für<br />

ein neues Musikerlebnis sorgen. Lohnt der Aufwand? Seite 76<br />

Rein in den Schweinezyklus<br />

Engpass oder Überschuss? Wie die beiden Arbeitsmarktexperten<br />

Axel Plünnecke (IW) und Karl Brenke (DIW) die Diskussion um den<br />

Fachkräftemangel bewerten. Ein Streitgespräch. Seite 84<br />

n Lesen Sie Ihre WirtschaftsWoche<br />

weltweit auf iPad oder iPhone:<br />

Diese Woche unter anderem mit Hörproben zu unserer<br />

Technik&Wissen-Story über den neuen Super-Sound.<br />

Zudem gibt es ein Interview mit MeinFernbus-Chef Torben<br />

Greve über den Boom und die Krise der jungen Branche.<br />

wiwo.de/apps<br />

81 Fotovoltaik Straßen, Fassaden, gar Seen<br />

sollen zu Solarkraftwerken werden<br />

83 Valley Talk<br />

Management&Erfolg<br />

84 Streitgespräch Die Arbeitsmarktexperten<br />

Karl Brenke und Axel Plünnecke diskutieren<br />

über Zukunftschancen junger Ingenieure<br />

88 Unternehmertum Utz Claassen über den<br />

Mut zum Anderssein<br />

Geld&Börse<br />

90 Geldanlage Notenbanken werden die<br />

Finanzmärkte 2015 mit Geld fluten. Wie<br />

Anleger profitieren | Strafzins breitet sich aus<br />

100 Investmentgipfel Billiges Geld treibt<br />

Aktien, doch wann kommt die Rechnung?<br />

Was vier prominente Geldprofis dazu sagen<br />

104 Anwälte Gefragte Immobilienexperten<br />

106 US-Aktien Die Favoriten der Hedgefonds<br />

108 Steuern und Recht Lücken im Anlegerschutzgesetz<br />

| Dienstwagen | Falschberatung<br />

bei Lebensversicherung | Schenkungsteuer-<br />

Freibetrag | Weihnachtsfeiern<br />

110 Geldwoche Kommentar: Ölpreis | Trend der<br />

Woche: US-Aktien | Dax-Aktien: Thyssen-<br />

Krupp | Hitliste: Kurs-Umsatz-Verhältnis |<br />

Aktien: Münchener Rück, Syngenta | Indexfonds:<br />

China | Anleihe: MS Spaichingen<br />

Perspektiven&Debatte<br />

114 Architektur Der Wettbewerb der<br />

Sensationsbauten wird immer grotesker<br />

118 Kost-Bar<br />

Rubriken<br />

5 Einblick, 120 Leserforum,<br />

121 Firmenindex | Impressum, 122 Ausblick<br />

n ManagementCup In unserem<br />

Planspiel winken Preise in Höhe von<br />

35 000 Euro. Registrieren Sie sich<br />

noch bis zum 18. November unter<br />

managementcup.wiwo.de<br />

facebook.com/<br />

wirtschaftswoche<br />

twitter.com/<br />

wiwo<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 7<br />

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Seitenblick<br />

MUSIK<br />

Gegen den<br />

Stream<br />

Das Angebot an Musikstreaming wächst zwar.<br />

Auch YouTube startet einen eigenen Online-Dienst<br />

für Tonaufnahmen. Aber zugleich greifen vor allem<br />

jüngere Leute wieder verstärkt zu Schallplatten.<br />

5Millionen Schallplatten besitzt der brasilianische<br />

Busunternehmer Zero Freitas. Es ist die größte<br />

Sammlung der Welt. Drei Millionen Scheiben kaufte<br />

er vor einem Jahr von Paul Mawhinney, der im amerikanischen<br />

Pittsburgh einen Plattenladen betrieb.<br />

Von jeder Platte, die in den vergangenen 40 Jahren erschien,<br />

behielt er ein Exemplar. Wie viel Freitas zahlte,<br />

ist nicht bekannt. Nun versucht er mit Mitarbeitern<br />

die Platten zu katalogisieren: Am Tag schaffen sie 500.<br />

35Prozent Zuwachs verzeichnete der Umsatz<br />

mit Platten in Deutschland allein in der ersten<br />

Hälfte dieses Jahres. Setzte der Handel 2012 noch eine<br />

Million Stück ab, waren es 2013 schon 1,4 Millionen.<br />

Zum Vergleich: Im Rekordjahr 1978 wurden 64 Millionen<br />

LPs verkauft. Besonders Jüngere greifen trotz MP3<br />

und Streamingportalen wie Spotify vermehrt zum<br />

klassischen Tonträger. Laut Bundesverband Musikindustrie<br />

sind 40 Prozent der Vinyl-Käufer zwischen<br />

20 und 29 Jahre alt (siehe auch Seite 76).<br />

FOTO: LAIF/NOOR/SEBASTIAN LISTE<br />

1921eröffnete das britische Unternehmen<br />

HMV seinen ersten Laden. Er verkaufte<br />

Grammofone und Platten. Über die Jahrzehnte wuchs<br />

HMV zu einer der größten Musikketten der Welt. 2013<br />

meldete der Riese wegen der zunehmenden Musikdownloads<br />

Insolvenz an. Jetzt versucht die Kette ein<br />

Comeback – und setzt vor allem auf Platten.<br />

oliver.voss@wiwo.de; thomas stölzel<br />

8 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Haste Töne<br />

In einer 2300 Quadratmeter<br />

großen Halle<br />

lagert Freitas seine fünf<br />

Millionen Platten. Seine<br />

erste Scheibe kaufte der<br />

heute 62-Jährige 1964 –<br />

eine Aufnahme von<br />

Roberto Carlos<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 9<br />

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Menschen der Wirtschaft<br />

Black Box<br />

Finanzminister Schäuble<br />

STEUER<br />

Krach um Hörbücher<br />

Bundesfinanzminister Schäuble will die<br />

Mehrwertsteuer für E-Books und<br />

Hörbücher senken. Doch nun stehen<br />

seine Beamten vor neuen Problemen.<br />

Selbst Finanzexperten beginnen zu stottern, wenn<br />

sie das Chaos bei der Mehrwertsteuer erklären sollen.<br />

Die Frage nach der richtigen Besteuerung von<br />

Schnitt- und Trockenblumen oder Leitungs- und<br />

Mineralwasser hat längst Quiz-Qualitäten. Ähnlich<br />

kurios sind die Regeln im Buchmarkt: Beim Kauf<br />

eines gedruckten Buches kassiert der Staat nur den<br />

ermäßigten Satz von sieben Prozent, beim Erwerb<br />

eines E-Books verlangt er dagegen 19 Prozent. Zumindest<br />

hier will Bundesfinanzminister Wolfgang<br />

Schäuble jetzt aufräumen. Da die Regelung auf<br />

EU-Recht basiert, hat er bei der Kommission in<br />

Brüssel eine Initiative gestartet.<br />

Die Chancen auf Erfolg stehen gut, da Frankreichs<br />

früherer Finanzminister Pierre Moscovici<br />

seit 1. November EU-Finanzkommissar ist. Paris<br />

hat den Steuersatz für E-Books schon ermäßigt.<br />

Auch Luxemburg begünstigt bereits die Elektroliteratur.<br />

Und Luxemburgs früherer Premier und<br />

Finanzminister Jean-Claude Juncker ist jetzt<br />

Präsident der EU-Kommission. Beide Länder verstoßen<br />

damit zwar gegen Unionsrecht, die EU-<br />

Kommission hat deshalb geklagt. Aber das war<br />

noch die alte Kommission.<br />

Ein anderes Ärgernis der Verlagsbranche räumt<br />

die Bundesregierung dagegen garantiert aus: Für<br />

Hörbücher sinkt der Mehrwertsteuersatz zum 1.<br />

Januar 2015 von 19 auf 7 Prozent. Die Ermäßigung<br />

gilt aber nur für solche Hörbücher, die auf Datenträgern<br />

wie CDs gespeichert sind. Aus dem Internet<br />

heruntergeladene Werke unterliegen dagegen weiterhin<br />

dem regulären Satz – wegen des EU-Rechts.<br />

Allerdings verzweifeln Schäubles Beamte an der<br />

Frage: Was ist ein Hörbuch? Eine Definition ist notwendig,<br />

denn Hörspiele müssen – im Gegensatz zu<br />

Hörbüchern – wegen des Unionsrechts weiterhin<br />

mit 19 Prozent besteuert werden. Als Unterscheidungskriterien<br />

diskutieren die Beamten nun die<br />

Dauer der musikalischen Einlagen zwischen den<br />

Textelementen oder die Beteiligung von Drehbuchautoren.<br />

„Derzeit lässt sich keine verbindliche Aussage<br />

zur Abgrenzungsproblematik treffen“, heißt es<br />

aus dem Finanzministerium. Dabei drängt die Zeit.<br />

Der Fall zeigt einmal mehr, welchen Rattenschwanz<br />

die Einführung von steuerlichen Sonderregelungen<br />

nach sich zieht. Der Vorstoß, einen<br />

einheitlichen, unter 19 Prozent liegenden Mehrwertsteuersatz<br />

einzuführen, war indes unter der<br />

vorherigen Koalition sang- und klanglos gescheitert,<br />

obwohl Schäuble dies befürwortete. Aber die<br />

alte Koalition befürchtete einen öffentlichen Aufschrei,<br />

weil damit der Wegfall des ermäßigten Satzes<br />

von sieben Prozent verbunden gewesen wäre.<br />

christian.ramthun@wiwo.de | Berlin<br />

Papierlose<br />

Bestseller<br />

Umsatzanteil von<br />

E-Books am deutschen<br />

Buchmarkt (in Prozent)*<br />

0,8<br />

0,5<br />

2,4<br />

2010 11 12<br />

3,9<br />

4,9<br />

13 14**<br />

* privater Bedarf (ohne Schul- und<br />

Fachbücher); ** 1. Halbjahr;<br />

Quelle: GfK<br />

10 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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FOTOS: DPA PICTURE-ALLIANCE/BERND VON JUTRCZENKA, LARS LANGEMEIER, BLOOMBERG NEWS/DONNA ABU-NASR<br />

COCA-COLA<br />

Geld für Start-ups<br />

#Megafail<br />

Worüber sich Kunden bei Facebook und Twitter am meisten beschweren<br />

Über diese<br />

Branchen<br />

beschweren<br />

sich Kunden<br />

besonders<br />

häufig<br />

Banken und Versicherungen<br />

22 %<br />

Industrie<br />

18 %<br />

IT und Telekommunikation<br />

18 %<br />

Verkehr und Touristik<br />

15 %<br />

Handel<br />

12 %<br />

Medien<br />

6 %<br />

Wenn Hendrick Steckhan,<br />

Deutschland-Chef von Coca-<br />

Cola, nicht weiß, was er am<br />

Abend essen will, hilft ihm nun<br />

das Berliner Start-up Homeeat-Home.<br />

Es stellte in der<br />

Deutschland-Zentrale in Berlin<br />

einen Kühlschrank auf und füllte<br />

ihn mit Zutaten für „Tempura<br />

<strong>vom</strong> Kräutersaitling“ oder<br />

„Orecchiette al pomodoro secco“<br />

– portioniert für eine Person<br />

oder zwei, abgepackt und mit<br />

Kochanleitung. Auch Steckhans<br />

Mitarbeiter dürfen zugreifen.<br />

Das Start-up, das in dieser<br />

Woche loslegt, ist das erste<br />

deutsche, dass unter den Fittichen<br />

von Coca-Cola entstand.<br />

Der Brauseriese rekrutierte erfahrene<br />

Gründer für ein eigenes<br />

Accelerator-Programm, deren<br />

neue Ideen er finanziert. „Ihr<br />

könnt alles machen außer Getränke“,<br />

erinnert sich Homeeat-Home-Gründer<br />

Sebastian<br />

Esser an die Vorgabe.<br />

Inzwischen finanziert der<br />

Konzern Start-ups in neun<br />

Städten. Demnächst sollen noch<br />

London und ein Standort in<br />

China dazukommen. Coca-Cola<br />

hofft auf lukrative Beteiligungen.<br />

„Einige Start-ups in unserem<br />

Portfolio haben das Potenzial,<br />

ein Milliardenunternehmen zu<br />

werden“, sagt Marius Swart,<br />

Direktor des Accelerator-Programms.<br />

Zudem sollen Synergien<br />

beiden Seiten helfen. So bekommt<br />

Home-eat-Home über<br />

den Getränkeriesen bessere<br />

Konditionen für die Kühlstationen.<br />

Nun stellt das Start-up die<br />

ersten Kühlschränke in Berliner<br />

Fitnessstudios, Bürohäusern<br />

und Kiosken auf.<br />

oliver.voss@wiwo.de<br />

Erfrischend neu<br />

Coca-Cola-Manager<br />

Steckhan<br />

Qualitätsprobleme<br />

37 %<br />

Unfreundlichkeit<br />

11 %<br />

Aufgeschnappt<br />

Weißes Haus im Irak Der kurdische<br />

Geschäftsmann Shihab N.<br />

Shihab lässt sich in der nordirakischen<br />

Stadt Erbil das Weiße<br />

Haus nachbauen – nur etwa<br />

50 Kilometer weiter beginnt das<br />

Gebiet, das die Terrorgruppe<br />

„IS“ kontrolliert. Der 20 Millionen<br />

Dollar teure Bau soll in vier<br />

Monaten fertig sein. Im Gegensatz<br />

zum Original in Washington<br />

gibt es dort auch ein türkisches<br />

Bad. „Obama muss sein Schlafzimmer<br />

nach Ablauf der Amtszeit<br />

verlassen“, sagt Shihab,<br />

„ich behalte es bis an mein Lebensende.“<br />

3-D-Druck bei der Post Die<br />

Schweizer Post stellt mit einem<br />

Partner 3-D-Drucker in ausgewählten<br />

Filialen auf. Kunden<br />

können dort beispielsweise personalisierte<br />

Schmuckstücke<br />

erstellen. Wer davon begeistert<br />

ist, kann auch gleich einen<br />

Drucker für den Hausgebrauch<br />

kaufen.<br />

? #<br />

Quelle: Attensity, Auswertung von 1,1 Mio. deutschsprachigen Beiträgen zwischen Januar und September 2014, davon 9100 kritische Äußerungen<br />

!<br />

%<br />

*<br />

€<br />

KARSTADT SPORTS<br />

Sportliche<br />

Verluste<br />

„Paket der Grausamkeiten“<br />

haben Betriebsräte die Sparaktionen<br />

des neuen Karstadt-<br />

Eigentümers René Benko getauft.<br />

Er will nicht nur bei den<br />

klassischen Warenhäusern den<br />

Rotstift zücken, sondern plant<br />

jetzt auch beim Ableger Karstadt<br />

Sports Einschnitte. So stehen<br />

nach Angaben der Gewerkschaft<br />

Verdi unter anderem das<br />

Weihnachts- und Urlaubsgeld<br />

für die knapp 1300 Mitarbeiter<br />

auf dem Prüfstand.<br />

Wie die Warenhäuser steckt<br />

auch Karstadt Sports tief in der<br />

Verlustzone. Das zeigen neue<br />

Geschäftszahlen des Unternehmens.<br />

So rechnet das Management<br />

der Filialkette für<br />

das Geschäftsjahr 2013/14 mit<br />

einem Minus „in einstelliger<br />

Millionenhöhe“. Das Defizit<br />

werde sogar noch höher ausfallen<br />

als im Vorjahr. Damals<br />

hatten die 27 Sporthäuser 239<br />

Millionen Euro Umsatz erzielt<br />

und einen Verlust von 4,3 Millionen<br />

Euro verbucht. Ein<br />

„straffes Kostenmanagement“<br />

soll 2014/15 die Wende bringen,<br />

Ziel sei dann ein „nahezu<br />

ausgeglichenes Ergebnis“,<br />

heißt es im Geschäftsbericht.<br />

Inkompetenz<br />

19 %<br />

henryk.hielscher@wiwo.de<br />

Wann Kunden am<br />

häufigsten schimpfen<br />

17 %<br />

8 %<br />

Mo Di Mi Do Fr Sa So<br />

zu hoher Preis<br />

10 %<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 11<br />

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Menschen der Wirtschaft<br />

BÖCKLER-STIFTUNG<br />

Studie als<br />

Glücksspiel<br />

Im Oktober veröffentlichte das<br />

Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche<br />

Institut der Hans<br />

Böckler Stiftung (WSI) unter<br />

dem Vorsitz von DGB-Chef<br />

Rainer Hoffmann eine Studie<br />

zur Geschlechterdiskriminierung.<br />

Ergebnis: Vollbeschäftigte<br />

Frauen verdienen brutto<br />

monatlich je nach Beruf zwischen<br />

6 und 28 Prozent weniger<br />

als Männer. Doch die Methode<br />

gibt Anlass zu Zweifeln, denn<br />

das Institut verknüpfte die Gehaltsstudie<br />

mit einem Gewinnspiel.<br />

Für die Angabe des Berufs<br />

und Gehalts lobt die Seite lohnspiegel.de<br />

Jahresgewinne von<br />

bis zu 1500 Euro aus. „Die Behauptung,<br />

dass Chemikerinnen<br />

18 Prozent weniger verdienen<br />

als Chemiker, basiert auf den<br />

Angaben von gerade einmal 54<br />

Frauen“, sagt Professor Arnd<br />

Diringer von den Hochschule<br />

Ludwigsburg. Bei anderen Berufen<br />

antworteten noch weniger.<br />

Das WSI räumt ein, dass die<br />

Ergebnisse nicht repräsentativ<br />

seien. Die Methode, so das WSI,<br />

liefere aber „interessante Orientierungsdaten“.<br />

konrad.handschuch@wiwo.de<br />

Äußerst fragwürdige Daten<br />

DGB-Chef Hoffmann<br />

INTERVIEW Ralf Teckentrup<br />

»Das Engagement verstößt<br />

gegen europäisches Recht«<br />

Der Chef des Ferienfliegers Condor fordert, die Hilfe<br />

für Air Berlin sofort zu stoppen. Gegen die neue Billiglinie<br />

der Lufthansa hat er sich gewappnet.<br />

Herr Teckentrup, fühlen Sie<br />

sich alleingelassen in der deutschen<br />

Flugbranche?<br />

Nein, warum?<br />

Sie gehören zu den wenigen<br />

Unternehmern, die offen gegen<br />

das Engagement der arabischen<br />

Fluglinie Etihad bei Air<br />

Berlin protestieren.<br />

Das täuscht. Viele Unternehmen<br />

auch aus anderen europäischen<br />

Ländern denken wie ich.<br />

Ich bin höchstens etwas deutlicher.<br />

Denn kurz nachdem das<br />

Bundesverkehrsministerium<br />

Air Berlin und Etihad Gemeinschaftsflüge<br />

praktisch verboten<br />

hatte, wollten die beiden die eigentlich<br />

untersagte Route Berlin–Abu<br />

Dhabi statt einmal nun<br />

zweimal täglich fliegen. Das ist<br />

schon ein starkes Stück. Dabei<br />

ist das Engagement in seiner<br />

jetzigen Form ein unfairer Wettbewerb<br />

und gegen europäisches<br />

Recht.<br />

Woran machen Sie das fest?<br />

Air Berlin hat mit Etihad einen<br />

Aktionär von außerhalb Europas.<br />

Der hat vielleicht nicht die<br />

Mehrheit der Stimmrechte,<br />

aber nach meiner Wahrnehmung<br />

die unternehmerische<br />

DER LENKER<br />

Teckentrup,<br />

57, leitet den<br />

Ferienflieger<br />

Condor, eine<br />

Tochter des<br />

Reisekonzerns<br />

Thomas Cook.<br />

Zuvor arbeitete<br />

der Diplom-<br />

Wirtschaftsingenieur<br />

für<br />

die Lufthansa.<br />

Kontrolle. Bereits das wäre gegen<br />

europäisches Recht. Dazu<br />

hat Etihad in den vergangenen<br />

Jahren 800 Millionen Euro in<br />

Air Berlin gesteckt. Weil hinter<br />

Etihad letztlich das Emirat Abu<br />

Dhabi steht, sind das Staatsgelder<br />

und damit ein Verstoß gegen<br />

europäisches Beihilferecht.<br />

In welcher Form trifft Sie das?<br />

Die jüngste Finanzierungsrunde<br />

von 300 Millionen Euro erlaubt<br />

es Air Berlin, in diesem<br />

Jahr jedes der rund 30 Millionen<br />

Tickets im Schnitt zehn<br />

Euro billiger anzubieten. Das ist<br />

in unserer Branche, wo Kunden<br />

wegen ein paar Euro Ersparnis<br />

die Fluglinie wechseln, ein Riesenunterschied<br />

und kostet uns<br />

viel Geschäft.<br />

Billigflieger wie Ryanair oder<br />

Norwegian können Condor<br />

doch viel heftiger zusetzen.<br />

Aber die tragen ihre Verluste<br />

selbst. Bei Air Berlin tut das ein<br />

Unternehmen, hinter dem ein<br />

Staat steht. In solchen Fällen ist<br />

die Politik bisher immer eingeschritten.<br />

Wollen Sie, dass Air Berlin<br />

das Geld zurückzahlt oder verschwindet?<br />

Nein, aber ein sofortiges Ende<br />

der Hilfen und eine profitable<br />

Air Berlin. Fluglinien stoppen<br />

Verluste am schnellsten, wenn<br />

sie Verluststrecken streichen.<br />

Dann bleiben ein gesunder<br />

Kern und nachhaltige Jobs. Wir<br />

hätten bei einer kleineren Air<br />

Berlin wohl fünf oder zehn<br />

Flugzeuge mehr und auch ein<br />

paar Hundert Jobs mehr.<br />

Und bekämen höhere Preise.<br />

Das wäre schön. Doch in der<br />

Regel gilt: Gibt eine Airline Strecken<br />

auf, gehen effizientere Airlines<br />

rein, die dort mit den gleichen<br />

Preisen Geld verdienen.<br />

Sind Sie besorgt über die neuen<br />

Langstrecken-Billigflieger<br />

der Lufthansa?<br />

Mein Naturell ist immer besorgt,<br />

weil in der Flugbranche<br />

ständig unvorhersehbare Dinge<br />

wie Streiks das Geschäft durcheinanderbringen.<br />

Doch wenn<br />

ich unsere Kosten mit denen<br />

der Lufthansa vergleiche, bin<br />

ich wieder beruhigt.<br />

Lufthansa will die Betriebskosten<br />

dort um 20 Prozent senken.<br />

Die Lufthansa-Flüge in Urlaubsgebiete<br />

sorgen dort für<br />

Überkapazität und Preiswettbewerb.<br />

Das verdirbt für eine<br />

Weile die Preise. Aber wenn die<br />

Verluste zu hoch werden, steigt<br />

einer aus, und die Lage wird<br />

wieder ruhiger.<br />

Rettet das die Lufthansa?<br />

Da bin ich nicht sicher. Wer mit<br />

heute mehr als 100 Langstreckenflugzeugen<br />

nicht genug<br />

Geld verdient, löst sein Problem<br />

nicht automatisch, wenn gut<br />

ein Dutzend davon etwas anderes<br />

macht.<br />

Die Lufthansa plant, dass die<br />

türkische Gesellschaft Sun<br />

Express einige der Lufthansa-<br />

Langstreckenflüge durchführt.<br />

Hätten Sie den Auftrag auch<br />

gerne übernommen?<br />

Das hätte ich mir vorstellen<br />

können, zumal wir ja bei der<br />

touristischen Langstrecke eine<br />

gewisse Kompetenz haben.<br />

Aber es sieht nicht danach aus.<br />

Doch wir würden uns Gesprächen<br />

auch nicht verschließen.<br />

ruediger.kiani-kress@wiwo.de<br />

FOTOS: HOLGER PETERS, LAIF/HANS CHRISTIAN PLAMBECK, GETTY IMAGES/HANNELORE FOERSTER, PR<br />

12 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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ESCADA<br />

Dringend<br />

Chef gesucht<br />

MITTELMEER<br />

Krach um<br />

Öl und Gas<br />

Der wichtigste Job ist nicht aufgeführt<br />

unter den Stellenangeboten<br />

auf der Firmen-Web-Site:<br />

Das Luxus-Modehaus Escada<br />

aus Aschheim bei München<br />

sucht einen Chef. Der bisherige<br />

Vorstandsvorsitzende Bruno<br />

Sälzer, 57, hat sein Büro schon<br />

geräumt. Der Manager, Ex-Chef<br />

von Hugo Boss und seit 2008 an<br />

der Escada-Spitze, hatte bereits<br />

im Februar angekündigt, dass<br />

er seinen Ende November auslaufenden<br />

Vertrag nicht verlängert.<br />

Spätestens seitdem<br />

lässt Escada-Eignerin Megha<br />

Mittal, die das Unternehmen<br />

2009 aus der Insolvenz herausgekauft<br />

hatte, nach einem<br />

Nachfolger fahnden – bislang<br />

offenbar erfolglos. Bei Escada<br />

war niemand für einen Kommentar<br />

zu erreichen.<br />

Die Stellung beim Damenschneider<br />

hält Jörg Wahlers, der<br />

für Finanzen und das operative<br />

STARAMBA<br />

Popstars aus<br />

Plastik<br />

Die Fans von Lady Gaga und<br />

Helene Fischer werden wohl<br />

schon in Kürze mit einem völlig<br />

neuen Merchandising-Produkt<br />

beglückt. Das Berliner Start-up<br />

Staramba will Figuren der Sängerinnen<br />

mit 3-D-Druckern<br />

herstellen. Die Fans sollen dabei<br />

ihren Idolen ganz nah kommen:<br />

Staramba kann auch die<br />

Fans einscannen und dann als<br />

Figur neben jene der Stars positionieren.<br />

Den ersten Praxistest<br />

hat das Unternehmen auf der<br />

Tournee der US-Rockband Linkin<br />

Park absolviert. Nun haben<br />

die Berliner einen Rahmenvertrag<br />

mit dem weltgrößten Plattenlabel<br />

Universal Music ge-<br />

Geschäft zuständig ist. Er sitzt<br />

seit Mai 2014 im Escada-Vorstand<br />

und kam <strong>vom</strong> Keramikhersteller<br />

Villeroy & Boch. Anders<br />

als Sälzer gilt er nicht als<br />

Modeexperte. Am Sitz des Unternehmens<br />

breiteten sich Unruhe<br />

und Unsicherheit über<br />

den künftigen Kurs aus, heißt es<br />

in Branchenkreisen. Sälzer<br />

steigt am 1. Dezember als Chef<br />

schlossen. „Wir werden<br />

zunächst mit den wichtigsten<br />

50 Künstlern des Labels zusammenarbeiten“,<br />

sagt<br />

Staramba-Geschäftsführer<br />

Christian Daudert.<br />

Mit Aloe<br />

Blacc („I need a<br />

Dollar“) oder One<br />

Republik („Counting<br />

Stars“) ist das Unternehmen<br />

einig, Helene<br />

Fischer soll demnächst<br />

gescannt<br />

werden. „Lady<br />

Gaga hat auch<br />

schon eine Kostprobe<br />

unserer Technik<br />

gesehen und<br />

war begeistert“,<br />

Popstar zum<br />

Anfassen<br />

Sänger<br />

Aloe Blacc<br />

Nur die Modepuppen bleiben<br />

ruhig Escada-Eignerin Mittal<br />

beim Streetwear-Label Bench<br />

ein und beteiligt sich mit 15<br />

Prozent am Unternehmen aus<br />

Manchester. Es gehört seit Februar<br />

2014 der Münchner Beteiligungsgesellschaft<br />

Emeram<br />

Capital Partners.<br />

peter.steinkirchner@wiwo.de<br />

sagt Daudert. „Wir stehen kurz<br />

vor einem Vertrag.“<br />

Auch mit einigen großen<br />

Bundesligaclubs und dem FC<br />

Chelsea verhandelt Staramba.<br />

Das Start-up gehört<br />

zur börsennotierten<br />

Social<br />

Commerce<br />

Group, an der<br />

auch Ex-<br />

Fußballer<br />

wie Fredi<br />

Bobic beteiligt<br />

sind. Zudem<br />

ist Staramba für die<br />

kommenden 14 Jahre<br />

exklusiver Hersteller<br />

von 3-D-Druck-<br />

Figuren der Disney-<br />

Tochter Marvel, dem<br />

Rechteinhaber von<br />

Comics.<br />

martin.seiwert<br />

@wiwo.de | New York<br />

Der vor einer Woche geschlossene<br />

Pakt zwischen Ägypten,<br />

Griechenland und Zypern<br />

verschiebt politische und wirtschaftliche<br />

Prioritäten im östlichen<br />

Mittelmeer. Gemeinsam<br />

wollen die Länder von<br />

den frisch georteten Erdgasund<br />

Erdölvorkommen südlich<br />

Zyperns profitieren und bringen<br />

damit die Türkei gegen<br />

sich auf. Der Konflikt könnte<br />

weitreichende Folgen haben.<br />

Schon wirft die ägyptische<br />

Tageszeitung „Al-Watan“ dem<br />

Erdogan-Regime in Ankara<br />

vor, Ägypten „de facto den<br />

Krieg zu erklären“, weil der<br />

Sprecher der türkischen<br />

Kriegsmarine bereits mit der<br />

Gefechtsbereitschaft seiner<br />

Flotte drohte. Aus dem Präsidentenpalast<br />

in Kairo verlautet,<br />

Ägypten halte sich an den<br />

UN-Vertrag von 1982 zur Regelung<br />

von Territorialgewässern.<br />

Doch Ägyptens Staatspräsident<br />

Abdl al-Fatah<br />

as-Sisi, sein zypriotischer<br />

Amtskollege Dimitris Christofias<br />

und der griechische<br />

Ministerpräsident Andonis<br />

Samaras warnten auf ihrem<br />

Kairo-Treff, „die Wirtschaftsregionen<br />

von Küstenanrainerstaaten“<br />

zu schützen.<br />

Westliche Diplomaten befürchten<br />

Militäraktionen und<br />

eine Verhärtung der politischen<br />

Fronten. Die meisten<br />

arabischen Staaten unterhalten<br />

seit Jahrzehnten freundschaftliche<br />

Beziehungen zu<br />

Athen und Nikosia.<br />

Ägypten reaktiviert alte<br />

Pläne einer Unterwasser-Erdgaspipeline<br />

nach Zypern.<br />

Griechische und ägyptische<br />

Fachkreise wiesen darauf hin,<br />

dass die Erdgasfelder „viel<br />

weiter“ als bisher angenommen<br />

reichten – nach Südosten<br />

in Richtung Ägypten.<br />

volkhard windfuhr | mdw@wiwo.de<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 13<br />

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Menschen der Wirtschaft<br />

TOYOTA<br />

Teurer<br />

Wasserstoff<br />

An diesem Montag um Mitternacht<br />

unserer Zeit gibt der japanische<br />

Autohersteller Toyota<br />

in Tokio den Preis und Namen<br />

des ersten Brennstoffzellenautos<br />

in Großserie bekannt. Nach<br />

Informationen aus dem Unternehmen<br />

heißt die viertürige<br />

Limousine Mirai (japanisch für<br />

Zukunft) und kostet knapp<br />

79 000 Euro.<br />

Der Wagen ist der Stolz des<br />

Toyota-Präsidenten Akio<br />

Toyoda. Denn die Brennstoffzelle<br />

erzeugt den Fahrstrom für<br />

den Elektroantrieb mithilfe von<br />

Wasserstoff. Aus dem Auspuff<br />

entweicht nur Wasser. Die<br />

Reichweite liegt bei rund 500<br />

Kilometern, deutlich über der<br />

batteriebetriebener Autos,<br />

die meist nach spätestens 200<br />

Kilometern an die Steckdose<br />

müssen.<br />

Ein Problem des Brennstoffzellenautos<br />

sind jedoch die<br />

Tankstellen. In Deutschland<br />

500 Kilometer Reichweite<br />

Toyotas Wasserstoff-Auto<br />

TOP-TERMINE VOM 17.11. BIS 23.11.<br />

17.11. Werbung Der Bundesgerichtshof entscheidet am<br />

Montag, wie weit Werbung gehen darf. Die Molkerei<br />

Ehrmann bietet ihren Früchtequark Monsterbacke<br />

mit dem Spruch<br />

an: „So wichtig wie<br />

das tägliche Glas<br />

Milch“. Dagegen<br />

klagt die Wettbewerbszentrale,<br />

weil das<br />

Argument nicht stimme.<br />

18.11. Sal. Oppenheim Thomas Middelhoff, Ex-Chef der<br />

Arcandor-Gruppe mit Karstadt, fordert <strong>vom</strong> Bankhaus<br />

Sal. Oppenheim 30 Millionen Euro zurück,<br />

weil es ihn falsch beraten habe. Am Dienstag beginnt<br />

das Zivilverfahren vor dem Landgericht Köln.<br />

Krankenkasse Das Bundessozialgericht verhandelt<br />

darüber, ob es zwingend erforderlich ist, dass<br />

auf der Gesundheitskarte ein Foto des Inhabers ist.<br />

Patentschutz Spanien und Italien lehnen das<br />

EU-Patent ab und haben dagegen vor dem<br />

Europäischen Gerichtshof geklagt, dem jetzt ein<br />

Gutachten dazu vorgetragen wird.<br />

19.11. Zins Die US-Notenbank veröffentlicht am Mittwoch<br />

das Protokoll der vergangenen Zinssitzung.<br />

20.11. Bankerboni Ist die von der EU verordnete Deckelung<br />

der Bankerboni rechtmäßig? Dazu erhält der<br />

EU-Gerichtshof am Donnerstag ein Gutachten.<br />

Gegen die Regelung klagt die britische Regierung.<br />

E-Zigaretten Das Bundesverwaltungsgericht<br />

entscheidet darüber, ob E-Zigaretten frei verkauft<br />

werden dürfen oder zulassungspflichtige Medikamente<br />

sind.<br />

US-Konjunktur In den USA werden die Inflationsrate<br />

und das Konjunkturbarometer, ein Sammelindex<br />

aus zehn Frühindikatoren, veröffentlicht.<br />

MIETPREISBREMSE<br />

Hohe Kosten<br />

für Städte<br />

Die Mietpreisbremse, die der<br />

Bund 2015 einführt, beschert<br />

den Kommunen hohe Kosten.<br />

Wird eine Wohnung wieder vermietet,<br />

darf die Miete künftig<br />

höchstens zehn Prozent über<br />

dem ortsüblichen Niveau liegen.<br />

Um das zu überwachen,<br />

brauchen Städte, die die Mietsteigerung<br />

begrenzen sollen,<br />

verlässliche Daten über die<br />

Höhe der Mieten in einzelnen<br />

Stadtteilen und Straßenzügen.<br />

„Bremen etwa hat keinen qualifizierten<br />

Mietspiegel erstellt, in<br />

Berlin ist das Raster mit nur drei<br />

unterschiedlichen Wohnlagen<br />

relativ grob“, sagt Sebastian<br />

Hein, Leiter Marktforschung<br />

bei Empirica-Systeme. Die Berliner<br />

analysieren bundesweit<br />

die Preise der Neuvermietungen<br />

– bisher vor allem für Großvermieter.<br />

Inzwischen arbeiten<br />

auch Hamburg, Dortmund und<br />

Aachen mit den Daten.<br />

Um einen Mietspiegel anzufertigen,<br />

zahlten kleinere Städte<br />

an Berater rund 40 000 Euro.<br />

Zudem müssen die Spiegel stetig<br />

aktualisiert werden, das kostet<br />

extra. Zudem kritisiert Hein :<br />

„Selbst genaue Mietspiegel<br />

dürften nicht immer gerichtsfest<br />

sein.“<br />

heike.schwerdtfeger@wiwo.de | Frankfurt<br />

gibt es derzeit nur 16 Zapfsäulen<br />

für Wasserstoff.<br />

Von der Toyota-Entwicklung<br />

wird auch der bayrische Kooperationspartner<br />

BMW profitieren.<br />

BMW bestätigte, dass ein<br />

Brennstoffzellenauto mit der<br />

Toyota-Technik kommt, die an<br />

die Wünsche von BMW angepasst<br />

wurde.<br />

Vermutlich wird das BMW-<br />

Modell mehr Leistung haben<br />

als die 150-PS-Variante der<br />

Japaner. Insider rechnen mit<br />

einer Markteinführung 2016.<br />

juergen.rees@wiwo.de<br />

DEKRA-AWARD<br />

Sieger geehrt<br />

Wie verhindert man psychische<br />

Erkrankungen am Arbeitsplatz?<br />

Und wie behält man die Übersicht<br />

über all die Stoffe, die in<br />

der Produktion anfallen? Beispielhafte<br />

Projekte zu solchen<br />

Fragen wurden bei einem Festakt<br />

im Mercedes-Museum<br />

Stuttgart mit dem Dekra-Award<br />

Dekra-Chef Stefan Kölbl (Dritter<br />

von links) feiert mit den Siegern<br />

2014 ausgezeichnet. Die Sieger:<br />

SBS Feintechnik aus Schonach,<br />

die EnBW Energie Baden-Württemberg<br />

aus Karlsruhe sowie<br />

der Maschinenbauer Voith aus<br />

Heidenheim. Ausgelobt wurde<br />

der Preis von der Dekra Certification<br />

Group und der WirtschaftsWoche.<br />

franz.rother@wiwo.de<br />

FOTOS: PR (2), KARL-HEINZ AUGUSTIN<br />

14 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Menschen der Wirtschaft<br />

CHEFSESSEL<br />

START-UP<br />

HYUNDAI<br />

Jochen Sengpiehl, 44,<br />

Erfinder des VW-Slogans<br />

„Das Auto“, positioniert nun<br />

den koreanischen Rivalen<br />

Hyundai neu. Hyundai hatte<br />

VW-Konzernchef Martin<br />

Winterkorn mit tadelloser<br />

Verarbeitung verblüfft: „Da<br />

scheppert nix.“ Bereits diese<br />

Woche beginnt der frühere<br />

Marketingchef von Volkswagen<br />

als neuer Vicepresident<br />

von Hyundai Motor Europe<br />

in Offenbach. Er wird dort<br />

eng mit dem früheren Audi-<br />

Gestalter Peter Schreyer zusammenarbeiten,<br />

der heute<br />

das weltweite Design von Kia<br />

und Hyundai verantwortet.<br />

FORD<br />

Jim Farley, 52, bisher Marketing-Chef<br />

von Ford, zieht<br />

zum Jahresbeginn von Detroit<br />

nach Köln um. Dort<br />

wird er das Europageschäft<br />

lenken. Schafft der erfolgsverwöhnte<br />

Farley die Wende<br />

des defizitären Europageschäfts,<br />

könnte der Job zum<br />

Karriere-Turbo werden.<br />

Der bisherige Europachef,<br />

Stephen Odell, 59, wechselt<br />

auf Farleys alte Position.<br />

RITTER<br />

Alfred Ritter, 61, gibt die<br />

Führung des Schokoladenherstellers<br />

Ritter Sport im Januar<br />

an einen familienfremden<br />

Manager ab, an den bisherigen<br />

Technik-Chef Andreas<br />

Ronken, 48. Ritter wechselt<br />

dann auf den Vorsitz des<br />

Beirats und löst dort seine<br />

Schwester Marli Hoppe-Ritter<br />

ab. Die Kinder von Alfred Ritter<br />

und seiner Schwester sind<br />

als Gesellschafter und Mitglieder<br />

des Beirats mit dem Unternehmen<br />

verbunden. Ritter<br />

hatte 2005, als die Firma in der<br />

Krise steckte, einen familienfremden<br />

Chef abgelöst.<br />

CERN<br />

Fabiola Gianotti, 52, wird<br />

im Januar 2016 Leiterin der<br />

Weltmaschine und folgt so auf<br />

den Deutschen Rolf-Dieter<br />

Heuer, 66. Die Italienerin erhält<br />

einen der derzeit wichtigsten<br />

– und spannendsten –<br />

Spitzenjobs in der Wissenschaft.<br />

Knapp 15 000 Mitarbeiter<br />

und Gastforscher versuchen<br />

am Cern in Genf herauszufinden,<br />

was die Welt im<br />

Innersten zusammenhält.<br />

SCHACH-WELTMEISTERSCHAFT<br />

1,3 Millionen Norweger<br />

verfolgten den Auftakt der Schach-WM live am Fernsehen – mehr<br />

als ein Viertel der Bevölkerung. Oslos Bürgermeister fürchtet gar,<br />

dass die Titelverteidigung des Norwegers Magnus Carlsen auf<br />

die Produktivität schlägt: „Die Arbeit darf nicht leiden, wenn<br />

unsere Angestellten während der Arbeitszeit die WM schauen.“<br />

UNLOCK YOUR BRAIN<br />

Beim Handy-Entsperren lernen<br />

„32 Mal entsperren Smartphone-Nutzer im Schnitt jeden Tag ihr<br />

Telefon“, sagt Simon Smend (links). Der Gründer macht daraus<br />

ein Geschäft; mit seinem Partner Felix Nienstädt hat er eine<br />

App zum Lernen und Gehirntrainieren entwickelt, die genau dort<br />

ansetzt. Statt wie üblich die PIN einzugeben, muss der Nutzer mit<br />

der App eine kleine Aufgabe lösen, wenn er sein Smartphone starten<br />

will. Je nach Interesse kann er dabei Vokabeln pauken, rechnen<br />

oder sich anderes Wissen aneignen. „Ich nutze das gerade für<br />

Tastaturkombinationen für Excel und Word“, sagt Smend. 2000 Varianten<br />

gibt es schon, mehr als die Hälfte davon haben die Nutzer<br />

selbst erstellt, denn jeder kann nach Bedarf eigene Übungen eingeben.<br />

„Derzeit kommen 20 Pakete pro Tag hinzu“, sagt Smend,<br />

der früher bei Rocket Internet auch für Zalando gearbeitet hat.<br />

Wer eilig sein Telefon braucht, darf die Übungen jederzeit überspringen,<br />

die normale PIN-Abfrage kann er aus Sicherheitsgründen<br />

zusätzlich beibehalten.<br />

Unlock your Brain ist kostenlos, Geld verdient das Start-up bisher<br />

mit Werbung. „Im nächsten Jahr sollen kostenpflichtige Inhalte<br />

hinzukommen“, sagt<br />

Fakten zum Unternehmen<br />

Finanzierung von Business<br />

Angels Christophe Maire und<br />

Torsten Oelke eine mittlere<br />

sechsstellige Summe<br />

Kunden täglich 30 000 Nutzer,<br />

insgesamt 480 000 Downloads<br />

Smend. Zudem tüfteln<br />

die Berliner auch an einem<br />

Angebot für das<br />

iPhone. Das Programm<br />

wird jedoch etwas anders<br />

aussehen, denn Apple erlaubt<br />

nicht den Zugriff auf<br />

den Startbildschirm.<br />

oliver.voss@wiwo.de<br />

FOTOS: PR, MAX THRELFALL, BILDAGENTUR-ONLINE/KERPA-MCPHOTO<br />

16 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Menschen der Wirtschaft | Chefbüro<br />

Christian Schmidt<br />

Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft<br />

360 Grad<br />

In unseren App-<br />

<strong>Ausgabe</strong>n finden<br />

Sie an dieser<br />

Stelle ein interaktives<br />

360°-Bild<br />

So richtig hat sich Christian<br />

Schmidt , 57, noch nicht in der<br />

Berliner Wilhelmstraße 54<br />

eingerichtet. Die „Stallungen“<br />

von Franz Marc hängen immer<br />

noch an der Wand, eine bescheidene<br />

Kopie. Ilse Aigner,<br />

die Vorvorgängerin von Bundeslandwirtschaftsminister<br />

Schmidt, ließ sie einst anbringen.<br />

Einige Bücher hat Schmidt<br />

auf dem Sideboard abgelegt, zu<br />

denen er in nächtlichen Stunden<br />

greift oder für lange Autofahrten<br />

einpackt. „Die Schlafwandler“<br />

von Christopher Clark<br />

und Henry Kissingers „Weltordnung“<br />

zählen dazu. Militär<br />

und Außenpolitik waren Teil<br />

von Schmidts vorherigem<br />

Leben als<br />

Parlamentarischer<br />

Staatssekretär im Verteidigungsministerium.<br />

Seit Februar dieses<br />

Jahres kümmert<br />

sich der CSU-Politiker<br />

um Kühe, Kartoffeln<br />

und Küstenschutz. Am vergangenen<br />

Donnerstag erörterte<br />

er um 7.30 Uhr mit einem Verbandschef<br />

die kritische Lage<br />

der Hühnerwirtschaft nach<br />

Ausbruch der asiatischen Geflügelpest<br />

in Mecklenburg-Vorpommern.<br />

Um neun Uhr war<br />

Präsenz im Bundestag angesagt,<br />

es ging um Sterbebegleitung<br />

– für den christlich<br />

verwurzelten<br />

Juristen ein bedeutendes<br />

Thema. Zwischendurch<br />

immer<br />

wieder Gespräche<br />

mit Parteifreunden<br />

und Funktionären.<br />

Schmidt gilt als fleißiger<br />

Netzwerker, das protestantische<br />

Arbeitsethos hat den Mittelfranken<br />

geprägt. Ab 13 Uhr<br />

musste er sich im Bundestag in<br />

der Nähe des Haushaltsausschusses<br />

aufhalten. Der hielt<br />

am Donnerstag seine Bereinigungssitzung<br />

für den Bundeshaushalt<br />

2015 ab: Jeder Minister<br />

muss dann vor dem Gremium<br />

antanzen und seinen Einzeletat<br />

verteidigen. Spätabends, wenn<br />

sich andere Politiker nach diversen<br />

Abendveranstaltungen<br />

rund um den Reichstag zu ihren<br />

Apartments chauffieren lassen,<br />

geht Schmidt meist zurück ins<br />

Ministerium.<br />

christian.ramthun@wiwo.de | Berlin<br />

FOTO: WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

18 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

Der Steuer-<br />

Chauvinist<br />

STEUERVERMEIDUNG | Die Empörung über die<br />

Schlupflöcher in Luxemburg ist groß. Doch ist sie<br />

auch groß genug, damit die Mitgliedsländer<br />

der EU ihre Steuersysteme künftig fairer gestalten?<br />

20<br />

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Die Vergangenheit<br />

holt ihn ein<br />

Kommissionspräsident<br />

Juncker<br />

FOTO: FRANK ZAURITZ<br />

In seinen 18 Jahren als Premierminister<br />

von Luxemburg hat Jean-Claude<br />

Juncker einiges ausgesessen. Aus der<br />

Schusslinie gehen, lange genug warten<br />

– so erledigten sich Probleme bisher<br />

immer noch von alleine. Doch kaum<br />

im Amt als EU-Kommissionspräsident,<br />

merkt Juncker, dass die Methode diesmal<br />

nicht verfängt. Als er sich vergangene<br />

Woche nach fünf Tagen des Schweigens<br />

endlich zur luxemburgischen Steueraffäre<br />

äußerte, quittierten Europaabgeordnete<br />

seine Rechtfertigungsversuche mit lauten<br />

Buh-Rufen. „Wir erleben Tage der Schmach<br />

für Europa“, resümierte AfD-Parteisprecher<br />

Bernd Lucke in der seiner Partei eigenen<br />

dramatischen Sprache.<br />

Aus heutiger Sicht ist es unwahrscheinlich,<br />

dass Juncker wegen der luxemburgischen<br />

Steuerpolitik, die er als Finanzminister<br />

organisierte und gleichzeitig als Premier<br />

verantwortete, <strong>vom</strong> Posten des Kommissionspräsidenten<br />

zurücktreten muss.<br />

Der große Aufschrei über die unfairen<br />

Praktiken könnte aber neue Dynamik in<br />

den Kampf gegen Steuerschlupflöcher für<br />

Konzerne bringen.<br />

Ein wenig kurios ist es schon: Seit Jahren<br />

ist bekannt, dass Luxemburg großzügige<br />

Steuererleichterungen anbietet, um Unternehmen<br />

ins Land zu locken – und dabei<br />

womöglich auch am Rande der Legalität<br />

agiert. Die EU-Kommission hat wegen entsprechender<br />

Deals mit Amazon und einer<br />

Fiat-Tochter ein Beihilfeverfahren eröffnet<br />

(WirtschaftsWoche 41/2014).<br />

Aber 28 000 Seiten an Dokumenten belegen,<br />

wie der Wirtschaftsprüfer PricewaterhouseCooper<br />

(PwC) für rund 350 Konzerne<br />

die Steuerquote teilweise auf unter ein Prozent<br />

gesenkt hat. Dies hat eine beispiellose<br />

Welle der Empörung über die Steuerpolitik<br />

des Großherzogtums ausgelöst. Hält diese<br />

an, hat das mehrere Gründe: Einerseits ist<br />

Luxemburg mit seiner Praxis beileibe nicht<br />

alleine. Andererseits sind Steuergeschenke<br />

für Konzerne ungerecht gegenüber jenen,<br />

die ihre Steuern bezahlen, ob Privatpersonen<br />

oder Unternehmen. Und es handelt<br />

sich um gigantische Summen: 10 bis 15 Milliarden<br />

Euro pro Jahr, schätzt Clemens<br />

Fuest, Präsident des Zentrums für Europäische<br />

Wirtschaftsforschung, entgehen allein<br />

dem deutschen Fiskus.<br />

Europas Politiker müssen sich nun fragen,<br />

wie viel und welche Art von Steuerwettbewerb<br />

sie für wünschenswert halten –<br />

und wie die Steuerbelastung fairer verteilt<br />

werden kann. Alleine die Durchschnittswerte<br />

lassen aufhorchen. Die 28 EU-Staaten<br />

beziehen 51 Prozent ihres Steueraufkommens<br />

aus Lohnsteuer, 29 Prozent aus<br />

der Besteuerung von Konsum und nur 21<br />

Prozent aus der Besteuerung von Kapital.<br />

In Deutschland liegt der Anteil der Lohnsteuer<br />

mit 56,6 Prozent sogar noch höher.<br />

Auch innerhalb von Unternehmen ist<br />

die Steuerlast nicht fair verteilt. Kleine und<br />

mittlere Unternehmen, die keine Töchter<br />

im Ausland haben und Gewinne verschieben<br />

können, zahlen mehr an den Fiskus.<br />

„Wenn man die Steuerbelastung von Tochtergesellschaften<br />

multinationaler Konzerne<br />

mit der von ansonsten ähnlichen, aber<br />

rein nationalen Unternehmen vergleicht,<br />

liegt die Steuerlast der Multis im Durchschnitt<br />

um 20 bis 30 Prozent niedriger“, so<br />

Steuerexperte Fuest. In Frankreich kam der<br />

Haushaltsausschuss des Parlaments zu<br />

dem Ergebnis, dass große Unternehmen<br />

im Schnitt acht Prozent Körperschaftsteuer<br />

zahlen, kleine dagegen 33 Prozent.<br />

„EINZIGARTIGES STEUERSYSTEM“<br />

Obwohl die Ungerechtigkeit seit Jahren bekannt<br />

ist, werben EU-Mitgliedstaaten ungeniert<br />

mit ihren Schlupflöchern, die sie<br />

freilich nicht so nennen. „Holland bietet<br />

ein sehr wettbewerbsfähiges Steuerklima“,<br />

heißt es in einer Werbebroschüre der niederländischen<br />

Investitionsagentur NFIA.<br />

Nachbar Belgien preist sein „einzigartiges<br />

Steuersystem“, das bei der Unternehmensbesteuerung<br />

„sehr wettbewerbsfähig“ sei.<br />

Aus der Sicht eines einzelnen Landes ergibt<br />

es durchaus Sinn, Unternehmen anzulocken,<br />

die selbst bei einem niedrigen<br />

Steuersatz zusätzliches Geld in die Staatskasse<br />

spülen. In Luxemburg herrscht seit<br />

geraumer Zeit die Logik, dass Finanz- und<br />

Internet-Konzerne Einnahmen bringen,<br />

ohne dass Investitionen in Infrastruktur<br />

notwendig würden, wie das beim Bau einer<br />

Fabrik der Fall wäre.<br />

Kleines Land, ganz groß<br />

Direktinvestitionen<br />

(in Prozent <strong>vom</strong> Bruttoinlandsprodukt)<br />

28 83 132 191 5100<br />

Deutschland<br />

Niederlande<br />

Malta<br />

Belgien<br />

Luxemburg<br />

2013, Bestand, Zahlen gerundet; Quelle: Eurostat<br />

»<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 21<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

Sparmodell Niederlande Hauptquartier von Starbucks in Amsterdam<br />

Sparmodell Luxemburg Europa<br />

»<br />

Eine Studie des Internationalen Währungsfonds<br />

(IWF) besagt, dass Steueranreize<br />

Investitionsentscheidungen maßgeblich<br />

beeinflussen: „Die Muster von ausländischen<br />

Direktinvestitionen sind nicht zu<br />

verstehen ohne Bezug zu Steuern.“ Aktuellen<br />

Zahlen des IWF zufolge verfügte das<br />

kleine Luxemburg 2012 über gut zehn Prozent<br />

aller weltweiten ausländischen Direktinvestitionen,<br />

die Niederlande erreichten<br />

fast 16 Prozent, Belgien und Irland weniger<br />

als zwei Prozent.<br />

Dabei machen sich die europäischen<br />

Länder auch untereinander Konkurrenz.<br />

Seit Beginn der Euro-Krise haben immer<br />

mehr Unternehmen aus Südeuropa ihr<br />

Heil in den Niederlanden gesucht, wo spezielle<br />

Regeln ihre Steuerlast senken. Von<br />

den zehn griechischen Unternehmen mit<br />

einem Umsatz von mehr als zwei Milliarden<br />

Euro haben vier eine Holding in den<br />

Niederlanden, ermittelte die niederländische<br />

Tageszeitung „Het Financieele Dagblad“.<br />

In Portugal setzte ein noch stärkerer<br />

Exodus ein. 18 der 20 größten portugiesischen<br />

Unternehmen sind in den Niederlanden<br />

registriert. 20 der 28 größten spanischen<br />

Unternehmen sind in den Niederlanden<br />

ansässig, darunter Schwergewichte<br />

wie Banco Santander, Telefónica, Repsol<br />

und Endesa.<br />

Privatpersonen bekamen in diesen Ländern<br />

die Auflagen der Troika zu spüren,<br />

Unternehmen dagegen fanden einen Ausweg,<br />

um ihren Beitrag zur Sanierung des<br />

öffentlichen Haushalts gerade nicht zu leisten.<br />

Der breiten Öffentlichkeit ist das<br />

schwer zu vermitteln.<br />

Luxleaks hat so ein altbekanntes Problem<br />

in einer neuen Dimension vorgeführt.<br />

Die politische Debatte zeigt allerdings,<br />

dass die alten Abwehrmechanismen<br />

durchaus noch funktionieren. So empörte<br />

sich ausgerechnet der niederländische<br />

Staatssekretär Eric Wiebes, zuständig für<br />

Steuern, es sei „frustrierend“, dass seinem<br />

Land durch die komplizierten Luxemburger<br />

Konstruktionen Steuereinnahmen verloren<br />

gingen. Schuld sind im Zweifel eben<br />

immer die anderen.<br />

16 Prozent der<br />

weltweiten Direktinvestitionen<br />

befinden<br />

sich in den Niederlanden<br />

EINE GRATWANDERUNG<br />

EU-Kommissionspräsident Juncker steht<br />

mittlerweile so unter Druck, dass er aggressive<br />

Steuergestaltung bekämpfen muss, um<br />

Reste seiner Glaubwürdigkeit zu retten. Für<br />

den Politveteranen ist das eine Gratwanderung.<br />

Einerseits herrscht in Luxemburg die<br />

Erwartung, dass er seine Hand schützend<br />

über das Geschäftsmodell des Herzogtums<br />

hält. „Er wird für jeden Cent Investitionen<br />

für sein Land kämpfen“, sagt der Partner einer<br />

der vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften<br />

in Luxemburg.<br />

Politiker des Großherzogtums, die Sonderwege<br />

abgeschafft haben, um sich internationalen<br />

Standards anzupassen, wurden<br />

in der Vergangenheit angefeindet. Als der<br />

damalige Finanzminister Luc Frieden im<br />

Frühjahr vergangenen Jahres etwa ankündigte,<br />

das Bankgeheimnis zu lockern, hagelte<br />

es Kritik. Der Minister müsse erklären,<br />

wie diese Entscheidung mit Fortbestand<br />

des Finanzplatzes Luxemburg zu vereinbaren<br />

sei, forderte die liberale Partei DP,<br />

die mittlerweile an der Regierung ist.<br />

Andererseits wird Juncker in diesem Fall<br />

nun so genau beobachtet, dass er nicht nationale<br />

Interessen vertreten kann. Und weil<br />

er im Wahlkampf unermüdlich betont hat,<br />

er werde sich für ein sozialeres Europa einsetzen,<br />

kann er sich auch nicht auf die Seite<br />

der Steuervermeider stellen.<br />

Vergangene Woche trat er die Flucht<br />

nach vorne an und plädierte für einen automatischen<br />

Austausch von Informationen<br />

über maßgeschneiderte Steuerbescheide<br />

für Unternehmen. Nationale Steuerbehörden<br />

müssten dann nicht mehr explizit<br />

nach den „Rulings“ fragen, wie sie Luxemburg<br />

Amazon und einer Fiat-Tochter zugestanden<br />

hat, wie sie Irland Apple ausgestellt<br />

hat und die Niederlande Starbucks.<br />

All diese Fälle werden gegenwärtig von der<br />

EU-Kommission untersucht.<br />

Den Grünen im Europäischen Parlament<br />

geht Junckers Vorstoß nicht weit genug.<br />

Sie wollen die Einzelabsprachen zwischen<br />

Steuerbehörden und Unternehmen<br />

grundsätzlich veröffentlicht sehen. „Dazu<br />

müsste lediglich die Rechnungslegungsrichtlinie<br />

geändert werden, wozu im Rat<br />

keine Einstimmigkeit notwendig ist“, sagt<br />

der Europaabgeordnete Sven Giegold.<br />

Er fordert für Europa eine gemeinsame<br />

Bemessungsgrundlage und einen Mindeststeuersatz<br />

für die Körperschaftsteuer.<br />

Doch beides ist schwer durchzusetzen,<br />

weil sich die Mitgliedstaaten dagegen<br />

sträuben. 2011 hatte die EU-Kommission<br />

einen Vorschlag für eine gemeinsame Bemessungsgrundlage<br />

unterbreitet, der – wie<br />

FOTOS: GETTY IMAGES/AFP, REUTERS/FRANCOIS LENOIR, REUTERS/STRINGER IRELAND/MICHAEL MACSWEENEY<br />

22 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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-Holding von Amazon<br />

Sparmodell Irland Apple-Niederlassung im Süden der Grünen Insel<br />

alle Steuerangelegenheiten – einstimmig<br />

von den Mitgliedstaaten angenommen<br />

werden müsste. Juncker will das Projekt<br />

nun wiederbeleben. Es hat in seiner bisherigen<br />

Form allerdings einen Schönheitsfehler:<br />

Die gemeinsame Grundlage wäre<br />

freiwillig. Unternehmen könnten sich dafür<br />

entscheiden, das nationale Format beizubehalten.<br />

Mindeststeuersätze hat das Europäische<br />

Parlament in der Vergangenheit schon befürwortet,<br />

2011 stimmten die Abgeordneten<br />

mehrheitlich dafür, ausgeschüttete Gewinne<br />

an Mutterkonzerne immer mit mindestens<br />

70 Prozent des EU-Durchschnittssteuersatzes<br />

von 23,2 Prozent zu besteuern,<br />

also mit 16 Prozent. 2012 haben die Abgeordneten<br />

ebenfalls 16 Prozent als Mindeststeuersatz<br />

in der Richtlinie über eine gemeinsame<br />

Steuerregelung für Zahlungen<br />

von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen<br />

verbundenen Unternehmen in verschiedenen<br />

Mitgliedstaaten empfohlen. Das Problem:<br />

Die Abgeordneten werden nur konsultiert.<br />

„Wir müssen den politischen Druck<br />

auf die Mitgliedstaaten so erhöhen, dass sie<br />

tätig werden“, sagt Burkhard Balz (CDU),<br />

Sprecher für Wirtschaft der EVP-Fraktion.<br />

Zu viel Aktivität haben die Staaten in der<br />

Vergangenheit allerdings vermieden. Vollständige<br />

Berichterstattung über Gewinn,<br />

Steuern und Umsätze Land für Land<br />

(„country-by-country reporting“ im Jargon<br />

der Experten) haben die Mitgliedstaaten<br />

zwar für die Finanzbranche ab 2015 beschlossen,<br />

für den Rest der Wirtschaft aber<br />

auf die lange Bank geschoben. Die Staatsund<br />

Regierungschefs vereinbarten lediglich,<br />

die Kommission solle bis 2018 einen<br />

Bericht vorlegen. Höchste Dringlichkeit<br />

klingt anders. Dabei könnte das genaue He-<br />

runterbrechen von Gewinnen verhindern,<br />

dass diese weiter zwischen Ländern verschoben<br />

werden, um Steuern zu sparen.<br />

Natürlich können EU-Staaten auch national<br />

gegen die Steuerpraktiken ihrer<br />

Nachbarn vorgehen. 2008 etwa führte Bundesfinanzminister<br />

Peer Steinbrück (SPD)<br />

eine Zinsschranke ein. Damit beendete er<br />

den beliebten Trick, dass Konzerne über<br />

Luxemburg ihren deutschen Tochtergesellschaften<br />

hohe Kredite aufbürdeten. Die<br />

Fremdkapitalzinsen drückten so den Gewinn<br />

in Deutschland, während die nach<br />

Luxemburg fließenden Zinseinnahmen<br />

dort nahezu steuerfrei blieben.<br />

Eine Lizenzschranke, wie sie Österreich<br />

bereits hat, könnte Schluss machen mit<br />

dem ebenfalls über Luxemburg praktizierten<br />

Geschäftsmodell, bei dem ein deutsches<br />

Tochterunternehmen hohe Lizenzgebühren<br />

überweist, die hierzulande gewinn-<br />

und steuermindernd wirken. Künftig<br />

könnte es zu einer zusätzlichen Veranlagung<br />

beim deutschen Fiskus kommen,<br />

wenn die Lizenzzahlungen im Zielland mit<br />

weniger als zehn Prozent versteuert werden.<br />

In Luxemburg ist das die Regel.<br />

Hessens Finanzminister Thomas Schäfer<br />

(CDU) macht sich im Bundesrat für eine<br />

solche Lizenzschranke stark. Bundeskollege<br />

Wolfgang Schäuble präferiert dagegen<br />

ein konzertiertes Vorgehen der Staatengemeinschaft<br />

gegen aggressive Steuergestaltung<br />

und Einnahmenausfälle (Beps). Diese<br />

OECD- und G20-Initiative soll Transparenz<br />

schaffen über die Steuerzahlungen eines<br />

Konzerns in den einzelnen Ländern<br />

sowie über bisher vertrauliche Absprachen<br />

zwischen Unternehmen und Finanzbehörden.<br />

Gleichzeitig soll sie sicherstellen, dass<br />

Einkünfte immer versteuert werden.<br />

Knapp die Hälfte der Agenda haben die<br />

OECD-Länder abgearbeitet, der Rest soll<br />

bis 2015 stehen. Experten sind skeptisch,<br />

ob Beps den großen Durchbruch bringen<br />

wird, handelt es sich doch um unverbindliche<br />

Empfehlungen. „Außerdem sind die<br />

Vorschläge so kompliziert, dass es sich um<br />

ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für<br />

Steuerberater handelt“, kritisiert der grüne<br />

Europaabgeordnete Giegold.<br />

ÄHNLICHE VORTEILE<br />

Die Rolle der vier großen Wirtschaftsprüfer<br />

ist bisher ohnehin unterbelichtet. Im Fall<br />

Luxemburg gehen Experten davon aus,<br />

dass die drei großen Konkurrenten von<br />

PwC – Deloitte, KPMG und EY – ihren Kunden<br />

ähnliche Steuervorteile verschafft haben.<br />

PwC-Weltchef Dennis Nally dagegen<br />

spielt den Ball zurück ins Feld der Finanzminister<br />

und fordert: „Die digitalisierte<br />

Welt braucht ein neues Steuerrecht“ (siehe<br />

Interview Seite 24).<br />

Der Vizevorsitzende des Finanzausschusses<br />

im Bundestag, Gerhard Schick<br />

(Grüne), will dagegen schärfer gegen Missetäter<br />

vorgehen: „Ich erwarte, dass PwC<br />

diese Geschäftspraktiken zulasten der<br />

steuerzahlenden Unternehmen und Bürger<br />

für die Zukunft abstellt. Die Bundesregierung<br />

sollte Entsprechendes bei dem<br />

Unternehmen einfordern, wenn es weiterhin<br />

öffentliche Aufträge bekommen soll.“<br />

Steuervermeider aller Branchen von öffentlichen<br />

Aufträgen auszuschließen, das<br />

versuchen die USA seit Jahren schon. Ohne<br />

Erfolg.<br />

n<br />

silke.wettach@wiwo.de | Brüssel, mark fehr | Frankfurt,<br />

christian ramthun | Berlin<br />

Lesen Sie weiter auf Seite 24 »<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 23<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

INTERVIEW Dennis Nally<br />

»Wir brauchen ein<br />

neues Steuerrecht«<br />

Der Chef des weltgrößten Wirtschaftsprüfers PwC fordert die<br />

Anpassung der Steuergesetze an das digitale Zeitalter.<br />

DER LÜCKENFINDER<br />

Nally, 62, steht seit 2009 an der Spitze von<br />

PricewaterhouseCoopers (PwC), dem weltgrößten<br />

Netzwerk aus Wirtschaftsprüfern<br />

und Steuerberatern.<br />

Als die WirtschaftsWoche das Interview<br />

mit PwC-Weltchef Dennis Nally führte,<br />

war der Luxemburger Steuerskandal<br />

noch nicht öffentlich bekannt. Trotzdem<br />

drehte sich ein wichtiger Teil des Gesprächs<br />

um die Steuertricks großer Konzerne,<br />

internationale Steueroasen und<br />

die Rolle von PwC bei diesem Spiel. Im<br />

Nachhinein wollte Nally jedoch keine<br />

Fragen zu den Luxemburg-Leaks beantworten.<br />

PwC erklärt dazu: „Unsere<br />

Beratung und Unterstützung steht stets<br />

im Einklang mit den jeweils geltenden<br />

nationalen, europäischen und internationalen<br />

Steuergesetzen und Vereinbarungen.“<br />

Die Medienberichte zur<br />

steuerlichen Beratung in Luxemburg,<br />

koordiniert <strong>vom</strong> International Consortium<br />

of Investigative Journalists (ICIJ),<br />

beziehen sich nach Ansicht von PwC auf<br />

„unvollständige, illegal erlangte Informationen,<br />

die vier Jahre und älter“ seien.<br />

Herr Nally, Internet-Konzerne wie<br />

Google oder Amazon machen<br />

Negativschlagzeilen mit aggressiver<br />

Steuergestaltung über Grenzen hinweg.<br />

Muss der Fiskus strenger eingreifen?<br />

Vor allem muss er das Steuerrecht modernisieren.<br />

Es stammt aus Zeiten, als<br />

die Wirtschaft dominiert war von industrieller<br />

Produktion und dem Export von<br />

Waren. Die aggressive Steuerplanung zeigt<br />

auch, dass das Steuerrecht nicht mehr<br />

passt in eine Wirtschaft, bei der Dienstleistungen<br />

und digitale Kommunikation immer<br />

wichtiger werden. Die digitalisierte<br />

Welt braucht ein neues Steuerrecht.<br />

Und wie sollte das aussehen?<br />

MEHR ZUM THEMA<br />

Das vollständige Interview<br />

lesen Sie unter:<br />

wiwo.de/steuerrecht<br />

Internationale Organisationen<br />

wie die OECD oder der Zusammenschluss<br />

von<br />

Industrie- und Entwicklungsländern<br />

G20 arbeiten daran.<br />

Es geht etwa um neue Regeln<br />

für die Besteuerung von Gewinnen aus Lizenzen<br />

für die Nutzung bekannter Marken<br />

oder innovativer Patente. Entscheidend<br />

ist, festzustellen, in welchem Land Unternehmen<br />

ihren Mehrwert schaffen, und<br />

diesen dort zu besteuern. Das ist bei Industriekonzernen<br />

leicht zu sehen, nämlich<br />

meist dort, wo die Fabriken stehen. Bei Internet-Firmen<br />

ist das schwieriger. Sie können<br />

ihre Kunden überall auf der Welt<br />

bedienen, egal, wo ihre Büros und Server<br />

stehen.<br />

Warum zeigen Berater wie PwC ihren<br />

Mandanten nicht die rote Linie auf?<br />

Wir reden mit unseren Mandanten oft<br />

über dieses Thema. Staaten instrumentalisieren<br />

die Steuerpolitik bewusst im<br />

globalen Wettbewerb und bieten günstige<br />

Konditionen, um Unternehmen anzulocken.<br />

Und die CEOs müssen Steuern<br />

sparen, das sind sie ihren Eigentümern<br />

und Mitarbeitern schuldig. Steuerliche<br />

Gestaltung muss legal sein, aber sie sollte<br />

auch die Wirkung auf das Image des<br />

Unternehmens in Betracht ziehen.<br />

Berät PwC auch die Steuerfuchser<br />

Google und Amazon?<br />

Das möchte ich so direkt nicht kommentieren,<br />

aber ich würde mich wundern,<br />

wenn dem nicht so wäre. Schließlich ist<br />

PwC ein globales Netzwerk.<br />

In der Tat, Ihre Büros befinden sich sogar<br />

in Steueroasen wie den karibischen<br />

Cayman Islands, den britischen Kanalinseln<br />

oder Malta. Was tun die da?<br />

PwC ist überall dort, wo Unternehmen<br />

sind. In unseren Netzwerkgesellschaften<br />

arbeiten mehr als 195 000 Experten in<br />

157 Ländern auf der ganzen Welt.<br />

Mehr können Sie dazu nicht sagen?<br />

Alle PwC-Ländergesellschaften unterstützen<br />

ihre Mandanten in den Bereichen<br />

Wirtschaftsprüfung, Steuer- und<br />

Unternehmensberatung. Ich sehe hier<br />

keine besonderen Schwerpunkte in einzelnen<br />

Ländern.<br />

Die US-Regierung geht rigide gegen<br />

Banken vor, die amerikanische Bürger<br />

bei der Steuerflucht unterstützt haben.<br />

Sind die Maßnahmen etwa gegen<br />

Schweizer Banken zu hart?<br />

Es kommt immer wieder vor,<br />

dass Maßnahmen einer nationalen<br />

Regierung negative<br />

Auswirkungen auf andere<br />

Länder haben. Allerdings hat<br />

die Regulierung nach der Finanzkrise<br />

überhand genommen.<br />

Die umfangreichen Positionen des<br />

amerikanischen Dodd-Frank-Papiers<br />

etwa, das Banken und Finanzmärkte<br />

sicherer machen sollte, sind bisher nur<br />

zur Hälfte in Gesetze gefasst worden. Was<br />

den Rest betrifft, wissen Unternehmen<br />

nicht, wie die konkrete Fassung aussehen<br />

wird. Die Rechtssicherheit fehlt. n<br />

mark.fehr@wiwo.de | Frankfurt<br />

FOTO: ANDREAS CHUDOWSKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

24 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Blicke nach vorn<br />

Marion Asante mit<br />

ihrem Chef Roman<br />

Selgrath (zweiter von<br />

rechts) und ihren Kollegen<br />

Nicola Timpano<br />

(links) und Frank Karr<br />

FOTO: CHRISTOF MATTES FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

Da geht doch was<br />

SOZIALSTAAT | Obwohl der Arbeitsmarkt floriert, kämpfen mehr als<br />

eine Million Menschen seit Jahren erfolglos um den Anschluss.<br />

Was würde Langzeitarbeitslosen helfen, zurück in einen Job zu finden?<br />

Ein Projekt im Saarland gibt auf diese Frage neue Antworten.<br />

Marion Asante muss nicht lange<br />

nach dem Wort suchen, nach dem<br />

einen Begriff, der beschreibt, was<br />

sie empfindet. Was sie fühlt, wenn sie morgens<br />

gegen halb fünf, fünf ihr Bett verlässt,<br />

frühstückt und in ihr neues Leben aufbricht.<br />

Ist sie zufrieden, vielleicht sogar<br />

glücklich? Für die Antwort braucht sie keine<br />

Sekunde.<br />

„Das hier“, schießt es aus ihr heraus, „ist<br />

der Jackpot.“<br />

Asante hatte gehofft, dass dieser Tag<br />

noch einmal kommen würde, irgendwo<br />

und irgendwie. Aber leicht ist es ihr nicht<br />

gefallen, diese Hoffnung zu erhalten, im<br />

Gegenteil, es war hart, hammerhart. Wer<br />

den Glauben an sich selbst verliert, der findet<br />

auch niemanden mehr, der an einen<br />

glauben könnte. Ja, so ein Gedanke hilft<br />

zwar, aber auch dessen Kraft verblasst mit<br />

der Zeit. Bei Asante wurden aus Monaten<br />

ein Jahr, und dann gaben sich die Jahre<br />

einfach nur noch grußlos die Klinke in die<br />

Hand. Plötzlich waren es fünf, am Ende<br />

fast zehn.<br />

Dann kam der Anruf. Mit dem Jackpot.<br />

Ihr Vermittler <strong>vom</strong> Jobcenter klang wie<br />

immer, es gäbe da ein neues Projekt, sie<br />

solle sich bitte vorstellen. Vielleicht hatte<br />

der Betreuer der Arbeitsagentur Genaueres<br />

erzählt, aber sie hatte schon zu viele<br />

solcher Ansagen gehört. Es war 2004, als<br />

Asante ihren Job in einer Druckerei verlor,<br />

kurz nach einer Operation an ihren Händen.<br />

Zehn Jahre hatte sie dort geackert,<br />

immer in der Nachtschicht. Wenn sie in<br />

der Früh wieder nach Hause kam, machte<br />

sie erst ihre zwei Söhne fertig für die Schule,<br />

danach endlich schlief sie ein paar<br />

Stunden. Als sie entlassen wurde, war sie<br />

40 – ohne Berufsausbildung und mit einer<br />

pflegebedürftigen Mutter im Haus. Es folg-<br />

ten Absagen auf Absagen – und ein paar<br />

Minijobs.<br />

Was also sollte bei diesem neuen Projekt<br />

schon auf sie warten, außer dem üblichen<br />

Mist, den sinnlosen Maßnahmen, die einem<br />

vielleicht Beschäftigung geben, aber<br />

keine Arbeit? Asante wusste es nicht. Aber<br />

sie ging trotzdem.<br />

Schon das Vorstellungsgespräch war anders.<br />

Nicht so steif und unangenehm, die<br />

zwei Herren auf der anderen Seite waren<br />

freundlich und interessiert. Als die Frau<br />

kurz danach zu ihrem ersten Arbeitstag erschien,<br />

konnte sie das gute Betriebsklima<br />

kaum fassen. Und ihr Glück. „Ich dachte<br />

nicht, dass es so etwas noch gibt.“ Aus ihrer<br />

Kehle kommt ein rauchiges Lachen. Das<br />

war im August 2013.<br />

NEUES GLÜCK<br />

Die 51-Jährige arbeitet bei GBQ in Völklingen,<br />

einer Gesellschaft, in der die Handwerksbetriebe<br />

der Saarstahl AG zusammengefasst<br />

sind. Um sechs Uhr beginnt ihr<br />

Tag in der Buchbinderei. Das Programm<br />

der Arbeitsagentur, das sie hierher gebracht<br />

hat und über das sie erst nicht so genau<br />

Bescheid wissen wollte, heißt „Perspektiven<br />

in Betrieben“. Wenn man Marion<br />

Asantes Lebensgeschichte hört, klingt dieser<br />

Name nicht einmal anmaßend wie<br />

»<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 25<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

»<br />

das sonst so häufig ist bei Vorzeige-Projekten<br />

dieser Art.<br />

Das Problem ist nur:Solche Geschichten<br />

sind rar. Die Situation von Langzeitarbeitslosen<br />

ist der tiefe, dunkle Schatten der ansonsten<br />

immer glänzender werdenden Arbeitsmarktstatistik.<br />

Die Zahlen der Erwerbstätigen<br />

(fast 43 Millionen) und auch<br />

der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten<br />

(mehr als 30 Millionen) erklimmen<br />

immer neue Rekorde, eine Gruppe allerdings<br />

profitiert von diesem Boom so gut<br />

wie gar nicht mehr: Diejenigen, die seit<br />

mehr als einem Jahr erfolglos einen Job suchen,<br />

sind abgekoppelt von der Dynamik –<br />

so, als ob sie barfuß aus dem Kiesbett auf<br />

einen rollenden Zug aufspringen sollten.<br />

Mehr als eine Million Menschen stecken in<br />

dieser Situation – ohne Aussicht auf Besserung<br />

(siehe Grafik).<br />

Nun ist der deutsche Arbeitsmarkt kein<br />

statisches Gebilde, sondern permanent in<br />

Bewegung. Tausende Arbeitsverträge werden<br />

Tag für Tag unterschrieben, andere gekündigt.<br />

Nur am unteren Rand der Statistik<br />

kommt von dieser Geschäftigkeit viel zu<br />

wenig an. Die Perspektive dort ist in fünf<br />

Buchstaben beschrieben: Hartz. „Die Verfestigung<br />

des Leistungsbezuges“, heißt es in<br />

einer Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt-<br />

und Berufsforschung, dem Thinktank<br />

der Bundesagentur für Arbeit, sei „eine<br />

der größten arbeitsmarktpolitischen<br />

Herausforderungen“. Und der gesetzliche<br />

Mindestlohn, so fürchten es die Wirtschaftsweisen<br />

in ihrem jüngsten Gutachten,<br />

dürfte die ohnehin geringen Chancen<br />

von Langzeitarbeitslosen ab 2015 noch<br />

weiter dezimieren.<br />

AUF DER STRECKE<br />

Dieser Missstand hat, paradoxerweise,<br />

auch etwas mit der Attraktivität des deutschen<br />

Arbeitsmarkts zu tun. Unternehmen<br />

rekrutieren neues Personal derzeit nämlich<br />

vor allem aus der stillen Reserve: Da<br />

gibt es Eltern, die nach der Kinderauszeit<br />

wieder in den Job einsteigen, insbesondere<br />

aber eine neue Fülle qualifizierter Zuwanderer.<br />

Um Hartz-IV-Empfänger, die häufig<br />

keine Ausbildung haben, gesundheitliche<br />

oder familiäre Probleme mit sich herumschleppen<br />

und schon seit Jahren keine<br />

richtige Aufgabe mehr hatten, machen sie<br />

lieber einen Bogen.<br />

Die Menschen, bei denen das unterkühlte<br />

Bürokratendeutsch solche „multiplen<br />

Vermittlungshemmnisse“ ausgemacht hat,<br />

bleiben auf der Strecke, politisch und gesellschaftlich.<br />

Außer Stütze hatte ihnen der<br />

Abgekoppelt<br />

Die Langzeitarbeitslosen profitieren kaum<br />

<strong>vom</strong> deutschenJobboom (2014, in Millionen)<br />

3,5<br />

3,14<br />

3,0<br />

1,10<br />

Arbeitslose insgesamt 2,73<br />

Jan. Febr.März April Mai<br />

Quelle: Bundesagentur für Arbeit<br />

Zusammenhalt<br />

Endlich Arbeit – und<br />

nicht nur sinnlose<br />

Beschäftigung.<br />

Danach hatte Asante<br />

jahrelang gesucht<br />

Sozialstaat wenig zu bieten. Jeder Abschwung<br />

fügte dem Berg der Sockelarbeitslosen<br />

bis Mitte der Zweitausenderjahre nur<br />

weitere Schichten hinzu. Milliarden flossen<br />

zwar in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen,<br />

Ein-Euro-Jobs und Bürgerarbeit, aber<br />

sie änderten nichts Wesentliches.<br />

Dabei könnte es durchaus anders gehen,<br />

besser – das zeigen Asante und zwei ihrer<br />

Kollegen, die mit ihr eingestellt wurden,<br />

Nicola Timpano und Frank Karr. Das überschaubare<br />

Modellprojekt im Saarland (das<br />

es sonst nur noch in Nordrhein-Westfalen<br />

gibt) hat gute Chancen, einmal einen Wendepunkt<br />

zu markieren: Denn hier wächst<br />

im Kleinen die Erkenntnis, dass Menschen,<br />

die als hoffnungslos galten, doch noch eine<br />

Chance hätten. Allerdings nur, wenn genügend<br />

Geld vorhanden ist. Und wenn alle<br />

Beteiligten mitmachen.<br />

Roman Selgrath zum Beispiel.<br />

Bei Marion Asantes Vorstellungsgespräch<br />

saß Selgrath auf der anderen Seite<br />

Langzeitarbeitslose<br />

Juni<br />

Juli Aug. Sept.<br />

1,05<br />

2,5<br />

2,0<br />

1,5<br />

1,0<br />

0,5<br />

Okt.<br />

des Tisches. Er ist der Geschäftsführer der<br />

GBQ, früher war er Betriebsrat. Als ein<br />

Saarstahl-Vorstand ihm von einem neuen<br />

Programm der Arbeitsagentur erzählte,<br />

hörte er sofort aufmerksam zu. Die saarländische<br />

Stahlindustrie hat schwere Zeiten<br />

hinter sich, Saarstahl selbst ging in den<br />

Neunzigerjahren in den Konkurs, die GBQ<br />

ist das Ergebnis einer Ausgliederung. Den<br />

brutalen Strukturwandel, man kann ihn<br />

sehen in Völklingen: in den ausgeräumten<br />

Schaufenstern, die schon zu lange auf neue<br />

Mieter warten, und in den zerfurchten Gesichtern<br />

auf der Straße.<br />

Selgrath kennt die Nöte hier zu gut.<br />

„Langzeitarbeitslose stecken häufig in einer<br />

Schublade“, sagt der Geschäftsführer.<br />

„Aus der müssen sie raus – und das geht<br />

nur in der betrieblichen Wirklichkeit.“<br />

23 Kandidaten schickte ihm die Arbeitsagentur.<br />

Allesamt Härtefälle, so will es der<br />

besondere Zuschnitt des Programms: Ohne<br />

brauchbare Abschlüsse, mehr als fünf<br />

Jahre ohne Job, mit weiteren persönlichen<br />

Einschränkungen im Gepäck. Die Abmachung<br />

lautete folgendermaßen: GBQ sollte<br />

überzeugende Bewerber regulär einstellen,<br />

befristet auf zwei Jahre zwar, aber nach<br />

dem gültigen Tarifvertrag. Die Arbeitsagentur<br />

übernahm dafür in der Anfangsphase<br />

drei Viertel des Lohns, später Schritt<br />

für Schritt immer weniger, bis der Zuschuss<br />

nach 18 Monaten auf null sinkt. Außerdem<br />

finanzieren Agentur und das Land einen<br />

Betreuer der Diakonie, der alle zwei Wochen<br />

mit den Förderkandidaten Probleme<br />

und Sorgen besprechen kann.<br />

„Perspektiven in Betrieben“ fußt somit<br />

auf einem dreifachen Umdenken: erstens,<br />

FOTO: CHRISTOF MATTES FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

26 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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lieber echte Arbeit als Arbeitslosigkeit finanzieren.<br />

Zweitens, keine realitätsfernen<br />

Parallelwelten alimentieren, deren einziger<br />

Sinn darin besteht, Zeit totzuschlagen,<br />

die nicht für Schwarzarbeit genutzt werden<br />

kann. Und drittens, die Kandidaten so gut<br />

und eng wie möglich betreuen.<br />

Wenn es selbst für Menschen mit großen<br />

Schwierigkeiten klappt, müsste es auch für<br />

deutlich mehr funktionieren. Das ist jedenfalls<br />

die Stoßrichtung der Bundesregierung,<br />

die das Modellprojekt künftig mit einem<br />

dreistelligen Millionenbetrag von ein<br />

paar Dutzend auf mehr als 30 000 Plätze<br />

hochfahren will.<br />

Die ersten Erfahrungen berechtigen immerhin<br />

zu einigem Optimismus: Von den<br />

fünf Bewerbern, die Roman Selgrath am 1.<br />

August 2013 insgesamt einstellte, haben<br />

zwei schon neue, unbefristete Jobs bei<br />

Saarstahl-Töchtern gefunden. Ja, auch er<br />

sei am Anfang „sehr skeptisch“ gewesen,<br />

Förderung hin oder her. Aber: „Wir haben<br />

sehr gute neue Mitarbeiter gefunden.“<br />

GUT UND TEUER<br />

Arbeitsmarktexperten stellen diesem Strategiewechsel,<br />

bei aller gebotenen Vorsicht,<br />

ein gutes Zeugnis aus. „Man muss realistisch<br />

bleiben: Bei den Hilfen für Langzeitarbeitslose<br />

gibt es kein Mittel ohne Nebenwirkungen<br />

und auch keine schnellen Erfolge“,<br />

sagt Holger Bonin <strong>vom</strong> Zentrum für<br />

Europäische Wirtschaftsforschung. Lohnkostenzuschüsse<br />

gehören zu den teuersten<br />

Instrumenten im politischen Werkzeugkasten,<br />

sie hätten sich allerdings als wirksamer<br />

Hebel erwiesen, „wenn Menschen damit<br />

die erste Hürde in den regulären Markt<br />

überspringen können“. In Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen<br />

lerne man keine echten<br />

Arbeitgeber kennen.<br />

In der Vergangenheit, urteilt der Ökonom,<br />

hätten die meisten anderen Förderversuche<br />

„wenig bis nichts gebracht“. Eine<br />

wichtige Lehre sei allerdings: Lohnzuschüsse<br />

müssen mit der Zeit abgeschmolzen<br />

werden, damit sie nicht von Arbeitgebern<br />

missbraucht werden. „Dauerhafte<br />

Lohnsubvention schafft Jobs, die nicht<br />

marktfähig sind.“<br />

Marion Asante und ihre Kollegen widersprechen<br />

jedenfalls dem Klischee der hoffnungslosen<br />

Fälle. Nicola Timpano hat früher<br />

schon bei Saarstahl gearbeitet, dann<br />

machte sein Körper nicht mehr mit. Er verlor<br />

seine Stelle 2003. Nach zehn Jahren ohne<br />

festen Job hat er nun bei GBQ seinen<br />

Gabelstapler-Führerschein gemacht. In<br />

der Schreinerei baut der 52-Jährige außer-<br />

dem Kisten, Keile und Paletten. „Ich mache<br />

hier alles.“ Und Frank Karr, mit 47 der<br />

Jüngste der drei, hat in der Werkstatt als<br />

Malergehilfe Anschluss gefunden. Weil er<br />

schwerhörig ist, kommen viele Arbeitsplätze<br />

für ihn nicht in Betracht. Hier streicht er<br />

Wände und verlegt Bodenbelege.<br />

Alle drei verbindet: die tiefe Dankbarkeit,<br />

noch eine Chance bekommen zu haben,<br />

eine, die den Namen verdient. Und sie<br />

alle hoffen, nach Ablauf der Projektphase<br />

im Unternehmen bleiben zu können.<br />

Es gibt noch jemanden, der das Gleiche<br />

tut. Auf einer Kuppe oberhalb von Saarbrückens<br />

Innenstadt hat Hans-Hartwig Felsch<br />

sein Büro. Draußen an den waldigen Hängen<br />

breitet sich die saarländische Version<br />

eines Indian Summer aus, drinnen kümmert<br />

sich Felsch darum, dass dieses Programm<br />

ein kleiner Erfolg bleibt und ein<br />

großer werden kann. Auf seiner Visitenkarte<br />

steht „Geschäftsführer Operativ“. In der<br />

Regionaldirektion Rheinland-Pfalz-Saarland<br />

der Bundesagentur für Arbeit feilt er<br />

bereits an der geplanten Ausweitung.<br />

Felsch kommt aus Schleswig-Holstein,<br />

Überschwang ist ihm von Natur aus fremd.<br />

Trotzdem sagt er: „Wenn wir das hinbekommen,<br />

ist das eine neue Dimension.“<br />

Dabei weiß er nur zu gut, dass es schwer<br />

wird. Seine Mitarbeiter haben derzeit noch<br />

einen weiteren Betrieb im Pilotprogramm,<br />

einen großen Einzelhändler. Bei dem hat<br />

die Vermittlung von Arbeitslosen nicht in<br />

jedem Fall so reibungslos geklappt wie in<br />

Völklingen.<br />

Die Agentur muss überhaupt genügend<br />

Unternehmen finden, die weitere von<br />

Felschs „Intensivkunden“ integrieren können<br />

und wollen, wie er das nennt. Auch<br />

wenn die dank der Zuschüsse erst einmal<br />

wenig Geld kosten, bleibt die Vermittlung<br />

ein Experiment, das von allen Beteiligten<br />

Motivation verlangt – und den Willen,<br />

nicht gleich bei den ersten Schwierigkeiten<br />

aufzustecken.<br />

Die Signale, die Jobvermittler bislang bekamen,<br />

wenn sie Langzeitarbeitslose unterbringen<br />

wollten, hörten sich meist eher<br />

so an: Diese Leute, pardon, sind nicht das,<br />

was wir uns vorstellten. „Viele Betriebe<br />

müssen innerlich erst mal einen Sprung<br />

machen“, weiß auch Felsch. Und doch<br />

wehrt er sich gegen die noch weit verbreitete<br />

Aus-denen-wird-eh-nichts-mehr-Haltung,<br />

die den Arbeitslosen häufig entgegenschlägt.<br />

Mehr Mut müsse her. „Wir haben<br />

hier“, sagt er, „eben schon die beeindruckendsten<br />

Verwandlungen erlebt.“ n<br />

max.haerder@wiwo.de I Berlin<br />

MODELLPROJEKT<br />

Zweite Chance<br />

Akquisiteure sollen Stellen für<br />

Langzeitarbeitslose finden.<br />

Im Koalitionsvertrag hatten sich Union<br />

und SPD darauf verständigt, ein „besonderes<br />

Augenmerk“ auf Langzeitarbeitslose<br />

zu richten. Ein knappes Jahr<br />

nach Regierungsantritt nehmen diese<br />

Absichten nun Formen an. Im Zentrum<br />

der Pläne steht das Modellprojekt „Perspektiven<br />

in Betrieben“, das ab 2015<br />

auf bis zu 33 000 Teilnehmer in ganz<br />

Deutschland ausgeweitet werden soll.<br />

GELD AUS BRÜSSEL<br />

470 Millionen Euro aus dem Europäischen<br />

Sozialfonds stehen dafür zur Verfügung,<br />

plus 415 Millionen aus Bundesmitteln.<br />

Mit dem Geld sollen mehrere<br />

Hundert Betriebsakquisiteure eingestellt<br />

werden, die gezielt nach Unternehmen<br />

suchen, die Langzeitarbeitslose<br />

einstellen wollen – der Fokus soll<br />

dabei auf kleineren Unternehmen liegen.<br />

Sind passende Betriebe gefunden,<br />

sollen sogenannte „Coaches“ die Teilnehmer<br />

insbesondere in der Anfangsphase<br />

intensiv begleiten. Im Gegensatz<br />

zu den Pilotprogrammen im Saarland<br />

und in Nordrhein-Westfalen müssen die<br />

Geförderten nicht mindestens fünf Jahre<br />

<strong>vom</strong> Arbeitsmarkt entfernt gewesen<br />

sein, sondern nur zwei.<br />

Die Bundesagentur für Arbeit flankiert<br />

die Offensive mit umfangreichen<br />

Lohnkostenzuschüssen, die sie in den<br />

ersten 18 Monaten der Beschäftigung<br />

zahlt. Sie beginnen bei 75 Prozent und<br />

sinken dann schrittweise ab. In einer<br />

darauf folgenden halbjährigen Anschlussphase<br />

muss der Betrieb den<br />

Lohn dann selbst stemmen.<br />

Für Langzeitarbeitslose, die aufgrund<br />

ihres Profils noch weiter von regulärer<br />

Arbeit entfernt sind, will Arbeitsministerin<br />

Andrea Nahles (SPD) mittelfristig<br />

weitere 150 Millionen Euro pro Jahr lockermachen.<br />

Auch hier lautet das Ziel<br />

erster Arbeitsmarkt. Um Betriebe zur<br />

Teilnahme zu bewegen, soll der Lohn<br />

komplett <strong>vom</strong> Staat übernommen werden.<br />

Bis zu 10 000 weitere Arbeitslose<br />

könnten davon profitieren.<br />

max.haerder@wiwo.den | Berlin<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 27<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

Verluste auf<br />

Knopfdruck<br />

Automaten in der<br />

Spielbank Duisburg<br />

Die Spieler<br />

SPIELBANKEN | Nordrhein-Westfalen versteigert Kunstschätze, um<br />

seine Kasinos zu sanieren. Kein absurder Einzelfall, sondern der<br />

Offenbarungseid einer ganze Branche – mit staatlichem Auftrag.<br />

Das Kasino Duisburg hat zwei Eingänge:<br />

Durch den einen kommen<br />

die Gäste, die sich zurechtgemacht<br />

haben für einen besonderen Abend mit<br />

Champagner und Roulette. Durch den anderen<br />

kommt das Geld.<br />

Die Spielbank in der Fußgängerzone ist<br />

die ertragreichste in Europa. Von außen ist<br />

das nicht zu erahnen, der fensterlose<br />

Zweckbau schmiegt sich so unauffällig an<br />

das angrenzende Einkaufszentrum, dass er<br />

auch als Parkhaus durchgehen könnte.<br />

Doch drinnen eröffnet sich eine eigene<br />

Welt. Über den 30 Spieltischen im Obergeschoss<br />

schweben elliptisch verdrehte<br />

Leuchtkörper, Croupiers und Kellner<br />

schwirren in unaufdringlicher Eleganz<br />

durch den Raum. Alles leuchtet, nichts<br />

blinkt. Eine Etage tiefer wird der Automatenbereich<br />

von einem weißen VW Golf beherrscht,<br />

der als Hauptgewinn lockt. Um<br />

ihn gruppieren sich in dichten Reihen die<br />

Spielautomaten, insgesamt 354. Von Glamour<br />

keine Spur. Doch von den 40 Millionen<br />

Euro Jahresumsatz der Spielbank wird<br />

ein Großteil hier unten verdient.<br />

Mittwoch vergangener Woche hat Westspiel,<br />

landeseigener Mutterkonzern des<br />

Duisburger Kasinos, in New York beim<br />

Auktionshaus Christie’s zwei Bilder von<br />

Andy Warhol versteigern lassen. Nach<br />

zehn Minuten war das Geschäft gemacht:<br />

150 Millionen Dollar, wirtschaftlich ein voller<br />

Erfolg. Mit dem Geld sollen Etatlöcher<br />

gestopft und ein neues Kasino in Köln errichtet<br />

werden. Als das bekannt wurde,<br />

quollen die Feuilletons der Republik über<br />

vor Ärger ob so viel Kulturvergessenheit.<br />

Roulettetische für Weltkunst, was für ein<br />

barbarischer Deal! Doch dahinter steht eine<br />

grundsätzliche Frage: Wozu braucht der<br />

Staat seine Spielbanken überhaupt, wenn<br />

er nicht mal mehr Geld damit verdient?<br />

UMSATZ HALBIERT<br />

So unmöglich es klingt: Das vermeintlich<br />

todsichere Geschäft mit dem ruinösen,<br />

aber allzu menschlichen Spieltrieb läuft<br />

nicht mehr. Innerhalb der vergangenen<br />

zehn Jahre hat sich der Umsatz der deutschen<br />

Spielbanken von knapp einer Milliarde<br />

Euro auf gut 550 Millionen Euro hal-<br />

biert. Beispiel Bayern: Von den neun landeseigenen<br />

Spielbanken erwirtschaftet nur<br />

die in Bad Wiessee Gewinne, die Spielbank<br />

Feuchtwangen schafft gerade so die<br />

schwarze Null. In Thüringen macht die<br />

einzige Spielbank zum Jahresende dicht.<br />

Für drei Kasinos an der Ostsee fand sich<br />

schon im Sommer kein Interessent mehr.<br />

Bernhard Stracke hat die goldenen Jahre<br />

im Kasinogeschäft noch gut vor Augen.<br />

„Ich erinnere mich an Zeiten, da hat allein<br />

das Trinkgeld locker für die Gehälter der<br />

Angestellten gereicht.“ Stracke ist seit 30<br />

Jahren Gewerkschaftssekretär für den Bereich<br />

Spielbanken bei Verdi. Heute sieht er<br />

sich mit unerfreulicheren Fragen konfrontiert.<br />

„Die Spielbanken versuchen, Kosten<br />

zu drücken“, sagt Stracke. Vom französischen<br />

Roulette steigen viele Kasinos auf die<br />

halb automatische amerikanische Variante<br />

um. Statt mit 15 Mitarbeitern kommt jeder<br />

Tisch mit drei Angestellten aus.<br />

Der Niedergang der Spielbanken lässt<br />

sich am besten dort nachvollziehen, wo<br />

der Glanz einst am größten war. In Bad<br />

Neuenahr südlich von Bonn, eröffnete<br />

1948 die Spielbank – und begründete den<br />

Aufschwung einer ganzen Region. In Zeiten<br />

des Wirtschaftswunders verbrachten<br />

die Größen der Bonner Republik ihre freien<br />

Tage an der Ahr, in den Fünfzigerjahren<br />

fand der Bundespresseball in der Spielbank<br />

statt. Dem Bürgermeister wurde bei<br />

der Premiere der Eintritt verwehrt, weil er<br />

keinen Frack in der Garderobe hatte. Es<br />

FOTOS: LAIF/DOMINIK ASBACH, PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />

28 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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entstand die typische Mischung aus staatlichem<br />

und privatwirtschaftlichem Geschäftsmodell:<br />

Die Spielbank wurde von<br />

einem privaten Konsortium betrieben, die<br />

Erträge landeten über die Spielbankabgabe<br />

beim Land, ein bisschen erhielt die Gemeinde.<br />

Die finanzierte damit den stetigen<br />

Ausbau des Kurbetriebs. Seit 1948 flossen<br />

allein aus der Spielbankabgabe über 800<br />

Millionen Euro in öffentliche Kassen.<br />

Währenddessen aber änderte sich das<br />

Freizeitverhalten der Deutschen. Zur Kur<br />

ging man bald nur noch, weil es die Krankenkasse<br />

bezahlte, und als auch das in den<br />

Neunzigerjahren abgeschafft wurde, fielen<br />

mit einem Schlag die Besucherzahlen in<br />

den Keller. Zugleich mussten die Spielbanken<br />

erdulden, was ihr Geschäftsmodell<br />

nicht vorsah: Konkurrenz. Erst waren es<br />

nur ein paar Automaten in den Eckkneipen<br />

der Republik, später ganze Spielhallen, von<br />

der Online-Daddelei gar nicht anzufangen.<br />

Die Spielbank aber war immer noch auf die<br />

Frackträger ausgerichtet.<br />

Seit die Spielbank in Bad Neuenahr<br />

keine Gewinne mehr abliefert, wackelt das<br />

Geschäftsmodell der gesamten Stadt. Die<br />

Therme musste gerade erst mit Steuergeldern<br />

vor dem Ruin gerettet werden. Bad<br />

Neuenahr steht für die Probleme vieler<br />

Kasinos, doch nicht alle leiden darunter<br />

in gleichem Maße. Grundsätzlich sind<br />

die Länder stärker <strong>vom</strong> Niedergang der<br />

Spielbanken betroffen, die in der Vergangenheit<br />

am stärksten von ihnen profitiert<br />

haben: Bayern, Nordrhein-Westfalen<br />

oder Brandenburg müssen nicht nur mit<br />

sinkenden Spielbankabgaben leben, sondern<br />

auch mögliche Lücken im Betriebsergebnis<br />

füllen.<br />

VIER NEUE KASINOS<br />

Gerade in Bayern könnten sich die Probleme<br />

in den kommenden Jahren noch deutlich<br />

verschärfen. Um alle Regierungsbezirke<br />

gleichmäßig mit Spielbanken zu versorgen,<br />

baute die Landesregierung vor knapp<br />

15 Jahren, auf dem Höhepunkt der Spielbankenumsätze,<br />

vier neue Kasinos. Da in<br />

Bayern die – bundesweit Anfang der Achtzigerjahre<br />

abgeschaffte – Regel fortgilt,<br />

dass Spielbanken nur in anerkannten Kurorten<br />

untergebracht sind, gibt es heute in<br />

Orten wie Bad Füssing oder Lindau ein Kasino,<br />

nicht aber in Nürnberg oder München.<br />

Von den vier jüngst gegründeten<br />

Spielbanken des Landes war zuletzt keine<br />

einzige profitabel, Bad Steben und Bad<br />

Kötzting haben in ihrer Geschichte noch<br />

nie schwarze Zahlen geschrieben. Selbst<br />

am Premiumstandort Bad Wiessee<br />

am Tegernsee streiten sich<br />

die am Kasino beteiligten Kommunen<br />

derzeit, wer die Kosten<br />

für den Umbau vor ein paar Jahren<br />

tragen soll.<br />

Die deutsche Kasino-Realität<br />

ist ein komischer Zwitter. Die Regulierung<br />

stammt noch aus einer<br />

Zeit, als Glücksspiel de facto nur in Spielbanken<br />

möglich war und sein sollte. Hier<br />

verdienen die Länder mit oft drastisch hohen<br />

Spielbankabgaben mit, während<br />

Spielhallen nur Vergnügungsteuer bezahlen<br />

müssen. Es gäbe zwei Auswege aus diesem<br />

Dilemma: Liberalisierung oder strikte<br />

Regulierung. Ersteres hieße, dass der Staat<br />

sich ganz aus dem Glücksspiel zurückzöge<br />

und nur noch durch Steuereinnahmen<br />

partizipieren würde. Die andere Lösung<br />

wären so scharfe Gesetze, dass sich das<br />

Spiel zurück in die Spielbanken verlagern<br />

müsste. Mit besserem Spielerschutz ließe<br />

sich das begründen. So sieht es beispiels-<br />

Gegenseitige Abhängigkeit<br />

Erträge und Spielsucht in deutschen<br />

Spielbanken<br />

672<br />

997<br />

Anteil des Umsatzes mit Spielsüchtigen<br />

54% 52% 52%<br />

1995 2001 2008 2011<br />

Quelle: Jahrbuch Sucht 2013; Uni Hamburg<br />

Spielertrag (in Mio. Euro)<br />

723 554<br />

60%<br />

Elvis zieht Das Warhol-Bild bringt Millionen<br />

Video<br />

In unseren<br />

App-<strong>Ausgabe</strong>n<br />

erfahren Sie mehr<br />

über die beiden<br />

Warhol-Bilder<br />

aus NRW<br />

weise Ingo Fiedler: „Ich bin ein<br />

Freund der Schweizer Lösung“,<br />

sagt der Glücksspielforscher von<br />

der Universität Hamburg. „Da ist<br />

das Glücksspiel per Gesetz auf<br />

die Spielbanken beschränkt.“<br />

Diese marktferne Lösung hat<br />

nicht nur den Vorteil, dass die<br />

Gewinne der gesamten Gesellschaft<br />

zugutekommen, sie diene vor allem<br />

der Suchtprävention. „Auch in den Spielbanken<br />

liegt einiges im Argen“, sagt Fiedler.<br />

„Spielerschutz wird hier aber wenigstens<br />

versucht – anders als in den meisten Spielhallen.“<br />

Jüngst hat eine Studie der Universität<br />

Bremen gezeigt, dass viele Spielhallen<br />

sogar aktiv um süchtige Spieler werben.<br />

Doch die Bundesländer haben wenig<br />

Sinn für die eine oder andere klare Lösung.<br />

Stattdessen investieren viele in einen perspektivisch<br />

ruinösen Markt. „Wir können<br />

uns doch nicht hinsetzen und zuschauen,<br />

wie all diese Traditionsbetriebe langsam<br />

den Bach runtergehen“, sagt Matthias<br />

Hein. Er ist Geschäftsführer der landeseigenen<br />

Spielbanken Schleswig-Holstein.<br />

Um den Betrieb zu retten, hat er ein Konzept<br />

entworfen: „Clubsino“ – wie es eben<br />

klingt, wenn Bürokraten Visionen haben.<br />

Eine Mischung aus Kasino und Lounge soll<br />

es sein, zehn Millionen Euro hat der Umbau<br />

in Lübeck gekostet. Doch statt zu steigen,<br />

sind die Besucherzahlen im laufenden<br />

Jahr erneut gesunken. Die Gesellschafter<br />

ficht das nicht an, gerade wird das Konzept<br />

flächendeckend umgesetzt, weitere Millionenausgaben<br />

stehen an. Anderswo suchen<br />

die Spielbanken ganz offen den Wettbewerb<br />

zu kommerziellen Spielhallen. So hat<br />

Sachsen das Angebot in seinen drei Spielbanken<br />

in Dresden, Leipzig und Chemnitz<br />

auf Automatenspiele begrenzt. Seitdem<br />

liefern sie zuverlässig Erträge, doch der<br />

staatliche Auftrag wird so ad absurdum geführt:„Die<br />

Quote der Abhängigen ist unter<br />

Automatenspielern deutlich höher“, sagt<br />

Glücksspielforscher Fiedler.<br />

Auch wirtschaftlich könnte die Strategie<br />

sich bald erschöpft haben. Gerade hat der<br />

Automatenbetreiber Gauselmann („Merkur<br />

Spielothek“) eine Kasinolizenz in Sachsen-Anhalt<br />

erworben. Die private Spielbank<br />

entsteht in Günthersdorf, direkt am<br />

Autobahnring Leipzig. Auch in Sachsen<br />

droht damit ein Warhol-Szenario. Und es<br />

dürfte noch viele Warhols dauern, bis in<br />

den Spielbanken die eigentliche Botschaft<br />

ankommt: In ihrer aktuellen Form sind sie<br />

weder konkurrenzfähig – noch nützlich. n<br />

konrad.fischer@wiwo.de<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 29<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

Es kann nur einen geben<br />

BADEN-WÜRTTEMBERG | In einer Urwahl entscheidet die CDU-Basis, wer die Partei in ihrem Stammland<br />

an die Macht zurückführen soll. Beide Kandidaten liebäugeln mit den Grünen als Koalitionspartner.<br />

Thomas Strobl lernt in diesen Tagen<br />

seine baden-württembergische Heimat<br />

bis in den letzten Winkel kennen.<br />

Er gibt sich die Ehre in Dorfgaststätten und<br />

beim Dämmerschoppen des CDU-Kreisverbands<br />

Emmendingen, er verspeist Martinsgans<br />

mit der CDU Hemmingen und<br />

diskutiert bei einer kommunalpolitischen<br />

Tagung in Bruchsal mit. Einen speziellen<br />

Parteifreund möchte der 54-Jährige unterwegs<br />

allerdings nicht treffen – den derzeit<br />

ebenso reiselustigen Landtagspräsidenten<br />

Guido Wolf. Die beiden sind Konkurrenten<br />

in einem Wettbewerb der besonderen Art:<br />

Einer von ihnen darf in eineinhalb Jahren<br />

die CDU als Spitzenkandidat in die Landtagswahl<br />

führen – und womöglich neuer<br />

Ministerpräsident von Baden-Württemberg<br />

werden.<br />

Die Entscheidung über den Herausforderer<br />

des grünen Regierungschefs Winfried<br />

Kretschmann fällt die Parteibasis. Bis<br />

zum 2. Dezember können die rund 69 000<br />

CDU-Mitglieder im Ländle ihr Votum abgeben;<br />

seit Donnerstag vergangener Woche<br />

präsentieren sich die beiden Kandidaten<br />

auf Regionalkonferenzen. Das Ergebnis<br />

genspieler Wolf ist ein Jahr jünger und<br />

ebenfalls Jurist. Bevor er 2011 das Amt des<br />

Landtagspräsidenten antrat, war der aus<br />

Weingarten bei Ravensburg stammende<br />

Politiker neun Jahre lang Landrat im Kreis<br />

Tuttlingen.<br />

BEIM BUND AUF SPARFLAMME<br />

Strobl gilt als Vertreter des Berliner CDU-<br />

Establishments, auch wenn er seit vielen<br />

Jahren im Gemeinderat von Heilbronn<br />

sitzt. Die baden-württembergischen Bundestagsabgeordneten<br />

dürften auf seiner<br />

Seite stehen; sein Berliner Netzwerk betrachten<br />

viele als Vorteil gegenüber dem<br />

medial weniger präsenten Wolf – zumal in<br />

einem Land, das seine Interessen auf Bundesebene<br />

im Vergleich zu den bayrischen<br />

Nachbarn eher auf Sparflamme vertritt.<br />

Wolf hingegen weiß die Landtagsfraktion<br />

hinter sich. Der Hobbymusiker inszeniert<br />

sich als volksnaher und leicht kauziger<br />

Mann der Basis. Er findet vor allem auf<br />

dem Land viel Zuspruch, etwa in Südbaden<br />

und Oberschwaben. Ihm kommt zugute,<br />

dass er als ehemaliger Bürgermeister<br />

von Nürtingen und Landrat das Klein-<br />

Klein der Kommunalpolitik bestens kennt.<br />

Inhaltlich gibt es zwischen den beiden<br />

zwar „Akzentuierungen“ (Strobl), aber weit<br />

entfernt voneinander stehen sie nicht. Beide<br />

setzen auf Technologie und bessere Infrastruktur,<br />

beide wollen mehr Einfluss des<br />

Landes in Berlin. Strobl fordert einen<br />

„Masterplan für die digitale Entwicklung,<br />

damit auch der letzte Schwarzwaldhof eine<br />

schnelle Internet-Verbindung bekommt“.<br />

Wolf setzt auf eine verstärkte Mittelstandspolitik<br />

und will die umstrittenen Bildungsreformen<br />

von Grün-Rot in Baden-Württemberg<br />

stärker zurückdrehen als Kontrahent<br />

Strobl.<br />

Kandidat 1 Landtagspräsident Wolf, 53, weiß die CDU-Fraktion hinter sich<br />

»Wir dürfen uns<br />

nicht einseitig auf<br />

einen Koalitionspartner<br />

festlegen«<br />

der Mitgliederbefragung ist für den 5. Dezember<br />

angekündigt. Auch wenn Strobl<br />

nach einer am Donnerstag veröffentlichten<br />

Umfrage bei den CDU-Wählern vorn liegt,<br />

rechnen Insider mit einem Kopf-an-Kopf-<br />

Rennen.<br />

Thomas Strobl ist CDU-Landeschef im<br />

Südwesten und stellvertretender Bundesvorsitzender<br />

seiner Partei. Der Rechtsanwalt<br />

aus Heilbronn sitzt seit 1998 im Deutschen<br />

Bundestag, ist Experte für Innenpolitik<br />

– und Schwiegersohn von Bundesfinanzminister<br />

Wolfgang Schäuble. Sein Ge-<br />

32 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Es geht um viel für die beiden, aber auch<br />

für die Partei. Noch immer wirkt das Wahldebakel<br />

von 2011 nach, als die ausgezehrte<br />

und von Affären gebeutelte CDU und ihr<br />

Ministerpräsident Stefan Mappus die<br />

Macht an die bundesweit erste Landesregierung<br />

unter grüner Führung abgeben<br />

mussten. Die Partei brauchte lange, sich<br />

mit der Oppositionsrolle zu arrangieren.<br />

Die Rückeroberung ihres konservativen<br />

Stammlandes, in dem die CDU zuvor fast<br />

58 Jahre regiert hatte, würde nicht nur die<br />

Schmach von 2011 tilgen. Sie würde den<br />

Gewinner auch zu einem Machtfaktor in<br />

der Bundes-CDU machen.<br />

Die Chancen sind gar nicht mal schlecht.<br />

Bei der Bundestagswahl holte die CDU im<br />

Südwesten 45,7 Prozent und war damit<br />

stärkster CDU-Landesverband. Nach einer<br />

aktuellen Wahlumfrage des Meinungsforschungsinstituts<br />

infratest dimap für den<br />

Südwestrundfunk liegen CDU und Grün-<br />

Rot in Baden-Württemberg derzeit gleichauf.<br />

Die CDU bringt es auf 41 Prozent, die<br />

Grünen liegen bei 21 Prozent, die SPD<br />

krebst bei 20 Prozent herum. Da es die AfD<br />

nach jetzigem Stand in den Landtag schaffen<br />

dürfte (6,0 Prozent), wäre die grün-rote<br />

Mehrheit dahin.<br />

Kandidat 2 CDU-Vizechef Strobl, 54, setzt auf sein Berliner Netzwerk<br />

Schon einmal gab es in der Landes-CDU<br />

eine Urabstimmung, im Jahr 2004 ging es<br />

um die Nachfolge des Ministerpräsidenten<br />

Erwin Teufel. Der parteiinterne Wahlkampf<br />

zwischen Annette Schavan und<br />

Günther Oettinger lief allerdings atmosphärisch<br />

aus dem Ruder und führte am<br />

Ende zu einer jahrelangen Lagerbildung in<br />

der Partei.<br />

Wolf und Strobl beteuern daher, einen<br />

fairen Wahlkampf führen zu wollen. Ganz<br />

ohne Hakeleien geht es aber auch diesmal<br />

nicht. Strobl bezeichnet das gegenseitige<br />

Verhältnis als „anständig und sachlich“,<br />

was in der Politikersprache so viel heißt<br />

wie: Wir sind keine Freunde. Vorstellungstermine<br />

der beiden im CDU-Bezirk des anderen<br />

wurden von den dortigen Mitgliedern<br />

teilweise boykottiert. Wenn Wolf sagt,<br />

die CDU brauche „einen echten Neuanfang“,<br />

spielt er auf die Vergangenheit<br />

Strobls als Generalsekretär unter Oettinger<br />

und Mappus an. Das Strobl-Lager seinerseits<br />

streut Informationen über „boulevardeske“<br />

Auftritte und Äußerungen Wolfs,<br />

der seine Reden gern mit selbst verfassten<br />

Gedichten bereichert und ein Lyrikbändchen<br />

unter dem Titel „Politikergschwätz“<br />

veröffentlicht hat.<br />

Bereits im Vorfeld hatte es machtpolitische<br />

Spielchen gegeben. Natürlicher Spitzenkandidat<br />

wäre eigentlich CDU-Fraktionschef<br />

Peter Hauk gewesen. Da dieser intern<br />

aber umstritten ist, ließ Hauk dem Kollegen<br />

Wolf den Vortritt, durfte dafür aber<br />

Fraktionschef bleiben. Landeschef Strobl<br />

zauberte daraufhin mit Katrin Schütz eine<br />

Generalsekretärin aus dem Hut – und setzte<br />

sich so als Frauenförderer und Parteireformator<br />

in Szene.<br />

KOMPETENZ VERLOREN<br />

Zumindest in einer Frage sind sich Strobl<br />

und Wolf einig. Angesichts des Siechtums<br />

der FDP würden sie sich notfalls auch von<br />

den Grünen zum Ministerpräsidenten<br />

wählen lassen. „Wir haben bei der vergangenen<br />

Wahl den Fehler gemacht, uns zu<br />

früh und zu einseitig auf einen Koalitionspartner<br />

festzulegen. Ein solcher Fehler darf<br />

sich nicht wiederholen“, sagt Wolf. Er sehe<br />

„prinzipiell Koalitionsperspektiven bei allen<br />

im Landtag vertretenen Parteien“. Gemeinsamkeiten<br />

mit den Grünen macht er<br />

in der Haushalts-und Finanzpolitik aus,<br />

„aber auch beim Thema Bewahrung der<br />

Schöpfung“. Wolf: „Bei diesem ureigenen<br />

christlich-konservativen Thema haben wir<br />

leider Kompetenz an die Grünen verloren.“<br />

Strobl argumentiert ähnlich. Nach der<br />

Bundestagswahl 2013 zählte er zu den<br />

CDU-Granden, die ernst gemeinte Koalitionsgespräche<br />

mit der Ökopartei forderten.<br />

In Baden-Württemberg will er zwar „die<br />

»Wir brauchen<br />

einen Masterplan<br />

für die digitale<br />

Entwicklung«<br />

FOTOS: VISUM/ANDY RIDDER, FRANK ZAURITZ<br />

FDP nicht völlig abschreiben“ und hält die<br />

jüngste Ankündigung der Landes-Grünen,<br />

mehr Wirtschaftsnähe zu entwickeln, für<br />

Wortgeklingel. „Der Abstand zwischen<br />

Worten und Taten bei den Grünen ist derzeit<br />

so groß wie zwischen Tuttlingen und<br />

Tunesien.“ Gleichwohl „sollte sich die CDU<br />

für 2016 alle Koalitionsoptionen offen halten.<br />

Festlegungen zur Unzeit schaden nur.“<br />

Da passt es prima, dass Ministerpräsident<br />

Kretschmann seinerseits vor „Ausschließeritis“<br />

in der Koalitionsfrage warnt. n<br />

bert.losse@wiwo.de<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 33<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

Auktion paradox<br />

ENERGIE | Strom aus erneuerbaren Quellen wird künftig nicht mehr<br />

nach politischem Gusto honoriert, sondern per Ausschreibung.<br />

Versteigerungen faszinieren die Menschen.<br />

Der prickelnde Kampf der<br />

Bieter, die in schwindelerregende<br />

Höhe kletternden Preise. Wenn bei Christie’s<br />

oder Sotheby’s ein Picasso, ein Monet<br />

oder ein van Gogh einen neuen Rekord erzielt,<br />

dann kommt das als Meldung in den<br />

Fernsehnachrichten. Immer mehr Immobilieninteressenten<br />

wagen sich zu Zwangsversteigerungen<br />

und Grundstücksauktionen.<br />

Künftig wird auch unsere Stromversorgung<br />

von Bieterschlachten abhängen.<br />

Ab 2017 soll der weitere Ausbau der erneuerbaren<br />

Energien mittels Auktionen organisiert<br />

werden. Nur das Prinzip wird genau<br />

umgekehrt sein wie bei den üblichen<br />

Versteigerungen. Wer sein Verkaufsobjekt<br />

zum Auktionator bringt, will einen möglichst<br />

hohen Preis erzielen. Beim Zuteilen<br />

der Baugenehmigungen für große Ökostromanlagen<br />

sollen dagegen die günstigsten<br />

Anbieter den Zuschlag bekommen.<br />

Das Auktionsmodell ist die ökonomischpolitische<br />

Antwort auf die horrenden Kosten,<br />

die der Aufbau des Ökostromsystems<br />

bisher verursacht hat. Bisher legten die Ministerialbeamten<br />

im Bundeswirtschaftsministerium<br />

und die Abgeordneten des Bundestages<br />

im Erneuerbaren-Energien-Gesetz<br />

(EEG) fest, wie hoch die Einspeisevergütung<br />

für jeden Anlagentyp sein sollte, gestaffelt<br />

nach Energieträger (wie Sonne,<br />

Wind, Biomasse) und Leistung. Eine hochgradig<br />

politisierte Entscheidung, die in der<br />

Vergangenheit beispielsweise dazu führte,<br />

dass die in Deutschland besonders wenig<br />

Spiegelbild Mit Ausschreibungen kontert<br />

die Politik die <strong>Ausgabe</strong>nexplosion des EEGs<br />

ergiebige Sonnenkraft besonders großzügig<br />

bedacht wurde. Der Solarzellen-Wildwuchs<br />

auf Hausdächern, Äckern und an<br />

Autobahnrändern war die Folge.<br />

Für Kleinanlagen der Häuslebauer ändert<br />

sich nichts, aber für Großinstallationen<br />

ist bald Schluss mit der Willkür. Die<br />

Beihilferichtlinien der EU regeln, dass<br />

künftig die Menge an Kraftwerksleistung<br />

ausgeschrieben wird – der Preis soll sich in<br />

der Versteigerung bilden. Die EU-Kommission<br />

hatte die Novelle des EEGs nur mit der<br />

Auflage genehmigt, dass bereits im nächsten<br />

Frühjahr das erste Pilotverfahren für<br />

Großflächen-Solaranlagen anläuft. Nach<br />

dem Modell sollen ab 2017 auch alle Windparks<br />

und Biomasse organisiert werden.<br />

Das Bundeswirtschaftsministerium hat<br />

vergangene Woche seinen Entwurf an die<br />

anderen Ressorts zur Abstimmung verschickt.<br />

Nun sollen Auktionen dazu füh-<br />

Auktionsmodell Einheitspreis<br />

Die Vergütung für alternative Energien soll sich künftig nach dem<br />

Preis des Angebots richten, bei dem das Ausschreibungsziel (in Megawatt) erreicht wird.<br />

Auch die günstigeren Anbieter erhalten dann diesen Preis<br />

Preisangebot<br />

in Cent/kWh*<br />

12<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

Endgültige Vergütung<br />

für alle Anbieter A–E<br />

* kWh = Kilowattstunde; ** MW = Megawatt<br />

Ausschreibungsziel: 200 MW<br />

sollen installiert werden<br />

Anbieter<br />

A B C D E F<br />

50 100 150 200 250<br />

Anbieter F kommt<br />

nicht zum Zug<br />

Leistung<br />

in MW**<br />

ren, dass der Subventionscharakter<br />

schwindet und nur die Kosten bezahlt<br />

werden, die wirklich anfallen. So sollen im<br />

nächsten Jahr insgesamt 600 Megawatt<br />

(MW) Solarleistung in drei Tranchen ausgeschrieben<br />

werden, etwas mehr als der<br />

von der Bundesregierung geplante Zuwachs<br />

von rund 500 MW. Der Grund ist<br />

einfach:Etwas Schwund ist immer, irgendwo<br />

geht es mit der Genehmigung oder<br />

dem Aufbau langsamer.<br />

Wer in dem Geschäft mitmischen will,<br />

gibt ein (An-)Gebot ab: Welche Kraftwerksleistung<br />

er zu welchem Kilowattstundenpreis<br />

installieren möchte. Nach Ablauf der<br />

Bietungsfrist sortiert die Behörde die Angebote<br />

nach der Höhe des Preises. Die günstigsten<br />

Anbieter kommen zum Zug, bis die<br />

geplante Menge erreicht ist (siehe Grafik).<br />

In dem Pilotverfahren testet das Ministerium<br />

verschiedene Varianten der Vergütung.<br />

Mal gilt: „Pay-as-you-bid“ – jeder bekommt<br />

genau den Satz je Kilowattstunde,<br />

den er in der Auktion aufgerufen hat. In einer<br />

anderen Versteigerungstranche gilt<br />

dann das Einheitspreisverfahren: Die Vergütung,<br />

die allen erfolgreichen Anbietern<br />

bezahlt wird, richtet sich nach dem Preis<br />

des letzten Bewerbers, der gerade noch gebraucht<br />

wurde, um die verlangte Menge<br />

voll zu machen. Wer günstiger produzieren<br />

kann, verdient also besonders gut.<br />

STÖRENFRIEDE ABSCHRECKEN<br />

Bürgergenossenschaften, die bei der Energiewende<br />

mitmischen wollen, könnte das<br />

neue Verfahren benachteiligen. Sie müssten,<br />

um ihr Risiko zu begrenzen, zumindest<br />

schon über eine Fläche und die Genehmigung<br />

von Kommune oder Landkreis verfügen,<br />

bevor sie sich in das Abenteuer Versteigerung<br />

wagen. Die Zusammenschlüsse von<br />

Nachbarn oder Ökoaktivisten könnten ohne<br />

solide Vorarbeiten nicht mithalten.<br />

Denn das Wirtschaftsministerium möchte<br />

Spaßbieter und Hasardeure abschrecken,<br />

die erst mal ein Dumping-Gebot einreichen,<br />

um überhaupt einen Fuß in die Tür<br />

zu bekommen, oder einfach nur die Vergabe<br />

erschweren wollen. Wer sich an der Auktion<br />

beteiligen will, muss eine Sicherheit<br />

hinterlegen. Und wer nicht in der vorgegebenen<br />

Zeit von zwei Jahren nach dem Zuschlag<br />

gebaut hat, muss Strafe zahlen – bis<br />

zu 500 000 Euro stehen im Entwurf.<br />

Das wäre mal eine schöne Wendung in<br />

der Energiewende. Bisher zahlte immer<br />

der Stromkunde drauf, wenn etwas aus<br />

dem Ruder lief.<br />

n<br />

henning.krumrey@wiwo.de/Berlin<br />

FOTO: LAIF/GALLERY STOCK/STEFAN KUHN<br />

34 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

»Gutes Essen für alle«<br />

INTERVIEW | Simone Peter Die Grünen-Vorsitzende über Antibiotika<br />

für Tiere, die übergroße Koalition im Bund und Steuern.<br />

ALLES BIO<br />

Peter, 48, ist seit Oktober 2013 Co-Vorsitzende<br />

der Grünen. Die promovierte Biologin<br />

war Umweltministerin im Saarland.<br />

Frau Peter, nach einem Jahr als Grünen-<br />

Vorsitzende – was präsentieren Sie beim<br />

anstehenden Parteitag als Erfolg?<br />

Wir haben wieder Tritt gefasst. Wir hatten<br />

gute Wahlergebnisse bei den Europawahlen,<br />

in Ländern und Kommunen. Das haben<br />

wir geschafft, indem wir uns auf grüne<br />

Kernthemen besinnt haben – Umwelt,<br />

Klima, Menschenrechte.<br />

Warum sind die Grünen in der Opposition<br />

im Bundestag so leise?<br />

Bei der Rentenpolitik, den Bürgerrechten<br />

und der Energiewende machen wir deutlich,<br />

warum die Regierung zu kurz denkt.<br />

Das ist alles andere als zukunftsorientiert.<br />

Trotzdem bleibt der Eindruck, dass die<br />

Grünen mit sich beschäftigt sind. Sie beharken<br />

sich mit Ihrem Co-Vorsitzenden<br />

Cem Özdemir. Fast zeitgleich äußern Sie<br />

Gegensätzliches über Flüchtlinge, zu<br />

Steuern oder dem Bundespräsidenten.<br />

Das funktioniert schon. Wir Grüne sind ja<br />

dafür bekannt, dass wir gerne diskutieren,<br />

uns dann aber zusammenraufen. Das gilt<br />

auch für Cem Özdemir und mich.<br />

Anders als Özdemir fordern Sie eine<br />

Vermögensteuer. Sie wollen weiter das<br />

Ehegattensplitting abschaffen –<br />

anders als viele Realos. Wie soll aus der<br />

Blockade ein Konzept werden?<br />

Ich sehe keinen grundsätzlichen Widerspruch.<br />

Wir streiten beide dafür, dass unser<br />

Steuersystem gerechter werden muss.<br />

Auch in der Wirtschaftspolitik sind wir<br />

uns einig, dass wir ökologische Rahmenbedingungen<br />

setzen müssen, damit sich<br />

die Industrie modernisiert. Sonst können<br />

wir international nicht bestehen – nicht<br />

bei Autos, nicht im Maschinenbau. Wir<br />

müssen die Energiewende voranbringen.<br />

Das hat Baden-Württembergs Ministerpräsident<br />

Winfried Kretschmann gerade<br />

zu Recht noch mal betont.<br />

Sie unterstützen Herrn Kretschmann, die<br />

Grünen zur Wirtschaftspartei umzubauen?<br />

Andere warnen vor der „FDP in Grün“.<br />

»Es muss<br />

Schluss sein<br />

mit Mega-<br />

Mastanlagen«<br />

Von der FDP unterscheiden wir uns fundamental,<br />

weil wir keine Steuersenkungspartei<br />

sind und keine Klientelpartei für<br />

Unternehmen.<br />

Mit dem Ruf nach mehr Steuern für den<br />

Umbau sind die Grünen zur Bundestagswahl<br />

gestrandet. Was folgt daraus?<br />

Beispiel Ehegattensplitting. Es hält Frauen<br />

davon ab, ihre Existenz eigenständig zu sichern<br />

und eine Alterssicherung aufzubauen.<br />

Wir wollen es deshalb weiterhin<br />

abschmelzen. Das geht aber nur, wenn es<br />

sozial verträglich ist, wenn etwa Übergangsfristen<br />

gelten.<br />

Unternehmer interessiert, ob die Grünen<br />

weiter eine Vermögensabgabe oder<br />

-steuer fordern. Das greift aus deren<br />

Sicht unzulässig ins Eigentum ein.<br />

Eine Substanzbesteuerung haben wir nie<br />

gefordert. Eine gerechte Vermögensteuer<br />

muss für alle gelten und darf niemanden<br />

überfordern. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht<br />

in der mündlichen Verhandlung<br />

bei der Erbschaftsteuer die vielen<br />

Ausnahmen zu Recht als „Subventionierung<br />

des Großkapitals“ bezeichnet.<br />

Beim Parteitag debattieren Sie über Ernährung<br />

und Landwirtschaft. Die Grünen<br />

wollen neue Kennzeichen für Lebensmittel.<br />

Wer soll da noch durchblicken?<br />

Es sollen nicht mehr, sondern deutlichere<br />

Angaben her. Wir wollen zum Beispiel die<br />

Nährstoff-Ampel, die in drei Farben anzeigt,<br />

wie viel Fett, Salz und Zucker ein<br />

Produkt enthält. Anzustreben wäre eine<br />

europaweite Kennzeichnung, auch für<br />

gentechnisch veränderte Bestandteile<br />

oder die Herkunft tierischer Produkte. Es<br />

muss übersichtlicher werden. Dann kaufen<br />

weniger Menschen Nordseekrabben,<br />

die in Polen gepult und in Italien verpackt<br />

werden.<br />

Wie soll das aussehen?<br />

Verbraucher brauchen mehr Durchblick<br />

im Label-Dschungel, damit sie bewusst<br />

entscheiden können. Einiges muss aber<br />

vorher die Politik regeln. Die Verantwortung<br />

kann sie nicht allein den Verbrauchern<br />

am Supermarkregal auflasten. Dazu<br />

gehören Gesetze, etwa ein Anbauverbot<br />

für Genmais oder strenge Standards für<br />

den Einsatz von Pestiziden und Medikamenten.<br />

Wir wollen, dass Wurst, die mit<br />

Chemie und Antibiotika durchsetzt ist, gar<br />

nicht auf den Markt kommt.<br />

Wie soll Tierschutz im Stall stattfinden?<br />

Riesige Ställe dürfen nicht mehr genehmigt<br />

werden. Und wir brauchen viel strengere<br />

Regeln für den Einsatz von Antibiotika<br />

in der Tierhaltung. Inzwischen ist es so,<br />

36 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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FOTO: WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

dass Tierärzte Reserve-Antibiotika einsetzen,<br />

weil die herkömmlichen schon nicht<br />

mehr wirken. Ärzte sind alarmiert, weil<br />

die Menschen, die das Fleisch essen,<br />

ebenfalls resistent gegen eine Behandlung<br />

mit Antibiotika werden. Rückstände finden<br />

sich auch im Trinkwasser wieder.<br />

Wollen die Grünen Antibiotika in der<br />

Tiermast verbieten?<br />

Nein, aber ihr Einsatz sollte auf kranke<br />

Tiere beschränkt werden. Verboten werden<br />

muss die Behandlung mit Reserve-<br />

Antibiotika. Sonst gibt es auch für Menschen<br />

bald keine Behandlung mehr bei<br />

schweren Krankheiten.<br />

Dürfen dann nur noch 200 Tiere in einen<br />

Stall, um Krankheiten klein zu halten?<br />

Wir wollen weg von der Massentierhaltung.<br />

Die Menschen vor Ort akzeptieren<br />

das nicht mehr. Gülle ist auch ein Riesenproblem<br />

für die Böden und das<br />

Grundwasser. Wir brauchen Grenzwerte<br />

für Rückstände aus der Tiermast, und wir<br />

wollen kleinere Ställe. Es muss Schluss<br />

sein mit Mega-Mastanlagen und dem<br />

Transport von Tieren quer über den Kontinent.<br />

Das dürfte Lebensmittel aber für den<br />

Einzelnen teurer machen.<br />

Das mag auf dem Preisschild so aussehen.<br />

Es stimmt aber nicht, wenn man die Folgekosten<br />

für Umwelt und Gesundheit einbezieht<br />

und die Milliarden an Steuergeld,<br />

die heute in eine falsche Agrarpolitik fließen.<br />

Wir können es uns nicht leisten, auf<br />

Dauer ungesund zu essen. Uns geht es um<br />

gute und bezahlbare Lebensmittel für alle.<br />

Finden Sie in der Union neue Verbündete?<br />

Der Bundesgesundheitsminister<br />

kritisiert den Einsatz von Antibiotika,<br />

andere wollen die Kreatur schützen und<br />

Massentierhaltung eindämmen.<br />

Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt<br />

der Glaube. Am Ende setzen CDU und<br />

CSU doch immer auf Massenproduktion<br />

und unverbindliche Selbstverpflichtungen<br />

zum Tierschutz.<br />

Auf was achten Sie beim Einkaufen?<br />

Im Saarland kaufe ich gerne in Hofläden<br />

ein. Hier in Berlin gibt es eine sehr gute<br />

Biobäckerei vor meiner Haustüre. Unter<br />

der Woche komme ich kaum zum Einkaufen<br />

und Kochen. Ich kaufe Fleisch in der<br />

Regel nur aus Bioproduktion. Dann esse<br />

ich lieber weniger davon. Ich habe zu viele<br />

Filme über Massentierhaltung gesehen.<br />

Wenn ich abends kurz vor Ladenschluss<br />

was brauche, gehe ich auch mal in den<br />

Supermarkt.<br />

n<br />

cordula.tutt@wiwo.de | Berlin, christian schlesiger | Berlin<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 37<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

PARIS | Netflix will<br />

mit seinen Filmen<br />

das Land erobern,<br />

der gallische Widerstand<br />

bröckelt. Von<br />

Karin Finkenzeller<br />

Kulturbanausen<br />

Knapp zwei Monate ist<br />

es her, dass der amerikanische<br />

Streamingdienst<br />

Netflix ausgezogen<br />

ist, Europa zu erobern.<br />

In Frankreich hat die<br />

Ankunft viel Wirbel verursacht. Paris<br />

stört, dass Netflix in Amsterdam sitzt.<br />

Dem Land entgehen so Steuern und die<br />

Pflichtabgabe zugunsten der französischen<br />

Filmindustrie. „Kulturdumping“<br />

lautet der Vorwurf an das Unternehmen.<br />

Dessen Chef Reed Hastings hält mit<br />

einer Charme-Offensive dagegen. Französische<br />

Abonnenten, die monatlich<br />

zwischen 7,99 und 11,99 Euro für den<br />

Dienst bezahlen, können Brigitte Bardots<br />

Schmollmund noch einmal einer fachmännischen<br />

Prüfung unterziehen. Mit<br />

Filmklassikern vor allem will Netflix die<br />

Franzosen ködern. Zudem hat Hastings<br />

die Finanzierung einer französischen<br />

Produktion angekündigt.<br />

Geht die Rechnung auf? Stéphane Richard,<br />

Chef des Telekommunikationskonzerns<br />

Orange (ehemals France Télécom),<br />

gönnte seinen Kunden zunächst keinen<br />

Zugriff auf Netflix-Videos. Erst müsse das<br />

Unternehmen eine „zufriedenstellende<br />

Übereinkunft“ mit dem französischen<br />

Staat finden. Der ist mit 13,4 Prozent an<br />

Orange beteiligt. Zwei Monate und eine<br />

Regierungsumbildung später ist es so<br />

weit. Netflix sitzt zwar immer noch in<br />

Amsterdam. Doch in Paris wurden zwei<br />

besonders linke Minister in den Ressorts<br />

für Kultur und Wirtschaft ausgetauscht.<br />

Die Nachfolger wollten offenbar nicht<br />

zusehen, wie Orange-Kunden zu zwei<br />

privaten Anbietern abwandern, um eine<br />

Kultserie zu sehen, die nur zufällig „Orange<br />

is the new Black“ heißt.<br />

Karin Finkenzeller ist Frankreich-<br />

Korrespondentin der WirtschaftsWoche.<br />

BERLIN INTERN | Politiker sind im Wahlkreis ihr eigener<br />

Chauffeur – und kommen zwischen Schützenfest<br />

und Sozialstation mit Verkehrsregeln ins Gehege. Das<br />

interessiert die Wähler zu Recht. Von Cordula Tutt<br />

Rasende Republik<br />

Fährt gern schnell Ministerin Nahles ist<br />

inzwischen öfter mit Fahrer unterwegs<br />

Es trifft alle: Schwarze, Rote,<br />

Grüne, Männer und Frauen. Mal<br />

fahren sie zu schnell, mal klappt<br />

das Einparken nicht, vielleicht ist<br />

Alkohol im Spiel. Zuletzt musste sich der<br />

Chef des Verkehrsausschusses im Bundestag,<br />

Martin Burkert (SPD), erklären.<br />

Der Nürnberger Abgeordnete schildert,<br />

sein Wagen sei auf der A 6 von einem Fahrzeug<br />

berührt worden. Er habe in eine Ausfahrt<br />

ausweichen können. Dann sei er zur<br />

Polizei gefahren. Die andere Fahrerin gab<br />

hingegen an, der Politiker habe sie abgedrängt,<br />

sie sei gegen dessen Pkw geprallt.<br />

Ermittelt werden soll wegen unerlaubten<br />

Entfernens <strong>vom</strong> Unfallort. Burkert: „Heute<br />

weiß ich, das Beste ist: Anhalten, Handy<br />

nehmen, Polizei holen.“ Er sei nicht alkoholisiert<br />

gewesen.<br />

Mit den Behörden zu tun hat auch Bodo<br />

Ramelow (Die Linke), wohl nächster Ministerpräsident<br />

in Thüringen. „Bild“ zeigte ein<br />

Foto auf der B 7 <strong>vom</strong> April. Ein Skoda, der<br />

dem Linken-Vormann gehört, wurde mit 96<br />

Stundenkilometern geblitzt, erlaubt sind 60.<br />

Zu sehen sind ein Fahrer mit Ramelow-typischem<br />

Rollkragen, ein ihm ähnliches Kinn<br />

und der Rand der bekannten Brille. Doch der<br />

Rückspiegel verdeckt die Augen. Auf seiner<br />

Netzseite bestreitet Ramelow nicht direkt,<br />

dass er fuhr. Trotzdem wehrt er sich: „Laut<br />

meinem Kalender war ich da aber gerade auf<br />

dem Weg nach Wien.“ Gegen den Strafzettel<br />

schaltete er einen Anwalt ein.<br />

Als Autofahrer reagieren Politiker wie<br />

Normalos. Wähler strafen ihre Abgeordneten<br />

selten für ein Versagen, eher dafür, wie<br />

sie mit Fehlern umgehen. In puncto Reue<br />

schneidet Burkert besser ab als Ramelow.<br />

Auf Diskretion hoffen Politiker umsonst.<br />

Staatsanwälte melden sich mit dem Knöllchen<br />

beim Bundestag, der Immunitätsausschuss<br />

hat 48 Stunden Zeit. Erfolgt kein<br />

Einspruch, wird der Bescheid verschickt.<br />

Doch irgendwer sticht immer was durch.<br />

Das findet Wolfgang Bosbach (CDU),<br />

Vorsitzender des Bundestagsinnenausschusses,<br />

in Ordnung. „Natürlich haben die<br />

Leute auch jenseits der Politik ein großes<br />

Interesse an uns.“ Der Rheinländer, der<br />

zeitweilig 14 Punkte auf dem Flensburger<br />

Konto hatte, machte den „Idiotentest“ deshalb<br />

lieber fern der Wähler, in der Hauptstadt.<br />

Er rät den Kollegen: „Nicht tricksen,<br />

sondern offen sein.“ Aber Bosbach bittet<br />

auch um Verständnis. „Nach einer Veranstaltung<br />

um 22 oder 23 Uhr hat man nur<br />

noch den Wunsch: nach Hause!“<br />

Bekannt wurden die Vergehen heutiger<br />

Bundesministerinnen der SPD – beide mit<br />

ländlichem Wahlkreis und viel Fahrpraxis.<br />

Nach Medienberichten verursachte Umweltministerin<br />

Barbara Hendricks 2013<br />

beim Ausparken einen harmlosen Blechschaden<br />

und hinterließ zunächst die Visitenkarte.<br />

Den Schaden beglich sie, doch ermittelte<br />

die Polizei wegen Fahrerflucht.<br />

Ähnlich erging es Arbeitsministerin Andrea<br />

Nahles bereits 2008. Sie zahlte ein Bußgeld,<br />

weil sie die Visitenkarte ans touchierte<br />

Auto klemmte, aber nicht lange wartete.<br />

Tragischer mutete 2011 Andreas Schockenhoffs<br />

Patzer an – auch beim Parken.<br />

Schnell wurde über Ermittlungen wegen<br />

Unfallflucht und Trunkenheit berichtet. Der<br />

CDU-MdB räumte ein Alkoholproblem ein.<br />

Das zeigt, dass autofahrende Politiker ihr<br />

Image gefährden. Dagegen wehrte sich<br />

jüngst Tübingens OB Boris Palmer (Grüne).<br />

Er fand den städtischen Parkplatz verstellt<br />

und parkte das andere Auto zu. Die Falschparkerin<br />

zeigte an, ihr Lack sei beschädigt.<br />

Die Posse drang im Wahlkampf schnell an<br />

die Öffentlichkeit. Nicht gut schnitt dabei<br />

die Fitnesskette „Clever Fit“ ab, zu der das<br />

Auto gehörte. Schlau eingeparkt hatte die<br />

Mitarbeiterin wirklich nicht.<br />

FOTOS: SAMMY HART, WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />

38 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Der Volkswirt<br />

KOMMENTAR | Das Wachstum in<br />

Japan ist nicht nachhaltig. Es fehlen<br />

überfällige Strukturreformen.<br />

Von Angela Hennersdorf<br />

Leere Drohung<br />

Eine Streitkultur ist die<br />

japanische Gesellschaft<br />

nicht. Wer es<br />

wagt, Autoritäten zu<br />

widersprechen, der tut das nur<br />

indirekt. Bestes Beispiel ist aktuell<br />

Ryuzo Miyao, Mitglied im<br />

Rat der Bank of Japan (BoJ),<br />

der japanischen Notenbank.<br />

Miyao kündigte in der vergangenen<br />

Woche an, schon ab Mitte<br />

nächsten Jahres könnte die<br />

Zentralbank über den Ausstieg<br />

aus der expansiven Geldpolitik<br />

beraten. Wie passt das mit den<br />

jüngsten Beschlüssen von Notenbankchef<br />

Haruhiko Kuroda<br />

zusammen? Der hatte erst vor<br />

zwei Wochen beschlossen, seine<br />

eh schon lockere Geldpolitik<br />

durch noch größere Anleihenund<br />

Aktienkäufe auszuweiten,<br />

um der japanischen Wirtschaft<br />

auf die Sprünge zu helfen. Japanische<br />

Staatsanleihen im Volumen<br />

von jährlich 80 Billionen<br />

Yen (rund 575 Milliarden Euro)<br />

will die BoJ nun ankaufen. Seit<br />

April 2013 kauft sie bereits<br />

pro Jahr Anleihen im Volumen<br />

zwischen 60 und 70 Billionen<br />

Yen. Die deswegen etwas merkwürdige<br />

Ankündigung des<br />

Zentralbankers Miyao ist daher<br />

vor allem eine Warnung an<br />

Regierungschef Shinzo Abe.<br />

HOHE VERSCHULDUNG<br />

Mit seiner Abenomics-Politik hat<br />

der Regierungschef eine ziemliche<br />

Bauchlandung hingelegt.<br />

Überfällige Strukturreformen,<br />

etwa auf dem Arbeitsmarkt, im<br />

Gesundheitswesen, im Steuersystem,<br />

hat er nicht angepackt.<br />

Auch mit der Sanierung der<br />

Staatsfinanzen kommt Abe nicht<br />

voran. Die Verschuldung Japans<br />

liegt bei gut 240 Prozent der<br />

Wirtschaftsleistung. Nun erwägt<br />

er auch noch, die bereits geplante<br />

Steuererhöhung in 2015 abzusagen<br />

– nicht nur, weil er<br />

fürchtet, dadurch könnte sich<br />

die Konjunktur weiter abschwächen,<br />

sondern, weil Steuererhöhungen<br />

den sicheren Sieg der<br />

Opposition bedeuten würden.<br />

Bis Anfang Dezember will Abe<br />

über Neuwahlen entscheiden.<br />

Notenbanker Miyao fürchtet<br />

zu Recht, der Reformunwille des<br />

Landes könnte Investoren abschrecken.<br />

Das wäre für Japans<br />

fragile Wirtschaft kein gutes Signal.<br />

Von einem nachhaltigen<br />

Wachstum in Japan kann nicht<br />

die Rede sein – trotz all der Milliarden,<br />

mit denen die Notenbank<br />

unterstützend eingreift. Der<br />

Geldsegen der BoJ lässt allenfalls<br />

die Börsenkurse in Japan<br />

steigen (siehe Seite 90).<br />

Zwar stieg das Bruttoinlandsprodukt<br />

von Januar bis März um<br />

1,6 Prozent im Vergleich zum<br />

Vorjahresquartal. Doch das lag<br />

vor allem daran, dass Verbraucher<br />

Anschaffungen vorzogen,<br />

um Preiserhöhungen zu umgehen.<br />

Im April erhöhte Japan die<br />

Umsatzsteuer von fünf auf acht<br />

Prozent. Sicherlich ist Miyaos<br />

Ankündigung, schon bald den<br />

Geldhahn zudrehen zu wollen,<br />

nur eine leere Drohung. Doch Japan<br />

zeigt: Keine Zentralbank der<br />

Welt kann den Reformunwillen<br />

der Politik ausgleichen. Das ist<br />

auch eine Lehre für den Präsidenten<br />

der Europäischen Zentralbank,<br />

Mario Draghi. Der<br />

plant wie die BoJ eine weitere<br />

Ausweitung der lockeren Geldpolitik<br />

über den Kauf von Staatsund<br />

Unternehmensanleihen.<br />

Geldpolitik löse keine realen<br />

Probleme, sagt der US-Ökonom<br />

Allan Meltzer. „Die Lage wird<br />

nicht besser, wenn man einfach<br />

weitermacht mit Dingen, die<br />

nichts nützen.“<br />

NEW ECONOMICS<br />

Autonome Zwitscherer<br />

Trendsetter auf Twitter lassen sich nicht instrumentalisieren.<br />

Auf gezielte Werbe-Tweets reagieren sie nicht,<br />

zeigt eine neue Studie.<br />

Schöne neue Online-Werbewelt:<br />

Immer präziser können<br />

Unternehmen im Internet<br />

verfolgen, ob ihre Botschaften<br />

ankommen. Die Zahl der<br />

Klicks, die Verweildauer der<br />

Surfer – alles wird sekundengenau<br />

gemessen. Angepasst an<br />

die Vorlieben des digitalen Konsumenten<br />

ist Online-Werbung<br />

längst. Wer sich neue Automodelle<br />

im Netz anschaut, bekommt<br />

beim nächsten Surfen<br />

ziemlich sicher Autoanzeigen<br />

vorgesetzt. Für Marketingstrategen<br />

ist es besonders interessant,<br />

jene Verbraucher zu erreichen,<br />

die Trends im Netz aufnehmen<br />

und diese als Multiplikator<br />

weiterverbreiten. Angepriesen<br />

durch autonome Meinungsführer,<br />

erhoffen sich Unternehmen<br />

eine größere Streuung<br />

ihrer Angebote über die Peer-<br />

Gruppe des Verbreiters sowie<br />

eine Themensetzung in ihrem<br />

Sinne.<br />

Doch lassen sich digitale<br />

Trendsetter mit gezielter Werbung<br />

tatsächlich beeinflussen?<br />

Ist es möglich, sie mit Online-<br />

Marketingaktionen zu überzeugen,<br />

die Botschaften zu<br />

verbreiten, die die Absender<br />

gerne propagiert haben wollen?<br />

Nein, sagt eine neue Studie<br />

von Anja Lamprecht (London<br />

Business School), Catherine<br />

Tucker (MIT Sloan School of<br />

Management Cambridge) und<br />

Caroline Wiertz (City University<br />

London).*<br />

Die Wissenschaftlerinnen<br />

haben dazu einen Feldtest auf<br />

Twitter gemacht. Dort lassen<br />

sich täglich Top-Themen herausfiltern,<br />

indem man misst,<br />

welche Wörter am häufigsten<br />

* Lambrecht, Anja, Tucker, Catherine,<br />

Wiertz, Caroline, Should You Target Early<br />

Trend Propagators? Evidence from Twitter,<br />

London Business School 2014<br />

gepostet werden. Solche Trends<br />

entstehen entweder durch originäre<br />

Themensetzung von individuellen<br />

Nutzern (Trendsettern)<br />

oder durch Tweets von<br />

Unternehmen, die dafür bezahlen,<br />

dass diese besonders hervorgehoben<br />

werden. Unternehmen<br />

wie Pepsi experimentieren<br />

seit Längerem damit.<br />

WERBE-TWEET VERPUFFT<br />

Für ihren Feldtest arbeiteten die<br />

Ökonominnen mit einer britischen<br />

Wohltätigkeitsorganisation<br />

zusammen, die über vier<br />

Tage lang um Aufmerksamkeit<br />

für ihre Weihnachtshilfsaktion<br />

für Obdachlose warb. An jedem<br />

Tag identifizierte die Organisation<br />

die Top-Trends und schickte<br />

dann gezielt ihre Werbe-Tweets<br />

an die Twitterer, die einen individuellen<br />

Trend gesetzt hatten,<br />

sowie an solche, die erst auf ein<br />

Thema aufsprangen, wenn es<br />

sich schon zum Top-Thema auf<br />

Twitter entwickelt hatte.<br />

Ergebnis: Die originären<br />

Trendsetter reagierten nicht auf<br />

die Werbe-Tweets. Nur die<br />

Trend-Folger streuten die Werbe-Tweets.<br />

Die individuellen<br />

Trendsetzer hätten wenig Motivation,<br />

anderen zu folgen,<br />

schon gar nicht Werbe-Tweets,<br />

resümieren die Autorinnen.<br />

Gezielte Marketingaktionen für<br />

unabhängige Themensetzer in<br />

sozialen Netzwerken wie Twitter<br />

seien also ineffektiv. Die Autorinnen<br />

weisen selbst darauf<br />

hin, dass ihre Studie auf einem<br />

Test mit einer Wohltätigkeitsorganisation<br />

und nicht mit<br />

einem Unternehmen basiert.<br />

Überraschend ist das Ergebnis<br />

dennoch, denn bisher galt die<br />

Annahme, dass individuelle<br />

Botschafter sich sehr wohl für<br />

Werbezwecke gewinnen lassen.<br />

angela.hennersdorf@wiwo.de | Frankfurt<br />

FOTO: SASCHA PFLAEGING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

40 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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KONJUNKTUR DEUTSCHLAND<br />

Sachverständige zoffen<br />

sich mit der Regierung<br />

Es war eine kalte Dusche, die<br />

Bundeskanzlerin Angela Merkel<br />

und ihre Regierung in der<br />

vergangenen Woche von den<br />

fünf Wirtschaftsweisen verabreicht<br />

bekamen. In ihrem<br />

jüngsten Jahresgutachten ließen<br />

die Ökonomieprofessoren<br />

kein gutes Haar an der Wirtschaftspolitik<br />

der Bundesregierung.<br />

Rente mit 63, Mütterrente,<br />

Mindestlohn, Energiewende<br />

und Finanzpolitik – überall habe<br />

die Regierung „ihre wirtschaftspolitischen<br />

Spielräume<br />

ausgiebig genutzt“, schreiben<br />

die Weisen. Will heißen: Die Regierung<br />

hat weit über die Stränge<br />

geschlagen. Das mache sich<br />

nun durch negative Vertrauenseffekte<br />

dämpfend auf die Konjunktur<br />

bemerkbar. Für dieses<br />

Jahr erwarten die Weisen daher<br />

nur noch ein Wirtschaftswachstum<br />

von 1,2 Prozent. Im nächsten<br />

Jahr werde die Rate auf 1,0<br />

Prozent fallen.<br />

Volkswirtschaftliche<br />

Gesamtrechnung<br />

Real. Bruttoinlandsprodukt<br />

Privater Konsum<br />

Staatskonsum<br />

Ausrüstungsinvestitionen<br />

Bauinvestitionen<br />

Sonstige Anlagen<br />

Ausfuhren<br />

Einfuhren<br />

Arbeitsmarkt,<br />

Produktion und Preise<br />

Industrieproduktion 1<br />

Auftragseingänge 1<br />

Einzelhandelsumsatz 1<br />

Exporte 2<br />

ifo-Geschäftsklimaindex<br />

Einkaufsmanagerindex<br />

GfK-Konsumklimaindex<br />

Verbraucherpreise 3<br />

Erzeugerpreise 3<br />

Importpreise 3<br />

Arbeitslosenzahl 4<br />

Offene Stellen 4<br />

Beschäftigte 4, 5<br />

KONSUM STÜTZT<br />

Wichtigster Impulsträger für die<br />

Konjunktur bleibe der private<br />

Konsum, er werde in diesem<br />

und dem nächsten Jahr um 0,8<br />

beziehungsweise 1,5 Prozent<br />

zulegen. Dagegen seien von<br />

den Ausrüstungs- und Bauinvestitionen<br />

keine nennenswerten<br />

Wachstumsbeiträge zu erwarten,<br />

der Außenhandel<br />

werde die deutsche Wirtschaftsleistung<br />

sogar dämpfen. Angesichts<br />

dieser Analyse sollten bei<br />

den Politikern die Alarmsirenen<br />

schrillen. Denn eine Wirtschaft,<br />

die sich vor allem durch den<br />

Verbrauch des Produzierten<br />

über Wasser hält, wächst nicht<br />

nachhaltig. Dazu müssten vielmehr<br />

die Unternehmen in neue<br />

Maschinen und Anlagen investieren<br />

und den Kapitalstock up<br />

to date halten. Dass die Firmen<br />

sich mit ihren Investitionen zurückhalten,<br />

führen die fünf Weisen<br />

auch auf den wachstumsfeindlichen<br />

Kurs der Regierung<br />

zurück.<br />

Diese zeigte sich bei der<br />

Übergabe des Gutachtens unbeeindruckt<br />

von der Kritik. Es<br />

sei kaum zu verstehen, wie ein<br />

Beschluss, der noch gar nicht in<br />

Kraft ist, jetzt schon die Konjunktur<br />

dämpfe, giftete Kanzlerin<br />

Merkel mit Blick auf die Kritik<br />

an dem 2015 zur Einführung<br />

anstehenden Mindestlohn.<br />

Noch heftiger fiel das Urteil der<br />

SPD-Generalsekretärin Yasmin<br />

Fahimi aus. Sie warf den Weisen<br />

vor, sie arbeiteten mit „plakativen,<br />

teils sehr platten Wertungen“,<br />

würden „wissenschaftlichen<br />

Anforderungen nicht<br />

gerecht“ und seien mit ihrer<br />

„ganzen Methodik nicht mehr<br />

auf der Höhe der Zeit“. Da mag<br />

sich mancher Beobachter fragen,<br />

warum die Regierung angesichts<br />

der angeblich so<br />

schlechten Qualität des Gutachtens<br />

nicht Tabula rasa<br />

macht und Großökonomin Fahimi,<br />

eine gelernte Chemikerin,<br />

Wirtschaftsweise pessimistisch<br />

Wenig Wachstum...<br />

2,90<br />

0,4<br />

2,95<br />

Registrierte<br />

Arbeitslose<br />

in Millionen<br />

0,1<br />

1,2<br />

Prognose<br />

2,91<br />

1,0<br />

2,93<br />

2012 2013 2014 2015<br />

mit dem Verfassen des nächsten<br />

Jahresgutachtens beauftragt.<br />

Dann müssten sich die<br />

Berliner Regenten künftig nicht<br />

mehr über das Konvolut unabhängiger<br />

Experten aufregen.<br />

Und das Gutachten hätte tatsächlich<br />

das Prädikat miserabel<br />

verdient – ganz so wie die Wirtschaftspolitik<br />

der Regierung.<br />

...und niedrige Inflation<br />

* Gebietskörperschaften und Sozialversicherungen, in Prozent des nominalen Bruttoinlandsprodukts;<br />

Quelle: Sachverständigenrat<br />

2012 2013<br />

Durchschnitt<br />

0,4<br />

0,8<br />

1,0<br />

–4,0<br />

–1,4<br />

3,4<br />

3,2<br />

1,4<br />

2012 2013<br />

Durchschnitt<br />

–0,9<br />

–4,2<br />

0,1<br />

3,3<br />

105,0<br />

46,7<br />

5,9<br />

2,0<br />

1,6<br />

2,1<br />

2896<br />

478<br />

29355<br />

0,1<br />

0,9<br />

0,4<br />

–2,4<br />

–0,2<br />

3,0<br />

0,9<br />

1,5<br />

–0,2<br />

2,5<br />

0,2<br />

–0,2<br />

106,9<br />

50,6<br />

6,5<br />

1,5<br />

–0,1<br />

–2,5<br />

2950<br />

458<br />

29722<br />

2,0<br />

Bruttoinlandsprodukt<br />

Veränderung zum<br />

Vorjahr in Prozent<br />

Verbraucherpreise<br />

1,5<br />

Veränderung zum<br />

Vorjahr in Prozent<br />

II/13 III/13 IV/13 I/14 II/14<br />

Veränderung zum Vorquartal in Prozent<br />

0,8<br />

0,6<br />

0,0<br />

2,3<br />

3,0<br />

0,0<br />

1,4<br />

1,3<br />

Juli<br />

2014<br />

1,6<br />

4,8<br />

–0,9<br />

4,8<br />

108,0<br />

52,4<br />

8,9<br />

0,8<br />

–0,8<br />

–1,7<br />

2912<br />

484<br />

30259<br />

malte.fischer@wiwo.de<br />

1,0<br />

Prognose<br />

1,3<br />

Haushaltssaldo*<br />

0,3<br />

0,1 0,1<br />

0,0<br />

2012 2013 2014 2015<br />

1 Volumen, produzierendes Gewerbe, Veränderung zum Vormonat in Prozent; 2 nominal, Veränderung zum Vormonat in<br />

Prozent; 3 Veränderung zum Vorjahr in Prozent; 4 in Tausend, saisonbereinigt; 5 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte;<br />

alle Angaben bis auf Vorjahresvergleiche saisonbereinigt; Quelle: Thomson Reuters<br />

0,3<br />

0,7<br />

0,6<br />

–0,5<br />

1,8<br />

0,2<br />

0,7<br />

1,7<br />

August<br />

2014<br />

–3,1<br />

–4,2<br />

1,3<br />

–5,8<br />

106,3<br />

51,4<br />

8,9<br />

0,8<br />

–0,8<br />

–1,9<br />

2900<br />

494<br />

30257<br />

0,5<br />

–0,8<br />

–0,1<br />

2,1<br />

0,7<br />

0,2<br />

1,7<br />

0,7<br />

September<br />

2014<br />

1,4<br />

0,8<br />

–2,8<br />

5,5<br />

104,7<br />

49,9<br />

8,6<br />

0,8<br />

–1,0<br />

–1,6<br />

2909<br />

500<br />

–<br />

0,7<br />

0,8<br />

0,4<br />

2,1<br />

4,1<br />

1,2<br />

0,0<br />

0,5<br />

Oktober<br />

2014<br />

–<br />

–<br />

–<br />

–<br />

103,2<br />

51,8<br />

8,4<br />

0,8<br />

–<br />

–<br />

2887<br />

509<br />

–<br />

–0,2<br />

0,1<br />

0,1<br />

–0,4<br />

–4,2<br />

0,1<br />

0,9<br />

1,6<br />

November<br />

2014<br />

–<br />

–<br />

–<br />

–<br />

–<br />

–<br />

8,5<br />

–<br />

–<br />

–<br />

–<br />

–<br />

–<br />

Letztes Quartal<br />

zum Vorjahr<br />

in Prozent<br />

0,8<br />

1,0<br />

1,0<br />

2,1<br />

0,7<br />

1,6<br />

2,5<br />

4,1<br />

Letzter Monat<br />

zum Vorjahr<br />

in Prozent<br />

3,4<br />

2,0<br />

2,4<br />

8,5<br />

–4,2<br />

0,2<br />

19,7<br />

–<br />

–<br />

–<br />

–2,6<br />

11,1<br />

1,6<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 41<br />

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Der Volkswirt<br />

DENKFABRIK | Trotz der aktuell explosiven Lage könnte sich Mexiko im nächsten Jahrzehnt<br />

zum wirtschaftlichen Star in Lateinamerika entwickeln. Das liegt an Wachstumseffekten<br />

durch das Freihandelsabkommen NAFTA – aber auch an der Liberalisierung des<br />

Energiesektors, durch die die Produktionskosten deutlich sinken. Von Martin Feldstein<br />

Lohn der Integration<br />

Kann eine Energiereform<br />

ein ganzes Land<br />

voranbringen? Ja –<br />

zumindest in Mexiko.<br />

Die aktuellen Reformen der<br />

dortigen Regierung auf dem<br />

Energiesektor senken die Produktionskosten<br />

der Wirtschaft<br />

und dürften so das Wirtschaftswachstum<br />

ankurbeln. Präsident<br />

Enrique Peña Nieto hat<br />

im mexikanischen Kongress<br />

nach langen Debatten eine<br />

Mehrheit für eine Verfassungsänderung<br />

gefunden, die den<br />

Markt öffnet und nun endlich<br />

ausländische Energieunternehmen<br />

und Investoren ins<br />

Land bringen dürfte.<br />

MANGEL AN WISSEN<br />

Vor der Reform war der mexikanische<br />

Energiesektor komplett<br />

in Staatseigentum. Dem Staatskonzern<br />

Petróleos Mexicanos<br />

(Pemex) gehörten sämtliche Ölund<br />

Gasreserven des Landes;<br />

das Unternehmen war allein<br />

verantwortlich für Exploration,<br />

Produktion und Vertrieb. Auch<br />

die Stromerzeugung und<br />

-verteilung lag in den Händen<br />

der Regierung.<br />

Aus Mangel an technischem<br />

Wissen konnte Pemex die<br />

riesigen Öl- und Gasreserven<br />

Mexikos allerdings nicht ausreichend<br />

entwickeln und ausbeuten.<br />

Große Teile der Ölreserven<br />

lassen sich nur mit einer speziellen<br />

Tiefseebohrtechnik ausbeuten<br />

– über die das Unternehmen<br />

bislang nicht verfügt.<br />

Es gibt zudem eine Reihe von<br />

noch unerschlossenen Gas- und<br />

Ölfeldern, die sich mithilfe<br />

neuer Methoden wie Fracking<br />

oder Bohrspülen anzapfen ließen.<br />

Dafür aber benötigt Mexiko<br />

ebenso moderne (Auslands-)<br />

Technologie wie beim Vorhaben,<br />

veraltete Förderanlagen produktiver<br />

zu machen.<br />

Über Jahrzehnte galten die<br />

Energiereserven Mexikos als „nationales<br />

Erbe“, auf das nur eine<br />

einzige Institution Zugriff hatte:<br />

Pemex. Jedes direkte oder indirekte<br />

Fremdeigentum im Energiesektor<br />

war durch die Verfassung<br />

verboten. Somit gab es auch keine<br />

Möglichkeit für ausländische Unternehmen,<br />

über Beteiligungen<br />

ihr technisches Know-how einzubringen.<br />

»Experten<br />

schätzen, dass<br />

die Stromkosten<br />

der mexikanischen<br />

Produzenten<br />

künftig<br />

um bis zu 20<br />

Prozent niedriger<br />

liegen könnten<br />

als heute«<br />

Die jetzt erfolgte Öffnung des<br />

mexikanischen Energiesektors ist<br />

der vorläufige Schlusspunkt eines<br />

ehrgeizigen Liberalisierungs- und<br />

Integrationskurses, der 1994 mit<br />

der Verabschiedung des Freihandelsabkommens<br />

NAFTA begann.<br />

Dieses Abkommen zwischen Mexiko,<br />

Kanada und den USA verwandelte<br />

das Land im Laufe der<br />

Jahre von einer weitgehend geschlossenen<br />

Volkswirtschaft mit<br />

niedrigem Exportanteil in ein<br />

dynamisches Schwellenland, das<br />

heute ökonomisch eng mit den<br />

Vereinigten Staaten verflochten<br />

ist. Die Exporte Mexikos haben<br />

sich seit dem NAFTA-Start verzehnfacht<br />

– und 80 Prozent der<br />

Ausfuhren gehen in die USA. Viele<br />

multinationale US-Unternehmen<br />

haben in Mexiko Produktionsstätten<br />

eröffnet.<br />

GÜNSTIGES GAS<br />

Durch die neuen Energiereformen<br />

kann Mexiko nun auch von günstigem<br />

Gas aus Kanada profitieren.<br />

Dessen Preis ist in den USA und<br />

Kanada nur halb so hoch wie in<br />

Mexiko – und weniger als halb so<br />

hoch wie in Europa oder Asien.<br />

Der Zugang zu billigerem Gas<br />

dürfte vor allem die petrochemische<br />

Industrie Mexikos ankurbeln<br />

und die Energiekosten für die Produktion<br />

senken. Experten schätzen,<br />

dass allein die Stromkosten<br />

der mexikanischen Produzenten<br />

künftig um bis zu 20 Prozent niedriger<br />

liegen könnten als heute.<br />

Nicht zuletzt bietet die Energiereform<br />

auch die Chance, in der<br />

mexikanischen Energiewirtschaft<br />

Staatsbürokraten durch gut ausgebildete,<br />

professionelle Manager<br />

zu ersetzen – und den starken<br />

Einfluss der Gewerkschaften zu<br />

reduzieren.<br />

Schon vor den Energiereformen<br />

hatte Mexiko eine vernünftige<br />

makroökonomische Politik<br />

betrieben. Das Land punktet<br />

heute mit einer für Lateinamerika<br />

moderaten Inflationsrate (zuletzt<br />

4,2 Prozent), einer niedrigen<br />

Schuldenquote ( 2013: rund<br />

43 Prozent) und überschaubaren<br />

Leistungsbilanzdefiziten.<br />

Und obwohl Mexiko ein System<br />

freier Wechselkurse betreibt, ist<br />

der Wert des Peso gegenüber<br />

dem Dollar weitgehend stabil.<br />

PROBLEM KRIMINALITÄT<br />

Dies alles soll freilich nicht verschleiern,<br />

dass Mexiko immer<br />

noch mit immensen Problemen<br />

zu kämpfen hat. Im Bildungswesen<br />

etwa sind große Anstrengungen<br />

nötig. Auch die hohe<br />

Kriminalität, oft in Zusammenhang<br />

mit Drogen, hemmt die<br />

Entwicklung des Landes, wie<br />

sich in diesen Tagen besonders<br />

eindrücklich zeigt.<br />

Aber trotz solcher Probleme<br />

versprechen die Energiereformen<br />

und die wachsende Integration<br />

in die Weltwirtschaft<br />

eine gute Zukunft. Beides beschleunigt<br />

das Wirtschaftswachstum,<br />

kurbelt Einkommen<br />

und Beschäftigung an und<br />

erhöht so den Lebensstandard<br />

der Mexikaner. Mehr noch:<br />

Mexiko schickt sich an, im<br />

nächsten Jahrzehnt der wirtschaftliche<br />

Star Lateinamerikas<br />

zu werden.<br />

Martin Feldstein ist Professor<br />

an der Harvard-Universität. Der<br />

renommierte US-Ökonom<br />

schreibt jeden Monat exklusiv<br />

für die WirtschaftsWoche und<br />

wiwo.de<br />

FOTOS: LAIF/POLARIS, LAIF/REDUX/THE NEW YORK TIMES<br />

42 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Schmächtig,<br />

aber mächtig<br />

ULRICH LEHNER | Der 68-jährige Ex-Henkel-Chef ist der Prototyp des<br />

neuen Konzernkontrolleurs: ein konsensorientierter Teamplayer. Bei<br />

der Deutschen Telekom und ThyssenKrupp hat er damit Erfolg.<br />

Doch wenn es hart kommt, stößt der Kuschelkurs an seine Grenzen.<br />

Ulrich Lehner sieht die 5000<br />

Menschen nicht, die nur wenige<br />

Meter vor ihm im Dunkeln<br />

stehen. Alle Scheinwerfer<br />

sind auf ihn gerichtet. In<br />

diesen Sekunden gibt es für ihn nur eines,<br />

seinen Kontrabass. Ein letztes Mal rückt<br />

er seine große, rotbraune Hornbrille zurecht.<br />

Dann zupft er los, solo, den Jazz-<br />

Klassiker „Miss Jackie’s Delight“ des US-<br />

Saxofonisten Cannonball Adderly. Erst<br />

nach dem 64. Takt stoßen die übrigen<br />

Musiker hinzu, die Mitglieder der Jazz-<br />

Band „Wolf Doldinger & Best Friends“ .<br />

Der Auftritt des 68-Jährigen am 12. Dezember<br />

2013 geht als denkwürdiger Tag<br />

in die Geschichte der Deutschen Telekom<br />

ein. Der Bonner Konzern hatte zur<br />

Weihnachtsfeier geladen, Tausende waren<br />

an diesem Donnerstagabend in das<br />

riesige Foyer der ehemaligen T-Mobile-<br />

Zentrale am Bonner Landgrabenweg geströmt<br />

– auch und gerade, um Telekom-<br />

Chef René Obermann wenige Tage vor<br />

seinem Wechsel zum niederländischen<br />

Kabelnetzbetreiber Ziggo persönlich zu<br />

verabschieden.<br />

Doch zum Star des Abends wurde nicht<br />

der scheidende Konzernlenker, sondern<br />

Lehner, sein Kontrolleur. Der mächtige<br />

Aufsichtsratschef der Telekom hatte wenige<br />

Minuten vor seinem Auftritt sämt-<br />

»<br />

44 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Integrator maximus<br />

Multi-Aufsichtsrat Lehner ist<br />

der Gegenentwurf zu den unberührbaren<br />

Chefkontrolleuren<br />

der alten Deutschland AG<br />

FOTO: FRANK BEER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 45<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»<br />

verbindet sich Lehner mit<br />

Gleichgesinnten im Wege der<br />

körperlichen Ertüchtigung. An<br />

der Seite von Ex-BASF-Chef<br />

Jürgen Hambrecht überquerte<br />

er mit Rucksack, Steigeisen<br />

und Seil zwei Mal die Alpen,<br />

einmal von Norden nach Süliche<br />

Vorbereitungen durchkreuzt, seine<br />

vorbereitete Laudatio auf Obermann weggelegt<br />

und zum Kontrabass gegriffen.<br />

Typisch Lehner: Den Takt vorgeben, dazu<br />

den Rhythmus und die Melodie, nicht<br />

laut, aber eindeutig und bestimmt, ruhig<br />

mehrmals, damit es jeder hört, und dann,<br />

wenn der Beat steht, die Mannschaft mitnehmen,<br />

damit die ein furioses Stück abliefert.<br />

Der mächtigste und mit rund 2,2 Millionen<br />

Euro pro Jahr höchstdotierte Aufsichtsrat<br />

Deutschlands, der die Kontrollgremien<br />

von Deutscher Telekom und<br />

ThyssenKrupp leitet, dem Gesellschafterausschuss<br />

von Henkel angehört und noch<br />

Mandate beim Energieriesen E.On und<br />

Sportwagenbauer Porsche hat, verkörpert<br />

den Prototyp eines neuen Aufsichtsstils.<br />

Lehner gilt als der Gegenentwurf zu den<br />

unnahbaren Herrschern wie einst Gerhard<br />

Cromme bei ThyssenKrupp oder Heinrich<br />

v. Pierer bei Siemens. Stattdessen gibt der<br />

Hobbymusiker den großen Dirigenten, der<br />

zuhört, argumentiert, diskutiert und den<br />

Doch nach dem Zerfall der Deutschland<br />

AG vor gut zehn Jahren und dem Ausscheiden<br />

der alten Kempen änderte sich das. Inzwischen<br />

sorgt eine neue Riege Kontrolleure<br />

für ein neues Verständnis von Konzernaufsicht.<br />

Aus ihr ragt Lehner heraus. In<br />

gleicher Mission unterwegs sind aber auch<br />

Bayer-Chefkontrolleur Werner Wenning,<br />

seine Henkel-Kollegin Simone Bagel-Trah<br />

und Ex-Linde-Chef Wolfgang Reitzle, der<br />

den Reifenhersteller Continental beaufsichtigt.<br />

Sie alle stehen wie Lehner für<br />

Selbstbeschränkung, Teamgeist und den<br />

Willen, Konflikte sowohl im Aufsichtsrat als<br />

auch mit dem Top-Management zu lösen.<br />

SKAT UND SIMILAUN<br />

Auf diese Weise schmiedet Lehner eine<br />

Deutschland AG anderen Typs. Der Kitt,<br />

der ihre Mitglieder zusammenhält, ist<br />

nicht mehr das Aktienrecht, sondern das<br />

Persönliche und Informelle. So trifft sich<br />

Lehner vier Mal im Jahr mit Werner Wenning,<br />

Aufsichtsratsboss bei Bayer und<br />

E.On, zum Skat kloppen. Komplettiert wird<br />

»Im Aufsichtsrat muss jeder zu Wort kommen<br />

– am besten ehrlich und unpolitisch«<br />

Konsens will. Große Investmentfonds und<br />

Vertreter von Kleinaktionären, Gewerkschafter<br />

und Konzernvorstände betrachten<br />

ihn deswegen als Idealbesetzung für heikle<br />

Kontrollposten.<br />

Gleichwohl stehen den Bewunderern<br />

diejenigen gegenüber, denen Lehner zu<br />

sehr den Konsensonkel und Vertreter einer<br />

neuen Deutschland AG mit persönlichem<br />

Filz anstelle scharfer Kontrolle repräsentiert.<br />

Für sie nehmen Aufsichtsratschefs<br />

seines Typs die Top-Manager nicht aggressiv<br />

genug ran und grätschen nicht konsequent<br />

dazwischen, wenn diese den Fokus<br />

auf die Rendite zu verlieren drohen.<br />

Noch vor wenigen Jahren wäre Lehners<br />

Methode in deutschen Top-Konzernen undenkbar<br />

gewesen. Die großen, alten Männer<br />

der ehemaligen Deutschland AG, die<br />

sich durch Kapitalverflechtungen der Konzerne<br />

und Banken auszeichnete, handelten<br />

wie Autokraten. Deutsche-Bank-Chef<br />

Hilmar Kopper etwa kungelte 1998 mit<br />

dem damaligen Daimler-Chef Jürgen<br />

Schrempp praktisch im Alleingang die Fusion<br />

mit dem US-Autobauer Chrysler aus,<br />

die neun Jahre später desaströs scheiterte.<br />

die Runde <strong>vom</strong> früheren E.On-Finanzvorstand<br />

Hans-Michael Gaul und Sieghardt<br />

Rometsch, Vorsitzender des Aufsichtsrates<br />

beim Bankhaus HSBC Trinkaus & Burkhardt.<br />

Das Quartett, das sich mal bei Lehner<br />

im Wohnzimmer, mal bei Gaul im Garten<br />

einfindet, hat sich den Namen „GaWe-<br />

LeRos“ gegeben.<br />

Was an die spanischen Caballeros (Herren)<br />

erinnert, beinhaltet nichts anderes als<br />

die Anfangsbuchstaben der Nachnamen.<br />

„Lehner und ich sind eher auf der zahlenden<br />

Seite“, beschreibt Wenning die Runde.<br />

Geht es ums Fußball, dominiert dagegen<br />

der Bayer-Chefkontrolleur mit seiner<br />

Werkself: „Wenn Lehner von einer Sache<br />

keine Ahnung hat, dann ist es Fußball“, sagt<br />

Wenning augenzwinkernd.<br />

Außerhalb der vier Wände<br />

Ulrich Lehner<br />

Viele Dates<br />

In unseren App-<br />

<strong>Ausgabe</strong>n erhalten<br />

Sie einen Blick<br />

in Ulrich Lehners<br />

Terminkalender<br />

den und einmal von Osten nach Westen.<br />

Die beiden gehören auch dem elitären<br />

Männerzirkel der Similauner an, die einmal<br />

pro Jahr unter Leitung von Bergsteiger-Ikone<br />

Reinhold Messner durch die<br />

Alpen kraxeln (siehe Lehners Netzwerk).<br />

ZIEMLICH FLOTTER STUDENT<br />

Lehner hätte es wohl kaum zum Aushängeschild<br />

an die Spitze der Bewegung gebracht,<br />

verfügte er nicht über eine ziemlich<br />

einzigartige Mischung aus Erfahrung, Qualifikation,<br />

Instinkt und Bodenständigkeit.<br />

Die Volkstümlichkeit verdankt Lehner<br />

seiner Herkunft. Am 1. Mai 1946 als eines<br />

von vier Kindern eines Holzhändlers im<br />

Düsseldorfer Arbeiterstadtteil Bilk geboren,<br />

lernt er anzupacken. Er schleppt Holz,<br />

später schreibt er Rechnungen. Verständnis<br />

für Industrie und Technik tankt der<br />

Kleinbürgerspross nach dem Abitur an der<br />

Technischen Hochschule Darmstadt, wo<br />

er Wirtschaftsingenieurwesen und Maschinenbau<br />

studiert. Nach nur vier Jahren<br />

schließt er 1972 sein Studium mit einer Diplomarbeit<br />

über die „Auswirkung der<br />

Dienstdauervorschrift der Bahn auf Eisenbahnunfälle“<br />

ab. „Ich bin damals schon ein<br />

ziemlich flotter Student gewesen“, sagt er.<br />

Und die Tiefen von Konzernbilanzen und<br />

Steuerrecht lernt Lehner nach einer kurzen<br />

Zeit als Uni-Assistent bei der Deutschen<br />

Treuhand-Gesellschaft in Düsseldorf kennen.<br />

Dort lässt er sich zum Steuerberater<br />

ausbilden und macht zwei Jahre danach<br />

noch den Abschluss als Wirtschaftsprüfer.<br />

Das Entree in die Top-Aufsichtsratsszene<br />

resultiert jedoch aus der Zeit beim Düsseldorfer<br />

Chemie- und Konsumgüterhersteller<br />

Henkel (Pril, Pritt, Persil), wo Lehner<br />

1981 im Alter von 35 Jahren als Leiter<br />

Beteiligungen Inland seine Karriere beginnt.<br />

Nach einem Exkurs von drei Jahren<br />

bei der Friedrich Krupp GmbH in Essen<br />

kehrt er 1986 zurück und tritt nach einigen<br />

Stationen im Jahr 2000 die Nachfolge von<br />

Hans-Dietrich Winkhaus an der Konzernspitze<br />

an. Als er diese nach acht Jahren verlässt,<br />

hat er den Konzern internationalisiert,<br />

wie es keinem anderen Dax-Konzernchef<br />

gelang.<br />

Im Stil des Düsseldorfer Familienkonzerns,<br />

Konflikte im<br />

Stillen und ohne Krawall beizulegen,<br />

regiert Lehner nun auch<br />

im Herzen der deutschen Industrie<br />

und kommt damit offenbar<br />

bei den meisten Akteuren<br />

an. Die deutsche Fondsgesellschaft<br />

Union Investment<br />

»<br />

FOTO: FRANK BEER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, ACTION PRESS (2), PR (5), PICTURE-ALLIANCE/DPA (10), DDP IMAGES, PHOTOTHEK, OKAPIA/IMABROKER, FACE TO FACE, IMAGO (2), EVENTPRESS, AP, BLOOMBERG NEWS, MARC-STEFFEN UNGER<br />

46 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Gruppenbild mit Dame<br />

Das Netzwerk des Ulrich Lehner<br />

Wulf Bernotat<br />

Ex-E.On-Chef<br />

Carsten Spohr<br />

Lufthansa-Chef<br />

Lothar Steinebach<br />

Ex-Finanzvorstand Henkel<br />

Wolf Doldinger<br />

Coach/Managementberater<br />

Hans Michael Gaul Sieghardt Rometsch<br />

Ex-E.On-Vorstand<br />

August-Wilhem Scheer<br />

Scheer Group<br />

Ex-HSBC-Banker<br />

Werner Wenning<br />

René Obermann<br />

Ex-Telekom-Chef<br />

Bernhard Schadeberg August Oetker<br />

Oetker<br />

Krombacher-Inhaber<br />

Ernst Tanner<br />

Hans-Joachim Körber<br />

Lindt&Sprüngli-Chef<br />

Ex-Metro-Chef<br />

Die<br />

Die Aufsichtsratsfreunde<br />

Die Connaisseure<br />

Similauner-Seilschaft<br />

Die Jazz-Band<br />

Die Skatrunde<br />

Die Henkel-Connection<br />

(Gesellschafterausschuss)<br />

Die Chemie-Granden<br />

Aufsichtsratschef E.On<br />

Aufsichtsratschef E.On<br />

Werner Wenning<br />

Karl-Ludwig Kley<br />

Merck-Chef<br />

Jürgen Hambrecht<br />

Werner Müller<br />

Ex-BASF-Chef<br />

Ex-Evonik-Chef<br />

Chef der RAG-Stiftung<br />

Herbert Henzler<br />

Ex-McKinsey-Chef<br />

Hubert Burda<br />

Burda-Verlag<br />

Wolfgang Reitzle<br />

Ex-Linde-Chef<br />

Aufsichtsratschef Dt. Bank<br />

Paul Achleitner<br />

Kasper Rorsted<br />

Henkel-Chef<br />

Norbert Reithofer<br />

Simone Bagel-Trah<br />

Vorstandschef BMW Clan-Chefin<br />

Herbert Hainer<br />

Werner Wenning<br />

Christoph Henkel<br />

Aufsichtsratschef E.On Erbe und Unternehmer<br />

René Obermann Klaus Zumwinkel Jürgen Hambrecht<br />

Adidas-Chef Ex-Telekom-Chef Ex-Chef Deutsche Post<br />

Ex-BASF-Chef<br />

Reinhold Messner<br />

Jürgen Weber<br />

Bergsteiger Aufsichtsratschef Lufthansa<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 47<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»<br />

etwa, die Kundenvermögen in Höhe von<br />

rund 225 Milliarden Euro verwaltet,<br />

stimmte 2013 seiner Wiederwahl zum Aufsichtsratsvorsitzenden<br />

der Deutschen Telekom<br />

zu. Das war eine kleine Sensation.<br />

Denn Lehner verfügt über mehr als fünf<br />

Aufsichtsratsmandate, was gegen die internen<br />

Richtlinien vieler institutioneller Anleger<br />

verstößt.<br />

Union-Fondsmanager Ingo Speich erklärt<br />

sein positives Votum nicht nur damit,<br />

dass Lehner signalisiert habe, die Zahl seiner<br />

Mandate zu reduzieren. Für Speich<br />

zählt vor allem, dass Lehner bei den deutschen<br />

Unternehmen „einen guten Job“<br />

mache. Bei ThyssenKrupp etwa sei für die<br />

Nachfolge Crommes „niemand außer Lehner<br />

ernsthaft“ infrage gekommen. „Er polarisiert<br />

nicht, er stellt sich selbst nicht in<br />

den Mittelpunkt. Wenn Veränderungen<br />

anstehen, bemüht er sich, alle mitzunehmen,<br />

von den Mitarbeitern bis zu den Aktionären“,<br />

sagt Speich.<br />

Ähnlich argumentieren die Verwalter<br />

der Fondsgesellschaften des Versiche-<br />

Sache und niemals sich in den Mittelpunkt.“<br />

Ins gleiche Horn stößt Höttges’ Vorgänger<br />

Obermann. Lehner sei „ ein Meister darin,<br />

bei komplexen Themen die wesentlichen<br />

Dinge herauszuarbeiten und für Klarheit<br />

zu sorgen“. Das sei „eine seiner größten<br />

Stärken“. Gemeinsam mit Lehner sitzt<br />

der ehemalige Telekom-Chef inzwischen<br />

in den Aufsichtsräten von E.On und ThyssenKrupp.<br />

Lehner selbst sieht seine Hauptaufgabe<br />

als Chefkontrolleur darin, die richtigen Talente<br />

für Vorstand und Aufsichtsrat zu finden.<br />

Ein gut zusammengesetzter Aufsichtsrat<br />

ist für ihn „ein Kollektivorgan“. Die<br />

früher übliche Blockbildung zwischen Kapital-<br />

und Arbeitnehmerseite ist ihm ein<br />

Gräuel. Zufrieden ist Lehner dann, wenn<br />

sich „alle Talente vernünftig und offen“<br />

einbrächten. „Jeder muss zu Wort kommen<br />

– am besten ehrlich und unpolitisch.“<br />

Aus der Verantwortung für das operative<br />

Geschäft entlässt Lehner die Manager mit<br />

seiner Arbeitsweise nicht. „Baustellenleiter<br />

»Bei Novartis und Oetker bin ich dem<br />

Ruf der Kapitalmärkte gefolgt«<br />

Ulrich Lehner zu der Entscheidung, die Beirats- und Verwaltungsratsmandate aufzugeben<br />

rungskonzerns Allianz (AGI), die 373 Milliarden<br />

Euro Kundenvermögen verwalten.<br />

Sie setzten sich ausdrücklich über das Votum<br />

des US-Aktionärsberaters Institutional<br />

Shareholder Services hinweg, die Fondsmanagern<br />

empfohlen hatte, gegen die<br />

Wiederwahl Lehners in den Telekom-Aufsichtsrat<br />

zu stimmen.<br />

ENTLARVENDE KLARHEIT<br />

Keine Frage, Lehners Konsensstrategie ist<br />

für hartgesottene angelsächsische Wadenbeißer<br />

höchst gewöhnungsbedürftig. Er<br />

sei zutiefst von der Kraft der besseren Argumente<br />

überzeugt, berichten Aufsichtsratskollegen<br />

aller Couleur. Festgefahrene<br />

Diskussionen entspanne er mit einer witzigen<br />

Bemerkung. Dass er mal wütend mit<br />

der Faust auf den Tisch haut, hat noch keiner<br />

erlebt.<br />

„Herr Lehner versteht es geschickt, immer<br />

sympathisch zu vermitteln“, sagt Timotheus<br />

Höttges, Vorstandschef bei der<br />

Deutschen Telekom. „Er kombiniert mit<br />

seiner analytischen Gabe und versteht es<br />

so, komplexe Zusammenhänge zu strukturieren,<br />

das ist oft entlarvend. Er stellt die<br />

Gang gesetzt, bei dem seit mehr als einem<br />

halbem Jahr Headhunter weltweit nach geeigneten<br />

Kandidaten suchen.<br />

PEINLICHKEIT IN DER SCHWEIZ<br />

Richtig in die Schusslinie geriet Lehner<br />

aber wegen zu großer Nähe zum früheren<br />

Chef des Schweizer Pharmakonzerns Novartis,<br />

Daniel Vasella. Als Mitglied im Verwaltungsrat<br />

genehmigte Lehner Anfang<br />

2013 Vasella als Abfindung die phänomenale<br />

Summe in Höhe von 72 Millionen<br />

Franken (rund 60 Millionen Euro). Lehner<br />

wurde ein enges Verhältnis zu Vasella<br />

nachgesagt. Der Skandal wuchs sich zur<br />

Peinlichkeit für Lehner aus, weil er das Abschiedsgeschenk<br />

mit dem sechsjährigen<br />

Verbot für Vasella rechtfertigte, bei einem<br />

Konkurrenzunternehmen anzuheuern.<br />

Vasella dagegen entschied sich, dem öffentlichen<br />

Druck nachzugeben und auf das<br />

Geld zu verzichten.<br />

Ein hartes Machtwort wäre auch beim<br />

Bielefelder Oetker-Clan vielleicht angebracht<br />

gewesen. An ihm biss sich Lehner<br />

als einer von vier familienfremden Beiratsmitgliedern<br />

die Zähne aus. Anlass war der<br />

Streit der beiden Familienzweige um die<br />

Macht, der Ende vergangenen Jahres bei<br />

der Frage der Nachfolge von Konzernchef<br />

August Oetker eskalierte. Im Zuge dessen<br />

gelang es Lehner nicht, die Sippe zu einer<br />

Fusion der hauseigenen Reederei Hamburg<br />

Süd mit dem Konkurrenten Hapag-<br />

Lloyd zu bewegen, die beide Unternehmen<br />

auf den Weltmeeren gestärkt hätte. Lehner<br />

legte Mitte des Jahres sein Amt im Oetker-<br />

Beirat nieder.<br />

Selbst als Aufsichtsrat von Porsche muss<br />

Lehner sich fragen lassen, ob er dort unabhängig<br />

genug von den Eigentümerfamilien<br />

Piëch/Porsche agiert hat. Denn möglicherweise<br />

droht ihm nun eine Anklage wegen<br />

Beihilfe zur Marktmanipulation im Zuge<br />

der geplanten VW-Übernahme durch Porsche.<br />

Die Staatsanwaltschaft vermutet,<br />

dass auch die Kontrolleure von den Übernahmeplänen<br />

gewusst und sie gegenüber<br />

Aktionären verschleiert haben. Lehner allerdings<br />

hält die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft<br />

für unbegründet.<br />

Und auch die Fondsgesellschaften wollen<br />

ihr Vertrauen in Lehner nicht als Blankoscheck<br />

für alle Ewigkeit verstanden wissen.<br />

„So viele Ämter innezuhaben ist sehr<br />

fordernd. Das kann nur eine Übergangslösung<br />

sein“, sagt Fondsmanager Speich.<br />

Lehner selbst sieht keine Gefahr, sich mit<br />

den vielen Mandaten zu übernehmen.<br />

Auch der deutsche Corporate Governan-<br />

ist der Vorstand“, sagt er. „Der Aufsichtsrat<br />

überwacht nur den Baustellenleiter.“ Damit<br />

signalisiert Lehner offenbar für jedermann<br />

erkennbar, dass sein Wort am Ende<br />

gilt. „Die freundliche Art sollte man aber<br />

nicht mit mangelnder Durchsetzungsfähigkeit<br />

verwechseln“, sagt der ehemalige<br />

DGB-Chef und langjährige Telekom-Aufsichtsrat<br />

Michael Sommer.<br />

Trotzdem steht Lehner auch in der Kritik,<br />

stößt seine Methode, mit allen Akteuren so<br />

lange zu diskutieren, bis die sich auf eine<br />

einheitliche Linie einschwören lassen, an<br />

Grenzen. Skepsis erntet der Rheinländer etwa<br />

bei ThyssenKrupp. „Cromme verkörperte<br />

Leadership, bei Lehner vermissen wir<br />

das manchmal“, sagt ein Manager, der nicht<br />

genannt werden will. „Wenn wir Cromme<br />

überzeugt hatten, zog er das auch durch.“<br />

Bei der Telekom gab Lehner offenkundig<br />

zu sehr der Bundesregierung nach, die die<br />

ehemalige baden-württembergische Kultusministerin<br />

Marion Schick (CDU) als<br />

Personalchefin wollte. „Das war ein grober<br />

Patzer“, sagt ein Betriebsrat. Schick warf<br />

nach nur zwei Jahren im April hin. Nun hat<br />

er einen „richtigen Auswahlvorgang“ in »<br />

48 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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|2|<br />

1|Jazzer Kontrabassist Lehner mit Freund<br />

und Bandleader Wolf Doldinger<br />

2|Jugendliebe Seit fast 45 Jahren mit<br />

Ehefrau Johanna verheiratet<br />

3|Jogger Beim Waldlauf kommen Lehner<br />

die besten Ideen für Reden und Vorträge<br />

4|Joker Begehrter Mann für Unternehmen<br />

in Not<br />

5|Jubel Mit Schauspielerin Veronica Ferres<br />

auf der Düsseldorfer Galopprennbahn<br />

|1|<br />

FOTOS: ANDREAS ENDERMANN, PR (2), ANDRE ZELCK, PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />

|4| |5|<br />

|3|<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 49<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»<br />

ce Kodex für gute Unternehmensführung<br />

gibt für Berufsaufsichtsräte keine Empfehlungen.<br />

Der Verzicht auf seine Jobs bei Novartis<br />

und Oetker wäre aus seiner Sicht gar<br />

nicht notwendig gewesen, sagt er. „Da bin<br />

ich dem Ruf der Kapitalmärkte gefolgt.“<br />

Um zu beweisen, dass in seinem ausgefüllten<br />

Leben noch Platz ist, zeigte Lehner<br />

der WirtschaftsWoche seinen Kalender.<br />

Die erste November-Woche sei durchaus<br />

„typisch“, sagt er. Montag und Dienstag:<br />

Reise nach Peking (als Präsident der Industrie-<br />

und Handelskammer Düsseldorf)mit<br />

dem neuen Düsseldorfer Oberbürgermeister<br />

Thomas Geisel (SPD). Mittwoch um<br />

10.30 Uhr: Jour fixe mit dem Telekom-Chef<br />

Timotheus Höttges in der Henkel-Zentrale<br />

in Düsseldorf, danach Gespräch mit einem<br />

Headhunter, abends Kontrabass-Üben mit<br />

Wolf Doldinger. Donnerstag, 9.30 Uhr:Prüfungsausschusssitzung<br />

in Essen, 12.00 Uhr:<br />

Finanzausschuss in Düsseldorf, 14.30 Uhr:<br />

Sitzung des Kuratoriums der Gerda-Henkel-Stiftung.<br />

Die Woche klingt am Freitag<br />

um 9.00 Uhr mit einer Gremiensitzung aus.<br />

Am Wochenende sind „Joggen“ und „Enkel“<br />

als fixe Termine eingetragen.<br />

ONE-MAN-SHOW MIT SEKRETÄRIN<br />

Wer Lehner bei der Arbeit beobachten will,<br />

muss ihn in seiner stattlichen Villa am<br />

nordöstlichen Stadtrand von Düsseldorf<br />

aufsuchen und darf den Blick auf das idyllische<br />

Pillebachtal genießen. Dort, in seinem<br />

Büro, parkt er acht iPads – für jeden<br />

wichtigen Posten und jedes Unternehmen,<br />

das er kontrolliert, eines. Jedes Gerät ist<br />

über eine sichere Leitung mit den Datenräumen<br />

der Firmen verbunden.<br />

Stolz verweist Lehner darauf, dass er als<br />

einer der meistbeschäftigten deutschen<br />

Konzern-Controlletti keinen Stab aus Zuarbeitern<br />

oder Assistenten beschäftigt. Bis<br />

auf seine langjährige Sekretärin ist Lehner<br />

eine One-Man-Show. „Ich arbeite gern<br />

und brauche nicht viel Schlaf“, sagt er.<br />

Auch das Wochenende sei ihm nicht heilig.<br />

„Das ist meine Überschussreserve.“<br />

Die nutzt er auch, um seine musikalischen<br />

Hobbys zu perfektionieren. Der<br />

Kontrabass kommt Lehners Persönlichkeit<br />

besonders entgegen, meint der bekannte<br />

Dirigent Dirk Joeres: „Er entspricht seinem<br />

Bedürfnis, den Dingen auf den Grund zu<br />

gehen und von dort aus eine für alles tragfähige<br />

Basis zu schaffen.“<br />

n<br />

juergen.berke@wiwo.de, mario.brueck@wiwo.de,<br />

melanie bergermann | Frankfurt, jürgen salz<br />

Lesen Sie weiter auf Seite 52 »<br />

INTERVIEW Manuel Theisen<br />

»Panische Angst«<br />

Der Experte für Unternehmensführung meint, dass deutsche<br />

Aufsichtsräte ihre Aufgabe oft unterschätzen und sich überfordern.<br />

KENNER DER KONTROLLEURE<br />

Theisen, 61,ist beurlaubter Professor für<br />

Betriebswirtschaft an der LMU München<br />

und Herausgeber der Fachzeitschrift<br />

„Der Aufsichtsrat“.<br />

Herr Professor Theisen, wie autoritär<br />

muss ein Aufsichtsratschef heute sein?<br />

Der starke Vorsitzende, der alles weiß<br />

und die anderen Kontrolleure zu Statisten<br />

degradiert, ist in Deutschland verbreitet,<br />

aber ein Auslaufmodell. Er kann<br />

das Unternehmen noch so gut kennen,<br />

mit der Fülle an Aufgaben ist er zwangsläufig<br />

überfordert. Er muss deshalb delegieren<br />

können und die richtigen Leute<br />

ins Gremium holen. Nur weil alle Experten<br />

sind, funktionieren sie noch nicht<br />

zusammen. So banal es klingt: Soziale<br />

Kompetenzen wie Teamfähigkeit werden<br />

zwangsläufig wichtiger.<br />

Schauen nette Teamplayer dem<br />

Vorstand denn genug auf die Finger?<br />

Da gibt es keinen automatischen Zusammenhang.<br />

Deutsche Aufsichtsräte sind<br />

kritischer geworden und haken nicht alles<br />

kommentarlos ab. Einige haben geradezu<br />

panische Angst vor Haftungsrisiken<br />

und sind deshalb fast übervorsichtig. Sie<br />

sollten eigentlich Sparringspartner des<br />

Vorstands sein und das Unternehmen<br />

gemeinsam mit ihm voranbringen.<br />

Stattdessen scheuen sie das Risiko.<br />

Mit wie vielen Mandaten ist ein<br />

Aufsichtsrat überfordert?<br />

Es gibt keine feste Grenze. Für manche<br />

ist eins zu viel, andere bewältigen eine<br />

ganze Reihe gut. An sich spricht nichts<br />

gegen mehrere Mandate, im Gegenteil.<br />

Gefragt ist in dem Gremium vor allem<br />

Erfahrung, und da ist es hilfreich, wenn<br />

ein Aufsichtsrat aktuelle Vergleichsmöglichkeiten<br />

anderer Unternehmen hat.<br />

Die Arbeit wird aber immer komplexer.<br />

Das liegt vor allem an der zunehmenden<br />

Regulierung und an den schärferen Leitlinien<br />

zur guten Unternehmensführung.<br />

Kartellrecht etwa war vor ein paar Jahren<br />

noch gar kein Thema im Aufsichtsrat.<br />

Heute müssen Unternehmen und ihre<br />

Kontrolleure höllisch aufpassen, dass es<br />

da keine Konflikte gibt. Ein immer größerer<br />

Teil der Aufsichtsarbeit besteht leider<br />

darin, Checklisten abzuhaken, die<br />

bestätigen, dass alles korrekt läuft.<br />

Ist das den Aufsichtsräten bewusst?<br />

Gerade hochdekorierte Manager überschätzen<br />

sich und hinterfragen die eigene<br />

Kompetenz und Leistungsfähigkeit zu<br />

wenig. Viele Mandate schmeicheln<br />

schließlich auch der eigenen Eitelkeit.<br />

Wenn es gut läuft, mag der Aufwand<br />

überschaubar sein, in Krisen aber kann<br />

ein Posten in einem einzigen Kontrollgremium<br />

fast ein Vollzeitjob sein.<br />

Wie reagieren die Unternehmen?<br />

Die Auswahl der Kontrolleure hat sich<br />

professionalisiert. Prominenz reicht als<br />

Qualifikation nicht mehr. Es müsste aber<br />

echte Bewerbungsgespräche geben, die<br />

klären, ob Kandidaten wirklich genug<br />

Zeit haben und technisch so ausgestattet<br />

sind, dass sie jederzeit auf wichtige Unterlagen<br />

zugreifen können.<br />

Gibt es überhaupt genug Kandidaten,<br />

die ausreichend qualifiziert sind?<br />

Immer weniger. Seit 2009 muss in jedem<br />

Aufsichtsrat ein Finanzexperte vertreten<br />

sein, da wird das Angebot schon knapp.<br />

Der Mangel wird sich mit weiter steigenden<br />

Anforderungen verschärfen.<br />

cornelius.welp@wiwo.de | Frankfurt<br />

FOTO: GERALD VON FORIS<br />

50 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Lenins Erben<br />

AUFSICHTSRÄTE | Eine Exklusivstudie zeigt: Die Kontrolleure werden besser, vor allem in Krisen.<br />

Ulrich Lehner ist das Vorbild: Als Aufsichtsratschef<br />

der Telekom berief er<br />

Anfang 2010 einen Sonderausschuss<br />

ein, der nur eine Aufgabe hatte: zusammen<br />

mit dem Vorstand eine Strategie<br />

für die bevorstehende Versteigerung neuer<br />

Mobilfunkfrequenzen festzulegen. Damit<br />

verhinderte Lehner, dass die Telekom im<br />

Eifer des Bietergefechts zu viel für die Frequenzen<br />

bezahlte, wie es 2000 der Fall war.<br />

Wo andere Aufsichtsräte Vorstandsentscheidungen<br />

nur abnicken, versteht Lehner<br />

sich als Sparringspartner für das Management.<br />

Das hilft: Auch die Kontrolleure<br />

von ThyssenKrupp arbeiten effektiver, seit<br />

er den früheren Oberaufpasser Gerhard<br />

Cromme abgelöst hat. Im jährlichen Ranking<br />

der Dax- und MDax-Unternehmen<br />

des Corporate-Governance-Experten Peter<br />

Ruhwedel ist der kriselnde Stahlkonzern<br />

von Platz 10 auf Platz 7 geklettert. Die Telekom<br />

hat sich zwar um einen Platz verschlechtert,<br />

aber nur, weil die Ausschüsse<br />

nicht ganz so aktiv waren wie zuletzt.<br />

Das Motto des russischen Revolutionärs<br />

Lenins gilt fort: Vertrauen ist gut, Kontrolle<br />

ist besser. „Gut abgeschnitten haben jene<br />

Aufsichtsräte, die ihre Arbeit in Krisensituationen<br />

und Transformationsprozessen intensiviert<br />

und die Vorstände engmaschig<br />

begleitet haben“, sagt Ruhwedel. Der Professor<br />

an der FOM Hochschule Duisburg<br />

legt das Ranking zum dritten Mal vor. Sieger<br />

bei den Dax-Konzernen ist die Deutsche<br />

Bank, Schlusslicht HeidelbergCement.<br />

Bewertet hat Ruhwedel die Dax- und<br />

MDax-Kontrolleure nach Arbeitsweise,<br />

Eignung, Unabhängigkeit, Vielfalt und der<br />

Transparenz ihrer Arbeit. Ruhwedels Fazit:<br />

„Die Qualität der Aufsichtsratsarbeit hat<br />

insgesamt zugenommen, es gibt aber immer<br />

noch erhebliche Unterschiede. Vor allem<br />

einige MDax-Unternehmen haben<br />

nach wie vor großen Nachholbedarf.“ n<br />

hans-juergen.klesse@wiwo.de<br />

Argusauge Achleitner<br />

Wie Dax-Aufsichtsräte arbeiten, was sie verdienen und wie sich der Börsenwert unter ihrer Ägide 2013 entwickelt hat<br />

Deutsche Bank<br />

Allianz<br />

Deutsche Börse<br />

Munich Re<br />

SAP<br />

Adidas<br />

ThyssenKrupp<br />

Commerzbank<br />

Deutsche Post<br />

Daimler<br />

Siemens<br />

Deutsche Telekom<br />

Beiersdorf<br />

E.On<br />

Infineon<br />

K+S<br />

BMW<br />

RWE<br />

Bayer<br />

Lanxess<br />

Volkswagen<br />

BASF<br />

Linde<br />

Deutsche Lufthansa<br />

Continental<br />

HeidelbergCement<br />

20<br />

12<br />

18<br />

20<br />

16<br />

12<br />

20<br />

20<br />

20<br />

20<br />

20<br />

20<br />

12<br />

12<br />

12<br />

16<br />

20<br />

20<br />

20<br />

12<br />

20<br />

12<br />

12<br />

20<br />

20<br />

12<br />

Mitglieder<br />

Durchschnittsvergütung<br />

(in Euro<br />

pro Kopf)<br />

193125<br />

174058<br />

120556<br />

116027<br />

185363<br />

76667<br />

77500<br />

84300<br />

70842<br />

150000<br />

221046<br />

129833<br />

110958<br />

264445<br />

88292<br />

127609<br />

227887<br />

123300<br />

171000<br />

156207<br />

488727<br />

249375<br />

189498<br />

107807<br />

183550<br />

67542<br />

79,2<br />

72,2<br />

83,3<br />

69,4<br />

90,3<br />

65,3<br />

71,5<br />

70,8<br />

77,8<br />

65,3<br />

71,5<br />

81,3<br />

81,3<br />

68,1<br />

74,3<br />

52,8<br />

62,5<br />

55,6<br />

55,6<br />

48,6<br />

48,6<br />

45,1<br />

47,9<br />

45,8<br />

43,1<br />

44,4<br />

Eignung<br />

91,7<br />

83,3<br />

58,3<br />

66,7<br />

83,3<br />

91,7<br />

50,0<br />

50,0<br />

58,3<br />

33,3<br />

58,3<br />

33,3<br />

41,7<br />

50,0<br />

58,3<br />

33,3<br />

50,0<br />

50,0<br />

41,7<br />

66,7<br />

41,7<br />

58,3<br />

58,3<br />

25,0<br />

66,7<br />

41,7<br />

Vielfalt<br />

100<br />

100<br />

75<br />

75<br />

50<br />

75<br />

50<br />

50<br />

75<br />

75<br />

50<br />

75<br />

75<br />

75<br />

50<br />

50<br />

50<br />

50<br />

50<br />

50<br />

75<br />

75<br />

25<br />

100<br />

50<br />

50<br />

Quelle: Peter Ruhwedel, Hochschule für Oekonomie und Management, Geschäftsjahr 2013 bzw. 2012/13. Bei der Gesamtbeurteilung (maximal 100 Punkte) wurde die<br />

Arbeitsweise mit 40 Prozent, die Transparenz mit 30 Prozent sowie Eignung und Vielfalt mit jeweils 15 Prozent berücksichtigt. Fresenius Medical Care, Fresenius SE, Henkel<br />

und Merck wurden aufgrund abweichender Rechtsform nicht beurteilt<br />

73,7<br />

78,9<br />

65,8<br />

78,9<br />

52,6<br />

65,8<br />

68,4<br />

68,4<br />

42,1<br />

65,8<br />

55,3<br />

39,5<br />

28,9<br />

42,1<br />

42,1<br />

76,3<br />

52,6<br />

57,9<br />

52,6<br />

44,7<br />

36,8<br />

31,6<br />

52,6<br />

34,2<br />

31,6<br />

36,8<br />

Gesamtpunkte/<br />

Veränderung<br />

zum Vorjahr<br />

82,5 4<br />

80,1 5<br />

73,1 5<br />

72,7 4<br />

71,9 5<br />

70,8 4<br />

64,1 4<br />

63,9 4<br />

63,7 4<br />

62,1 5<br />

61,4 5<br />

60,6 5<br />

58,7 4<br />

58,6 5<br />

58,6 5<br />

56,5 4<br />

55,8 4<br />

54,6 5<br />

51,8 5<br />

50,4 5<br />

48,0 5<br />

47,5 4<br />

47,5 4<br />

47,3 5<br />

44,2 5<br />

42,6 7<br />

Vorsitzender des Aufsichtsrats<br />

Paul Achleitner<br />

Helmut Perlet<br />

Joachim Faber<br />

Bernd Pischetsrieder<br />

Hasso Plattner<br />

Igor Landau<br />

Ulrich Lehner<br />

Klaus-Peter Müller<br />

Wulf von Schimmelmann<br />

Manfred Bischoff<br />

Gerhard Cromme<br />

Ulrich Lehner<br />

Reinhard Pöllath<br />

Werner Wenning<br />

Wolfgang Mayrhuber<br />

Ralf Bethke<br />

Joachim Milberg<br />

Manfred Schneider<br />

Werner Wenning<br />

Rolf Stomberg<br />

Ferdinand Piëch<br />

Eggert Voscherau<br />

Manfred Schneider<br />

Wolfgang Mayrhuber<br />

Wolfgang Reitzle<br />

Fritz-Jürgen Heckmann<br />

Arbeitsweise<br />

Transparenz<br />

Börsenentwicklung<br />

(in Prozent)<br />

5,2<br />

24,4<br />

30,3<br />

17,8<br />

2,7<br />

37,6<br />

–0,4<br />

9,2<br />

59,6<br />

52,2<br />

24,7<br />

44,6<br />

19,0<br />

–4,8<br />

26,6<br />

–36,1<br />

16,9<br />

–14,8<br />

41,8<br />

–26,9<br />

18,6<br />

8,9<br />

15,2<br />

8,3<br />

82,0<br />

20,3<br />

52 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Schlechter als die Dax-Kontrolleure<br />

Wie MDax-Aufsichtsräte arbeiten, was sie verdienen und wie sich der Börsenwert unter ihrer Ägide 2013 entwickelt hat<br />

Aareal Bank<br />

SGL Carbon<br />

Rhön-Klinikum<br />

Kuka<br />

Klöckner & Co.<br />

Leoni<br />

ProSiebenSat.1<br />

Sky Deutschland<br />

Axel Springer<br />

Hannover Rück<br />

DMG Mori Seiki<br />

Metro<br />

LEG Immobilien<br />

Celesio<br />

Fuchs Petrolub<br />

Hugo Boss<br />

Fraport<br />

Bilfinger Berger<br />

Gea Group<br />

MTU Aero Engines<br />

Gerresheimer Glas<br />

Dürr<br />

TUI<br />

Symrise<br />

TAG Immobilien<br />

Rheinmetall<br />

Wincor Nixdorf<br />

Stada Arzneimittel<br />

Brenntag<br />

Deutsche Wohnen<br />

Evonik Industries<br />

Norma Group<br />

Südzucker<br />

Kabel Deutschland<br />

Deutsche Euroshop<br />

Hochtief<br />

MAN<br />

Krones<br />

Talanx<br />

ElringKlinger<br />

Salzgitter<br />

Wacker Chemie<br />

Gerry Weber<br />

Rational<br />

Fielmann<br />

Aurubis<br />

12<br />

12<br />

20<br />

12<br />

6<br />

12<br />

9<br />

9<br />

9<br />

9<br />

12<br />

20<br />

6<br />

12<br />

6<br />

12<br />

20<br />

12<br />

12<br />

12<br />

12<br />

12<br />

16<br />

12<br />

6<br />

16<br />

12<br />

9<br />

6<br />

6<br />

20<br />

6<br />

20<br />

12<br />

9<br />

16<br />

16<br />

12<br />

16<br />

12<br />

21<br />

16<br />

6<br />

3<br />

16<br />

12<br />

Mitglieder<br />

Durschnittsvergütung<br />

(in Euro pro<br />

Kopf)<br />

84135<br />

43333<br />

97500<br />

70833<br />

80000<br />

120083<br />

66667<br />

106778<br />

333333<br />

99278<br />

81325<br />

68270<br />

62292<br />

81267<br />

95000<br />

180250<br />

43416<br />

108917<br />

97333<br />

83956<br />

83417<br />

82596<br />

107456<br />

77750<br />

47917<br />

84375<br />

63875<br />

117956<br />

133000<br />

40000<br />

139900<br />

74963<br />

60000<br />

35583<br />

34667<br />

128208<br />

45563<br />

41667<br />

139688<br />

51569<br />

66091<br />

109905<br />

85000<br />

214667<br />

29375<br />

102157<br />

70,8<br />

81,3<br />

82,6<br />

79,9<br />

62,5<br />

61,8<br />

74,2<br />

77,3<br />

75,0<br />

69,5<br />

62,5<br />

74,3<br />

77,3<br />

54,2<br />

64,8<br />

55,6<br />

73,6<br />

43,1<br />

58,3<br />

56,9<br />

42,4<br />

59,0<br />

51,4<br />

57,6<br />

56,3<br />

38,9<br />

52,8<br />

50,0<br />

46,1<br />

76,6<br />

59,7<br />

43,0<br />

49,3<br />

57,6<br />

52,3<br />

56,9<br />

48,6<br />

43,1<br />

45,8<br />

36,1<br />

56,3<br />

38,2<br />

45,3<br />

57,1<br />

27,1<br />

37,5<br />

Eignung<br />

83,3<br />

58,3<br />

75,0<br />

75,0<br />

75,0<br />

100,0<br />

75,0<br />

25,0<br />

58,3<br />

25,0<br />

91,7<br />

41,7<br />

100,0<br />

75,0<br />

91,7<br />

66,7<br />

58,3<br />

75,0<br />

50,0<br />

50,0<br />

75,0<br />

66,7<br />

58,3<br />

33,3<br />

83,3<br />

83,3<br />

75,0<br />

100,0<br />

33,3<br />

83,3<br />

41,7<br />

75,0<br />

50,0<br />

58,3<br />

83,3<br />

33,3<br />

25,0<br />

91,7<br />

33,3<br />

58,3<br />

75,0<br />

66,7<br />

16,7<br />

66,7<br />

16,7<br />

8,3<br />

Quelle: Peter Ruhwedel, Hochschule für Oekonomie und Management, Geschäftsjahr 2013 bzw. 2012/13. Bei der Gesamtbeurteilung (maximal 100 Punkte) wurde die Arbeitsweise<br />

mit 40 Prozent, die Transparenz mit 30 Prozent sowie Eignung und Vielfalt mit jeweils 15 Prozent berücksichtigt. 1 Im Vorjahr nicht im MDax.<br />

Vielfalt<br />

50<br />

75<br />

50<br />

50<br />

25<br />

50<br />

75<br />

75<br />

75<br />

100<br />

50<br />

50<br />

25<br />

50<br />

25<br />

75<br />

25<br />

75<br />

75<br />

25<br />

50<br />

50<br />

50<br />

50<br />

50<br />

50<br />

50<br />

25<br />

75<br />

0<br />

50<br />

50<br />

50<br />

75<br />

25<br />

50<br />

75<br />

25<br />

50<br />

50<br />

25<br />

25<br />

25<br />

0<br />

50<br />

25<br />

57,9<br />

42,1<br />

42,1<br />

44,7<br />

71,1<br />

44,7<br />

26,3<br />

44,7<br />

28,9<br />

39,5<br />

39,5<br />

47,4<br />

23,7<br />

52,6<br />

42,1<br />

36,8<br />

39,5<br />

44,7<br />

36,8<br />

60,5<br />

52,6<br />

34,2<br />

47,4<br />

50<br />

26,3<br />

44,7<br />

28,9<br />

31,6<br />

42,1<br />

13,2<br />

31,6<br />

36,8<br />

39,5<br />

10,5<br />

28,9<br />

34,2<br />

34,2<br />

31,6<br />

31,6<br />

28,9<br />

5,3<br />

23,7<br />

36,8<br />

5,3<br />

13,2<br />

10,5<br />

Gesamtpunkte/<br />

Veränderung<br />

zum Vorjahr<br />

65,7 4<br />

65,1 4<br />

64,4 4<br />

64,1 4<br />

61,3 5<br />

60,6 4<br />

60,1 4<br />

59,4 4<br />

58,7 5<br />

58,4 7<br />

58,1 4<br />

57,7 5<br />

56,8 1<br />

56,2 4<br />

56,1 4<br />

54,5 4<br />

53,8 5<br />

53,1 4<br />

53,1 4<br />

52,2 4<br />

51,5 5<br />

51,4 5<br />

51,0 5<br />

50,6 4<br />

50,4 4<br />

49,0 4<br />

48,5 4<br />

48,2 4<br />

47,3 5<br />

47,1 4<br />

47,1 1<br />

47,0 5<br />

46,6 4<br />

46,2 5<br />

45,9 4<br />

45,5 5<br />

44,7 5<br />

44,2 5<br />

40,3 5<br />

39,4 7<br />

39,1 4<br />

36,1 5<br />

35,4 4<br />

34,4 5<br />

24,8 4<br />

23,2 7<br />

Vorsitzender des Aufsichtsrats<br />

Marija Korsch<br />

Susanne Klatten<br />

Eugen Münch<br />

Bernd Minning<br />

Dieter Vogel<br />

Werner Rupp<br />

Johannes Peter Huth<br />

James Murdoch<br />

Guiseppe Vita<br />

Herbert Haas<br />

Raimund Klinkner<br />

Franz Haniel<br />

Michael Zimmer<br />

John Hammergren<br />

Jürgen Hambrecht<br />

Hellmut Albrecht<br />

Karlheinz Weimar<br />

Bernhard Walter<br />

Jürgen Heraeus<br />

Klaus Eberhardt<br />

Gerhard Schulze<br />

Klaus Eberhardt<br />

Klaus Mangold<br />

Thomas Rabe<br />

Lutz Ristow<br />

Klaus Greinert<br />

Alexander Dibelius<br />

Martin Abend<br />

Stefan Zuschke<br />

Uwe Flach<br />

Werner Müller<br />

Stefan Wolf<br />

Hans-Jörg Gebhard<br />

Jens Schulte-Bockum<br />

Manfred Zaß<br />

Pedro López Jiménez<br />

Ferdinand Piëch<br />

Ernst Baumann<br />

Wolf-Dieter Baumgartl<br />

Walter Herwarth Lechler<br />

Rainer Thieme<br />

Peter-Alexander Wacker<br />

Ernst Schröder<br />

Siegfried Meisters<br />

Mark Binz<br />

Heinz Jörg Fuhrmann<br />

Arbeitsweise<br />

Transparenz<br />

Börsenentwicklung<br />

(in Prozent)<br />

83,2<br />

–4,2<br />

38,8<br />

23,1<br />

11,0<br />

90,3<br />

69,0<br />

93,6<br />

44,6<br />

5,8<br />

56,0<br />

67,6<br />

–1,4<br />

76,3<br />

26,4<br />

29,7<br />

23,8<br />

11,7<br />

41,4<br />

3,8<br />

26,8<br />

92,0<br />

52,6<br />

23,5<br />

–7,5<br />

23,2<br />

42,1<br />

47,2<br />

35,5<br />

0,2<br />

–10,1<br />

71,8<br />

–36,7<br />

66,6<br />

0,6<br />

41,3<br />

10,5<br />

32,8<br />

14,8<br />

16<br />

–21,4<br />

61,9<br />

–15,5<br />

10,6<br />

16,5<br />

–17,7<br />

54 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»Es gibt noch viele<br />

weiße Flecken«<br />

INTERVIEW | Henning Kreke Der Douglas-Chef treibt den Radikalumbau<br />

des Handelskonglomerats zum reinen Parfümeriekonzern<br />

voran und prüft die Rückkehr an die Börse.<br />

Herr Kreke, Sie waren vor einigen Jahren<br />

Vizepräsident des Fußballbundesligisten<br />

Borussia Dortmund (BVB)...<br />

...und bin immer noch Fan, auch wenn es<br />

derzeit Erfreulicheres gibt, über das wir reden<br />

können.<br />

So schlimm?<br />

Es ist ja kaum zu verstehen, dass eine<br />

Mannschaft, die international so hervorragend<br />

spielt, in der Bundesliga solche Probleme<br />

haben kann. Hoffentlich ist mit dem<br />

Sieg im letzten Heimspiel endlich der Knoten<br />

geplatzt.<br />

Was muss die Mannschaft tun?<br />

Das fragen Sie den Falschen. Ich gehe gerne<br />

ins Stadion und drücke dem BVB als Fan<br />

weiter beide Daumen, aber das war es<br />

dann auch. Man kann als Manager einiges<br />

<strong>vom</strong> Fußball lernen, aber umgekehrt funktioniert<br />

das nicht.<br />

Wo sind die Parallelen?<br />

Dafür zu sorgen, dass die Leute, die Tore<br />

schießen können, auch die Möglichkeit dazu<br />

bekommen. Dass man hinten den Kasten<br />

sauber hält, offensiv und defensiv gut<br />

aufgestellt ist und als Team agiert. Das alles<br />

und die faszinierende Atmosphäre drum<br />

herum führen letztlich dazu, dass die Stadien<br />

– sprich bei uns die Läden – gut gefüllt<br />

sind.<br />

Wie zufrieden sind Sie denn mit der<br />

letzten Saison der Douglas-Gruppe?<br />

Wir erstellen gerade die Bilanz für das Geschäftsjahr<br />

2013/14, das am 30. September<br />

zu Ende gegangen ist. Daher nur so viel:<br />

Wir sind sehr zufrieden mit der Entwicklung,<br />

die Gruppe bleibt auf Wachstumskurs.<br />

Douglas und Thalia haben sich hervorragend<br />

geschlagen. Und Christ war –<br />

wie schon in den Vorjahren – auch wieder<br />

sehr gut unterwegs.<br />

Wenn Sie mit der Juweliersparte so<br />

zufrieden sind, warum verkaufen Sie sie?<br />

2013 hat meine Familie gemeinsam mit<br />

dem Finanzinvestor Advent Douglas von<br />

der Börse genommen. Advent ist ein Partner<br />

auf Zeit, dessen Geschäftsmodell darin<br />

besteht, Unternehmen zu kaufen und zu<br />

DER DUFT-DYNAST<br />

verkaufen. Gemeinsam verfolgen wir einen<br />

klaren Kurs, nämlich die volle Konzentration<br />

auf unsere Parfümeriesparte. Christ ist<br />

nach wie vor ein tolles Unternehmen, und<br />

die Familie Kreke würde gerne dabei bleiben.<br />

Deshalb spricht meine Familie auch<br />

mit dem neuen Eigentümer, dem Finanzinvestor<br />

3i, über eine mögliche Rückbeteiligung.<br />

Hätten Sie das nicht bereits im Vorfeld<br />

des Verkaufs klären können?<br />

Das wäre nicht sinnvoll gewesen. Wir haben<br />

uns mit Advent für den Verkauf von<br />

Christ aus der Gruppe entschieden und<br />

den Verkaufsprozess vorangetrieben. In<br />

dieser Konstellation konnten wir dann<br />

aber nicht zeitgleich in den Verhandlungen<br />

an der Seite eines möglichen Käufers auftauchen.<br />

Entweder man kauft oder man<br />

verkauft, beides gleichzeitig geht nun einmal<br />

nicht. Da muss man mögliche Interessenkonflikte<br />

vermeiden.<br />

Verhandeln Sie schon mit 3i?<br />

Unser Interesse ist dort bekannt. Auch das<br />

Christ-Team würde einen Einstieg sehr begrüßen,<br />

aber letztlich ist dies eine Entscheidung<br />

des neuen Eigentümers. Auch<br />

die Höhe einer möglichen Beteiligung ist<br />

noch völlig offen.<br />

Fallen durch den Verkauf von Christ<br />

Stellen in der Douglas Holding weg?<br />

Nein, es wird keine Stellenstreichungen geben.<br />

Einige Mitarbeiter wechseln aus der<br />

Douglas Holding zu Christ, teilweise arbeitet<br />

die Holding aber auch im Rahmen von<br />

Dienstleistungsverträgen weiter für das<br />

Unternehmen.<br />

Wofür brauchen Sie eigentlich noch eine<br />

Holding? Die Confiseriekette Hussel haben<br />

Sie im Frühjahr verkauft, Christ folgt<br />

jetzt. Auch Thalia und die Modeläden von<br />

AppelrathCüpper stehen zum Verkauf.<br />

Die Aufgaben, die heute von der Holding<br />

übernommen werden, fallen durch einen<br />

Verkauf von Tochterunternehmen nicht<br />

einfach weg. Das war auch bei allen früheren<br />

Veränderungen in unserem Portfolio<br />

nicht der Fall. Insofern stellt sich diese Frage<br />

nicht.<br />

Jetzt wollen Sie aber die komplette<br />

Gruppe zerschlagen, das ist schon eine<br />

völlig neue Dimension.<br />

Das ist nicht richtig. Wir haben vor einiger<br />

Zeit erkannt, dass unsere Strukturen nicht<br />

mehr zeitgemäß sind. Anders als früher<br />

können wir heute weder im Personalbereich<br />

noch in der Anmietung, der Warenwirtschaft<br />

oder dem Einkauf Vorteile aus<br />

der Gruppenstruktur ziehen. Zudem haben<br />

wir mit dem Ausbau unserer Parfü-<br />

Kreke, 49, hat 2001 den Chefposten der<br />

Douglas-Holding von seinem Vater Jörn<br />

übernommen. 2012 hatten die Familie Kreke<br />

und der Finanzinvestor Advent Douglas<br />

von der Börse genommen. »<br />

FOTOS: DOMINIK PIETSCH FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

56 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»<br />

meriesparte alle Hände voll zu tun. Bevor<br />

dann andere Sparten kürzertreten<br />

müssen, ist es sinnvoller, für diese Geschäftsfelder<br />

neue Eigentümerstrukturen<br />

zu suchen. Dann kommt die Fragestellung:<br />

Wer ist der beste Eigentümer für ein Geschäftsmodell,<br />

und wer entwickelt ein Unternehmen<br />

so, dass es sich im Wettbewerb<br />

nachhaltig behaupten kann?<br />

Welcher Eigentümer käme denn für Ihre<br />

Problemsparte Thalia infrage?<br />

Der Wettbewerb im Buchmarkt ist weiterhin<br />

intensiv. Aber Thalia ist gut aufgestellt<br />

und alles andere als eine Problemsparte.<br />

Operativ hat Thalia immer Geld verdient.<br />

Und mittlerweile ist auch die Profitabilität<br />

wieder auf einem Niveau, wo das Geschäft<br />

Spaß macht. Für die langfristige Weiterentwicklung<br />

von Thalia sind deshalb verschiedene<br />

Konstellationen denkbar. Wir haben<br />

aber keinen Zeitdruck und können in Ruhe<br />

mit Interessenten Gespräche führen.<br />

Ist die Sanierung jetzt abgeschlossen?<br />

Ja, der Einschnitt ins Filialnetz ist beendet.<br />

Wir schauen uns dennoch die Standorte<br />

weiter an, aber das zählt zum normalen Tagesgeschäft<br />

eines Handelsunternehmens.<br />

Nach Erledigung unserer Hausaufgaben<br />

sind wir jetzt so weit, dass Thalia nicht<br />

mehr nur mitschwimmt, sondern wieder<br />

der Taktgeber der Branche ist.<br />

Wenn man Sie so hört, gewinnt man den<br />

Eindruck, Sie wollten Ihre Thalia-Anteile<br />

nicht loswerden, sondern aufstocken?<br />

Bei Thalia wird es sicherlich irgendwann<br />

zu einem Eigentümerwechsel kommen.<br />

Aber ähnlich wie bei Christ werden wir uns<br />

als Familie Kreke sehr intensiv mit der Frage<br />

befassen, ob wir auch bei Thalia beteiligt<br />

bleiben.<br />

Steht auch die Beteiligung der Familie an<br />

der Parfümeriesparte zur Disposition?<br />

Nein. An unseren Douglas-Parfümerien<br />

werden wir definitiv festhalten.<br />

Gilt das auch, wenn Sie die Sparte im<br />

Frühjahr 2015 an die Börse bringen?<br />

Wir werden bei Douglas in jedem Fall an<br />

Bord bleiben. Ein Börsengang ist im Übrigen<br />

nur eine von mehreren Möglichkeiten,<br />

die wir derzeit prüfen. Und auch hinsichtlich<br />

des Zeitpunktes ist noch nichts entschieden.<br />

Sehen Sie in Deutschland noch<br />

Wachstumsmöglichkeiten für die Douglas-<br />

Parfümerien?<br />

Es gibt noch viele weiße Flecken. Wir haben<br />

bereits mehr als 400 Filialen in<br />

Deutschland. Ich habe in der Vergangenheit<br />

mal von 500 Standorten geträumt, das<br />

schien mir eine sinnvolle Zahl. Wenn wir<br />

»Wir erzielen in<br />

Deutschland fast 20<br />

Prozent der Douglas-<br />

Umsätze online«<br />

Alles muss raus<br />

Die Aufspaltung der Douglas-Gruppe<br />

Douglas<br />

Parfüm, Kosmetik<br />

Thalia<br />

Bücher<br />

Christ<br />

Schmuck<br />

AppelrathCüpper<br />

Mode<br />

Hussel<br />

Süßwaren<br />

Umsatz* Mitarbeiter Filialen<br />

3000 Mio. € 14000 1100<br />

Vorbereitung auf möglichen<br />

Börsengang<br />

915 Mio. € 5000 300<br />

Käufer gesucht<br />

400 Mio. € 2400 220<br />

im Oktober an Finanzinvestor<br />

3i verkauft<br />

122 Mio. € 750 13<br />

Käufer gesucht<br />

100 Mio. € 1000 219<br />

im März an Finanzinvestor<br />

Emeram verkauft<br />

* letzte verfügbare Informationen; Quelle: Unternehmen<br />

bei einer geringeren Zahl landen, ist das<br />

kein Drama, zumal wir aus kartellrechtlichen<br />

Gründen auf dem Heimatmarkt keine<br />

größeren Wettbewerber übernehmen<br />

dürfen.<br />

Das heißt, Sie müssen im Ausland expandieren,<br />

wenn Sie stärker wachsen wollen.<br />

Wo geht die Reise hin?<br />

Im Rahmen einer Franchise-Partnerschaft<br />

werden wir noch in diesem Jahr in Norwegen<br />

starten. Und wir halten auch in anderen<br />

Ländern Ausschau nach Wachstums-<br />

Chancen. Im Wesentlichen konzentrieren<br />

wir uns derzeit aber auf den französischen<br />

Markt. Da wollen wir richtig Gas geben<br />

und unsere Position ausbauen. Im Sommer<br />

haben wir den französischen Wettbewerber<br />

Nocibé übernommen, das war die<br />

größte Übernahme in der Geschichte von<br />

Douglas.<br />

Wie läuft die Integration von Nocibé?<br />

Unsere Douglas-Parfümerien waren in<br />

Frankreich über viele Jahre die Nummer<br />

vier der Branche. Direkt nach dem Kauf haben<br />

wir uns entschieden, alle französischen<br />

Douglas-Filialen auf die Marke Nocibé<br />

umzustellen. Damit haben wir auf einen<br />

Schlag das größte Parfümerie-Filialnetz<br />

in Frankreich und sind beim Umsatz<br />

die starke Nummer zwei. Wir haben das<br />

Unternehmen zwar offiziell erst zum Juni<br />

übernommen, hatten aber lange Vorlaufund<br />

Vorbereitungszeiten. Die Integration<br />

ist bis auf einige Kleinigkeiten praktisch<br />

abgeschlossen.<br />

Wie wichtig ist das Online-Geschäft für<br />

die Parfümerien?<br />

Wir erzielen in Deutschland mittlerweile<br />

fast 20 Prozent unserer Douglas-Umsätze<br />

über unseren Online-Shop – mit anhaltend<br />

steigender Tendenz. Gerade wenn Kunden<br />

bereits wissen, welches Produkt sie kaufen<br />

möchten, nutzen sie gerne unser Internet-<br />

Angebot. Das gilt zunehmend auch für unsere<br />

Auslandsmärkte.<br />

Machen Sie Ihren stationären Läden mit<br />

Ihrem Online-Shop nicht Konkurrenz?<br />

Letztlich entscheidet der Kunde, wo er einkaufen<br />

möchte. Und wenn der Online-<br />

Kunde nicht bei uns einkaufen kann, kauft<br />

er bei einem Wettbewerber. Das wäre weitaus<br />

riskanter. Wir sind aber weiter fest davon<br />

überzeugt, dass die Mehrheit der Kunden<br />

lieber stationär einkauft. Deswegen<br />

geben wir auch stationär weiter Gas. Die<br />

Möglichkeiten, Marken zu präsentieren,<br />

Innovationen zu verkaufen und über gute<br />

Beratung Kunden zu begeistern – das funktioniert<br />

nur im Laden.<br />

n<br />

henryk.hielscher@wiwo.de, stephanie heise<br />

FOTOS: DOMINIK PIETSCH FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

58 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Alles steht infrage Chefaufseher Cordes soll<br />

das Cevian-Investment bei Bilfinger retten<br />

In Sack und Asche<br />

BILFINGER | Die Agenda für Aufsichtsratschef Eckhard Cordes und<br />

für den noch zu findenden Vorstandschef des Krisenkonzerns.<br />

Für einen hochrangigen Manager aus<br />

der Bilfinger-Zentrale in Mannheim<br />

ist klar, wer den kriselnden MDax-<br />

Konzern demnächst führen muss: Jürgen<br />

Klopp. Nicht der Jürgen Klopp, aber ein Jürgen<br />

Klopp. „Wir brauchen hier einen Trainer<br />

wie ihn“, skizziert der Bilfinger-Mann<br />

seinen Wunsch-Chef, „einen mit Charisma,<br />

der eine substanzielle Strategie entwickeln<br />

und zugleich ein verunsichertes Team motivieren<br />

und mitreißen kann.“ Ein Bilfinger-<br />

Team, das – wie Klopps Dortmunder Borussen<br />

in der Bundesliga – mit höchsten<br />

Ansprüchen ins Geschäftsjahr gestartet ist,<br />

um dann spektakulär abzustürzen.<br />

Falsch ist die Parallele nicht. Bilfinger hat<br />

innerhalb der vergangenen Monate<br />

n mit vier Gewinnwarnungen die Anleger<br />

schockiert und den Aktienkurs halbiert,<br />

n woraufhin Hauptaktionär Cevian Vorstandschef<br />

Roland Koch in die Wüste<br />

schickte und<br />

n Aufsichtsratschef Bernhard Walter zum<br />

Rücktritt zwang.<br />

Und die Aussichten machen kaum Mut:<br />

„Wir werden 2015 nicht wachsen und die<br />

Marge nicht steigern können“, räumte Interims-Vorstandschef<br />

Herbert Bodner vergangene<br />

Woche ein und überlegte laut, ob<br />

die Aktionäre mit einer Dividendensenkung<br />

oder -streichung rechnen müssen.<br />

Viel zu tun für Eckhard Cordes, seit vergangener<br />

Woche im Auftrag von Cevian<br />

neu im Aufsichtsrat und Chef des Gremiums.<br />

Er muss ein Sparprogramm aufsetzen,<br />

etliche Koch-Altlasten beseitigen und<br />

Bilfinger überzeugend neu definieren.<br />

Schwer wird schon die Chefsuche – zumal<br />

es nicht nur um die Neubesetzung an<br />

der Spitze geht, sondern um den fast kompletten<br />

Vorstand. Denn die derzeitige Riege<br />

sei ein „Lame-Duck-Vorstand“, der keine<br />

Durchsetzungskraft mehr habe,<br />

urteilt ein ehemaliger Bilfinger-<br />

Top-Manager. Tatsächlich sind<br />

bis zu vier der fünf Vorstandsmitglieder<br />

Chefs auf Abruf:<br />

n Koch-Vorgänger Herbert<br />

Bodner, der eigentlich Aufsichtsratschef<br />

werden sollte,<br />

leitet den Konzern nun aus der<br />

Not heraus erneut. Sein Vertrag<br />

Köpfe<br />

Unter wiwo.de/bilfingervorstand<br />

und in den App-<br />

<strong>Ausgabe</strong>n mehr<br />

über die Top-Manager<br />

von Bilfinger<br />

läuft bis Ende Mai 2015. Überlegungen, ob<br />

er noch mehrere Jahre weitermacht, wischte<br />

der 66-Jährige, der erst seit 2013 im Aufsichtsrat<br />

saß, am vergangenen Mittwoch<br />

ironisch <strong>vom</strong> Tisch: „Ich kann mir nicht<br />

vorstellen, dass Herr Cordes mich das fragt.<br />

Es kann ja nicht jeder so lange arbeiten wie<br />

Herr Mehdorn.“<br />

n Finanzchef Joachim Müller muss gehen,<br />

sobald ein Nachfolger da ist. Offenbar wird<br />

ihm angelastet, dass die wahren Geschäftszahlen<br />

nur scheibchenweise bekannt wurden<br />

und zur Hauptversammlung im Mai<br />

noch alle Prognosen bestätigt wurden.<br />

n Vorstand Joachim Enenkel hat den Bereich<br />

Power, der Dienstleistungen für<br />

Kraftwerke erbringt und dessen Lage Bodner<br />

in Sack und Asche „desaströs“ nennt,<br />

bereits an Interimschef Bodner abgeben<br />

müssen. Enenkels Abgang wird erwartet<br />

(WirtschaftsWoche 46/2014).<br />

n Pieter Koolen zog 2013 auf dem Koch-Ticket<br />

in den Vorstand ein und blieb ein<br />

Fremdkörper bei Bilfinger. Auch sein Ressort<br />

Industriedienstleistungen floriert<br />

nicht mehr. Konzern-Insider sagen, ihn<br />

ziehe es zurück in die Niederlande.<br />

Stabil scheint derzeit allein die Position<br />

von Jochen Keysberg, im Vorstand unter<br />

anderem für Gebäudemanagement zuständig<br />

– laut Bodner der Bereich, in dem<br />

„wir rundum erfolgreich sind“.<br />

DIKTIERT VON NOT UND ELEND<br />

Cordes muss also ein Manager-Trio oder<br />

gar -Quartett gewinnen. Was das künftige<br />

Führungsteam genau tun soll, kann der frühere<br />

Daimler-, Metro- und Haniel-Manager<br />

aber derzeit nur schwer erklären. Eine neue<br />

Strategie müssen vor allem er und Aufsichtsratskollege<br />

Jens Tischendorf entwickeln.<br />

Beide sind Statthalter des schwedischen<br />

Finanzinvestors Cevian, der mehr als<br />

25 Prozent der Bilfinger-Anteile hält. Vor allem<br />

Cordes und Tischendorf entscheiden<br />

in den kommenden Monaten über die Zukunft<br />

des Konzerns.<br />

Dabei steht alles infrage, was<br />

Bodner in seiner langen Amtszeit<br />

von 1999 bis 2011 aufgebaut<br />

und was der frühere CDU-Spitzenpolitiker<br />

Roland Koch als<br />

Scherbenhaufen hinterlassen<br />

hat. Die Agenda für Cordes und<br />

sein bisher virtuelles Team wird<br />

diktiert von Not und Elend. Bei<br />

Energiedienstleistungen etwa<br />

FOTO: FRANK ZAURITZ<br />

60 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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gilt es, schnell festzulegen, auf welches Volumen<br />

der frühere Hoffnungsträger geschrumpft<br />

werden muss. Die Sparte leidet –<br />

auch international – massiv unter den Folgen<br />

der Energiewende. Die bisher verkündeten<br />

Sparprogramme werden nicht reichen.<br />

Der Geschäftsführer eines der erst vor<br />

wenigen Jahren von Bilfinger zugekauften<br />

Unternehmens sagt: „Jetzt hängen wir alle<br />

an diesem Konzern und bereuen die Übernahme.“<br />

Manchen noch jungen Bilfinger-<br />

Töchtern dürfte der erneute Verkauf bevorstehen<br />

– zu einem ungünstigen Zeitpunkt<br />

mit schlechter Performance. Die künftige<br />

Strategie wird bestimmen, welche der Unternehmen<br />

überhaupt noch zu Bilfingers<br />

Power-Bereich passen und welche nicht.<br />

Ähnliches gilt für die Industriesparte.<br />

„Mehr hochwertige Dienstleistungen, die<br />

nicht ersetzbar sind“, skizziert Bodner das<br />

mögliche neue Bilfinger-Leistungsprofil.<br />

Mitglieder der Unternehmensfamilie, die<br />

nur „Allerweltstätigkeiten“ anböten, passten<br />

nicht mehr ins Portfolio, weil die Margen<br />

dabei zu gering seien. Aufgabe der<br />

neuen Vorstände wird sein, auch hier die<br />

Verkaufskandidaten zu identifizieren.<br />

Halbe Portion<br />

Aktienkurs von Bilfinger (in Euro)<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

J<br />

4. August<br />

Rücktritt Roland Koch<br />

(Vorstandsvorsitzender)<br />

Gewinnwarnung<br />

8. Mai<br />

Hauptversammlung<br />

F M A M J J<br />

2014<br />

Quelle: Thomson Reuters<br />

11. November<br />

Amtsantritt<br />

Eckhard Cordes<br />

(Aufsichtsratschef)<br />

A S O N<br />

Erleichtert wird dies dadurch, dass<br />

Kochs Versuch, die rund 500 Bilfinger-Einzelunternehmen<br />

stärker zu vernetzen,<br />

kaum Erfolg hatte. „Bilfinger ist immer<br />

noch ein Sammelsurium von Divisionen<br />

und Firmen“, beschreibt der Chef einer<br />

Power-Tochter die Innen-Wahrnehmung,<br />

„ganz selten erkennt man eine Strategie<br />

darin. Jede Firma hat ihren eigenen Markt –<br />

einen gemeinsamen gibt’s nicht.“<br />

Daher sollten sich Cordes und Co. von<br />

einer weiteren Koch-Idee verabschieden:<br />

dem teuren Aufbau einer Auftragsdatenbank,<br />

die für „verstärktes Cross-Selling“<br />

sorgen sollte. Die Vorstellung, dass ein<br />

Kunde <strong>vom</strong> Facility Management bis zum<br />

Kraftwerksbau alles bei unterschiedlichen<br />

Bilfinger-Sparten bestellt, „ist wunderschön,<br />

aber nicht realistisch“, ätzt Bodner.<br />

Ein weiterer Rohrkrepierer aus der Koch-<br />

Ära ist nach Einschätzung eines ehemaligen<br />

Top-Managers die Einführung von Repräsentanten<br />

für Weltregionen. Die bringen<br />

wenig, weil Dienstleister wie Bilfinger<br />

eher den Auftraggebern in neue Länder<br />

folgen und ihre Präsenz weiterentwickeln,<br />

als dass sie strategisch Weltregionen definieren,<br />

um dort Marktpositionen zu erobern.<br />

Die ungeliebte Auftragsdatenbank<br />

und die Regionalrepräsentanten sind Module<br />

des Koch-Programms BEST und haben<br />

„im Unternehmen keine Akzeptanz“,<br />

sagt der Ex-Manager: „Davon sollte sich die<br />

neue Führung verabschieden.“<br />

Und eine Menge Verunsicherung in der<br />

Belegschaft muss sie ausräumen. 1250 Arbeitsplätze<br />

wollte Koch abbauen, um den<br />

zu hohen Anteil der Verwaltungskosten<br />

»<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»<br />

am Umsatz zu senken. Angesichts gesunkener<br />

Umsätze, unkt ein Betriebsrat,<br />

müsste das Verhältnis trotz des Abbaus<br />

prozentual immer noch relativ hoch sein:<br />

„Wird nun wieder mit dem Rasenmäher<br />

gespart?“<br />

Die Fülle von Problemen muss Cordes<br />

kurzfristig und gleichzeitig angehen und<br />

wird dabei <strong>vom</strong> Erfolgsdruck getrieben,<br />

unter dem sein eigener Auftraggeber steht.<br />

Der Finanzinvestor Cevian zählt zu den<br />

aktivistischen Aktionären. Die kaufen sich<br />

bei unterbewerteten Unternehmen ein,<br />

forcieren drastische Veränderungen und<br />

wollen so in relativ kurzer Zeit Wertsteigerungen<br />

erzielen. Normalerweise erwarten<br />

ihre Geldgeber nach 18 Monaten Resultate.<br />

Cevian ist zwar etwas längerfristiger ausgerichtet,<br />

doch nach spätestens fünf Jahren<br />

müssen sich die Investments rentieren.<br />

„Cevian steht enorm unter Druck“, heißt es<br />

in Finanzkreisen.<br />

Mit einem Misserfolg würde Cevian<br />

nicht nur Geld verbrennen, sondern auch<br />

seinen Ruf lädieren – und sein Geschäftsmodell.<br />

Aktivisten leben davon, dass sich<br />

ihnen andere Investoren anschließen, weil<br />

die ihnen zutrauen, Unterbewertungen<br />

125 Millionen<br />

Euro Verlust machte<br />

Bilfinger bisher 2014 –<br />

im Vorjahr gab es Gewinn<br />

besser zu erkennen. Meist löst schon ihr<br />

Einstieg einen Kursanstieg aus. Ein Flop<br />

nimmt ihnen leicht die Überzeugungskraft.<br />

Dabei gilt der ursprüngliche Plan in Finanzkreisen<br />

weiter als schlau. Die Bilfinger-Aktie<br />

galt beim Cevian-Einstieg 2011<br />

als günstig. Schon der Verkauf der Bausparte<br />

sollte Wert schaffen. Der Deal dürfte in<br />

den nächsten Wochen abgeschlossen sein.<br />

Aber der Ertrag daraus reicht wegen des<br />

operativen Totalabsturzes nicht mehr aus.<br />

„Mit Cordes’ Berufung hat Cevian die<br />

Macht bei Bilfinger übernommen“, heißt es<br />

in Finanzkreisen. Die Personalwechsel an<br />

der Spitze seien nur der Anfang eines größeren<br />

Umbaus. Cevian werde alles versuchen,<br />

um sein Engagement noch zu drehen<br />

– wie Jürgen Klopps Borussia bei einem<br />

fast schon verlorenen Spiel.<br />

n<br />

harald.schumacher@wiwo.de, cornelius welp | Frankfurt<br />

Auf der Erfolgsspur<br />

MeinFernbus fährt der<br />

Konkurrenz davon<br />

Macht der Größe<br />

FERNBUSSE | In der jungen Branche schlagen die Gesetze der<br />

Logistik unerbittlich zu: Nur wer eng vernetzt ist, gewinnt.<br />

Heute ist Familientag. Torben Greve,<br />

Gründer und Chef des Berliner<br />

Start-ups MeinFernbus (MFB), trägt<br />

ein Hemd in der Firmenfarbe Grün. Er hat<br />

Mitarbeiter sowie 87 Busunternehmer in<br />

das Park Inn Hotel am Alexanderplatz in<br />

Berlin geladen, mit denen er bundesweit<br />

ein Liniennetz aufgezogen hat.<br />

Die Stimmung ist angespannt. Denn der<br />

Preiskampf unter den Fernbusunternehmen<br />

hierzulande ist eines der großen Themen<br />

des zweitägigen Treffens. Pionier<br />

DeinBus.de hat soeben Insolvenz angemeldet,<br />

City2City den Rückzug eingeläutet<br />

und der ADAC seinen Ausstieg aus dem<br />

Gemeinschaftsunternehmen mit der Deutschen<br />

Post angekündigt. Da überrascht der<br />

MFB-Chef seine Mitarbeiter und Partner<br />

mit einer frohen Botschaft: „Wir werden in<br />

diesem Jahr aller Voraussicht nach schwarze<br />

Zahlen schreiben.“<br />

Der Kapitalismus lebt und frisst zugleich<br />

seine Kinder. Keine zwei Jahre<br />

nach der allgemeinen Zulassung<br />

von Fernbussen in<br />

Deutschland schlagen die Gesetze,<br />

die für das Geschäft in<br />

vergleichbaren Branchen wie<br />

der Logistik und Luftfahrt gelten,<br />

überraschend schnell auch<br />

bei den neuen Überlandbeförderern<br />

zu: Langfristig Chancen<br />

Interview<br />

Das Gespräch mit<br />

MeinFernbus-Chef<br />

Torben Greve lesen<br />

Sie in unseren<br />

App-<strong>Ausgabe</strong>n<br />

hat nur, wer einen Markt umfassend abdeckt.<br />

Das erfordert eine bestimmte Größe,<br />

was wiederum zu Vorteilen wie niedrigeren<br />

Stück-, sprich: Passagier- und Fahrzeugkosten,<br />

führt und dank hoher Bekanntheit<br />

Nachfrage ansaugt. Einfach chic und cool<br />

plus kostenloses WLAN genügt nicht.<br />

Dafür stehen lehrbuchhaft MFB-Chef<br />

Greve und sein Mitgründer Panya Putsathit,<br />

die 2011 MeinFernbus auf die Straße<br />

schickten. Das Start-up kommt inzwischen<br />

auf einen Marktanteil von 45 Prozent und<br />

beschäftigt 250 meist junge Mitarbeiter, die<br />

in der Zentrale nahe des Berliner Fernsehturms<br />

Kundenanfragen annehmen, Kontakt<br />

zu Busfahrern halten, Fahrpläne umbauen<br />

und die IT für die Buchungsplattform<br />

programmieren.<br />

Greve und sein Kompagnon haben ein<br />

Unternehmen aufgebaut, dessen Arbeitsweise<br />

an eine Netzwerk-Airline wie die<br />

Lufthansa erinnert. So betreibt MFB nicht<br />

nur Linien auf Rennstrecken<br />

wie zwischen den Großstädten<br />

Köln und Berlin, wo der gleiche<br />

harte Wettbewerb wie zwischen<br />

Lufthansa und Air Berlin<br />

tobt und der Preisdruck erbarmungslos<br />

zuschlägt. MFB fährt<br />

auch auf Nebenstrecken mit<br />

wenig Konkurrenz, etwa zwischen<br />

Hamburg und Nordhau-<br />

FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />

62 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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sen oder Leipzig und Münchberg. Dort erzielt<br />

das Unternehmen höhere Preise.<br />

Der zweite Vorteil dieser Strategie: Die<br />

Busse auf den Nebenstrecken schaufeln<br />

den Hauptstrecken massenhaft Fahrgäste<br />

zu, sodass sich die Auslastung der mehr als<br />

300 grünen MFB-Busse „auf dem Niveau<br />

von Fluggesellschaften bewegt“, sagt Greve,<br />

sprich: auf vielen Strecken über 80 Prozent.<br />

Start-ups vorne<br />

Marktanteile der deutschen Fernbusunternehmen<br />

1 (in Prozent)<br />

April<br />

2013<br />

Sonstige 3<br />

Aug.<br />

2013<br />

Nov.<br />

2013<br />

MeinFernbus<br />

Deutsche Bahn 2 ADAC Postbus 4<br />

Jan.<br />

2014<br />

März<br />

2014<br />

FlixBus<br />

Aug.<br />

2014<br />

Okt.<br />

2014<br />

1 nach angebotenen Fahrplankilometern; 2 Berlinlinienbus, IC Bus;<br />

3 darunter: City2City (Aufgabe im Oktober 2014) und DeinBus.de<br />

(Insolvenz im Oktober 2014); 4 künftig ohne ADAC;<br />

Quelle: IGES<br />

DYNAMIK BLEIBT<br />

Die Verfolger sind davon weit entfernt.<br />

Allenfalls FlixBus aus München dürfte mit<br />

einem Marktanteil von 24 Prozent in die<br />

Reichweite der Berliner kommen. Gründer<br />

und Geschäftsführer Jochen Engert sieht<br />

„die Gewinnschwelle auf einzelnen Strecken<br />

nicht mehr weit entfernt“.<br />

Der prominenteste Wettbewerber, der<br />

unter dem kleinen Marktanteil leidet, ist<br />

der Postbus. Der ADAC sucht nun das Weite,<br />

weil die Anfangsverluste wohl knapp<br />

doppelt so hoch lagen wie geplant. Berater<br />

von Roland Berger hatten einst ein Minus<br />

von drei Millionen Euro kalkuliert. Zudem<br />

gab es unterschiedliche Auffassungen in<br />

Fragen der Strategie. Der ADAC pochte<br />

weiter auf hohe Qualitätsstandards wie einen<br />

zweiten Fahrer an Bord. Möglicherweise<br />

rückt die Post nun davon ab, um Kosten<br />

zu sparen.<br />

Für den Bonner Logistikkonzern gilt der<br />

Markt dennoch als attraktiv, allein weil die<br />

Gesellschaft immer älter werde und nach<br />

50<br />

45<br />

40<br />

35<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

Verkehrsmitteln mit barrierefreiem Zugang<br />

verlange, also zum Beispiel keine<br />

Bahnhöfe mit Treppen und Unterführungen.<br />

Sogar ein Shuttle-Service von ausgewählten<br />

Punkten zu den zentralen Haltestellen<br />

der Postbusse gilt intern als Möglichkeit,<br />

um das Angebot attraktiver zu machen.<br />

Zudem gibt es Manager in der Chefetage<br />

des Konzerns, die die Chance sehen,<br />

in einem großen Fernbusnetz auch Expresssendungen<br />

und Pakete mit zu befördern<br />

– wie dies Passagierflugzeuge tun.<br />

Dass das Wachstum nach zwei Jahren an<br />

seine Grenzen stößt, ist unwahrscheinlich.<br />

„Die Dynamik bleibt“, sagt Christoph Gipp<br />

<strong>vom</strong> Mobilitätsberater IGES. Auf vereinzelten<br />

Strecken stiegen noch immer neue Unternehmen<br />

in den Markt ein. So würde sich<br />

eine zweistellige Zahl an Investoren für<br />

den insolventen Anbieter DeinBus.de interessieren,<br />

sagt Insolvenzverwalter Christian<br />

Feketija. Er rechnet deshalb damit, dass<br />

der Verkaufsprozess „bis Ende des Jahres<br />

abgeschlossen werden kann“.<br />

Berater Gipp gibt sich optimistisch: „Der<br />

Markt verträgt langfristig circa vier größere<br />

und mehrere kleinere Anbieter.“<br />

n<br />

christian.schlesiger@wiwo.de | Berlin, florian zerfaß<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Zu klein für ganz groß<br />

GROSSPROJEKTE | Konzerne aus Japan, Korea und China stechen deutsche Unternehmen auf<br />

den Zukunftsmärkten aus. Schuld daran sind die Firmen, aber auch passive Politiker.<br />

Total verhoben<br />

Das Stahlwerk in Brasilien<br />

kam ThyssenKrupp teuer<br />

zu stehen, dadurch geriet<br />

der Konzern in Not<br />

FOTO: ABRIL IMAGEM/EXAME/GERMANO LUDERS<br />

64 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Für ThyssenKrupp scheint die Welt in<br />

Ordnung. Vor wenigen Tagen meldete<br />

der Ruhrkonzern, dass Saudi-Arabien<br />

ihm den Zuschlag für den Bau eines<br />

100 Millionen Euro teuren Zementwerks<br />

erteilt hat. Auch in Algerien zog die Anlagenbautochter<br />

des Essener Riesen, die<br />

einst unter Polysius firmierte, einen Großauftrag<br />

an Land. Chemieanlagenbauer Uhde,<br />

der mit der Schwestersparte im Januar<br />

zum neuen Geschäftsfeld Industrial Solutions<br />

fusionierte, verdient derweil gut an der<br />

Reindustrialisierung der USA mit. Die<br />

Amerikaner bestellen Chemiefabriken, seit<br />

sie mit der umstrittenen Frackingmethode<br />

auf heimischen Böden preiswert an Schiefergas<br />

und -öl kommen.<br />

Doch die schönen Aufträge sind bloß eine<br />

Momentaufnahme. Deutsche Anlagenbauer<br />

bleiben bei einer wachsenden Zahl<br />

milliardenschwerer Großprojekte rund um<br />

den Globus immer öfter im Abseits. ThyssenKrupp<br />

etwa verlor seit 2013 vier Ausschreibungen<br />

für Düngemittelfabriken in<br />

Osteuropa und Zentralasien an Konkurrenten<br />

aus Fernost und mischt abseits des<br />

Westens selten mit. In Russland zog die<br />

dort gut verdrahtete SMS Group des einstigen<br />

Industrieverbandschefs Heinrich<br />

Weiss im Bieterkampf um ein Walzwerk am<br />

Ural den Kürzeren. Die Siemensianer beißen<br />

sich beim Einstieg in den vietnamesischen<br />

Kraftwerksmarkt die Zähne aus.<br />

Vor allem das alles entscheidende Fernost-Geschäft,<br />

über das sich die Elite der<br />

deutschen Wirtschaft in der kommenden<br />

Woche auf ihrer Asien-Pazifik-Konferenz<br />

in Vietnams Wirtschaftszentrum Ho-Chi-<br />

Minh-Stadt den Kopf zerbrechen wird, ist<br />

rückläufig: Japan, Südkorea und allen<br />

voran China peitschen wo immer möglich<br />

Wenig Lichtblicke<br />

Von deutschen Unternehmen gebaute Großanlagen<br />

im Ausland (Wert in Mrd. Euro)<br />

Kraftwerke<br />

Walzwerke<br />

Luft- und Gasverflüssigung/-zerlegung<br />

Organische<br />

Chemieanlagen<br />

Hüttenwerke<br />

Baustoffanlagen<br />

Anlagen zur Papierherstellung<br />

Quelle: VDMA<br />

3,6<br />

1,8<br />

0,9<br />

1,4<br />

2,9<br />

1,4<br />

1,9<br />

0,7<br />

1,2<br />

0,5<br />

0,6<br />

0,4<br />

6,2<br />

2008<br />

2013<br />

9,2<br />

ihre eigenen Anlagenbauer in die Wachstumsmärkte.<br />

Für Deutschland wird zu groß, was draußen<br />

in der Welt ausgeschrieben wird. Während<br />

Anbieter aus Asien ein Megaprojekt<br />

nach dem anderen kapern, lassen sich die<br />

verwöhnten Qualitätsführer hierzulande<br />

mit kleineren und mittelgroßen Ordern in<br />

zweistelliger Millionenhöhe abspeisen.<br />

Der Anlagenbau, einst Paradebranche des<br />

Exportweltmeisters, ist gezwungen, nach<br />

Nischen zu suchen.<br />

KEIN MITTEL GEGEN DUMPING<br />

Die Folgen treffen nicht nur die einschlägigen<br />

Unternehmen, sie werden auch zur<br />

Bedrohung für den Industriestandort<br />

Deutschland. Noch bestellen Südkoreaner<br />

Turbinen made in Germany, wenn ihre<br />

Unternehmen Megakraftwerke irgendwo<br />

auf der Welt planen. Eines Tages werden<br />

sie jedoch selbst hocheffiziente Turbinen<br />

produzieren und die Deutschen ganz aus<br />

dem Großgeschäft verdrängen.<br />

Klaus Gottwald, Branchenexperte beim<br />

Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau<br />

(VDMA), ist besorgt: „Wenn wir<br />

die Fähigkeit aus der Hand geben, Großprojekte<br />

schlüsselfertig abzuwickeln, verlieren<br />

wir eines Tages den Anschluss am<br />

Weltmarkt.“ Zahlen befeuern seine Furcht:<br />

Deutsche Lieferanten großer Kraftwerke,<br />

Chemie-, Stahl- oder Düngemittelfabriken<br />

haben binnen fünf Jahren fast ein Drittel an<br />

Auftragsvolumen eingebüßt und 2013 nur<br />

21 Milliarden Euro mit Aufträgen erwirtschaftet,<br />

deren Projektvolumen größer ist<br />

als 50 Millionen Euro.<br />

An der Auszehrung sind die Großanlagenbauer<br />

zum einen selber schuld, wie<br />

Hubert Lienhard mahnt, der Chef des<br />

schwäbischen Anlagenbauers Voith (siehe<br />

Interview Seite 68). Kein Manager will als<br />

Generalunternehmer die Verantwortung<br />

für ein Projekt auf sich nehmen, das milliardenschwere<br />

Risiken birgt. Zumal deutsche<br />

Großanlagen zuletzt oft spektakulär<br />

gescheitert sind – wie das ThyssenKrupp-<br />

Stahlwerk in Brasilien, das den gesamten<br />

Konzern in Schieflage brachte.<br />

Doch auch die Bundesregierung hat ihren<br />

Anteil am Niedergang. Denn Berlin findet<br />

kein Mittel gegen die Dumping-Kredite,<br />

vor allem aus China. Trotz deren Mitgliedschaft<br />

in der Welthandelsorganisation<br />

WTO päppelt Peking ganz frech die eigene<br />

Exportwirtschaft mit billigen Darlehen. Zugleich<br />

verlieren die hiesigen Hermes-Bürgschaften<br />

als Instrument der deutschen Außenhandelsförderung<br />

mehr und mehr<br />

»<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 65<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Wasser, marsch! China päppelt die eigenen<br />

Kraftwerksbauer mit Billigkrediten, damit<br />

sie bei Großprojekten zum Zuge kommen<br />

Asien runter, Nordamerika rauf<br />

Wichtigste Auslandsmärkte für deutsche Großanlagenbauer<br />

(Volumen in Mrd. Euro)<br />

6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013<br />

Quelle: VDMA<br />

»<br />

ihre Schlagkraft. Exporteure, die der<br />

Bund über die private Euler-Hermes-Versicherungsgruppe<br />

gegen Ausfallrisiken bei<br />

Handelsgeschäften schützt, kommen häufig<br />

nicht an die benötigten Policen: Im<br />

Kleingedruckten stecken zu viele Ausnahmen<br />

oder schwer erfüllbare Bedingungen.<br />

Den Unternehmen bleibt oft nur noch, die<br />

Risiken selbst zu tragen – oder gleich zu<br />

Hause zu bleiben.<br />

Spuren des Rückzugs finden sich überall,<br />

etwa im lange Zeit isolierten Myanmar, wo<br />

seit Ende der Militärdiktatur 2011 riesige<br />

Infrastrukturbauten anstehen. Münchens<br />

Flughafenbetreiber FMG lief schau für die<br />

Beteiligung an drei Flughäfen. Aber die Tür<br />

nach Myanmar blieb verschlossen. Zwar<br />

erreichten die Bayern die letzte Runde der<br />

Ausschreibungen, aber die Regierung entschied<br />

sich für ein Konsortium unter japanischer<br />

Führung.<br />

Asiatischpazifischer<br />

Raum<br />

Nordamerika<br />

Westeuropa<br />

Nah- und Mittelost<br />

Osteuropa/GUS<br />

Afrika<br />

Mittel- und<br />

Südamerika<br />

In Brasilien wiederum entwarfen deutsche<br />

Architekten zur Fußball-WM die Pläne<br />

für fünf der zwölf Stadien. Made in Germany<br />

indes waren bloß die Sitze oder die<br />

Schließtechnik – die großen Bauaufträge<br />

gingen an lokale Riesen wie den Baukonzern<br />

Odebrecht. Kraftwerksbauer Voith<br />

und Siemens geraten in dem Land unter<br />

den Druck chinesischer Wettbewerber. Die<br />

liefern billiger und werden immer besser.<br />

Während Firmen aus dem Reich der Mitte<br />

mit Macht auf den Weltmarkt drängen,<br />

bleibt ihr Heimatmarkt abgeschottet. Dadurch<br />

sind die Chinesen längst Weltmeister<br />

beim Bau von Flughäfen, Häfen, Straßen,<br />

Autobahnen. Allein 6600 Kilometer<br />

U-Bahn werden 2014 im eigenen Land fertiggestellt<br />

– im Wert von rund 80 Milliarden<br />

Euro. Nur zwei bis drei Prozent der öffentlichen<br />

Aufträge ergattern ausländische Bieter,<br />

schätzt die Handelskammer der Europäischen<br />

Union in Peking. Am ehesten<br />

kommen noch hoch spezialisierte Subunternehmer<br />

wie der Tunnelbohrmaschinenbauer<br />

Herrenknecht aus dem Schwarzwald<br />

ins Geschäft.<br />

In Deutschland gilt es schnell als Skandal,<br />

wenn Politiker Unternehmen bei der<br />

Suche nach Aufträgen helfen. In Ostasien<br />

ist das pure Selbstverständlichkeit. So inszeniert<br />

sich etwa Japans Premierminister<br />

Shinzo Abe als Chefverkäufer seines Landes.<br />

Als er vor knapp einem Jahr das Investoren-Mekka<br />

Myanmar besuchte, unterzeichnete<br />

er ein Abkommen über besseren<br />

Marktzugang für japanische Firmen – und<br />

bewilligte zeitgleich Gelder für Infrastrukturprojekte<br />

im Wert von 610 Millionen Dollar.<br />

Dass die Münchner beim Flughafenbau<br />

außen vor blieben, war darum kein Zufall.<br />

Sogar in Europa bläst die Japan-AG zum<br />

Angriff. Den Tunnel unter dem Bosporus,<br />

der den asiatischen mit dem europäischen<br />

Teil Istanbuls verbindet, bauten japanische<br />

Ingenieure. Vor einem Jahr reiste Abe<br />

zur Eröffnung in die Türkei – und verhandelte<br />

mit dem heutigen türkischen Präsidenten<br />

und damaligen Premierminister<br />

Recep Tayyip Erdogan zugleich über den<br />

Bau eines japanischen Atomkraftwerks.<br />

Fukushima ist ja weit weg.<br />

VERZICHT AUF GEWINN<br />

Japans Methode ist simpel: Der Staat stützt<br />

Privatfirmen mit billigen Krediten und umfassenden<br />

Garantien, die Regierung koppelt<br />

Investitionen mit Entwicklungshilfe,<br />

Politiker machen aktiv Werbung. Ähnlich<br />

handelt Südkorea – und geht dabei noch<br />

mehr ins Risiko. Im Mai ging erstmals jenseits<br />

der Landesgrenzen ein Atomreaktor<br />

aus heimischer Produktion in Betrieb, in<br />

den Vereinigten Arabischen Emiraten: Bei<br />

der Ausschreibung Ende 2009 hatte der<br />

Staatskonzern Korea Electric Power (Kepco)<br />

den französischen Konzern Areva und<br />

auch US-Wettbewerber General Electric<br />

ausgestochen. Vier Reaktoren bauen die<br />

Neulinge im AKW-Geschäft zum Dumpingpreis<br />

von 15 Milliarden Euro. Das kostete<br />

Kepco den Gewinn – doch dafür haben<br />

die Südkoreaner nun ein Referenzprojekt<br />

für den Weltmarkt: 80 Atommeiler will das<br />

Land bis 2030 bauen.<br />

Die Chinesen gehen noch härter ran. Sie<br />

haben in Simbabwe den Bau eines Wasserkraftwerks<br />

vereinbart – und finanzieren<br />

FOTO: DDP IMAGES/SIPA USA<br />

66 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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das 400-Millionen-Dollar-Projekt über den<br />

Kredit einer Staatsbank zu lächerlichen<br />

zwei Prozent Zinsen. Zudem füttern staatlich<br />

kontrollierte Institute wie die China<br />

Export-Import Bank („Exim“) schwerfällige<br />

eigene Staatsunternehmen mit billigen<br />

Darlehen, damit sie Afrikas Infrastrukturprojekte<br />

realisieren können. Im Tausch bezieht<br />

Peking Metalle und Brennstoffe. Im<br />

Mai verkündete Premierminister Li Keqiang,<br />

die Kreditlinien für Afrika von 10 auf<br />

30 Milliarden Dollar zu erhöhen.<br />

Dagegen haben deutsche Unternehmen<br />

keine Chance. Hans Janus, Vorstand der<br />

Euler Hermes AG, die staatliche Exportkreditgarantien<br />

managt, sieht die Politik in der<br />

Verantwortung: „Chinesische Banken bieten<br />

oft Finanzierungen an, die nicht wettbewerbskonform<br />

sind.“ Da müssten sich<br />

Politiker bemühen, China auf Einhaltung<br />

der international festgelegten Standards<br />

für Kredithilfen festzunageln. Weil das<br />

dauern kann, fordern deutsche Exporteure<br />

eine Reform der Hermes-Bürgschaften.<br />

Die funktionieren so: Ein deutscher Exporteur,<br />

der etwa eine Abfüllanlage nach Afrika<br />

liefern will, versichert das Handelsgeschäft<br />

bei Euler Hermes. Platzt der Deal<br />

oder zahlt der Kunde nicht, trägt der Bund<br />

den größten Teil des Zahlungsausfalls.<br />

Doch die Sache hat mehrere Haken. So<br />

hilft Berlin nur, wenn mehr als 50 Prozent<br />

des Auftrags in Deutschland gefertigt werden.<br />

Bei Großprojekten in Asien ist das<br />

kaum zu schaffen, weil die Kunden Aufträge<br />

für Komponenten und Montage an heimische<br />

Unternehmen vergeben. Staaten,<br />

denen irgendwann mal die Schulden erlassen<br />

wurden, bleiben ohnehin außen vor.<br />

VORLIEBE FÜR EUROPA<br />

Der Afrikaverein der deutschen Wirtschaft<br />

läuft dagegen Sturm. „Der Bund erzielt mit<br />

Hermes-Bürgschaften Jahr für Jahr Überschüsse“,<br />

sagt Geschäftsführer Christoph<br />

Kannengießer. „Da kann es nicht sein, dass<br />

die Bundesregierung so vielen Lieferanten<br />

die Kreditversicherung verweigert und damit<br />

den Handel mit wichtigen Wachstumsländern<br />

im Keim erstickt.“<br />

Exportversicherer Euler Hermes, der im<br />

Namen des Bundes die Bürgschaften managt,<br />

sieht sich in einem „Dilemma“, klagt<br />

Versicherungschef Janus. Einerseits erwarte<br />

die Wirtschaft eine schnelle und unbürokratische<br />

Bearbeitung der Anträge.<br />

„Andererseits müssen wir uns die ausländischen<br />

Risiken eben genau anschauen,<br />

das braucht Zeit.“<br />

Den Lobbyisten der Unternehmen passt<br />

die ganze politische Linie nicht: „Wir müssen<br />

wieder in Großprojekte reinkommen“,<br />

verlangt Volker Treier, der stellvertretende<br />

Hauptgeschäftsführer der DIHK. „Es ist<br />

naiv, zu glauben, dass wir uns in der Welt<br />

bei Großbauten heraushalten und gleichzeitig<br />

unseren Wohlstand halten können.“<br />

Treier wäre es am liebsten, wenn Berlin die<br />

staatliche Förderbank KfW mit einer „deutlich<br />

intensiverer“ Außenwirtschaftsförderung<br />

betraute. Die müsse weltweit Infrastruktur-Projekte<br />

finanzieren und dabei<br />

deutsche Zulieferer einbinden.<br />

Die Förderbanker spielen den Ball aber<br />

zur Wirtschaft zurück. „Wir müssen aufhören,<br />

uns zu beklagen“, sagt Bruno Wenn,<br />

Chef der KfW-Tochter DEG, die im Privatsektor<br />

investiert. Deutsche Unternehmen<br />

hätten gute Argumente, um gegen asiatische<br />

Konkurrenten zu punkten, und könnten<br />

anbieten, die Rohstoffe des Landes<br />

nicht zu auszuführen, sondern vor Ort zu<br />

verarbeiten und so zur lokalen Wertschöpfung<br />

beizutragen. »<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»<br />

Die Frage ist, ob die Industrie das überhaupt<br />

im großen Stil will. Der kriselnde<br />

Baukonzern Bilfinger etwa will keine Kraftwerke<br />

mehr bauen, sondern sie nur noch<br />

betreiben. Siemens hat sich weitgehend<br />

aus dem Anlagenbau zurückgezogen und<br />

betätigt sich lieber als Subunternehmer.<br />

Unter den Dax-Konzernen sind nur noch<br />

ThyssenKrupp und der Münchner Gaseproduzent<br />

Linde im Anlagenbau unterwegs.<br />

Walz- und Stahlwerke liefert die Düsseldorfer<br />

SMS Group, Kraftwerksturbinen<br />

und Papiermaschinen Voith. Beides sind<br />

Familienkonzerne, die langfristig denken<br />

und sich nicht in jedem Quartal vor nervösen<br />

Aktionären rechtfertigen müssen.<br />

Nach negativen Erfahrungen der vergangenen<br />

Jahre bevorzugen deutsche Unternehmen<br />

eher den europäischen Markt,<br />

wo die Risiken geringer sind als in Afrika.<br />

Bei der geplanten Brücke über den Fehmarnbelt,<br />

dem mit mindestens 5,6 Milliarden<br />

Euro aktuell teuersten europäischen<br />

Bauprojekt, sind gerade Hochtief und der<br />

österreichische Baukonzern Strabag im<br />

Rennen. Unter den 17 Bewerbern, die in<br />

den neun Konsortien um die Fehmarnbelt-Aufträge<br />

buhlen, sind nur fünf nicht<br />

europäische: zwei aus den USA und drei<br />

aus Südkorea.<br />

Wenigstens im Baugeschäft gibt es noch<br />

Hoffnung. Denn in Europa tun sich Chinas<br />

staatlich gepäppelte Konzerne schwer.<br />

Krachend gescheitert ist in Polen etwa der<br />

Bau einer Autobahn, die Chinas Firma Covec<br />

nicht wie bestellt zur Fußball-EM 2012<br />

fertig bekam. Für sie mussten europäische<br />

Konzerne in die Bresche springen. n<br />

florian.willershausen@wiwo.de | Berlin, alexander busch |<br />

São Paulo, martin fritz | Tokio, philipp mattheis | Shanghai,<br />

mathias peer | Bangkok, harald schumacher<br />

Abwärts im Ausland<br />

Auftragseingang deutscher Großanlagenbauer*<br />

(2004–2013, in Mrd. Euro)<br />

35<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

Gesamtvolumen<br />

Davon Ausland<br />

0<br />

2004 2007 2010 2013<br />

* Anlagen mit einem Auftragswert von mehr als<br />

50 Mio. Euro; Quelle: VDMA<br />

INTERVIEW Hubert Lienhard<br />

»Wir sind außen vor«<br />

Der Chef des schwäbischen Anlagenbauers Voith verlangt mehr<br />

staatliche Bürgschaften für den Export von Großgewerken und stärkeren<br />

politischen Druck auf China.<br />

DER ASIENFREUND<br />

Lienhard, 63, leitet seit<br />

April 2008 den Anlagenbauer<br />

Voith im schwäbischen<br />

Heidenheim. Der promovierte<br />

Chemiker aus dem<br />

Schwarzwald ist seit mehr<br />

als 30 Jahren im Großanlagenbau<br />

tätig. Er macht<br />

sich in mehreren Vereinen<br />

für den Asien-Handel stark<br />

und ist seit Februar dieses<br />

Jahres Vorsitzender des<br />

Asien-Pazifik-Ausschusses<br />

der deutschen Wirtschaft.<br />

Herr Lienhard, der Berliner Großflughafen<br />

wird zur Bauruine, die Elb-<br />

Philharmonie kostet zehnmal mehr<br />

als geplant. Schaden solche Flops dem<br />

Image deutscher Unternehmen als<br />

Lieferanten von Großgewerken?<br />

Das glaube ich nicht. Diese Projekte haben<br />

vielleicht etwas an unserem Image<br />

gekratzt. Aber ich denke, dass unser Ruf<br />

nach wie vor gut ist und die meisten Ausländer<br />

dies als Einzelfälle ansehen.<br />

Im Markt für Großprojekte außerhalb<br />

Europas und Nordamerikas verzeichneten<br />

deutsche Unternehmen zuletzt<br />

rückläufige Auftragseingänge. Liegt das<br />

am zyklischen Wesen des Geschäfts,<br />

oder sehen Sie andere Gründe?<br />

Das hat nichts mit der Konjunktur zu<br />

tun. Immer mehr deutsche Unternehmen<br />

ziehen sich aus dem klassischen<br />

Geschäft mit großen Infrastrukturprojekten<br />

zurück. Ein sehr großer Teil dieses<br />

Projektgeschäftes ist zu asiatischen Anbietern<br />

gewandert. Japaner und Südkoreaner<br />

mischen am Persischen Golf gut<br />

mit, die Chinesen sind in Afrika stark. Indien<br />

plant für 90 Milliarden Dollar einen<br />

Industriekorridor zwischen den Megastädten<br />

Neu-Delhi und Mumbai, den<br />

komplett Japaner bauen sollen – Straßen,<br />

Stromversorgung, Verkehrsleittechnik. Die<br />

deutsche Wirtschaft bleibt außen vor...<br />

...weil deutsche Unternehmen nur noch<br />

kleine Projekte stemmen können?<br />

Nein. Wir sind bei diesen Projekten ja dabei,<br />

aber eben oft nur noch als Zulieferer<br />

der Generalunternehmer. Uns gelingt vielfach<br />

nur noch, über die Endkunden in die<br />

Angebotslisten zu kommen. Auftraggeber<br />

schreiben in Ausschreibungen häufig spezifische<br />

Anforderungen, die deutsche Unternehmen<br />

am ehesten erfüllen.<br />

Ist das nicht besser, auf diese Weise<br />

sicheres Geld zu verdienen, statt als Konsortialführer<br />

große Risiken einzugehen?<br />

Eine solche Strategie klingt zwar logisch,<br />

sie zum Erfolg zu führen ist aber viel<br />

schwerer als gedacht. Um bei Großprojek-<br />

FOTO: OSTKREUZ/DAWIN MECKEL<br />

68 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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ten als wichtiger Lieferant zum Zuge zu<br />

kommen, muss ein Unternehmen weltweit<br />

präsent sein. Wer zum Beispiel an<br />

einem Projekt eines staatlichen chinesischen<br />

Wasserkraftwerk-Unternehmens<br />

mitverdienen will, egal, ob in Afrika oder<br />

in Asien, der muss in China sitzen.<br />

Das tun die meisten wichtigen deutschen<br />

Unternehmen doch bereits.<br />

Ja, aber wir müssen uns in diesen Märkten<br />

noch viel tiefer verwurzeln und dort zu<br />

einheimischen Unternehmen mit deutschen<br />

Wurzeln werden, ein Teil der dortigen<br />

Volkswirtschaft. Hier liegt noch viel<br />

Arbeit vor uns.<br />

Unser Eindruck ist, dass deutsche Unternehmen<br />

weniger Aufträge aus Schwellenländern<br />

bekommen, weil sie sich immer<br />

seltener um große Gewerke bemühen.<br />

Das ist so. Die Zeit des deutschen Großprojektgeschäfts<br />

ist vorbei. Solche riesigen<br />

Vorhaben sind für viele Unternehmen in<br />

Deutschland eine Belastung geworden.<br />

Um gegen große asiatische Staatsunternehmen<br />

mitspielen zu können, müssen<br />

Unternehmen eine beachtliche Größe<br />

aufweisen. Solche Unternehmen sind in<br />

der Regel an der Börse notiert. Und die<br />

mag zyklisches Geschäft nicht, bei dem die<br />

Anleger zittern, ob das nächste Projekt gut<br />

oder schlecht läuft.<br />

Warum bilden die deutschen Unternehmen<br />

keine Konsortien<br />

für Großaufträge?<br />

Weil sie keine Finanzierung<br />

bekommen würden.<br />

Eine langfristige<br />

Projektfinanzierung ist<br />

für die westlichen Banken<br />

nicht interessant –<br />

vor allem wegen der<br />

Risikoprüfungen, die<br />

ihnen mit der verschärften<br />

Regulierung im Finanzsektor<br />

auferlegt wurden. Chinas<br />

Staatsbanken etwa haben da ganz andere<br />

Möglichkeiten. Sie müssen sich keinem<br />

Regime wie Basel III unterwerfen und<br />

können höhere Risiken übernehmen.<br />

Einer aktiven Wirtschaftspolitik wie in<br />

China stehen EU-Vorschriften im Wege.<br />

Was verlangen Sie von Berlin?<br />

In Deutschland und der EU gelten klare<br />

Spielregeln, die einen fairen Wettbewerb<br />

sicherstellen sollen. Dies dürfen wir nicht<br />

aufgeben. Vielmehr müssen wir uns um<br />

Gleichberechtigung im internationalen<br />

Wettbewerb bemühen, und hier ist die<br />

»Wir müssen<br />

chinesische<br />

Unternehmen<br />

werden«<br />

Politik am Zuge: Es muss uns gelingen,<br />

dass die Exportkreditversicherungen in<br />

China mit den Standards der OECD<br />

übereinstimmen und diese nicht unterbieten,<br />

wie es zurzeit passiert.<br />

Das kann lange dauern.<br />

Deshalb plädieren wir für schnell umsetzbare<br />

Veränderungen. Dazu zählen<br />

wir die Bedingungen für die staatlichen<br />

Hermes-Bürgschaften. Im Moment gibt<br />

es die Absicherung für Exportgeschäfte<br />

praktisch nur, wenn mindestens 50 Prozent<br />

der Wertschöpfung in Deutschland<br />

anfallen. Das ist in Zeiten der Globalisierung<br />

nicht mehr realistisch: Wir müssen<br />

Teile einer Großanlage dezentral bauen<br />

und in den Importländern für Arbeit sorgen,<br />

andernfalls erhalten wir viele Zuschläge<br />

nicht. Eine Absenkung des Wertschöpfungsanteils<br />

in Deutschland auf<br />

30 Prozent wäre ein wichtiger Schritt.<br />

Könnten nicht auch öffentlich-rechtliche<br />

oder staatliche Banken stärker in<br />

die Exportfinanzierung einsteigen?<br />

Das sehe ich nicht. Wir reden ja hier von<br />

Milliardenbeträgen – und ich glaube<br />

nicht, dass sich da der Staat bei allen<br />

Risiken noch einbringt. Nehmen wir<br />

den Hochgeschwindigkeitskorridor<br />

Delhi–Mumbai. Da müsste Deutschland<br />

ja das ganze Land rechts und links der<br />

Strecke kaufen, dann dort versuchen, die<br />

Industrie anzusiedeln.<br />

Die Japaner machen<br />

das. Uns wäre<br />

das viel zu riskant.<br />

Sind die Deutschen<br />

also zu vorsichtig,<br />

zu risikoscheu und zu<br />

kompliziert?<br />

Nein, das sind eher die<br />

Strukturen unserer<br />

Wirtschaft, in denen<br />

solche riesigen Infrastrukturprojekte<br />

nur noch schwer abzubilden<br />

sind. Ich wüsste nicht, wer diese<br />

Risiken in seine Bilanz nehmen würde.<br />

Auch die Amerikaner machen das heute<br />

ja nicht mehr. Zudem erwartet man in<br />

Deutschland, dass die Wirtschaft sich<br />

selbst hilft. In Japan, China und Südkorea<br />

ist das anders. Die Japaner bauen in<br />

Indien nicht nur die Zugstrecke, sondern<br />

auch die Infrastruktur rund herum...<br />

...mit weitreichenden Konsequenzen.<br />

Natürlich werden am Ende nur japanische<br />

Züge auf der Strecke fahren. n<br />

florian.willershausen@wiwo.de<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 69<br />

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Spezial | Business-IT<br />

IT-Power<br />

Mehr Rechenzentren<br />

in Deutschland<br />

Dramatische Kehrtwende<br />

DATENSICHERHEIT | Immer mehr amerikanische Cloud-Anbieter wie Salesforce, Oracle<br />

oder Amazon eröffnen jetzt eigene Rechenzentren in Deutschland – und reagieren so<br />

auf die Sicherheitsbedenken der hiesigen Unternehmen.<br />

Die Ansage war klar und deutlich:<br />

„Wir sind nicht in das<br />

Prism-Programm involviert,<br />

und wir ermöglichen keinen<br />

Regierungen direkten Zugang<br />

zu den Servern“, hieß es aus der Münchner<br />

Niederlassung des amerikanischen Cloud-<br />

Anbieters Salesforce auf Anfrage der WirtschaftsWoche.<br />

Das war vor etwas mehr als<br />

einem halben Jahr. Die Botschaft sollte offenbar<br />

lauten: Business as usual. Die durch<br />

den ehemaligen NSA-Mitarbeiter Edward<br />

Snowden losgetretene Schnüffelaffäre<br />

durch amerikanische und britische Geheimdienste<br />

habe keinerlei Auswirkungen<br />

auf das Geschäft in Deutschland.<br />

Heute zeigt sich: Die Aussage war reichlich<br />

voreilig. „Es stößt bei vielen Deutschen,<br />

vornehmlich Datenschützern und<br />

mittelständischen Unternehmen, auf Un-<br />

behagen, dass der Großteil der amerikanischen<br />

Cloud-Anbieter den europäischen<br />

Markt derzeit noch über Rechenzentren in<br />

Irland und den Niederlanden versorgt“,<br />

sagt René Büst, Cloud-Experte bei der IT-<br />

Beratung Crisp Research in Kassel.<br />

UNBEHAGEN BEI DEN KUNDEN<br />

Der Druck hat Folgen: „Kein Anbieter, der<br />

den deutschen Markt als attraktiv betrachtet,<br />

kommt daran vorbei, ein eigenes Rechenzentrum<br />

in Deutschland zu eröffnen“,<br />

sagt Crisp-Analyst Büst. Offen über ihr Unbehagen<br />

reden wollen die Kunden wegen<br />

der großen Abhängigkeit <strong>vom</strong> jeweiligen<br />

IT-Lieferanten zwar nicht. Fakt ist aber: Mit<br />

Salesforce, Oracle und Amazon haben<br />

gleich mehrere US-Anbieter angekündigt,<br />

eigene Rechenzentren in Deutschland zu<br />

eröffnen. Die deutsche Cloud wird Realität.<br />

Das ist eine dramatische Kehrtwende<br />

zum bisherigen Vorgehen – insbesondere<br />

der amerikanischen IT-Granden. Denn zuvor<br />

galt im Cloud Computing das Mantra,<br />

dass für die Bereitstellung von Softwareangeboten<br />

per Internet-Zugriff der Standort<br />

der dazu notwendigen Rechenzentren<br />

mehr oder weniger egal sei. Schließlich benötigen<br />

die Kunden für die Nutzung solcher<br />

Dienste bloß eine Internet-Verbindung<br />

und einen Browser.<br />

Cloud Computing gilt als eines der wichtigsten<br />

Wachstumsfelder der IT. Unternehmen,<br />

so die Vorstellung von Anbietern wie<br />

Google, Amazon oder Salesforce, sollen<br />

Computerprogramme nicht mehr auf den<br />

eigenen Rechnern halten, sondern diese<br />

auslagern und nur bei Bedarf per Web anfordern.<br />

Der Vorteil liege auf der Hand: Der<br />

Kunde muss sich nicht mehr um Aktuali-<br />

»<br />

FOTO: PHOTOTHEK/THOMAS TRUTSCHEL<br />

70 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Spezial | Business-IT<br />

»<br />

sierungen kümmern und bezahlt nur<br />

noch die Software, die er wirklich auch nutzt.<br />

Entsprechend hoch sind die Erwartungen<br />

der Marktforscher. Laut der jüngsten,<br />

Prognose des amerikanischen IT-Analysehauses<br />

IDC sollen sich die weltweiten Umsätze<br />

mit Cloud-Services von knapp 57 Milliarden<br />

Dollar in diesem Jahr bis 2018 mehr<br />

als verdoppeln – auf gut 128 Milliarden<br />

Dollar. Das entspricht einer jährlichen<br />

Wachstumsrate von rund 23 Prozent. Der<br />

gesamte IT-Markt soll dagegen nur um gut<br />

3,5 Prozent wachsen. In Deutschland ist<br />

das Cloud-Plus sogar noch kräftiger: Von<br />

1,7 Milliarden Euro in diesem Jahr erwartet<br />

IDC bis 2018 einen Zuwachs fast um den<br />

Faktor drei auf dann 4,9 Milliarden Euro.<br />

EINBUSSEN DURCH NSA-AFFÄRE<br />

Beim Kampf um diesen Kuchen spielt Sicherheit<br />

eine immer größere Rolle. Die<br />

amerikanischen IT-Anbieter könnten in<br />

den kommenden Jahren zwischen 10 und<br />

20 Prozent ihrer Cloud-Auslandsumsätze<br />

einbüßen, so eine Studie des Washingtoner<br />

Thinktanks Information Technology<br />

and Innovation Foundation (ITIF). Das<br />

entspräche rund 35 Milliarden Dollar zwischen<br />

2014 und 2016. Die erwarteten Einbußen<br />

begründet ITIF-Analyst Daniel Castro<br />

mit Bedenken bei nicht amerikanischen<br />

Kunden durch die Aufdeckung der<br />

Schnüffelaffäre: „Vor allem europäische<br />

Anbieter versuchen, gegenüber ihren amerikanischen<br />

Wettbewerbern zu punkten.“<br />

Völlig von der Hand zu weisen sind derartige<br />

Unkenrufe offenbar nicht. Anders<br />

lässt sich die Schar von US-Anbietern nicht<br />

erklären, die aktuell nach Deutschland<br />

drängt, um hierzulande eigene Cloud-Rechenzentren<br />

zu eröffnen.<br />

Vorgeprescht ist ausgerechnet Cloud-<br />

Primus Salesforce, der noch im vergangenen<br />

Jahr von Problemen in Deutschland<br />

nichts wissen wollte. Die räumen die Amerikaner<br />

zwar bis heute nicht ein. Dennoch<br />

hat der Anbieter von webbasierten Systemen<br />

zum Management von Kundenbeziehungen<br />

im Juli eine weitreichende Partnerschaft<br />

mit der Deutschen Telekom verkündet.<br />

Demnach wird die Telekom-Tochter<br />

T-Systems der Provider des ersten deut-<br />

Wachstum in der Wolke<br />

Weltweite Umsätze mit Cloud-Diensten<br />

(Prognose, in Milliarden Dollar)<br />

56,6<br />

Quelle: IDC<br />

70,1<br />

86,4<br />

105,5<br />

127,5<br />

2014 2015 2016 2017 2018<br />

schen Rechenzentrums von Salesforce.<br />

Der Betrieb soll Anfang 2015 starten. „Wir<br />

sehen für unsere Kunden in Deutschland<br />

Erfolg versprechende Möglichkeiten in der<br />

Cloud“, sagt Salesforce-Chef Marc Benioff.<br />

„Deshalb tätigen wir lokale Investitionen,<br />

um den Erfolg zu beschleunigen.“<br />

Für Marktbeobachter ist dies ein Schritt,<br />

um vermeintliche Bedenken als reiner US-<br />

Anbieter zu zerstreuen. „Salesforce muss<br />

näher an den Kunden herankommen,<br />

wenn der Kunde nicht von allein kommt“,<br />

sagt Analyst Büst von Crisp Research. Die<br />

Pläne von Salesforce zeigten, dass der<br />

Druck vonseiten der Kunden enorm sein<br />

müsse und Deutschland als Markt attraktiver<br />

sei als vermutet: „Der Standortvorteil<br />

eines Rechenzentrums in Deutschland ist<br />

nicht zu vernachlässigen, um deutschen<br />

Unternehmen ihre Bedenken zu nehmen.“<br />

Zu dieser Erkenntnis haben sich inzwischen<br />

auch die wichtigsten Salesforce-<br />

Konkurrenten durchgerungen. Der amerikanische<br />

SAP-Rivale Oracle will in Frankfurt<br />

und München gleich zwei neue Rechenzentren<br />

in Deutschland eröffnen. Beide<br />

sollen noch vor Jahresende in Betrieb<br />

gehen und die diversen Cloud-Lösungen<br />

der Amerikaner anbieten. „In Deutschland<br />

ist Datensicherheit ein besonders sensibles<br />

Thema. Die Ankündigung ist ein Zeichen<br />

dafür, dass Oracle als US-Unternehmen<br />

dem deutschen Markt verbunden bleibt“,<br />

sagt Deutschland-Chef Jürgen Kunz.<br />

Die deutschen Rechenzentren sollen zudem<br />

als Blaupause dienen, nach deren<br />

4,9 Milliarden Euro Cloud-Umsätze in<br />

Deutschland 2018 – drei Mal so viel wie dieses Jahr<br />

Vorbild Oracle schnell in neue Märkte rund<br />

um den Globus expandieren will.<br />

Einen Turbo hat jüngst der amerikanische<br />

E-Commerce- und Cloud-Vorreiter<br />

Amazon gezündet: Im Gegensatz zur<br />

Konkurrenz hat Vorstandschef Jeff Bezos<br />

seine Leute im Verborgenen an einem<br />

nationalen Angebot tüfteln lassen. Ende<br />

Oktober meldete der Cloud-Ableger Amazon<br />

Web Services Vollzug und nahm sein<br />

erstes Rechenzentrum in Frankfurt in Betrieb<br />

– noch vor der Konkurrenz. „In<br />

Deutschland kommt dem Datenschutz<br />

eine große Bedeutung zu“, so Amazon bei<br />

der Eröffnung. „Daher wünschen sich<br />

unsere Kunden die Möglichkeit, personenbezogene<br />

Daten sicher innerhalb des<br />

Landes zu speichern.“<br />

Die Strategie von Amazon, Salesforce<br />

und Oracle hat den Druck auf Anbieter erhöht,<br />

die eine eigene Cloud-Infrastruktur<br />

zwischen Rhein und Elbe bisher verweigert<br />

haben. Bestes Beispiel ist Microsoft:<br />

Der weltgrößte Softwarekonzern bedient<br />

den europäischen Markt mit Cloud-Produkten<br />

wie der Bürosoftware Office 365<br />

bisher von Dublin und Amsterdam aus.<br />

Das könnte sich ändern. „Bei unseren<br />

Großkunden erfreuen sich die klassischen<br />

Microsoft-Produkte, die in unseren Rechenzentren<br />

in Irland oder den Niederlanden<br />

betrieben werden, eines immer größeren<br />

Zuspruchs. Aber für den deutschen<br />

Mittelstand ist das offensichtlich noch<br />

nicht gut genug“, räumte Microsoft-<br />

Deutschland-Chef Christian Illek Mitte<br />

September ein. Der Aufbau einer deutschen<br />

Cloud sei zwar noch nicht beschlossen,<br />

„aber wir prüfen das derzeit“, so Illek.<br />

BILLIGES MARKETING?<br />

Allerdings sieht nicht jeder Branchenkenner<br />

die Vorstöße der Amerikaner positiv:<br />

„Das ist billiges Marketing und dient einzig<br />

dazu, den Kunden zu beruhigen“, schimpft<br />

Axel Oppermann, Chef der Beratung Avispador<br />

mit Sitz in Kassel. Der rechtliche<br />

Rahmen verändere sich durch hiesige Infrastruktur<br />

nicht, so Oppermann: „Nur weil<br />

ein Rechenzentrum in Deutschland betrieben<br />

wird, bedeutet das nicht automatisch,<br />

dass die Kundendaten den europäischen<br />

Wirtschaftsraum nicht verlassen.“ Grund:<br />

Zumindest auf gerichtliche Anordnung<br />

könnten auch Betreiber in Deutschland<br />

zur Herausgabe von Daten an US-Behörden<br />

gezwungen werden.<br />

n<br />

michael.kroker@wiwo.de<br />

Lesen Sie weiter auf Seite 74 »<br />

72 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Spezial | Business-IT<br />

Preise in Echtzeit<br />

PREISBUTLER24 | Das Kölner Start-up will den Amazon-Marktplatz<br />

aufmischen: Mit einer neuen Cloud-Software können Händler<br />

die Verkaufspreise ihrer Wettbewerber automatisch unterbieten.<br />

Gernot Kahl ist so etwas wie ein Multitalent<br />

rund ums Kaufen: Er hat mal<br />

bei einem Verkaufssender Staubsauger<br />

und Flachbild-Fernseher verhökert<br />

und Händler beim Aufbau von eigenen<br />

Web-Shops beraten. Aktuell verkauft er<br />

über Amazon diverse Produkte in seinem<br />

Shop namens SFD Medien, darunter Kondome,<br />

DVDs und CDs bis hin zu frischen<br />

Ananassäften. „Ich bin ein<br />

klassischer Gemischtwarenladen“,<br />

sagt Kahl.<br />

Um seine Amazon-Umsätze<br />

zu steigern, muss Kahl in der<br />

jeweiligen Produktkategorie zu<br />

den Preisführern gehören. Dabei<br />

hilft ihm eine Software, an<br />

der er zwei Jahre lang getüftelt<br />

hat. Kahl hat jetzt seinen Service<br />

so ausgebaut, dass ihn<br />

auch andere nutzen können.<br />

An diesem Montag geht er damit<br />

unter dem Namen Preisbutler24<br />

an den Start. Händler<br />

auf Amazon können mithilfe<br />

des neuen Dienstes ihre Verkaufspreise<br />

automatisch günstiger<br />

machen als der Wettbewerb.<br />

„Damit lässt sich der<br />

Absatz deutlich ankurbeln“,<br />

verspricht Kahl.<br />

IDIOTENARBEIT<br />

Der 41-Jährige hat mit den Verkaufspreisen<br />

der eigenen Produkte<br />

experimentiert: „Die Verkäufe sind<br />

immer dann durch die Decke gegangen,<br />

wenn ein Artikel der günstigste seiner Kategorie<br />

ist – und sei es nur um einen Cent.“<br />

Also passte er bei seinen im Durchschnitt<br />

40 angebotenen Artikeln mehrmals am Tag<br />

die Preise an – manuell. „Das war eine echte<br />

Idiotenarbeit, die geradezu nach einer<br />

eigenen Software schrie“, sagt Kahl. Kurzum<br />

heuert er einen Programmierer an, der<br />

ihm eine entsprechende Lösung baut.<br />

Kahls Idee basiert auf der Nutzung einer<br />

speziellen Schnittstelle, die Amazon den<br />

Händlern auf seiner Web-Seite anbietet –<br />

allerdings in der Regel für Warenwirtschaftssysteme.<br />

Über diese Schnittstelle<br />

greift die Software auf die Shopdaten zu<br />

und passt die Preise automatisch und in<br />

Echtzeit an die der Konkurrenz an, und<br />

zwar in einem vorgegebenen Preisrahmen.<br />

Anfang 2014 ist die erste Version der<br />

Software fertig. Um sie zu nutzen, muss ein<br />

Händler kein Programm kaufen, sondern<br />

kann sie aus der Cloud herunterladen.<br />

Über einen Web-Browser kann er dann für<br />

Anvisiert Preisbutler24-Gründer Kahl zielt<br />

mit seinem Dienst allein in Deutschland auf<br />

rund 50000 Amazon-Händler<br />

jedes seiner Produkte eine Preisober- und<br />

-untergrenze angeben. „Dadurch verkauft<br />

man nie unterhalb eines bestimmten<br />

Preisniveaus“, sagt Kahl.<br />

Gleichzeitig hilft Preisbutler24 dabei,<br />

den günstigsten Wettbewerber minimal zu<br />

unterbieten, um im Amazon-Ranking auf<br />

Platz eins zu stehen. „Wenn der beste Anbieter<br />

eine CD für 9,50 Euro anbietet, reichen<br />

9,49 Euro, um günstiger zu sein“, erläutert<br />

Kahl. „Wer sie für 9,20 Euro anbietet,<br />

verschenkt einen möglichen Gewinn<br />

von 29 Cent pro Verkauf.“ Das vermeidet<br />

ein Händler mithilfe von Preisbutler24.<br />

Vor dem jetzigen Start testet Kahl den<br />

Dienst in seinem eigenen Amazon-Shop.<br />

Die Ergebnisse sind beeindruckend: Im<br />

Dezember 2013 – ohne sein Hilfssystem –<br />

verzeichnet Kahl rund 250 Bestellungen.<br />

Mit dem System sind es im April 2014 bereits<br />

900 und im September 1500 Orders.<br />

Laut Kahl hat sich der Umsatz, der 2013 in<br />

sechsstelliger Höhe lag, allein in den ersten<br />

neun Monaten 2014 mehr als verdoppelt.<br />

RIESIGER MARKT<br />

Der Markt für einen derartigen Dienst ist<br />

groß: Offizielle Zahlen mag Amazon nicht<br />

preisgeben, aber nach Schätzungen von<br />

Kahl verkaufen allein in Deutschland rund<br />

50 000 Händler über die Plattform.<br />

Weltweit sollen es gut<br />

zwei Millionen sein.<br />

Einziger Haken aus Händlersicht:<br />

Je mehr Konkurrenten<br />

die automatische Preisanpassung<br />

nutzen, desto geringer<br />

wird für den Einzelnen der Nutzen<br />

– weil sich dann alle gegenseitig<br />

unterbieten. „Das wird<br />

aber nie für alle Produkte eines<br />

Händlers gleichzeitig gelten“,<br />

sagt Kahl. „Und wenn Sie über<br />

Amazon verkaufen, stehen Sie<br />

sowieso im Preiskampf.“<br />

Konkurrenz für die neuartige<br />

Software der Kölner gibt es erst<br />

vereinzelt. Meist handelt es<br />

sich dabei aber eher um spezielle<br />

Tools zum Lagermanagement<br />

wie etwa Feedvisor oder<br />

nur auf Kommissionsbasis arbeitende<br />

Dienste wie Seller-<br />

Mania. Der verlangt für jeden<br />

verkauften Artikel 29 Cent.<br />

„Das funktioniert bei vielen<br />

Produkten mit einer Marge von 50 Cent<br />

oder weniger aber nicht“, sagt Kahl. Das<br />

Kostenmodell von Preisbutler24 richtet<br />

sich danach, wie viele verschiedene Produkte<br />

ein Händler anbietet.<br />

Von jeder CD oder jedem Deo können<br />

dann beliebig viele verkauft werden. Im<br />

kleinsten Paket zur automatischen Preisanpassung<br />

bei zehn verschiedenen Produkten<br />

kostet Preisbutler24 im Monat 49<br />

Euro; 50 Produkte sind für 169 Euro zu haben.<br />

„Es ist ein einfaches Produkt, das Kunden<br />

am besten nie wieder abbestellen wollen“,<br />

schwärmt Kahl. Der passionierte Verkäufer<br />

ist mal wieder in seinem Element. n<br />

michael.kroker@wiwo.de<br />

FOTO: DOMINIK PIETSCH FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

74 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Technik&Wissen<br />

Die Jäger des<br />

verlorenen Klangs<br />

HI-FI | Das Internet machte MP3-Gedudel allgegenwärtig<br />

und raubte der Musik ihre Opulenz. Nun entdecken<br />

Künstler, Plattenlabels und Fans den perfekten Sound<br />

neu. Es ist eine Offenbarung – und hoch profitabel.<br />

Hör-Gerät<br />

Der Pono-Player hat in seinem<br />

Speicher Platz für rund 500<br />

Alben in höchster Klangqualität,<br />

399 Dollar<br />

Neil Young ist kein Freund von<br />

Schnörkeln und Shows. Was<br />

dem kanadischen Rock-Veteranen<br />

wichtig ist, packt er in<br />

seine Lieder – und was es zu<br />

fühlen gibt, in seine Musik. Und auf der<br />

Bühne mit Pyrotechnik statt mit Sound zu<br />

begeistern, das war noch nie sein Ding. An<br />

die 35 Alben hat der Soundtüftler aufgenommen,<br />

der am vergangenen Mittwoch<br />

69 Jahre alt wurde. Und stets hat Young mit<br />

einem technischen Manko gehadert: „Von<br />

dem was du im Studio oder auf der Bühne<br />

aufnimmst, kommt nur ein Bruchteil<br />

bei den Hörern deiner Platten an.“<br />

Das soll sich nun gründlich ändern.<br />

Gut 35 Jahre nach der Entwicklung der<br />

einst für ihren Sound gepriesenen Audio-CD<br />

schickt sich eine Generation innovativer<br />

Unternehmer und Soundtüftler<br />

an, den digitalen Klang in bisher<br />

kaum gekannter Qualität und Opulenz<br />

neu zu verbreiten. Und Young<br />

ist der prominenteste Treiber des<br />

Trends zu HiRes-Audio, wie die<br />

Szene diese hochauflösende Musik<br />

(Englisch: High Resolution)<br />

nennt.<br />

Was der Audiowelt<br />

bevorsteht, ist<br />

ein Innovationsschub,<br />

der die Unterhaltungsbranche so<br />

verändern wird wie der Techniksprung<br />

<strong>vom</strong> analogen Röhrenfernsehen zum<br />

hochauflösenden Digital-TV. Ähnlich wie<br />

HDTV viermal detailreichere Bilder liefert,<br />

stecken auch in HiRes-Audio rund viermal<br />

mehr Klangdetails als in CD-Musik (siehe<br />

Grafik Seite 79).<br />

Musiker, Plattenlabels, Hi-Fi-Hersteller<br />

und Audiophile, sie alle begeistern sich derzeit<br />

für die hochauslösende Musik. Denn<br />

was da den Weg zum Trommelfell findet, ist<br />

eine Offenbarung: Feinste Klangdetails, leiseste<br />

Töne, Atemzüge oder zartes Gleiten<br />

der Finger über Saiten oder Tasten – alles<br />

bekommt eine Klarheit und Transparenz,<br />

so als löste die Vormittagssonne schlagartig<br />

den Morgennebel auf, und das flaue Grau<br />

der Landschaft würde strahlend bunt.<br />

Möglich wird dieser Effekt, weil Hi-<br />

Res-Musik dem perfekten, analogen<br />

Originalklang so nahe kommt wie kein<br />

digitales Audioformat für den Massenmarkt<br />

zuvor. Fast 100 Mal pro Sekunde<br />

erfasst es die Tonsignale. CDs speichern<br />

nicht einmal halb so viele Abtastpunkte.<br />

Mehr noch, der Super-Sound kann Töne in<br />

mehr als 16 Millionen Nuancen wiedergeben,<br />

während die CD gerade gut 65 000<br />

Klangabstufungen kennt. Neben der akustischen<br />

Feinheit geht das insbesondere zulasten<br />

der leisen Tondetails und des räumlichen<br />

Klangempfindens.<br />

In den Achtzigerjahren des vergangenen<br />

Jahrhunderts konzipiert und mittlerweile<br />

total überholt, bieten CDs schlicht nicht<br />

genug Platz, um Songs und Musik in so<br />

hoher Audioqualität zu speichern, wie sie<br />

aufgenommen werden. Also quetschen<br />

die Tontechniker den digitalen Sound so<br />

lange zusammen, bis alles auf die digitale<br />

Platte passt.<br />

Noch weniger <strong>vom</strong> Original erlebt, wer<br />

komprimierte MP3-Dateien oder Audiostream<br />

aus dem Netz hört. Da kommt, gemessen<br />

am HiRes-Datenstrom, teils nicht<br />

mal mehr ein Dreißigstel an. Rock-Legende<br />

Young kommentiert das so: „Was heute<br />

als Musik verkauft wird, ist oft einfach Shit“,<br />

polterte er im März dieses Jahres auf der<br />

Konferenz SXSW im texanischen Austin.<br />

Waren CD-Audio und MP3-Musik die<br />

Antworten auf begrenzten Speicherplatz<br />

FOTO: PHOTO BY MAARTEN DE BOER/CONTOUR BY GETTY IMAGES<br />

76 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Global Player<br />

Altrocker Neil<br />

Young sammelte<br />

Millionenbeträge<br />

für den optimalen<br />

Klang ein<br />

und langsame Internet-Verbindungen, so<br />

sorgt nun erneut das Internet für den<br />

technischen Umbruch. Denn nun ermöglichen<br />

immer schnellere Breitbandanschlüsse<br />

den HiRes-Pionieren, die Musik<br />

in nahezu optimaler Qualität zu den<br />

Kunden zu bringen.<br />

NEUES ÖKOSYSTEM FÜR MUSIK<br />

Neil Young will einer von ihnen sein: Pono<br />

hat er das Start-up genannt – was rechtschaffen<br />

auf Hawaiianisch heißt –, das er<br />

2012 mit dem Silicon-Valley-Unternehmer<br />

Multimedia<br />

In den App-<strong>Ausgabe</strong>n<br />

finden Sie<br />

Hörproben und<br />

ein Video zum<br />

Pono-Player<br />

John Hamm gegründet hat, um den puren<br />

Klang unters audiophile Volk zu bringen.<br />

Ähnlich wie Apples Kombi aus iPod-<br />

Musikspieler und iTunes-Store wollen die<br />

Gründer zum einen die Hardware<br />

verkaufen, ihren Pono-<br />

Player, und zum anderen die Hi-<br />

Res-Musik über ihren Pono<br />

Musicstore. „Wir schaffen ein<br />

ganz neues Musik-Ökosystem“,<br />

verspricht Young. Die mobile<br />

Musikbox für höchstauflösende<br />

Musik erinnert in ihrem dreieckigen<br />

Design an eine Schweizer Kult-Schokolade.<br />

Young verspricht ähnlichen Genuss –<br />

wenn auch im Ohr statt auf der Zunge.<br />

800 000 Dollar, hatten Young und Hamm<br />

kalkuliert, würden sie zum Start<br />

benötigen, als sie ihr Projekt im<br />

April dieses Jahres auf der Finanzierungsplattform<br />

Kickstarter<br />

vorstellten. Das Geld hatten sie<br />

schon am ersten Tag beisammen,<br />

und zum Schluss rund 6,2 Millionen<br />

Dollar eingesammelt. Seit<br />

Ende Oktober können Audio-<br />

»<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 77<br />

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Technik&Wissen<br />

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fans den Super-iPod in den USA im Pono<br />

Musicstore für 399 Dollar bestellen. Im<br />

Frühjahr 2015 soll er lieferbar sein.<br />

Die dritthöchste Summe, die bis dato je<br />

ein Kickstarter-Projekt erzielt hatte, ist sicher<br />

auch der Prominenz seiner Gründer<br />

geschuldet. Aber nicht nur. Denn Young ist<br />

zwar der bekannteste, aber mitnichten der<br />

einzige Jäger des verlorenen Klanges. Die<br />

ganze Audiowelt ist elektrisiert.<br />

Die Erwartungen ans Marktwachstum<br />

sind enorm. Was etwa den japanischen<br />

Elektronikriesen Panasonic dazu brachte,<br />

seine vor zwölf Jahren eingemottete Hi-Fi-<br />

Marke Technics wiederzubeleben. Zwei<br />

High-End-Anlagen für den neuen Super-<br />

Sound haben die Japaner Anfang September<br />

auf der Elektronikmesse IFA in Berlin<br />

vorgestellt; darunter spezielle Mediaplayer,<br />

die HiRes-Musik <strong>vom</strong> PC oder von einer<br />

ans Heimnetz angeschlossenen Festplatte<br />

abspielen. In den nächsten Wochen kommen<br />

die ersten Systeme in die Läden.<br />

„Die Nachfrage im Handel wächst, und<br />

auch online nimmt die Begeisterung für<br />

höchste Audioqualität zu“, sagt Michiko<br />

Ogawa. Die 51-Jährige ist nicht nur eine der<br />

Top-Jazz-Pianistinnen in Japan. Die studierte<br />

Toningenieurin verantwortet bei<br />

Panasonic zugleich die Wiedereinführung<br />

der Traditionsmarke. „Es ist der ideale Zeitpunkt,<br />

beste Technik und die Emotionalität<br />

großartiger Musik zusammenzubringen“<br />

(siehe Interview Seite 80).<br />

NACH DREI MONATEN PROFITABEL<br />

Bei Lothar Kerestedjian dürfte sie damit<br />

auf volle Zustimmung treffen. Der 52-jährige<br />

passionierte Schlagzeuger, Sohn eines<br />

Armeniers und einer Berlinerin, ist einer<br />

der Pioniere der HiRes-Szene. Er kennt das<br />

Musikgeschäft aus jeder Perspektive, war<br />

Manager der australischen Rockband<br />

INXS, hat für den US-Popstar Prince gearbeitet<br />

und mehrere japanische Elektronikkonzerne.<br />

Vor allem aber ist er ein rastloser<br />

Vorkämpfer für erstklassigen Klang. 2011<br />

gründete Kerestedjian mit seinem Bruder<br />

Frank HighResAudio.com, einen der inzwischen<br />

weltweit führenden digitalen<br />

Plattenläden für hochauflösende Musik.<br />

Der Erfolg hat die Gründer selbst überrascht.<br />

„Wir dachten, mit dem Angebot vor<br />

allem die alten analogen Sound-Enthusiasten<br />

zu erreichen und frühestens nach<br />

eineinhalb Jahren profitabel zu sein“, erzählt<br />

Kerestedjian. „Tatsächlich haben wir<br />

schon nach drei Monaten schwarze Zahlen<br />

geschrieben, so groß war die Resonanz.“<br />

Zumal neben audiophilen Connaisseuren<br />

der Generation 50+ inzwischen zunehmend<br />

auch Käufer ab Mitte 20 seinen Online-Shop<br />

besuchen. „Gemessen am Massengeschäft,<br />

ist HiRes zwar noch eine Nische,<br />

aber sie wird immer größer.“<br />

Das liegt auch daran, dass der neue Digitalklang<br />

den perfekten Sound plötzlich all<br />

jenen Musikfreunden erschließt, denen<br />

der Umbau des Wohnzimmers zum privaten<br />

Akustik-Labor bisher zu aufwendig war.<br />

„Weil sich die hochauflösenden Soundbits<br />

völlig unverfälscht übertragen lassen<br />

und analoge Störungen wegfallen, tönt’s<br />

Akustische Instanz Holger Fromme<br />

arbeitet am perfekten Lautsprecher<br />

auch ohne Riesenaufwand grandios“, sagt<br />

Holger Fromme. Der Gründer der Odenwälder<br />

Lautsprecher-Manufaktur Avantgarde<br />

Acoustic ist in Sachen Hi-Fi eine Instanz.<br />

Seit drei Jahrzehnten gelten seine<br />

Hornlautsprecher als Referenz. Unverdrossen<br />

hat er die Technik optimiert, immer<br />

mit dem Ziel, alle denkbaren analogen Störungen<br />

aus dem Klang zu eliminieren.<br />

Jetzt hat der 57-Jährige mit dem Zero 1<br />

seinen ersten aktiven, komplett digitalen<br />

Lautsprecher gebaut – und räumt damit<br />

Hi-Fi- und Design-Preise ab. Wo Soundfe-<br />

FOTOS: PR<br />

78 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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tischisten bisher armdicke<br />

Kabel mit Goldsteckern zu<br />

den Boxen verlegten, „empfangen<br />

digitale Lautsprecher<br />

ihr Signal künftig drahtlos<br />

von der vernetzten Stereoanlage“,<br />

sagt der Odenwälder.<br />

Die Verbindung von dezent auftretender<br />

Technik und atemberaubendem Klang<br />

mache die Hi-Fi-Welt zudem für weibliche<br />

Musikfans attraktiver, glaubt Fromme.<br />

„Bisher ist das primär ein Thema für Jungs,<br />

künftig wird die Zielgruppe viel größer.“<br />

DER PREIS DER QUALITÄT<br />

Das lohnt sich für die Labels gleich doppelt.<br />

Denn was immer die einschlägigen<br />

Download-Plattformen an Rock, Jazz, Pop<br />

oder Klassik anbieten, stets gibt’s die High-<br />

End-Musik nur gegen einen Preiszuschlag<br />

gegenüber Downloads in CD- oder<br />

MP3-Format. So steht etwa das brandneue<br />

Pink-Floyd-Album „The Endless River“ in<br />

CD-Qualität für knapp 16 Euro in Apples<br />

iTunes Store. Bei Kerestedjian kostet der<br />

Download des gleichen Albums – dafür<br />

auch in vielfach besserer Auflösung der<br />

Sounddatei – 24 Euro.<br />

Gut zwei Drittel davon müssen Online-<br />

Händler dem Vernehmen nach an die Labels<br />

durchreichen, die daher <strong>vom</strong> Geschäft<br />

mit dem High-End-Sound überproportional<br />

profitieren. Und doch noch nicht recht<br />

ahnen, welches – auch wirtschaftliche –<br />

Potenzial in ihren Audioarchiven lagert.<br />

Schließlich muss, wer sich für die neue,<br />

akustische Opulenz begeistert, seine Plattensammlung<br />

de facto noch einmal kaufen.<br />

Denn die bestehende CD-Sammlung<br />

oder als MP3-Datei gekaufte Stücke lassen<br />

sich nicht mehr sinnvoll in hochauflösende<br />

Dateiformate umwandeln. Klangdetails,<br />

die bei der CD-Produktion, dem Mastering,<br />

und erst recht bei der MP3-Kompression<br />

weggefallen sind, lassen sich schlicht<br />

nicht mehr herbeizaubern.<br />

Trotzdem bringe manches Plattenlabel<br />

alte Aufnahmen technisch auf HiRes-<br />

Niveau; doch das sei nichts anderes, als<br />

„aus Mist Bonbons zu machen“, ärgert sich<br />

Klangexperte Kerestedjian, „die müffeln<br />

trotzdem“. Er hat derart aufgeblasene<br />

Audiodateien konsequent aus seinem<br />

Online-Shop verbannt – und ist stattdessen<br />

regelmäßig als Audioarchäologe bei den<br />

Musikkonzernen unterwegs. „Immer auf<br />

der Suche nach den Originalbändern.“ Immerhin,<br />

inzwischen beschäftigten viele<br />

Labels eigene Spezialisten, die sogar bei<br />

den Aufnahmestudios nach alten Bändern<br />

forschen, wenn<br />

sich die Originale<br />

erfolgreicher<br />

Aufnahmen<br />

in den eigenen<br />

Archiven nicht mehr<br />

auffinden lassen.<br />

Und so wächst das Angebot an HiRes-<br />

Titeln zwar kontinuierlich, aber längst nicht<br />

so rasch, wie die Zahl von Musikveröffentlichungen<br />

in den etablierten Formaten. Auch,<br />

weil der Super-Sound bei der Aufnahme einiges<br />

an Mehraufwand erfordert: „Stücke,<br />

die für die Wiedergabe auf MP3-Spielern angepasst<br />

sind, klingen keinen Deut besser,<br />

wenn man sie einfach ins höherwertige Format<br />

umkopiert“, sagt Eric Kingdon, der beim<br />

japanischen Elektronikkonzern Sony das<br />

Home-Audio- und Video-Geschäft in Europa<br />

betreut. „Die müssten ganz neu und<br />

hochauflösend abgemischt werden.“<br />

Der 59-jährige Brite ist bei Sony seit den<br />

frühen Achtzigern so etwas wie der europäische<br />

Grandmaster of Sound, hat die<br />

Einführung der CD begleitet und ist nun<br />

auch dafür verantwortlich, Sonys HiRes-<br />

Audiosysteme für europäische Hörgewohnheiten<br />

zu optimieren. „Es ist wie die<br />

Befreiung der Musik von den Beschränkungen<br />

der Vergangenheit“, sagt Kingdon.<br />

„Dabei lässt sich HiRes-Audio so einfach<br />

nutzen, wie das die Generation Online seit<br />

Jahren mit MP3 kennt.“<br />

Zumindest fast. Denn während die meisten<br />

PCs und Multimediaplayer für die heimische<br />

Stereoanlage, aber auch erste<br />

Smartphones wie Sonys Xperia Z3 bereits<br />

HiRes-Dateien in höchster Auflösung abspielen,<br />

fehlt die Funktion etwa in Apples<br />

neuen iPhone-6-Modellen noch.<br />

Das wird kaum so bleiben. Gerade erst<br />

kündigte Musiker Bono, Kopf der irischen<br />

Band U2, im Interview mit dem US-Magazin<br />

„Time“ an, die Band arbeite mit Apple<br />

an einem „unwiderstehlichen Musikformat“.<br />

iFans interpretieren das bereits als<br />

Zusage, dass HiRes-Audio auch auf iPhone<br />

und Co. kommt.<br />

Spätestens das wäre für den Super-<br />

Sound der Durchbruch im Massenmarkt. n<br />

thomas.kuhn@wiwo.de<br />

Die perfekte Welle<br />

Um analoge Töne in Musikdateien umzuwandeln, muss das Signal digitalisiert werden.<br />

Je häufiger die Schwingung gemessen wird (Abtastfrequenz), je feiner die Auflösung der<br />

Messwerte ist (Bittiefe), desto höher ist die Qualität der digitalen Musik (Datenrate)<br />

Tonschwingung<br />

Zeit<br />

Analoger Klang<br />

Perfekte<br />

Schwingung<br />

Abtastfrequenz<br />

Auflösung<br />

Datenrate<br />

Platten-Speicher<br />

Sonys Audio-Player Z1ES<br />

spielt HiRes-Musik fast aller<br />

Formate aus dem Netzwerk und von<br />

seiner Ein-Terabyte-Festplatte.<br />

1799 Euro<br />

Grob aufgelöstes Signal<br />

mit niedriger Abtastrate<br />

und Bittiefe (MP3*)<br />

8–44,1 Kilohertz<br />

16 Bit<br />

128–320 Kilobit/Sekunde<br />

Schall-Wandler<br />

Der winzige Verstärker<br />

A200p von Beyerdynamic<br />

wandelt HiRes-Digitalmusik<br />

in analogen Sound um.<br />

299 Euro<br />

KONTEXT<br />

Feiner aufgelöstes Signal<br />

mit erhöhter<br />

Abtastrate (CD)<br />

44,1 Kilohertz<br />

16 Bit<br />

1411 Kilobit/Sekunde<br />

* nicht dargestellt ist der zusätzliche Detailverlust durch die psycho-akustische Datenkompression bei MP3<br />

Kopf-Sache<br />

Philips’ M2L-Kopfhörer<br />

ermöglicht es, dank seines<br />

Audiochips HiRes auch <strong>vom</strong><br />

iPhone wiederzugeben.<br />

249 Euro<br />

MP3-, CD- und HiRes-Hörproben aus dem<br />

neuen Album „Fragile“ des Musikers Robert<br />

Len finden Sie auf wiwo.de/sound<br />

Musik in HiRes-Qualität gibt es online unter<br />

anderem bei HDtracks.com, HighResAudio.<br />

com, Linnrecords.com oder Qobuz.com<br />

Lesen Sie weiter auf Seite 80 »<br />

Hochwertiges Signal<br />

mit hoher Abtastrate<br />

und Bittiefe (HiRes)<br />

96 Kilohertz<br />

24 Bit<br />

4608 Kilobit/Sekunde<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 79<br />

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Technik&Wissen<br />

INTERVIEW Michiko Ogawa<br />

Musik, Mode, Möbel<br />

Die japanische Jazz-Pianistin will die Hi-Fi-Kultmarke Technics wiederbeleben.<br />

Und setzt dabei auch auf ungewöhnliche Vertriebswege.<br />

DIE TONFOLGERIN<br />

Frau Ogawa, Hi-Fi-Anlagen gelten<br />

gemeinhin als teures Hobby technikverliebter<br />

Jungs fortgeschrittenen Alters.<br />

Nun soll eine Komponistin und Pianistin<br />

wie Sie die 2002 eingestellte Kultmarke<br />

Technics des Elektronikriesen Panasonic<br />

wieder auf den Markt bringen.<br />

Kollidieren da nicht die Kulturen?<br />

Kunst und Technik vertragen sich besser,<br />

als viele denken. Zudem bin ich nicht<br />

nur Musikerin, sondern auch Toningenieurin.<br />

Bei Technics ist damit sowohl<br />

meine linke, als auch meine rechte Gehirnhälfte<br />

gefragt. Und das macht nicht<br />

nur sehr viel Freude. Auch das Ergebnis<br />

wird sich hören lassen, wenn wir in die<br />

Läden zurückkommen.<br />

In den vergangenen zwölf Jahren hat<br />

sich die Musikwelt radikal verändert.<br />

Das Dateiformat MP3 hat Musik im Internet<br />

zum Massengut gemacht. Statt<br />

CDs zu kaufen, streamen die Menschen<br />

heute Hits zum Pauschalpreis aus<br />

dem Netz. Ist Hi-Fi-Technik da nicht<br />

ein Anachronismus?<br />

Im Gegenteil, die Kunden begeistern<br />

sich wieder für höchste Audioqualität.<br />

Die Nachfrage im Handel wächst, auch<br />

die Online-Nutzer interessieren sich immer<br />

häufiger für wirklich erstklassigen<br />

Sound.<br />

Wie erklären Sie sich die Renaissance?<br />

Vielleicht ist es eine Art Gegenbewegung<br />

zum Boom der komprimierten Musik der<br />

vergangenen Jahre. Internet und MP3<br />

haben es uns einerseits erst ermöglicht,<br />

riesige Musiksammlungen in winzige<br />

Geräte zu packen. Andererseits ist bei der<br />

Digitalisierung viel von der Opulenz<br />

verloren gegangen, mit der uns Musik in<br />

ihren Bann ziehen kann.<br />

Warum sollte sich das wieder ändern?<br />

Interessanterweise spielt wieder das Netz<br />

die Rolle des Katalysators. Denn weil die<br />

Leitungen immer schneller werden, können<br />

wir auf einmal Musik in einer Qualität übertragen,<br />

die weit über der von CDs liegt. Das<br />

geht so schnell und bequem, wie wir das<br />

über die Jahre mit MP3-Dateien gelernt haben.<br />

Nur klingt diese neue Musik faszinierend<br />

viel besser. Es ist der ideale Zeitpunkt,<br />

beste Technik und die Emotionalität großartiger<br />

Musik wieder zusammenzubringen.<br />

Mit einer Marke, die Musikfans aus der<br />

Generation iPhone kaum etwas sagt?<br />

Täuschen Sie sich nicht. Technics hat, selbst<br />

nach Jahren der Abstinenz, noch einen extrem<br />

guten Ruf in der Szene. Und speziell in<br />

Ogawa, 51, ist eine Ausnahmeerscheinung: Als Direktorin<br />

der wiederauferstandenen Hi-Fi-Marke<br />

Technics besetzt sie einen Top-Job in der<br />

männerdominierten Wirtschaft Japans.<br />

Als studierte Toningenieurin entwickelte<br />

sie für Panasonic ultraflache<br />

Lautsprecher. Und als Pianistin<br />

zählt sie, die mit drei Jahren<br />

begann, Klavier zu lernen,<br />

zu den führenden<br />

Künstlern der<br />

japanischen<br />

Jazz-Szene.<br />

Deutschland haben viele<br />

Menschen eine Technics-<br />

Vergangenheit. Deshalb starten<br />

wir erst hier und gehen<br />

dann in andere Länder.<br />

Auch weil Deutschlands Audiophile<br />

besonders zahlungskräftig sind?<br />

Ihre neue Spitzenanlage, die Sie auf der<br />

IFA in Berlin gezeigt haben, ist mit<br />

40 000 Euro fast schon prohibitiv teuer.<br />

Ganz ehrlich, wir rechnen bei ihr auch<br />

nicht mit riesigen Absatzzahlen. Aber sie<br />

ist ein Ausrufezeichen, ein Leuchtturm<br />

für unseren technischen und qualitativen<br />

Anspruch. Die neue Premiumklasse<br />

darunter ist schon deutlich günstiger,<br />

aber immer noch ein klares Statement in<br />

Sachen Klangqualität – mit der wir dann<br />

übrigens zu den alten auch ganz neue<br />

Zielgruppen erreichen wollen.<br />

Welche?<br />

Frauen zum Beispiel. Bisher kaufen tatsächlich<br />

vorwiegend Männer Hi-Fi-Geräte<br />

– mit starkem Fokus auf technische<br />

Details. Viel mehr als das viele Frauen<br />

tun, die mit der sehr technischen Präsentation<br />

der Anlagen im klassischen<br />

Hi-Fi-Handel oft nicht viel anfangen<br />

können. Aber das heißt ja nicht, dass sie<br />

sich nicht für großartigen Klang begeistern.<br />

Schließlich ist Musik Emotion pur...<br />

...die bisher – wenn es um Hi-Fi-Anlagen<br />

geht – zu männlich verkauft wird?<br />

Zu männlich? So würde ich das nicht<br />

sagen. Allenfalls zu fokussiert. Natürlich<br />

werden wir zum Marktstart die klassischen,<br />

anspruchsvollen Audiofans erst<br />

einmal über den hoch qualifizierten<br />

Hi-Fi-Handel ansprechen. Nur glaube<br />

ich, dass wir daneben auch andere weiblichere<br />

Wege werden gehen können.<br />

Zum Beispiel, indem wir Musik und<br />

Mode zusammenbringen.<br />

Wollen Sie etwa Hörstudios in Boutiquen<br />

einrichten?<br />

Warum soll eine Kundin, wenn sie nach<br />

schöner Kleidung sucht, nicht auf den<br />

faszinierenden Klang unserer Premium-<br />

Class-Systeme stoßen – und sich den<br />

auch gönnen wollen? Oder wir gehen in<br />

edle Design- und Möbelgeschäfte und<br />

installieren da unsere Anlagen. Ein schönes<br />

Ambiente und ein ebenso hochwertiger<br />

Klang – ich glaube, dass das sich<br />

sehr gut ergänzt. Und, dass wir auch auf<br />

diesem Weg neue Kundinnen für Technics<br />

gewinnen.<br />

n<br />

thomas.kuhn@wiwo.de<br />

FOTOS: PR<br />

80 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Straße unter Strom<br />

FOTOVOLTAIK | Seen, Fassaden, sogar Autokarosserien sollen zu<br />

Solarkraftwerken werden – und preiswerte Energie liefern.<br />

Kohlemeilern. Selbst in den Niederlanden,<br />

die nicht gerade für viel Sonnenschein bekannt<br />

sind, ist Strom aus eigenen Solarzellen<br />

billiger als Energie aus dem Netz.<br />

Doch der Platz für Solaranlagen ist begrenzt.<br />

Selbst wenn alle Gebäude in den<br />

Niederlanden mit Fotovoltaikmodulen bedeckt<br />

wären, würden sie gerade ein Viertel<br />

des benötigten Stroms erzeugen, rechnet<br />

Energiepionier de Wit vor. Wer mehr Solarenergie<br />

wolle, müsse neue Flächen erschließen.<br />

Straßen seien dazu ideal. Mit<br />

Solarzellen gespickt, könnten sie an sonnigen<br />

Tagen den Energiebedarf des gesamten<br />

Landes decken. Niemand müsste mehr<br />

wertvolle Äcker mit Paneelen überziehen.<br />

Voor niets gaat de zon op“, stöhnen die<br />

Holländer, wenn eine Rechnung in<br />

den Briefkasten flattert. Das bedeutet<br />

so viel wie „umsonst geht nur die Sonne<br />

auf“ – alles andere im Leben kostet Geld.<br />

Darüber kann man jammern, oder man<br />

sieht es als Geschenk, wie Stan de Wit.<br />

Wenn der Sonnenaufgang gratis ist, glaubt<br />

der Mitgründer des niederländischen<br />

Start-ups Solaroad, sollten wir ihn nutzen –<br />

zur Stromerzeugung.<br />

De Wit hat einen irren Plan: Er will Straßen<br />

in Solarkraftwerke verwandeln. Vergangenen<br />

Mittwoch ist er seiner Vision einen<br />

Schritt näher gekommen, an einer<br />

Landstraße nahe der Kleinstadt Krommenie<br />

bei Amsterdam. Der Wirtschaftsminister<br />

kam, die Presse, eine Menge Schaulustige.<br />

Nicht bloß irgendeinen Straßenabschnitt<br />

eröffnete der Minister hier – sondern<br />

den ersten Radweg der Welt, der<br />

Strom erzeugt.<br />

70 Meter lang, eineinhalb Meter breit<br />

und mit einem Zentimeter dicken Sicherheitsglas<br />

bedeckt, unter dem blaue Solarzellen<br />

schimmern: Ein Kraftwerk zum<br />

Drüberrollen, und die Energie kommt gratis<br />

<strong>vom</strong> Himmel. „Straßen könnten bald<br />

den Strom für unsere Elektroautos erzeugen“,<br />

schwärmt de Wit, „wäre das nicht<br />

wunderbar?“<br />

Platten-Bau Arbeiter in den Niederlanden<br />

verlegen den weltweit ersten Solar-Radweg<br />

So wagemutig die Idee der Holländer erscheint<br />

– abwegig ist sie nicht. Weltweit tüfteln<br />

Forscher daran, Solarmodule an völlig<br />

neuen Orten zu installieren: in Hausfassaden,<br />

Autodächern und sogar schwimmend<br />

auf Seen. Denn das Sonnenlicht, das täglich<br />

auf die Erde trifft, enthält 10 000-mal<br />

mehr Energie, als die Menschheit verbraucht.<br />

Ließe sich nur ein Teil davon nutzen,<br />

ginge uns der Strom nie mehr aus.<br />

Inzwischen sind Solarmodule so preiswert,<br />

dass die Idee von der allgegenwärtigen<br />

Sonnenenergie auch ökonomisch realisierbar<br />

erscheint. In einem neuen Kraftwerk<br />

in den USA etwa kostet Solarstrom pro<br />

Kilowattstunde nur noch vier Euro-Cent –<br />

das ist günstiger als Elektrizität aus neuen<br />

Solarzellen auf<br />

Highways könnten<br />

den Strombedarf<br />

der USA decken<br />

EINNAHMEN FÜR KOMMUNEN<br />

Straßen als Kraftwerke sind nicht nur ökologisch<br />

sinnvoll, glaubt de Wit, sondern<br />

auch ökonomisch. Der Pilot-Radweg kostete<br />

inklusive Forschung und Entwicklung<br />

zwar satte drei Millionen Euro – Geld, das<br />

von der niederländischen Industrieforschungsorganisation<br />

TNO kam, von der<br />

Provinz Nord-Holland, dem Straßenbauspezialisten<br />

Ooms Civiel und dem Gebäudedienstleister<br />

Imtech.<br />

Künftig will de Wit die Solarwege in<br />

günstiger Fließbandarbeit fertigen. Bauarbeiter<br />

müssten die dreieinhalb mal zweieinhalb<br />

Meter großen Betonteile dann nur<br />

vor Ort verlegen, verkabeln und ans Stromnetz<br />

anschließen – schon fließe Energie<br />

von der Straße ins Netz. Die Solarwege<br />

könnten so zur Geldquelle für klamme<br />

Kommunen werden. Der erzeugte Strom<br />

spiele die Kosten für Solarzellen, Elektronik<br />

und Glasversiegelung in weniger als 15<br />

Jahren ein, glaubt de Wit. Danach bringe<br />

jede Kilowattstunde Gewinn.<br />

Erste Zahlen gibt es. Binnen drei Wochen<br />

erzeugte der Radweg 140 Kilowattstunden<br />

Strom. Das bestätigt die Schätzungen<br />

der Forscher, denen zufolge rund 70<br />

Meter Radweg im Jahresschnitt genug<br />

Strom für zwei Haushalte liefern. Dennoch<br />

muss der Freilandversuch noch eine Menge<br />

Fragen beantworten: Hält die Glas-Fahrbahn<br />

auch schweren Fahrzeugen stand,<br />

wie die Macher versichern? Wie stark werden<br />

Staub und Schatten die Stromausbeute<br />

senken? Und halten die Module Regenwasser,<br />

Eis und Schnee stand?<br />

Vor genau diesen Fragen steht auch der<br />

Ingenieur Scott Brusaw rund 8000 Kilometer<br />

weiter westlich im US-Bundesstaat Idaho.<br />

„Würden wir sämtliche Highways, Parkplätze<br />

und Gehwege im Land mit Solarzellen<br />

pflastern, könnten wir dreimal so viel<br />

»<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 81<br />

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Technik&Wissen<br />

Architekten-Glück Solarzellen passen sich Gebäudefassaden an<br />

Wasser-Kraft Erste Fotovoltaikanlagen gehen baden<br />

»<br />

Strom produzieren, wie wir verbrauchen“,<br />

sagt er. Brusaw tüftelt seit 2010 an einem<br />

Straßenbelag, der Energie erzeugt.<br />

INNOVATIONSPREIS<br />

Ideen gesucht<br />

WirtschaftsWoche, Accenture,<br />

EnBW und Evonik<br />

suchen wieder Deutschlands<br />

innovativste Unternehmen:<br />

Vergeben wird<br />

der Deutsche Innovationspreis<br />

an Start-ups, Mittelständler und<br />

Konzerne aller Branchen. Bewerben<br />

Sie sich bis 28. November mit Ihren<br />

Ideen – <strong>vom</strong> Produkt übers Geschäftsmodell<br />

bis zur Dienstleistung. Alle Infos:<br />

www.der-deutsche-innovationspreis.de<br />

KRAFTWERK AUF DEM TEICH<br />

Das US-Verkehrsministerium unterstützt<br />

seine Arbeit mit insgesamt 850 000 Dollar.<br />

Mit dem Geld baute Brusaw genug Solarmodule,<br />

um einen vier mal zwölf Meter<br />

großen Parkplatz vor seiner Scheune zu<br />

pflastern. Die kleinen Kraftwerke heizen<br />

sich mit ihrem Strom selbst, sodass im<br />

Winter kein Schnee liegen bleibt. Eingebaute<br />

LED-Lampen können Fahrbahnstreifen<br />

anzeigen. In einem ersten Test produzierten<br />

die Zellen auf dem Parkplatz immerhin<br />

60 Prozent des Stroms, den eine<br />

Dachanlage liefert. Um seine Paneele weiterzuentwickeln,<br />

sammelte Brusaw im<br />

Sommer mehr als zwei Millionen Dollar<br />

per Crowdfunding im Internet ein. Eine<br />

Teststrecke soll im Frühjahr 2015 folgen.<br />

Nicht nur zu Lande, auch zu Wasser gibt<br />

es noch nutzbare Areale. Der Franzose Bernard<br />

Prouvost hat sie erschlossen und<br />

kann bereits mit einem funktionierenden<br />

Geschäftsmodell aufwarten. Der Chef des<br />

Unternehmens Ciel et Terre aus dem nordfranzösischen<br />

Lille hat Kunststoffpontons<br />

entwickelt, auf denen sich herkömmliche<br />

Solarpaneele befestigen lassen. Vor allem<br />

in Japan stößt sein Produkt auf reges Interesse.<br />

Da das bergige Land kaum noch größere<br />

freie Flächen besitzt, sind Teiche und<br />

Seen eine Alternative.<br />

Im September begann der japanische<br />

Mischkonzern Kyocera mit dem Bau der<br />

nach eigener Aussage größten schwimmenden<br />

Solaranlage der Welt auf zwei<br />

Seen unweit von Osaka. Auf drei Megawatt<br />

Leistung bringen es die Zellen, genug um<br />

rund 500 japanische Haushalte mit Strom<br />

zu versorgen. Weitere 30 schwimmende<br />

Kraftwerke sollen in den nächsten Monaten<br />

folgen. „Unsere Anlagen sind zwar bis<br />

zu 15 Prozent teurer als die an Land“, sagt<br />

Prouvost. Aber die geringen Pachtkosten<br />

auf dem Wasser gleichen den Nachteil aus.<br />

Da immer nur Teile der Wasseroberfläche<br />

bedeckt sind, soll auch nicht das Ökosystem<br />

des Sees leiden.<br />

Neben Straßen und Seen erobern Solaranlagen<br />

noch einen weiteren Ort: Hauswände.<br />

Früher waren die Anlagen für Architekten<br />

wenig attraktiv, weil ihre Farbe<br />

und Form sich nicht anpassen ließen.<br />

Doch das ändert sich jetzt. So eröffnete der<br />

litauische Solarpionier Juras Ulbikas, Leiter<br />

des EU-Forschungsprojekts Smart Flex, im<br />

Oktober in Vilnius eine Solarfabrik, in der<br />

Roboter maßgefertigte Solarmodule herstellen.<br />

Architekten können am Computer<br />

ganze Fotovoltaikfassaden entwerfen –<br />

und die Pläne mit einem Mausklick zur Solarfabrik<br />

schicken. Auf der Baustelle müssen<br />

die Arbeiter die einzelnen Elemente<br />

nur noch zu einer Wand aus Glas zusammenfügen.<br />

Auch farblich lassen sich Solarpaneele<br />

nun an Fassaden anpassen. Bisher waren<br />

die Module nur in Blau-Schwarz zu bekommen.<br />

Das Schweizer Forschungsunternehmen<br />

CSEM hat eine Folie entwickelt,<br />

die das sichtbare Licht reflektiert,<br />

aber Infrarotlicht zu den Zellen durchlässt.<br />

Die Folie lässt sich in beliebigen Farben<br />

herstellen – sogar in Weiß. Die Beschichtung<br />

soll kaum Mehrkosten verursachen,<br />

allerdings senkt sie den Wirkungsgrad der<br />

Zellen. Den Entwickler Christoph Ballif<br />

ficht das nicht an, „schließlich produzieren<br />

wir nun auf Flächen Strom, wo das vorher<br />

nicht möglich war“. Viele Architekten hätten<br />

schon Interesse bekundet.<br />

AUTO MIT SOLARLACK<br />

Künftig sollen Solarzellen Teil der verschiedensten<br />

Oberflächen werden und sich<br />

sogar wie Lack aufsprühen lassen. Wissenschaftlern<br />

der britischen Universität Sheffield<br />

ist das unlängst mit dem Mineral<br />

Perowskit geglückt. Die titanhaltige Verbindung<br />

ist erheblich günstiger als das bisher<br />

verwendete Silizium und soll schon bald<br />

massenhaft eingesetzt werden. Eines Tages,<br />

so hoffen die Forscher, werden Perowskit<br />

auf jede erdenkliche Oberfläche aufgetragen.<br />

Der Autobauer Daimler will diese Entwicklung<br />

mit seinem kürzlich in Peking<br />

präsentierten Konzeptauto G-Code schon<br />

vorwegnehmen. Der Mix aus Gelände- und<br />

Sportwagen hat einen imaginären Solarlack,<br />

der Strom erzeugt. „Bisher handelt es<br />

sich nur um eine Vision“, heißt es beim<br />

Autobauer. Eine Vision, die bald wahr werden<br />

könnte – so wie der Solarradweg des<br />

Niederländers de Wit.<br />

n<br />

andreas.menn@wiwo.de, benjamin reuter@wiwo.de<br />

82 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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VALLEY TALK | Prominente Start-ups<br />

schwimmen derzeit geradezu in Startkapital.<br />

Für mögliche Börsengänge verheißt<br />

das nichts Gutes. Von Matthias Hohensee<br />

Magie der Fabelwesen<br />

FOTOS: PR (2), JEFFREY BRAVERMAN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

Profi-Investoren nennen jene<br />

Jungunternehmen Einhörner, deren<br />

Bewertung noch vor dem<br />

Börsengang die magische Grenze<br />

von einer Milliarde Dollar übersteigt –<br />

um klarzumachen: Diese Firmen sind etwas<br />

Besonderes. Doch der Begriff passt<br />

nicht mehr richtig. Denn die Fabelwesen<br />

vermehren sich gerade enorm. Mittlerweile<br />

gibt es allein in Nordamerika laut der<br />

US-Wirtschaftsprüfung Pricewaterhouse-<br />

Coopers mehr als 50 Start-ups mit einer<br />

derart hohen Bewertung. Was an der Flut<br />

billigen Geldes liegt, das angelegt sein will.<br />

Die neue Elite sind jetzt die Super-Einhörner,<br />

die Investoren auf mindestens fünf Milliarden<br />

Dollar taxieren. Die Liste dieser<br />

noch relativ raren Spezies führt derzeit der<br />

Logistikdienstleister Uber an, gefolgt von<br />

der Bettenbörse Airbnb, dem Speicherservice<br />

Dropbox, dem Kommunikationsdienst<br />

Snapchat, dem Datenanalytiker Palantir,<br />

der Zahlungsplattform Square und der sozialen<br />

Pinnwand Pinterest. Alle wachsen<br />

kräftig, schreiben aber Verluste. Allein diese<br />

sieben haben seit 2007 rund 5,5 Milliarden<br />

Dollar eingesammelt. Spitzenreiter ist<br />

Uber mit 1,6 Milliarden Dollar. Angeblich<br />

will das Management nun mindestens eine<br />

weitere Milliarde Dollar für die weltweite Expansion<br />

hereinholen. Manche Analysten<br />

trauen dem Taxivermittler zu, weit mehr als<br />

die 18 Milliarden Dollar wert zu sein, von<br />

denen bisher immer die Rede war.<br />

Das sind Unsummen im Vergleich zu den<br />

Vorgängern der Super-Einhörner aus der<br />

Ära des ersten Internet-Booms. Deren Wert<br />

stieg erst nach dem Börsengang. Yahoo<br />

sammelte beim Start vor 20 Jahren 6,8 Millionen<br />

Dollar ein. Amazon benötigte nur<br />

acht Millionen Dollar. Summen, die die heutigen<br />

Stars aus der Portokasse zahlen könnten.<br />

Ebay war eigentlich nicht auf Fremdkapital<br />

angewiesen, weil es schon kurz nach<br />

Start profitabel war. Gründer Pierre Omidyar<br />

holte nur deshalb den Wagnisfinanzierer<br />

Benchmark Capital an Bord, weil er ohne<br />

namhaften Kapitalgeber Nachteile bei Geschäftsausbau<br />

und Börsengang fürchtete.<br />

Von den 6,7 Millionen Dollar Startkapital<br />

legte er fünf Millionen Dollar als Reserve auf<br />

die Bank. Selbst die Anschubfinanzierung<br />

für Google fiel bescheiden aus. Der gebürtige<br />

Deutsche Andreas von Bechtolsheim investierte<br />

gerade einmal 100 000 Dollar.<br />

1999 waren dann noch einmal 25 Millionen<br />

Dollar nötig, die Summe teilten sich die damals<br />

führenden Risikokapitalgeber Kleiner<br />

Perkins und Sequoia Capital.<br />

KASSE MACHEN? EHER SPÄTER<br />

Die Super-Einhörner sind mittlerweile so<br />

teuer, dass selbst Google oder Facebook eine<br />

Übernahme kaum verdauen könnten.<br />

Daher kommt nur ein Börsengang infrage.<br />

Das Problem: Ihre reichen Geldgeber haben<br />

schon eine Menge des Wertzuwachses<br />

vorweggenommen und sich auch noch den<br />

Zugriff auf weitere Aktien gesichert. Kann<br />

dann nach dem Börsengang der Kurs noch<br />

steigen? Facebook hat es vorgemacht. Das<br />

soziale Netzwerk sammelte 2,4 Milliarden<br />

Dollar an Startkapital ein. Derzeit bewertet<br />

die Börse es mit 210 Milliarden Dollar. Das<br />

ist beachtlich. Aber nichts im Vergleich zu<br />

Google, das aus 25,1 Millionen Dollar 367<br />

Milliarden Dollar gemacht hat.<br />

Doch das sind Ausnahmen. Beide Vorzeigekonzerne<br />

sind quasi Monopolisten. Ganz<br />

anders als moderne Einhörner wie Dropbox<br />

oder Square, die sich gegen massiven Wettbewerb<br />

behaupten müssen. Möglicherweise<br />

drängen auch einige der Kapitalgeber<br />

die Super-Einhörner nicht zu einem Börsengang,<br />

denn dann müssten sie das frei gewordene<br />

Geld wieder Erfolg versprechend<br />

neu investieren. Eine Beteiligung an einem<br />

prominenten Start-up, die sich irgendwann<br />

einmal auszahlt, erscheint da als bessere<br />

Alternative. Solange die Einhörner und ihre<br />

solventen Züchter diese Illusion aufrechterhalten,<br />

wird wohl weiter die Magie der üppigen<br />

Bewertungen verfangen.<br />

Der Autor ist WirtschaftsWoche-Korrespondent<br />

im Silicon Valley und beobachtet<br />

von dort seit Jahren die Entwicklung der<br />

wichtigsten US-Technologieunternehmen.<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 83<br />

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Management&Erfolg<br />

Rein in den Schweinezyklus<br />

STREITGESPRÄCH | Warum die Klage über Fachkräftemangel in Mode ist und<br />

wie die Chancen für junge Ingenieure stehen. Darüber streiten die<br />

Arbeitsmarktexperten Axel Plünnecke (IW) und Karl Brenke (DIW).<br />

84 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Meine Herren, in den vergangenen zehn Jahren<br />

ist die Zahl der Studienanfänger in den<br />

Ingenieurwissenschaften um etwa 50 Prozent<br />

gestiegen. Bei dieser Entwicklung kann man<br />

der Diskussion um den Fachkräftemangel doch<br />

gelassen entgegensehen...<br />

Brenke: Gelassen? Mich besorgt sie. Aber nicht<br />

mit Blick auf den Fachkräftemangel – den sehe<br />

ich bei Ingenieuren ohnehin nicht. Sondern weil<br />

wir in einigen Jahren zu viele Ingenieure haben<br />

werden und die jungen Leute Probleme bekommen,<br />

einen Job zu finden. Die Unternehmen klagen<br />

über Ingenieurmangel, die Abiturienten orientieren<br />

sich daran und stürmen diese Studienfächer. So<br />

einen Schweinezyklus hatten wir schon mal Ende<br />

der Achtziger, Anfang der Neunzigerjahre, bei EDV-<br />

Kräften.<br />

Plünnecke: Ach was, dieser Schweinezyklus existiert<br />

doch gar nicht. Die steigende Studentenzahl wird<br />

Brenke: Das liegt aber nicht an zu wenigen Ingenieuren<br />

auf dem Arbeitsmarkt. Sondern daran, dass<br />

vor allem in Ostdeutschland manche Unternehmen<br />

keine marktgerechten Löhne zahlen. Die setzen darauf,<br />

möglichst billig zu produzieren, um ihre Preise<br />

konkurrenzfähig halten zu können. Jetzt stellt sich<br />

heraus, dass die jungen Leute eher nach Baden-<br />

Württemberg oder Bayern gehen, weil dort besser<br />

gezahlt wird. Wir haben also nicht per se zu wenig<br />

Ingenieure, sondern zu wenig billige Ingenieure.<br />

Plünnecke: Das ist empirisch leider komplett falsch.<br />

Die großen Engpässe haben wir in Baden-Württemberg,<br />

Bayern und Hessen, aber nicht in Ostdeutschland.<br />

Es ist kein Lohnproblem, wenn die Unternehmen<br />

keine Ingenieure bekommen, sondern es gibt in<br />

der Summe aktuell mehr offene Stellen als...<br />

Brenke: Jetzt hören Sie doch mit den offenen Stellen<br />

auf. Ein Unternehmen sucht seine Ingenieure nicht<br />

per Stellenanzeige bei der Bundesagentur für Arbeit.<br />

Starker Anstieg<br />

So hat sich die Zahl der<br />

Studienanfänger in den<br />

Ingenieurwissenschaften<br />

entwickelt<br />

(in Tausend)<br />

200<br />

150<br />

100<br />

50<br />

2004 2013<br />

Quelle: Statistisches<br />

Bundesamt<br />

DER PESSIMIST<br />

DER OPTIMIST<br />

Axel Plünnecke (links), 43, leitet beim Institut<br />

der deutschen Wirtschaft Köln den Bereich<br />

Humankapital und Innovationen. Außerdem<br />

berät er die Bundesregierung und erstellt<br />

für sie Gutachten zur Fachkräftesicherung.<br />

Karl Brenke, 61, ist Konjunktur- und<br />

Arbeitsmarktexperte am Deutschen Institut<br />

für Wirtschaftsforschung in Berlin und<br />

erregte 2010 Aufsehen, als er den Fachkräftemangel<br />

eine Fata Morgana nannte.<br />

FOTO: FRANK BEER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

den Arbeitsmarkt entspannen. Von 2005 bis 2012 waren<br />

mehr Ingenieure in Lohn und Brot, weil Ältere<br />

länger gearbeitet haben und viele Arbeitnehmer aus<br />

dem Ausland zugewandert sind. Diese Sondereffekte<br />

wird es nicht mehr geben. Die absehbaren Lücken<br />

müssen die Absolventen also ausgleichen.<br />

Ob das gelingt? Ingenieurstudenten brechen ihr<br />

Studium schließlich überdurchschnittlich oft ab.<br />

Brenke: Es ist immer eine Fehlinvestition, wenn junge<br />

Menschen eine Ausbildung nicht abschließen.<br />

Sollten Abiturienten lieber gleich etwas anderes<br />

studieren?<br />

Brenke: Ingenieure kommen immer noch besser am<br />

Arbeitsmarkt unter als Wirtschafts-, Geistes- oder<br />

Sozialwissenschaftler.<br />

Plünnecke: In diesen Fächern werden wir wirklich<br />

Probleme bekommen, alle Absolventen adäquat am<br />

Arbeitsmarkt unterzukriegen.<br />

Durch die doppelten Abiturjahrgänge wird es in<br />

den nächsten Jahren ohnehin mehr Hochschulabsolventen<br />

geben.<br />

Plünnecke: Ja, und für den Ingenieurmarkt ist das<br />

auch gut. Denn so wird es bis etwa 2020 bei regionalen<br />

Fachkräfteengpässen bleiben – ein allgemeiner<br />

Mangel wird ausbleiben.<br />

Und nach 2020?<br />

Plünnecke: Durch den demografischen Wandel<br />

werden die Probleme eher größer als kleiner.<br />

Brenke: Was ich sogar unterschreiben würde: Dass<br />

wir regional durchaus Probleme haben bei den Ingenieuren.<br />

Plünnecke: Aha.<br />

Die Nachfrage nach Ingenieuren können Sie nicht<br />

anhand offener Stellen nachweisen. Genauso wenig<br />

wie Sie das Angebot an Ingenieuren anhand der Arbeitslosen<br />

messen können. Das ist doch ein grundsätzliches<br />

Unverständnis über die Bewegungen am<br />

Arbeitsmarkt.<br />

Das müssen Sie erklären.<br />

Brenke: Wenn ein Unternehmen einen neuen Ingenieur<br />

sucht, bewerben sich ja nicht nur Arbeitslose,<br />

sondern auch wechselwillige Mitarbeiter anderer<br />

Unternehmen...<br />

Plünnecke: ...die dort eine Lücke reißen. Wie bei<br />

einer knapper werdende Decke: Wenn alle daran<br />

ziehen, hat einer die Füße frei.<br />

Brenke: Nicht zwangsläufig. Nehmen Sie die Solarindustrie:<br />

Die sind doch froh, wenn sie auf diese<br />

Weise Personal einsparen können.<br />

So einfach scheint es aber nicht zu sein, Ingenieure<br />

zu finden: Die Bundesagentur für Arbeit hat ausgerechnet,<br />

dass Unternehmen 120 Tage nach einem<br />

Maschinenbauer suchen. Das klingt doch eher nach<br />

Engpass als nach Überschuss...<br />

Plünnecke: Genau.<br />

Brenke: Das halte ich für unwahrscheinlich. Dass es<br />

so lange dauert, diese Stellen zu besetzen, kann auch<br />

daran liegen, dass die Unternehmen sehr viel wählerischer<br />

geworden sind. Oder die Bundesagentur für<br />

Arbeit schlampt.<br />

Warum schließen Sie einen Engpass als Grund für<br />

die lange Suche so kategorisch aus?<br />

Brenke: Die simpelsten Knappheitsindikatoren in<br />

der Ökonomie sind Preise und Löhne. Bei einem<br />

»<br />

Auf der Suche<br />

In diesen Berufen dauert<br />

es überdurchschnittlich<br />

lange, Stellen neu zu<br />

besetzen (in Tagen)<br />

Ärzte<br />

Altenpfleger<br />

129<br />

Ingenieur Elektrotechnik<br />

124<br />

Maschinenbauer<br />

Krankenpfleger<br />

120<br />

120<br />

Durchschnitt aller Berufe<br />

81<br />

Quelle: Bundesagentur<br />

für Arbeit<br />

167<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 85<br />

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Management&Erfolg<br />

40%<br />

der deutschen<br />

Unternehmen haben<br />

Probleme, offene<br />

Stellen zu besetzen<br />

20%<br />

sehen dadurch ihre<br />

Wettbewerbsfähigkeit<br />

gefährdet<br />

Quelle: Manpower<br />

»<br />

Fachkräftemangel, müssten die Löhne also in die<br />

Höhe schießen – ist bei den Ingenieuren aber nicht<br />

geschehen.<br />

Plünnecke: Es gibt keine guten Lohndaten, um für<br />

einzelne Berufe Engpässe zu bestimmen. Eine verlässlichere<br />

Quelle scheint mir die Unternehmensbefragung<br />

des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung<br />

zu sein. Die kommen zu dem Ergebnis,<br />

dass Betriebe bei Ingenieuren mit Engpässen zu<br />

kämpfen haben.<br />

Brenke: Solche Befragungen habe ich früher auch<br />

gemacht. Die Unternehmen haben bereitwillig geantwortet<br />

und angekreuzt, dass es knapp sei mit<br />

Fachkräften. Daraufhin habe ich detaillierte Interviews<br />

geführt und festgestellt, dass der angebliche<br />

Fachkräftemangel sich in Luft auflöste.<br />

Wieso das denn?<br />

Brenke: Die Klage über den Fachkräftemangel ist in<br />

den vergangenen Jahren in Mode gekommen. Bis vor<br />

wenigen Jahren konnten Unternehmen bei Bewerbern<br />

aus dem Vollen schöpfen. Das hat sich jetzt<br />

verändert und wird dann direkt als extremer Mangel<br />

empfunden. Wenn es um die Einschätzung des<br />

Fachkräftemangels geht, sind Unternehmen die<br />

falschen Ansprechpartner. Auch, weil es für die Personalchefs<br />

natürlich schwer ist, zu sagen: Mein Job<br />

ist ganz einfach, und ich finde die Arbeitskräfte<br />

ganz leicht.<br />

Aber die demografische Entwicklung wird die<br />

Arbeit der Personaler nicht einfacher machen...<br />

Brenke: Gegenwärtig gehen jährlich 15 000 bis<br />

20 000 industrienahe Ingenieure in Rente – ich rede<br />

nicht über Architekten oder Unternehmensberater,<br />

die irgendwann mal Maschinenbau studiert haben.<br />

Diesen Rentnern stehen 60 000 Hochschulabsolventen<br />

gegenüber.<br />

Plünnecke: Das ist natürlich methodisch ein ganz<br />

übler Fehler. Sie können nicht nur die industrienahen<br />

Ingenieure nehmen und denen alle ausgebildeten<br />

Ingenieure gegenüberstellen.<br />

Brenke: Aber ein Ingenieur, der Taxi fährt, muss<br />

doch nicht durch einen anderen Ingenieur ersetzt<br />

werden.<br />

Plünnecke: Muss er natürlich nicht, aber Sie unterstellen<br />

mit Ihrer Rechnung, dass alle Absolventen in<br />

einen Ingenieurberuf gehen.<br />

Wie sieht denn Ihre Rechnung aus, Herr Plünnecke?<br />

Plünnecke: 60 000 erwerbstätige Absolventen<br />

kommt in etwa hin, aber ich rechne mit jährlich<br />

40 000 Ingenieuren, die in den Ruhestand gehen.<br />

Aber auch in diesem Fall könnte die Lücke problemlos<br />

gefüllt werden.<br />

Plünnecke: Falsch, denn es besteht ja Expansionsbedarf.<br />

Wir beobachten über alle Branchen hinweg,<br />

dass der Anteil an Akademikern steigt. Bei den Ingenieuren<br />

aktuell um gut 25 000 pro Jahr. Dieser Trend<br />

wird sich fortsetzen – wir haben derzeit verdammt<br />

viele Themen, die den Bedarf an Ingenieuren eher<br />

treiben: von der Digitalisierung über die Energiewende<br />

bis zur Elektromobilität.<br />

Sie würden jungen Menschen also weiterhin<br />

empfehlen, ein Ingenieurstudium abzuschließen?<br />

Brenke: Nein.<br />

Plünnecke: Doch, oder eine hochwertige Berufsausbildung.<br />

Brenke: Dem zweiten Teil Ihrer Antwort stimme ich<br />

zu. Unsere Gesellschaft muss sich darüber verständigen,<br />

ob es sinnvoll ist, dass die Hälfte eines Jahrgangs<br />

ein Studium abschließt. Wir steuern auf einen Akademiker-Überschuss<br />

zu. Wir brauchen aber auch<br />

junge Leute, die eine Werkbank einrichten können<br />

oder als Schlosser im Industriebetrieb tätig sind.<br />

Dort besteht ein Mangel.<br />

Was können Unternehmen dagegen tun?<br />

Plünnecke: Schon bei der Berufsorientierung am<br />

Gymnasium wird nicht ausreichend auf Möglichkeiten<br />

jenseits eines Studiums hingewiesen.<br />

Brenke: Und wenn sie über eine Ausbildung nachdenken,<br />

orientieren sich Schüler eher an Berufen,<br />

die jeder kennt, wie Friseur oder Maler.<br />

Plünnecke: An Berufe wie Kälteklimatechniker denken<br />

sie jedenfalls nicht, weshalb er seit Jahren zu den<br />

sogenannten Engpassberufen zählt. Die Zahl der<br />

Ausbildungsplätze ist gestiegen, die Nachfrage nicht.<br />

Die Bewerber sind nicht darüber informiert, wo ihre<br />

Chancen am besten sind.<br />

Können wir die Lücke nicht mit Auszubildenden<br />

aus anderen europäischen Ländern schließen?<br />

Plünnecke: Südeuropäische Jugendliche konnten<br />

über spezielle Programme der EU nach Deutschland<br />

kommen und hier eine Berufsausbildung absolvieren.<br />

Auch bei den Ingenieuren beobachten wir eine<br />

hohe Mobilität über die Hochschulen.<br />

Brenke: Na ja.<br />

Plünnecke: Gucken Sie doch auf die Zahlen: Unter<br />

den neu zugewanderten Erwachsenen haben wir<br />

zehn Prozent sogenannte MINT-Akademiker – also<br />

Absolventen in Studienfächern wie Mathematik, In-<br />

FOTOS: FRANK BEER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

86 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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formatik, Naturwissenschaften und Technik. In der<br />

Gesamtbevölkerung macht diese Gruppe gerade mal<br />

fünf Prozent aus.<br />

Aber ein junger Spanier will doch bestimmt genauso<br />

wenig in der Provinz arbeiten wie ein junger<br />

Deutscher...<br />

Plünnecke: Stimmt. Die gehen lieber nach München<br />

oder Stuttgart statt in die Peripherie, weil die<br />

Großstädte einfach mehr bieten.<br />

Brenke: Und weil es da höhere Löhne gibt. Fachkräfte<br />

in Deutschland sind einfach nicht mobil genug.<br />

Plünnecke: Um dem Fachkräftemangel in so manchem<br />

Ausbildungsberuf entgegenzutreten, brauchen<br />

wir beides: mehr Mobilität innerhalb Deutschlands<br />

und Zuwanderer aus den Regionen Europas<br />

mit bis zu 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit.<br />

Brenke: Aber das Problem wird man mit ausländischen<br />

Fachkräften nicht lösen können. Ein gelernter<br />

Maurer oder Dreher aus Deutschland hat eine ganz<br />

andere Qualifikation als jemand aus dem europäischen<br />

Ausland.<br />

Es ist also leichter, einen Ingenieur zu ersetzen als<br />

einen Maurer?<br />

Plünnecke: Ja, denn eine Berufsausbildung wie in<br />

Deutschland gibt es nur in sehr wenigen Ländern.<br />

Universitäten hingegen gibt es überall auf der Welt –<br />

mit ansatzweise ähnlichen Standards. Einen indischen<br />

Maurer, der deutschen Ansprüchen entspricht,<br />

werden Sie nicht so leicht finden – wohl aber<br />

sehr gute Informatiker und Ingenieure.<br />

Dann holen wir die Inder doch nach Deutschland –<br />

die Blue Card gibt es schließlich seit 2012...<br />

Plünnecke: In Indien orientieren sich die Auswanderer<br />

traditionell eher Richtung Großbritannien<br />

oder USA. Da haben wir einen Nachteil.<br />

Brenke: Mit der Blue Card sollten vor allem billige<br />

Ingenieure, Ärzte und Informatiker nach Deutschland<br />

gelockt werden, mit einem Jahresgehalt von<br />

35 000 Euro – das hat nicht funktioniert. 2013 sind<br />

nur ein paar Tausend Menschen über eine Blue Card<br />

nach Deutschland gekommen. Ein guter Ingenieur<br />

oder Arzt weiß eben auch, was er auf dem Weltmarkt<br />

wert ist.<br />

Plünnecke: Ich verrate Ihnen mal ein Geheimnis,<br />

Herr Brenke: Die 35 000 Euro sind kein vorgeschriebener<br />

Lohn, sondern ein Mindestlohn, den es zu<br />

überspringen gilt. Siemens oder Volkswagen, die ihre<br />

Ingenieure aus Indien holen, zahlen denen sowieso<br />

viel mehr.<br />

Brenke: Das war offensichtlich der gescheiterte Versuch,<br />

Billigingenieure ins Land zu holen.<br />

Plünnecke: Das ist absurd. Wir beide verdienen ja<br />

jetzt auch nicht 8,50 Euro, weil der Mindestlohn eingeführt<br />

wird. Die Politik hat in den vergangenen Jahren<br />

einiges getan, um den drohenden Fachkräftemangel<br />

abzuwenden.<br />

Was denn noch?<br />

Plünnecke: Die Rente mit 67 eingeführt.<br />

Brenke: Die jetzt durch die Rente mit 63 wieder ins<br />

Gegenteil verkehrt wurde. Das ist abstrus. Denn das<br />

widerspricht dem Trend, den wir im Moment sehen:<br />

Menschen arbeiten freiwillig länger als 65. In den<br />

skandinavischen Ländern oder der Schweiz ist das<br />

noch ausgeprägter. Da hat Deutschland noch Luft<br />

nach oben.<br />

Plünnecke: Da stimme ich Ihnen zu. Rente in Richtung<br />

70.<br />

Sie plädieren also schon für das nächste Rentengesetz?<br />

Brenke: Nein. Ich setze eher darauf, dass sowohl<br />

Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer von selbst auf die<br />

Anzeichnen der Knappheit reagieren. Der Jugendwahn<br />

in den Unternehmen, den sich in den Neunzigerjahren<br />

irgendwelche PowerPoint-Helden ausgedacht<br />

haben, damit der Krankenstand sinkt, ist ohnehin<br />

schon vorbei.<br />

n<br />

kristin.schmidt@wiwo.de<br />

9000<br />

Arbeitnehmer, die in<br />

Deutschland in sogenannten<br />

Mangelberufen<br />

– etwa als Ingenieur<br />

oder Informatiker – tätig<br />

sind, haben seit ihrer<br />

Einführung im August<br />

2012 eine EU-Blue-Card<br />

erhalten<br />

Quelle: Bundesamt für Migration<br />

und Flüchtlinge<br />

WETTBEWERB<br />

Deutschlands beste Arbeitgeber<br />

Unternehmen müssen sich immer mehr einfallen lassen, um offene Stellen zu<br />

besetzen. Doch was lockt gute Mitarbeiter an? Ein Betriebskindergarten mit<br />

langen Öffnungszeiten? Freie Wahl von Arbeitsplatz und Arbeitszeit? Oder<br />

ein hohes Gehalt? Unternehmen, die glauben, auf diese Fragen innovative<br />

Antworten gefunden zu haben, können sich jetzt bewerben: Die Wirtschafts-<br />

Woche sucht gemeinsam mit der Dekra die besten Arbeitgeber Deutschlands.<br />

HOCHKARÄTIGE JURY<br />

Der Deutsche Arbeitgeber Award zeichnet Unternehmen aus, die sich besonders<br />

für ihre Mitarbeiter engagieren. Die Bewerbungen werden von der Dekra<br />

durchleuchtet und anschließend von einer hochkarätig besetzten Jury bewertet.<br />

Die Teilnahme am WirtschaftsWoche Arbeitgeber Award ist kostenlos,<br />

Anmeldeunterlagen und ausführliche Informationen zu den Teilnahmebedingungen<br />

finden Sie unter wiwo.de/arbeitgeber-award<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 87<br />

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Management&Erfolg<br />

Ab in den Käfig!<br />

UNTERNEHMERTUM Utz Claassen über den Mut zum Anderssein.<br />

Durchtrainierter Körper, sympathisches<br />

Lächeln, kurze Hose:<br />

Gemessen an Körperbau, Ausstrahlung<br />

und Kleidung, gäbe<br />

Eric Martindale einen guten Dschungelkämpfer<br />

ab. Auf seiner Visitenkarte aber<br />

steht „Developer Evangelist“ – also eine<br />

Art Guru für alles, was mit Digitalisierung<br />

und IT-Fragen zu tun hat.<br />

Zu einer neuen Religionsbewegung<br />

aber gehört Martindale nicht – sondern<br />

zu Bitpay, einer kalifornischen Internet-<br />

Schmiede, die antritt, die Finanzwelt<br />

zu revolutionieren. An der Erkenntnisgrenze<br />

komplexester Quellcodes und<br />

anspruchsvollster Algorithmen spricht<br />

Missionar Martindale von der Zukunft<br />

der Kryptofinanz, als sei alles so einfach<br />

wie ein Baseballspiel. Klar ist: Hier geht<br />

es um nichts weniger als die Ablösung<br />

der jahrhundertealten Bankenwelt, eine<br />

epochale Revolution.<br />

Spätestens wenn Menschen mehr Vertrauen<br />

in die Validität von Internet-Protokollen<br />

haben als in die Stabilität von<br />

Währungen oder die Integrität von Banken,<br />

wird das globale Finanzsystem vor<br />

disruptiven Veränderungen stehen.<br />

Dann könnten Bitcoins das Gold der<br />

Zukunft werden.<br />

GRENZEN AUSTESTEN<br />

Martindale akzeptiert sein Gehalt zu 100<br />

Prozent in Bitcoins. Die Dollar, die er für<br />

den Alltag braucht, kann er sich als<br />

Käfigkämpfer beschaffen. Dort hat er gelernt, die Grenzen seines<br />

Mutes und seines Körpers auszutesten.<br />

Man stelle sich einmal vor, Siemens-Primus Joe Kaeser wäre<br />

tagsüber im Nadelstreifenanzug auf Hauptversammlungen oder<br />

Diskussionsrunden im öffentlich-rechtlichen TV zu sehen – und<br />

nachts auf einem Pay-TV-Kanal als schweiß- oder blutüberströmter<br />

Käfigkämpfer. Zugegeben: Man kann sich weniger schmerzhafte<br />

Formen der Start-up-Finanzierung vorstellen. Ungeachtet dessen<br />

ist Toleranz für Individualität eine zwingende Voraussetzung,<br />

nicht zu viele Talente und zu viel unternehmerische Kraft rechts<br />

und links der Straße liegen zu lassen. Denn Menschen wie Eric<br />

Martindale sind nicht nur extrem, sie können auch extrem viel<br />

Wert für ihre Unternehmen schaffen:<br />

n durch radikales Querdenken und kompromissloses Hinterfragen<br />

– wie man es unter den Top-Managern eines Dax-Konzerns<br />

Claassen, 51, war CEO beim Biotech-Unternehmen<br />

Sartorius und bei dem Energiekonzern<br />

EnBW. Derzeit ist er Anteilseigner und Verwaltungsrat<br />

beim Fußballclub RCD Mallorca.<br />

»Toleranz für Individualität<br />

ist Voraussetzung,<br />

nicht zu viele Talente<br />

und unternehmerische<br />

Kraft liegen zu lassen«<br />

allenfalls von VW-Aufsichtsratschef Ferdinand<br />

Piëch kennt;<br />

n durch leidenschaftliches, fast religiöses<br />

Eintreten für eine Idee sowie echte Leidensfähigkeit<br />

– wie man sie von Martindale<br />

bei YouTube unter dem Titel „Fight to<br />

the Finish“ bestaunen kann;<br />

n durch kreative Zerstörung und disruptive<br />

Innovation – wie Apple-Mitgründer<br />

Steve Jobs sie gefordert und vorgelebt hat.<br />

DIE WELT VERÄNDERN<br />

Die gute Nachricht:Martindale ist nicht allein.<br />

Cyberspace-Experte Farzan Fallah,<br />

der bereits mehr als 20 Patente sowie erfolgreiche<br />

Stationen am Massachusetts<br />

Institute of Technology, an der Stanford<br />

University sowie den Konzernen Fujitsu,<br />

Siemens und NEC vorweisen kann, will mit<br />

dem Start-up idelan die Welt der Smart<br />

Watches und Smart Glasses verändern.<br />

Oder Tan Le, die Gründerin von Emotiv:<br />

Sie hat sich aufgemacht, mit ihren einfach<br />

zu benutzenden, drahtlosen Elektroenzephalografie-Systemen<br />

die Welt der<br />

Neuropsychologie zu revolutionieren und<br />

die Gehirnforschung zu demokratisieren.<br />

Was also können wir von den Les,<br />

Fallahs oder Martindales lernen? Was<br />

sollten wir verändern?<br />

1. Mehr Mut und Einsatz, weniger Komfortzone!<br />

Die Vollkasko-Gesellschaft führt<br />

nicht weiter, der tägliche Fitnessstudio-<br />

Besuch schafft keine Innovation.<br />

2. Weniger Neid auf Erfolg, aber auch<br />

weniger Stigmatisierung des Scheiterns! Im Silicon Valley vertraut<br />

man oft erst dem, der schon zweimal pleitegegangen ist.<br />

3. Mehr Leistungsorientierung, weniger Verhaltenselite!<br />

Bei Google und Co. entstehen Wirtschaftsmächte mit T-Shirt und<br />

Cola-Dose.<br />

4. Mehr Querdenken, weniger Anpassungsopportunismus!<br />

Echter Fortschritt wird nie von Ja-Sagern geschaffen, weder in der<br />

alten noch in der postmodernen Ökonomie.<br />

5. Mehr Freiraum für Individualität!<br />

Käfigkämpfende Visionäre mit einem IQ von 180 aufwärts<br />

würden bei uns als Exzentriker belächelt. Doch auch wir brauchen<br />

diese Kombination von Dschungelkampf und Vision, von Intelligenz<br />

und Mut, von Ökonomie und Mission, von Individualität<br />

und Innovation. Ab in den Käfig! Und raus aus den Fesseln der<br />

Konventionen!<br />

n<br />

FOTO: LAIF/STEFAN THOMAS KROEGER<br />

88 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Geld&Börse<br />

Die Liquiditätsparty<br />

läuft weiter<br />

GELDANLAGE | Notenbanken werden die Finanzmärkte 2015 weiter mit Geld fluten und<br />

Wertpapiere kaufen. Steigen werden die Zinsen allenfalls in den USA. Für Sparbuch-<br />

Liebhaber ist das bitter. Aktien werden profitieren; aber Anleger sollten auch Geld in<br />

Anleihen stecken – und, sicher ist sicher, etwas Gold halten.<br />

Wenn Mario Draghi „den<br />

Finger am Abzug hat“, wie<br />

Commerzbank-Analyst Ulrich<br />

Leuchtmann das<br />

nennt, dann droht zwar<br />

kein Krieg. Aber auch der Präsident der Europäischen<br />

Zentralbank (EZB) führt einen<br />

Feldzug: gegen Preisverfall, Reformmüdigkeit,<br />

Schulden. Und wie in jedem Krieg gibt<br />

es Kollateralschäden: Draghi trifft das Geld<br />

der Sparer, ihre Altersvorsorge.<br />

Aussagen von Notenbankern, ihre Entscheidungen,<br />

selbst Untätigkeit bewegen<br />

Anleihen, Aktien und Gold und sind auch<br />

maßgeblich für den Sparbuch- und Tagesgeldzins.<br />

Noch nie wurden Anleger so stark<br />

von der Politik der Notenbanken getrieben,<br />

noch nie war so wichtig, was nach den geheimbündlerisch<br />

anmutenden Sitzungen<br />

der US-Notenbank Fed in Washington öffentlich<br />

gesagt, der EZB in Frankfurt nicht<br />

gesagt oder bei der Bank of Japan in Tokio<br />

denn so beschlossen wird.<br />

IN TREUE FEST ZUM BANKKONTO<br />

Ziemlich sicher ist: Auf üblichen Sparkonten<br />

wird es nach jüngsten spektakulären<br />

Notenbank-Beschlüssen auch 2015 kaum<br />

Zins geben; Strafzinsen belasten jetzt<br />

schon Fondsanleger (siehe Seite 92). Trotzdem<br />

halten deutsche Anleger in Treue an<br />

ihren Nullzinsanlagen fest. Das Sparbuch<br />

ist laut einer aktuellen Umfrage der Nürnberger<br />

GfK für knapp die Hälfte der Deutschen<br />

die beliebteste Anlageform. Mehr als<br />

2000 Milliarden Euro bunkern deutsche<br />

Sparer in der Zinswüste der Sparbücher,<br />

Tagesgeld- und Festgeldkonten, den Großteil<br />

davon schon seit Jahren. Fatal. Denn<br />

nachdem die EZB im September den Leit-<br />

zins auf nur noch 0,05 Prozent<br />

senkte, rutschten vor allem die<br />

Sparzinsen noch einmal näher<br />

an die Nulllinie, nach Abzug<br />

der Inflation steht ein Verlust<br />

an Kaufkraft. Wer ein Sparbuch<br />

mit einem Guthaben über<br />

10 000 Euro hält, bekommt aktuell<br />

alle zwölf Monate vielleicht<br />

0,2 Prozent gutgeschrieben,<br />

erst 20 Euro, dann ein paar<br />

Cent mehr. Es geht also stetig<br />

nach oben – auf dem Papier.<br />

Denn selbst eine geringe Inflation<br />

von zuletzt hierzulande<br />

0,8 Prozent knabbert am Vermögen:<br />

Abzüglich Preissteigerung<br />

sind 10 020 Euro real nur<br />

noch 9939,84 Euro wert. Wer<br />

sich nicht in die Tasche lügt,<br />

sollte wissen, dass klassische<br />

Kurzfristanlagen sukzessive<br />

Kapital wegfressen. Schwankungen<br />

gibt es auch da keine:<br />

Es geht nur nach unten.<br />

Anleger sollten deshalb in die Wirtschaft<br />

investieren, sagt Ulrich Kater, Chefvolkswirt<br />

der DekaBank in Frankfurt. Dazu<br />

müssten sie bereit sein, breit zu streuen „in<br />

Aktien, in Unternehmensanleihen oder<br />

auch eventuell in offene Immobilienfonds“.<br />

Denn die Politik der Notenbanker weist<br />

auch den Ausweg, über Ankäufe von Wertpapieren<br />

treiben sie die Aktienkurse (siehe<br />

Grafik rechts). Weil sich das Angebot an<br />

Festzinsanleihen verknappt, steigen deren<br />

Kurse. Gegenläufig sinken die Renditen,<br />

die sich als Zinskupon durch Kurs errechnen.<br />

Aktien werden gegenüber Festzinspapieren<br />

deshalb immer attraktiver.<br />

Serie/Teil I<br />

Strategie 2015<br />

Verdienen mit Aktien<br />

und Anleihen Seite 90<br />

Strafzinsen Seite 92<br />

Was Fondsmanager<br />

jetzt raten Seite 100<br />

Heft 48<br />

Anlegen in den<br />

Schwellenländern<br />

Heft 49<br />

Rentenfonds: Wer<br />

schlägt die Inflation?<br />

Die Summen an Kapital, die<br />

mit diesen Käufen in die Bilanzen<br />

der Notenbanken gesogen<br />

werden, sind enorm gewachsen:<br />

Auf das 4,5-Fache oder annähernd<br />

4500 Milliarden Dollar<br />

hat die US-Notenbank ihre<br />

Bilanzsumme aufgepumpt seit<br />

dem Fall von Lehman Brothers<br />

im September 2008. Seither<br />

legte der wichtigste Börsenindex<br />

der Welt, der amerikanische<br />

S&P 500, inklusive Dividenden<br />

um 85 Prozent zu; wer<br />

den S&P-500-Panik-Tiefstand<br />

im Januar 2009 erwischte, gewann<br />

bis dato sogar 270 Prozent.<br />

Zum Vergleich: Tagesgeld<br />

bei einer durchschnittlichen<br />

Sparkasse hat seither rund fünf<br />

Prozent Zuwachs gebracht.<br />

Und die Flut ebbt nicht ab.<br />

Zwar hat die US-Notenbank<br />

Ende Oktober unter der Ägide<br />

ihrer neuen Chefin Janet Yellen ihr ursprünglich<br />

monatlich 85 Milliarden Dollar<br />

schweres Ankaufprogramm beendet. Ein<br />

Ende der lockeren Geldpolitik sei damit<br />

aber nicht markiert, sondern nur „das Maximum<br />

der Lockerung“, so Paul Sheard, Chefvolkswirt<br />

von S&P Capital IQ in New York.<br />

Zudem übernahm – pünktlich zum Ende<br />

des Fed-Ankaufprogramms – Tokios Zentralbankchef<br />

Haruhiko Kuroda die Flutung<br />

der Welt-Finanzmärkte. Statt wie bisher<br />

umgerechnet 450 Milliarden Dollar in die<br />

Anleihne- und neun Milliarden Dollar in<br />

die Aktienmärkte zu pumpen, sollen künftig<br />

pro Jahr 725 Milliarden und 27 Milliarden<br />

Dollar fließen. Es könnte auch mehr<br />

»<br />

FOTO: BERT BOSTELMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

90 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Wer traut sich?<br />

Bulle auf dem Börsenplatz<br />

in Frankfurt<br />

Notenbanken kaufen Wertpapiere an und treiben so die Aktienkurse<br />

Bilanzsummen der US-Notenbank Fed, der Bank of Japan und der Europäischen Zentralbank (EZB);<br />

Entwicklung der Aktienkursindizes S&P 500, Nikkei und Dax (in Punkten)*<br />

Projektion<br />

Projektion<br />

Projektion<br />

2000<br />

5000 18000<br />

400 5000<br />

3200<br />

1800 S&P 500<br />

16000<br />

4500 Dax<br />

3000<br />

1600<br />

4000<br />

14000<br />

Nikkei<br />

300 4000<br />

1400<br />

3000 12 000<br />

1200<br />

3500<br />

2400<br />

200<br />

1000<br />

10 000<br />

3000<br />

Fed<br />

2000<br />

EZB<br />

2000<br />

800<br />

8000<br />

Bank of 100 2500<br />

1000<br />

Japan<br />

in Milliarden Dollar<br />

in Billionen Yen<br />

in Milliarden Euro<br />

600<br />

0 6000<br />

0 2000<br />

2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2008 2009 201020112012201320142015<br />

2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 1400<br />

* reine Kursentwicklung ohne Dividenden; logarithmische Darstellung; Quelle: Bloomberg, Thomson Reuters, BoJ, Bantleon<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 91<br />

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Geld&Börse<br />

MINUSZINS<br />

Sparen und strafen<br />

Banken knöpfen Profianlegern Zins ab – das hat Folgen für Privatsparer.<br />

Von links nach rechts und wieder nach<br />

links: Asoka Wöhrmann tigert bei seinem<br />

Vortrag auf der Bühne umher, als ob ihn<br />

jemand verfolgte. Den Chef-Anlagestrategen<br />

treiben die Strafzinsen auf Bankguthaben<br />

um. „Wir kommen in eine neue<br />

Epoche“, ruft er den Zuhörern auf dem<br />

WirtschaftsWoche Investmentgipfel in<br />

Frankfurt zu. Rechts. „Vor ein paar Monaten<br />

hätte ich das nicht geglaubt“, links,<br />

„aber die negativen Zinsen der Europäischen<br />

Zentralbank werden auf die Ökonomie<br />

durchschlagen“, sagt Wöhrmann.<br />

Der 49-jährige Deutschbanker verantwortet<br />

bei der Deutschen Asset & Wealth<br />

Management die Anlagestrategie für eine<br />

Billion Euro. Es ist auch Geld privater Sparer,<br />

allein in Publikumsfonds der zugehörigen<br />

DWS liegen 178 Milliarden Euro.<br />

FONDS ZUR KASSE GEBETEN<br />

Mancher Fondsmanager hat in diesen<br />

Tagen Grund zum Ärger: Depotbanken<br />

wie State Street oder BNY Mellon, bei<br />

denen Verwalter großer Vermögen Milliarden<br />

Euro auf dem Konto lagern, ziehen<br />

denen neuerdings 0,2 Prozent Zins auf<br />

Kassenbestände ab. Die DZ Privatbank in<br />

Luxemburg hat erst in diesen Tagen angekündigt,<br />

dass sie institutionellen Kunden<br />

ab dem 15. November gar 0,25 Prozent<br />

pro Jahr auf Euro-Guthaben abziehen will.<br />

Freundliche Grüße.<br />

Die DZ Privatbank, die zur Gruppe der<br />

Volks- und Raiffeisenbanken gehört, begründet<br />

das mit der Zinssenkung der Europäischen<br />

Zentralbank <strong>vom</strong> 5. Juni. Die<br />

verlangt von Banken, die Geld bei ihr parken,<br />

0,2 Prozent Zins – kleine Strafe, weil<br />

sie es nicht an Unternehmen verleihen.<br />

Was zunächst klingt wie ein Problem<br />

der Profianleger, trifft über Fonds oder<br />

Lebensversicherung nahezu jeden. Die<br />

DZ Privatbank etwa betreut und verwaltet<br />

rund 600 Fonds. Betroffen von den negativen<br />

Zinsen ist dort das Bargeld, das<br />

Fondsmanager halten, etwa als Reserve<br />

für den Fall, dass Kunden Geld abziehen<br />

oder der Manager neue Papiere kaufen<br />

will. Bei einzelnen Fonds liegen bis zu<br />

30 Prozent des von Anlegern eingezahlten<br />

Geldes in der Kasse – etwa beim Immobilienfonds<br />

UniImmoDeutschland von Union<br />

Investment. Bei einem Fondsvolumen<br />

von zehn Milliarden Euro stehen dort drei<br />

Milliarden Euro für Immobilienkäufe und<br />

Auszahlungen an Anleger bereit. Würden<br />

hierfür 0,2 Prozent Minuszins fällig, fehlten<br />

Anlegern jährlich sechs Millionen Euro.<br />

Union Investment ist ein großer Kunde<br />

der DZ Privatbank. Das Haus bestätigt,<br />

dass „einzelne Depotbanken“ den Negativzins<br />

der Zentralbank „an Union Investment<br />

weitergeben“. Man schichte daher Liquidität<br />

um oder lege in Festgeld oder Geldmarktfonds<br />

an. Andere Häuser halten nun<br />

Termingelder statt Cash. Wieder andere<br />

kaufen schlicht das, wofür sie bezahlt werden:<br />

Aktien etwa.<br />

Jürgen Fitschen, Co-Chef der Deutschen<br />

Bank, schließt Strafzinsen auch auf Einlagen<br />

privater Kunden nicht aus. „Jedes einzelne<br />

Institut muss sich mit dem Thema<br />

auseinandersetzen“, sagte Fitschen jetzt in<br />

seiner Funktion als Präsident des Bundesverbands<br />

deutscher Banken.<br />

Die Deutsche Skatbank, die als Direktbank-Tochter<br />

der Volks- und Raiffeisenbank<br />

Altenburger Land wie die DZ Privatbank zur<br />

Neue Epoche Negativzins frisst sich durch<br />

das Bankensystem, glaubt Wöhrmann<br />

genossenschaftlichen Gruppe gehört, hat<br />

es kürzlich vorgemacht und den Strafzins<br />

auch an Endkunden weitergegeben. Allerdings<br />

wird die Regel nur ab einer Gesamteinlage<br />

von über drei Millionen Euro angewandt.<br />

Negative Zinsen seien finanzhistorisch<br />

einmalig, schimpft Vermögensverwalter<br />

Bert Flossbach. Wie stark Privatanleger<br />

betroffen sind, zeigen Zahlen aus der<br />

Welt der Lebensversicherer. Sie legen gigantische<br />

811 Milliarden Euro an – davon<br />

stecken 238 Milliarden in Fonds. Knapp<br />

11,4 Milliarden sind zudem in Tages-,<br />

Termin- oder Festgeldern geparkt. Viel<br />

Holz, das selbst Anlageprofis nicht so<br />

eben umschichten dürften, ohne die Preise<br />

alternativer Produkte zu treiben.<br />

WIE EIN KONJUNKTURPROGRAMM<br />

Die Präsidentin der Finanzaufsicht BaFin<br />

muss daher aufpassen, dass keine neuen<br />

Ungleichgewichte entstehen; vor allem<br />

dann nicht, falls negative Zinsen flächendeckend<br />

auf private Guthaben kommen<br />

sollten: „Wenn die Menschen für ihr Erspartes<br />

keine Zinsen mehr bekommen<br />

und sie das Geld ausgeben, können neue<br />

Blasen entstehen, etwa in den Immobilienmärkten.<br />

Aktuell sind alle Zutaten für<br />

die nächste Blase da“, sagt Elke König.<br />

Damit eine Blase zum Problem werde,<br />

müssten laut König drei Dinge gegeben<br />

sein: Erstens müssten sich die Preise<br />

exorbitant entwickelt haben, zweitens<br />

müsse es hohe Verschuldung geben und<br />

drittens laxe Kriterien bei der Kreditvergabe.<br />

Nur der erste Punkt ist bislang erfüllt.<br />

Aber nicht nur hohe Schulden, sondern<br />

auch hohe Guthaben könnten die nächste<br />

Anlageblase aufpumpen. Die Deutschen<br />

parken über 2000 Milliarden Euro auf<br />

Kurzfristkonten und Sparbüchern. Wären<br />

die alle von Negativzinsen bedroht, könnten<br />

die Menschen ihr Erspartes in Sicherheit<br />

bringen – und es doch noch investieren:<br />

in Aktien, Anleihen, Gold oder das<br />

Haus.<br />

Oder sie konsumieren einfach. „Negative<br />

Zinsen auf Sparguthaben können sich<br />

als verstecktes Konjunkturprogramm auswirken,<br />

wenn die Menschen anfangen,<br />

das Geld auszugeben“, sagt König. Dann<br />

hätte der sparerschindende Strafzins<br />

immerhin einen positiven volkswirtschaftlichen<br />

Effekt.<br />

n<br />

annina.reimann@wiwo.de | Frankfurt,<br />

heike schwerdtfeger | Frankfurt<br />

FOTOS: BERT BOSTELMANN, BLOOMBERG NEWS/MARTIN LEISSL<br />

92 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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»<br />

Noch Reserven EZB-Chef Draghi wird<br />

Wertpapierkäufe ausdehnen<br />

werden: „Ich glaube nicht, dass es eine<br />

Grenze gibt“, so Kuroda. Die Märkte reagierten<br />

prompt: Japanische Aktien schossen<br />

binnen Stunden um fast fünf Prozent nach<br />

oben, auf den höchsten Stand seit Ende<br />

2007. Der Yen brach zum Dollar auf ein<br />

Siebenjahrestief ein. Der „japanische Paukenschlag“<br />

(Bankhaus Metzler) hallte bis an<br />

die Börsen in Frankfurt und New York.<br />

Am vergangenen Mittwoch erst signalisierte<br />

die Bank of England, dass auch in<br />

London die Zinsen nicht so schnell wie bisher<br />

erwartet erhöht werden. Die Notenbanken<br />

fluten weiter, die rekordtiefen Anleihenrenditen<br />

bleiben unten, Aktien relativ<br />

attraktiv; diese Botschaft eilte um den Globus.<br />

Auch Privatanleger sollten sie hören.<br />

„Anleger, die nicht bereit sind, gewisse<br />

Risiken einzugehen, erhalten eben keinen<br />

Zins mehr“, sagt Kater von der DekaBank.<br />

Die Risiken zeigen sich in einer höheren<br />

kurzfristigen Schwankungsbreite der Kurse.<br />

Der Dax etwa legte 2014 erst sechs Prozent<br />

zu, stürzte dann um 15 Prozent ab und<br />

gewann danach wiederum bis dato neun<br />

Prozent, Dividendenzahlungen aus diesem<br />

Frühjahr, die rund drei Prozentpunkte<br />

plus beitrugen, mit eingerechnet. Die<br />

Schwankungsbreite der durchschnittlichen<br />

Rendite bei Aktien minimiert sich<br />

aber für diejenigen, die einen langen Investmenthorizont<br />

haben. Bei einer Anlage<br />

über 20 Jahre im Dax lag die Verlustwahrscheinlichkeit<br />

bei null, so eine Analyse der<br />

Deutschen Asset & Wealth Management<br />

(Deutsche AWM).<br />

„Aktien sollten für denjenigen, der langfristig<br />

eine Altersvorsorge aufbauen will,<br />

auf jeden Fall dabei sein“, sagt Christoph<br />

Niesel, Portfoliomanager bei Union Investment<br />

in Frankfurt. „Anleger sollten aber<br />

nicht all ihr Geld auf einmal an den Aktienmarkt<br />

tragen, sondern sukzessive Positionen<br />

auf- und ausbauen“, sagt Niesel.<br />

Idealerweise sollten Anleger im Alter<br />

zwischen 30 und 50 Jahren Aktienanteile<br />

erwerben, die in der Spitze durchaus bei 70<br />

Prozent des Depots liegen dürfen. Bis zur<br />

Rente werden Aktien dann gehalten und<br />

später verfrühstückt. Auch 55- oder 70-<br />

Jährige dürfen raus aus dem Sparbuch. Sie<br />

müssen nur wissen, dass sie möglicherweise<br />

Verluste am Aktienmarkt nicht mehr<br />

vollständig ausgleichen können, wenn sie<br />

kurzfristig Geld benötigen sollten.<br />

Auch wenn die Notenbanker die Märkte<br />

dirigieren, gibt es naturgemäß andere<br />

»<br />

Lieber in Unternehmen investieren<br />

Zehn Aktien mit aussichtsreicher Langfristperspektive: die wichtigsten Kennzahlen, was für einen Kauf spricht<br />

Aktie/Branche/Land<br />

Allianz/Versicherung/Deutschland<br />

Verspricht eine stabile bis steigende, sehr hohe Dividende; spätestens 2016 dürften sieben Euro je Aktie fließen. Konzern hat Kapitalüberschuss – das schützt bei Turbulenzen<br />

BASF/Chemie/Deutschland<br />

Der Weltmarktführer ist eine Wette auf eine langfristig bessere Konjunktur. Gute Dividenden, tragbare Schulden und hohe Mittelzuflüsse federn Anlagerisiko ab<br />

BB Biotech/Biotechnologie-Holding/Schweiz<br />

Investieren in aussichtsreiche Biotechs mit Schwerpunkten Krebs, seltene Krankheiten, Infektionen. Gut gestreut über 5 große, 6 mittlere, 23 kleinere Beteiligungen<br />

Daimler/Automobil/Deutschland<br />

Von allem Nichtkerngeschäft befreit, laufen die Stuttgarter zu Hochform auf. Sprunghafter Anstieg der Mittelzuflüsse, niedrige Gewinnbewertung, gute Rendite<br />

Fielmann/Brillenhandel/Deutschland<br />

Hoch bewertet und trotzdem Erfolg versprechend wegen Nettoliquidität von über 300 Millionen Euro, sehr hohe Eigenkapitalquote von 71,3 Prozent, stetiges Erlöswachstum<br />

Fuchs Petrolub Vz./Schmierstoffe/Deutschland<br />

Umsatz 2009 bis 2013 um 56 Prozent und Gewinn um 81 Prozent gesteigert. Hat über 100000 Kunden und 10000 Produkte. In der Nische Nummer eins<br />

Hermle Vz./Fräsmaschinen/Deutschland<br />

Schwäbische Solidität par excellence. Auf Schulden verzichtet der gut 300 Millionen Euro Umsatz schwere Spezialanbieter ganz, wächst dieses Jahr sogar überproportional<br />

Microsoft/Software/USA<br />

Der alte Softwareriese ist aus seiner Lethargie erwacht und blüht mit Smartphones und Tablets wieder auf. Cash-Maschine mit gut 65 Milliarden Dollar auf der hohen Kante<br />

Procter & Gamble/Konsumgüter/USA<br />

Dass große Konzerne sehr profitabel bleiben können, zeigt der Pampers-Hersteller. 12 Milliarden Gewinn bei 83,2 Milliarden Dollar Umsatz werden per 30. Juni 2015 erwartet<br />

Total/Öl und Gas/Frankreich<br />

ISIN<br />

DE0008404005<br />

DE000BASF111<br />

CH0038389992<br />

DE0007100000<br />

DE0005772206<br />

DE0005790430<br />

DE0006052830<br />

US5949181045<br />

US7427181091<br />

FR0000120271<br />

Börsenwert<br />

(in Milliarden Euro)<br />

59,8<br />

63,3<br />

2,1<br />

65,4<br />

4,3<br />

4,4<br />

0,2<br />

326,2<br />

285,6<br />

108,7<br />

Kurs<br />

(in Euro)<br />

In den vergangenen fünf Jahren schüttete Total insgesamt gut 25 Euro an Dividende aus, das macht die Aktie des global agierenden 200-Milliarden-Konzerns anleiheähnlich<br />

1 geschätzt; 2 1 = niedrig, 10 = hoch; 3 Ausschüttung 2014, umgerechnet; 4 2014 inkl. Sonderausschüttung; 5 umgerechnet; Quelle: Bloomberg; Stand: 13. November 2014<br />

130,90<br />

68,97<br />

178,45<br />

61,16<br />

51,52<br />

31,65<br />

172,50<br />

39,59<br />

71,24<br />

45,48<br />

Stoppkurs<br />

(in Euro)<br />

98,00<br />

48,00<br />

118,00<br />

39,0<br />

34,00<br />

19,00<br />

119,0<br />

25,0<br />

54,00<br />

29,0<br />

Dividende<br />

(in Euro) 1<br />

6,40<br />

2,80<br />

8,40 3<br />

2,44<br />

1,60<br />

0,77<br />

8,05 4<br />

0,93 5<br />

2,07 5<br />

2,50<br />

Dividendenrendite<br />

(in Prozent) 1<br />

4,9<br />

4,1<br />

4,7 3<br />

4,0<br />

3,1<br />

2,4<br />

4,7 4<br />

2,3<br />

2,8<br />

5,5<br />

Kurs-Gewinn-<br />

Verhältnis<br />

2015 1<br />

9,6<br />

10,9<br />

–<br />

9,0<br />

25,8<br />

19,3<br />

16,5<br />

17,5<br />

20,5<br />

9,8<br />

Chance/<br />

Risiko 2<br />

5/4<br />

6/5<br />

7/6<br />

5/3<br />

5/4<br />

5/4<br />

6/5<br />

5/4<br />

6/5<br />

5/3<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 93<br />

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Geld&Börse<br />

Wartet noch ein Weilchen Fed-Chefin<br />

Yellen lässt die Leitzinsen erst mal unten<br />

Noch nie wurden Anleger so stark von<br />

der Politik der Notenbanken getrieben<br />

»<br />

Faktoren, die Anleger beachten sollten.<br />

Auf die Kurse drückt aktuell, dass einige<br />

große Dax-Konzerne bei der Vorlage ihrer<br />

jüngsten Geschäftszahlen Konjunktursorgen<br />

geäußert haben. BASF als weltgrößter<br />

Chemiekonzern, der Industriegasehersteller<br />

Linde, ebenfalls Weltmarktführer,<br />

und Europas größter Luftfahrtkonzern<br />

Lufthansa schraubten ihre Geschäftserwartungen<br />

ebenso herunter wie viele Maschinen-<br />

und Anlagenbauer.<br />

WENIG ABSTURZGEFAHR<br />

Und der Dax ist, gemessen an den bisherigen<br />

Ergebnissen, teuer: Anleger bezahlen<br />

für die Dax-Aktien im Schnitt das fast<br />

17-Fache der Gewinne der vergangenen<br />

vier Quartale. Knackig günstig wäre ein<br />

Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) um zehn.<br />

Ähnlich hoch ist der Zuschlag auf das in<br />

Maschinen, Immobilien und immateriellen<br />

Gütern steckende Vermögen der Dax-<br />

Konzerne. Auf diesen Buchwert zahlen Investoren<br />

eine Prämie von 60 Prozent. Das<br />

Kurs-Buchwert-Verhältnis liegt damit bei<br />

1,6. Die Dividendenrendite schließlich, die<br />

Ausschüttung, gemessen an den aktuellen<br />

Aktienkursen, ist mit derzeit 2,9 Prozent<br />

auch nicht überbordend. Günstig wäre der<br />

Dax bei einem Kurs-Gewinn-Verhältnis<br />

von 10, einem Kurs-Buchwert von 1,0 und<br />

einer Dividendenrendite von 5,0 Prozent.<br />

Dazu müsste er erst um rund 40 Prozent<br />

fallen, auf 5500 Punkte.<br />

Doch die Gefahr eines solchen Absturzes<br />

ist gering, mangels Alternativen. Die<br />

Dividendenrendite von 2,9 Prozent ist immer<br />

noch dreimal so hoch wie die Rendite<br />

von sicheren Anleihen mit einer Fälligkeit<br />

in sieben bis acht Jahren – und anders als<br />

Aktien bieten die kaum noch Kursfantasie.<br />

Solange das so bleibt, könnten die Aktienmärkte<br />

zwar durchaus zurückfallen, sie<br />

werden aber wahrscheinlich keinen Crash<br />

hinlegen. „Den perfekten Zeitpunkt für einen<br />

Einstieg gibt es ohnehin nie“, so Niesel,<br />

der aber Luft für positive Überraschungen<br />

sieht. „Der niedrige Ölpreis und der schwächere<br />

Euro wirken wie ein kleines Konjunkturprogramm“,<br />

sagt er. Das dürften die Börsen<br />

schon in der Hoffnung auf eine bessere<br />

Konjunktur 2016 in nächster Zeit „vorwegnehmen“,<br />

sprich mit höheren Kursen quittieren.<br />

„Transport, Konsum, der Autosektor<br />

und exportorientierte Unternehmen“ sind<br />

für den Union-Investment-Fondsmanager<br />

daher interessant.<br />

Die Strategen des Hamburger Analysehauses<br />

Bantleon schätzen für den Dax 2015<br />

sogar neue Höchststände „jenseits von<br />

11 000 Punkten“. Und in der laufenden<br />

Quartalsberichtssaison ist auch nicht alles<br />

schlecht. So katapultierte sich die Allianz in<br />

Wertvolle Versicherung<br />

Goldpreis je Feinunze seit 15 Jahren<br />

(in Dollar)*<br />

99 2005 2010 2014<br />

* logarithmisch; Quelle: Bloomberg<br />

1900<br />

1000<br />

500<br />

200<br />

die Liga der ehrenwerten Dividendenzahler.<br />

Der Versicherer will künftig die Hälfte<br />

des Nettogewinns statt bisher nur 40 Prozent<br />

an die Anteilseigner ausschütten. Sinken<br />

soll die Dividende überhaupt nicht<br />

mehr. Anleger dürfen nun auf eine Ausschüttungsrendite<br />

von rund fünf Prozent<br />

spekulieren. Vor Steuern hätten sie dann<br />

binnen 20 Jahren ihren Einsatz wieder<br />

drinnen – der dann aktuelle Kurs der Allianz-Aktie<br />

wäre ihr Gewinn.<br />

Bei kleineren Werten schaut Niesel darauf,<br />

dass deren Geschäftsmodell nicht<br />

gleich bei einer Krise infrage gestellt wird.<br />

Bewährt sind etwa der Schmierstoffhersteller<br />

Fuchs Petrolub und der Brillenhändler<br />

Fielmann. Wer dazu dividendenstarke<br />

Auslands-Papiere wie den französischen<br />

Ölgiganten Total beimischt, sollte<br />

auf lange Sicht gut fahren. „Wer global<br />

denkt, der kommt auch an US-Aktien nicht<br />

vorbei, auch wenn diese vergleichsweise<br />

teuer sind“, so Niesel. Aussichtsreich und<br />

kaum aus ihren Geschäften zu verdrängen<br />

sind Microsoft oder Procter & Gamble<br />

(siehe Tabelle Seite 93).<br />

BESSER ANLEIHEN KAUFEN<br />

Auch mit Zinsanlagen verdienten Anleger<br />

zuletzt gut. Nur eben nicht mit Angeboten<br />

von der Bank, sondern mit Anleihen, dank<br />

sinkender Renditen und steigender Kurse.<br />

Allein in diesem Jahr gewannen Anleger<br />

mit zehnjährigen Bundesanleihen inklusive<br />

Zins bisher schon 13 Prozent. Mit plus<br />

22,5 und plus 27,5 Prozent legten zehnjährige<br />

spanische und portugiesische Papiere<br />

noch deutlich stärker zu.<br />

Fallende Renditen und steigende Kurse<br />

gab es aber nicht nicht nur bei Staatsanleihen.<br />

Für Papiere von bonitätsstarken europäischen<br />

Unternehmen etwa erhalten Investoren<br />

nur noch halb so viel Rendite wie<br />

vor Jahresfrist. Riskante Schrottpapiere liefern<br />

ein Drittel weniger ab, so eine Analyse<br />

der Hamburger Absolut Research. Der Effekt:<br />

Eine noch gut neun Jahre lang laufende<br />

Anleihe des Chemiekonzerns BASF<br />

bringt aktuell nur 1,2 Prozent Rendite pro<br />

Jahr. Solche Mickerzinsen spiegeln nicht<br />

das Risiko wider, dass die Zinsen langfristig<br />

auch einmal steigen könnten und dann die<br />

Kurse am Anleihenmarkt auf die Rutschbahn<br />

gerieten. Und sie spiegeln schon gar<br />

nicht das Risiko wider, dass Anleihenschuldner<br />

auch pleitegehen können. Wer<br />

heute keine Anleihen im Depot hat,<br />

»<br />

FOTO: BLOOMBERG NEWS/ANDREW HARRER<br />

94 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Geld&Börse<br />

Billiges Geld für Berlin<br />

Durchschnittsrendite von Bundesanleihen<br />

(in Prozent)*<br />

4,8<br />

2,0<br />

1,0<br />

0,5<br />

2008 2010 2012 2014<br />

* sogenannte Umlaufrendite; logarithmisch;<br />

Quelle: Bloomberg<br />

»<br />

kommt aber nicht zwingend zu spät,<br />

wenn er denn geduldig über Jahre die Rückzahlung<br />

der Papiere abwarten kann.<br />

Schuldverschreibungen gehören in ein ausgewogenes<br />

Depot, allerdings in der Mehrzahl<br />

nur solche von bonitätsstarken Emittenten,<br />

die Stürme überstehen können.<br />

Diese Unternehmensanleihen bieten eine<br />

kalkulierbare Verzinsung und haben in der<br />

Regel einen festen Rückzahlungszeitpunkt.<br />

Empfehlenswert sind etwa in Euro<br />

notierte Anleihen des Stahlwerkers Voestalpine,<br />

des südwestdeutschen Versorgers<br />

EnBW oder von Adidas. Sie bringen 1,7 bis<br />

2,5 Prozent Rendite pro Jahr (siehe Tabelle).<br />

Deutlich darunter liegen die Renditen<br />

im kurzen Laufzeitenbereich, und „sie werden<br />

sehr niedrig bleiben“, sagt Karsten<br />

Rosenkilde, Portfoliomanager bei Deutsche<br />

AWM. Er kauft Papiere, die für Privatanleger<br />

in der Regel zu komplex sind.<br />

Nachranganleihen von VW oder Bayer etwa,<br />

die noch gute Zinsen bringen. Seit 2006<br />

gab es nur ein Jahr, in dem der Fonds ins<br />

Minus rutschte. Rosenkilde nennt „drei<br />

Prozent pro Jahr“ als Renditeziel.<br />

VON INFLATION KEINE SPUR<br />

Die beste Botschaft für Zinsanleger aber<br />

ist: Von Inflation, die Realrenditen und die<br />

Kurse existierender Anleihen drückt, dürfte<br />

auch 2015 nichts zu sehen sein. Michael<br />

Mewes, Leiter des Anleiheteams bei JP<br />

Morgan Asset Management in Frankfurt,<br />

rechnet für die Euro-Zone mit Raten zwischen<br />

„0 und 0,5 Prozent“.<br />

Mit Anleihenfonds und Unternehmensanleihen<br />

lässt sich das Vermögen real mehren,<br />

jedenfalls so lange, wie die Inflation<br />

niedrig bleibt. Dafür spricht einiges. Eine<br />

Das bisschen Haushalt Niedrige Zinsen<br />

ersparen Finanzminister Schäuble Milliarden<br />

hohe Arbeitslosigkeit, die alternde Gesellschaft<br />

und verkrustete Strukturen in Frankreich,<br />

Italien, aber auch in Deutschland,<br />

geben Europa kaum noch Potenzial für<br />

Wirtschaftswachstum oder eine die Inflation<br />

treibende Lohn-Preis-Spirale.<br />

„Wir haben in Europa eine hausgemachte<br />

Schwäche, die sich in einer deutlichen<br />

Unterauslastung der Unternehmen zeigt“,<br />

sagt Kater von der DekaBank. Das ifo Institut<br />

erwartet für die deutsche Wirtschaft im<br />

laufenden Jahr sogar nur noch ein Plus<br />

„von etwa einem Prozent“, so Hans-Werner<br />

Sinn, Chef der Münchner Prognostiker. Die<br />

Abnehmerländer in der Euro-Zone erholten<br />

sich langsamer als von vielen erhofft,<br />

die Stimmung der Verbraucher trübe<br />

»<br />

Mehr Zins einloggen<br />

Ausgewählte Anleihen und Fonds mit Kurzfristanlagen, ihre jeweils wichtigsten Kennziffern<br />

Schuldner der Anleihe/Branche<br />

Adidas/Sportartikel<br />

EnBW/Versorger<br />

Voestalpine/Stahl<br />

Apple/Konsumgüter<br />

Google/Internet<br />

McDonald’s/Gastronomie<br />

Fonds<br />

Metzler Euro Short Term<br />

UniEuroKapital Corporates A<br />

ISIN<br />

XS1114159277<br />

XS1074208270<br />

AT0000A19S18<br />

US037833AR12<br />

US38259PAB85<br />

US58013MES98<br />

ISIN<br />

IE00B8KKJT75<br />

LU0168092178<br />

Kurs<br />

(in Prozent)<br />

97,85<br />

108,06<br />

103,31<br />

101,84<br />

106,29<br />

100,11<br />

Kurs<br />

(in Euro)<br />

103,67<br />

38,57<br />

Kupon<br />

(in Prozent)<br />

2,250<br />

2,500<br />

2,250<br />

2,850<br />

3,625<br />

3,250<br />

500 Euro<br />

1 Anteil<br />

Rendite<br />

(in Prozent)<br />

Laufzeit bis<br />

2,46 8.10.2026<br />

1,71 4.6.2026<br />

1,74 14.10.2021<br />

2,54 6.5.2021<br />

2,57 19.5.2021<br />

3,24 10.6.2024<br />

laufende<br />

Kosten<br />

pro Jahr<br />

(in Prozent)<br />

5,0 2 0,73<br />

2,0 2 0,81<br />

Mindestanlage<br />

<strong>Ausgabe</strong>aufschlag<br />

maximal<br />

(in Prozent)<br />

Stückelung<br />

1000 Euro<br />

1000 Euro<br />

500 Euro<br />

2000 Dollar<br />

2000 Dollar<br />

1000 Dollar<br />

Entwicklung<br />

2014 (in Prozent)/<br />

über drei Jahre<br />

(in Prozent pro Jahr)<br />

1 Moody’s/S&P/Fitch; A bis AAA = höchste Ratingstufen, sehr gute bis Top-Bonität; 2 Discount von 50 Prozent möglich, zum Beispiel bei Comdirect;<br />

Quelle: Morningstar, Bloomberg; Stand: 13. November 2014<br />

3,1/ –<br />

3,6/6,3<br />

Währung, Rating 1<br />

Euro, kein Rating<br />

Euro, A3/A-/A-<br />

Euro, kein Rating<br />

Dollar, Aa1/AA+/AA+<br />

Dollar, A2/AA/AA<br />

Dollar, A2/A/A<br />

Fondsmerkmale<br />

investiert zum Großteil in Anleihen mit Restlaufzeiten<br />

von 1 bis 3 Jahren, ein Viertel 3 bis 5<br />

Jahre, zudem über Derivate in Bundesanleihen<br />

investiert in kurzlaufende Euro-Unternehmensanleihen,<br />

vornehmlich aus Europa, Schwerpunkt<br />

mittlere bis sehr gute Bonitäten<br />

FOTO: DPA/EPA/NICOLAS BOUVY<br />

96 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Geld&Börse<br />

Kennt keine Grenze Zentralbankchef<br />

Kuroda kauft Anleihen wie nie zuvor<br />

Der japanische Paukenschlag hallte<br />

bis an die Börse in Frankfurt<br />

»<br />

sich ein, Unternehmen zögerten mit Investitionen.<br />

Und die Wirtschaftsweisen<br />

werfen der Bundesregierung sogar einen<br />

wachstumsfeindlichen Kurs vor (siehe Seite<br />

41). Auch global „sind die Wachstumsaussichten<br />

nicht überragend“, sagt Mewes.<br />

Die Wirtschaftsschwäche drückt vor allem<br />

bei Staatspapieren auf die Bonität.<br />

Denn von einem Herauswachsen aus den<br />

Schulden kann keine Rede sein. Mitte des<br />

Jahres lagen die Schulden der 18 Euro-<br />

Länder im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt<br />

im Durchschnitt bei 92,7 Prozent.<br />

Zur Erinnerung: Nach den Maastrichter<br />

Stabilitätskriterien soll die Verschuldungsquote<br />

nicht mehr als 60 Prozent betragen.<br />

KÜNSTLICHE NACHFRAGE<br />

Auf die Kurse und Renditen der Staatsanleihen<br />

hat das kaum Einfluss, das Risiko<br />

wird zugekleistert: Banken müssen für Investments<br />

in Staatsanleihen kein Eigenkapital<br />

reservieren; auch Versicherer werden<br />

regulatorisch in Staatspapiere gezwungen.<br />

Sie halten die Nachfrage deshalb hoch und<br />

den Zins niedrig. Sollte die Nachfrage<br />

abebben, dürften die Notenbanker aus<br />

Frankfurt einspringen und Papiere von<br />

schwächelnden Staaten aufkaufen. „Wir<br />

rechnen weiter damit, dass die EZB auch<br />

zum Instrument der Staatsanleihenkäufe<br />

greifen wird“, sagt Thomas Meißner, Leiter<br />

Zinsresearch bei der Frankfurter DZ Bank.<br />

Die Analysten von Bantleon erwarten,<br />

dass aus den Reservoirs der großen drei<br />

Notenbanken Fed, EZB und Bank of Japan<br />

kommendes Jahr rund 1000 Milliarden<br />

Dollar fließen werden, mehr als doppelt so<br />

viel wie 2014. „Mit anderen Worten, die Liquiditätsparty<br />

an den Finanzmärkten geht<br />

weiter“, sagt Daniel Hartmann, Senior Analyst<br />

bei Bantleon. Die DZ Bank schätzt,<br />

dass allein die EZB ihre Bilanz in den kommenden<br />

Monaten um rund eine Billion<br />

Euro ausweiten könnte. Und Deutsche-<br />

Bank-Co-Chef Anshu Jain erwartet noch<br />

mehrere Jahre anhaltend niedrige Leitzinsen.<br />

Diese würden „nicht in absehbarer<br />

Zeit, sicher nicht in den nächsten zwei Jahren“<br />

erhöht, so Jain Anfang November.<br />

Während Europa im Zinstief bleiben<br />

dürfte, deutet sich jenseits des Atlantiks eine<br />

nur behutsame Wende an. „Wir rechnen<br />

damit, dass die US-Notenbank die<br />

Leitzinsen im September 2015 auf 0,5 Prozent<br />

anhebt“, sagt Mewes von JP Morgan<br />

AM. Die USA könnten sich aber nicht dauerhaft<br />

von der schwachen Weltwirtschaft<br />

abkoppeln, die Angst vor einem massiven<br />

Renditeanstieg sei deshalb übertrieben, so<br />

Mewes. Die Fed werde die Zinsen 2015 und<br />

2016 „langsamer als erwartet in Trippelschritten<br />

anheben“. Für Ende 2015 rechnet<br />

Mewes damit, dass zehnjährige US-Staatsanleihen<br />

bei knapp drei Prozent rentieren –<br />

nur 0,6 Prozentpunkte höher als aktuell.<br />

Weil die US-Wirtschaft stärker wächst<br />

und Anlagen in Dollar höhere Zinsen bringen,<br />

dürfte die US-Währung attraktiv bleiben.<br />

Mewes packt Kunden deshalb etwa<br />

mexikanische Staatsanleihen in Dollar, die<br />

3,3 Prozent bis 2024 bieten, selektiv in die<br />

Depots. Gut rentieren auch Unternehmensanleihen<br />

von Google, Apple oder<br />

McDonald’s mit 2,5 bis 3,2 Prozent Rendite<br />

(siehe Tabelle Seite 96).<br />

Selbst bei einem mal wieder fallenden<br />

Dollar bringt der gegenüber vergleichbaren<br />

zehnjährigen Euro-Anlagen höhere<br />

Zins von 1,5 Prozentpunkten einen Puffer<br />

für Anleger. Der Euro notiert derzeit bei<br />

1,25 Dollar. Erst bei Kursen über 1,44 Dollar<br />

rechnete sich ein Investment eines Anlegers<br />

gegenüber sicheren Euro-Anlagen<br />

nicht mehr, dann hätten Investoren auf<br />

Dollar-Anlagen lieber verzichtet. Aktuell ist<br />

so ein Dollar-Rückgang nicht in Sicht. Im<br />

Gegenteil: Uwe Burkert, Chefvolkswirt der<br />

Landesbank Baden-Württemberg, rechnet<br />

etwa damit, dass Ende 2015 der Euro 1,15<br />

Dollar kostet. Anleger aus dem Euro-Raum<br />

gewännen dann acht Prozent zusätzlich.<br />

GOLD NIE VÖLLIG WERTLOS<br />

Der starke Dollar federt auch die Einbußen<br />

ab, die Goldkäufer verkraften müssen. Der<br />

Unzenpreis fiel 2014 zwar bisher um drei<br />

Prozent auf zuletzt 1160 Dollar je Unze, in<br />

Euro gerechnet liegen Anleger 2014 mit<br />

sieben Prozent Zuwachs deutlich im Plus.<br />

Der eigentliche Wert von Gold ist<br />

schwierig zu ermitteln. Historisch gesehen<br />

pendelt sich der Preis aber so ein, dass<br />

Goldbesitzer damit einen Maßanzug bezahlen<br />

können. Ein feiner Zwirn ist derzeit<br />

für rund 500 Euro zu haben, die Feinunze<br />

kostet 950 Euro. Die Prämie bedeutet nicht,<br />

dass Gold zwangsläufig jetzt fallen muss –<br />

die Schneider könnten Maßanzüge ja in<br />

einiger Zeit deutlich teurer anbieten.<br />

Für Gold gilt, unabhängig <strong>vom</strong> Preis,<br />

dass es noch nie völlig wertlos geworden<br />

ist. Dieser Gefahr sind Anleger bei allen anderen<br />

Anlagen ausgesetzt. Gold ist nahezu<br />

überall auf der Welt als Zahlungsmittel akzeptiert,<br />

leicht mitzuführen und zu übertragen,<br />

als Erbe zum Beispiel.<br />

Gold bleibt eine Krisenversicherung fürs<br />

Depot. Niemand kündigt seine Feuer-Police,<br />

weil sein Haus im Moment nicht<br />

brennt. „Turbulenzen an den Märkten“ erwartet<br />

beispielsweise Alan Greenspan<br />

dann, wenn sich die jetzige Generation der<br />

Notenbanker eines Tages wirklich aus ihrer<br />

lockeren Zinspolitik verabschieden sollte.<br />

Ironie: Der ehemalige Fed-Chef Greenspan<br />

hatte einst selbst nicht nur den Finger<br />

am Abzug, sondern mit massiven Zinssenkungen<br />

vor mehr als einem Jahrzehnt<br />

gleich auch den Startschuss für eben diese<br />

neue lockere Politik des billigen Geldes von<br />

Draghi, Yellen und Co. abgefeuert. Gold<br />

übrigens bezeichnete er immer als „ultimative<br />

Währung“.<br />

n<br />

christof.schuermann@wiwo.de<br />

Lesen Sie weiter auf Seite 100 »<br />

FOTO: BLOOMBERG NEWS/JUNKO KIMURA-MATSUMOTO<br />

98 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Geld&Börse<br />

Blick nach vorn<br />

Anlageexperten beim Investmentgipfel (von links):<br />

Hauke Reimer (WirtschaftsWoche), Christoph Bruns (Loys),<br />

Jens Ehrhardt (DJE Kapital), Hendrik Leber (Acatis Investment)<br />

und Thorsten Polleit (Polleit & Riechert, Degussa)<br />

»Perpetuum mobile<br />

des billigen Geldes«<br />

ROUNDTABLE | Bieten Notenbanken einen Freifahrtschein für<br />

Investitionen ohne Risiko? Oder stürzen sie die Welt ins Chaos?<br />

Was prominente Fondsmanager dazu sagen, wo sie Chancen sehen.<br />

Weltweit fluten die Notenbanken den<br />

Markt mit billigem Geld und treiben die<br />

Aktienkurse. Ist da ein Ende abzusehen?<br />

Jens Ehrhardt: Es gibt keine Rückkehr zur<br />

Normalität. In Japan funktioniert jetzt<br />

schon nichts mehr, ohne dass die Zentralbank<br />

nachhilft.<br />

Thorsten Polleit: Die Herabsetzung des<br />

Zinses ist wie eine Droge. Sie gibt erst mal<br />

Anschub und scheint Probleme zu lösen,<br />

macht sie aber nur größer. Ich bin positiv<br />

eingestellt gegenüber dem Aktienmarkt,<br />

weiß aber sehr wohl, dass diese Ultraniedrigzins-Politik,<br />

aus der es kein Zurück<br />

mehr gibt, für dramatische Fehlverteilung<br />

von Kapital sorgen wird.<br />

Das heißt?<br />

Polleit: Nicht jeder Aktienkurs, der steigt,<br />

spricht dafür, dass das Unternehmen auch<br />

langfristig erfolgreich sein wird. Momentan<br />

scheint das Geld der Notenbanken die<br />

Krise zu entspannen, aber es bauen sich<br />

ganz neue Risiken auf. Man ist dabei, das<br />

Geld kaputt zu machen, alte Regeln gelten<br />

nicht mehr. Ich habe gerade von der Bank,<br />

die meinen Fonds verwaltet, die Information<br />

bekommen, dass alle Giroguthaben mit<br />

0,25 Prozent strafbesteuert werden.<br />

Ehrhardt: Für einige Konten unserer<br />

Fonds hat man uns das auch<br />

schon angedroht. Wenn wir unser<br />

Bargeld auf den Konten nicht<br />

wegräumen, müssen wir zahlen.<br />

Wegräumen, das heißt, das<br />

Geld wird anderswo investiert?<br />

Ehrhardt: Alle versuchen natürlich<br />

bei Strafzinsen, das Bargeld<br />

möglichst schnell loszuwerden. Die Gefahr<br />

ist, dass viele dann nicht groß nachdenken,<br />

wo überhaupt investiert wird.<br />

Hendrik Leber: Gleiches gilt für die Unternehmen;<br />

die bekommen das Geld doch<br />

zum Nulltarif nachgeworfen. Also schauen<br />

sie sich ihren Wettbewerber an und sagen:<br />

„Den kaufen wir mal.“ Wir alle werden zu<br />

unvernünftigen Handlungen verführt.<br />

Werden auch Privatanleger bei Strafzinsen<br />

ihre Gelder von den Konten abziehen und<br />

ihr Geld anders investieren?<br />

Leber: Nein. Die sehen keine Alternative<br />

zum Konto, sie konsumieren nicht einmal<br />

mehr, weil sie in der Wirtschaft keinen<br />

Optimismus spüren.<br />

Polleit: Mittlerweile gibt es Ökonomen,<br />

die uns weismachen wollen, dass der künftige<br />

gleichgewichtige Zins bei minus drei<br />

bis vier Prozent liegen soll. Das ist natürlich<br />

eine Zerstörung der klassischen Sparinstrumente<br />

wie Staatsanleihen, Bankschuldverschreibungen,<br />

Sparkonten.<br />

Leber: Es ist, als ob reiner Sauerstoff in die<br />

Atmosphäre gepumpt würde. Jeder atmet<br />

ihn ein, alles beschleunigt sich, der Stoffwechsel<br />

fährt hoch. Das hat<br />

Konsequenzen – zum Beispiel<br />

der weltweite Run auf Aktien.<br />

Christoph Bruns: Diesen Trend<br />

sehe ich in Deutschland nicht.<br />

Vielleicht gibt es einen Run auf<br />

Immobilien und Mischfonds,<br />

aber nicht auf Aktien. Auch nicht<br />

in Europa, deshalb sehe ich am Aktienmarkt<br />

auch noch keine Probleme.<br />

Helfen Aktien dabei, der schleichenden<br />

Vernichtung des eigenen Vermögens zu<br />

entkommen?<br />

Ehrhardt: US-Aktien halte ich gerade für<br />

die teuersten der Welt. Fonds mit US-<br />

»<br />

FOTO: BERT BOSTELMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

100 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Geld&Börse<br />

Ausweg Aktie Bruns (links)<br />

mag Ölservicewerte; Leber<br />

(oben) findet Indien interessant;<br />

Ehrhardt (rechts)<br />

liebäugelt mit Alibaba;<br />

Polleit (unten) ärgert sich<br />

über Strafzinsen<br />

»IT-Aktien sind zwar schon höllisch teuer,<br />

haben aber großes Wachstumspotenzial«<br />

Jens Ehrhardt<br />

»<br />

Aktien liefen sehr gut, vor allem wegen<br />

des steigenden Dollar. Die Erfolgsstory im<br />

kommenden Jahr wird für US-Aktien nicht<br />

so gut sein wie bisher. Einen großen Crash<br />

sehe ich dort aber auch nicht.<br />

Wir pendeln zwischen zwei dramatischen<br />

Szenarien: einer drohenden Abwertung<br />

des Geldes, der Inflation, und einer Aufwertung,<br />

die als Deflation die Konsumnachfrage<br />

stoppen könnte. Wie richte ich<br />

mich als Anleger darauf aus?<br />

Leber: Wer Aktien kauft, sollte sich überlegen,<br />

ob er die Produkte des Unternehmens<br />

braucht, die es herstellt. Ist das der Fall, ist<br />

man auch im schwierigen Marktumfeld auf<br />

der sicheren Seite. Ein Butterbrot werde ich<br />

mir auch morgen noch täglich streichen.<br />

Polleit: Aber kaum jemand handelt und<br />

schichtet seine Beteiligungen um. Wir reden<br />

doch hier von einer Umverteilung. Der<br />

arme Sparer verliert sein Geld durch die Inflation.<br />

Die Reichen leisten sich Aktien und<br />

Immobilien und werden noch reicher.<br />

Bruns: Aktien sind etwas für kluge Leute,<br />

nicht nur für reiche. Fondssparpläne lohnen<br />

sich schon ab 25 Euro im Monat. Ich<br />

halte die Unternehmen am Aktienmarkt<br />

nicht für exzessiv überbewertet. Ich bewundere<br />

die Amerikaner. Die lamentieren<br />

nicht wie wir Deutschen, sondern sehen<br />

neue Chancen, etwa durch Fracking, eine<br />

neue Industrialisierung und die Trends im<br />

Internet, die sie bestimmen.<br />

In den USA deutet sich eine Normalisierung<br />

an. Die Zentralbank hat den Kauf<br />

von Anleihen gestoppt, die Wirtschaft soll<br />

2015 um rund drei Prozent wachsen.<br />

Leber: Ich denke nicht, dass es in den USA<br />

überhaupt schon einen Entzug des billigen<br />

Geldes gibt. Die Anleihenkäufe werden offiziell<br />

für beendet erklärt, dabei zeigen Daten<br />

der US-Zentralbanken, dass die Bilanzsumme<br />

weiter ansteigt.<br />

Bruns: Die Amerikaner haben das Perpetuum<br />

mobile des billigen Geldes erfunden.<br />

Ehrhardt: Ich bin skeptisch, ob die Zinsen<br />

in den USA überhaupt stark zulegen werden<br />

und der Dollar gegenüber dem Euro<br />

dramatisch gewinnt. Die Amerikaner werden<br />

massiv gegensteuern, wenn ihre Währung<br />

unter 1,15 Dollar je Euro sinken sollte.<br />

Dann werden ihre Exporte auf den Weltmärkten<br />

zu teuer.<br />

Ehrhardt: Sie sind zwar nicht so abhängig<br />

<strong>vom</strong> Export wie wir in Deutschland. Aber<br />

auf ein Level von einem Dollar zu einem<br />

Euro wird der Dollar-Kurs nicht sinken.<br />

Was sollen Anleger nun aber kaufen? Ein<br />

Blick auf die großen Märkte in Europa<br />

und den USA wird nicht mehr ausreichen.<br />

Leber:Für mich sind vor allem drei Länder<br />

interessant, und zwar Indien, Hongkong<br />

und Russland. Auch wenn in Russland<br />

noch eine politische Normalisierung eintreten<br />

sollte, bevor dort wieder jemand<br />

investiert.<br />

Polleit: Ich richte mich immer nach dem<br />

Prinzip Preis gegen Wert. Was zahle ich für<br />

ein Unternehmen, und was bekomme ich<br />

dafür? Im Moment würde ich nach Unternehmen<br />

suchen, deren Geschäftsmodell<br />

mit Inflation gut klarkommt.<br />

Ehrhardt: IT-Aktien sind zwar momentan<br />

schon höllisch teuer, aber dank des großen<br />

Wachstumpotenzials finde ich sie weiterhin<br />

sehr interessant, nicht nur in den USA.<br />

Im Online-Handel denke ich zum Beispiel<br />

an Alibaba.<br />

Leber: Mich interessieren vier Branchen:<br />

Autozulieferer, dann die IT-Branche, wegen<br />

der Speicherung und Verwaltung der<br />

enormen Datenmengen, die wir heute<br />

schon produzieren. Auch bei Versorgern<br />

und Telekommunikationsunternehmen<br />

sehe ich Potenzial.<br />

Bruns: Zuletzt waren die Aktien der Ölservicedienstleister<br />

sehr schwach. Aber die<br />

Unternehmen brauchen wir nun mal,<br />

wenn wir auch weiter auf Öl als Energiequelle<br />

setzen. Deshalb finde ich sie spannend.<br />

Unternehmen, die mir einfallen,<br />

sind zum Beispiel Halliburton oder Technip.<br />

Auch die Luxusgüterindustrie war<br />

meiner Meinung nach zuletzt unterbewertet,<br />

wenn ich mir etwa Tod’s in Italien ansehe.<br />

Das liegt natürlich auch am schwachen<br />

Yen, der die sonst starke Nachfrage aus<br />

Japan drückt.<br />

n<br />

sebastian.kirsch@wiwo.de<br />

FOTOS: BERT BOSTELMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

102 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Geld&Börse<br />

Erst Pizza,<br />

dann Schampus<br />

ANWÄLTE | Ausländische Investoren bescheren Spezialisten für<br />

Immobilienwirtschaftsrecht aktuell glänzende Geschäfte<br />

– und bisweilen Nächte ohne Schlaf.<br />

Alles hing an dem kleinen<br />

Pfandleihhaus. Dessen<br />

Mietvertrag lief noch fünf<br />

Jahre. Der Besitzer wollte<br />

partout nicht ausziehen<br />

und blockierte so ein neues<br />

Hochhausprojekt. Der<br />

Bauherr musste dazu<br />

mehrere Grundstücke nebeneinander aufkaufen.<br />

Er konnte aber keinen einzigen<br />

Deal abschließen, solange nicht alle Mieter<br />

aus dem alten Bürohaus ausziehen würden.<br />

Alle Verkäufer, Makler und Anwälte,<br />

die an dem Großprojekt beteiligt waren,<br />

mussten Planungen und Verhandlungen<br />

erst mal einstellen. Der Pfandleiher machte<br />

eine irrwitzige Forderung auf, berichtet<br />

Tim Weber, Immobilienwirtschaftsexperte<br />

der Kanzlei Gleiss Lutz: Der 100 Quadratmeter<br />

große Laden würde genau und nur<br />

an dieser Stelle jährlich ein bis zwei Millionen<br />

Euro Gewinn abwerfen, also auf die<br />

nächsten fünf Jahre hochgerechnet fünf bis<br />

zehn Millionen Euro. Die solle ihm der Immobilienkäufer,<br />

bitte schön, zahlen, wenn<br />

er dem geplanten Hochhaus weichen solle.<br />

Hoch profitabel<br />

Millionenprojekte wie<br />

der Frankfurter Opernturm<br />

sind ein Eldorado<br />

für Immobilienanwälte<br />

„Es war eine Menge Arbeit nötig, damit der<br />

100-Millionen-Deal nicht wegen eines pokernden<br />

Mieters platzte“, sagt Weber.<br />

Immerhin sechs Wochen lag das Projekt<br />

auf Eis, bis sich der Pfandleiher dann doch<br />

mit 200 000 Euro zufriedengab. Dass Altmieter<br />

pokern, komme insbesondere bei in<br />

die Jahre gekommenen Shoppingcentern<br />

vor, berichten Immobilienrechtler. Der<br />

Entwickler eines Projekts am Potsdamer<br />

Platz in Berlin schenkte einem Mieter eine<br />

Eigentumswohnung, damit der auszog.<br />

„Gemessen an dem gigantischen Schaden,<br />

der sonst entstanden wäre, war das sogar<br />

preiswert“, sagt Weber von Gleiss Lutz.<br />

Die Kanzlei wurde jetzt von einer unabhängigen<br />

Jury unter die 25 Top-Kanzleien<br />

zum Immobilienwirtschaftsrecht gewählt.<br />

Das Verfahren lief in drei Schritten:<br />

n Zunächst wurden mittels Datenbankrecherchen<br />

und Expertengesprächen 60<br />

Kanzleien und 200 Anwälte ausgewählt,<br />

die positiv aufgefallen sind.<br />

n Diese wurden 26 Experten führender<br />

Kanzleien zur Bewertung vorgelegt. Die<br />

Bewertung der eigenen Kanzlei oder Person<br />

war dabei ausgeschlossen.<br />

n Im dritten Schritt bewertete eine Jury 39<br />

Kanzleien, deren Anwälte überdurchschnittlich<br />

gut bewertet wurden, nach den<br />

Kriterien Erfolg, Erfahrung, Spezialisierung<br />

und Stärke des Teams. Die 25 Kanzleien<br />

mit den meisten Punkten sind in der Übersicht<br />

rechts aufgeführt.<br />

Immobilienwirtschaftsanwälte haben<br />

aktuell zu tun wie lange nicht mehr. Der<br />

Immobilienmarkt für institutionelle Anleger<br />

brummt. Das Angebot an erstklassigen<br />

Objekten ist knapp, vor allem ausländische<br />

Investoren wie US-Lebensversicherer,<br />

Staatsfonds aus Skandinavien und Asien<br />

oder kanadische Pensionskassen kaufen<br />

Immobilien. Auch Vermögensverwalter<br />

reicher Familien, Projektentwickler und<br />

Fondsgesellschaften sind auf der Suche<br />

nach Gewerbeimmobilien. In diesen fünf<br />

Städten: „Frankfurt ist als Finanzstandort<br />

der Klassiker und immer vorn. Berlin ist<br />

eher auf Platz zwei, weil Investoren dort auf<br />

steigende Preise hoffen. Dann folgen Hamburg<br />

und Düsseldorf wegen ihrer attraktiven<br />

Renditen. München liegt auf Platz fünf,<br />

weil die Preise so hoch sind“, sagt Johannes<br />

Conradi von der Kanzlei Freshfields Bruckhaus<br />

Deringer.<br />

Gekauft werden Bürogebäude, Shoppingcenter,<br />

Supermärkte, Hotels und – immer<br />

häufiger Logistikzentren. Bekannte<br />

Vorzeigeobjekte der vergangenen Jahre<br />

sind der Operntum in Frankfurt oder das<br />

FOTOS: TOPICMEDIA/THOMAS ROBBIN, PR (7), FRANK SCHEMMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

104 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Düsseldorfer Dreischeibenhochhaus. „Ein<br />

Drittel der verkauften Immobilien sind<br />

Neubauten, zwei Drittel gebrauchte Bestandsobjekte“,<br />

sagt Conradi. Er ist schon<br />

so lange im Geschäft, dass er manche Immobilie<br />

bereits zweimal mitverkauft hat.<br />

An den Deals verdienen die Anwälte<br />

kräftig mit. Stundenhonorare für Partner<br />

liegen zwischen 400 und 600 Euro. Rabatte<br />

ab einem bestimmten Honorarvolumen<br />

sind üblich. Manche Mandanten legen<br />

Obergrenzen fest. Faustregel: Kleine Spezialisten<br />

sind billiger als große Law Firms.<br />

TRICK SPART STEUER<br />

„Läuft eine Transaktion, bekomme ich 400<br />

bis 500 Mails am Tag“, sagt Alexander<br />

Goepfert von Noerr, einer der ganz Erfahrenen<br />

der Branche – von Mandanten, Steuer-<br />

und Gesellschaftsrechtlern aus dem eigenen<br />

Lager, von Wirtschaftsprüfern und<br />

Anwälten der anderen Seite. Goepfert betreute<br />

auch die größte Transaktion 2014,<br />

als die Deutsche Annington für 2,4 Milliarden<br />

Euro 41 500 Wohnungen übernahm.<br />

Haben Mandanten erst mal in den virtuellen<br />

Datenräumen Mietverträge, Bilanzen<br />

und technische Berichte gesehen, kann es<br />

zu Bietergefechten kommen. Verkäufer<br />

schicken den Käufern Vertragsentwürfe,<br />

deren Anwälte schreiben Änderungswünsche<br />

hinein. Wer zu viel ändern will, fliegt<br />

raus. Nach maximal sechs Monaten liegen<br />

drei bis vier verbindliche Angebote auf<br />

dem Tisch. „Doch bis der Notarvertrag unterzeichnet<br />

ist, werden die anderen Bieter<br />

auf Stand-by gehalten“, sagt Conradi.<br />

Wenn wieder ein Bundesland die<br />

Grunderwerbsteuer erhöht, müssen Deals<br />

vor dem Stichtag durchgepeitscht werden.<br />

So können Käufer Millionen sparen. Gar<br />

keine Grunderwerbsteuer zahlen sie, wenn<br />

ihnen Anwälte sogenannte Share-Deals<br />

stricken. „Bei denen erwerben sie keine<br />

Immobilie direkt, sondern Gesellschaftsanteile“,<br />

erklärt Anwalt Roland Bomhard<br />

von Hogan Lovells.<br />

Beurkundungen beim Notar können,<br />

wenn die Verhandlungen vorher unter hohem<br />

Zeitdruck liefen, auch schon mal 24<br />

Stunden dauern. Dann gibt’s viel Kaffee,<br />

und nachts kommt der Pizzabote. Wer vor<br />

Erschöpfung einschläft, wird geweckt.<br />

Branchen-Usus ist das Glas Veuve Clicquot<br />

nach jedem Deal – egal, wie spät oder wie<br />

früh am Tag. Notare müssen den immer im<br />

Kühlschrank haben. Conradi: „Bei aller<br />

vorherigen Gegnerschaft, diese halbe<br />

Stunde muss sein.“<br />

n<br />

claudia.toedtmann@wiwo.de, hans-peter canibol<br />

JURY<br />

Wer die Kanzleien<br />

ausgewählt hat<br />

Carsten Beisheim leitet den<br />

Konzernbereich Recht und<br />

Compliance bei der Wüstenrot<br />

& Württembergische AG.<br />

Michael Bütter ist Mitglied<br />

des Management Board der<br />

Ferrostaal und Aufsichtsrat<br />

der TLG Immobilien. Zuvor<br />

war er bei der Deutschen<br />

Annington.<br />

Thomas Hegel ist Vorstandsvorsitzender<br />

der LEG Immobilien<br />

und war zuvor<br />

Geschäftsführer der Corpus<br />

Asset Wohnen.<br />

25 Top-Kanzleien für Immobilienwirtschaftsrecht<br />

Welche Sozietäten besonders empfohlen werden<br />

Kanzlei<br />

Allen & Overy<br />

Ashurst LLP<br />

Clifford Chance<br />

CMS Hasche Sigle<br />

DLA Piper<br />

FPS<br />

Freshfields Bruckhaus Deringer<br />

Gleiss Lutz<br />

Görg<br />

GSK Stockmann + Kollegen<br />

Hengeler Mueller<br />

Herbert Smith Freehills<br />

Hogan Lovells<br />

Jebens Mensching<br />

Kucera Rechtsanwälte<br />

Latham & Watkins<br />

Luther<br />

McDermott Will & Emery<br />

Noerr LLP<br />

Norton Rose Fulbright<br />

Olswang<br />

Oppenhoff & Partner<br />

P+P Pöllath + Partners<br />

Schalast & Partner<br />

Trûon Rechtsanwälte<br />

Rechtsanwalt<br />

Quelle: WirtschaftsWoche-Expertenpanel und Jury 2014<br />

Olaf Meisen, Jochen Scheel<br />

Marc Bohne, Stefan Kock, Liane Muschter<br />

Jens Liewald ist Geschäftsführender<br />

Gesellschafter der<br />

Investorengruppe LAV-Gruppe<br />

aus Köln.<br />

Achim Schunder ist Niederlassungsleiter<br />

der Zeitschriftenredaktion<br />

des C.H. Beck Verlags<br />

in Frankfurt.<br />

Ingo Seidner ist Head of<br />

Legal & Compliance Germany<br />

der Immobilenberatung<br />

Jones Lang LaSalle (JLL).<br />

Dirk Sonnberg verantwortet bei<br />

der Deutschen Wohnen AG als<br />

Managing Director Legal/Compliance<br />

den Rechtsbereich.<br />

Claudia Tödtmann ist<br />

Redakteurin der<br />

WirtschaftsWoche.<br />

Christian Keilich, Reinhard Scheer-Hennings, Cornelia Thaler<br />

Nadja Fleischmann, Peter Ruby, Hermann Stapenhorst, Volker Zerr<br />

Markus Beaumart<br />

Robin Fritz<br />

Johannes Conradi, Friedrich Heilmann, Niko Schultz-Süchting<br />

Johannes Niewerth, Tim Weber<br />

Jan Lindner-Figura<br />

Michael Eggersberger, Andreas May, Rainer Werum<br />

Georg Frowein, Daniel Kress, Thomas Müller<br />

Thomas Kessler<br />

Roland Bomhard, Dirk Debald, Hinrich Thieme<br />

Phillip Jebens<br />

Stefan Kucera<br />

Stefanie Fürst<br />

Achim Meier<br />

Jens Ortmanns<br />

Christoph Brenzinger, Michael Eggert, Professor Alexander Goepfert<br />

Ulrike Bernert-Auerbach, Thomas Hopf, Maren Stölting<br />

Christian Schede<br />

Stefanie Minzenmay<br />

Matthias Durst, Stefan Lebek<br />

Barbara Busch, Christoph Schalast<br />

Sonja Tegtmeyer, Erwin B. von Bressendorf<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 105<br />

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Geld&Börse | Barron’s<br />

Jagd nach Rendite<br />

US-AKTIEN | Prominente Hedgefondsmanager verrieten bei einer<br />

Gala in Chicago ihre Favoriten.<br />

dia seine US-Kabeldienste (vorwiegend<br />

die 26 Prozent an Charter<br />

Communications) <strong>vom</strong> Rest<br />

des Unternehmens ab. Weitz<br />

mag Liberty und Charter, auch<br />

wenn sie die typische Komplexität<br />

eines Konstrukts von John<br />

Malone aufweisen. Der gewiefte<br />

Deal-Maker Malone wisse seine<br />

Fähigkeiten gekonnt einzusetzen,<br />

um signifikante Wertsteigerungen für<br />

seine Mitaktionäre zu generieren.<br />

Interessanterweise fand auch ein weiterer<br />

Redner, Nehal Chopra <strong>vom</strong> Tiger Ratan<br />

Capital Fund, lobende Worte für Kabelnetzbetreiber<br />

Charter, wobei er einerseits<br />

die genialen Finanzkonstruktionen von<br />

Malone und andererseits die Managementkompetenz<br />

von Charter-Chef Tom<br />

Rutledge hervorhob. Wenn die Regierung<br />

die Fusion zwischen Comcast und Time<br />

Warner Cable genehmige, werde die Zahl<br />

der angeschlossenen Teilnehmer bei Charter<br />

von etwa vier Millionen auf acht Millionen<br />

wachsen. Chopra glaubt, Rutledge<br />

werde seine magische Hand auch gegenüber<br />

den neuen Kabelteilnehmern erfolgreich<br />

einsetzen – also die Kosten drücken<br />

und den Umsatz pro Kunde steigern.<br />

Auf einer Wohltätigkeitskonferenz<br />

zugunsten von Kinderhilfswerken<br />

in Chicago verrieten Profis ihre<br />

Top-Aktien. Die Anlageexperten<br />

hatten in der sechsjährigen Geschichte der<br />

Konferenz schon mehrfach überdurchschnittlich<br />

erfolgreiche Empfehlungen gegeben.<br />

Allerdings nicht 2013. Die 19 im<br />

Vorjahr vorgeschlagenen Titel verbuchten<br />

durchschnittlich sieben Prozent Verlust,<br />

während der S&P-500-Aktienindex im selben<br />

Zeitraum 17 Prozent zulegte.<br />

Hedgefondsmogul Larry Robbins, der<br />

den Glenview Capital Management-Fonds<br />

leitet, empfahl diesmal den US-Gesundheitsdienstleister<br />

Tenet Healthcare – wegen<br />

dessen Expertise bei Akquisitionen,<br />

wegen des politischen Rückenwinds für<br />

Krankenversicherungen und wegen hoher<br />

operativer Kompetenz. Außerdem kauft er<br />

Teradyne, den US-Weltmarktführer bei<br />

Testgeräten für die Halbleiterproduktion<br />

und den Chip-Designer Cadence Design<br />

Systems.<br />

200 000 MEILEN UM DIE WELT<br />

Mason Hawkins von Southeastern Asset<br />

Management, der sein Gewerbe seit rund<br />

vier Jahrzehnten aus Memphis betreibt,<br />

empfahl den US-Kommunikationsdienstleister<br />

Level 3 Communications, der ein<br />

riesiges globales Glasfasernetz mit rund<br />

200 000 Streckenmeilen betreibt. Der Datenverkehr<br />

über das für 45 Milliarden Dollar<br />

gebaute Netzwerk wächst exponentiell.<br />

Der freie Cash-Flow steigt stark. Die Wall<br />

Street hat noch nicht registriert, welches<br />

Potenzial die noch freien Glasfaserkabel<br />

und ungenutzten Schaltkreise des Unternehmens<br />

haben. Weiteres Plus: Hohe Verlustvorträge<br />

aus den Jahren mit hohen<br />

Überkapazitäten dürften dem Unternehmen<br />

künftig kräftig Steuern ersparen.<br />

Steve Kuhn von Pine River Capital Management<br />

sieht enormes Potenzial in japanischen<br />

Aktien, in die Japans größter Pensionsfonds,<br />

der Government Pension Fund<br />

GPIF, nach seiner kürzlich erfolgten Änderung<br />

der Anlagestrategie nun investieren<br />

darf.<br />

In den Augen von Wallace Weitz von<br />

Weitz Investment Management sind zwei<br />

Unternehmen aus der Nachkommenschaft<br />

von Medientycoon John Malone ein heißer<br />

Tipp: Zu Beginn des Monats trennte der<br />

US-Medienkonzern Liberty Me-<br />

Die beste<br />

Geschichte aus<br />

der aktuellen<br />

<strong>Ausgabe</strong> von<br />

dem führenden<br />

amerikanischen<br />

Magazin für<br />

Geldanleger.<br />

WEN ÜBERNIMMT BILL ACKMAN?<br />

Das diesjährige Programm war um eine Facette<br />

reicher, nämlich um Chats mit Referenten<br />

und Moderatoren. Immobilienexperte<br />

Sam Zell aus Chicago wunderte sich<br />

über die ungebrochene Begeisterung vieler<br />

Anleger trotz der Rekordkurse an den US-<br />

Aktienbörsen. Er äußerte Bedenken angesichts<br />

der wirtschaftlichen Probleme in der<br />

Welt, speziell in Europa, Russland und Japan.<br />

Die Bewertungen mancher US-Aktien<br />

wie etwa von Amazon.com, meinte er, würden<br />

ihn nachgerade an die Dotcom-Ära erinnern.<br />

Bill Ackman von Pershing Square Capital<br />

Management, dessen Hauptfonds in diesem<br />

Jahr bereits 35 Prozent zugelegt hat,<br />

ließ bei einem Chat ein separates kleines<br />

Feuerwerk steigen. Er machte sich lustig<br />

über den kalifornischen Botox-Hersteller<br />

Allergan und dessen Management. Der kanadische<br />

Pharmakonzern Valeant Pharmaceuticals<br />

will Allergan, unterstützt von<br />

Allergan-Großaktionär Pershing Square,<br />

unbedingt aufkaufen. Aber Allergan<br />

krümmt und windet sich bei dem Versuch,<br />

den unerwünschten Freiern Pershing und<br />

Valeant zu entkommen. Zur US-Eisenbahngesellschaft<br />

CSX, die das von Pershing<br />

gestützte Übernahmeangebot<br />

der Canadian Pacific Railway<br />

platzen ließ, sagte Ackman<br />

nur, CSX sei durchaus nicht sein<br />

einziges mögliches Übernahmeziel<br />

unter den US-Eisenbahngesellschaften.<br />

Er nannte keine Namen,<br />

aber die Börse ließ den<br />

Kurs der Aktie des CSX-Rivalen<br />

Norfolk Southern klettern. n<br />

jonathan r. laing | geld@wiwo.de<br />

ILLUSTRATION: TOM MACKINGER<br />

106 Nr. 47 17.11.14 WirtschaftsWoche<br />

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Geld&Börse | Steuern und Recht<br />

ANLEGERSCHUTZ<br />

Gefahr im Vakuum<br />

Bis das neue Kleinanlegergesetz in Kraft tritt, werden bestehende Lücken genutzt.<br />

Erst ein gutes Jahr alt ist das Kapitalanlagegesetzbuch<br />

(KAGB). Es sollte den Anlegerschutz stärken.<br />

Doch es blieben Lücken. Genussrechte,<br />

Nachrangdarlehen, stille Beteiligungen und<br />

partiarische Darlehen wurden nicht komplett<br />

<strong>vom</strong> KAGB erfasst. Dann kam die Prokon-Insolvenz.<br />

Anleger verloren mit den Genussrechten<br />

des Windparkbetreibers viel Geld. Jetzt bessert<br />

die Bundesregierung mit dem Gesetzentwurf<br />

zum Kleinanlegerschutzgesetz nach und verschärft<br />

die Transparenzanforderungen. „Die Prospektpflicht<br />

soll auf Nachrangdarlehen und partiarische<br />

Darlehen ausgedehnt werden. Zudem<br />

ist ein Prospekt künftig nur zwölf Monate gültig,<br />

danach muss er erneut von der Bundesanstalt für<br />

Finanzdienstleistungsaufsicht gebilligt werden.<br />

Laut-Sprecher<br />

Ex-Prokon-Chef<br />

Carsten Rodbertus<br />

Die Aufsicht kann dem Anbieter zudem Werbung<br />

untersagen“, sagt Marc von Ammon, Rechtsanwalt<br />

in der Kanzlei Jones Day. Damit sich Anleger<br />

ein besseres Bild über die Zahlungsfähigkeit des<br />

Emittenten machen können, muss er zudem eine<br />

Übersicht der Einnahmen und <strong>Ausgabe</strong>n bieten.<br />

„Ausnahmen von der Prospektpflicht für kleinteilige<br />

Emissionen könnten Anbieter jedoch nutzen,<br />

um das verschärfte Gesetz zu umgehen“, sagt<br />

von Ammon. Zudem besteht bis zum erwarteten<br />

Inkrafttreten Mitte 2015 ein Vakuum: „Der Verkauf<br />

von Nachrangdarlehen an Privatinvestoren<br />

nimmt jetzt Fahrt auf. Das eigentlich sinnvolle Finanzierungsinstrument<br />

wird von unseriösen Anbietern<br />

missbraucht“, sagt Nicolaus Thiele-Dohrmann,<br />

Chef des Analysehauses Alpha-Assets.<br />

FEHLBERATUNG<br />

Maklerin<br />

haftet doch<br />

Ein Mann schloss 2006 eine<br />

Risikolebensversicherung ab.<br />

Dass er vor Abschluss der Police<br />

an psychosomatischen Störungen<br />

gelitten hatte, gab er gegenüber<br />

der Versicherung nicht an.<br />

Der Mitarbeiter einer Versicherungsmaklerin<br />

habe ihm gesagt,<br />

dass es nicht nötig sei, solche<br />

Angaben zu machen. Als<br />

der Versicherer von der Krankengeschichte<br />

des Mannes<br />

erfuhr, focht er den Versicherungsvertrag<br />

wegen arglistiger<br />

Täuschung an. Daraufhin verklagte<br />

die Ehefrau des Versicherten<br />

die Versicherungsmaklerin<br />

auf Schadensersatz wegen<br />

Fehlberatung. Schließlich habe<br />

ihr Mitarbeiter empfohlen, die<br />

Vorerkrankungen zu verschweigen.<br />

Der Bundesgerichtshof<br />

stellte klar, dass allein die Tatsache,<br />

dass der Versicherer den<br />

Vertrag angefochten habe, kein<br />

Beweis dafür sei, dass die Police<br />

nie zustande gekommen wäre,<br />

wenn der Versicherte alle<br />

Gesundheitsfragen wahrheitsgemäß<br />

beantwortet hätte (III<br />

ZR 82/13). Dem Versicherten<br />

könnte daher ein Schaden<br />

entstanden sein, für den die<br />

Versicherungsmaklerin haften<br />

müsste. Die Vorinstanz, das<br />

Oberlandesgericht Bamberg,<br />

muss erneut entscheiden (2 O<br />

113/11).<br />

RECHT EINFACH | Betriebsfeier<br />

Weihnachtsfeiern mit Kollegen<br />

enden mitunter im Streit.<br />

Dann hat häufig ein Richter<br />

das letzte Wort.<br />

§<br />

Bowling. Das Arbeitsteam<br />

eines Jobcenters organisierte<br />

eine Weihnachtsfeier in<br />

einer Bowling-Halle. Eine<br />

der Kolleginnen brach sich bei<br />

dem Ausflug das Bein. Die Unfallversicherung<br />

weigerte sich, den<br />

Beinbruch als Arbeitsunfall anzuerkennen.<br />

Begründung: Es habe<br />

sich um eine private und nicht um<br />

eine betriebliche Weihnachtsfeier<br />

gehandelt. Die Gerichte sahen das<br />

ebenso. Nur wenn der Weihnachtsumtrunk<br />

von der Firmenleitung oder<br />

im Einvernehmen mit dieser organisiert<br />

werde, liege eine versicherte<br />

Veranstaltung vor (Bundessozialgericht,<br />

B 2 U 7/13 R).<br />

Geschenke. Damit mehr Beschäftigte<br />

zur Weihnachtsfeier kommen,<br />

lobte ein Unternehmen für jeden<br />

Teilnehmer ein Mini-iPad im Wert<br />

von 400 Euro aus. Eine Mitarbeiterin<br />

war zu dem Zeitpunkt krank. Im<br />

Nachhinein verlangte sie auch ein<br />

Mini-iPad. Vergebens. Wie zuvor<br />

die Geschäftsleitung sah auch<br />

der zuständige Arbeitsrichter das<br />

Geschenk als ein „freiwilliges<br />

Engagement“ an. Da es sich nicht<br />

um eine Arbeitsvergütung handele,<br />

gelte auch der Grundsatz der<br />

Gleichbehandlung nicht (Arbeitsgericht<br />

Köln, 3 Ca 1813/13).<br />

Randale. Während einer Weihnachtsfeier<br />

in Niedersachsen stritten<br />

sich zwei Teilnehmer. Einem<br />

der beiden rutschte schließlich die<br />

Hand aus. Ob es zu einem Faustschlag<br />

oder „nur“ zu einer Ohrfeige<br />

gekommen war, ließ sich später<br />

nicht mehr feststellen. Das Unternehmen<br />

kündigte dem Raufbold<br />

fristlos. Zu Recht, befand das<br />

Arbeitsgericht. Die Fürsorgepflicht<br />

des Arbeitgebers für seine Angestellten<br />

habe einen sofortigen<br />

Rauswurf erfordert (Arbeitsgericht<br />

Osnabrück, 4 BV 13/08).<br />

FOTOS: CARO FOTOAGENTUR/MICHAEL RUFF, YOUR PHOTO TODAY, PR<br />

108 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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SCHENKUNGSTEUER<br />

Höherer Freibetrag für Ausländer<br />

Einer Frau gehörte die Hälfte<br />

eines Grundstücks in Deutschland.<br />

Sie und ihre Töchter lebten<br />

in Großbritannien. 2011<br />

übertrug sie ihren Grundstücksanteil<br />

an ihre Kinder. Die anfallende<br />

Schenkungsteuer wollte<br />

die Mutter zahlen. Das deutsche<br />

Finanzamt setzte als Freibetrag<br />

nur jeweils 2000 Euro für<br />

beschränkt steuerpflichtige<br />

Ausländer an und nicht den für<br />

Kinder üblichen Freibetrag von<br />

400 000 Euro. Dagegen klagte<br />

die Mutter. Das Finanzgericht<br />

Düsseldorf hat erhebliche Zweifel,<br />

ob die Praxis der Finanzämter<br />

rechtens ist, bei EU-Bürgern,<br />

die ihren Wohnsitz im Ausland<br />

haben, nur den Freibetrag für<br />

beschränkt steuerpflichtige<br />

Beschenkte anzuwenden (4 K<br />

488/14 Erb). Schließlich habe<br />

der Europäische Gerichtshof in<br />

einem ähnlich gelagerten Fall<br />

entschieden, dass die Höhe des<br />

Freibetrags nicht <strong>vom</strong> Wohnsitz<br />

abhängig gemacht werden könne,<br />

so die Richter. Wenn entweder<br />

die Mutter oder eine der<br />

Töchter zum Zeitpunkt der<br />

Schenkung in Deutschland gewohnt<br />

hätte, dann hätte das Finanzamt<br />

400 000 Euro statt 2000<br />

Euro Freibetrag abgezogen.<br />

Zwar könnten die Betroffenen<br />

beim Finanzamt einen Antrag<br />

auf einen höheren Freibetrag<br />

EBAY<br />

Kauf für einen Euro ist gültig<br />

SCHNELLGERICHT<br />

Ein Mann stellte seinen Gebrauchtwagen<br />

auf der Internet-<br />

Plattform Ebay zur Versteigerung<br />

ein. Kurz vor Beginn der<br />

Auktion setzte er das Mindestgebot<br />

auf einen Euro und die<br />

Preisobergrenze auf 555,55 Euro<br />

fest. Nach wenigen Stunden<br />

brach der Autoinhaber die Auktion<br />

ab. Bis dahin lag der Preis<br />

lediglich beim Mindestgebot<br />

von einem Euro. Per E-Mail teilte<br />

er dem Bieter mit, dass er einen<br />

Käufer gefunden habe, der<br />

ihm das Auto für 4200 Euro abnehmen<br />

wolle. Der Bieter beharrte<br />

darauf, dass der Kaufvertrag<br />

gültig sei, und verklagte<br />

den Autobesitzer auf Schadensersatz.<br />

Der Bundesgerichtshof<br />

entschied, dass der Kaufvertrag<br />

trotz des Missverhältnisses zwischen<br />

Kaufpreis und Wert des<br />

Autos nicht sittenwidrig sei<br />

(VIII ZR 42/14). Es sei die freie<br />

Entscheidung des Autobesitzers<br />

gewesen, das Fahrzeug für<br />

ein Mindestgebot von einem<br />

Euro auf Ebay einzustellen. Der<br />

Kaufvertrag sei daher gültig.<br />

stellen. Allein der Zwang, einen<br />

solchen Antrag stellen zu müssen,<br />

könne gegen EU-Recht verstoßen.<br />

Derzeit läuft am Europäischen<br />

Gerichtshof ein<br />

Vertragsverletzungsverfahren<br />

gegen Deutschland wegen<br />

der Ungleichbehandlung von<br />

In- und Ausländern durch<br />

die deutsche Erbschaft- und<br />

Schenkungsteuer. Bisher hat<br />

der EuGH, noch nicht entschieden,<br />

ob die Pflicht, einen Antrag<br />

auf einen höheren Freibetrag<br />

stellen zu müssen, gegen EU-<br />

Recht verstößt. Das Finanzgericht<br />

Düsseldorf hat den Fall daher<br />

an den EuGH in Luxemburg<br />

verwiesen.<br />

GEWERBESTEUER<br />

Lobbyisten<br />

zahlen<br />

Lobbyisten müssen Gewerbesteuer<br />

zahlen (Bundesfinanzhof,<br />

VIII R 18/11). Wer Politiker<br />

informiert, berät und beeinflusst,<br />

übt keine Tätigkeit aus,<br />

die vergleichbar mit der von<br />

freiberuflichen Journalisten<br />

oder Wissenschaftlern wäre, die<br />

keine Gewerbesteuer zahlen<br />

müssen, so die Richter. Dies gilt<br />

auch für Politikberater, deren<br />

Arbeit zum Teil den steuerbegünstigten<br />

Berufen ähnelt.<br />

ARBEITSRECHT<br />

CAROLA SIELING<br />

ist Lehrbeauftragte<br />

und<br />

Fachanwältin<br />

für IT-Recht<br />

der Kanzlei<br />

Sieling.<br />

n Frau Sieling, dürfen<br />

Arbeitgeber eine Ortung<br />

ihrer Firmenwagenflotte<br />

einführen, etwa per GPS<br />

über Navigationsgeräte, um<br />

Dienstfahrten der Mitarbeiter<br />

zu überwachen?<br />

Bei der Ortung von Arbeitnehmern<br />

handelt es sich um die<br />

Verarbeitung von personenbezogenen<br />

Daten, die durch das<br />

Bundesdatenschutzgesetz<br />

besonders geschützt sind. Die<br />

Ermittlung des Standortes<br />

durch den Arbeitgeber benötigt<br />

danach eine gesetzliche<br />

Grundlage. Alternativ kann im<br />

Unternehmen die Ortung per<br />

Betriebsvereinbarung oder<br />

durch ausdrückliche Einwilligung<br />

des Arbeitnehmers geregelt<br />

werden.<br />

n Welche Rechte haben<br />

Arbeitnehmer, wenn sie den<br />

Firmenwagen privat nutzen?<br />

Der Arbeitgeber darf nur zu<br />

bestimmten Zwecken – etwa<br />

um die Sicherheit des Beschäftigten<br />

zu gewährleisten<br />

oder um Einsätze zu koordinieren<br />

– die Ortung vornehmen,<br />

und auch nur während<br />

der Arbeitszeit. Arbeitnehmer<br />

haben ein Recht darauf, zu<br />

erfragen, wann welche Daten<br />

über sie gespeichert werden.<br />

STRAFE FÜR SCHULENTZUG IST ZULÄSSIG<br />

§<br />

Das hessische Schulrecht, das Eltern bestraft,<br />

die ihre schulpflichtigen Kinder nicht zur<br />

Schule schicken, ist mit dem Grundgesetz vereinbar<br />

(Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 920/14).<br />

DATENWEITERGABE IST RECHTSWIDRIG<br />

§<br />

Das soziale Netzwerk Facebook muss die Nutzer<br />

seiner Plattform für Zusatzprogramme (Apps)<br />

umfassend darüber informieren, welche Daten an<br />

externe Dienstleister weitergegeben werden (Landgericht<br />

Berlin, 16 O 60/13). Es sei rechtswidrig, dass<br />

die Nutzer von Facebook-Apps der Weitergabe von<br />

Daten ohne ihr Wissen zustimmen, sobald sie das<br />

Programm herunterladen.<br />

WER SICH AUSKENNT, DARF NICHT KLAGEN<br />

§<br />

Ein Versicherungsvertreter, der sich im Widerrufsrecht<br />

auskennt und nach mehreren Jahren von<br />

seinem Versicherungsvertrag zurücktreten will, nur<br />

weil der Versicherer im Begleitschreiben zur Police<br />

den Hinweis auf das Widerrufsrecht optisch nicht<br />

hervorgehoben hat, handelt rechtsmissbräuchlich<br />

(Oberlandesgericht Stuttgart, 7 U 147/10).<br />

RECHENFEHLER MACHT ANGEBOT UNGÜLTIG<br />

§<br />

Bauunternehmen, die gegenüber einem öffentlichen<br />

Auftraggeber ein besonders günstiges<br />

Angebot machen, sind nicht daran gebunden, wenn<br />

das Angebot nur wegen eines Kalkulationsfehlers so<br />

günstig war (Bundesgerichtshof, X ZR 32/14).<br />

n Muss der Arbeitgeber<br />

Programme installieren, die<br />

dem Fahrer einen privaten<br />

Modus bei der Fahrtenaufzeichnung<br />

erlauben, der<br />

keine Daten speichert?<br />

Nein. Er ist lediglich verpflichtet,<br />

keine privaten Daten zu<br />

erfassen und dazu Maßnahmen<br />

zum Datenschutz zu<br />

ergreifen. Wie das technisch<br />

gelöst wird, entscheidet der<br />

Arbeitgeber.<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 Redaktion: martin.gerth@wiwo.de, sebastian kirsch, heike schwerdtfeger | Frankfurt<br />

109<br />

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Geld&Börse | Geldwoche<br />

KOMMENTAR | Der niedrige Ölpreis<br />

stützt die Börse, ist aber<br />

brandgefährlich für die neuen US-<br />

Ölanbieter. Von Martin Seiwert<br />

Fracksausen<br />

Die Ölmagnaten dieser<br />

Welt haben reichlich<br />

Gesprächsstoff, wenn<br />

sie sich am 27. November<br />

zum Opec-Gipfel in<br />

Wien einfinden. Der Ölpreis ist<br />

seit Sommer um fast ein Drittel<br />

eingebrochen. Mit 80 Dollar<br />

wurde vergangene Woche ein<br />

Barrel der Nordseesorte Brent<br />

gehandelt. Als US-Präsident<br />

Barack Obama und Chinas<br />

Staatschef Xi Jinping dann ihr<br />

neues Klimaschutzabkommen<br />

verkündeten, ging es für den<br />

Klimakiller noch weiter bergab.<br />

Es ist nicht allzu lange her,<br />

da war es US-Präsidenten die<br />

reinste Freude, mit Wort und Tat<br />

– Kriege eingeschlossen – für<br />

günstiges Öl zu streiten. Denn<br />

für die öldurstigen USA war ein<br />

niedriger Ölpreis das beste Konjunkturprogramm.<br />

Doch weil<br />

Amerika dank Fracking-Technik<br />

im kommenden Jahr Saudi-Arabien<br />

als Erdölproduzent Nummer<br />

eins ablösen dürfte, ist die<br />

Welt komplizierter geworden.<br />

GEDÄMPFTER JUBEL<br />

Seltsam: An der Wall Street hält<br />

sich die Freude über den niedrigen<br />

Ölpreis in Grenzen. Kurbelt<br />

das billige Öl die Geschäfte der<br />

Autoindustrie an, steigert er die<br />

Gewinne der Airlines, haben die<br />

Menschen jetzt mehr Geld zum<br />

konsumieren? Der Börsianer<br />

zuckt müde mit den Schultern.<br />

Was Anleger eher umtreibt, ist<br />

die Frage, wie es mit der jungen<br />

Fracking-Industrie weitergeht.<br />

Beim Fracking wird Öl unter<br />

Hochdruck aus der Erde gepresst,<br />

unter Einsatz von Wasser<br />

und Chemikalien. Die Wall<br />

Street hat die Anbieter mit Milliarden<br />

von Risikokapital geflutet,<br />

nur so war der schnelle Ausbau<br />

binnen weniger Jahre möglich.<br />

Pioneer, Devon oder Southwestern<br />

Energy heißen die neuen<br />

Player, die in den vergangenen<br />

Jahren ihren Börsenwert vervielfachten.<br />

Die meisten produzieren Gas<br />

und Öl gleichzeitig. Um das Erdgas<br />

müssen sich ihre Finanziers<br />

nicht den Kopf zerbrechen.<br />

Es verbrennt klimaschonend<br />

und wird für die USA eine der<br />

wichtigsten Energiequellen sein.<br />

Das Problem ist das Öl. Während<br />

es in Saudi-Arabien für etwa 30<br />

Dollar pro Barrel aus dem Wüstensand<br />

quillt, fallen beim aufwendigen<br />

Fracking Kosten von<br />

50 bis 80 Dollar an. Bei Ölpreisen<br />

unter 80 Dollar wird es für<br />

den einen oder anderen amerikanischen<br />

Player deshalb eng.<br />

Halcón Resources aus Texas hat<br />

schon die Reißleine gezogen:<br />

Zwei weniger profitable Förderanlagen<br />

werden demnächst<br />

dichtgemacht. Sinken die Preise<br />

unter 70 Dollar, dürften etliche<br />

der gehypten Fracking-Aktien<br />

auf Talfahrt gehen. Nicht wenige<br />

Analysten sehen genau dann<br />

allerdings den optimalen Zeitpunkt<br />

zum Einstieg. Denn auf<br />

lange Sicht, sagen sie, werde der<br />

Ölpreis wieder steigen und die<br />

US-Ölindustrie florieren.<br />

Ist es eben diese Perspektive,<br />

die zu einem „kalten Krieg zwischen<br />

Saudi-Arabien und Texas“<br />

führt, wie US-Medien spekulieren?<br />

Fluten die Saudis den<br />

Markt bewusst mit Öl, um die<br />

US-Ölindustrie in die Knie zu<br />

zwingen? Es gebe keinen „Preiskrieg“,<br />

widersprach der saudische<br />

Ölminister Ali al-Naimi am<br />

vergangenen Mittwoch. Das sei<br />

alles bloß ein „Missverständnis“.<br />

Warum Saudi-Arabien seine<br />

Verkaufspreise für November<br />

und Dezember weiter senkte,<br />

das erklärte der Minister nicht.<br />

TREND DER WOCHE<br />

Amerikanische Hausse<br />

Die robuste Konjunktur und niedrige Zinsen beflügeln<br />

US-Aktien-Klassiker. High-Tech-Werte ziehen nach.<br />

Mit neuen Kursrekorden untermauern<br />

US-Aktien ihre führende<br />

Position unter den Weltbörsen.<br />

Auffallend stabil und<br />

immer noch ein Investment<br />

sind derzeit die Dow-Klassiker<br />

Home Depot (Baumärkte),<br />

Johnson & Johnson (Pharma),<br />

Procter & Gamble (Konsumchemie),<br />

Nike (Sportartikel)<br />

und Walt Disney (Medien). Um<br />

durchschnittlich elf Prozent<br />

stiegen die Nettogewinne amerikanischer<br />

Börsenunternehmen<br />

im dritten Quartal. Selbst<br />

wenn die Gewinne in den verbleibenden<br />

Monaten des Jahres<br />

nur noch verhalten zulegen, ergäbe<br />

das für den US-Markt eine<br />

15-fache Bewertung: kein Sonderangebot<br />

mehr, aber lange<br />

noch nicht teuer. Denn das Umfeld<br />

stimmt. Aufs Jahr gerechnet<br />

Top in den USA<br />

Disney-Figuren auf dem<br />

Empire-State-Building<br />

legt die US-Wirtschaft mit 3,5<br />

Prozent zu. Derzeit läuft in<br />

Amerika die stärkste Wachstumsphase<br />

seit 2003. Dass die<br />

Notenbank Fed auch nach dem<br />

Ende ihrer Anleihenkäufe die<br />

Zinsen auf niedrigem Niveau<br />

halten will, ist für die Börsen ein<br />

kurstreibender Mix.<br />

Damit dürfte es auch nicht<br />

mehr lange dauern, bis amerikanische<br />

Technologieaktien ihr<br />

Hoch aus dem Jahr 2000 erreichen.<br />

Dem Nasdaq-100-Index<br />

fehlen dazu noch zwölf Prozent.<br />

Und heiß gelaufen wie in der<br />

2000er-Hausse sind die High<br />

Techs keineswegs: Während die<br />

Börsenbewertung damals bei<br />

mehr als dem 100-Fachen der<br />

Unternehmensgewinne lag, ist<br />

heute gerade mal das 20-Fache<br />

erreicht.<br />

Trends der Woche<br />

Entwicklung der wichtigsten Finanzmarkt-Indikatoren<br />

Stand: 13.11.2014 / 18.01 Uhr aktuell seit einer Woche 1 seit einem Jahr 1<br />

Dax 30 9248,51 –1,4 +2,1<br />

MDax 16221,82 –0,1 +1,9<br />

Euro Stoxx 50 3056,80 –1,5 +1,2<br />

S&P 500 2038,07 +0,3 +14,4<br />

Euro in Dollar 1,2456 –0,5 –7,1<br />

Bund-Rendite (10 Jahre) 1 0,75 –0,03 2 –0,99 2<br />

US-Rendite (10 Jahre) 1 2,36 –0,02 2 –0,38 2<br />

Rohöl (Brent) 3 79,32 –4,5 –25,9<br />

Gold 4 1161,75 +1,5 –8,7<br />

Kupfer 5 6755,50 +1,1 –3,8<br />

1<br />

in Prozent; 2 in Prozentpunkten; 3 in Dollar pro Barrel; 4 in Dollar pro Feinunze,<br />

umgerechnet 931,56 Euro; 5 in Dollar pro Tonne; Quelle: vwd group<br />

FOTOS: SASCHA PFLAEGING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, ACTION PRESS/ZUMA PRESS/BRYAN SMITH, PR<br />

110 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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DAX-AKTIEN<br />

Rohstoff-Rochade<br />

Günstige Preise für Erz und Kohle helfen Thyssen-<br />

Krupp bei der dringend notwendigen Gewinnwende.<br />

HITLISTE<br />

Wenn Stahlkocher Thyssen-<br />

Krupp am Donnerstag seinen<br />

Jahresabschluss vorstellt, sollte<br />

es nach zwei schweren Verlustjahren<br />

erstmals wieder für<br />

ein ganzes Geschäftsjahr<br />

(2013/14) einen Nettogewinn<br />

in dreistelliger Millionenhöhe<br />

geben. Die Stahlpreise sind<br />

zwar niedrig, dafür bekommt<br />

Thyssen aber Erz und Kohle<br />

günstig. Selbst Konkurrent<br />

ArcelorMittal, der wegen eigener<br />

Erzminen unter Druck<br />

steht, macht seit zwei Quartalen<br />

Gewinne. Die Erträge aus<br />

dem laufenden Geschäft<br />

braucht Thyssen dringend um<br />

die chronisch klamme Bilanz<br />

(zuletzt nur neun Prozent Eigenkapital)<br />

aufzupolstern.<br />

Der Weltstahlverband rechnet<br />

damit, dass die Nachfrage in<br />

der Branche im kommenden<br />

Jahr um zwei Prozent wächst.<br />

Der Wegfall hoher Abschreibungen<br />

und das zuletzt gestiegene<br />

Betriebsergebnis signalisieren,<br />

dass Thyssen 2015<br />

abermals mehr verdienen<br />

könnte – wahrscheinlich weit<br />

über 500 Millionen Euro netto.<br />

Schwer eingedampft<br />

Rohstahlproduktion<br />

bei Salzgitter<br />

DEUTSCHE INDUSTRIEAKTIEN<br />

Einen Euro für 16 Cent<br />

Die Umsatzbewertung zeigt, welche Aktien hohes<br />

Potenzial haben – und welche nicht mehr.<br />

Dax<br />

Kurs Kursent- Gewinn KGV Börsen- Dividen-<br />

(€) wicklung pro Aktie (€) wert den-<br />

1 Woche 1 Jahr 2014 2015 2015<br />

(Mio. €) rendite<br />

(%) 1<br />

Dax 9248,51 –1,4 +2,1<br />

Aktie<br />

Stand: 13.11.2014 / 18.01 Uhr<br />

Adidas 61,60 +4,3 –28,6 3,10 3,58 17 12888 2,44<br />

Allianz 130,90 +3,4 +4,3 13,99 13,86 9 59684 4,05<br />

BASF NA 68,97 –2,7 –9,6 5,57 5,89 12 63347 3,91<br />

Bayer NA 110,65 –3,4 +18,9 6,06 6,92 16 91502 1,90<br />

Beiersdorf 67,85 –0,6 –6,9 2,49 2,74 25 17098 1,03<br />

BMW St 82,72 –2,0 +2,2 9,00 9,46 9 53073 3,14<br />

Commerzbank 11,38 –6,5 +12,8 0,56 0,97 12 12956 -<br />

Continental 152,90 –3,4 +5,1 12,75 14,01 11 30581 1,64<br />

Daimler 61,16 –2,9 +5,3 6,43 6,75 9 65407 3,68<br />

Deutsche Bank 23,79 –3,6 –26,9 2,20 3,12 8 24246 3,15<br />

Deutsche Börse 55,15 ±0 +1,7 3,65 4,00 14 10644 3,81<br />

Deutsche Post 24,55 –2,9 0 1,72 1,84 13 29681 3,26<br />

Deutsche Telekom 12,45 +3,4 +11,8 0,62 0,67 19 55395 4,02<br />

E.ON 13,04 –4,6 –5,4 0,97 0,97 13 26083 4,60<br />

Fresenius Med.C. St 58,61 +0,2 +23,2 3,50 3,93 15 18026 1,31<br />

Fresenius SE&Co 41,49 +1,0 +25,7 2,02 2,34 18 9362 3,01<br />

Heidelberg Cement St 56,51 –2,0 –0,1 3,84 4,91 12 10596 1,06<br />

Henkel Vz 83,27 +3,6 +1,9 4,29 4,71 18 34429 1,47<br />

Infineon 7,59 –2,4 +10,1 0,44 0,52 15 8200 1,58<br />

K+S NA 22,66 +0,3 +10,3 1,70 1,59 14 4337 1,10<br />

Lanxess 38,46 –1,4 –22,2 1,97 2,58 15 3200 1,30<br />

Linde 146,90 +0,4 +1,8 7,59 8,44 17 27272 2,04<br />

Lufthansa 13,01 +1,4 –11,3 1,23 1,99 7 5984 -<br />

Merck 74,67 +3,5 +22,5 4,65 4,95 15 4825 2,54<br />

Münchener Rückv. 154,65 –0,7 +0,7 17,80 17,24 9 27735 4,69<br />

RWE St 26,88 –5,5 –1,0 2,21 2,24 12 16270 3,72<br />

SAP 53,30 –2,1 –10,3 3,40 3,67 15 65479 2,06<br />

Siemens 88,16 –1,6 –7,4 6,42 7,16 12 77669 3,40<br />

ThyssenKrupp 19,13 –0,2 –0,3 0,52 1,19 16 9842 -<br />

Volkswagen Vz. 168,50 –2,9 –11,7 21,99 23,77 7 78127 2,41<br />

1<br />

berechnet mit der zuletzt gezahlten Dividende<br />

Salzgitter kann in diesem Jahr<br />

neun Milliarden Euro Umsatz<br />

schaffen. An der Börse kosten<br />

alle Aktien des Stahlkochers<br />

zusammengenommen aber<br />

nur 1,4 Milliarden Euro. Jeden<br />

Euro Jahresumsatz bezahlt die<br />

Börse also nur mit 16 Cent. Auf<br />

welche Umsatzbewertung die<br />

40 wichtigsten deutschen Industrieaktien<br />

kommen, zeigt<br />

Aktie<br />

Salzgitter<br />

Aurubis<br />

E.On<br />

Rheinmetall<br />

ThyssenKrupp<br />

RWE<br />

Südzucker<br />

Leoni<br />

Volkswagen<br />

Lanxess<br />

WincorNixdorf<br />

Daimler<br />

Osram<br />

Airbus<br />

Kion<br />

BMW<br />

DMG<br />

HeidelCement<br />

Krones<br />

Stada<br />

0,16<br />

0,17<br />

0,23<br />

0,27<br />

0,27<br />

0,34<br />

0,35<br />

0,35<br />

0,40<br />

0,44<br />

0,46<br />

0,51<br />

0,62<br />

0,64<br />

0,65<br />

0,67<br />

0,72<br />

0,79<br />

0,81<br />

0,84<br />

die Tabelle unten. Günstig sind<br />

derzeit Aktien aus den Krisenbranchen<br />

Stahl, Rohstoffe und<br />

Energie. Das heißt:Wenn hier<br />

die Gewinnwende gelingt, sind<br />

enorme Kursgewinne möglich.<br />

Auf der anderen Seite zeigen<br />

Umsatzbewertungen von 1,50<br />

und mehr, wie teuer gewinnstarke<br />

Aktienlieblinge mittlerweile<br />

geworden sind.<br />

Aktie<br />

Adidas<br />

Dürr<br />

Continental<br />

BASF<br />

MTU<br />

Evonik<br />

Kuka<br />

Siemens<br />

Wacker Chemie<br />

Gerresheimer<br />

K&S<br />

ElringKlinger<br />

Gea<br />

Linde<br />

Infineon<br />

Henkel<br />

Bayer<br />

Fuchs Petrolub<br />

Beiersdorf<br />

Symrise<br />

* Börsenwert geteilt durch den für 2014 erwarteten Geschäftsjahresumsatz;<br />

Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen<br />

Umsatzbewertung*<br />

Umsatzbewertung*<br />

0,86<br />

0,87<br />

0,88<br />

0,89<br />

0,90<br />

0,92<br />

0,96<br />

1,01<br />

1,06<br />

1,10<br />

1,14<br />

1,27<br />

1,53<br />

1,61<br />

2,00<br />

2,11<br />

2,19<br />

2,37<br />

2,73<br />

2,90<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 111<br />

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Geld&Börse | Geldwoche<br />

AKTIE Münchener Rück<br />

Dicke Dividende und<br />

Schutz vor Cyberangriff<br />

Gegen den Sturm Bergungsaktion<br />

im Chinesischen Meer<br />

Nach der Hauptversammlung<br />

am 23. April könnten die Aktionäre<br />

der Münchener Rückversicherung<br />

7,50 Euro je Anteil<br />

Dividende bekommen.<br />

Beim aktuellen Kurs von 155<br />

Euro wären das 4,8 Prozent<br />

Rendite. 2,4 Milliarden Euro<br />

netto hat die Münchener<br />

Rück in den ersten neun Monaten<br />

2014 verdient, bis Ende<br />

Dezember dürften es über<br />

drei Milliarden werden. Das<br />

wären fast 18 Euro je Aktie –<br />

genug Spielraum, die mögliche<br />

Erhöhung von bisher 7,25<br />

auf 7,50 Euro zu leisten. Und<br />

die Münchner legen hohen<br />

Wert auf die Auszahlung:<br />

Noch nie seit 1970 haben sie<br />

die Dividende gesenkt.<br />

Natürlich, die Branche hat<br />

zwei zentrale Probleme.<br />

Das allgemein niedrige<br />

Zinsniveau erschwert es, aus<br />

Anleihen und Zinspapieren<br />

gute Renditen zu holen. Umso<br />

wichtiger ist, dass bei der<br />

Münchener wenigstens das<br />

Volumen der Anlagen wächst,<br />

in diesem Jahr um 6,6 Prozent<br />

auf 223 Milliarden Euro.<br />

Die Münchner Finanzmanager<br />

mussten im Jahresverlauf<br />

Abschreibungen auf<br />

Inflationsschutzderivate vornehmen,<br />

sie dürften jetzt die<br />

Finger von solch kostspieligen<br />

Spekulationen lassen.<br />

Zweites Problem: Weil<br />

Großschäden aus Naturkatastrophen<br />

derzeit rückläufig<br />

sind, Erstversicherer mehr Risiken<br />

auf ihre eigene Kappe nehmen<br />

und fremde Anbieter<br />

(Hedgefonds, Pensionskassen)<br />

ins Versicherungsgeschäft einsteigen,<br />

sind die Prämien unter<br />

Druck. Doch die Münchner<br />

steuern dagegen. So unterschreiben<br />

sie nur Neuverträge,<br />

die auskömmliche Margen versprechen.<br />

Zudem bieten sie<br />

komplexe Finanzprodukte an,<br />

bei denen sie keine Konkurrenz<br />

der Branchenneulinge befürchten<br />

müssen: Versicherung von<br />

Satelliten, Schutz vor Cyberattacken<br />

oder Absicherung gegen<br />

ausufernde Kosten bei Neubauvorhaben.<br />

Auch wenn das Prämienvolumen<br />

der Münchener sinken<br />

sollte, dürfte das Gewinnniveau<br />

(und damit auch die Dividende)<br />

stabil bleiben. Zudem senken<br />

die Münchner damit ihr<br />

Risiko. Beides trägt dazu bei,<br />

dass die Eigenmittel wachsen,<br />

allein in diesem Jahr bisher um<br />

zwölf Prozent auf 29,3 Milliarden<br />

Euro. Kein Wunder, dass<br />

die Ratingagentur Standard &<br />

Poor’s die Münchener Rück mit<br />

der Note AA- als Top-Investment<br />

betrachtet.<br />

Münchener Rück<br />

ISIN: DE0008430026<br />

400<br />

300<br />

250<br />

200<br />

150<br />

100<br />

50<br />

00 02 04 06 08 10 12 14<br />

Kurs/Stoppkurs (in Euro): 154,60/131,40<br />

KGV 2014/2015: 8,7/9,0<br />

Dividendenrendite (Prozent): 4,8*<br />

Chance<br />

Risiko<br />

Niedrig<br />

Hoch<br />

* geschätzt für 2014;<br />

Quelle: Thomson Reuters<br />

200-Tage-Linie<br />

Jede Bohne zählt<br />

Soja-Ernte in Brasilien<br />

AKTIE Syngenta<br />

Pilze bekämpfen und<br />

Kosten drücken<br />

Schwache Währungen in<br />

den Schwellenländern und<br />

Abschreibungen auf Saatgutbestände<br />

haben Syngenta-<br />

Aktien binnen zwei Jahren um<br />

ein Viertel ihres Werts gedrückt.<br />

Doch jetzt zeichnet<br />

sich bei dem Schweizer Weltmarktführer<br />

für Pflanzenschutzmittel<br />

die Wende ab.<br />

Im dritten Quartal konnte<br />

Syngenta bei stabilem Absatz<br />

die Verkaufspreise um durchschnittlich<br />

drei Prozent erhöhen.<br />

In Asien stiegen die<br />

Umsätze um vier Prozent, in<br />

Europa legten sie um zwei<br />

Prozent zu. Entscheidend für<br />

die nächsten Monate ist die<br />

Entwicklung auf dem wichtigen<br />

lateinamerikanischen<br />

Markt, auf dem Syngenta<br />

mehr als 40 Prozent seiner<br />

Umsätze holt. Dabei hat, vor<br />

allem auf dem Kernmarkt<br />

Brasilien, das neue Pilzbekämpfungsmittel<br />

Elatus gut<br />

eingeschlagen. Zudem erweitert<br />

Syngenta sein Sortiment<br />

um Pflanzenschutzprodukte<br />

für Zuckerrohr.<br />

Nach 14,7 Milliarden Dollar<br />

Umsatz (Syngenta bilanziert<br />

in US-Währung) im Vorjahr<br />

steuern die Schweizer in dieser<br />

Saison auf gut 15 Milliarden<br />

zu. Leicht rückläufig sind<br />

derzeit noch die Margen. Da<br />

Wertberichtigungen auf Saatgutbestände<br />

nun wegfallen,<br />

dürfte schon 2014 mit rund 1,7<br />

Milliarden Dollar besser ausfallen.<br />

Kostensenkungen kommen<br />

voran, bis 2018 soll der jährliche<br />

Aufwand um eine Milliarde<br />

Dollar gedrückt werden.<br />

Mit einer Gewinnbewertung<br />

(KGV 2015) um 15 sind Syngenta-Aktien<br />

auf einem vielversprechenden<br />

Niveau angekommen.<br />

Dank hoher Finanzkraft (Eigenkapitalquote<br />

47 Prozent) dürfte<br />

es kein Problem sein, an Dividende<br />

wie bisher mehr als drei<br />

Prozent zu zahlen.<br />

Syngenta<br />

ISIN: CH0011037469<br />

450<br />

400<br />

350<br />

300<br />

250<br />

200<br />

150<br />

08 09 10 11 12 13 14<br />

Kurs/Stoppkurs (in CHF): 363,30/308,80<br />

KGV 2014/2015: 16,2/14,8<br />

Dividendenrendite (in Prozent): 3,3<br />

Chance<br />

Risiko<br />

Niedrig<br />

Hoch<br />

Quelle: Thomson Reuters<br />

50-Tage-Linie<br />

200-Tage-Linie<br />

FOTO: REUTERS/STRINGER, LAIF/CONTRASTO/EMILIANO MANCUSO, LAIF/IMAGINECHINA/AN XIN, PR<br />

112 Redaktion: Geldwoche+Zertifikate: Anton Riedl<br />

Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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ETF Chinesische Aktien<br />

Befreiungsschlag für<br />

Shanghais Börse<br />

ANLEIHE MS Spaichingen<br />

Prozente<br />

<strong>vom</strong> Laster<br />

Reissack fällt nicht um Hohes<br />

Wachstum, mehr Aktien<br />

Seit Kurzem dürfen internationale<br />

Investoren über die Börse<br />

Hongkong auch chinesische<br />

Festlandsaktien handeln. Für<br />

den zentralen chinesischen<br />

Markt dieser sogenannten<br />

A-Aktien in der Metropole<br />

Shanghai ist das ein Befreiungsschlag.<br />

Die Schweizer<br />

Großbank UBS rechnet hoch,<br />

dass insgesamt rund 600 Festlandswerte<br />

mit einer Marktkapitalisierung<br />

von zwei Billionen<br />

Dollar profitieren<br />

könnten. Zwar wird das tägliche<br />

Handelsvolumen erst einmal<br />

auf umgerechnet 2,8 Milliarden<br />

Euro gedeckelt. Das<br />

aber trägt dazu bei, dass die<br />

Nachfrage nach chinesischen<br />

Festlandspapieren nicht<br />

gleich wieder verpufft. Zudem<br />

ist es gut möglich ist, dass<br />

auch die Börse in Shenzhen<br />

dem neuen Handelsverbund<br />

angeschlossen wird.<br />

Für risikofreudige Anleger<br />

sind chinesische Aktien derzeit<br />

ohnehin interessant. Das<br />

Wachstum der chinesischen<br />

Wirtschaft (7,3 Prozent im<br />

dritten Quartal) ist trotz der<br />

jüngsten Beruhigung im internationalen<br />

Vergleich weiterhin<br />

hoch. Für die A-Aktien in<br />

Shanghai und Shenzhen erwarten<br />

Analysten in diesem<br />

Jahr einen Anstieg der Nettogewinne<br />

um durchschnittlich<br />

zwölf Prozent. Daran gemessen<br />

sind die China-Papiere<br />

mit einer zehnfachen Gewinnbewertung<br />

(KGV 2014)<br />

immer noch günstig.<br />

Die führenden A-Aktien der<br />

Börsen Shanghai und Shenzhen<br />

sind im Indexfonds (ETF)<br />

CSI300 der Deutschen Bank<br />

verrechnet. Damit der Fonds<br />

läuft wie die zugrunde liegenden<br />

Aktien, setzt die Bank auch<br />

Derivate ein. Derzeit stecken im<br />

Fonds an die 650 Millionen Euro<br />

Anlegergeld. Pro Jahr fallen<br />

0,5 Prozent Gebühr an. Die Dividenden<br />

der Indexunternehmen<br />

fließen nicht in den Fonds<br />

mit ein.<br />

Eine Währungssicherung hat<br />

der Fonds ebenfalls nicht, doch<br />

das ist angesichts der guten<br />

Aussichten der chinesischen<br />

Währung kein Nachteil. Allein<br />

seit Anfang Oktober hat der chinesische<br />

Renminbi gegenüber<br />

dem Euro um drei Prozent zugelegt.<br />

Die in WirtschaftsWoche<br />

41/2014 gestartete Renminbi-<br />

Spekulation liegt sogar schon<br />

mit elf Prozent vorne – und geht<br />

in die nächste Runde.<br />

China-A-Aktien<br />

ISIN: LU0779800910<br />

9,5<br />

9,0<br />

8,5<br />

8,0<br />

7,5<br />

7,0<br />

6,5<br />

6,0<br />

2013<br />

Chance<br />

Risiko<br />

Kursverlauf A-Aktien-ETF (CSI300)<br />

Niedrig<br />

Quelle: Thomson Reuters<br />

2014<br />

Kurs/Stoppkurs (in Euro): 8,06/6,85<br />

Basisindex: CSI300<br />

Indexwährung: Renminbi (CNY)<br />

ETF-Emittentin: Deutsche Bank<br />

(db x-trackers)<br />

Jährliche Gebühren (in Prozent): 0,5<br />

Hoch<br />

Wer für einen überschaubaren<br />

Zeitraum von zwei Jahren<br />

Geld rentabel anlegen will,<br />

muss entweder angeschlagenen<br />

Währungen oder wackligen<br />

Emittenten vertrauen. Eine<br />

Ausnahme der solideren<br />

Art ist der Motorenzulieferer<br />

MS Spaichingen, dessen Anleihe<br />

bis 2016 fast drei Prozent<br />

Jahresrendite verspricht. Allerdings,<br />

mit 23 Millionen Euro<br />

Anleihevolumen handelt es<br />

sich hier um ein echtes Spezialpapier,<br />

bei dem Aufträge (etwa<br />

über die Börse Frankfurt)<br />

limitiert werden müssen.<br />

Als Spezialist für Motorenteile<br />

(Ventiltriebsysteme, Getriebegehäuse,<br />

Kipphebel)<br />

beliefert MS die Hersteller<br />

großer Dieselmotoren wie<br />

Daimler, MTU oder MAN.<br />

Eingesetzt werden die Motoren<br />

vor allem in Lastwagen<br />

und Geländefahrzeugen. Produziert<br />

wird im baden-württembergischen<br />

Spaichingen,<br />

im sächsischen Zittau und in<br />

Webberville in den USA.<br />

Die Aussichten für MS sind<br />

nicht schlecht. Die Unternehmensberatung<br />

McKinsey<br />

rechnet damit, dass der Weltmarkt<br />

für Lastwagen von 125<br />

Milliarden Euro Jahresvolumen<br />

bis 2020 auf 190 Milliarden<br />

wächst. Bei MS waren die<br />

Auftragseingänge zuletzt lebhaft.<br />

Wegen der Überalterung<br />

der Nutzfahrzeugflotten und<br />

des Nachholbedarfs bei<br />

Neuinvestitionen sollte dieser<br />

Trend auf den Hauptabsatzmärkten<br />

Deutschland und<br />

USA anhalten.<br />

Im Aufwind ist auch die<br />

zweite, kleinere Sparte<br />

Schweißen mit Ultraschalltechnik.<br />

Kunden kommen<br />

vor allem aus der wenig<br />

konjunktursensiblen Verpackungsindustrie.<br />

Motorenzulieferer wittert Morgenluft<br />

MS-Werk in Spaichingen<br />

Nach 20 Prozent Umsatzplus<br />

im ersten Halbjahr dürfte MS<br />

2014 insgesamt rund 180 Millionen<br />

Euro Umsatz erzielen. Bei<br />

einer stabilen operativen Rendite<br />

um zehn Prozent sind 18 Millionen<br />

Euro Ebitda (Gewinn vor<br />

Steuern, Zinsen, Abschreibungen<br />

und Amortisation) möglich.<br />

Daran gemessen wären die Nettoschulden,<br />

die etwa 58 Millionen<br />

Euro ausmachen dürften,<br />

gut das Dreifache. Das ist ausreichend,<br />

jedoch würde der<br />

geplante Schuldenabbau die<br />

Bilanz schon stärken. Die auf<br />

kleine Unternehmen spezialisierte<br />

Ratingagentur Creditreform<br />

bewertet MS angesichts<br />

einer Eigenkapitalquote von<br />

26,2 Prozent mit der Note BBB-;<br />

gerade noch Investmentgrade.<br />

Hinter dem Anleiheemittenten<br />

MS Spaichingen GmbH<br />

steht der Gesellschafter MS Industrie<br />

AG, dessen Aktien<br />

(DE0005855183) zu 57 Prozent<br />

im Streubesitz sind. Großaktionäre<br />

sind die Münchner Beteiligungsgesellschaft<br />

MS Proactive<br />

um MS-Chef Armin Distel und<br />

die schwäbische Industriellenfamilie<br />

Meyer, die seit Jahrzehnten<br />

hinter dem Unternehmen steht.<br />

Kurs (%) 106,98<br />

Kupon (%) 7,25<br />

Rendite (%) 2,90<br />

Laufzeit bis 15. Juli 2016<br />

Währung<br />

Euro<br />

ISIN<br />

DE000A1KQZL5<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 113<br />

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Perspektiven&Debatte<br />

Schaut auf<br />

diesen Klotz!<br />

ARCHITEKTUR | Der Wettbewerb der Spektakelbauten<br />

nimmt immer groteskere Züge an. Höchste Zeit<br />

zur Rückbesinnung auf das Ensemble. Eine lebenswerte<br />

Stadt entsteht nicht durch solitäre Riesenplastiken.<br />

Wer vor drei Jahren die<br />

Schnellstraße durch Lyon<br />

Richtung Süden nahm,<br />

kam an einer Baustelle vorbei,<br />

die einem Trümmerfeld<br />

glich: wild durcheinander gewirbelte,<br />

dramatisch ineinander verkeilte Stahlträger,<br />

als habe hier soeben ein Tornado<br />

gewütet. Nähert man sich heute aus<br />

umgekehrter Richtung der französischen<br />

Metropole, reckt sich einem schon von<br />

Weitem ein furchteinflößendes Metallmonster<br />

entgegen, ein futuristisches Großinsekt,<br />

das den Trümmern entstiegen ist,<br />

um sich wie in einem Horrorstreifen der<br />

B-Klasse über die Landzunge am Zusammenfluss<br />

von Rhône und Saône herzumachen<br />

– das Musée des Confluences, ein<br />

Wissenschaftsmuseum mit den Schwerpunkten<br />

Technik und Natur, in einem<br />

Monat wird es eröffnet. Der mächtig ausgreifende<br />

Koloss, der erkennbar schwer an<br />

seinen Ambitionen trägt, ist das jüngste<br />

Mahnmal städteplanerischen Ehrgeizes.<br />

An der Spitze einer ehemaligen Industriebrache<br />

südlich der City erhält Lyon ein<br />

neues Entrée, ein skulpturales Supersymbol,<br />

umtost von Verkehr, das den Nicht-Ort<br />

zum Kult-Ort promovieren soll: Architektur<br />

von Coop Himmelb(l)au, typisch dröhnendes<br />

Stahl-Glas-Spektakel im Dienst des<br />

City-Branding.<br />

Feingeister mögen von Entertainment-<br />

Architektur sprechen, von gebauter Reklame.<br />

Doch die Strategie hat sich bewährt,<br />

spätestens seit Frank O. Gehry Mitte der<br />

Neunzigerjahre im nordspanischen Bilbao<br />

die Architektur zum Tanzen gebracht hat.<br />

Mit den schwingenden Formen des Guggenheim-Museums<br />

bewies der kanadische<br />

Baumeister, dass moderne Architektur<br />

ein glänzendes Marketinginstrument ist.<br />

Die ehedem kunstferne Provinzkapitale<br />

mit darniederliegender Schwerindustrie<br />

wurde zu einem Wallfahrtsort des Architekturtourismus<br />

– und Gehry, der Großmeister<br />

des biomorphen Bauens, zum<br />

Pionier eines Städtewettbewerbs um Aufmerksamkeit.<br />

STADTPOLITIK IST BILDPOLITIK<br />

Der sprichwörtlich gewordene „Bilbao-Effekt“<br />

prämiert seither eine Bauproduktion,<br />

die auf demonstrativ verblüffende, unverwechselbare,<br />

überwältigende Wirkungen<br />

abzielt: wackelnde Wände, schiefe Ebenen,<br />

spektakuläre Karambolagen als architektonische<br />

„special effects“. Der Stadtplaner<br />

Georg Franck spricht <strong>vom</strong> „Funktionalismus<br />

der Auffälligkeit“. Eine Architektur, die<br />

im Dienst der Werbung steht, wird zum<br />

„Medium der Massenattraktivität“, muss<br />

„nicht nur Geld, sondern Aufsehen verdienen“.<br />

Ihre Aufgabe besteht darin, einprägsame<br />

Logos zu schaffen, die als Wunschbilder<br />

städtischer Identität fungieren: „Seht<br />

her, so bin ich!“<br />

Längst gehört es zur Planungspraxis der<br />

Städte, im Schulterschluss mit „Star“-Baumeistern<br />

Architektur als unverwechselbare<br />

Marke einzusetzen, als visuelle Visitenkarte.<br />

Der „fotografische Blick“, resümiert die<br />

Stadtsoziologin Martina Löw, ist „zum dominanten<br />

Blick in der Stadtwahrnehmung<br />

geworden, für Investoren wie für<br />

Touristen“. Stadtpolitik sei heute „Bildpolitik“,<br />

weil der Tourismus sich durch die Allgegenwart<br />

der Bilder in Reisemagazinen<br />

und Prospekten verändert habe. Anders als<br />

früher bereisen Besucher heute Städte<br />

Hoppla, da bin ich<br />

Der Frankfurter EZB-Neubau<br />

von Wolf Prix schreit nur so<br />

nach Aufmerksamkeit<br />

nicht mehr, um vor Ort ihre Attraktionen<br />

im Original zu bestaunen, sondern um sich<br />

das fotografisch und filmisch längst Bestaunte<br />

vor Ort und im Original bestätigen<br />

zu lassen. Jeder Tourist hat lange vor seiner<br />

Reise nach Bilbao das zu erlebende Gehry-<br />

Image der Stadt im Kopf – und reist nach<br />

Bilbao, um dessen Gültigkeit einzufangen.<br />

Kein Wunder, dass selbst altehrwürdige<br />

Metropolen an ihrem Image bauen. In Paris<br />

ist soeben das Museum der Fondation<br />

Louis Vuitton eröffnet worden. Mitten im<br />

Bois de Boulogne spreizt sich der neueste<br />

Gehry-Bau mit seinen monumentalen<br />

FOTO: MARC-STEFFEN UNGER<br />

114 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Glasflügeln auf, als gehe es darum, aller<br />

Welt zu beweisen, dass Paris immer noch<br />

ewig junge, sprühende Avantgarde sei<br />

(und der Bauherr, LVMH-Chef Bernard<br />

Arnault, sich als Erbe der Monarchen verstehen<br />

dürfe).<br />

Und in Frankfurt wird Anfang kommenden<br />

Jahres die neue Heimstatt der Europäischen<br />

Zentralbank eröffnet, wieder ein<br />

Bau der Marke Coop Himmelb(l)au. Auf<br />

der früheren Brache im Frankfurter Ostend,<br />

in respektheischender Distanz zu den<br />

Wolkenkratzern der City, haben es die<br />

Wiener „Gaudiburschen“ (Georg Franck)<br />

um Büro-Chef Wolf Prix ordentlich krachen<br />

lassen. Auf den sachlich-expressionistischen<br />

Klotz der Großmarkthalle von<br />

Martin Elsässer aus dem Jahr 1928 haben<br />

sie einen groben, fantastisch-neoexpressionistischen<br />

Keil in Gestalt eines 185 Meter<br />

hohen Doppelturms gesetzt, dessen<br />

Außenwände nach oben hin merkwürdig<br />

verdreht und verzogen wirken – gerade so,<br />

als würde der Turm in Schieflage geraten.<br />

Ein Kommentar zu den Schuldenkrisen,<br />

die unsere Wirtschaftswelt erschüttern?<br />

Ach was. An einer kritischen Interpretation<br />

des Kapitalismus im Zentrum der deutschen<br />

Hochfinanz ist Prix nicht gelegen,<br />

im Gegenteil: Stolz und prahlerisch prangen<br />

die Türme wie eine Geldwalhalla über<br />

Frankfurt.<br />

Vielleicht kann man den in jeder Hinsicht<br />

schrägen Bau nur verstehen, wenn<br />

man die Entwurfsidee kennt:Prix hat einen<br />

Quader mit einem kurvigen Schnitt getrennt<br />

und eine Hälfte auf den Kopf gestellt,<br />

sodass die kurvigen Seiten der beiden<br />

Teile nach außen zeigen.<br />

Heraus kommt eine absichtsvoll verwirrende<br />

Raumfigur, von der sich ihr Schöpfer<br />

einen Wow-Effekt verspricht: „Das wird<br />

»<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 115<br />

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Perspektiven&Debatte<br />

Ornament und Verbrechen Musée des Confluences in Lyon von Coop Himmelb(l)au<br />

»<br />

man sich merken“, hat Prix prophezeit –<br />

und die Vorgaben des Bauherrn damit<br />

voll erfüllt: einen Bau zu schaffen, der eine<br />

Ikone darstellt. Der Blick findet keinen Halt<br />

an den stürzenden Perspektiven der Fassade.<br />

Das soll er auch nicht: Ruhestörung<br />

gehört bei Coop Himmelb(l)au zum<br />

Programm, seit den Siebzigerjahren, als<br />

die selbst ernannten Wolkenschieber und<br />

Rolling-Stones-Fans die Architekturwelt<br />

durcheinander wirbelten. Erst mit Parolen,<br />

die zu einer Architektur aufriefen, „die<br />

leuchtet, die sticht, die fetzt und unter Dehnung<br />

reißt“. Dann mit realen Bauten, einer<br />

Art Antiarchitektur, die bekannte Bau-<br />

Konventionen aufs Korn nahm.<br />

Die Störung des Baukörpers und seine<br />

gezielte Dekonstruktion wurden zum Markenzeichen<br />

einer ganzen Generation: Architekten<br />

wie Daniel Libeskind, Frank O.<br />

Gehry, Wolf Prix und Zaha Hadid zogen<br />

aus, den Funktionalismus der Sechziger-,<br />

Siebzigerjahre das Fürchten zu lehren, mit<br />

dynamisch bewegten Bauten, deren Winkel<br />

aggressiv zugespitzt wurden wie bei<br />

Libeskind und Hadid oder mit dem heiterverspielten<br />

Pop-Interventionen eines Gehry.<br />

Was die Riege der sogenannten Dekonstruktivisten<br />

bei aller Unterschiedlichkeit<br />

eint, ist der Wille zum Extravaganten, zum<br />

effektvoll Deformierten, zum demonstrativ<br />

auffälligen Signet. Der Gestus der Unangepasstheit,<br />

der Provokation des Althergebrachten<br />

macht sie so attraktiv: Was als Anschlag<br />

auf die Bauwirtschaftsmoderne begann,<br />

wurde zum Modell für das Corporate<br />

Design der Städte.<br />

Das Gebäude<br />

profiliert sich<br />

auf Kosten der<br />

Umgebung<br />

PILZE UND MARSHMALLOWS<br />

Inzwischen auch zum Imageinstrument<br />

asiatischer Semidiktaturen, die sich Denkmäler<br />

ihrer Autorität und Fortschrittlichkeit<br />

setzen. Der Berliner Architekt Jürgen<br />

Mayer H etwa, dem das südspanische Sevilla<br />

das Implantat einer hölzernen Pilzlandschaft<br />

auf dem zentralen Platz der Altstadt<br />

verdankt, hat für seine Marshmallow-Bauten<br />

Abnehmer in Georgien gefunden.<br />

Und Zaha Hadid hat zuletzt mit dem<br />

Kulturzentrum in Aserbaidschans Hauptstadt<br />

Baku für Aufsehen gesorgt: Die glamouröse<br />

Plastik einer Riesenwelle aus<br />

weißem Beton ergießt sich in die Stadtlandschaft.<br />

Ihr Entwurf für das Performing<br />

Arts Center in Abu Dhabi zeigt, wohin die<br />

Reise geht: Die Formen werden biologisch-fluid,<br />

statt scharfer Kanten und Keile<br />

konturieren nun weiche, zerfließende<br />

Kurven das Bauprofil. Die digitalen Entwurfstechniken<br />

laden zu gestalterischen<br />

Freiheiten ein, wie man sie früher nicht<br />

kannte. Die Auffälligkeit wird geschmeidiger<br />

– und bleibt doch, was sie ist: bloßer<br />

Selbstzweck.<br />

Die Folge ist ein Wettbewerb der Überspanntheiten,<br />

bei dem Architektur wie<br />

Publikum mittlerweile aus der Puste geraten.<br />

„Der Aufmerksamkeits- und Erregungswert<br />

dieser terroristisch-touristischen<br />

Dauerprovokationen gerade im Kulturtourismus<br />

ist weiterhin hoch“, sagt der<br />

Architekturtheoretiker Michael Mönninger,<br />

„doch die anhaltende Serienfabrikation von<br />

angeblich unverwechselbaren Unikaten<br />

stößt an die Grenze des öffentlichen Auffassungsvermögens.“<br />

Libeskind in Berlin oder<br />

New York sei noch „ein Statement“ gewesen,<br />

aber Libeskinds neue Uni-Aula in<br />

Lüneburg, ein Abklatsch seiner Metropolen-Bauten<br />

in der Provinz, sei „deplatziert“.<br />

Fritz Neumeyer, Professor für Architekturtheorie<br />

an der TU Berlin, spricht <strong>vom</strong><br />

„Originalitätsstress“: Alles soll spektakulär<br />

sein, als könne man, wie Mies van der Rohe<br />

einmal ironisch sagte, „jeden Montag“ die<br />

FOTOS: QUENTIN LAFONT, ARTURIMAGES.COM/VIEW/NATHAN WILLOCK, ZAHA HADID ARCHITECTS, STUDIO X/DIVERGENCE<br />

116 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Opulenz und<br />

Auflösung Entwurf für<br />

das Performing Arts<br />

Center in Abu Dhabi<br />

von Zaha Hadid<br />

Struktur und Form New Museum in New York von Sanaa<br />

Stolz und Eitelkeit<br />

Museum der Louis-<br />

Vuitton-Stiftung von<br />

Frank O. Gehry im Bois<br />

de Boulogne in Paris<br />

Architektur neu erfinden. Die Logik dieses<br />

„Überbietungswettbewerbs“ führe dazu,<br />

dass es nicht mehr um Architektur als<br />

Raumkunst geht, sondern um „mediale<br />

Bildwirkungen“: „Jeder will noch mal eins<br />

draufsetzen“ – auf Kosten des städtischen<br />

Ensembles und der „Mitspielerqualität“.<br />

Für Neumeyer gehört es zur Ironie der Geschichte,<br />

dass, nachdem die Moderne das<br />

Ornament aus der Architektur verbannt<br />

habe, jetzt das ganze Gebäude zum Ornament<br />

wird, zur Riesenplastik. Die „Objektfixierung“,<br />

die in Markenzeichen-Architekturen<br />

zum Ausdruck kommt, beschleunige<br />

die Fragmentierung der Stadt. Das isolierte<br />

Gebäude profiliere sich auf Kosten seiner<br />

Umgebung, es sauge der Stadt Energie<br />

ab, anstatt ihr Energie zuzuführen – ein<br />

Grundproblem der Gegenwartsarchitektur:<br />

Sie vergisst, dass Architektur ein<br />

„Mannschaftssport“ (Georg Franck) ist,<br />

dass es darauf ankommt, mit anderen Architekturen<br />

zu kooperieren, im Gleichklang<br />

wie im Kontrast.<br />

Dass das möglich ist, zeigt beispielhaft<br />

Hans Kollhoffs Daimler-Chrysler-Gebäude<br />

am Potsdamer Platz in Berlin, ein hochaufragender<br />

Backsteinbau, der sich in die<br />

Block- und Platzstruktur integriert. Das<br />

zeigen die Solitäre von Herzog & de<br />

Meuron (Hamburger Elbphilharmonie,<br />

Münchner Allianz-Arena), die die Kraft<br />

zum Wahrzeichen haben, ohne der Stadt<br />

ihren Stempel aufzudrücken. Das zeigt<br />

beispielhaft das New Yorker New Museum<br />

des japanischen Architekturbüros Sanaa:<br />

Ein Turm aus versetzt übereinander gestapelten,<br />

silbrig-weißen Kartons, dessen minimalistische<br />

Schönheit auf die Nachbarschaft<br />

abstrahlt.<br />

Selbst Rem Koolhaas, der einst Forderungen<br />

des Städtebaus mit der Parole „Fuck the<br />

context“ abfertigte, hat einen vorsichtigen,<br />

für manche sogar entschiedenen Kurswechsel<br />

vollzogen: Das Ende vergangenen<br />

Jahres eröffnete Hochhaus „De Rotterdam“,<br />

ein Entwurf aus den späten Neunzigerjahren,<br />

wirkt mit seinen seitlich verschobenen<br />

Türmen noch wie ein monumentales Ausrufezeichen,<br />

ein vorweggenommenes Symbol<br />

des aus den Fugen geratenen Kapitalismus.<br />

Und Koolhaas’ offen-verschrägtes<br />

CCTV-Trapez in Peking wiederum, eines<br />

der berühmtesten Signature-Buildings der<br />

Gegenwart, lässt sich als „kritischer Kommentar“<br />

zur Unterdrückung der Presseund<br />

Meinungsfreiheit in China lesen, sagt<br />

Kulturtheoretiker Alexander Gutzmer,<br />

Chefredakteur des Fachmagazins „Baumeister“:<br />

Alles, was dieses Haus verlässt,<br />

sind windschiefe Nachrichten.<br />

Im Gegensatz dazu zelebriert Koolhaas’<br />

Entwurf für den neuen Springer-Campus<br />

in Berlin eine radikale Öffnung: Das alte<br />

Hochhaus („Die gedruckte Zeitung“) richtet<br />

den Blick förmlich aufs Neue („Die digitale<br />

Medienwelt“). Der Bau wirkt trotz der<br />

ungewöhnlichen, terrassenartig angelegten<br />

Arbeitslandschaft vergleichsweise bescheiden<br />

und nimmt, wie Fritz Neumeyer<br />

sagt, als einziger Wettbewerbsbeitrag auf<br />

die städtebaulichen Rahmenbedingungen<br />

Rücksicht. Ein Hinweis darauf, dass die<br />

Ära der Sensationsbauten ihren Zenit<br />

überschritten hat? Vielleicht.<br />

KUNST ODER LEBEN<br />

Vielleicht aber auch nicht. Wolf Prix, dessen<br />

Büro zurzeit in Tirana das neue Parlamentsgebäude<br />

Albaniens als „herausragende<br />

Landmarke“ plant, sieht in Europa<br />

überall „Angst vor der Zukunft, Angst vor<br />

Veränderung, Angst vor dem Fortschritt“.<br />

Architektur war für ihn „immer Kunst“. Die<br />

„Utopie der Architektur“, so Prix, verlange<br />

nach „Schaffung von neuen Körpern und<br />

fremden Gestalten, die wie Meteoriten von<br />

einem fremden Stern in die Vertrautheit<br />

einschlagen“. Eine lebenswerte Stadt aber<br />

lässt sich aus solchen „Fremdkörpern“<br />

nicht bauen. Sie braucht die Abstimmung<br />

ihrer Architektur, die Kooperation ihrer<br />

Gebäude. Architektur ist gebaute Begegnung,<br />

gebaute Umgangsform – und kein<br />

Schauplatz für Egomanen.<br />

n<br />

christopher.schwarz@wiwo.de, dieter schnaas | Berlin<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 117<br />

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Perspektiven&Debatte | Kost-Bar<br />

ALLES ODER NICHTS<br />

FRANK SCHÜBEL<br />

Sprecher des Vorstands<br />

des Getränkeherstellers<br />

Berentzen<br />

Aktien oder Gold?<br />

Gold – am Hals meiner Frau.<br />

Cabrio oder SUV?<br />

Offen, flach, laut.<br />

Apartment oder Villa?<br />

Apartment plus Wohnmobil,<br />

sobald die Kinder aus dem<br />

Haus sind.<br />

Fitnessstudio oder Waldlauf?<br />

Wald, auch bei Regen.<br />

Buch oder E-Reader?<br />

Buch, weil es parallel keine<br />

E-Mails empfängt.<br />

Paris oder London?<br />

Gin Tonic in London.<br />

Nass oder trocken rasieren?<br />

Nassrasur, weil sie sich wie<br />

Körperpflege anfühlt.<br />

Rotwein oder Weißwein?<br />

Alkohol nur geschäftlich und<br />

nur ab 25 %.<br />

Jazz oder Klassik?<br />

Klassik, weil sich mein Tagesablauf<br />

oft wie Jazz anfühlt.<br />

Mountainbike oder Rennrad?<br />

Beides: Ich besitze von jedem<br />

drei Stück.<br />

Berge oder Meer?<br />

Vom Berg aufs Meer schauen<br />

und nie nass werden müssen.<br />

Fenster- oder Gangplatz?<br />

Kurzstrecke Gang (Flucht),<br />

Langstrecke Fenster (Ruhe).<br />

Tee oder Kaffee?<br />

Espresso jede Stunde, mein<br />

einziges Laster.<br />

NEUES HOTEL IN BERLIN<br />

Zoo auf dem Ku’damm<br />

Leoparden schleichen als Muster über den grünen Teppich, den Modemacherin<br />

Diane von Fürstenberg gestaltet hat. Ausgesucht für die Lobby des Hotels Zoo auf<br />

dem Kurfürstendamm hat ihn Designerin Dayna Lee, die das Interieur in den zwei<br />

Jahren des Umbaus völlig auf den Kopf stellte. Backsteinwände wurden freigelegt,<br />

und handgefertigter Stuck wurde an die Decke gebracht. Das Hotel, einst ein Treffpunkt<br />

der Stars während der Berlinale, soll nun, laut Lee, die Atmosphäre bieten<br />

für „junge Menschen, die im Wohnhaus ihrer Ahnen leben und alte Möbel mit modernen<br />

Elementen kombinieren“. Dank der historischen Gebäudeteile gleicht keines<br />

der 130 Zimmer dem anderen. Doppelzimmer ab 130 Euro. designhotels.com<br />

FUSSBALL-MUSICAL<br />

Wunder 1954<br />

Es ging nur um Fußball. Und<br />

doch erhielt das Weltmeisterschaftsfinale<br />

in der Schweiz<br />

neun Jahre nach Ende des Zweiten<br />

Weltkriegs den Ehrennamen<br />

„Das Wunder von Bern“.<br />

So heißt auch das Musical, das<br />

<strong>vom</strong> 23. 11. an die Geschichte<br />

der Familie Lubanski rund um<br />

das 3:2 der deutschen Nationalspieler<br />

gegen Ungarn erzählt.<br />

Uraufführung ist im Theater an<br />

der Elbe in Hamburg, die Musik<br />

stammt von Martin Lingnau,<br />

die Texte sind von Frank Ramond,<br />

der für Udo Lindenberg<br />

und Roger Cicero schrieb.<br />

stage-entertainment.de<br />

THE NEW YORKER<br />

„It’s disappointing that even the secret shadow<br />

government can’t get anything done.“<br />

FOTOS: PR, CARTOON: PAUL NOTH/CONDÉ NAST PUBLICATIONS/WWW.CARTOONBANK.COM<br />

118 Redaktion: thorsten.firlus@wiwo.de<br />

Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Leserforum<br />

Neues <strong>vom</strong> US-Forscher Shenkar Besser kopieren statt entwickeln<br />

Perspektiven&Debatten<br />

Interview: Oded Shenkar, Forscher an<br />

der Ohio State University und Autor,<br />

über Innovationen. Heft 46/2014<br />

Provokativ<br />

Den Ausführungen von Oded<br />

Shenkar kann ich leider nicht<br />

folgen. Zum einen widerspricht<br />

er sich ständig, indem er zunächst<br />

das Kopieren als anzustrebende<br />

Handlung empfiehlt,<br />

dann hält er das Forschen doch<br />

für durchaus nützlich. Seine Ansichten<br />

zeugen mehr von einer<br />

teils provokativen und kurzsichtigen<br />

Denk- und Handlungsweise<br />

nach amerikanischem Muster.<br />

Einige asiatische Firmen<br />

haben bis heute immer noch<br />

große Schwierigkeiten mit dem<br />

Kopieren von Premiumprodukten,<br />

weil sie durch ihre hierarchische<br />

Führungsstruktur nicht<br />

in der Lage sind, wirklich zu verstehen,<br />

was sie eigentlich kopieren<br />

oder nur schlecht nachahmen.<br />

Es kann ja kein Zufall der<br />

automobilen Zeitgeschichte<br />

sein, dass die deutsche Fahrzeugindustrie<br />

noch bis heute<br />

um ihren innovativen soliden<br />

Premiumstatus beneidet wird<br />

und man unentwegt versucht,<br />

deren Level zu erreichen. Langfristig<br />

werden immer nur die Firmen<br />

überleben, die eine gesunde<br />

Innovationskultur haben und<br />

beständig in diese investieren.<br />

Joachim Riegel, via E-Mail<br />

Kahl am Main (Bayern)<br />

Politik&Weltwirtschaft<br />

Droht Europa durch separatistische<br />

Bewegungen eine neue Kleinstaaterei.<br />

Heft 45/2014<br />

Insolvenz anmelden<br />

Seit 1962 war ich rund 250 Mal<br />

in Spanien – vorwiegend beruflich.<br />

Dabei habe ich die<br />

Katalanen als intelligentes Volk<br />

kennengelernt. Nach dem,<br />

was dort in den letzten Monaten<br />

abgelaufen ist, kann diese<br />

Wertung nicht mehr gelten. Der<br />

Gipfel war die Absicht des katalanischen<br />

Parlaments, einen<br />

eigenen Geheimdienst ins<br />

Leben zu rufen, um für einen<br />

„kalten Krieg“ mit Spanien<br />

gerüstet zu sein. Katalonien ist<br />

die am höchsten verschuldete<br />

autonome Region Spaniens.<br />

Am Tage eins nach der „Independancia“<br />

müsste Kataloniens<br />

Präsident Artur Mas Insolvenz<br />

anmelden, weil er die Kredite<br />

nicht mehr bedienen kann.<br />

Jürgen Runau, via E-Mail<br />

Schwabach (Bayern)<br />

Kubas Flagge<br />

Was bei uns relativ wenig bekannt<br />

sein dürfte: Die abgebildete<br />

Flagge gelb-rot gestreift<br />

(<strong>vom</strong> Königshaus Aragón) mit<br />

blauem Dreieck und weißem<br />

Stern ist die „estelada blava“. Sie<br />

steht seit 1908 für die Unabhängigkeitsbewegung<br />

der Katalanischen<br />

Länder Katalanien nebst<br />

Valencia und den Balearen.<br />

Durch das Dreieck und den<br />

Stern erinnert sie stark an die<br />

Flagge Kubas. Wie das? Dem<br />

katalanischen Aktivisten Vincenc<br />

Albert Ballester hat sie bei<br />

einem Kuba-Aufenthalt einfach<br />

nur gefallen.<br />

Dr. Peter Gros, via E-Mail<br />

Saarbrücken<br />

Einblick<br />

Chefredakteurin Miriam Meckel<br />

über die Bundesregierung und die<br />

schwarze Null. Heft 44/2014<br />

Die Top Fünf der Woche<br />

Die beliebtesten Artikel auf WirtschaftsWoche Online<br />

1Interview mit dem Ökonomen Jim O’Neill<br />

http://www.wiwo.de/10949536.html<br />

2Nürburgring: Das Desaster geht weiter<br />

http://www.wiwo.de/10954276.html<br />

3Die Epidemie der nervigen Floskeln<br />

http://www.wiwo.de/10960790.html<br />

4Wie Goldman-Sachs-Manager Deutschland erobern<br />

http://www.wiwo.de/10914020.html<br />

5Das riskante Experiment der HypoVereinsbank<br />

http://www.wiwo.de/10946712.html<br />

Haften für Löwenanteil<br />

Sie haben die schwarze Null<br />

bereits wunderbar persifliert.<br />

In der Tat hat es schon etwas<br />

rührend Tragikomisches, wie<br />

unsere Politiker die schwarze<br />

oder rote Null umtanzen und<br />

sich für Millioneneinsparungen<br />

selbst beweihräuchern, während<br />

andere das schmutzige<br />

Geschäft des Schuldenmachens<br />

in unvergleichlich<br />

größeren Dimensionen für<br />

Deutschland gleich mitbesorgen:<br />

die chronisch defizitären<br />

Euro-Länder im Verbund mit<br />

der Europäischen Zentralbank.<br />

Der deutsche Steuerzahler<br />

haftet in jedem Fall für den<br />

Löwenanteil.<br />

Hans-Joachim Bress, via E-Mail<br />

Lüneburg (Niedersachsen)<br />

Politik&Weltwirtschaft<br />

Forum: Die Energiewende findet vor<br />

allem bei der Stromerzeugung statt.<br />

Heft 43/2014<br />

Große Plauderer<br />

Prima geschrieben. Die Autoren<br />

gehören zu den wenigen,<br />

die sich um den Mikrobereich<br />

der Energieeinsparung kümmern.<br />

Brüssel, Berlin, Minister<br />

und sonstige große Plauderer<br />

beschäftigen sich mit Ressourcenschonung<br />

im Makrobereich<br />

bis 2050. Richtig ist, wie Sie fordern,<br />

sofort angreifen und das<br />

mit minimalem Kapitalaufwand<br />

und schneller Amortisation.<br />

Warum will das niemand<br />

umsetzen? Es gibt noch viel zu<br />

tun!<br />

Manfred Ritter, via E-Mail<br />

Neumarkt (Bayern)<br />

Beste Fabrik<br />

Polo aus Pamplona. Preisverleihung in<br />

Weimar an das Volkswagenwerk in<br />

Pamplona. Heft 44/ 2014<br />

Korrektur<br />

Cord Busche ist nicht der<br />

Leiter des VW-Polo-Werks in<br />

Pamplona, er verantwortet<br />

dort die Produktionsplanung.<br />

Werksleiter ist Emilio Saenz.<br />

Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.<br />

Leserbriefe geben die Meinung des<br />

Schreibers wieder, die nicht mit der<br />

Redaktionsmeinung übereinstimmen<br />

muss. Die Redaktion behält sich vor,<br />

Leserbriefe gekürzt zu veröffentlichen.<br />

WirtschaftsWoche<br />

Postfach 10 54 65<br />

40045 Düsseldorf<br />

E-Mail: leserforum@wiwo.de<br />

Bei Zuschriften per E-Mail bitten wir<br />

um Angabe Ihrer Postadresse.<br />

ILLUSTRATION: CARLO GIAMBARRESI<br />

120 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Firmenindex<br />

Hervorgegangen aus<br />

DER DEUTSCHE VOLKSWIRT<br />

Gegründet 1926<br />

Pflichtblatt der Wertpapierbörsen in<br />

Düsseldorf, Frankfurt und Stuttgart<br />

40045 Düsseldorf, Postfach 105465,<br />

(für Briefe)<br />

40213 Düsseldorf, Kasernenstraße 67,<br />

(für Pakete, Päckchen und Frachtsendungen)<br />

Fon (0211) 887–0, E-Mail wiwo@wiwo.de<br />

REDAKTION<br />

Chefredakteurin Miriam Meckel<br />

Stellvertretende Chefredakteure Henning Krumrey,<br />

Franz W. Rother<br />

Geschäftsführende Redakteurin/Chefin <strong>vom</strong> Dienst<br />

Angela Kürzdörfer<br />

Creative Director/Leiter Produktentwicklung Holger Windfuhr<br />

Chefreporter Dieter Schnaas<br />

Chefreporter international Florian Willershausen<br />

Menschen der Wirtschaft Hermann J. Olbermann;<br />

Thomas Stölzel, Oliver Voß<br />

Politik & Weltwirtschaft Konrad Handschuch; Bert Losse,<br />

Jens Konrad Fischer, Malte Fischer, Hans Jakob Ginsburg<br />

Unternehmen & Märkte Reinhold Böhmer, Stephanie Heise;<br />

Jürgen Berke, Mario Brück, Rebecca Eisert, Henryk Hielscher,<br />

Rüdiger Kiani-Kreß, Michael Kroker, Peter Steinkirchner,<br />

Reporter: Anke Henrich, Hans-Jürgen Klesse, Jürgen Salz,<br />

Harald Schumacher, Dr. Andreas Wildhagen,<br />

Management: Julia Leendertse*<br />

Technik & Wissen Lothar Kuhn; Thomas Kuhn, Dieter Dürand<br />

(Dossiers), Wolfgang Kempkens (Autor)*, Susanne Kutter,<br />

Andreas Menn, Jürgen Rees<br />

Management & Erfolg Manfred Engeser; Lin Freitag, Kristin Schmidt,<br />

Claudia Tödtmann<br />

Geld & Börse Hauke Reimer; Christof Schürmann, Frank Doll,<br />

Martin Gerth, Stefan Hajek, Niklas Hoyer, Sebastian Kirsch,<br />

Dr. Anton Riedl<br />

Perspektiven & Debatte Thorsten Firlus-Emmrich;<br />

Dr. Christopher Schwarz (Reporter)<br />

Green Economy/Autoren Lothar Kuhn; Dieter Dürand (Konzeption und<br />

Koordination), Constantin Alexander*, Armin Dahl*, Susanne Kutter,<br />

Jürgen Rees, Benjamin Reuter*, Daniel Schönwitz*<br />

Layout Svenja Kruse (stv. AD); Beate Clever, Karin Heine,<br />

Claudia Immig, Horst Mügge, Juliane Reyes Nova*<br />

Bildredaktion Silke Eisen; Lena Flamme, Patrick Schuch<br />

Syndication wiwo-foto.de<br />

Bildbearbeitung Uwe Schmidt<br />

Informationsgrafik Anna Tabea Hönscheid, Konstantin Megas,<br />

Carsten Stollmann, Gerd Weber<br />

Schlussredaktion Martina Bünsow; Dieter Petzold<br />

Produktion Markus Berg, Ute Jansen, Petra Jeanette Schmitz<br />

BÜROS<br />

Berlin Henning Krumrey; Dr. Christian Ramthun, Max Haerder,<br />

Christian Schlesiger, Dieter Schnaas, Cordula Tutt (Autorin)<br />

Askanischer Platz 3, 10963 Berlin,<br />

Fon (030) 61686–121, Fax (030) 61686–170<br />

Brüssel Silke Wettach*, 13b, Av. de Tervuren, B-1040 Bruxelles,<br />

Fon (00322) 2346452, Fax (00322)2346459<br />

E-Mail silke.wettach@wiwo.de<br />

Frankfurt<br />

Melanie Bergermann (Reporterin), Florian Zerfaß<br />

Unternehmen & Märkte Mark Fehr, Cornelius Welp,<br />

Politik & Weltwirtschaft Angela Hennersdorf<br />

Geld & Börse Hauke Reimer; Annina Reimann, Heike Schwerdtfeger<br />

Eschersheimer Landstraße 50, 60322 Frankfurt<br />

Fon (069) 2424–4903, Fax (069) 2424594903<br />

London Yvonne Esterházy*, 1 Mansel Road,<br />

London SW19 4AA, Fon (0044) 2089446985,<br />

E-Mail yvonne.esterhazy@wiwo.de<br />

München Matthias Kamp, Nymphenburger Straße 14,<br />

80335 München, Fon (089) 545907–28, Fax (0211) 887–978718<br />

New York Martin Seiwert, 44 Wall Street, 7 th floor, Suite 702,<br />

New York, NY 10005, Fon (001) 6465900672<br />

E-Mail martin.seiwert@wiwo.de<br />

Paris Karin Finkenzeller*, 21 Boulevard de la Chapelle,<br />

75010 Paris, Fon (0033) 695929240<br />

E-Mail karin.finkenzeller@wiwo.de<br />

São Paulo Alexander Busch*, R. Otavio de Moraes<br />

Dantas, N.° 15, apto. 04 – Vila Marina, CEP 04012–110<br />

São Paulo, Brasilien, Fon/Fax (005511) 50281112,<br />

E-Mail alexander.busch@wiwo.de<br />

Shanghai Philipp Mattheis*, 100 Changshu Lu, No 2/App. 105,<br />

200040 Shanghai,<br />

Fon (0086137) 64118414,<br />

E-Mail philipp.mattheis@wiwo.de<br />

Silicon Valley Matthias Hohensee*, 809 B Cuesta Drive # 147,<br />

Mountain View, CA 94040,<br />

Fon (001650) 9629110,<br />

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Tokio Martin Fritz*, c/o Foreign Correspondents’ Club of Japan<br />

Yurakucho Denki North Building 20F, Yurakucho 1–7–1, Chiyoda-ku,<br />

100–0006 Tokyo, Japan<br />

Fon/Fax (008150) 36435446,<br />

E-Mail martin.fritz@wiwo.de<br />

(*Freie/r Mitarbeiter/in)<br />

Verantwortlich für diese <strong>Ausgabe</strong> i.S.d.P.<br />

Konrad Handschuch (Politik&Weltwirtschaft, Der Volkswirt),<br />

Reinhold Böhmer (Unternehmen&Märkte), Hauke Reimer<br />

(Geld&Börse), Manfred Engeser (Management&Erfolg),<br />

Thorsten Firlus (Perspektiven&Debatte), Hermann J. Olbermann<br />

(Menschen der Wirtschaft), Lothar Kuhn (Technik&Wissen)<br />

ONLINE<br />

Leitung Franziska Bluhm<br />

Stellvertretende Leitung Dr. Silke Fredrich<br />

Chef <strong>vom</strong> Dienst Daniel Rettig<br />

Redaktion Stephan Happel, Ferdinand Knauß, Saskia Littmann, Meike<br />

Lorenzen, Tim Roman Rahmann, Jana Reiblein, Sebastian Schaal, Andreas<br />

Toller<br />

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(Verleger im Sinne des Presserechts)<br />

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Claudia Michalski, Ingo Rieper<br />

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Die Angaben bezeichnen den<br />

Anfang des jeweiligen Artikels<br />

A<br />

Acatis Investment....................................................... 100<br />

Accenture.....................................................................82<br />

ADAC............................................................................62<br />

Adidas.......................................................................... 90<br />

Advent..........................................................................56<br />

Air Berlin...................................................................... 12<br />

Airbnb.......................................................................... 83<br />

Allergan......................................................................106<br />

Allianz.................................................................... 44, 90<br />

Alpha-Assets.............................................................. 108<br />

Amazon...............................................20, 70, 74, 83, 106<br />

AppelrathCüpper...........................................................56<br />

Apple......................................................................76, 90<br />

Arcelor Mittal..............................................................111<br />

Areva............................................................................64<br />

Audi..............................................................................16<br />

Avantgarde Acoustic..................................................... 76<br />

Avispador..................................................................... 70<br />

B<br />

Banco Santander.......................................................... 20<br />

BASF...................................................................... 44, 90<br />

Bayer............................................................................44<br />

Bench...........................................................................13<br />

Benchmark Capital........................................................83<br />

Roland Berger...............................................................62<br />

Beyerdynamic...............................................................79<br />

Bilfinger..................................................................60, 64<br />

Bitpay...........................................................................88<br />

BMW............................................................................ 14<br />

Hugo Boss.................................................................... 13<br />

C<br />

Cadence Design Systems.............................................106<br />

Canadian Pacific Railway.............................................106<br />

Cevian.......................................................................... 60<br />

Charter Communications.............................................106<br />

Christ........................................................................... 56<br />

Christie’s...................................................................... 28<br />

Chrysler........................................................................44<br />

Ciel et Terre.................................................................. 81<br />

City2City.......................................................................62<br />

Coca-Cola.....................................................................11<br />

Comcast..................................................................... 106<br />

Condor......................................................................... 12<br />

Continental...................................................................44<br />

Thomas Cook................................................................ 12<br />

Crisp Research..............................................................70<br />

CSX............................................................................ 106<br />

D<br />

3i................................................................................. 56<br />

Daimler...........................................................44, 81, 113<br />

Degussa......................................................................100<br />

DeinBus.de................................................................... 62<br />

Dekra........................................................................... 87<br />

Dekra Certification Group.............................................. 14<br />

Deutsche Bank........................................................44, 52<br />

Deutsche Lufthansa.......................................... 12, 62, 90<br />

Deutsche Telekom.............................................44, 52, 70<br />

Devon Energy..............................................................110<br />

Disney.......................................................................... 13<br />

DJE Kapital................................................................. 100<br />

Douglas........................................................................ 56<br />

Dropbox........................................................................83<br />

E<br />

E.On............................................................................. 44<br />

Ebay............................................................................. 83<br />

Ehrmann.......................................................................14<br />

Emeram Capital Partners...............................................13<br />

Emotiv.......................................................................... 88<br />

EnBW.......................................................... 14, 82, 88, 90<br />

Endesa......................................................................... 20<br />

Escada..........................................................................13<br />

Etihad...........................................................................12<br />

Euler-Hermes-Versicherungsgruppe...............................64<br />

Evonik.......................................................................... 82<br />

F<br />

Facebook......................................................................83<br />

Fiat...............................................................................20<br />

Fielmann.......................................................................90<br />

FlixBus..........................................................................62<br />

FMG............................................................................. 64<br />

Ford..............................................................................16<br />

Fuchs Petrolub..............................................................90<br />

Fujitsu.......................................................................... 88<br />

G<br />

General Electric............................................................ 64<br />

Gleiss Lutz.................................................................. 104<br />

Glenview Capital Management.....................................106<br />

Google.................................................................... 83, 90<br />

GPIF........................................................................... 106<br />

H<br />

Halcon Resources.......................................................110<br />

Hapag-Lloyd................................................................. 44<br />

HDtracks.com...............................................................76<br />

HeidelbergCement........................................................ 52<br />

Henkel..........................................................................44<br />

Herrenknecht................................................................64<br />

HighResAudio.com........................................................76<br />

HMV...............................................................................8<br />

Hogan Lovells..............................................................104<br />

Home Depot................................................................110<br />

Home-eat-Home........................................................... 11<br />

Hussel.......................................................................... 56<br />

Hyundai Motor Europe...................................................16<br />

I<br />

IDC...............................................................................70<br />

idelan........................................................................... 88<br />

IGES............................................................................. 62<br />

J<br />

Johnson & Johnson..................................................... 110<br />

Jones Day................................................................... 108<br />

K<br />

Karstadt.......................................................................11<br />

Kepco...........................................................................64<br />

Kia................................................................................16<br />

Kickstarter....................................................................76<br />

Kleiner Perkins..............................................................83<br />

L<br />

Level 3 Communications..............................................106<br />

Liberty Media..............................................................106<br />

Linde................................................................ 44, 64, 90<br />

Linnrecords.com........................................................... 76<br />

Loys........................................................................... 100<br />

M<br />

MAN...........................................................................113<br />

Marvel.......................................................................... 13<br />

McDonald’s.................................................................. 90<br />

MeinFernbus.................................................................62<br />

Merkur Spielothek.........................................................28<br />

Microsoft......................................................................70<br />

MS Spaichingen.......................................................... 113<br />

MTU........................................................................... 113<br />

N<br />

NEC..............................................................................88<br />

Nike........................................................................... 110<br />

Nocibé..........................................................................56<br />

Noerr..........................................................................104<br />

Norwegian.................................................................... 12<br />

Novartis........................................................................44<br />

O<br />

Odebrecht.................................................................... 64<br />

Oetker.......................................................................... 44<br />

Oracle...........................................................................70<br />

P<br />

Palantir.........................................................................83<br />

Panasonic.....................................................................80<br />

Pershing Square Capital Management..........................106<br />

Philips.......................................................................... 79<br />

Pine River Capital Management................................... 106<br />

Pinterest.......................................................................83<br />

Pioneer Energy............................................................110<br />

Polleit & Riechert........................................................100<br />

Pono.............................................................................76<br />

Porsche........................................................................ 44<br />

Preisbutler24................................................................74<br />

Procter & Gamble........................................................110<br />

PwC........................................................................24, 83<br />

Q<br />

Qobuz.com................................................................... 76<br />

R<br />

Repsol.......................................................................... 20<br />

Ritter Sport...................................................................16<br />

Rocket Internet.............................................................16<br />

Ryanair.........................................................................12<br />

S<br />

Sal.Oppenheim..............................................................14<br />

Salesforce.....................................................................70<br />

Salzgitter.................................................................... 111<br />

SAP.............................................................................. 70<br />

Sartorius.......................................................................88<br />

SBS Feintechnik............................................................14<br />

Sequoia Capital.............................................................83<br />

Siemens......................................................44, 64, 84, 88<br />

SMS-Group................................................................... 64<br />

Snapchat...................................................................... 83<br />

Social Commerce Group SE........................................... 13<br />

Solaroad....................................................................... 81<br />

Sony....................................................................... 76, 79<br />

Southeastern Asset Management................................106<br />

Southwestern Energy.................................................. 110<br />

Spotify............................................................................8<br />

Square..........................................................................83<br />

Staramba......................................................................13<br />

Sun Express.................................................................. 12<br />

Syngenta.................................................................... 112<br />

T<br />

Technics.................................................................76, 80<br />

Telefónica.....................................................................20<br />

Tenet Healthcare........................................................ 106<br />

Teradyne.................................................................... 106<br />

Thalia........................................................................... 56<br />

ThyssenKrupp........................................... 44, 52, 64, 111<br />

Tiger Ratan Capital Fund............................................. 106<br />

Time Warner Cable......................................................106<br />

Total............................................................................. 90<br />

Toyota.......................................................................... 14<br />

Trinkaus & Burkhardt.................................................... 44<br />

U<br />

Uber............................................................................. 83<br />

Union Investment..........................................................44<br />

Universal Music.............................................................13<br />

Unlock your Brain..........................................................16<br />

V<br />

Valeant Pharmaceuticals............................................. 106<br />

Villeroy & Boch..............................................................13<br />

Voestalpine...................................................................90<br />

Voith.................................................................14, 64, 68<br />

Volkswagen............................................................. 16, 84<br />

W<br />

Walt Disney.................................................................110<br />

Weitz Investment Management....................................106<br />

Y<br />

Yahoo........................................................................... 83<br />

Z<br />

Zalando........................................................................16<br />

WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 121<br />

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Ausblick<br />

„Unbedingt verhindern müssen<br />

wir, dass Beschäftigte zu<br />

Sklaven der<br />

Technologie werden.“<br />

„China hat die Fähigkeit und<br />

den Willen, mehr Gutes für<br />

die Asien-Pazifik-Region und<br />

die ganze Welt zu tun.“<br />

Detlef Wetzel<br />

Vorsitzender der IG Metall, über<br />

die Vernetzung von Maschinen<br />

untereinander und der zwischen<br />

Maschine und Mensch<br />

„Was wir anstreben, ist ein<br />

Roboter mit Persönlichkeit,<br />

der auf eigenen Willen<br />

hin zum Glück einer<br />

Familie beitragen kann.“<br />

Masayoshi Son<br />

Chef des japanischen Telekommunikationskonzerns<br />

Softbank,<br />

über Roboter, die Gesichtsausdrücke,<br />

Gesten und Emotionen<br />

erkennen können<br />

„Unser Ziel ist es, die perfekt<br />

personalisierte Nachrichtenseite<br />

für jeden Menschen<br />

weltweit zu sein.“<br />

Mark Zuckerberg<br />

Gründer und Chef von Facebook<br />

„Sie sollte klarmachen, dass<br />

Internet-Anbieter gesetzlich<br />

verpflichtet sind, ihren Zugang<br />

zu einer Web-Seite nicht zu<br />

blockieren oder zu drosseln.“<br />

Barack Obama<br />

US-Präsident, an die US-Aufsichtsbehörde<br />

Federal Communications<br />

Commission (FCC)<br />

„Ich glaube nicht, dass der<br />

Shitstorm die Weiterentwicklung<br />

der Demokratie ist.“<br />

Wolfgang Schäuble<br />

Bundesfinanzminister (CDU)<br />

„In der Öffentlichkeit wurde<br />

gezielt von interessierter<br />

Seite eine Pogromstimmung<br />

gegen die GDL und ihre<br />

Mitglieder erzeugt.“<br />

Claus Weselsky<br />

Chef der Lokführer-Gewerkschaft GDL<br />

„Vielleicht sollte man<br />

autonomes Fahren auf<br />

der Schiene beginnen,<br />

dann hätte man das Problem<br />

mit der GDL nicht.“<br />

Wilfried Porth<br />

Daimler-Personalvorstand, über den<br />

Streik der Lokführer-Gewerkschaft<br />

»Die Erde riecht großartig.«<br />

Alexander Gerst<br />

deutscher Astronaut, nach seiner Landung auf der Erde<br />

nach 165 Tagen an Bord der Internationalen Raumstation ISS<br />

Xi Jinping<br />

chinesischer Staatspräsident<br />

„Ohne eine deutsch-russische<br />

Partnerschaft kann es keine<br />

Sicherheit in Europa geben.“<br />

Michail Gorbatschow<br />

ehemaliger Präsident<br />

der Sowjetunion<br />

„Der Westen genauso wie<br />

Russland und die Ukraine<br />

müssen aufpassen, dass wir<br />

nicht alles verspielen, was wir<br />

schon einmal erreicht hatten.“<br />

Helmut Kohl<br />

Altbundeskanzler (CDU)<br />

„Die Linkspartei ist mehr als der<br />

elende Rest der DDR-Staatspartei.<br />

Sie ist nicht geschlagen.“<br />

Johanna Wanka<br />

Bundesbildungsministerin (CDU),<br />

zum Liedermacher Wolf Biermann,<br />

der die Linkspartei als „elenden Rest“<br />

bezeichnete<br />

„Freizügigkeit bedeutet nicht,<br />

mittellos durch Europa zu<br />

ziehen und Sozialleistungen<br />

zu empfangen.“<br />

Volker Kauder<br />

Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion<br />

im Bundestag, zum Urteil des Europäischen<br />

Gerichtshofs über Sozialleistungen<br />

an ausländische EU-Bürger<br />

„Ich möchte eigentlich nicht,<br />

dass ein Europa ohne Grenzen<br />

jetzt durch eine Maut wieder<br />

künstlich getrennt wird.”<br />

Hannelore Kraft<br />

Ministerpräsidentin von<br />

Nordrhein-Westfalen (SPD)<br />

„Ich weiß nicht,<br />

wie ich es lösen soll.“<br />

Bernie Ecclestone<br />

Formel-1-Chef, über die finanziellen<br />

Probleme einiger Rennställe<br />

„Wir haben uns alle wie<br />

Weltmeister gefühlt.“<br />

Joachim Gauck<br />

Bundespräsident, zur Fußballnationalmannschaft<br />

bei der Verleihung<br />

des Silbernen Lorbeerblattes, der<br />

höchsten sportlichen Auszeichnung<br />

ILLUSTRATION: TORSTEN WOLBER<br />

122 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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