Wirtschaftswoche Ausgabe vom 17.11.2014 (Vorschau)
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47<br />
<strong>17.11.2014</strong>|Deutschland €5,00<br />
4 7<br />
4 1 98065 805008<br />
0%<br />
Raus aus dem<br />
Sparbuch!<br />
Aktien, Anleihen, Gold:<br />
Ihre Strategie für mehr Rendite<br />
Schweiz CHF 8,20 | Österreich €5,30 | Benelux€5,30 | Griechenland€6,00 | GroßbritannienGBP 5,40 | Italien€6,00 | Polen PLN27,50 | Portugal€6,10 | Slowakei €6,10 | Spanien€6,00 | Tschechische Rep. CZK200,- | Ungarn FT 2140,-<br />
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Einblick<br />
Privatanleger sollen neuerdings Strafzinsen zahlen.<br />
Unverschämtheit? Nein, derzeit das richtige Signal<br />
für offensivere Anlagestrategien. Von Miriam Meckel<br />
Versprechen und Strafe<br />
FOTO: FRANK SCHEMMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
Auf Verbrechen steht Strafe. Fragt<br />
sich, welches Verbrechen die Anleger<br />
begangen haben, dass sie<br />
nun mit Negativzinsen bestraft<br />
werden. Keines – so lautet die naheliegende<br />
erste Antwort. An den Finanzmärkten<br />
hat die Kette von Schuld zu Sühne viele<br />
Glieder.<br />
Noch immer stecken wir mitten in der<br />
Staatsschuldenkrise, die Wachstumsprognosen<br />
sind eher mau. Die Inflationsrate<br />
verharrt bei derzeit 0,8 Prozent. Und die<br />
Europäische Zentralbank (EZB) will die<br />
Niedrigzinspolitik fortsetzen und den<br />
Markt weiter mit billigem Geld fluten. Optimale<br />
Voraussetzungen für Anlagerenditen<br />
sehen anders aus.<br />
Im Frühsommer hat die EZB zum ersten<br />
Mal formal die Nulllinie unterschritten.<br />
Banken, die Geld bei der EZB parken, müssen<br />
derzeit einen Strafzins von 0,2 Prozent<br />
zahlen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis<br />
der Negativzins auch die Privatanleger erreichen<br />
würde. Die Deutsche Skatbank hat<br />
mit einem ersten gezielten Stich versucht,<br />
das Thema Strafzins anzureizen. Wenn<br />
nun weitere Banken folgen, zeigt das: Ausgereizt<br />
ist es noch lange nicht.<br />
In seinem Werk über „Die Philosophie<br />
des Geldes“ (1900) schrieb Georg Simmel:<br />
„Eine je größere Bedeutung der Zins im<br />
wirtschaftlichen Leben erhielt, desto geringer<br />
wurde er.“ Das war prophetisch: In diesen<br />
Zeiten gilt: Je mehr wir auf den sicheren<br />
Zins fixiert sind, desto weniger Rendite<br />
bringt uns das angelegte Geld.<br />
Wo kein Verbrechen, da keine Strafe? In<br />
der Zinspolitik setzt diese Logik, scheint es,<br />
aus. Haben sich deutsche Anleger doch etwas<br />
zuschulden kommen lassen? Haben<br />
sie. Deutsche Anleger sind für diese Zeiten<br />
zu konservativ. Risiko? Nein, danke. In<br />
kaum einem anderen Land wird dem Sparbuch<br />
noch immer so gehuldigt wie bei uns.<br />
Sparbuch, Lebensversicherung, Bausparvertrag<br />
und Immobilien sind der<br />
Deutschen liebste Anlageformen. Bei allen<br />
von ihnen gilt: Das Gefühl der sicheren Anlage<br />
ist teuer erkauft. Kleine Beispielrechnung:<br />
Eine Inflationsrate von 1,5 Prozent<br />
im vergangenen Jahr und 0,2 Prozent Zinsen<br />
auf dem Sparbuch ergeben minus 1,3<br />
Prozent. Wir hatten längst Negativzinsen,<br />
bevor die EZB sie eingeführt hat.<br />
Der Glaube an sichere Investments führt<br />
auch zu Verblendung. Anlagen finden reißenden<br />
Zulauf, wenn der schlaue Emittent<br />
„Sicherheit“ als Zauberwort verwendet.<br />
Dann kaufen sich Deutsche auch gern mal<br />
in windige Riesenradprojekte in Singapur,<br />
Peking oder Orlando ein. Irgendwann<br />
kommt die Stunde der Wahrheit und mit<br />
ihr oft der Totalverlust. Und dann ist das<br />
Geschrei groß. Stand doch „sicher“ drauf.<br />
STRAFZINS ALS AUFKLÄRUNG<br />
Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Weder<br />
beim überschätzten geliebten Sparbuch<br />
noch bei der unterschätzten Gefahr<br />
des Vermögensverlusts bei vermeintlich sicheren<br />
Investments. Wer sein Geld heute<br />
richtig anlegen will, muss sich <strong>vom</strong> Sparbuch<br />
verabschieden, die Anlagestrategie<br />
diversifizieren und vor allem auch überschaubare<br />
Risiken eingehen. Dazu kann<br />
der ärgerliche Strafzins durchaus einen<br />
Beitrag leisten: endlich die ängstliche Zurückhaltung<br />
deutscher Anleger gegenüber<br />
der Aktie zu brechen. Als Langfristanlage<br />
sind Aktien unschlagbar. Aus volkswirtschaftlicher<br />
Sicht darf der Strafzins ruhig<br />
richtig weh tun. Mehr als 2000 Milliarden<br />
Euro liegen auf deutschen Sparkonten herum.<br />
Geld, das mit jedem Tag weniger wert<br />
ist. Das Pro-Kopf-Vermögen ist bei uns im<br />
vergangenen Jahr nur um 2500 Euro gestiegen,<br />
in den USA um 10 000 Euro. Vermeintliche<br />
Anlagesicherheit bremst reales Vermögenswachstum.<br />
Höchste Zeit also, die<br />
Anlegerschockstarre zu durchbrechen.<br />
Eine aktuelle wissenschaftliche Studie<br />
zum menschlichen Sparverhalten zeigt:<br />
Kluges Anlageverhalten wird zu einem wesentlichen<br />
Teil vererbt. Die deutsche Liebe<br />
zum Sparbuch als genetische Prädisposition?<br />
Dann sind wir nicht zu retten. Aber:<br />
Nach der Studie ist das Sparverhalten in<br />
den Genen verankert, die auch unsere Gewohnheiten<br />
beim Essen und Rauchen bestimmen.<br />
Es soll ja sogar Menschen geben,<br />
die sich das Rauchen abgewöhnt haben –<br />
aus Einsicht, nicht durch Strafe.<br />
n<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 5<br />
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Überblick<br />
VORGESTELLT<br />
Chefredakteurin Miriam Meckel<br />
präsentiert im Video diese <strong>Ausgabe</strong>.<br />
QR-Code bitte mit dem Smartphone scannen.<br />
Sie benötigen dafür eine App wie RedLaser.<br />
Menschen der Wirtschaft<br />
8 Seitenblick Comeback der Platte<br />
10 Steuern: Streit um Hörbücher und E-Books<br />
11 Coca-Cola: Konzern sponsert Start-ups |<br />
Karstadt: Kürzungen bei Sport-Häusern<br />
12 Interview: Condor-Chef Ralf Teckentrup<br />
protestiert gegen die Hilfen für Air Berlin |<br />
Böckler-Stiftung: Studie als Glücksspiel<br />
13 Escada: Chefsessel verwaist | Staramba:<br />
Popstars aus dem Drucker | Mittelmeer:<br />
Säbelrasseln wegen Öl- und Gasvorkommen<br />
14 Toyota: Teures Wasserstoffauto |<br />
Mietpreisbremse: Hohe Kosten für Städte<br />
16 Chefsessel | Start-up Unlock your Brain<br />
18 Chefbüro Christian Schmidt, Bundesminister<br />
für Ernährung und Landwirtschaft<br />
Politik&Weltwirtschaft<br />
20 Steueroasen Luxleaks hat die Diskussion<br />
um unfaire Praktiken neu entfacht |<br />
Interview: PwC-Chef Dennis Nally fordert<br />
ein moderneres Steuerrecht<br />
25 Arbeitsmarkt Neue Modelle sollen Langzeitarbeitslose<br />
in Lohn und Brot bringen<br />
28 Glücksspiel Wie der Staat mit seinen<br />
Spielbanken Millionen von Euro verzockt<br />
32 Baden-Württemberg Wer bringt die CDU<br />
zurück an die Macht?<br />
34 Strom Berlin plant ein neues Fördermodell<br />
für erneuerbare Energie<br />
36 Interview: Simone Peter Die Parteichefin<br />
der Grünen über ihre Steuerpolitik<br />
38 Global Briefing | Berlin intern<br />
Der Volkswirt<br />
40 Kommentar | New Economics<br />
41 Konjunktur Deutschland<br />
42 Denkfabrik US-Ökonom Martin Feldstein<br />
über das mexikanische Wirtschaftswunder<br />
Unternehmen&Märkte<br />
44 Ulrich Lehner Die umstrittenen Methoden<br />
des mächtigsten deutschen Konzernkontrolleurs<br />
| Welche Aufseher ihr Geld wert sind<br />
56 Interview: Henning Kreke Der Douglas-<br />
Chef baut den Händler zum Parfümeur um<br />
60 Bilfinger Wie die Krisen-Agenda aussieht<br />
62 Fernbusse Nur die Großen überleben<br />
64 Großprojekte Deutsche Konzerne ziehen<br />
immer öfter den Kürzeren | Interview: Voith-<br />
Chef Hubert Lienhard verlangt bessere<br />
Bürgschaften und mehr Druck auf China<br />
70 Spezial Business-IT US-Cloud-Anbieter<br />
entdecken Deutschland | Ein Kölner Startup<br />
will Amazon aufmischen<br />
Technik&Wissen<br />
76 Musik Die große Suche nach einem Super-<br />
Sound | Interview: Technics-Chefin Michiko<br />
Ogawa lässt die Kultmarke wiederaufleben<br />
Titel Wohin mit dem Geld?<br />
Der deutsche Sparbuch-Liebhaber wird<br />
2015 leiden: Die Notenbanken fluten<br />
die Welt weiter mit Geld und halten die<br />
Zinsen unten. Aktien werden profitieren,<br />
aber Anleger sollten auch Geld in<br />
Anleihen stecken – und, sicher ist sicher,<br />
etwas Gold halten. Seite 90<br />
Der Konflikthasser<br />
Deutschlands mächtigster Konzernkontrolleur<br />
Ulrich Lehner steht für eine<br />
neue Deutschland AG und den Konsens.<br />
Doch wenn es hart kommt, stößt der<br />
Kuschelkurs an Grenzen. Seite 44<br />
Luxleaks<br />
Die Empörung über die<br />
Steuerschlupflöcher in<br />
Luxemburg ist groß. Doch<br />
schafft es EU-Kommissionspräsident<br />
Jean-Claude<br />
Juncker, dass auch sein Kleinstaat<br />
sein Steuersystem künftig<br />
fairer gestaltet? Seite 20<br />
TITEL: OTTMAR HÖRL „SPONTI-ZWERG“ WWW.OTTMAR-HOERL.DE; TITELFOTO: WERNER SCHEUERMANN<br />
6 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Nr. 47, <strong>17.11.2014</strong><br />
FOTOS: FRANK BEER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, LAIF/POLARIS, MARC-STEFFEN UNGER, PHOTO BY MAARTEN DE BOER/CONTOUR BY GETTY IMAGES<br />
Schriller Nachbar<br />
Wackelnde Wände, schiefe Ebenen:<br />
Architektur wie die der EZB schreit<br />
nach Aufmerksamkeit. Doch eine<br />
lebenswerte Stadt braucht das Zusammenspiel<br />
der Gebäude. Seite 114<br />
Jäger des verlorenen Klangs<br />
CDs und MP3 sind out. Nun wollen Künstler wie Neil Young, Hi-Fi-<br />
Hersteller und Plattenstudios mit kristallklarem Super-Sound für<br />
ein neues Musikerlebnis sorgen. Lohnt der Aufwand? Seite 76<br />
Rein in den Schweinezyklus<br />
Engpass oder Überschuss? Wie die beiden Arbeitsmarktexperten<br />
Axel Plünnecke (IW) und Karl Brenke (DIW) die Diskussion um den<br />
Fachkräftemangel bewerten. Ein Streitgespräch. Seite 84<br />
n Lesen Sie Ihre WirtschaftsWoche<br />
weltweit auf iPad oder iPhone:<br />
Diese Woche unter anderem mit Hörproben zu unserer<br />
Technik&Wissen-Story über den neuen Super-Sound.<br />
Zudem gibt es ein Interview mit MeinFernbus-Chef Torben<br />
Greve über den Boom und die Krise der jungen Branche.<br />
wiwo.de/apps<br />
81 Fotovoltaik Straßen, Fassaden, gar Seen<br />
sollen zu Solarkraftwerken werden<br />
83 Valley Talk<br />
Management&Erfolg<br />
84 Streitgespräch Die Arbeitsmarktexperten<br />
Karl Brenke und Axel Plünnecke diskutieren<br />
über Zukunftschancen junger Ingenieure<br />
88 Unternehmertum Utz Claassen über den<br />
Mut zum Anderssein<br />
Geld&Börse<br />
90 Geldanlage Notenbanken werden die<br />
Finanzmärkte 2015 mit Geld fluten. Wie<br />
Anleger profitieren | Strafzins breitet sich aus<br />
100 Investmentgipfel Billiges Geld treibt<br />
Aktien, doch wann kommt die Rechnung?<br />
Was vier prominente Geldprofis dazu sagen<br />
104 Anwälte Gefragte Immobilienexperten<br />
106 US-Aktien Die Favoriten der Hedgefonds<br />
108 Steuern und Recht Lücken im Anlegerschutzgesetz<br />
| Dienstwagen | Falschberatung<br />
bei Lebensversicherung | Schenkungsteuer-<br />
Freibetrag | Weihnachtsfeiern<br />
110 Geldwoche Kommentar: Ölpreis | Trend der<br />
Woche: US-Aktien | Dax-Aktien: Thyssen-<br />
Krupp | Hitliste: Kurs-Umsatz-Verhältnis |<br />
Aktien: Münchener Rück, Syngenta | Indexfonds:<br />
China | Anleihe: MS Spaichingen<br />
Perspektiven&Debatte<br />
114 Architektur Der Wettbewerb der<br />
Sensationsbauten wird immer grotesker<br />
118 Kost-Bar<br />
Rubriken<br />
5 Einblick, 120 Leserforum,<br />
121 Firmenindex | Impressum, 122 Ausblick<br />
n ManagementCup In unserem<br />
Planspiel winken Preise in Höhe von<br />
35 000 Euro. Registrieren Sie sich<br />
noch bis zum 18. November unter<br />
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wirtschaftswoche<br />
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wiwo<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 7<br />
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Seitenblick<br />
MUSIK<br />
Gegen den<br />
Stream<br />
Das Angebot an Musikstreaming wächst zwar.<br />
Auch YouTube startet einen eigenen Online-Dienst<br />
für Tonaufnahmen. Aber zugleich greifen vor allem<br />
jüngere Leute wieder verstärkt zu Schallplatten.<br />
5Millionen Schallplatten besitzt der brasilianische<br />
Busunternehmer Zero Freitas. Es ist die größte<br />
Sammlung der Welt. Drei Millionen Scheiben kaufte<br />
er vor einem Jahr von Paul Mawhinney, der im amerikanischen<br />
Pittsburgh einen Plattenladen betrieb.<br />
Von jeder Platte, die in den vergangenen 40 Jahren erschien,<br />
behielt er ein Exemplar. Wie viel Freitas zahlte,<br />
ist nicht bekannt. Nun versucht er mit Mitarbeitern<br />
die Platten zu katalogisieren: Am Tag schaffen sie 500.<br />
35Prozent Zuwachs verzeichnete der Umsatz<br />
mit Platten in Deutschland allein in der ersten<br />
Hälfte dieses Jahres. Setzte der Handel 2012 noch eine<br />
Million Stück ab, waren es 2013 schon 1,4 Millionen.<br />
Zum Vergleich: Im Rekordjahr 1978 wurden 64 Millionen<br />
LPs verkauft. Besonders Jüngere greifen trotz MP3<br />
und Streamingportalen wie Spotify vermehrt zum<br />
klassischen Tonträger. Laut Bundesverband Musikindustrie<br />
sind 40 Prozent der Vinyl-Käufer zwischen<br />
20 und 29 Jahre alt (siehe auch Seite 76).<br />
FOTO: LAIF/NOOR/SEBASTIAN LISTE<br />
1921eröffnete das britische Unternehmen<br />
HMV seinen ersten Laden. Er verkaufte<br />
Grammofone und Platten. Über die Jahrzehnte wuchs<br />
HMV zu einer der größten Musikketten der Welt. 2013<br />
meldete der Riese wegen der zunehmenden Musikdownloads<br />
Insolvenz an. Jetzt versucht die Kette ein<br />
Comeback – und setzt vor allem auf Platten.<br />
oliver.voss@wiwo.de; thomas stölzel<br />
8 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Haste Töne<br />
In einer 2300 Quadratmeter<br />
großen Halle<br />
lagert Freitas seine fünf<br />
Millionen Platten. Seine<br />
erste Scheibe kaufte der<br />
heute 62-Jährige 1964 –<br />
eine Aufnahme von<br />
Roberto Carlos<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 9<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
Black Box<br />
Finanzminister Schäuble<br />
STEUER<br />
Krach um Hörbücher<br />
Bundesfinanzminister Schäuble will die<br />
Mehrwertsteuer für E-Books und<br />
Hörbücher senken. Doch nun stehen<br />
seine Beamten vor neuen Problemen.<br />
Selbst Finanzexperten beginnen zu stottern, wenn<br />
sie das Chaos bei der Mehrwertsteuer erklären sollen.<br />
Die Frage nach der richtigen Besteuerung von<br />
Schnitt- und Trockenblumen oder Leitungs- und<br />
Mineralwasser hat längst Quiz-Qualitäten. Ähnlich<br />
kurios sind die Regeln im Buchmarkt: Beim Kauf<br />
eines gedruckten Buches kassiert der Staat nur den<br />
ermäßigten Satz von sieben Prozent, beim Erwerb<br />
eines E-Books verlangt er dagegen 19 Prozent. Zumindest<br />
hier will Bundesfinanzminister Wolfgang<br />
Schäuble jetzt aufräumen. Da die Regelung auf<br />
EU-Recht basiert, hat er bei der Kommission in<br />
Brüssel eine Initiative gestartet.<br />
Die Chancen auf Erfolg stehen gut, da Frankreichs<br />
früherer Finanzminister Pierre Moscovici<br />
seit 1. November EU-Finanzkommissar ist. Paris<br />
hat den Steuersatz für E-Books schon ermäßigt.<br />
Auch Luxemburg begünstigt bereits die Elektroliteratur.<br />
Und Luxemburgs früherer Premier und<br />
Finanzminister Jean-Claude Juncker ist jetzt<br />
Präsident der EU-Kommission. Beide Länder verstoßen<br />
damit zwar gegen Unionsrecht, die EU-<br />
Kommission hat deshalb geklagt. Aber das war<br />
noch die alte Kommission.<br />
Ein anderes Ärgernis der Verlagsbranche räumt<br />
die Bundesregierung dagegen garantiert aus: Für<br />
Hörbücher sinkt der Mehrwertsteuersatz zum 1.<br />
Januar 2015 von 19 auf 7 Prozent. Die Ermäßigung<br />
gilt aber nur für solche Hörbücher, die auf Datenträgern<br />
wie CDs gespeichert sind. Aus dem Internet<br />
heruntergeladene Werke unterliegen dagegen weiterhin<br />
dem regulären Satz – wegen des EU-Rechts.<br />
Allerdings verzweifeln Schäubles Beamte an der<br />
Frage: Was ist ein Hörbuch? Eine Definition ist notwendig,<br />
denn Hörspiele müssen – im Gegensatz zu<br />
Hörbüchern – wegen des Unionsrechts weiterhin<br />
mit 19 Prozent besteuert werden. Als Unterscheidungskriterien<br />
diskutieren die Beamten nun die<br />
Dauer der musikalischen Einlagen zwischen den<br />
Textelementen oder die Beteiligung von Drehbuchautoren.<br />
„Derzeit lässt sich keine verbindliche Aussage<br />
zur Abgrenzungsproblematik treffen“, heißt es<br />
aus dem Finanzministerium. Dabei drängt die Zeit.<br />
Der Fall zeigt einmal mehr, welchen Rattenschwanz<br />
die Einführung von steuerlichen Sonderregelungen<br />
nach sich zieht. Der Vorstoß, einen<br />
einheitlichen, unter 19 Prozent liegenden Mehrwertsteuersatz<br />
einzuführen, war indes unter der<br />
vorherigen Koalition sang- und klanglos gescheitert,<br />
obwohl Schäuble dies befürwortete. Aber die<br />
alte Koalition befürchtete einen öffentlichen Aufschrei,<br />
weil damit der Wegfall des ermäßigten Satzes<br />
von sieben Prozent verbunden gewesen wäre.<br />
christian.ramthun@wiwo.de | Berlin<br />
Papierlose<br />
Bestseller<br />
Umsatzanteil von<br />
E-Books am deutschen<br />
Buchmarkt (in Prozent)*<br />
0,8<br />
0,5<br />
2,4<br />
2010 11 12<br />
3,9<br />
4,9<br />
13 14**<br />
* privater Bedarf (ohne Schul- und<br />
Fachbücher); ** 1. Halbjahr;<br />
Quelle: GfK<br />
10 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
FOTOS: DPA PICTURE-ALLIANCE/BERND VON JUTRCZENKA, LARS LANGEMEIER, BLOOMBERG NEWS/DONNA ABU-NASR<br />
COCA-COLA<br />
Geld für Start-ups<br />
#Megafail<br />
Worüber sich Kunden bei Facebook und Twitter am meisten beschweren<br />
Über diese<br />
Branchen<br />
beschweren<br />
sich Kunden<br />
besonders<br />
häufig<br />
Banken und Versicherungen<br />
22 %<br />
Industrie<br />
18 %<br />
IT und Telekommunikation<br />
18 %<br />
Verkehr und Touristik<br />
15 %<br />
Handel<br />
12 %<br />
Medien<br />
6 %<br />
Wenn Hendrick Steckhan,<br />
Deutschland-Chef von Coca-<br />
Cola, nicht weiß, was er am<br />
Abend essen will, hilft ihm nun<br />
das Berliner Start-up Homeeat-Home.<br />
Es stellte in der<br />
Deutschland-Zentrale in Berlin<br />
einen Kühlschrank auf und füllte<br />
ihn mit Zutaten für „Tempura<br />
<strong>vom</strong> Kräutersaitling“ oder<br />
„Orecchiette al pomodoro secco“<br />
– portioniert für eine Person<br />
oder zwei, abgepackt und mit<br />
Kochanleitung. Auch Steckhans<br />
Mitarbeiter dürfen zugreifen.<br />
Das Start-up, das in dieser<br />
Woche loslegt, ist das erste<br />
deutsche, dass unter den Fittichen<br />
von Coca-Cola entstand.<br />
Der Brauseriese rekrutierte erfahrene<br />
Gründer für ein eigenes<br />
Accelerator-Programm, deren<br />
neue Ideen er finanziert. „Ihr<br />
könnt alles machen außer Getränke“,<br />
erinnert sich Homeeat-Home-Gründer<br />
Sebastian<br />
Esser an die Vorgabe.<br />
Inzwischen finanziert der<br />
Konzern Start-ups in neun<br />
Städten. Demnächst sollen noch<br />
London und ein Standort in<br />
China dazukommen. Coca-Cola<br />
hofft auf lukrative Beteiligungen.<br />
„Einige Start-ups in unserem<br />
Portfolio haben das Potenzial,<br />
ein Milliardenunternehmen zu<br />
werden“, sagt Marius Swart,<br />
Direktor des Accelerator-Programms.<br />
Zudem sollen Synergien<br />
beiden Seiten helfen. So bekommt<br />
Home-eat-Home über<br />
den Getränkeriesen bessere<br />
Konditionen für die Kühlstationen.<br />
Nun stellt das Start-up die<br />
ersten Kühlschränke in Berliner<br />
Fitnessstudios, Bürohäusern<br />
und Kiosken auf.<br />
oliver.voss@wiwo.de<br />
Erfrischend neu<br />
Coca-Cola-Manager<br />
Steckhan<br />
Qualitätsprobleme<br />
37 %<br />
Unfreundlichkeit<br />
11 %<br />
Aufgeschnappt<br />
Weißes Haus im Irak Der kurdische<br />
Geschäftsmann Shihab N.<br />
Shihab lässt sich in der nordirakischen<br />
Stadt Erbil das Weiße<br />
Haus nachbauen – nur etwa<br />
50 Kilometer weiter beginnt das<br />
Gebiet, das die Terrorgruppe<br />
„IS“ kontrolliert. Der 20 Millionen<br />
Dollar teure Bau soll in vier<br />
Monaten fertig sein. Im Gegensatz<br />
zum Original in Washington<br />
gibt es dort auch ein türkisches<br />
Bad. „Obama muss sein Schlafzimmer<br />
nach Ablauf der Amtszeit<br />
verlassen“, sagt Shihab,<br />
„ich behalte es bis an mein Lebensende.“<br />
3-D-Druck bei der Post Die<br />
Schweizer Post stellt mit einem<br />
Partner 3-D-Drucker in ausgewählten<br />
Filialen auf. Kunden<br />
können dort beispielsweise personalisierte<br />
Schmuckstücke<br />
erstellen. Wer davon begeistert<br />
ist, kann auch gleich einen<br />
Drucker für den Hausgebrauch<br />
kaufen.<br />
? #<br />
Quelle: Attensity, Auswertung von 1,1 Mio. deutschsprachigen Beiträgen zwischen Januar und September 2014, davon 9100 kritische Äußerungen<br />
!<br />
%<br />
*<br />
€<br />
KARSTADT SPORTS<br />
Sportliche<br />
Verluste<br />
„Paket der Grausamkeiten“<br />
haben Betriebsräte die Sparaktionen<br />
des neuen Karstadt-<br />
Eigentümers René Benko getauft.<br />
Er will nicht nur bei den<br />
klassischen Warenhäusern den<br />
Rotstift zücken, sondern plant<br />
jetzt auch beim Ableger Karstadt<br />
Sports Einschnitte. So stehen<br />
nach Angaben der Gewerkschaft<br />
Verdi unter anderem das<br />
Weihnachts- und Urlaubsgeld<br />
für die knapp 1300 Mitarbeiter<br />
auf dem Prüfstand.<br />
Wie die Warenhäuser steckt<br />
auch Karstadt Sports tief in der<br />
Verlustzone. Das zeigen neue<br />
Geschäftszahlen des Unternehmens.<br />
So rechnet das Management<br />
der Filialkette für<br />
das Geschäftsjahr 2013/14 mit<br />
einem Minus „in einstelliger<br />
Millionenhöhe“. Das Defizit<br />
werde sogar noch höher ausfallen<br />
als im Vorjahr. Damals<br />
hatten die 27 Sporthäuser 239<br />
Millionen Euro Umsatz erzielt<br />
und einen Verlust von 4,3 Millionen<br />
Euro verbucht. Ein<br />
„straffes Kostenmanagement“<br />
soll 2014/15 die Wende bringen,<br />
Ziel sei dann ein „nahezu<br />
ausgeglichenes Ergebnis“,<br />
heißt es im Geschäftsbericht.<br />
Inkompetenz<br />
19 %<br />
henryk.hielscher@wiwo.de<br />
Wann Kunden am<br />
häufigsten schimpfen<br />
17 %<br />
8 %<br />
Mo Di Mi Do Fr Sa So<br />
zu hoher Preis<br />
10 %<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 11<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
BÖCKLER-STIFTUNG<br />
Studie als<br />
Glücksspiel<br />
Im Oktober veröffentlichte das<br />
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche<br />
Institut der Hans<br />
Böckler Stiftung (WSI) unter<br />
dem Vorsitz von DGB-Chef<br />
Rainer Hoffmann eine Studie<br />
zur Geschlechterdiskriminierung.<br />
Ergebnis: Vollbeschäftigte<br />
Frauen verdienen brutto<br />
monatlich je nach Beruf zwischen<br />
6 und 28 Prozent weniger<br />
als Männer. Doch die Methode<br />
gibt Anlass zu Zweifeln, denn<br />
das Institut verknüpfte die Gehaltsstudie<br />
mit einem Gewinnspiel.<br />
Für die Angabe des Berufs<br />
und Gehalts lobt die Seite lohnspiegel.de<br />
Jahresgewinne von<br />
bis zu 1500 Euro aus. „Die Behauptung,<br />
dass Chemikerinnen<br />
18 Prozent weniger verdienen<br />
als Chemiker, basiert auf den<br />
Angaben von gerade einmal 54<br />
Frauen“, sagt Professor Arnd<br />
Diringer von den Hochschule<br />
Ludwigsburg. Bei anderen Berufen<br />
antworteten noch weniger.<br />
Das WSI räumt ein, dass die<br />
Ergebnisse nicht repräsentativ<br />
seien. Die Methode, so das WSI,<br />
liefere aber „interessante Orientierungsdaten“.<br />
konrad.handschuch@wiwo.de<br />
Äußerst fragwürdige Daten<br />
DGB-Chef Hoffmann<br />
INTERVIEW Ralf Teckentrup<br />
»Das Engagement verstößt<br />
gegen europäisches Recht«<br />
Der Chef des Ferienfliegers Condor fordert, die Hilfe<br />
für Air Berlin sofort zu stoppen. Gegen die neue Billiglinie<br />
der Lufthansa hat er sich gewappnet.<br />
Herr Teckentrup, fühlen Sie<br />
sich alleingelassen in der deutschen<br />
Flugbranche?<br />
Nein, warum?<br />
Sie gehören zu den wenigen<br />
Unternehmern, die offen gegen<br />
das Engagement der arabischen<br />
Fluglinie Etihad bei Air<br />
Berlin protestieren.<br />
Das täuscht. Viele Unternehmen<br />
auch aus anderen europäischen<br />
Ländern denken wie ich.<br />
Ich bin höchstens etwas deutlicher.<br />
Denn kurz nachdem das<br />
Bundesverkehrsministerium<br />
Air Berlin und Etihad Gemeinschaftsflüge<br />
praktisch verboten<br />
hatte, wollten die beiden die eigentlich<br />
untersagte Route Berlin–Abu<br />
Dhabi statt einmal nun<br />
zweimal täglich fliegen. Das ist<br />
schon ein starkes Stück. Dabei<br />
ist das Engagement in seiner<br />
jetzigen Form ein unfairer Wettbewerb<br />
und gegen europäisches<br />
Recht.<br />
Woran machen Sie das fest?<br />
Air Berlin hat mit Etihad einen<br />
Aktionär von außerhalb Europas.<br />
Der hat vielleicht nicht die<br />
Mehrheit der Stimmrechte,<br />
aber nach meiner Wahrnehmung<br />
die unternehmerische<br />
DER LENKER<br />
Teckentrup,<br />
57, leitet den<br />
Ferienflieger<br />
Condor, eine<br />
Tochter des<br />
Reisekonzerns<br />
Thomas Cook.<br />
Zuvor arbeitete<br />
der Diplom-<br />
Wirtschaftsingenieur<br />
für<br />
die Lufthansa.<br />
Kontrolle. Bereits das wäre gegen<br />
europäisches Recht. Dazu<br />
hat Etihad in den vergangenen<br />
Jahren 800 Millionen Euro in<br />
Air Berlin gesteckt. Weil hinter<br />
Etihad letztlich das Emirat Abu<br />
Dhabi steht, sind das Staatsgelder<br />
und damit ein Verstoß gegen<br />
europäisches Beihilferecht.<br />
In welcher Form trifft Sie das?<br />
Die jüngste Finanzierungsrunde<br />
von 300 Millionen Euro erlaubt<br />
es Air Berlin, in diesem<br />
Jahr jedes der rund 30 Millionen<br />
Tickets im Schnitt zehn<br />
Euro billiger anzubieten. Das ist<br />
in unserer Branche, wo Kunden<br />
wegen ein paar Euro Ersparnis<br />
die Fluglinie wechseln, ein Riesenunterschied<br />
und kostet uns<br />
viel Geschäft.<br />
Billigflieger wie Ryanair oder<br />
Norwegian können Condor<br />
doch viel heftiger zusetzen.<br />
Aber die tragen ihre Verluste<br />
selbst. Bei Air Berlin tut das ein<br />
Unternehmen, hinter dem ein<br />
Staat steht. In solchen Fällen ist<br />
die Politik bisher immer eingeschritten.<br />
Wollen Sie, dass Air Berlin<br />
das Geld zurückzahlt oder verschwindet?<br />
Nein, aber ein sofortiges Ende<br />
der Hilfen und eine profitable<br />
Air Berlin. Fluglinien stoppen<br />
Verluste am schnellsten, wenn<br />
sie Verluststrecken streichen.<br />
Dann bleiben ein gesunder<br />
Kern und nachhaltige Jobs. Wir<br />
hätten bei einer kleineren Air<br />
Berlin wohl fünf oder zehn<br />
Flugzeuge mehr und auch ein<br />
paar Hundert Jobs mehr.<br />
Und bekämen höhere Preise.<br />
Das wäre schön. Doch in der<br />
Regel gilt: Gibt eine Airline Strecken<br />
auf, gehen effizientere Airlines<br />
rein, die dort mit den gleichen<br />
Preisen Geld verdienen.<br />
Sind Sie besorgt über die neuen<br />
Langstrecken-Billigflieger<br />
der Lufthansa?<br />
Mein Naturell ist immer besorgt,<br />
weil in der Flugbranche<br />
ständig unvorhersehbare Dinge<br />
wie Streiks das Geschäft durcheinanderbringen.<br />
Doch wenn<br />
ich unsere Kosten mit denen<br />
der Lufthansa vergleiche, bin<br />
ich wieder beruhigt.<br />
Lufthansa will die Betriebskosten<br />
dort um 20 Prozent senken.<br />
Die Lufthansa-Flüge in Urlaubsgebiete<br />
sorgen dort für<br />
Überkapazität und Preiswettbewerb.<br />
Das verdirbt für eine<br />
Weile die Preise. Aber wenn die<br />
Verluste zu hoch werden, steigt<br />
einer aus, und die Lage wird<br />
wieder ruhiger.<br />
Rettet das die Lufthansa?<br />
Da bin ich nicht sicher. Wer mit<br />
heute mehr als 100 Langstreckenflugzeugen<br />
nicht genug<br />
Geld verdient, löst sein Problem<br />
nicht automatisch, wenn gut<br />
ein Dutzend davon etwas anderes<br />
macht.<br />
Die Lufthansa plant, dass die<br />
türkische Gesellschaft Sun<br />
Express einige der Lufthansa-<br />
Langstreckenflüge durchführt.<br />
Hätten Sie den Auftrag auch<br />
gerne übernommen?<br />
Das hätte ich mir vorstellen<br />
können, zumal wir ja bei der<br />
touristischen Langstrecke eine<br />
gewisse Kompetenz haben.<br />
Aber es sieht nicht danach aus.<br />
Doch wir würden uns Gesprächen<br />
auch nicht verschließen.<br />
ruediger.kiani-kress@wiwo.de<br />
FOTOS: HOLGER PETERS, LAIF/HANS CHRISTIAN PLAMBECK, GETTY IMAGES/HANNELORE FOERSTER, PR<br />
12 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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ESCADA<br />
Dringend<br />
Chef gesucht<br />
MITTELMEER<br />
Krach um<br />
Öl und Gas<br />
Der wichtigste Job ist nicht aufgeführt<br />
unter den Stellenangeboten<br />
auf der Firmen-Web-Site:<br />
Das Luxus-Modehaus Escada<br />
aus Aschheim bei München<br />
sucht einen Chef. Der bisherige<br />
Vorstandsvorsitzende Bruno<br />
Sälzer, 57, hat sein Büro schon<br />
geräumt. Der Manager, Ex-Chef<br />
von Hugo Boss und seit 2008 an<br />
der Escada-Spitze, hatte bereits<br />
im Februar angekündigt, dass<br />
er seinen Ende November auslaufenden<br />
Vertrag nicht verlängert.<br />
Spätestens seitdem<br />
lässt Escada-Eignerin Megha<br />
Mittal, die das Unternehmen<br />
2009 aus der Insolvenz herausgekauft<br />
hatte, nach einem<br />
Nachfolger fahnden – bislang<br />
offenbar erfolglos. Bei Escada<br />
war niemand für einen Kommentar<br />
zu erreichen.<br />
Die Stellung beim Damenschneider<br />
hält Jörg Wahlers, der<br />
für Finanzen und das operative<br />
STARAMBA<br />
Popstars aus<br />
Plastik<br />
Die Fans von Lady Gaga und<br />
Helene Fischer werden wohl<br />
schon in Kürze mit einem völlig<br />
neuen Merchandising-Produkt<br />
beglückt. Das Berliner Start-up<br />
Staramba will Figuren der Sängerinnen<br />
mit 3-D-Druckern<br />
herstellen. Die Fans sollen dabei<br />
ihren Idolen ganz nah kommen:<br />
Staramba kann auch die<br />
Fans einscannen und dann als<br />
Figur neben jene der Stars positionieren.<br />
Den ersten Praxistest<br />
hat das Unternehmen auf der<br />
Tournee der US-Rockband Linkin<br />
Park absolviert. Nun haben<br />
die Berliner einen Rahmenvertrag<br />
mit dem weltgrößten Plattenlabel<br />
Universal Music ge-<br />
Geschäft zuständig ist. Er sitzt<br />
seit Mai 2014 im Escada-Vorstand<br />
und kam <strong>vom</strong> Keramikhersteller<br />
Villeroy & Boch. Anders<br />
als Sälzer gilt er nicht als<br />
Modeexperte. Am Sitz des Unternehmens<br />
breiteten sich Unruhe<br />
und Unsicherheit über<br />
den künftigen Kurs aus, heißt es<br />
in Branchenkreisen. Sälzer<br />
steigt am 1. Dezember als Chef<br />
schlossen. „Wir werden<br />
zunächst mit den wichtigsten<br />
50 Künstlern des Labels zusammenarbeiten“,<br />
sagt<br />
Staramba-Geschäftsführer<br />
Christian Daudert.<br />
Mit Aloe<br />
Blacc („I need a<br />
Dollar“) oder One<br />
Republik („Counting<br />
Stars“) ist das Unternehmen<br />
einig, Helene<br />
Fischer soll demnächst<br />
gescannt<br />
werden. „Lady<br />
Gaga hat auch<br />
schon eine Kostprobe<br />
unserer Technik<br />
gesehen und<br />
war begeistert“,<br />
Popstar zum<br />
Anfassen<br />
Sänger<br />
Aloe Blacc<br />
Nur die Modepuppen bleiben<br />
ruhig Escada-Eignerin Mittal<br />
beim Streetwear-Label Bench<br />
ein und beteiligt sich mit 15<br />
Prozent am Unternehmen aus<br />
Manchester. Es gehört seit Februar<br />
2014 der Münchner Beteiligungsgesellschaft<br />
Emeram<br />
Capital Partners.<br />
peter.steinkirchner@wiwo.de<br />
sagt Daudert. „Wir stehen kurz<br />
vor einem Vertrag.“<br />
Auch mit einigen großen<br />
Bundesligaclubs und dem FC<br />
Chelsea verhandelt Staramba.<br />
Das Start-up gehört<br />
zur börsennotierten<br />
Social<br />
Commerce<br />
Group, an der<br />
auch Ex-<br />
Fußballer<br />
wie Fredi<br />
Bobic beteiligt<br />
sind. Zudem<br />
ist Staramba für die<br />
kommenden 14 Jahre<br />
exklusiver Hersteller<br />
von 3-D-Druck-<br />
Figuren der Disney-<br />
Tochter Marvel, dem<br />
Rechteinhaber von<br />
Comics.<br />
martin.seiwert<br />
@wiwo.de | New York<br />
Der vor einer Woche geschlossene<br />
Pakt zwischen Ägypten,<br />
Griechenland und Zypern<br />
verschiebt politische und wirtschaftliche<br />
Prioritäten im östlichen<br />
Mittelmeer. Gemeinsam<br />
wollen die Länder von<br />
den frisch georteten Erdgasund<br />
Erdölvorkommen südlich<br />
Zyperns profitieren und bringen<br />
damit die Türkei gegen<br />
sich auf. Der Konflikt könnte<br />
weitreichende Folgen haben.<br />
Schon wirft die ägyptische<br />
Tageszeitung „Al-Watan“ dem<br />
Erdogan-Regime in Ankara<br />
vor, Ägypten „de facto den<br />
Krieg zu erklären“, weil der<br />
Sprecher der türkischen<br />
Kriegsmarine bereits mit der<br />
Gefechtsbereitschaft seiner<br />
Flotte drohte. Aus dem Präsidentenpalast<br />
in Kairo verlautet,<br />
Ägypten halte sich an den<br />
UN-Vertrag von 1982 zur Regelung<br />
von Territorialgewässern.<br />
Doch Ägyptens Staatspräsident<br />
Abdl al-Fatah<br />
as-Sisi, sein zypriotischer<br />
Amtskollege Dimitris Christofias<br />
und der griechische<br />
Ministerpräsident Andonis<br />
Samaras warnten auf ihrem<br />
Kairo-Treff, „die Wirtschaftsregionen<br />
von Küstenanrainerstaaten“<br />
zu schützen.<br />
Westliche Diplomaten befürchten<br />
Militäraktionen und<br />
eine Verhärtung der politischen<br />
Fronten. Die meisten<br />
arabischen Staaten unterhalten<br />
seit Jahrzehnten freundschaftliche<br />
Beziehungen zu<br />
Athen und Nikosia.<br />
Ägypten reaktiviert alte<br />
Pläne einer Unterwasser-Erdgaspipeline<br />
nach Zypern.<br />
Griechische und ägyptische<br />
Fachkreise wiesen darauf hin,<br />
dass die Erdgasfelder „viel<br />
weiter“ als bisher angenommen<br />
reichten – nach Südosten<br />
in Richtung Ägypten.<br />
volkhard windfuhr | mdw@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 13<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
TOYOTA<br />
Teurer<br />
Wasserstoff<br />
An diesem Montag um Mitternacht<br />
unserer Zeit gibt der japanische<br />
Autohersteller Toyota<br />
in Tokio den Preis und Namen<br />
des ersten Brennstoffzellenautos<br />
in Großserie bekannt. Nach<br />
Informationen aus dem Unternehmen<br />
heißt die viertürige<br />
Limousine Mirai (japanisch für<br />
Zukunft) und kostet knapp<br />
79 000 Euro.<br />
Der Wagen ist der Stolz des<br />
Toyota-Präsidenten Akio<br />
Toyoda. Denn die Brennstoffzelle<br />
erzeugt den Fahrstrom für<br />
den Elektroantrieb mithilfe von<br />
Wasserstoff. Aus dem Auspuff<br />
entweicht nur Wasser. Die<br />
Reichweite liegt bei rund 500<br />
Kilometern, deutlich über der<br />
batteriebetriebener Autos,<br />
die meist nach spätestens 200<br />
Kilometern an die Steckdose<br />
müssen.<br />
Ein Problem des Brennstoffzellenautos<br />
sind jedoch die<br />
Tankstellen. In Deutschland<br />
500 Kilometer Reichweite<br />
Toyotas Wasserstoff-Auto<br />
TOP-TERMINE VOM 17.11. BIS 23.11.<br />
17.11. Werbung Der Bundesgerichtshof entscheidet am<br />
Montag, wie weit Werbung gehen darf. Die Molkerei<br />
Ehrmann bietet ihren Früchtequark Monsterbacke<br />
mit dem Spruch<br />
an: „So wichtig wie<br />
das tägliche Glas<br />
Milch“. Dagegen<br />
klagt die Wettbewerbszentrale,<br />
weil das<br />
Argument nicht stimme.<br />
18.11. Sal. Oppenheim Thomas Middelhoff, Ex-Chef der<br />
Arcandor-Gruppe mit Karstadt, fordert <strong>vom</strong> Bankhaus<br />
Sal. Oppenheim 30 Millionen Euro zurück,<br />
weil es ihn falsch beraten habe. Am Dienstag beginnt<br />
das Zivilverfahren vor dem Landgericht Köln.<br />
Krankenkasse Das Bundessozialgericht verhandelt<br />
darüber, ob es zwingend erforderlich ist, dass<br />
auf der Gesundheitskarte ein Foto des Inhabers ist.<br />
Patentschutz Spanien und Italien lehnen das<br />
EU-Patent ab und haben dagegen vor dem<br />
Europäischen Gerichtshof geklagt, dem jetzt ein<br />
Gutachten dazu vorgetragen wird.<br />
19.11. Zins Die US-Notenbank veröffentlicht am Mittwoch<br />
das Protokoll der vergangenen Zinssitzung.<br />
20.11. Bankerboni Ist die von der EU verordnete Deckelung<br />
der Bankerboni rechtmäßig? Dazu erhält der<br />
EU-Gerichtshof am Donnerstag ein Gutachten.<br />
Gegen die Regelung klagt die britische Regierung.<br />
E-Zigaretten Das Bundesverwaltungsgericht<br />
entscheidet darüber, ob E-Zigaretten frei verkauft<br />
werden dürfen oder zulassungspflichtige Medikamente<br />
sind.<br />
US-Konjunktur In den USA werden die Inflationsrate<br />
und das Konjunkturbarometer, ein Sammelindex<br />
aus zehn Frühindikatoren, veröffentlicht.<br />
MIETPREISBREMSE<br />
Hohe Kosten<br />
für Städte<br />
Die Mietpreisbremse, die der<br />
Bund 2015 einführt, beschert<br />
den Kommunen hohe Kosten.<br />
Wird eine Wohnung wieder vermietet,<br />
darf die Miete künftig<br />
höchstens zehn Prozent über<br />
dem ortsüblichen Niveau liegen.<br />
Um das zu überwachen,<br />
brauchen Städte, die die Mietsteigerung<br />
begrenzen sollen,<br />
verlässliche Daten über die<br />
Höhe der Mieten in einzelnen<br />
Stadtteilen und Straßenzügen.<br />
„Bremen etwa hat keinen qualifizierten<br />
Mietspiegel erstellt, in<br />
Berlin ist das Raster mit nur drei<br />
unterschiedlichen Wohnlagen<br />
relativ grob“, sagt Sebastian<br />
Hein, Leiter Marktforschung<br />
bei Empirica-Systeme. Die Berliner<br />
analysieren bundesweit<br />
die Preise der Neuvermietungen<br />
– bisher vor allem für Großvermieter.<br />
Inzwischen arbeiten<br />
auch Hamburg, Dortmund und<br />
Aachen mit den Daten.<br />
Um einen Mietspiegel anzufertigen,<br />
zahlten kleinere Städte<br />
an Berater rund 40 000 Euro.<br />
Zudem müssen die Spiegel stetig<br />
aktualisiert werden, das kostet<br />
extra. Zudem kritisiert Hein :<br />
„Selbst genaue Mietspiegel<br />
dürften nicht immer gerichtsfest<br />
sein.“<br />
heike.schwerdtfeger@wiwo.de | Frankfurt<br />
gibt es derzeit nur 16 Zapfsäulen<br />
für Wasserstoff.<br />
Von der Toyota-Entwicklung<br />
wird auch der bayrische Kooperationspartner<br />
BMW profitieren.<br />
BMW bestätigte, dass ein<br />
Brennstoffzellenauto mit der<br />
Toyota-Technik kommt, die an<br />
die Wünsche von BMW angepasst<br />
wurde.<br />
Vermutlich wird das BMW-<br />
Modell mehr Leistung haben<br />
als die 150-PS-Variante der<br />
Japaner. Insider rechnen mit<br />
einer Markteinführung 2016.<br />
juergen.rees@wiwo.de<br />
DEKRA-AWARD<br />
Sieger geehrt<br />
Wie verhindert man psychische<br />
Erkrankungen am Arbeitsplatz?<br />
Und wie behält man die Übersicht<br />
über all die Stoffe, die in<br />
der Produktion anfallen? Beispielhafte<br />
Projekte zu solchen<br />
Fragen wurden bei einem Festakt<br />
im Mercedes-Museum<br />
Stuttgart mit dem Dekra-Award<br />
Dekra-Chef Stefan Kölbl (Dritter<br />
von links) feiert mit den Siegern<br />
2014 ausgezeichnet. Die Sieger:<br />
SBS Feintechnik aus Schonach,<br />
die EnBW Energie Baden-Württemberg<br />
aus Karlsruhe sowie<br />
der Maschinenbauer Voith aus<br />
Heidenheim. Ausgelobt wurde<br />
der Preis von der Dekra Certification<br />
Group und der WirtschaftsWoche.<br />
franz.rother@wiwo.de<br />
FOTOS: PR (2), KARL-HEINZ AUGUSTIN<br />
14 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
CHEFSESSEL<br />
START-UP<br />
HYUNDAI<br />
Jochen Sengpiehl, 44,<br />
Erfinder des VW-Slogans<br />
„Das Auto“, positioniert nun<br />
den koreanischen Rivalen<br />
Hyundai neu. Hyundai hatte<br />
VW-Konzernchef Martin<br />
Winterkorn mit tadelloser<br />
Verarbeitung verblüfft: „Da<br />
scheppert nix.“ Bereits diese<br />
Woche beginnt der frühere<br />
Marketingchef von Volkswagen<br />
als neuer Vicepresident<br />
von Hyundai Motor Europe<br />
in Offenbach. Er wird dort<br />
eng mit dem früheren Audi-<br />
Gestalter Peter Schreyer zusammenarbeiten,<br />
der heute<br />
das weltweite Design von Kia<br />
und Hyundai verantwortet.<br />
FORD<br />
Jim Farley, 52, bisher Marketing-Chef<br />
von Ford, zieht<br />
zum Jahresbeginn von Detroit<br />
nach Köln um. Dort<br />
wird er das Europageschäft<br />
lenken. Schafft der erfolgsverwöhnte<br />
Farley die Wende<br />
des defizitären Europageschäfts,<br />
könnte der Job zum<br />
Karriere-Turbo werden.<br />
Der bisherige Europachef,<br />
Stephen Odell, 59, wechselt<br />
auf Farleys alte Position.<br />
RITTER<br />
Alfred Ritter, 61, gibt die<br />
Führung des Schokoladenherstellers<br />
Ritter Sport im Januar<br />
an einen familienfremden<br />
Manager ab, an den bisherigen<br />
Technik-Chef Andreas<br />
Ronken, 48. Ritter wechselt<br />
dann auf den Vorsitz des<br />
Beirats und löst dort seine<br />
Schwester Marli Hoppe-Ritter<br />
ab. Die Kinder von Alfred Ritter<br />
und seiner Schwester sind<br />
als Gesellschafter und Mitglieder<br />
des Beirats mit dem Unternehmen<br />
verbunden. Ritter<br />
hatte 2005, als die Firma in der<br />
Krise steckte, einen familienfremden<br />
Chef abgelöst.<br />
CERN<br />
Fabiola Gianotti, 52, wird<br />
im Januar 2016 Leiterin der<br />
Weltmaschine und folgt so auf<br />
den Deutschen Rolf-Dieter<br />
Heuer, 66. Die Italienerin erhält<br />
einen der derzeit wichtigsten<br />
– und spannendsten –<br />
Spitzenjobs in der Wissenschaft.<br />
Knapp 15 000 Mitarbeiter<br />
und Gastforscher versuchen<br />
am Cern in Genf herauszufinden,<br />
was die Welt im<br />
Innersten zusammenhält.<br />
SCHACH-WELTMEISTERSCHAFT<br />
1,3 Millionen Norweger<br />
verfolgten den Auftakt der Schach-WM live am Fernsehen – mehr<br />
als ein Viertel der Bevölkerung. Oslos Bürgermeister fürchtet gar,<br />
dass die Titelverteidigung des Norwegers Magnus Carlsen auf<br />
die Produktivität schlägt: „Die Arbeit darf nicht leiden, wenn<br />
unsere Angestellten während der Arbeitszeit die WM schauen.“<br />
UNLOCK YOUR BRAIN<br />
Beim Handy-Entsperren lernen<br />
„32 Mal entsperren Smartphone-Nutzer im Schnitt jeden Tag ihr<br />
Telefon“, sagt Simon Smend (links). Der Gründer macht daraus<br />
ein Geschäft; mit seinem Partner Felix Nienstädt hat er eine<br />
App zum Lernen und Gehirntrainieren entwickelt, die genau dort<br />
ansetzt. Statt wie üblich die PIN einzugeben, muss der Nutzer mit<br />
der App eine kleine Aufgabe lösen, wenn er sein Smartphone starten<br />
will. Je nach Interesse kann er dabei Vokabeln pauken, rechnen<br />
oder sich anderes Wissen aneignen. „Ich nutze das gerade für<br />
Tastaturkombinationen für Excel und Word“, sagt Smend. 2000 Varianten<br />
gibt es schon, mehr als die Hälfte davon haben die Nutzer<br />
selbst erstellt, denn jeder kann nach Bedarf eigene Übungen eingeben.<br />
„Derzeit kommen 20 Pakete pro Tag hinzu“, sagt Smend,<br />
der früher bei Rocket Internet auch für Zalando gearbeitet hat.<br />
Wer eilig sein Telefon braucht, darf die Übungen jederzeit überspringen,<br />
die normale PIN-Abfrage kann er aus Sicherheitsgründen<br />
zusätzlich beibehalten.<br />
Unlock your Brain ist kostenlos, Geld verdient das Start-up bisher<br />
mit Werbung. „Im nächsten Jahr sollen kostenpflichtige Inhalte<br />
hinzukommen“, sagt<br />
Fakten zum Unternehmen<br />
Finanzierung von Business<br />
Angels Christophe Maire und<br />
Torsten Oelke eine mittlere<br />
sechsstellige Summe<br />
Kunden täglich 30 000 Nutzer,<br />
insgesamt 480 000 Downloads<br />
Smend. Zudem tüfteln<br />
die Berliner auch an einem<br />
Angebot für das<br />
iPhone. Das Programm<br />
wird jedoch etwas anders<br />
aussehen, denn Apple erlaubt<br />
nicht den Zugriff auf<br />
den Startbildschirm.<br />
oliver.voss@wiwo.de<br />
FOTOS: PR, MAX THRELFALL, BILDAGENTUR-ONLINE/KERPA-MCPHOTO<br />
16 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Menschen der Wirtschaft | Chefbüro<br />
Christian Schmidt<br />
Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft<br />
360 Grad<br />
In unseren App-<br />
<strong>Ausgabe</strong>n finden<br />
Sie an dieser<br />
Stelle ein interaktives<br />
360°-Bild<br />
So richtig hat sich Christian<br />
Schmidt , 57, noch nicht in der<br />
Berliner Wilhelmstraße 54<br />
eingerichtet. Die „Stallungen“<br />
von Franz Marc hängen immer<br />
noch an der Wand, eine bescheidene<br />
Kopie. Ilse Aigner,<br />
die Vorvorgängerin von Bundeslandwirtschaftsminister<br />
Schmidt, ließ sie einst anbringen.<br />
Einige Bücher hat Schmidt<br />
auf dem Sideboard abgelegt, zu<br />
denen er in nächtlichen Stunden<br />
greift oder für lange Autofahrten<br />
einpackt. „Die Schlafwandler“<br />
von Christopher Clark<br />
und Henry Kissingers „Weltordnung“<br />
zählen dazu. Militär<br />
und Außenpolitik waren Teil<br />
von Schmidts vorherigem<br />
Leben als<br />
Parlamentarischer<br />
Staatssekretär im Verteidigungsministerium.<br />
Seit Februar dieses<br />
Jahres kümmert<br />
sich der CSU-Politiker<br />
um Kühe, Kartoffeln<br />
und Küstenschutz. Am vergangenen<br />
Donnerstag erörterte<br />
er um 7.30 Uhr mit einem Verbandschef<br />
die kritische Lage<br />
der Hühnerwirtschaft nach<br />
Ausbruch der asiatischen Geflügelpest<br />
in Mecklenburg-Vorpommern.<br />
Um neun Uhr war<br />
Präsenz im Bundestag angesagt,<br />
es ging um Sterbebegleitung<br />
– für den christlich<br />
verwurzelten<br />
Juristen ein bedeutendes<br />
Thema. Zwischendurch<br />
immer<br />
wieder Gespräche<br />
mit Parteifreunden<br />
und Funktionären.<br />
Schmidt gilt als fleißiger<br />
Netzwerker, das protestantische<br />
Arbeitsethos hat den Mittelfranken<br />
geprägt. Ab 13 Uhr<br />
musste er sich im Bundestag in<br />
der Nähe des Haushaltsausschusses<br />
aufhalten. Der hielt<br />
am Donnerstag seine Bereinigungssitzung<br />
für den Bundeshaushalt<br />
2015 ab: Jeder Minister<br />
muss dann vor dem Gremium<br />
antanzen und seinen Einzeletat<br />
verteidigen. Spätabends, wenn<br />
sich andere Politiker nach diversen<br />
Abendveranstaltungen<br />
rund um den Reichstag zu ihren<br />
Apartments chauffieren lassen,<br />
geht Schmidt meist zurück ins<br />
Ministerium.<br />
christian.ramthun@wiwo.de | Berlin<br />
FOTO: WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
18 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Der Steuer-<br />
Chauvinist<br />
STEUERVERMEIDUNG | Die Empörung über die<br />
Schlupflöcher in Luxemburg ist groß. Doch ist sie<br />
auch groß genug, damit die Mitgliedsländer<br />
der EU ihre Steuersysteme künftig fairer gestalten?<br />
20<br />
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Die Vergangenheit<br />
holt ihn ein<br />
Kommissionspräsident<br />
Juncker<br />
FOTO: FRANK ZAURITZ<br />
In seinen 18 Jahren als Premierminister<br />
von Luxemburg hat Jean-Claude<br />
Juncker einiges ausgesessen. Aus der<br />
Schusslinie gehen, lange genug warten<br />
– so erledigten sich Probleme bisher<br />
immer noch von alleine. Doch kaum<br />
im Amt als EU-Kommissionspräsident,<br />
merkt Juncker, dass die Methode diesmal<br />
nicht verfängt. Als er sich vergangene<br />
Woche nach fünf Tagen des Schweigens<br />
endlich zur luxemburgischen Steueraffäre<br />
äußerte, quittierten Europaabgeordnete<br />
seine Rechtfertigungsversuche mit lauten<br />
Buh-Rufen. „Wir erleben Tage der Schmach<br />
für Europa“, resümierte AfD-Parteisprecher<br />
Bernd Lucke in der seiner Partei eigenen<br />
dramatischen Sprache.<br />
Aus heutiger Sicht ist es unwahrscheinlich,<br />
dass Juncker wegen der luxemburgischen<br />
Steuerpolitik, die er als Finanzminister<br />
organisierte und gleichzeitig als Premier<br />
verantwortete, <strong>vom</strong> Posten des Kommissionspräsidenten<br />
zurücktreten muss.<br />
Der große Aufschrei über die unfairen<br />
Praktiken könnte aber neue Dynamik in<br />
den Kampf gegen Steuerschlupflöcher für<br />
Konzerne bringen.<br />
Ein wenig kurios ist es schon: Seit Jahren<br />
ist bekannt, dass Luxemburg großzügige<br />
Steuererleichterungen anbietet, um Unternehmen<br />
ins Land zu locken – und dabei<br />
womöglich auch am Rande der Legalität<br />
agiert. Die EU-Kommission hat wegen entsprechender<br />
Deals mit Amazon und einer<br />
Fiat-Tochter ein Beihilfeverfahren eröffnet<br />
(WirtschaftsWoche 41/2014).<br />
Aber 28 000 Seiten an Dokumenten belegen,<br />
wie der Wirtschaftsprüfer PricewaterhouseCooper<br />
(PwC) für rund 350 Konzerne<br />
die Steuerquote teilweise auf unter ein Prozent<br />
gesenkt hat. Dies hat eine beispiellose<br />
Welle der Empörung über die Steuerpolitik<br />
des Großherzogtums ausgelöst. Hält diese<br />
an, hat das mehrere Gründe: Einerseits ist<br />
Luxemburg mit seiner Praxis beileibe nicht<br />
alleine. Andererseits sind Steuergeschenke<br />
für Konzerne ungerecht gegenüber jenen,<br />
die ihre Steuern bezahlen, ob Privatpersonen<br />
oder Unternehmen. Und es handelt<br />
sich um gigantische Summen: 10 bis 15 Milliarden<br />
Euro pro Jahr, schätzt Clemens<br />
Fuest, Präsident des Zentrums für Europäische<br />
Wirtschaftsforschung, entgehen allein<br />
dem deutschen Fiskus.<br />
Europas Politiker müssen sich nun fragen,<br />
wie viel und welche Art von Steuerwettbewerb<br />
sie für wünschenswert halten –<br />
und wie die Steuerbelastung fairer verteilt<br />
werden kann. Alleine die Durchschnittswerte<br />
lassen aufhorchen. Die 28 EU-Staaten<br />
beziehen 51 Prozent ihres Steueraufkommens<br />
aus Lohnsteuer, 29 Prozent aus<br />
der Besteuerung von Konsum und nur 21<br />
Prozent aus der Besteuerung von Kapital.<br />
In Deutschland liegt der Anteil der Lohnsteuer<br />
mit 56,6 Prozent sogar noch höher.<br />
Auch innerhalb von Unternehmen ist<br />
die Steuerlast nicht fair verteilt. Kleine und<br />
mittlere Unternehmen, die keine Töchter<br />
im Ausland haben und Gewinne verschieben<br />
können, zahlen mehr an den Fiskus.<br />
„Wenn man die Steuerbelastung von Tochtergesellschaften<br />
multinationaler Konzerne<br />
mit der von ansonsten ähnlichen, aber<br />
rein nationalen Unternehmen vergleicht,<br />
liegt die Steuerlast der Multis im Durchschnitt<br />
um 20 bis 30 Prozent niedriger“, so<br />
Steuerexperte Fuest. In Frankreich kam der<br />
Haushaltsausschuss des Parlaments zu<br />
dem Ergebnis, dass große Unternehmen<br />
im Schnitt acht Prozent Körperschaftsteuer<br />
zahlen, kleine dagegen 33 Prozent.<br />
„EINZIGARTIGES STEUERSYSTEM“<br />
Obwohl die Ungerechtigkeit seit Jahren bekannt<br />
ist, werben EU-Mitgliedstaaten ungeniert<br />
mit ihren Schlupflöchern, die sie<br />
freilich nicht so nennen. „Holland bietet<br />
ein sehr wettbewerbsfähiges Steuerklima“,<br />
heißt es in einer Werbebroschüre der niederländischen<br />
Investitionsagentur NFIA.<br />
Nachbar Belgien preist sein „einzigartiges<br />
Steuersystem“, das bei der Unternehmensbesteuerung<br />
„sehr wettbewerbsfähig“ sei.<br />
Aus der Sicht eines einzelnen Landes ergibt<br />
es durchaus Sinn, Unternehmen anzulocken,<br />
die selbst bei einem niedrigen<br />
Steuersatz zusätzliches Geld in die Staatskasse<br />
spülen. In Luxemburg herrscht seit<br />
geraumer Zeit die Logik, dass Finanz- und<br />
Internet-Konzerne Einnahmen bringen,<br />
ohne dass Investitionen in Infrastruktur<br />
notwendig würden, wie das beim Bau einer<br />
Fabrik der Fall wäre.<br />
Kleines Land, ganz groß<br />
Direktinvestitionen<br />
(in Prozent <strong>vom</strong> Bruttoinlandsprodukt)<br />
28 83 132 191 5100<br />
Deutschland<br />
Niederlande<br />
Malta<br />
Belgien<br />
Luxemburg<br />
2013, Bestand, Zahlen gerundet; Quelle: Eurostat<br />
»<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 21<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Sparmodell Niederlande Hauptquartier von Starbucks in Amsterdam<br />
Sparmodell Luxemburg Europa<br />
»<br />
Eine Studie des Internationalen Währungsfonds<br />
(IWF) besagt, dass Steueranreize<br />
Investitionsentscheidungen maßgeblich<br />
beeinflussen: „Die Muster von ausländischen<br />
Direktinvestitionen sind nicht zu<br />
verstehen ohne Bezug zu Steuern.“ Aktuellen<br />
Zahlen des IWF zufolge verfügte das<br />
kleine Luxemburg 2012 über gut zehn Prozent<br />
aller weltweiten ausländischen Direktinvestitionen,<br />
die Niederlande erreichten<br />
fast 16 Prozent, Belgien und Irland weniger<br />
als zwei Prozent.<br />
Dabei machen sich die europäischen<br />
Länder auch untereinander Konkurrenz.<br />
Seit Beginn der Euro-Krise haben immer<br />
mehr Unternehmen aus Südeuropa ihr<br />
Heil in den Niederlanden gesucht, wo spezielle<br />
Regeln ihre Steuerlast senken. Von<br />
den zehn griechischen Unternehmen mit<br />
einem Umsatz von mehr als zwei Milliarden<br />
Euro haben vier eine Holding in den<br />
Niederlanden, ermittelte die niederländische<br />
Tageszeitung „Het Financieele Dagblad“.<br />
In Portugal setzte ein noch stärkerer<br />
Exodus ein. 18 der 20 größten portugiesischen<br />
Unternehmen sind in den Niederlanden<br />
registriert. 20 der 28 größten spanischen<br />
Unternehmen sind in den Niederlanden<br />
ansässig, darunter Schwergewichte<br />
wie Banco Santander, Telefónica, Repsol<br />
und Endesa.<br />
Privatpersonen bekamen in diesen Ländern<br />
die Auflagen der Troika zu spüren,<br />
Unternehmen dagegen fanden einen Ausweg,<br />
um ihren Beitrag zur Sanierung des<br />
öffentlichen Haushalts gerade nicht zu leisten.<br />
Der breiten Öffentlichkeit ist das<br />
schwer zu vermitteln.<br />
Luxleaks hat so ein altbekanntes Problem<br />
in einer neuen Dimension vorgeführt.<br />
Die politische Debatte zeigt allerdings,<br />
dass die alten Abwehrmechanismen<br />
durchaus noch funktionieren. So empörte<br />
sich ausgerechnet der niederländische<br />
Staatssekretär Eric Wiebes, zuständig für<br />
Steuern, es sei „frustrierend“, dass seinem<br />
Land durch die komplizierten Luxemburger<br />
Konstruktionen Steuereinnahmen verloren<br />
gingen. Schuld sind im Zweifel eben<br />
immer die anderen.<br />
16 Prozent der<br />
weltweiten Direktinvestitionen<br />
befinden<br />
sich in den Niederlanden<br />
EINE GRATWANDERUNG<br />
EU-Kommissionspräsident Juncker steht<br />
mittlerweile so unter Druck, dass er aggressive<br />
Steuergestaltung bekämpfen muss, um<br />
Reste seiner Glaubwürdigkeit zu retten. Für<br />
den Politveteranen ist das eine Gratwanderung.<br />
Einerseits herrscht in Luxemburg die<br />
Erwartung, dass er seine Hand schützend<br />
über das Geschäftsmodell des Herzogtums<br />
hält. „Er wird für jeden Cent Investitionen<br />
für sein Land kämpfen“, sagt der Partner einer<br />
der vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften<br />
in Luxemburg.<br />
Politiker des Großherzogtums, die Sonderwege<br />
abgeschafft haben, um sich internationalen<br />
Standards anzupassen, wurden<br />
in der Vergangenheit angefeindet. Als der<br />
damalige Finanzminister Luc Frieden im<br />
Frühjahr vergangenen Jahres etwa ankündigte,<br />
das Bankgeheimnis zu lockern, hagelte<br />
es Kritik. Der Minister müsse erklären,<br />
wie diese Entscheidung mit Fortbestand<br />
des Finanzplatzes Luxemburg zu vereinbaren<br />
sei, forderte die liberale Partei DP,<br />
die mittlerweile an der Regierung ist.<br />
Andererseits wird Juncker in diesem Fall<br />
nun so genau beobachtet, dass er nicht nationale<br />
Interessen vertreten kann. Und weil<br />
er im Wahlkampf unermüdlich betont hat,<br />
er werde sich für ein sozialeres Europa einsetzen,<br />
kann er sich auch nicht auf die Seite<br />
der Steuervermeider stellen.<br />
Vergangene Woche trat er die Flucht<br />
nach vorne an und plädierte für einen automatischen<br />
Austausch von Informationen<br />
über maßgeschneiderte Steuerbescheide<br />
für Unternehmen. Nationale Steuerbehörden<br />
müssten dann nicht mehr explizit<br />
nach den „Rulings“ fragen, wie sie Luxemburg<br />
Amazon und einer Fiat-Tochter zugestanden<br />
hat, wie sie Irland Apple ausgestellt<br />
hat und die Niederlande Starbucks.<br />
All diese Fälle werden gegenwärtig von der<br />
EU-Kommission untersucht.<br />
Den Grünen im Europäischen Parlament<br />
geht Junckers Vorstoß nicht weit genug.<br />
Sie wollen die Einzelabsprachen zwischen<br />
Steuerbehörden und Unternehmen<br />
grundsätzlich veröffentlicht sehen. „Dazu<br />
müsste lediglich die Rechnungslegungsrichtlinie<br />
geändert werden, wozu im Rat<br />
keine Einstimmigkeit notwendig ist“, sagt<br />
der Europaabgeordnete Sven Giegold.<br />
Er fordert für Europa eine gemeinsame<br />
Bemessungsgrundlage und einen Mindeststeuersatz<br />
für die Körperschaftsteuer.<br />
Doch beides ist schwer durchzusetzen,<br />
weil sich die Mitgliedstaaten dagegen<br />
sträuben. 2011 hatte die EU-Kommission<br />
einen Vorschlag für eine gemeinsame Bemessungsgrundlage<br />
unterbreitet, der – wie<br />
FOTOS: GETTY IMAGES/AFP, REUTERS/FRANCOIS LENOIR, REUTERS/STRINGER IRELAND/MICHAEL MACSWEENEY<br />
22 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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-Holding von Amazon<br />
Sparmodell Irland Apple-Niederlassung im Süden der Grünen Insel<br />
alle Steuerangelegenheiten – einstimmig<br />
von den Mitgliedstaaten angenommen<br />
werden müsste. Juncker will das Projekt<br />
nun wiederbeleben. Es hat in seiner bisherigen<br />
Form allerdings einen Schönheitsfehler:<br />
Die gemeinsame Grundlage wäre<br />
freiwillig. Unternehmen könnten sich dafür<br />
entscheiden, das nationale Format beizubehalten.<br />
Mindeststeuersätze hat das Europäische<br />
Parlament in der Vergangenheit schon befürwortet,<br />
2011 stimmten die Abgeordneten<br />
mehrheitlich dafür, ausgeschüttete Gewinne<br />
an Mutterkonzerne immer mit mindestens<br />
70 Prozent des EU-Durchschnittssteuersatzes<br />
von 23,2 Prozent zu besteuern,<br />
also mit 16 Prozent. 2012 haben die Abgeordneten<br />
ebenfalls 16 Prozent als Mindeststeuersatz<br />
in der Richtlinie über eine gemeinsame<br />
Steuerregelung für Zahlungen<br />
von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen<br />
verbundenen Unternehmen in verschiedenen<br />
Mitgliedstaaten empfohlen. Das Problem:<br />
Die Abgeordneten werden nur konsultiert.<br />
„Wir müssen den politischen Druck<br />
auf die Mitgliedstaaten so erhöhen, dass sie<br />
tätig werden“, sagt Burkhard Balz (CDU),<br />
Sprecher für Wirtschaft der EVP-Fraktion.<br />
Zu viel Aktivität haben die Staaten in der<br />
Vergangenheit allerdings vermieden. Vollständige<br />
Berichterstattung über Gewinn,<br />
Steuern und Umsätze Land für Land<br />
(„country-by-country reporting“ im Jargon<br />
der Experten) haben die Mitgliedstaaten<br />
zwar für die Finanzbranche ab 2015 beschlossen,<br />
für den Rest der Wirtschaft aber<br />
auf die lange Bank geschoben. Die Staatsund<br />
Regierungschefs vereinbarten lediglich,<br />
die Kommission solle bis 2018 einen<br />
Bericht vorlegen. Höchste Dringlichkeit<br />
klingt anders. Dabei könnte das genaue He-<br />
runterbrechen von Gewinnen verhindern,<br />
dass diese weiter zwischen Ländern verschoben<br />
werden, um Steuern zu sparen.<br />
Natürlich können EU-Staaten auch national<br />
gegen die Steuerpraktiken ihrer<br />
Nachbarn vorgehen. 2008 etwa führte Bundesfinanzminister<br />
Peer Steinbrück (SPD)<br />
eine Zinsschranke ein. Damit beendete er<br />
den beliebten Trick, dass Konzerne über<br />
Luxemburg ihren deutschen Tochtergesellschaften<br />
hohe Kredite aufbürdeten. Die<br />
Fremdkapitalzinsen drückten so den Gewinn<br />
in Deutschland, während die nach<br />
Luxemburg fließenden Zinseinnahmen<br />
dort nahezu steuerfrei blieben.<br />
Eine Lizenzschranke, wie sie Österreich<br />
bereits hat, könnte Schluss machen mit<br />
dem ebenfalls über Luxemburg praktizierten<br />
Geschäftsmodell, bei dem ein deutsches<br />
Tochterunternehmen hohe Lizenzgebühren<br />
überweist, die hierzulande gewinn-<br />
und steuermindernd wirken. Künftig<br />
könnte es zu einer zusätzlichen Veranlagung<br />
beim deutschen Fiskus kommen,<br />
wenn die Lizenzzahlungen im Zielland mit<br />
weniger als zehn Prozent versteuert werden.<br />
In Luxemburg ist das die Regel.<br />
Hessens Finanzminister Thomas Schäfer<br />
(CDU) macht sich im Bundesrat für eine<br />
solche Lizenzschranke stark. Bundeskollege<br />
Wolfgang Schäuble präferiert dagegen<br />
ein konzertiertes Vorgehen der Staatengemeinschaft<br />
gegen aggressive Steuergestaltung<br />
und Einnahmenausfälle (Beps). Diese<br />
OECD- und G20-Initiative soll Transparenz<br />
schaffen über die Steuerzahlungen eines<br />
Konzerns in den einzelnen Ländern<br />
sowie über bisher vertrauliche Absprachen<br />
zwischen Unternehmen und Finanzbehörden.<br />
Gleichzeitig soll sie sicherstellen, dass<br />
Einkünfte immer versteuert werden.<br />
Knapp die Hälfte der Agenda haben die<br />
OECD-Länder abgearbeitet, der Rest soll<br />
bis 2015 stehen. Experten sind skeptisch,<br />
ob Beps den großen Durchbruch bringen<br />
wird, handelt es sich doch um unverbindliche<br />
Empfehlungen. „Außerdem sind die<br />
Vorschläge so kompliziert, dass es sich um<br />
ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für<br />
Steuerberater handelt“, kritisiert der grüne<br />
Europaabgeordnete Giegold.<br />
ÄHNLICHE VORTEILE<br />
Die Rolle der vier großen Wirtschaftsprüfer<br />
ist bisher ohnehin unterbelichtet. Im Fall<br />
Luxemburg gehen Experten davon aus,<br />
dass die drei großen Konkurrenten von<br />
PwC – Deloitte, KPMG und EY – ihren Kunden<br />
ähnliche Steuervorteile verschafft haben.<br />
PwC-Weltchef Dennis Nally dagegen<br />
spielt den Ball zurück ins Feld der Finanzminister<br />
und fordert: „Die digitalisierte<br />
Welt braucht ein neues Steuerrecht“ (siehe<br />
Interview Seite 24).<br />
Der Vizevorsitzende des Finanzausschusses<br />
im Bundestag, Gerhard Schick<br />
(Grüne), will dagegen schärfer gegen Missetäter<br />
vorgehen: „Ich erwarte, dass PwC<br />
diese Geschäftspraktiken zulasten der<br />
steuerzahlenden Unternehmen und Bürger<br />
für die Zukunft abstellt. Die Bundesregierung<br />
sollte Entsprechendes bei dem<br />
Unternehmen einfordern, wenn es weiterhin<br />
öffentliche Aufträge bekommen soll.“<br />
Steuervermeider aller Branchen von öffentlichen<br />
Aufträgen auszuschließen, das<br />
versuchen die USA seit Jahren schon. Ohne<br />
Erfolg.<br />
n<br />
silke.wettach@wiwo.de | Brüssel, mark fehr | Frankfurt,<br />
christian ramthun | Berlin<br />
Lesen Sie weiter auf Seite 24 »<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 23<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
INTERVIEW Dennis Nally<br />
»Wir brauchen ein<br />
neues Steuerrecht«<br />
Der Chef des weltgrößten Wirtschaftsprüfers PwC fordert die<br />
Anpassung der Steuergesetze an das digitale Zeitalter.<br />
DER LÜCKENFINDER<br />
Nally, 62, steht seit 2009 an der Spitze von<br />
PricewaterhouseCoopers (PwC), dem weltgrößten<br />
Netzwerk aus Wirtschaftsprüfern<br />
und Steuerberatern.<br />
Als die WirtschaftsWoche das Interview<br />
mit PwC-Weltchef Dennis Nally führte,<br />
war der Luxemburger Steuerskandal<br />
noch nicht öffentlich bekannt. Trotzdem<br />
drehte sich ein wichtiger Teil des Gesprächs<br />
um die Steuertricks großer Konzerne,<br />
internationale Steueroasen und<br />
die Rolle von PwC bei diesem Spiel. Im<br />
Nachhinein wollte Nally jedoch keine<br />
Fragen zu den Luxemburg-Leaks beantworten.<br />
PwC erklärt dazu: „Unsere<br />
Beratung und Unterstützung steht stets<br />
im Einklang mit den jeweils geltenden<br />
nationalen, europäischen und internationalen<br />
Steuergesetzen und Vereinbarungen.“<br />
Die Medienberichte zur<br />
steuerlichen Beratung in Luxemburg,<br />
koordiniert <strong>vom</strong> International Consortium<br />
of Investigative Journalists (ICIJ),<br />
beziehen sich nach Ansicht von PwC auf<br />
„unvollständige, illegal erlangte Informationen,<br />
die vier Jahre und älter“ seien.<br />
Herr Nally, Internet-Konzerne wie<br />
Google oder Amazon machen<br />
Negativschlagzeilen mit aggressiver<br />
Steuergestaltung über Grenzen hinweg.<br />
Muss der Fiskus strenger eingreifen?<br />
Vor allem muss er das Steuerrecht modernisieren.<br />
Es stammt aus Zeiten, als<br />
die Wirtschaft dominiert war von industrieller<br />
Produktion und dem Export von<br />
Waren. Die aggressive Steuerplanung zeigt<br />
auch, dass das Steuerrecht nicht mehr<br />
passt in eine Wirtschaft, bei der Dienstleistungen<br />
und digitale Kommunikation immer<br />
wichtiger werden. Die digitalisierte<br />
Welt braucht ein neues Steuerrecht.<br />
Und wie sollte das aussehen?<br />
MEHR ZUM THEMA<br />
Das vollständige Interview<br />
lesen Sie unter:<br />
wiwo.de/steuerrecht<br />
Internationale Organisationen<br />
wie die OECD oder der Zusammenschluss<br />
von<br />
Industrie- und Entwicklungsländern<br />
G20 arbeiten daran.<br />
Es geht etwa um neue Regeln<br />
für die Besteuerung von Gewinnen aus Lizenzen<br />
für die Nutzung bekannter Marken<br />
oder innovativer Patente. Entscheidend<br />
ist, festzustellen, in welchem Land Unternehmen<br />
ihren Mehrwert schaffen, und<br />
diesen dort zu besteuern. Das ist bei Industriekonzernen<br />
leicht zu sehen, nämlich<br />
meist dort, wo die Fabriken stehen. Bei Internet-Firmen<br />
ist das schwieriger. Sie können<br />
ihre Kunden überall auf der Welt<br />
bedienen, egal, wo ihre Büros und Server<br />
stehen.<br />
Warum zeigen Berater wie PwC ihren<br />
Mandanten nicht die rote Linie auf?<br />
Wir reden mit unseren Mandanten oft<br />
über dieses Thema. Staaten instrumentalisieren<br />
die Steuerpolitik bewusst im<br />
globalen Wettbewerb und bieten günstige<br />
Konditionen, um Unternehmen anzulocken.<br />
Und die CEOs müssen Steuern<br />
sparen, das sind sie ihren Eigentümern<br />
und Mitarbeitern schuldig. Steuerliche<br />
Gestaltung muss legal sein, aber sie sollte<br />
auch die Wirkung auf das Image des<br />
Unternehmens in Betracht ziehen.<br />
Berät PwC auch die Steuerfuchser<br />
Google und Amazon?<br />
Das möchte ich so direkt nicht kommentieren,<br />
aber ich würde mich wundern,<br />
wenn dem nicht so wäre. Schließlich ist<br />
PwC ein globales Netzwerk.<br />
In der Tat, Ihre Büros befinden sich sogar<br />
in Steueroasen wie den karibischen<br />
Cayman Islands, den britischen Kanalinseln<br />
oder Malta. Was tun die da?<br />
PwC ist überall dort, wo Unternehmen<br />
sind. In unseren Netzwerkgesellschaften<br />
arbeiten mehr als 195 000 Experten in<br />
157 Ländern auf der ganzen Welt.<br />
Mehr können Sie dazu nicht sagen?<br />
Alle PwC-Ländergesellschaften unterstützen<br />
ihre Mandanten in den Bereichen<br />
Wirtschaftsprüfung, Steuer- und<br />
Unternehmensberatung. Ich sehe hier<br />
keine besonderen Schwerpunkte in einzelnen<br />
Ländern.<br />
Die US-Regierung geht rigide gegen<br />
Banken vor, die amerikanische Bürger<br />
bei der Steuerflucht unterstützt haben.<br />
Sind die Maßnahmen etwa gegen<br />
Schweizer Banken zu hart?<br />
Es kommt immer wieder vor,<br />
dass Maßnahmen einer nationalen<br />
Regierung negative<br />
Auswirkungen auf andere<br />
Länder haben. Allerdings hat<br />
die Regulierung nach der Finanzkrise<br />
überhand genommen.<br />
Die umfangreichen Positionen des<br />
amerikanischen Dodd-Frank-Papiers<br />
etwa, das Banken und Finanzmärkte<br />
sicherer machen sollte, sind bisher nur<br />
zur Hälfte in Gesetze gefasst worden. Was<br />
den Rest betrifft, wissen Unternehmen<br />
nicht, wie die konkrete Fassung aussehen<br />
wird. Die Rechtssicherheit fehlt. n<br />
mark.fehr@wiwo.de | Frankfurt<br />
FOTO: ANDREAS CHUDOWSKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
24 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Blicke nach vorn<br />
Marion Asante mit<br />
ihrem Chef Roman<br />
Selgrath (zweiter von<br />
rechts) und ihren Kollegen<br />
Nicola Timpano<br />
(links) und Frank Karr<br />
FOTO: CHRISTOF MATTES FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
Da geht doch was<br />
SOZIALSTAAT | Obwohl der Arbeitsmarkt floriert, kämpfen mehr als<br />
eine Million Menschen seit Jahren erfolglos um den Anschluss.<br />
Was würde Langzeitarbeitslosen helfen, zurück in einen Job zu finden?<br />
Ein Projekt im Saarland gibt auf diese Frage neue Antworten.<br />
Marion Asante muss nicht lange<br />
nach dem Wort suchen, nach dem<br />
einen Begriff, der beschreibt, was<br />
sie empfindet. Was sie fühlt, wenn sie morgens<br />
gegen halb fünf, fünf ihr Bett verlässt,<br />
frühstückt und in ihr neues Leben aufbricht.<br />
Ist sie zufrieden, vielleicht sogar<br />
glücklich? Für die Antwort braucht sie keine<br />
Sekunde.<br />
„Das hier“, schießt es aus ihr heraus, „ist<br />
der Jackpot.“<br />
Asante hatte gehofft, dass dieser Tag<br />
noch einmal kommen würde, irgendwo<br />
und irgendwie. Aber leicht ist es ihr nicht<br />
gefallen, diese Hoffnung zu erhalten, im<br />
Gegenteil, es war hart, hammerhart. Wer<br />
den Glauben an sich selbst verliert, der findet<br />
auch niemanden mehr, der an einen<br />
glauben könnte. Ja, so ein Gedanke hilft<br />
zwar, aber auch dessen Kraft verblasst mit<br />
der Zeit. Bei Asante wurden aus Monaten<br />
ein Jahr, und dann gaben sich die Jahre<br />
einfach nur noch grußlos die Klinke in die<br />
Hand. Plötzlich waren es fünf, am Ende<br />
fast zehn.<br />
Dann kam der Anruf. Mit dem Jackpot.<br />
Ihr Vermittler <strong>vom</strong> Jobcenter klang wie<br />
immer, es gäbe da ein neues Projekt, sie<br />
solle sich bitte vorstellen. Vielleicht hatte<br />
der Betreuer der Arbeitsagentur Genaueres<br />
erzählt, aber sie hatte schon zu viele<br />
solcher Ansagen gehört. Es war 2004, als<br />
Asante ihren Job in einer Druckerei verlor,<br />
kurz nach einer Operation an ihren Händen.<br />
Zehn Jahre hatte sie dort geackert,<br />
immer in der Nachtschicht. Wenn sie in<br />
der Früh wieder nach Hause kam, machte<br />
sie erst ihre zwei Söhne fertig für die Schule,<br />
danach endlich schlief sie ein paar<br />
Stunden. Als sie entlassen wurde, war sie<br />
40 – ohne Berufsausbildung und mit einer<br />
pflegebedürftigen Mutter im Haus. Es folg-<br />
ten Absagen auf Absagen – und ein paar<br />
Minijobs.<br />
Was also sollte bei diesem neuen Projekt<br />
schon auf sie warten, außer dem üblichen<br />
Mist, den sinnlosen Maßnahmen, die einem<br />
vielleicht Beschäftigung geben, aber<br />
keine Arbeit? Asante wusste es nicht. Aber<br />
sie ging trotzdem.<br />
Schon das Vorstellungsgespräch war anders.<br />
Nicht so steif und unangenehm, die<br />
zwei Herren auf der anderen Seite waren<br />
freundlich und interessiert. Als die Frau<br />
kurz danach zu ihrem ersten Arbeitstag erschien,<br />
konnte sie das gute Betriebsklima<br />
kaum fassen. Und ihr Glück. „Ich dachte<br />
nicht, dass es so etwas noch gibt.“ Aus ihrer<br />
Kehle kommt ein rauchiges Lachen. Das<br />
war im August 2013.<br />
NEUES GLÜCK<br />
Die 51-Jährige arbeitet bei GBQ in Völklingen,<br />
einer Gesellschaft, in der die Handwerksbetriebe<br />
der Saarstahl AG zusammengefasst<br />
sind. Um sechs Uhr beginnt ihr<br />
Tag in der Buchbinderei. Das Programm<br />
der Arbeitsagentur, das sie hierher gebracht<br />
hat und über das sie erst nicht so genau<br />
Bescheid wissen wollte, heißt „Perspektiven<br />
in Betrieben“. Wenn man Marion<br />
Asantes Lebensgeschichte hört, klingt dieser<br />
Name nicht einmal anmaßend wie<br />
»<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 25<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
»<br />
das sonst so häufig ist bei Vorzeige-Projekten<br />
dieser Art.<br />
Das Problem ist nur:Solche Geschichten<br />
sind rar. Die Situation von Langzeitarbeitslosen<br />
ist der tiefe, dunkle Schatten der ansonsten<br />
immer glänzender werdenden Arbeitsmarktstatistik.<br />
Die Zahlen der Erwerbstätigen<br />
(fast 43 Millionen) und auch<br />
der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten<br />
(mehr als 30 Millionen) erklimmen<br />
immer neue Rekorde, eine Gruppe allerdings<br />
profitiert von diesem Boom so gut<br />
wie gar nicht mehr: Diejenigen, die seit<br />
mehr als einem Jahr erfolglos einen Job suchen,<br />
sind abgekoppelt von der Dynamik –<br />
so, als ob sie barfuß aus dem Kiesbett auf<br />
einen rollenden Zug aufspringen sollten.<br />
Mehr als eine Million Menschen stecken in<br />
dieser Situation – ohne Aussicht auf Besserung<br />
(siehe Grafik).<br />
Nun ist der deutsche Arbeitsmarkt kein<br />
statisches Gebilde, sondern permanent in<br />
Bewegung. Tausende Arbeitsverträge werden<br />
Tag für Tag unterschrieben, andere gekündigt.<br />
Nur am unteren Rand der Statistik<br />
kommt von dieser Geschäftigkeit viel zu<br />
wenig an. Die Perspektive dort ist in fünf<br />
Buchstaben beschrieben: Hartz. „Die Verfestigung<br />
des Leistungsbezuges“, heißt es in<br />
einer Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt-<br />
und Berufsforschung, dem Thinktank<br />
der Bundesagentur für Arbeit, sei „eine<br />
der größten arbeitsmarktpolitischen<br />
Herausforderungen“. Und der gesetzliche<br />
Mindestlohn, so fürchten es die Wirtschaftsweisen<br />
in ihrem jüngsten Gutachten,<br />
dürfte die ohnehin geringen Chancen<br />
von Langzeitarbeitslosen ab 2015 noch<br />
weiter dezimieren.<br />
AUF DER STRECKE<br />
Dieser Missstand hat, paradoxerweise,<br />
auch etwas mit der Attraktivität des deutschen<br />
Arbeitsmarkts zu tun. Unternehmen<br />
rekrutieren neues Personal derzeit nämlich<br />
vor allem aus der stillen Reserve: Da<br />
gibt es Eltern, die nach der Kinderauszeit<br />
wieder in den Job einsteigen, insbesondere<br />
aber eine neue Fülle qualifizierter Zuwanderer.<br />
Um Hartz-IV-Empfänger, die häufig<br />
keine Ausbildung haben, gesundheitliche<br />
oder familiäre Probleme mit sich herumschleppen<br />
und schon seit Jahren keine<br />
richtige Aufgabe mehr hatten, machen sie<br />
lieber einen Bogen.<br />
Die Menschen, bei denen das unterkühlte<br />
Bürokratendeutsch solche „multiplen<br />
Vermittlungshemmnisse“ ausgemacht hat,<br />
bleiben auf der Strecke, politisch und gesellschaftlich.<br />
Außer Stütze hatte ihnen der<br />
Abgekoppelt<br />
Die Langzeitarbeitslosen profitieren kaum<br />
<strong>vom</strong> deutschenJobboom (2014, in Millionen)<br />
3,5<br />
3,14<br />
3,0<br />
1,10<br />
Arbeitslose insgesamt 2,73<br />
Jan. Febr.März April Mai<br />
Quelle: Bundesagentur für Arbeit<br />
Zusammenhalt<br />
Endlich Arbeit – und<br />
nicht nur sinnlose<br />
Beschäftigung.<br />
Danach hatte Asante<br />
jahrelang gesucht<br />
Sozialstaat wenig zu bieten. Jeder Abschwung<br />
fügte dem Berg der Sockelarbeitslosen<br />
bis Mitte der Zweitausenderjahre nur<br />
weitere Schichten hinzu. Milliarden flossen<br />
zwar in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen,<br />
Ein-Euro-Jobs und Bürgerarbeit, aber<br />
sie änderten nichts Wesentliches.<br />
Dabei könnte es durchaus anders gehen,<br />
besser – das zeigen Asante und zwei ihrer<br />
Kollegen, die mit ihr eingestellt wurden,<br />
Nicola Timpano und Frank Karr. Das überschaubare<br />
Modellprojekt im Saarland (das<br />
es sonst nur noch in Nordrhein-Westfalen<br />
gibt) hat gute Chancen, einmal einen Wendepunkt<br />
zu markieren: Denn hier wächst<br />
im Kleinen die Erkenntnis, dass Menschen,<br />
die als hoffnungslos galten, doch noch eine<br />
Chance hätten. Allerdings nur, wenn genügend<br />
Geld vorhanden ist. Und wenn alle<br />
Beteiligten mitmachen.<br />
Roman Selgrath zum Beispiel.<br />
Bei Marion Asantes Vorstellungsgespräch<br />
saß Selgrath auf der anderen Seite<br />
Langzeitarbeitslose<br />
Juni<br />
Juli Aug. Sept.<br />
1,05<br />
2,5<br />
2,0<br />
1,5<br />
1,0<br />
0,5<br />
Okt.<br />
des Tisches. Er ist der Geschäftsführer der<br />
GBQ, früher war er Betriebsrat. Als ein<br />
Saarstahl-Vorstand ihm von einem neuen<br />
Programm der Arbeitsagentur erzählte,<br />
hörte er sofort aufmerksam zu. Die saarländische<br />
Stahlindustrie hat schwere Zeiten<br />
hinter sich, Saarstahl selbst ging in den<br />
Neunzigerjahren in den Konkurs, die GBQ<br />
ist das Ergebnis einer Ausgliederung. Den<br />
brutalen Strukturwandel, man kann ihn<br />
sehen in Völklingen: in den ausgeräumten<br />
Schaufenstern, die schon zu lange auf neue<br />
Mieter warten, und in den zerfurchten Gesichtern<br />
auf der Straße.<br />
Selgrath kennt die Nöte hier zu gut.<br />
„Langzeitarbeitslose stecken häufig in einer<br />
Schublade“, sagt der Geschäftsführer.<br />
„Aus der müssen sie raus – und das geht<br />
nur in der betrieblichen Wirklichkeit.“<br />
23 Kandidaten schickte ihm die Arbeitsagentur.<br />
Allesamt Härtefälle, so will es der<br />
besondere Zuschnitt des Programms: Ohne<br />
brauchbare Abschlüsse, mehr als fünf<br />
Jahre ohne Job, mit weiteren persönlichen<br />
Einschränkungen im Gepäck. Die Abmachung<br />
lautete folgendermaßen: GBQ sollte<br />
überzeugende Bewerber regulär einstellen,<br />
befristet auf zwei Jahre zwar, aber nach<br />
dem gültigen Tarifvertrag. Die Arbeitsagentur<br />
übernahm dafür in der Anfangsphase<br />
drei Viertel des Lohns, später Schritt<br />
für Schritt immer weniger, bis der Zuschuss<br />
nach 18 Monaten auf null sinkt. Außerdem<br />
finanzieren Agentur und das Land einen<br />
Betreuer der Diakonie, der alle zwei Wochen<br />
mit den Förderkandidaten Probleme<br />
und Sorgen besprechen kann.<br />
„Perspektiven in Betrieben“ fußt somit<br />
auf einem dreifachen Umdenken: erstens,<br />
FOTO: CHRISTOF MATTES FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
26 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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lieber echte Arbeit als Arbeitslosigkeit finanzieren.<br />
Zweitens, keine realitätsfernen<br />
Parallelwelten alimentieren, deren einziger<br />
Sinn darin besteht, Zeit totzuschlagen,<br />
die nicht für Schwarzarbeit genutzt werden<br />
kann. Und drittens, die Kandidaten so gut<br />
und eng wie möglich betreuen.<br />
Wenn es selbst für Menschen mit großen<br />
Schwierigkeiten klappt, müsste es auch für<br />
deutlich mehr funktionieren. Das ist jedenfalls<br />
die Stoßrichtung der Bundesregierung,<br />
die das Modellprojekt künftig mit einem<br />
dreistelligen Millionenbetrag von ein<br />
paar Dutzend auf mehr als 30 000 Plätze<br />
hochfahren will.<br />
Die ersten Erfahrungen berechtigen immerhin<br />
zu einigem Optimismus: Von den<br />
fünf Bewerbern, die Roman Selgrath am 1.<br />
August 2013 insgesamt einstellte, haben<br />
zwei schon neue, unbefristete Jobs bei<br />
Saarstahl-Töchtern gefunden. Ja, auch er<br />
sei am Anfang „sehr skeptisch“ gewesen,<br />
Förderung hin oder her. Aber: „Wir haben<br />
sehr gute neue Mitarbeiter gefunden.“<br />
GUT UND TEUER<br />
Arbeitsmarktexperten stellen diesem Strategiewechsel,<br />
bei aller gebotenen Vorsicht,<br />
ein gutes Zeugnis aus. „Man muss realistisch<br />
bleiben: Bei den Hilfen für Langzeitarbeitslose<br />
gibt es kein Mittel ohne Nebenwirkungen<br />
und auch keine schnellen Erfolge“,<br />
sagt Holger Bonin <strong>vom</strong> Zentrum für<br />
Europäische Wirtschaftsforschung. Lohnkostenzuschüsse<br />
gehören zu den teuersten<br />
Instrumenten im politischen Werkzeugkasten,<br />
sie hätten sich allerdings als wirksamer<br />
Hebel erwiesen, „wenn Menschen damit<br />
die erste Hürde in den regulären Markt<br />
überspringen können“. In Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen<br />
lerne man keine echten<br />
Arbeitgeber kennen.<br />
In der Vergangenheit, urteilt der Ökonom,<br />
hätten die meisten anderen Förderversuche<br />
„wenig bis nichts gebracht“. Eine<br />
wichtige Lehre sei allerdings: Lohnzuschüsse<br />
müssen mit der Zeit abgeschmolzen<br />
werden, damit sie nicht von Arbeitgebern<br />
missbraucht werden. „Dauerhafte<br />
Lohnsubvention schafft Jobs, die nicht<br />
marktfähig sind.“<br />
Marion Asante und ihre Kollegen widersprechen<br />
jedenfalls dem Klischee der hoffnungslosen<br />
Fälle. Nicola Timpano hat früher<br />
schon bei Saarstahl gearbeitet, dann<br />
machte sein Körper nicht mehr mit. Er verlor<br />
seine Stelle 2003. Nach zehn Jahren ohne<br />
festen Job hat er nun bei GBQ seinen<br />
Gabelstapler-Führerschein gemacht. In<br />
der Schreinerei baut der 52-Jährige außer-<br />
dem Kisten, Keile und Paletten. „Ich mache<br />
hier alles.“ Und Frank Karr, mit 47 der<br />
Jüngste der drei, hat in der Werkstatt als<br />
Malergehilfe Anschluss gefunden. Weil er<br />
schwerhörig ist, kommen viele Arbeitsplätze<br />
für ihn nicht in Betracht. Hier streicht er<br />
Wände und verlegt Bodenbelege.<br />
Alle drei verbindet: die tiefe Dankbarkeit,<br />
noch eine Chance bekommen zu haben,<br />
eine, die den Namen verdient. Und sie<br />
alle hoffen, nach Ablauf der Projektphase<br />
im Unternehmen bleiben zu können.<br />
Es gibt noch jemanden, der das Gleiche<br />
tut. Auf einer Kuppe oberhalb von Saarbrückens<br />
Innenstadt hat Hans-Hartwig Felsch<br />
sein Büro. Draußen an den waldigen Hängen<br />
breitet sich die saarländische Version<br />
eines Indian Summer aus, drinnen kümmert<br />
sich Felsch darum, dass dieses Programm<br />
ein kleiner Erfolg bleibt und ein<br />
großer werden kann. Auf seiner Visitenkarte<br />
steht „Geschäftsführer Operativ“. In der<br />
Regionaldirektion Rheinland-Pfalz-Saarland<br />
der Bundesagentur für Arbeit feilt er<br />
bereits an der geplanten Ausweitung.<br />
Felsch kommt aus Schleswig-Holstein,<br />
Überschwang ist ihm von Natur aus fremd.<br />
Trotzdem sagt er: „Wenn wir das hinbekommen,<br />
ist das eine neue Dimension.“<br />
Dabei weiß er nur zu gut, dass es schwer<br />
wird. Seine Mitarbeiter haben derzeit noch<br />
einen weiteren Betrieb im Pilotprogramm,<br />
einen großen Einzelhändler. Bei dem hat<br />
die Vermittlung von Arbeitslosen nicht in<br />
jedem Fall so reibungslos geklappt wie in<br />
Völklingen.<br />
Die Agentur muss überhaupt genügend<br />
Unternehmen finden, die weitere von<br />
Felschs „Intensivkunden“ integrieren können<br />
und wollen, wie er das nennt. Auch<br />
wenn die dank der Zuschüsse erst einmal<br />
wenig Geld kosten, bleibt die Vermittlung<br />
ein Experiment, das von allen Beteiligten<br />
Motivation verlangt – und den Willen,<br />
nicht gleich bei den ersten Schwierigkeiten<br />
aufzustecken.<br />
Die Signale, die Jobvermittler bislang bekamen,<br />
wenn sie Langzeitarbeitslose unterbringen<br />
wollten, hörten sich meist eher<br />
so an: Diese Leute, pardon, sind nicht das,<br />
was wir uns vorstellten. „Viele Betriebe<br />
müssen innerlich erst mal einen Sprung<br />
machen“, weiß auch Felsch. Und doch<br />
wehrt er sich gegen die noch weit verbreitete<br />
Aus-denen-wird-eh-nichts-mehr-Haltung,<br />
die den Arbeitslosen häufig entgegenschlägt.<br />
Mehr Mut müsse her. „Wir haben<br />
hier“, sagt er, „eben schon die beeindruckendsten<br />
Verwandlungen erlebt.“ n<br />
max.haerder@wiwo.de I Berlin<br />
MODELLPROJEKT<br />
Zweite Chance<br />
Akquisiteure sollen Stellen für<br />
Langzeitarbeitslose finden.<br />
Im Koalitionsvertrag hatten sich Union<br />
und SPD darauf verständigt, ein „besonderes<br />
Augenmerk“ auf Langzeitarbeitslose<br />
zu richten. Ein knappes Jahr<br />
nach Regierungsantritt nehmen diese<br />
Absichten nun Formen an. Im Zentrum<br />
der Pläne steht das Modellprojekt „Perspektiven<br />
in Betrieben“, das ab 2015<br />
auf bis zu 33 000 Teilnehmer in ganz<br />
Deutschland ausgeweitet werden soll.<br />
GELD AUS BRÜSSEL<br />
470 Millionen Euro aus dem Europäischen<br />
Sozialfonds stehen dafür zur Verfügung,<br />
plus 415 Millionen aus Bundesmitteln.<br />
Mit dem Geld sollen mehrere<br />
Hundert Betriebsakquisiteure eingestellt<br />
werden, die gezielt nach Unternehmen<br />
suchen, die Langzeitarbeitslose<br />
einstellen wollen – der Fokus soll<br />
dabei auf kleineren Unternehmen liegen.<br />
Sind passende Betriebe gefunden,<br />
sollen sogenannte „Coaches“ die Teilnehmer<br />
insbesondere in der Anfangsphase<br />
intensiv begleiten. Im Gegensatz<br />
zu den Pilotprogrammen im Saarland<br />
und in Nordrhein-Westfalen müssen die<br />
Geförderten nicht mindestens fünf Jahre<br />
<strong>vom</strong> Arbeitsmarkt entfernt gewesen<br />
sein, sondern nur zwei.<br />
Die Bundesagentur für Arbeit flankiert<br />
die Offensive mit umfangreichen<br />
Lohnkostenzuschüssen, die sie in den<br />
ersten 18 Monaten der Beschäftigung<br />
zahlt. Sie beginnen bei 75 Prozent und<br />
sinken dann schrittweise ab. In einer<br />
darauf folgenden halbjährigen Anschlussphase<br />
muss der Betrieb den<br />
Lohn dann selbst stemmen.<br />
Für Langzeitarbeitslose, die aufgrund<br />
ihres Profils noch weiter von regulärer<br />
Arbeit entfernt sind, will Arbeitsministerin<br />
Andrea Nahles (SPD) mittelfristig<br />
weitere 150 Millionen Euro pro Jahr lockermachen.<br />
Auch hier lautet das Ziel<br />
erster Arbeitsmarkt. Um Betriebe zur<br />
Teilnahme zu bewegen, soll der Lohn<br />
komplett <strong>vom</strong> Staat übernommen werden.<br />
Bis zu 10 000 weitere Arbeitslose<br />
könnten davon profitieren.<br />
max.haerder@wiwo.den | Berlin<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 27<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Verluste auf<br />
Knopfdruck<br />
Automaten in der<br />
Spielbank Duisburg<br />
Die Spieler<br />
SPIELBANKEN | Nordrhein-Westfalen versteigert Kunstschätze, um<br />
seine Kasinos zu sanieren. Kein absurder Einzelfall, sondern der<br />
Offenbarungseid einer ganze Branche – mit staatlichem Auftrag.<br />
Das Kasino Duisburg hat zwei Eingänge:<br />
Durch den einen kommen<br />
die Gäste, die sich zurechtgemacht<br />
haben für einen besonderen Abend mit<br />
Champagner und Roulette. Durch den anderen<br />
kommt das Geld.<br />
Die Spielbank in der Fußgängerzone ist<br />
die ertragreichste in Europa. Von außen ist<br />
das nicht zu erahnen, der fensterlose<br />
Zweckbau schmiegt sich so unauffällig an<br />
das angrenzende Einkaufszentrum, dass er<br />
auch als Parkhaus durchgehen könnte.<br />
Doch drinnen eröffnet sich eine eigene<br />
Welt. Über den 30 Spieltischen im Obergeschoss<br />
schweben elliptisch verdrehte<br />
Leuchtkörper, Croupiers und Kellner<br />
schwirren in unaufdringlicher Eleganz<br />
durch den Raum. Alles leuchtet, nichts<br />
blinkt. Eine Etage tiefer wird der Automatenbereich<br />
von einem weißen VW Golf beherrscht,<br />
der als Hauptgewinn lockt. Um<br />
ihn gruppieren sich in dichten Reihen die<br />
Spielautomaten, insgesamt 354. Von Glamour<br />
keine Spur. Doch von den 40 Millionen<br />
Euro Jahresumsatz der Spielbank wird<br />
ein Großteil hier unten verdient.<br />
Mittwoch vergangener Woche hat Westspiel,<br />
landeseigener Mutterkonzern des<br />
Duisburger Kasinos, in New York beim<br />
Auktionshaus Christie’s zwei Bilder von<br />
Andy Warhol versteigern lassen. Nach<br />
zehn Minuten war das Geschäft gemacht:<br />
150 Millionen Dollar, wirtschaftlich ein voller<br />
Erfolg. Mit dem Geld sollen Etatlöcher<br />
gestopft und ein neues Kasino in Köln errichtet<br />
werden. Als das bekannt wurde,<br />
quollen die Feuilletons der Republik über<br />
vor Ärger ob so viel Kulturvergessenheit.<br />
Roulettetische für Weltkunst, was für ein<br />
barbarischer Deal! Doch dahinter steht eine<br />
grundsätzliche Frage: Wozu braucht der<br />
Staat seine Spielbanken überhaupt, wenn<br />
er nicht mal mehr Geld damit verdient?<br />
UMSATZ HALBIERT<br />
So unmöglich es klingt: Das vermeintlich<br />
todsichere Geschäft mit dem ruinösen,<br />
aber allzu menschlichen Spieltrieb läuft<br />
nicht mehr. Innerhalb der vergangenen<br />
zehn Jahre hat sich der Umsatz der deutschen<br />
Spielbanken von knapp einer Milliarde<br />
Euro auf gut 550 Millionen Euro hal-<br />
biert. Beispiel Bayern: Von den neun landeseigenen<br />
Spielbanken erwirtschaftet nur<br />
die in Bad Wiessee Gewinne, die Spielbank<br />
Feuchtwangen schafft gerade so die<br />
schwarze Null. In Thüringen macht die<br />
einzige Spielbank zum Jahresende dicht.<br />
Für drei Kasinos an der Ostsee fand sich<br />
schon im Sommer kein Interessent mehr.<br />
Bernhard Stracke hat die goldenen Jahre<br />
im Kasinogeschäft noch gut vor Augen.<br />
„Ich erinnere mich an Zeiten, da hat allein<br />
das Trinkgeld locker für die Gehälter der<br />
Angestellten gereicht.“ Stracke ist seit 30<br />
Jahren Gewerkschaftssekretär für den Bereich<br />
Spielbanken bei Verdi. Heute sieht er<br />
sich mit unerfreulicheren Fragen konfrontiert.<br />
„Die Spielbanken versuchen, Kosten<br />
zu drücken“, sagt Stracke. Vom französischen<br />
Roulette steigen viele Kasinos auf die<br />
halb automatische amerikanische Variante<br />
um. Statt mit 15 Mitarbeitern kommt jeder<br />
Tisch mit drei Angestellten aus.<br />
Der Niedergang der Spielbanken lässt<br />
sich am besten dort nachvollziehen, wo<br />
der Glanz einst am größten war. In Bad<br />
Neuenahr südlich von Bonn, eröffnete<br />
1948 die Spielbank – und begründete den<br />
Aufschwung einer ganzen Region. In Zeiten<br />
des Wirtschaftswunders verbrachten<br />
die Größen der Bonner Republik ihre freien<br />
Tage an der Ahr, in den Fünfzigerjahren<br />
fand der Bundespresseball in der Spielbank<br />
statt. Dem Bürgermeister wurde bei<br />
der Premiere der Eintritt verwehrt, weil er<br />
keinen Frack in der Garderobe hatte. Es<br />
FOTOS: LAIF/DOMINIK ASBACH, PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />
28 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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entstand die typische Mischung aus staatlichem<br />
und privatwirtschaftlichem Geschäftsmodell:<br />
Die Spielbank wurde von<br />
einem privaten Konsortium betrieben, die<br />
Erträge landeten über die Spielbankabgabe<br />
beim Land, ein bisschen erhielt die Gemeinde.<br />
Die finanzierte damit den stetigen<br />
Ausbau des Kurbetriebs. Seit 1948 flossen<br />
allein aus der Spielbankabgabe über 800<br />
Millionen Euro in öffentliche Kassen.<br />
Währenddessen aber änderte sich das<br />
Freizeitverhalten der Deutschen. Zur Kur<br />
ging man bald nur noch, weil es die Krankenkasse<br />
bezahlte, und als auch das in den<br />
Neunzigerjahren abgeschafft wurde, fielen<br />
mit einem Schlag die Besucherzahlen in<br />
den Keller. Zugleich mussten die Spielbanken<br />
erdulden, was ihr Geschäftsmodell<br />
nicht vorsah: Konkurrenz. Erst waren es<br />
nur ein paar Automaten in den Eckkneipen<br />
der Republik, später ganze Spielhallen, von<br />
der Online-Daddelei gar nicht anzufangen.<br />
Die Spielbank aber war immer noch auf die<br />
Frackträger ausgerichtet.<br />
Seit die Spielbank in Bad Neuenahr<br />
keine Gewinne mehr abliefert, wackelt das<br />
Geschäftsmodell der gesamten Stadt. Die<br />
Therme musste gerade erst mit Steuergeldern<br />
vor dem Ruin gerettet werden. Bad<br />
Neuenahr steht für die Probleme vieler<br />
Kasinos, doch nicht alle leiden darunter<br />
in gleichem Maße. Grundsätzlich sind<br />
die Länder stärker <strong>vom</strong> Niedergang der<br />
Spielbanken betroffen, die in der Vergangenheit<br />
am stärksten von ihnen profitiert<br />
haben: Bayern, Nordrhein-Westfalen<br />
oder Brandenburg müssen nicht nur mit<br />
sinkenden Spielbankabgaben leben, sondern<br />
auch mögliche Lücken im Betriebsergebnis<br />
füllen.<br />
VIER NEUE KASINOS<br />
Gerade in Bayern könnten sich die Probleme<br />
in den kommenden Jahren noch deutlich<br />
verschärfen. Um alle Regierungsbezirke<br />
gleichmäßig mit Spielbanken zu versorgen,<br />
baute die Landesregierung vor knapp<br />
15 Jahren, auf dem Höhepunkt der Spielbankenumsätze,<br />
vier neue Kasinos. Da in<br />
Bayern die – bundesweit Anfang der Achtzigerjahre<br />
abgeschaffte – Regel fortgilt,<br />
dass Spielbanken nur in anerkannten Kurorten<br />
untergebracht sind, gibt es heute in<br />
Orten wie Bad Füssing oder Lindau ein Kasino,<br />
nicht aber in Nürnberg oder München.<br />
Von den vier jüngst gegründeten<br />
Spielbanken des Landes war zuletzt keine<br />
einzige profitabel, Bad Steben und Bad<br />
Kötzting haben in ihrer Geschichte noch<br />
nie schwarze Zahlen geschrieben. Selbst<br />
am Premiumstandort Bad Wiessee<br />
am Tegernsee streiten sich<br />
die am Kasino beteiligten Kommunen<br />
derzeit, wer die Kosten<br />
für den Umbau vor ein paar Jahren<br />
tragen soll.<br />
Die deutsche Kasino-Realität<br />
ist ein komischer Zwitter. Die Regulierung<br />
stammt noch aus einer<br />
Zeit, als Glücksspiel de facto nur in Spielbanken<br />
möglich war und sein sollte. Hier<br />
verdienen die Länder mit oft drastisch hohen<br />
Spielbankabgaben mit, während<br />
Spielhallen nur Vergnügungsteuer bezahlen<br />
müssen. Es gäbe zwei Auswege aus diesem<br />
Dilemma: Liberalisierung oder strikte<br />
Regulierung. Ersteres hieße, dass der Staat<br />
sich ganz aus dem Glücksspiel zurückzöge<br />
und nur noch durch Steuereinnahmen<br />
partizipieren würde. Die andere Lösung<br />
wären so scharfe Gesetze, dass sich das<br />
Spiel zurück in die Spielbanken verlagern<br />
müsste. Mit besserem Spielerschutz ließe<br />
sich das begründen. So sieht es beispiels-<br />
Gegenseitige Abhängigkeit<br />
Erträge und Spielsucht in deutschen<br />
Spielbanken<br />
672<br />
997<br />
Anteil des Umsatzes mit Spielsüchtigen<br />
54% 52% 52%<br />
1995 2001 2008 2011<br />
Quelle: Jahrbuch Sucht 2013; Uni Hamburg<br />
Spielertrag (in Mio. Euro)<br />
723 554<br />
60%<br />
Elvis zieht Das Warhol-Bild bringt Millionen<br />
Video<br />
In unseren<br />
App-<strong>Ausgabe</strong>n<br />
erfahren Sie mehr<br />
über die beiden<br />
Warhol-Bilder<br />
aus NRW<br />
weise Ingo Fiedler: „Ich bin ein<br />
Freund der Schweizer Lösung“,<br />
sagt der Glücksspielforscher von<br />
der Universität Hamburg. „Da ist<br />
das Glücksspiel per Gesetz auf<br />
die Spielbanken beschränkt.“<br />
Diese marktferne Lösung hat<br />
nicht nur den Vorteil, dass die<br />
Gewinne der gesamten Gesellschaft<br />
zugutekommen, sie diene vor allem<br />
der Suchtprävention. „Auch in den Spielbanken<br />
liegt einiges im Argen“, sagt Fiedler.<br />
„Spielerschutz wird hier aber wenigstens<br />
versucht – anders als in den meisten Spielhallen.“<br />
Jüngst hat eine Studie der Universität<br />
Bremen gezeigt, dass viele Spielhallen<br />
sogar aktiv um süchtige Spieler werben.<br />
Doch die Bundesländer haben wenig<br />
Sinn für die eine oder andere klare Lösung.<br />
Stattdessen investieren viele in einen perspektivisch<br />
ruinösen Markt. „Wir können<br />
uns doch nicht hinsetzen und zuschauen,<br />
wie all diese Traditionsbetriebe langsam<br />
den Bach runtergehen“, sagt Matthias<br />
Hein. Er ist Geschäftsführer der landeseigenen<br />
Spielbanken Schleswig-Holstein.<br />
Um den Betrieb zu retten, hat er ein Konzept<br />
entworfen: „Clubsino“ – wie es eben<br />
klingt, wenn Bürokraten Visionen haben.<br />
Eine Mischung aus Kasino und Lounge soll<br />
es sein, zehn Millionen Euro hat der Umbau<br />
in Lübeck gekostet. Doch statt zu steigen,<br />
sind die Besucherzahlen im laufenden<br />
Jahr erneut gesunken. Die Gesellschafter<br />
ficht das nicht an, gerade wird das Konzept<br />
flächendeckend umgesetzt, weitere Millionenausgaben<br />
stehen an. Anderswo suchen<br />
die Spielbanken ganz offen den Wettbewerb<br />
zu kommerziellen Spielhallen. So hat<br />
Sachsen das Angebot in seinen drei Spielbanken<br />
in Dresden, Leipzig und Chemnitz<br />
auf Automatenspiele begrenzt. Seitdem<br />
liefern sie zuverlässig Erträge, doch der<br />
staatliche Auftrag wird so ad absurdum geführt:„Die<br />
Quote der Abhängigen ist unter<br />
Automatenspielern deutlich höher“, sagt<br />
Glücksspielforscher Fiedler.<br />
Auch wirtschaftlich könnte die Strategie<br />
sich bald erschöpft haben. Gerade hat der<br />
Automatenbetreiber Gauselmann („Merkur<br />
Spielothek“) eine Kasinolizenz in Sachsen-Anhalt<br />
erworben. Die private Spielbank<br />
entsteht in Günthersdorf, direkt am<br />
Autobahnring Leipzig. Auch in Sachsen<br />
droht damit ein Warhol-Szenario. Und es<br />
dürfte noch viele Warhols dauern, bis in<br />
den Spielbanken die eigentliche Botschaft<br />
ankommt: In ihrer aktuellen Form sind sie<br />
weder konkurrenzfähig – noch nützlich. n<br />
konrad.fischer@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 29<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Es kann nur einen geben<br />
BADEN-WÜRTTEMBERG | In einer Urwahl entscheidet die CDU-Basis, wer die Partei in ihrem Stammland<br />
an die Macht zurückführen soll. Beide Kandidaten liebäugeln mit den Grünen als Koalitionspartner.<br />
Thomas Strobl lernt in diesen Tagen<br />
seine baden-württembergische Heimat<br />
bis in den letzten Winkel kennen.<br />
Er gibt sich die Ehre in Dorfgaststätten und<br />
beim Dämmerschoppen des CDU-Kreisverbands<br />
Emmendingen, er verspeist Martinsgans<br />
mit der CDU Hemmingen und<br />
diskutiert bei einer kommunalpolitischen<br />
Tagung in Bruchsal mit. Einen speziellen<br />
Parteifreund möchte der 54-Jährige unterwegs<br />
allerdings nicht treffen – den derzeit<br />
ebenso reiselustigen Landtagspräsidenten<br />
Guido Wolf. Die beiden sind Konkurrenten<br />
in einem Wettbewerb der besonderen Art:<br />
Einer von ihnen darf in eineinhalb Jahren<br />
die CDU als Spitzenkandidat in die Landtagswahl<br />
führen – und womöglich neuer<br />
Ministerpräsident von Baden-Württemberg<br />
werden.<br />
Die Entscheidung über den Herausforderer<br />
des grünen Regierungschefs Winfried<br />
Kretschmann fällt die Parteibasis. Bis<br />
zum 2. Dezember können die rund 69 000<br />
CDU-Mitglieder im Ländle ihr Votum abgeben;<br />
seit Donnerstag vergangener Woche<br />
präsentieren sich die beiden Kandidaten<br />
auf Regionalkonferenzen. Das Ergebnis<br />
genspieler Wolf ist ein Jahr jünger und<br />
ebenfalls Jurist. Bevor er 2011 das Amt des<br />
Landtagspräsidenten antrat, war der aus<br />
Weingarten bei Ravensburg stammende<br />
Politiker neun Jahre lang Landrat im Kreis<br />
Tuttlingen.<br />
BEIM BUND AUF SPARFLAMME<br />
Strobl gilt als Vertreter des Berliner CDU-<br />
Establishments, auch wenn er seit vielen<br />
Jahren im Gemeinderat von Heilbronn<br />
sitzt. Die baden-württembergischen Bundestagsabgeordneten<br />
dürften auf seiner<br />
Seite stehen; sein Berliner Netzwerk betrachten<br />
viele als Vorteil gegenüber dem<br />
medial weniger präsenten Wolf – zumal in<br />
einem Land, das seine Interessen auf Bundesebene<br />
im Vergleich zu den bayrischen<br />
Nachbarn eher auf Sparflamme vertritt.<br />
Wolf hingegen weiß die Landtagsfraktion<br />
hinter sich. Der Hobbymusiker inszeniert<br />
sich als volksnaher und leicht kauziger<br />
Mann der Basis. Er findet vor allem auf<br />
dem Land viel Zuspruch, etwa in Südbaden<br />
und Oberschwaben. Ihm kommt zugute,<br />
dass er als ehemaliger Bürgermeister<br />
von Nürtingen und Landrat das Klein-<br />
Klein der Kommunalpolitik bestens kennt.<br />
Inhaltlich gibt es zwischen den beiden<br />
zwar „Akzentuierungen“ (Strobl), aber weit<br />
entfernt voneinander stehen sie nicht. Beide<br />
setzen auf Technologie und bessere Infrastruktur,<br />
beide wollen mehr Einfluss des<br />
Landes in Berlin. Strobl fordert einen<br />
„Masterplan für die digitale Entwicklung,<br />
damit auch der letzte Schwarzwaldhof eine<br />
schnelle Internet-Verbindung bekommt“.<br />
Wolf setzt auf eine verstärkte Mittelstandspolitik<br />
und will die umstrittenen Bildungsreformen<br />
von Grün-Rot in Baden-Württemberg<br />
stärker zurückdrehen als Kontrahent<br />
Strobl.<br />
Kandidat 1 Landtagspräsident Wolf, 53, weiß die CDU-Fraktion hinter sich<br />
»Wir dürfen uns<br />
nicht einseitig auf<br />
einen Koalitionspartner<br />
festlegen«<br />
der Mitgliederbefragung ist für den 5. Dezember<br />
angekündigt. Auch wenn Strobl<br />
nach einer am Donnerstag veröffentlichten<br />
Umfrage bei den CDU-Wählern vorn liegt,<br />
rechnen Insider mit einem Kopf-an-Kopf-<br />
Rennen.<br />
Thomas Strobl ist CDU-Landeschef im<br />
Südwesten und stellvertretender Bundesvorsitzender<br />
seiner Partei. Der Rechtsanwalt<br />
aus Heilbronn sitzt seit 1998 im Deutschen<br />
Bundestag, ist Experte für Innenpolitik<br />
– und Schwiegersohn von Bundesfinanzminister<br />
Wolfgang Schäuble. Sein Ge-<br />
32 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Es geht um viel für die beiden, aber auch<br />
für die Partei. Noch immer wirkt das Wahldebakel<br />
von 2011 nach, als die ausgezehrte<br />
und von Affären gebeutelte CDU und ihr<br />
Ministerpräsident Stefan Mappus die<br />
Macht an die bundesweit erste Landesregierung<br />
unter grüner Führung abgeben<br />
mussten. Die Partei brauchte lange, sich<br />
mit der Oppositionsrolle zu arrangieren.<br />
Die Rückeroberung ihres konservativen<br />
Stammlandes, in dem die CDU zuvor fast<br />
58 Jahre regiert hatte, würde nicht nur die<br />
Schmach von 2011 tilgen. Sie würde den<br />
Gewinner auch zu einem Machtfaktor in<br />
der Bundes-CDU machen.<br />
Die Chancen sind gar nicht mal schlecht.<br />
Bei der Bundestagswahl holte die CDU im<br />
Südwesten 45,7 Prozent und war damit<br />
stärkster CDU-Landesverband. Nach einer<br />
aktuellen Wahlumfrage des Meinungsforschungsinstituts<br />
infratest dimap für den<br />
Südwestrundfunk liegen CDU und Grün-<br />
Rot in Baden-Württemberg derzeit gleichauf.<br />
Die CDU bringt es auf 41 Prozent, die<br />
Grünen liegen bei 21 Prozent, die SPD<br />
krebst bei 20 Prozent herum. Da es die AfD<br />
nach jetzigem Stand in den Landtag schaffen<br />
dürfte (6,0 Prozent), wäre die grün-rote<br />
Mehrheit dahin.<br />
Kandidat 2 CDU-Vizechef Strobl, 54, setzt auf sein Berliner Netzwerk<br />
Schon einmal gab es in der Landes-CDU<br />
eine Urabstimmung, im Jahr 2004 ging es<br />
um die Nachfolge des Ministerpräsidenten<br />
Erwin Teufel. Der parteiinterne Wahlkampf<br />
zwischen Annette Schavan und<br />
Günther Oettinger lief allerdings atmosphärisch<br />
aus dem Ruder und führte am<br />
Ende zu einer jahrelangen Lagerbildung in<br />
der Partei.<br />
Wolf und Strobl beteuern daher, einen<br />
fairen Wahlkampf führen zu wollen. Ganz<br />
ohne Hakeleien geht es aber auch diesmal<br />
nicht. Strobl bezeichnet das gegenseitige<br />
Verhältnis als „anständig und sachlich“,<br />
was in der Politikersprache so viel heißt<br />
wie: Wir sind keine Freunde. Vorstellungstermine<br />
der beiden im CDU-Bezirk des anderen<br />
wurden von den dortigen Mitgliedern<br />
teilweise boykottiert. Wenn Wolf sagt,<br />
die CDU brauche „einen echten Neuanfang“,<br />
spielt er auf die Vergangenheit<br />
Strobls als Generalsekretär unter Oettinger<br />
und Mappus an. Das Strobl-Lager seinerseits<br />
streut Informationen über „boulevardeske“<br />
Auftritte und Äußerungen Wolfs,<br />
der seine Reden gern mit selbst verfassten<br />
Gedichten bereichert und ein Lyrikbändchen<br />
unter dem Titel „Politikergschwätz“<br />
veröffentlicht hat.<br />
Bereits im Vorfeld hatte es machtpolitische<br />
Spielchen gegeben. Natürlicher Spitzenkandidat<br />
wäre eigentlich CDU-Fraktionschef<br />
Peter Hauk gewesen. Da dieser intern<br />
aber umstritten ist, ließ Hauk dem Kollegen<br />
Wolf den Vortritt, durfte dafür aber<br />
Fraktionschef bleiben. Landeschef Strobl<br />
zauberte daraufhin mit Katrin Schütz eine<br />
Generalsekretärin aus dem Hut – und setzte<br />
sich so als Frauenförderer und Parteireformator<br />
in Szene.<br />
KOMPETENZ VERLOREN<br />
Zumindest in einer Frage sind sich Strobl<br />
und Wolf einig. Angesichts des Siechtums<br />
der FDP würden sie sich notfalls auch von<br />
den Grünen zum Ministerpräsidenten<br />
wählen lassen. „Wir haben bei der vergangenen<br />
Wahl den Fehler gemacht, uns zu<br />
früh und zu einseitig auf einen Koalitionspartner<br />
festzulegen. Ein solcher Fehler darf<br />
sich nicht wiederholen“, sagt Wolf. Er sehe<br />
„prinzipiell Koalitionsperspektiven bei allen<br />
im Landtag vertretenen Parteien“. Gemeinsamkeiten<br />
mit den Grünen macht er<br />
in der Haushalts-und Finanzpolitik aus,<br />
„aber auch beim Thema Bewahrung der<br />
Schöpfung“. Wolf: „Bei diesem ureigenen<br />
christlich-konservativen Thema haben wir<br />
leider Kompetenz an die Grünen verloren.“<br />
Strobl argumentiert ähnlich. Nach der<br />
Bundestagswahl 2013 zählte er zu den<br />
CDU-Granden, die ernst gemeinte Koalitionsgespräche<br />
mit der Ökopartei forderten.<br />
In Baden-Württemberg will er zwar „die<br />
»Wir brauchen<br />
einen Masterplan<br />
für die digitale<br />
Entwicklung«<br />
FOTOS: VISUM/ANDY RIDDER, FRANK ZAURITZ<br />
FDP nicht völlig abschreiben“ und hält die<br />
jüngste Ankündigung der Landes-Grünen,<br />
mehr Wirtschaftsnähe zu entwickeln, für<br />
Wortgeklingel. „Der Abstand zwischen<br />
Worten und Taten bei den Grünen ist derzeit<br />
so groß wie zwischen Tuttlingen und<br />
Tunesien.“ Gleichwohl „sollte sich die CDU<br />
für 2016 alle Koalitionsoptionen offen halten.<br />
Festlegungen zur Unzeit schaden nur.“<br />
Da passt es prima, dass Ministerpräsident<br />
Kretschmann seinerseits vor „Ausschließeritis“<br />
in der Koalitionsfrage warnt. n<br />
bert.losse@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 33<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Auktion paradox<br />
ENERGIE | Strom aus erneuerbaren Quellen wird künftig nicht mehr<br />
nach politischem Gusto honoriert, sondern per Ausschreibung.<br />
Versteigerungen faszinieren die Menschen.<br />
Der prickelnde Kampf der<br />
Bieter, die in schwindelerregende<br />
Höhe kletternden Preise. Wenn bei Christie’s<br />
oder Sotheby’s ein Picasso, ein Monet<br />
oder ein van Gogh einen neuen Rekord erzielt,<br />
dann kommt das als Meldung in den<br />
Fernsehnachrichten. Immer mehr Immobilieninteressenten<br />
wagen sich zu Zwangsversteigerungen<br />
und Grundstücksauktionen.<br />
Künftig wird auch unsere Stromversorgung<br />
von Bieterschlachten abhängen.<br />
Ab 2017 soll der weitere Ausbau der erneuerbaren<br />
Energien mittels Auktionen organisiert<br />
werden. Nur das Prinzip wird genau<br />
umgekehrt sein wie bei den üblichen<br />
Versteigerungen. Wer sein Verkaufsobjekt<br />
zum Auktionator bringt, will einen möglichst<br />
hohen Preis erzielen. Beim Zuteilen<br />
der Baugenehmigungen für große Ökostromanlagen<br />
sollen dagegen die günstigsten<br />
Anbieter den Zuschlag bekommen.<br />
Das Auktionsmodell ist die ökonomischpolitische<br />
Antwort auf die horrenden Kosten,<br />
die der Aufbau des Ökostromsystems<br />
bisher verursacht hat. Bisher legten die Ministerialbeamten<br />
im Bundeswirtschaftsministerium<br />
und die Abgeordneten des Bundestages<br />
im Erneuerbaren-Energien-Gesetz<br />
(EEG) fest, wie hoch die Einspeisevergütung<br />
für jeden Anlagentyp sein sollte, gestaffelt<br />
nach Energieträger (wie Sonne,<br />
Wind, Biomasse) und Leistung. Eine hochgradig<br />
politisierte Entscheidung, die in der<br />
Vergangenheit beispielsweise dazu führte,<br />
dass die in Deutschland besonders wenig<br />
Spiegelbild Mit Ausschreibungen kontert<br />
die Politik die <strong>Ausgabe</strong>nexplosion des EEGs<br />
ergiebige Sonnenkraft besonders großzügig<br />
bedacht wurde. Der Solarzellen-Wildwuchs<br />
auf Hausdächern, Äckern und an<br />
Autobahnrändern war die Folge.<br />
Für Kleinanlagen der Häuslebauer ändert<br />
sich nichts, aber für Großinstallationen<br />
ist bald Schluss mit der Willkür. Die<br />
Beihilferichtlinien der EU regeln, dass<br />
künftig die Menge an Kraftwerksleistung<br />
ausgeschrieben wird – der Preis soll sich in<br />
der Versteigerung bilden. Die EU-Kommission<br />
hatte die Novelle des EEGs nur mit der<br />
Auflage genehmigt, dass bereits im nächsten<br />
Frühjahr das erste Pilotverfahren für<br />
Großflächen-Solaranlagen anläuft. Nach<br />
dem Modell sollen ab 2017 auch alle Windparks<br />
und Biomasse organisiert werden.<br />
Das Bundeswirtschaftsministerium hat<br />
vergangene Woche seinen Entwurf an die<br />
anderen Ressorts zur Abstimmung verschickt.<br />
Nun sollen Auktionen dazu füh-<br />
Auktionsmodell Einheitspreis<br />
Die Vergütung für alternative Energien soll sich künftig nach dem<br />
Preis des Angebots richten, bei dem das Ausschreibungsziel (in Megawatt) erreicht wird.<br />
Auch die günstigeren Anbieter erhalten dann diesen Preis<br />
Preisangebot<br />
in Cent/kWh*<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
Endgültige Vergütung<br />
für alle Anbieter A–E<br />
* kWh = Kilowattstunde; ** MW = Megawatt<br />
Ausschreibungsziel: 200 MW<br />
sollen installiert werden<br />
Anbieter<br />
A B C D E F<br />
50 100 150 200 250<br />
Anbieter F kommt<br />
nicht zum Zug<br />
Leistung<br />
in MW**<br />
ren, dass der Subventionscharakter<br />
schwindet und nur die Kosten bezahlt<br />
werden, die wirklich anfallen. So sollen im<br />
nächsten Jahr insgesamt 600 Megawatt<br />
(MW) Solarleistung in drei Tranchen ausgeschrieben<br />
werden, etwas mehr als der<br />
von der Bundesregierung geplante Zuwachs<br />
von rund 500 MW. Der Grund ist<br />
einfach:Etwas Schwund ist immer, irgendwo<br />
geht es mit der Genehmigung oder<br />
dem Aufbau langsamer.<br />
Wer in dem Geschäft mitmischen will,<br />
gibt ein (An-)Gebot ab: Welche Kraftwerksleistung<br />
er zu welchem Kilowattstundenpreis<br />
installieren möchte. Nach Ablauf der<br />
Bietungsfrist sortiert die Behörde die Angebote<br />
nach der Höhe des Preises. Die günstigsten<br />
Anbieter kommen zum Zug, bis die<br />
geplante Menge erreicht ist (siehe Grafik).<br />
In dem Pilotverfahren testet das Ministerium<br />
verschiedene Varianten der Vergütung.<br />
Mal gilt: „Pay-as-you-bid“ – jeder bekommt<br />
genau den Satz je Kilowattstunde,<br />
den er in der Auktion aufgerufen hat. In einer<br />
anderen Versteigerungstranche gilt<br />
dann das Einheitspreisverfahren: Die Vergütung,<br />
die allen erfolgreichen Anbietern<br />
bezahlt wird, richtet sich nach dem Preis<br />
des letzten Bewerbers, der gerade noch gebraucht<br />
wurde, um die verlangte Menge<br />
voll zu machen. Wer günstiger produzieren<br />
kann, verdient also besonders gut.<br />
STÖRENFRIEDE ABSCHRECKEN<br />
Bürgergenossenschaften, die bei der Energiewende<br />
mitmischen wollen, könnte das<br />
neue Verfahren benachteiligen. Sie müssten,<br />
um ihr Risiko zu begrenzen, zumindest<br />
schon über eine Fläche und die Genehmigung<br />
von Kommune oder Landkreis verfügen,<br />
bevor sie sich in das Abenteuer Versteigerung<br />
wagen. Die Zusammenschlüsse von<br />
Nachbarn oder Ökoaktivisten könnten ohne<br />
solide Vorarbeiten nicht mithalten.<br />
Denn das Wirtschaftsministerium möchte<br />
Spaßbieter und Hasardeure abschrecken,<br />
die erst mal ein Dumping-Gebot einreichen,<br />
um überhaupt einen Fuß in die Tür<br />
zu bekommen, oder einfach nur die Vergabe<br />
erschweren wollen. Wer sich an der Auktion<br />
beteiligen will, muss eine Sicherheit<br />
hinterlegen. Und wer nicht in der vorgegebenen<br />
Zeit von zwei Jahren nach dem Zuschlag<br />
gebaut hat, muss Strafe zahlen – bis<br />
zu 500 000 Euro stehen im Entwurf.<br />
Das wäre mal eine schöne Wendung in<br />
der Energiewende. Bisher zahlte immer<br />
der Stromkunde drauf, wenn etwas aus<br />
dem Ruder lief.<br />
n<br />
henning.krumrey@wiwo.de/Berlin<br />
FOTO: LAIF/GALLERY STOCK/STEFAN KUHN<br />
34 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
»Gutes Essen für alle«<br />
INTERVIEW | Simone Peter Die Grünen-Vorsitzende über Antibiotika<br />
für Tiere, die übergroße Koalition im Bund und Steuern.<br />
ALLES BIO<br />
Peter, 48, ist seit Oktober 2013 Co-Vorsitzende<br />
der Grünen. Die promovierte Biologin<br />
war Umweltministerin im Saarland.<br />
Frau Peter, nach einem Jahr als Grünen-<br />
Vorsitzende – was präsentieren Sie beim<br />
anstehenden Parteitag als Erfolg?<br />
Wir haben wieder Tritt gefasst. Wir hatten<br />
gute Wahlergebnisse bei den Europawahlen,<br />
in Ländern und Kommunen. Das haben<br />
wir geschafft, indem wir uns auf grüne<br />
Kernthemen besinnt haben – Umwelt,<br />
Klima, Menschenrechte.<br />
Warum sind die Grünen in der Opposition<br />
im Bundestag so leise?<br />
Bei der Rentenpolitik, den Bürgerrechten<br />
und der Energiewende machen wir deutlich,<br />
warum die Regierung zu kurz denkt.<br />
Das ist alles andere als zukunftsorientiert.<br />
Trotzdem bleibt der Eindruck, dass die<br />
Grünen mit sich beschäftigt sind. Sie beharken<br />
sich mit Ihrem Co-Vorsitzenden<br />
Cem Özdemir. Fast zeitgleich äußern Sie<br />
Gegensätzliches über Flüchtlinge, zu<br />
Steuern oder dem Bundespräsidenten.<br />
Das funktioniert schon. Wir Grüne sind ja<br />
dafür bekannt, dass wir gerne diskutieren,<br />
uns dann aber zusammenraufen. Das gilt<br />
auch für Cem Özdemir und mich.<br />
Anders als Özdemir fordern Sie eine<br />
Vermögensteuer. Sie wollen weiter das<br />
Ehegattensplitting abschaffen –<br />
anders als viele Realos. Wie soll aus der<br />
Blockade ein Konzept werden?<br />
Ich sehe keinen grundsätzlichen Widerspruch.<br />
Wir streiten beide dafür, dass unser<br />
Steuersystem gerechter werden muss.<br />
Auch in der Wirtschaftspolitik sind wir<br />
uns einig, dass wir ökologische Rahmenbedingungen<br />
setzen müssen, damit sich<br />
die Industrie modernisiert. Sonst können<br />
wir international nicht bestehen – nicht<br />
bei Autos, nicht im Maschinenbau. Wir<br />
müssen die Energiewende voranbringen.<br />
Das hat Baden-Württembergs Ministerpräsident<br />
Winfried Kretschmann gerade<br />
zu Recht noch mal betont.<br />
Sie unterstützen Herrn Kretschmann, die<br />
Grünen zur Wirtschaftspartei umzubauen?<br />
Andere warnen vor der „FDP in Grün“.<br />
»Es muss<br />
Schluss sein<br />
mit Mega-<br />
Mastanlagen«<br />
Von der FDP unterscheiden wir uns fundamental,<br />
weil wir keine Steuersenkungspartei<br />
sind und keine Klientelpartei für<br />
Unternehmen.<br />
Mit dem Ruf nach mehr Steuern für den<br />
Umbau sind die Grünen zur Bundestagswahl<br />
gestrandet. Was folgt daraus?<br />
Beispiel Ehegattensplitting. Es hält Frauen<br />
davon ab, ihre Existenz eigenständig zu sichern<br />
und eine Alterssicherung aufzubauen.<br />
Wir wollen es deshalb weiterhin<br />
abschmelzen. Das geht aber nur, wenn es<br />
sozial verträglich ist, wenn etwa Übergangsfristen<br />
gelten.<br />
Unternehmer interessiert, ob die Grünen<br />
weiter eine Vermögensabgabe oder<br />
-steuer fordern. Das greift aus deren<br />
Sicht unzulässig ins Eigentum ein.<br />
Eine Substanzbesteuerung haben wir nie<br />
gefordert. Eine gerechte Vermögensteuer<br />
muss für alle gelten und darf niemanden<br />
überfordern. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht<br />
in der mündlichen Verhandlung<br />
bei der Erbschaftsteuer die vielen<br />
Ausnahmen zu Recht als „Subventionierung<br />
des Großkapitals“ bezeichnet.<br />
Beim Parteitag debattieren Sie über Ernährung<br />
und Landwirtschaft. Die Grünen<br />
wollen neue Kennzeichen für Lebensmittel.<br />
Wer soll da noch durchblicken?<br />
Es sollen nicht mehr, sondern deutlichere<br />
Angaben her. Wir wollen zum Beispiel die<br />
Nährstoff-Ampel, die in drei Farben anzeigt,<br />
wie viel Fett, Salz und Zucker ein<br />
Produkt enthält. Anzustreben wäre eine<br />
europaweite Kennzeichnung, auch für<br />
gentechnisch veränderte Bestandteile<br />
oder die Herkunft tierischer Produkte. Es<br />
muss übersichtlicher werden. Dann kaufen<br />
weniger Menschen Nordseekrabben,<br />
die in Polen gepult und in Italien verpackt<br />
werden.<br />
Wie soll das aussehen?<br />
Verbraucher brauchen mehr Durchblick<br />
im Label-Dschungel, damit sie bewusst<br />
entscheiden können. Einiges muss aber<br />
vorher die Politik regeln. Die Verantwortung<br />
kann sie nicht allein den Verbrauchern<br />
am Supermarkregal auflasten. Dazu<br />
gehören Gesetze, etwa ein Anbauverbot<br />
für Genmais oder strenge Standards für<br />
den Einsatz von Pestiziden und Medikamenten.<br />
Wir wollen, dass Wurst, die mit<br />
Chemie und Antibiotika durchsetzt ist, gar<br />
nicht auf den Markt kommt.<br />
Wie soll Tierschutz im Stall stattfinden?<br />
Riesige Ställe dürfen nicht mehr genehmigt<br />
werden. Und wir brauchen viel strengere<br />
Regeln für den Einsatz von Antibiotika<br />
in der Tierhaltung. Inzwischen ist es so,<br />
36 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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FOTO: WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
dass Tierärzte Reserve-Antibiotika einsetzen,<br />
weil die herkömmlichen schon nicht<br />
mehr wirken. Ärzte sind alarmiert, weil<br />
die Menschen, die das Fleisch essen,<br />
ebenfalls resistent gegen eine Behandlung<br />
mit Antibiotika werden. Rückstände finden<br />
sich auch im Trinkwasser wieder.<br />
Wollen die Grünen Antibiotika in der<br />
Tiermast verbieten?<br />
Nein, aber ihr Einsatz sollte auf kranke<br />
Tiere beschränkt werden. Verboten werden<br />
muss die Behandlung mit Reserve-<br />
Antibiotika. Sonst gibt es auch für Menschen<br />
bald keine Behandlung mehr bei<br />
schweren Krankheiten.<br />
Dürfen dann nur noch 200 Tiere in einen<br />
Stall, um Krankheiten klein zu halten?<br />
Wir wollen weg von der Massentierhaltung.<br />
Die Menschen vor Ort akzeptieren<br />
das nicht mehr. Gülle ist auch ein Riesenproblem<br />
für die Böden und das<br />
Grundwasser. Wir brauchen Grenzwerte<br />
für Rückstände aus der Tiermast, und wir<br />
wollen kleinere Ställe. Es muss Schluss<br />
sein mit Mega-Mastanlagen und dem<br />
Transport von Tieren quer über den Kontinent.<br />
Das dürfte Lebensmittel aber für den<br />
Einzelnen teurer machen.<br />
Das mag auf dem Preisschild so aussehen.<br />
Es stimmt aber nicht, wenn man die Folgekosten<br />
für Umwelt und Gesundheit einbezieht<br />
und die Milliarden an Steuergeld,<br />
die heute in eine falsche Agrarpolitik fließen.<br />
Wir können es uns nicht leisten, auf<br />
Dauer ungesund zu essen. Uns geht es um<br />
gute und bezahlbare Lebensmittel für alle.<br />
Finden Sie in der Union neue Verbündete?<br />
Der Bundesgesundheitsminister<br />
kritisiert den Einsatz von Antibiotika,<br />
andere wollen die Kreatur schützen und<br />
Massentierhaltung eindämmen.<br />
Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt<br />
der Glaube. Am Ende setzen CDU und<br />
CSU doch immer auf Massenproduktion<br />
und unverbindliche Selbstverpflichtungen<br />
zum Tierschutz.<br />
Auf was achten Sie beim Einkaufen?<br />
Im Saarland kaufe ich gerne in Hofläden<br />
ein. Hier in Berlin gibt es eine sehr gute<br />
Biobäckerei vor meiner Haustüre. Unter<br />
der Woche komme ich kaum zum Einkaufen<br />
und Kochen. Ich kaufe Fleisch in der<br />
Regel nur aus Bioproduktion. Dann esse<br />
ich lieber weniger davon. Ich habe zu viele<br />
Filme über Massentierhaltung gesehen.<br />
Wenn ich abends kurz vor Ladenschluss<br />
was brauche, gehe ich auch mal in den<br />
Supermarkt.<br />
n<br />
cordula.tutt@wiwo.de | Berlin, christian schlesiger | Berlin<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 37<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
PARIS | Netflix will<br />
mit seinen Filmen<br />
das Land erobern,<br />
der gallische Widerstand<br />
bröckelt. Von<br />
Karin Finkenzeller<br />
Kulturbanausen<br />
Knapp zwei Monate ist<br />
es her, dass der amerikanische<br />
Streamingdienst<br />
Netflix ausgezogen<br />
ist, Europa zu erobern.<br />
In Frankreich hat die<br />
Ankunft viel Wirbel verursacht. Paris<br />
stört, dass Netflix in Amsterdam sitzt.<br />
Dem Land entgehen so Steuern und die<br />
Pflichtabgabe zugunsten der französischen<br />
Filmindustrie. „Kulturdumping“<br />
lautet der Vorwurf an das Unternehmen.<br />
Dessen Chef Reed Hastings hält mit<br />
einer Charme-Offensive dagegen. Französische<br />
Abonnenten, die monatlich<br />
zwischen 7,99 und 11,99 Euro für den<br />
Dienst bezahlen, können Brigitte Bardots<br />
Schmollmund noch einmal einer fachmännischen<br />
Prüfung unterziehen. Mit<br />
Filmklassikern vor allem will Netflix die<br />
Franzosen ködern. Zudem hat Hastings<br />
die Finanzierung einer französischen<br />
Produktion angekündigt.<br />
Geht die Rechnung auf? Stéphane Richard,<br />
Chef des Telekommunikationskonzerns<br />
Orange (ehemals France Télécom),<br />
gönnte seinen Kunden zunächst keinen<br />
Zugriff auf Netflix-Videos. Erst müsse das<br />
Unternehmen eine „zufriedenstellende<br />
Übereinkunft“ mit dem französischen<br />
Staat finden. Der ist mit 13,4 Prozent an<br />
Orange beteiligt. Zwei Monate und eine<br />
Regierungsumbildung später ist es so<br />
weit. Netflix sitzt zwar immer noch in<br />
Amsterdam. Doch in Paris wurden zwei<br />
besonders linke Minister in den Ressorts<br />
für Kultur und Wirtschaft ausgetauscht.<br />
Die Nachfolger wollten offenbar nicht<br />
zusehen, wie Orange-Kunden zu zwei<br />
privaten Anbietern abwandern, um eine<br />
Kultserie zu sehen, die nur zufällig „Orange<br />
is the new Black“ heißt.<br />
Karin Finkenzeller ist Frankreich-<br />
Korrespondentin der WirtschaftsWoche.<br />
BERLIN INTERN | Politiker sind im Wahlkreis ihr eigener<br />
Chauffeur – und kommen zwischen Schützenfest<br />
und Sozialstation mit Verkehrsregeln ins Gehege. Das<br />
interessiert die Wähler zu Recht. Von Cordula Tutt<br />
Rasende Republik<br />
Fährt gern schnell Ministerin Nahles ist<br />
inzwischen öfter mit Fahrer unterwegs<br />
Es trifft alle: Schwarze, Rote,<br />
Grüne, Männer und Frauen. Mal<br />
fahren sie zu schnell, mal klappt<br />
das Einparken nicht, vielleicht ist<br />
Alkohol im Spiel. Zuletzt musste sich der<br />
Chef des Verkehrsausschusses im Bundestag,<br />
Martin Burkert (SPD), erklären.<br />
Der Nürnberger Abgeordnete schildert,<br />
sein Wagen sei auf der A 6 von einem Fahrzeug<br />
berührt worden. Er habe in eine Ausfahrt<br />
ausweichen können. Dann sei er zur<br />
Polizei gefahren. Die andere Fahrerin gab<br />
hingegen an, der Politiker habe sie abgedrängt,<br />
sie sei gegen dessen Pkw geprallt.<br />
Ermittelt werden soll wegen unerlaubten<br />
Entfernens <strong>vom</strong> Unfallort. Burkert: „Heute<br />
weiß ich, das Beste ist: Anhalten, Handy<br />
nehmen, Polizei holen.“ Er sei nicht alkoholisiert<br />
gewesen.<br />
Mit den Behörden zu tun hat auch Bodo<br />
Ramelow (Die Linke), wohl nächster Ministerpräsident<br />
in Thüringen. „Bild“ zeigte ein<br />
Foto auf der B 7 <strong>vom</strong> April. Ein Skoda, der<br />
dem Linken-Vormann gehört, wurde mit 96<br />
Stundenkilometern geblitzt, erlaubt sind 60.<br />
Zu sehen sind ein Fahrer mit Ramelow-typischem<br />
Rollkragen, ein ihm ähnliches Kinn<br />
und der Rand der bekannten Brille. Doch der<br />
Rückspiegel verdeckt die Augen. Auf seiner<br />
Netzseite bestreitet Ramelow nicht direkt,<br />
dass er fuhr. Trotzdem wehrt er sich: „Laut<br />
meinem Kalender war ich da aber gerade auf<br />
dem Weg nach Wien.“ Gegen den Strafzettel<br />
schaltete er einen Anwalt ein.<br />
Als Autofahrer reagieren Politiker wie<br />
Normalos. Wähler strafen ihre Abgeordneten<br />
selten für ein Versagen, eher dafür, wie<br />
sie mit Fehlern umgehen. In puncto Reue<br />
schneidet Burkert besser ab als Ramelow.<br />
Auf Diskretion hoffen Politiker umsonst.<br />
Staatsanwälte melden sich mit dem Knöllchen<br />
beim Bundestag, der Immunitätsausschuss<br />
hat 48 Stunden Zeit. Erfolgt kein<br />
Einspruch, wird der Bescheid verschickt.<br />
Doch irgendwer sticht immer was durch.<br />
Das findet Wolfgang Bosbach (CDU),<br />
Vorsitzender des Bundestagsinnenausschusses,<br />
in Ordnung. „Natürlich haben die<br />
Leute auch jenseits der Politik ein großes<br />
Interesse an uns.“ Der Rheinländer, der<br />
zeitweilig 14 Punkte auf dem Flensburger<br />
Konto hatte, machte den „Idiotentest“ deshalb<br />
lieber fern der Wähler, in der Hauptstadt.<br />
Er rät den Kollegen: „Nicht tricksen,<br />
sondern offen sein.“ Aber Bosbach bittet<br />
auch um Verständnis. „Nach einer Veranstaltung<br />
um 22 oder 23 Uhr hat man nur<br />
noch den Wunsch: nach Hause!“<br />
Bekannt wurden die Vergehen heutiger<br />
Bundesministerinnen der SPD – beide mit<br />
ländlichem Wahlkreis und viel Fahrpraxis.<br />
Nach Medienberichten verursachte Umweltministerin<br />
Barbara Hendricks 2013<br />
beim Ausparken einen harmlosen Blechschaden<br />
und hinterließ zunächst die Visitenkarte.<br />
Den Schaden beglich sie, doch ermittelte<br />
die Polizei wegen Fahrerflucht.<br />
Ähnlich erging es Arbeitsministerin Andrea<br />
Nahles bereits 2008. Sie zahlte ein Bußgeld,<br />
weil sie die Visitenkarte ans touchierte<br />
Auto klemmte, aber nicht lange wartete.<br />
Tragischer mutete 2011 Andreas Schockenhoffs<br />
Patzer an – auch beim Parken.<br />
Schnell wurde über Ermittlungen wegen<br />
Unfallflucht und Trunkenheit berichtet. Der<br />
CDU-MdB räumte ein Alkoholproblem ein.<br />
Das zeigt, dass autofahrende Politiker ihr<br />
Image gefährden. Dagegen wehrte sich<br />
jüngst Tübingens OB Boris Palmer (Grüne).<br />
Er fand den städtischen Parkplatz verstellt<br />
und parkte das andere Auto zu. Die Falschparkerin<br />
zeigte an, ihr Lack sei beschädigt.<br />
Die Posse drang im Wahlkampf schnell an<br />
die Öffentlichkeit. Nicht gut schnitt dabei<br />
die Fitnesskette „Clever Fit“ ab, zu der das<br />
Auto gehörte. Schlau eingeparkt hatte die<br />
Mitarbeiterin wirklich nicht.<br />
FOTOS: SAMMY HART, WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />
38 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Der Volkswirt<br />
KOMMENTAR | Das Wachstum in<br />
Japan ist nicht nachhaltig. Es fehlen<br />
überfällige Strukturreformen.<br />
Von Angela Hennersdorf<br />
Leere Drohung<br />
Eine Streitkultur ist die<br />
japanische Gesellschaft<br />
nicht. Wer es<br />
wagt, Autoritäten zu<br />
widersprechen, der tut das nur<br />
indirekt. Bestes Beispiel ist aktuell<br />
Ryuzo Miyao, Mitglied im<br />
Rat der Bank of Japan (BoJ),<br />
der japanischen Notenbank.<br />
Miyao kündigte in der vergangenen<br />
Woche an, schon ab Mitte<br />
nächsten Jahres könnte die<br />
Zentralbank über den Ausstieg<br />
aus der expansiven Geldpolitik<br />
beraten. Wie passt das mit den<br />
jüngsten Beschlüssen von Notenbankchef<br />
Haruhiko Kuroda<br />
zusammen? Der hatte erst vor<br />
zwei Wochen beschlossen, seine<br />
eh schon lockere Geldpolitik<br />
durch noch größere Anleihenund<br />
Aktienkäufe auszuweiten,<br />
um der japanischen Wirtschaft<br />
auf die Sprünge zu helfen. Japanische<br />
Staatsanleihen im Volumen<br />
von jährlich 80 Billionen<br />
Yen (rund 575 Milliarden Euro)<br />
will die BoJ nun ankaufen. Seit<br />
April 2013 kauft sie bereits<br />
pro Jahr Anleihen im Volumen<br />
zwischen 60 und 70 Billionen<br />
Yen. Die deswegen etwas merkwürdige<br />
Ankündigung des<br />
Zentralbankers Miyao ist daher<br />
vor allem eine Warnung an<br />
Regierungschef Shinzo Abe.<br />
HOHE VERSCHULDUNG<br />
Mit seiner Abenomics-Politik hat<br />
der Regierungschef eine ziemliche<br />
Bauchlandung hingelegt.<br />
Überfällige Strukturreformen,<br />
etwa auf dem Arbeitsmarkt, im<br />
Gesundheitswesen, im Steuersystem,<br />
hat er nicht angepackt.<br />
Auch mit der Sanierung der<br />
Staatsfinanzen kommt Abe nicht<br />
voran. Die Verschuldung Japans<br />
liegt bei gut 240 Prozent der<br />
Wirtschaftsleistung. Nun erwägt<br />
er auch noch, die bereits geplante<br />
Steuererhöhung in 2015 abzusagen<br />
– nicht nur, weil er<br />
fürchtet, dadurch könnte sich<br />
die Konjunktur weiter abschwächen,<br />
sondern, weil Steuererhöhungen<br />
den sicheren Sieg der<br />
Opposition bedeuten würden.<br />
Bis Anfang Dezember will Abe<br />
über Neuwahlen entscheiden.<br />
Notenbanker Miyao fürchtet<br />
zu Recht, der Reformunwille des<br />
Landes könnte Investoren abschrecken.<br />
Das wäre für Japans<br />
fragile Wirtschaft kein gutes Signal.<br />
Von einem nachhaltigen<br />
Wachstum in Japan kann nicht<br />
die Rede sein – trotz all der Milliarden,<br />
mit denen die Notenbank<br />
unterstützend eingreift. Der<br />
Geldsegen der BoJ lässt allenfalls<br />
die Börsenkurse in Japan<br />
steigen (siehe Seite 90).<br />
Zwar stieg das Bruttoinlandsprodukt<br />
von Januar bis März um<br />
1,6 Prozent im Vergleich zum<br />
Vorjahresquartal. Doch das lag<br />
vor allem daran, dass Verbraucher<br />
Anschaffungen vorzogen,<br />
um Preiserhöhungen zu umgehen.<br />
Im April erhöhte Japan die<br />
Umsatzsteuer von fünf auf acht<br />
Prozent. Sicherlich ist Miyaos<br />
Ankündigung, schon bald den<br />
Geldhahn zudrehen zu wollen,<br />
nur eine leere Drohung. Doch Japan<br />
zeigt: Keine Zentralbank der<br />
Welt kann den Reformunwillen<br />
der Politik ausgleichen. Das ist<br />
auch eine Lehre für den Präsidenten<br />
der Europäischen Zentralbank,<br />
Mario Draghi. Der<br />
plant wie die BoJ eine weitere<br />
Ausweitung der lockeren Geldpolitik<br />
über den Kauf von Staatsund<br />
Unternehmensanleihen.<br />
Geldpolitik löse keine realen<br />
Probleme, sagt der US-Ökonom<br />
Allan Meltzer. „Die Lage wird<br />
nicht besser, wenn man einfach<br />
weitermacht mit Dingen, die<br />
nichts nützen.“<br />
NEW ECONOMICS<br />
Autonome Zwitscherer<br />
Trendsetter auf Twitter lassen sich nicht instrumentalisieren.<br />
Auf gezielte Werbe-Tweets reagieren sie nicht,<br />
zeigt eine neue Studie.<br />
Schöne neue Online-Werbewelt:<br />
Immer präziser können<br />
Unternehmen im Internet<br />
verfolgen, ob ihre Botschaften<br />
ankommen. Die Zahl der<br />
Klicks, die Verweildauer der<br />
Surfer – alles wird sekundengenau<br />
gemessen. Angepasst an<br />
die Vorlieben des digitalen Konsumenten<br />
ist Online-Werbung<br />
längst. Wer sich neue Automodelle<br />
im Netz anschaut, bekommt<br />
beim nächsten Surfen<br />
ziemlich sicher Autoanzeigen<br />
vorgesetzt. Für Marketingstrategen<br />
ist es besonders interessant,<br />
jene Verbraucher zu erreichen,<br />
die Trends im Netz aufnehmen<br />
und diese als Multiplikator<br />
weiterverbreiten. Angepriesen<br />
durch autonome Meinungsführer,<br />
erhoffen sich Unternehmen<br />
eine größere Streuung<br />
ihrer Angebote über die Peer-<br />
Gruppe des Verbreiters sowie<br />
eine Themensetzung in ihrem<br />
Sinne.<br />
Doch lassen sich digitale<br />
Trendsetter mit gezielter Werbung<br />
tatsächlich beeinflussen?<br />
Ist es möglich, sie mit Online-<br />
Marketingaktionen zu überzeugen,<br />
die Botschaften zu<br />
verbreiten, die die Absender<br />
gerne propagiert haben wollen?<br />
Nein, sagt eine neue Studie<br />
von Anja Lamprecht (London<br />
Business School), Catherine<br />
Tucker (MIT Sloan School of<br />
Management Cambridge) und<br />
Caroline Wiertz (City University<br />
London).*<br />
Die Wissenschaftlerinnen<br />
haben dazu einen Feldtest auf<br />
Twitter gemacht. Dort lassen<br />
sich täglich Top-Themen herausfiltern,<br />
indem man misst,<br />
welche Wörter am häufigsten<br />
* Lambrecht, Anja, Tucker, Catherine,<br />
Wiertz, Caroline, Should You Target Early<br />
Trend Propagators? Evidence from Twitter,<br />
London Business School 2014<br />
gepostet werden. Solche Trends<br />
entstehen entweder durch originäre<br />
Themensetzung von individuellen<br />
Nutzern (Trendsettern)<br />
oder durch Tweets von<br />
Unternehmen, die dafür bezahlen,<br />
dass diese besonders hervorgehoben<br />
werden. Unternehmen<br />
wie Pepsi experimentieren<br />
seit Längerem damit.<br />
WERBE-TWEET VERPUFFT<br />
Für ihren Feldtest arbeiteten die<br />
Ökonominnen mit einer britischen<br />
Wohltätigkeitsorganisation<br />
zusammen, die über vier<br />
Tage lang um Aufmerksamkeit<br />
für ihre Weihnachtshilfsaktion<br />
für Obdachlose warb. An jedem<br />
Tag identifizierte die Organisation<br />
die Top-Trends und schickte<br />
dann gezielt ihre Werbe-Tweets<br />
an die Twitterer, die einen individuellen<br />
Trend gesetzt hatten,<br />
sowie an solche, die erst auf ein<br />
Thema aufsprangen, wenn es<br />
sich schon zum Top-Thema auf<br />
Twitter entwickelt hatte.<br />
Ergebnis: Die originären<br />
Trendsetter reagierten nicht auf<br />
die Werbe-Tweets. Nur die<br />
Trend-Folger streuten die Werbe-Tweets.<br />
Die individuellen<br />
Trendsetzer hätten wenig Motivation,<br />
anderen zu folgen,<br />
schon gar nicht Werbe-Tweets,<br />
resümieren die Autorinnen.<br />
Gezielte Marketingaktionen für<br />
unabhängige Themensetzer in<br />
sozialen Netzwerken wie Twitter<br />
seien also ineffektiv. Die Autorinnen<br />
weisen selbst darauf<br />
hin, dass ihre Studie auf einem<br />
Test mit einer Wohltätigkeitsorganisation<br />
und nicht mit<br />
einem Unternehmen basiert.<br />
Überraschend ist das Ergebnis<br />
dennoch, denn bisher galt die<br />
Annahme, dass individuelle<br />
Botschafter sich sehr wohl für<br />
Werbezwecke gewinnen lassen.<br />
angela.hennersdorf@wiwo.de | Frankfurt<br />
FOTO: SASCHA PFLAEGING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
40 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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KONJUNKTUR DEUTSCHLAND<br />
Sachverständige zoffen<br />
sich mit der Regierung<br />
Es war eine kalte Dusche, die<br />
Bundeskanzlerin Angela Merkel<br />
und ihre Regierung in der<br />
vergangenen Woche von den<br />
fünf Wirtschaftsweisen verabreicht<br />
bekamen. In ihrem<br />
jüngsten Jahresgutachten ließen<br />
die Ökonomieprofessoren<br />
kein gutes Haar an der Wirtschaftspolitik<br />
der Bundesregierung.<br />
Rente mit 63, Mütterrente,<br />
Mindestlohn, Energiewende<br />
und Finanzpolitik – überall habe<br />
die Regierung „ihre wirtschaftspolitischen<br />
Spielräume<br />
ausgiebig genutzt“, schreiben<br />
die Weisen. Will heißen: Die Regierung<br />
hat weit über die Stränge<br />
geschlagen. Das mache sich<br />
nun durch negative Vertrauenseffekte<br />
dämpfend auf die Konjunktur<br />
bemerkbar. Für dieses<br />
Jahr erwarten die Weisen daher<br />
nur noch ein Wirtschaftswachstum<br />
von 1,2 Prozent. Im nächsten<br />
Jahr werde die Rate auf 1,0<br />
Prozent fallen.<br />
Volkswirtschaftliche<br />
Gesamtrechnung<br />
Real. Bruttoinlandsprodukt<br />
Privater Konsum<br />
Staatskonsum<br />
Ausrüstungsinvestitionen<br />
Bauinvestitionen<br />
Sonstige Anlagen<br />
Ausfuhren<br />
Einfuhren<br />
Arbeitsmarkt,<br />
Produktion und Preise<br />
Industrieproduktion 1<br />
Auftragseingänge 1<br />
Einzelhandelsumsatz 1<br />
Exporte 2<br />
ifo-Geschäftsklimaindex<br />
Einkaufsmanagerindex<br />
GfK-Konsumklimaindex<br />
Verbraucherpreise 3<br />
Erzeugerpreise 3<br />
Importpreise 3<br />
Arbeitslosenzahl 4<br />
Offene Stellen 4<br />
Beschäftigte 4, 5<br />
KONSUM STÜTZT<br />
Wichtigster Impulsträger für die<br />
Konjunktur bleibe der private<br />
Konsum, er werde in diesem<br />
und dem nächsten Jahr um 0,8<br />
beziehungsweise 1,5 Prozent<br />
zulegen. Dagegen seien von<br />
den Ausrüstungs- und Bauinvestitionen<br />
keine nennenswerten<br />
Wachstumsbeiträge zu erwarten,<br />
der Außenhandel<br />
werde die deutsche Wirtschaftsleistung<br />
sogar dämpfen. Angesichts<br />
dieser Analyse sollten bei<br />
den Politikern die Alarmsirenen<br />
schrillen. Denn eine Wirtschaft,<br />
die sich vor allem durch den<br />
Verbrauch des Produzierten<br />
über Wasser hält, wächst nicht<br />
nachhaltig. Dazu müssten vielmehr<br />
die Unternehmen in neue<br />
Maschinen und Anlagen investieren<br />
und den Kapitalstock up<br />
to date halten. Dass die Firmen<br />
sich mit ihren Investitionen zurückhalten,<br />
führen die fünf Weisen<br />
auch auf den wachstumsfeindlichen<br />
Kurs der Regierung<br />
zurück.<br />
Diese zeigte sich bei der<br />
Übergabe des Gutachtens unbeeindruckt<br />
von der Kritik. Es<br />
sei kaum zu verstehen, wie ein<br />
Beschluss, der noch gar nicht in<br />
Kraft ist, jetzt schon die Konjunktur<br />
dämpfe, giftete Kanzlerin<br />
Merkel mit Blick auf die Kritik<br />
an dem 2015 zur Einführung<br />
anstehenden Mindestlohn.<br />
Noch heftiger fiel das Urteil der<br />
SPD-Generalsekretärin Yasmin<br />
Fahimi aus. Sie warf den Weisen<br />
vor, sie arbeiteten mit „plakativen,<br />
teils sehr platten Wertungen“,<br />
würden „wissenschaftlichen<br />
Anforderungen nicht<br />
gerecht“ und seien mit ihrer<br />
„ganzen Methodik nicht mehr<br />
auf der Höhe der Zeit“. Da mag<br />
sich mancher Beobachter fragen,<br />
warum die Regierung angesichts<br />
der angeblich so<br />
schlechten Qualität des Gutachtens<br />
nicht Tabula rasa<br />
macht und Großökonomin Fahimi,<br />
eine gelernte Chemikerin,<br />
Wirtschaftsweise pessimistisch<br />
Wenig Wachstum...<br />
2,90<br />
0,4<br />
2,95<br />
Registrierte<br />
Arbeitslose<br />
in Millionen<br />
0,1<br />
1,2<br />
Prognose<br />
2,91<br />
1,0<br />
2,93<br />
2012 2013 2014 2015<br />
mit dem Verfassen des nächsten<br />
Jahresgutachtens beauftragt.<br />
Dann müssten sich die<br />
Berliner Regenten künftig nicht<br />
mehr über das Konvolut unabhängiger<br />
Experten aufregen.<br />
Und das Gutachten hätte tatsächlich<br />
das Prädikat miserabel<br />
verdient – ganz so wie die Wirtschaftspolitik<br />
der Regierung.<br />
...und niedrige Inflation<br />
* Gebietskörperschaften und Sozialversicherungen, in Prozent des nominalen Bruttoinlandsprodukts;<br />
Quelle: Sachverständigenrat<br />
2012 2013<br />
Durchschnitt<br />
0,4<br />
0,8<br />
1,0<br />
–4,0<br />
–1,4<br />
3,4<br />
3,2<br />
1,4<br />
2012 2013<br />
Durchschnitt<br />
–0,9<br />
–4,2<br />
0,1<br />
3,3<br />
105,0<br />
46,7<br />
5,9<br />
2,0<br />
1,6<br />
2,1<br />
2896<br />
478<br />
29355<br />
0,1<br />
0,9<br />
0,4<br />
–2,4<br />
–0,2<br />
3,0<br />
0,9<br />
1,5<br />
–0,2<br />
2,5<br />
0,2<br />
–0,2<br />
106,9<br />
50,6<br />
6,5<br />
1,5<br />
–0,1<br />
–2,5<br />
2950<br />
458<br />
29722<br />
2,0<br />
Bruttoinlandsprodukt<br />
Veränderung zum<br />
Vorjahr in Prozent<br />
Verbraucherpreise<br />
1,5<br />
Veränderung zum<br />
Vorjahr in Prozent<br />
II/13 III/13 IV/13 I/14 II/14<br />
Veränderung zum Vorquartal in Prozent<br />
0,8<br />
0,6<br />
0,0<br />
2,3<br />
3,0<br />
0,0<br />
1,4<br />
1,3<br />
Juli<br />
2014<br />
1,6<br />
4,8<br />
–0,9<br />
4,8<br />
108,0<br />
52,4<br />
8,9<br />
0,8<br />
–0,8<br />
–1,7<br />
2912<br />
484<br />
30259<br />
malte.fischer@wiwo.de<br />
1,0<br />
Prognose<br />
1,3<br />
Haushaltssaldo*<br />
0,3<br />
0,1 0,1<br />
0,0<br />
2012 2013 2014 2015<br />
1 Volumen, produzierendes Gewerbe, Veränderung zum Vormonat in Prozent; 2 nominal, Veränderung zum Vormonat in<br />
Prozent; 3 Veränderung zum Vorjahr in Prozent; 4 in Tausend, saisonbereinigt; 5 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte;<br />
alle Angaben bis auf Vorjahresvergleiche saisonbereinigt; Quelle: Thomson Reuters<br />
0,3<br />
0,7<br />
0,6<br />
–0,5<br />
1,8<br />
0,2<br />
0,7<br />
1,7<br />
August<br />
2014<br />
–3,1<br />
–4,2<br />
1,3<br />
–5,8<br />
106,3<br />
51,4<br />
8,9<br />
0,8<br />
–0,8<br />
–1,9<br />
2900<br />
494<br />
30257<br />
0,5<br />
–0,8<br />
–0,1<br />
2,1<br />
0,7<br />
0,2<br />
1,7<br />
0,7<br />
September<br />
2014<br />
1,4<br />
0,8<br />
–2,8<br />
5,5<br />
104,7<br />
49,9<br />
8,6<br />
0,8<br />
–1,0<br />
–1,6<br />
2909<br />
500<br />
–<br />
0,7<br />
0,8<br />
0,4<br />
2,1<br />
4,1<br />
1,2<br />
0,0<br />
0,5<br />
Oktober<br />
2014<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
103,2<br />
51,8<br />
8,4<br />
0,8<br />
–<br />
–<br />
2887<br />
509<br />
–<br />
–0,2<br />
0,1<br />
0,1<br />
–0,4<br />
–4,2<br />
0,1<br />
0,9<br />
1,6<br />
November<br />
2014<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
8,5<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
Letztes Quartal<br />
zum Vorjahr<br />
in Prozent<br />
0,8<br />
1,0<br />
1,0<br />
2,1<br />
0,7<br />
1,6<br />
2,5<br />
4,1<br />
Letzter Monat<br />
zum Vorjahr<br />
in Prozent<br />
3,4<br />
2,0<br />
2,4<br />
8,5<br />
–4,2<br />
0,2<br />
19,7<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–2,6<br />
11,1<br />
1,6<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 41<br />
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Der Volkswirt<br />
DENKFABRIK | Trotz der aktuell explosiven Lage könnte sich Mexiko im nächsten Jahrzehnt<br />
zum wirtschaftlichen Star in Lateinamerika entwickeln. Das liegt an Wachstumseffekten<br />
durch das Freihandelsabkommen NAFTA – aber auch an der Liberalisierung des<br />
Energiesektors, durch die die Produktionskosten deutlich sinken. Von Martin Feldstein<br />
Lohn der Integration<br />
Kann eine Energiereform<br />
ein ganzes Land<br />
voranbringen? Ja –<br />
zumindest in Mexiko.<br />
Die aktuellen Reformen der<br />
dortigen Regierung auf dem<br />
Energiesektor senken die Produktionskosten<br />
der Wirtschaft<br />
und dürften so das Wirtschaftswachstum<br />
ankurbeln. Präsident<br />
Enrique Peña Nieto hat<br />
im mexikanischen Kongress<br />
nach langen Debatten eine<br />
Mehrheit für eine Verfassungsänderung<br />
gefunden, die den<br />
Markt öffnet und nun endlich<br />
ausländische Energieunternehmen<br />
und Investoren ins<br />
Land bringen dürfte.<br />
MANGEL AN WISSEN<br />
Vor der Reform war der mexikanische<br />
Energiesektor komplett<br />
in Staatseigentum. Dem Staatskonzern<br />
Petróleos Mexicanos<br />
(Pemex) gehörten sämtliche Ölund<br />
Gasreserven des Landes;<br />
das Unternehmen war allein<br />
verantwortlich für Exploration,<br />
Produktion und Vertrieb. Auch<br />
die Stromerzeugung und<br />
-verteilung lag in den Händen<br />
der Regierung.<br />
Aus Mangel an technischem<br />
Wissen konnte Pemex die<br />
riesigen Öl- und Gasreserven<br />
Mexikos allerdings nicht ausreichend<br />
entwickeln und ausbeuten.<br />
Große Teile der Ölreserven<br />
lassen sich nur mit einer speziellen<br />
Tiefseebohrtechnik ausbeuten<br />
– über die das Unternehmen<br />
bislang nicht verfügt.<br />
Es gibt zudem eine Reihe von<br />
noch unerschlossenen Gas- und<br />
Ölfeldern, die sich mithilfe<br />
neuer Methoden wie Fracking<br />
oder Bohrspülen anzapfen ließen.<br />
Dafür aber benötigt Mexiko<br />
ebenso moderne (Auslands-)<br />
Technologie wie beim Vorhaben,<br />
veraltete Förderanlagen produktiver<br />
zu machen.<br />
Über Jahrzehnte galten die<br />
Energiereserven Mexikos als „nationales<br />
Erbe“, auf das nur eine<br />
einzige Institution Zugriff hatte:<br />
Pemex. Jedes direkte oder indirekte<br />
Fremdeigentum im Energiesektor<br />
war durch die Verfassung<br />
verboten. Somit gab es auch keine<br />
Möglichkeit für ausländische Unternehmen,<br />
über Beteiligungen<br />
ihr technisches Know-how einzubringen.<br />
»Experten<br />
schätzen, dass<br />
die Stromkosten<br />
der mexikanischen<br />
Produzenten<br />
künftig<br />
um bis zu 20<br />
Prozent niedriger<br />
liegen könnten<br />
als heute«<br />
Die jetzt erfolgte Öffnung des<br />
mexikanischen Energiesektors ist<br />
der vorläufige Schlusspunkt eines<br />
ehrgeizigen Liberalisierungs- und<br />
Integrationskurses, der 1994 mit<br />
der Verabschiedung des Freihandelsabkommens<br />
NAFTA begann.<br />
Dieses Abkommen zwischen Mexiko,<br />
Kanada und den USA verwandelte<br />
das Land im Laufe der<br />
Jahre von einer weitgehend geschlossenen<br />
Volkswirtschaft mit<br />
niedrigem Exportanteil in ein<br />
dynamisches Schwellenland, das<br />
heute ökonomisch eng mit den<br />
Vereinigten Staaten verflochten<br />
ist. Die Exporte Mexikos haben<br />
sich seit dem NAFTA-Start verzehnfacht<br />
– und 80 Prozent der<br />
Ausfuhren gehen in die USA. Viele<br />
multinationale US-Unternehmen<br />
haben in Mexiko Produktionsstätten<br />
eröffnet.<br />
GÜNSTIGES GAS<br />
Durch die neuen Energiereformen<br />
kann Mexiko nun auch von günstigem<br />
Gas aus Kanada profitieren.<br />
Dessen Preis ist in den USA und<br />
Kanada nur halb so hoch wie in<br />
Mexiko – und weniger als halb so<br />
hoch wie in Europa oder Asien.<br />
Der Zugang zu billigerem Gas<br />
dürfte vor allem die petrochemische<br />
Industrie Mexikos ankurbeln<br />
und die Energiekosten für die Produktion<br />
senken. Experten schätzen,<br />
dass allein die Stromkosten<br />
der mexikanischen Produzenten<br />
künftig um bis zu 20 Prozent niedriger<br />
liegen könnten als heute.<br />
Nicht zuletzt bietet die Energiereform<br />
auch die Chance, in der<br />
mexikanischen Energiewirtschaft<br />
Staatsbürokraten durch gut ausgebildete,<br />
professionelle Manager<br />
zu ersetzen – und den starken<br />
Einfluss der Gewerkschaften zu<br />
reduzieren.<br />
Schon vor den Energiereformen<br />
hatte Mexiko eine vernünftige<br />
makroökonomische Politik<br />
betrieben. Das Land punktet<br />
heute mit einer für Lateinamerika<br />
moderaten Inflationsrate (zuletzt<br />
4,2 Prozent), einer niedrigen<br />
Schuldenquote ( 2013: rund<br />
43 Prozent) und überschaubaren<br />
Leistungsbilanzdefiziten.<br />
Und obwohl Mexiko ein System<br />
freier Wechselkurse betreibt, ist<br />
der Wert des Peso gegenüber<br />
dem Dollar weitgehend stabil.<br />
PROBLEM KRIMINALITÄT<br />
Dies alles soll freilich nicht verschleiern,<br />
dass Mexiko immer<br />
noch mit immensen Problemen<br />
zu kämpfen hat. Im Bildungswesen<br />
etwa sind große Anstrengungen<br />
nötig. Auch die hohe<br />
Kriminalität, oft in Zusammenhang<br />
mit Drogen, hemmt die<br />
Entwicklung des Landes, wie<br />
sich in diesen Tagen besonders<br />
eindrücklich zeigt.<br />
Aber trotz solcher Probleme<br />
versprechen die Energiereformen<br />
und die wachsende Integration<br />
in die Weltwirtschaft<br />
eine gute Zukunft. Beides beschleunigt<br />
das Wirtschaftswachstum,<br />
kurbelt Einkommen<br />
und Beschäftigung an und<br />
erhöht so den Lebensstandard<br />
der Mexikaner. Mehr noch:<br />
Mexiko schickt sich an, im<br />
nächsten Jahrzehnt der wirtschaftliche<br />
Star Lateinamerikas<br />
zu werden.<br />
Martin Feldstein ist Professor<br />
an der Harvard-Universität. Der<br />
renommierte US-Ökonom<br />
schreibt jeden Monat exklusiv<br />
für die WirtschaftsWoche und<br />
wiwo.de<br />
FOTOS: LAIF/POLARIS, LAIF/REDUX/THE NEW YORK TIMES<br />
42 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Schmächtig,<br />
aber mächtig<br />
ULRICH LEHNER | Der 68-jährige Ex-Henkel-Chef ist der Prototyp des<br />
neuen Konzernkontrolleurs: ein konsensorientierter Teamplayer. Bei<br />
der Deutschen Telekom und ThyssenKrupp hat er damit Erfolg.<br />
Doch wenn es hart kommt, stößt der Kuschelkurs an seine Grenzen.<br />
Ulrich Lehner sieht die 5000<br />
Menschen nicht, die nur wenige<br />
Meter vor ihm im Dunkeln<br />
stehen. Alle Scheinwerfer<br />
sind auf ihn gerichtet. In<br />
diesen Sekunden gibt es für ihn nur eines,<br />
seinen Kontrabass. Ein letztes Mal rückt<br />
er seine große, rotbraune Hornbrille zurecht.<br />
Dann zupft er los, solo, den Jazz-<br />
Klassiker „Miss Jackie’s Delight“ des US-<br />
Saxofonisten Cannonball Adderly. Erst<br />
nach dem 64. Takt stoßen die übrigen<br />
Musiker hinzu, die Mitglieder der Jazz-<br />
Band „Wolf Doldinger & Best Friends“ .<br />
Der Auftritt des 68-Jährigen am 12. Dezember<br />
2013 geht als denkwürdiger Tag<br />
in die Geschichte der Deutschen Telekom<br />
ein. Der Bonner Konzern hatte zur<br />
Weihnachtsfeier geladen, Tausende waren<br />
an diesem Donnerstagabend in das<br />
riesige Foyer der ehemaligen T-Mobile-<br />
Zentrale am Bonner Landgrabenweg geströmt<br />
– auch und gerade, um Telekom-<br />
Chef René Obermann wenige Tage vor<br />
seinem Wechsel zum niederländischen<br />
Kabelnetzbetreiber Ziggo persönlich zu<br />
verabschieden.<br />
Doch zum Star des Abends wurde nicht<br />
der scheidende Konzernlenker, sondern<br />
Lehner, sein Kontrolleur. Der mächtige<br />
Aufsichtsratschef der Telekom hatte wenige<br />
Minuten vor seinem Auftritt sämt-<br />
»<br />
44 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Integrator maximus<br />
Multi-Aufsichtsrat Lehner ist<br />
der Gegenentwurf zu den unberührbaren<br />
Chefkontrolleuren<br />
der alten Deutschland AG<br />
FOTO: FRANK BEER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 45<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
verbindet sich Lehner mit<br />
Gleichgesinnten im Wege der<br />
körperlichen Ertüchtigung. An<br />
der Seite von Ex-BASF-Chef<br />
Jürgen Hambrecht überquerte<br />
er mit Rucksack, Steigeisen<br />
und Seil zwei Mal die Alpen,<br />
einmal von Norden nach Süliche<br />
Vorbereitungen durchkreuzt, seine<br />
vorbereitete Laudatio auf Obermann weggelegt<br />
und zum Kontrabass gegriffen.<br />
Typisch Lehner: Den Takt vorgeben, dazu<br />
den Rhythmus und die Melodie, nicht<br />
laut, aber eindeutig und bestimmt, ruhig<br />
mehrmals, damit es jeder hört, und dann,<br />
wenn der Beat steht, die Mannschaft mitnehmen,<br />
damit die ein furioses Stück abliefert.<br />
Der mächtigste und mit rund 2,2 Millionen<br />
Euro pro Jahr höchstdotierte Aufsichtsrat<br />
Deutschlands, der die Kontrollgremien<br />
von Deutscher Telekom und<br />
ThyssenKrupp leitet, dem Gesellschafterausschuss<br />
von Henkel angehört und noch<br />
Mandate beim Energieriesen E.On und<br />
Sportwagenbauer Porsche hat, verkörpert<br />
den Prototyp eines neuen Aufsichtsstils.<br />
Lehner gilt als der Gegenentwurf zu den<br />
unnahbaren Herrschern wie einst Gerhard<br />
Cromme bei ThyssenKrupp oder Heinrich<br />
v. Pierer bei Siemens. Stattdessen gibt der<br />
Hobbymusiker den großen Dirigenten, der<br />
zuhört, argumentiert, diskutiert und den<br />
Doch nach dem Zerfall der Deutschland<br />
AG vor gut zehn Jahren und dem Ausscheiden<br />
der alten Kempen änderte sich das. Inzwischen<br />
sorgt eine neue Riege Kontrolleure<br />
für ein neues Verständnis von Konzernaufsicht.<br />
Aus ihr ragt Lehner heraus. In<br />
gleicher Mission unterwegs sind aber auch<br />
Bayer-Chefkontrolleur Werner Wenning,<br />
seine Henkel-Kollegin Simone Bagel-Trah<br />
und Ex-Linde-Chef Wolfgang Reitzle, der<br />
den Reifenhersteller Continental beaufsichtigt.<br />
Sie alle stehen wie Lehner für<br />
Selbstbeschränkung, Teamgeist und den<br />
Willen, Konflikte sowohl im Aufsichtsrat als<br />
auch mit dem Top-Management zu lösen.<br />
SKAT UND SIMILAUN<br />
Auf diese Weise schmiedet Lehner eine<br />
Deutschland AG anderen Typs. Der Kitt,<br />
der ihre Mitglieder zusammenhält, ist<br />
nicht mehr das Aktienrecht, sondern das<br />
Persönliche und Informelle. So trifft sich<br />
Lehner vier Mal im Jahr mit Werner Wenning,<br />
Aufsichtsratsboss bei Bayer und<br />
E.On, zum Skat kloppen. Komplettiert wird<br />
»Im Aufsichtsrat muss jeder zu Wort kommen<br />
– am besten ehrlich und unpolitisch«<br />
Konsens will. Große Investmentfonds und<br />
Vertreter von Kleinaktionären, Gewerkschafter<br />
und Konzernvorstände betrachten<br />
ihn deswegen als Idealbesetzung für heikle<br />
Kontrollposten.<br />
Gleichwohl stehen den Bewunderern<br />
diejenigen gegenüber, denen Lehner zu<br />
sehr den Konsensonkel und Vertreter einer<br />
neuen Deutschland AG mit persönlichem<br />
Filz anstelle scharfer Kontrolle repräsentiert.<br />
Für sie nehmen Aufsichtsratschefs<br />
seines Typs die Top-Manager nicht aggressiv<br />
genug ran und grätschen nicht konsequent<br />
dazwischen, wenn diese den Fokus<br />
auf die Rendite zu verlieren drohen.<br />
Noch vor wenigen Jahren wäre Lehners<br />
Methode in deutschen Top-Konzernen undenkbar<br />
gewesen. Die großen, alten Männer<br />
der ehemaligen Deutschland AG, die<br />
sich durch Kapitalverflechtungen der Konzerne<br />
und Banken auszeichnete, handelten<br />
wie Autokraten. Deutsche-Bank-Chef<br />
Hilmar Kopper etwa kungelte 1998 mit<br />
dem damaligen Daimler-Chef Jürgen<br />
Schrempp praktisch im Alleingang die Fusion<br />
mit dem US-Autobauer Chrysler aus,<br />
die neun Jahre später desaströs scheiterte.<br />
die Runde <strong>vom</strong> früheren E.On-Finanzvorstand<br />
Hans-Michael Gaul und Sieghardt<br />
Rometsch, Vorsitzender des Aufsichtsrates<br />
beim Bankhaus HSBC Trinkaus & Burkhardt.<br />
Das Quartett, das sich mal bei Lehner<br />
im Wohnzimmer, mal bei Gaul im Garten<br />
einfindet, hat sich den Namen „GaWe-<br />
LeRos“ gegeben.<br />
Was an die spanischen Caballeros (Herren)<br />
erinnert, beinhaltet nichts anderes als<br />
die Anfangsbuchstaben der Nachnamen.<br />
„Lehner und ich sind eher auf der zahlenden<br />
Seite“, beschreibt Wenning die Runde.<br />
Geht es ums Fußball, dominiert dagegen<br />
der Bayer-Chefkontrolleur mit seiner<br />
Werkself: „Wenn Lehner von einer Sache<br />
keine Ahnung hat, dann ist es Fußball“, sagt<br />
Wenning augenzwinkernd.<br />
Außerhalb der vier Wände<br />
Ulrich Lehner<br />
Viele Dates<br />
In unseren App-<br />
<strong>Ausgabe</strong>n erhalten<br />
Sie einen Blick<br />
in Ulrich Lehners<br />
Terminkalender<br />
den und einmal von Osten nach Westen.<br />
Die beiden gehören auch dem elitären<br />
Männerzirkel der Similauner an, die einmal<br />
pro Jahr unter Leitung von Bergsteiger-Ikone<br />
Reinhold Messner durch die<br />
Alpen kraxeln (siehe Lehners Netzwerk).<br />
ZIEMLICH FLOTTER STUDENT<br />
Lehner hätte es wohl kaum zum Aushängeschild<br />
an die Spitze der Bewegung gebracht,<br />
verfügte er nicht über eine ziemlich<br />
einzigartige Mischung aus Erfahrung, Qualifikation,<br />
Instinkt und Bodenständigkeit.<br />
Die Volkstümlichkeit verdankt Lehner<br />
seiner Herkunft. Am 1. Mai 1946 als eines<br />
von vier Kindern eines Holzhändlers im<br />
Düsseldorfer Arbeiterstadtteil Bilk geboren,<br />
lernt er anzupacken. Er schleppt Holz,<br />
später schreibt er Rechnungen. Verständnis<br />
für Industrie und Technik tankt der<br />
Kleinbürgerspross nach dem Abitur an der<br />
Technischen Hochschule Darmstadt, wo<br />
er Wirtschaftsingenieurwesen und Maschinenbau<br />
studiert. Nach nur vier Jahren<br />
schließt er 1972 sein Studium mit einer Diplomarbeit<br />
über die „Auswirkung der<br />
Dienstdauervorschrift der Bahn auf Eisenbahnunfälle“<br />
ab. „Ich bin damals schon ein<br />
ziemlich flotter Student gewesen“, sagt er.<br />
Und die Tiefen von Konzernbilanzen und<br />
Steuerrecht lernt Lehner nach einer kurzen<br />
Zeit als Uni-Assistent bei der Deutschen<br />
Treuhand-Gesellschaft in Düsseldorf kennen.<br />
Dort lässt er sich zum Steuerberater<br />
ausbilden und macht zwei Jahre danach<br />
noch den Abschluss als Wirtschaftsprüfer.<br />
Das Entree in die Top-Aufsichtsratsszene<br />
resultiert jedoch aus der Zeit beim Düsseldorfer<br />
Chemie- und Konsumgüterhersteller<br />
Henkel (Pril, Pritt, Persil), wo Lehner<br />
1981 im Alter von 35 Jahren als Leiter<br />
Beteiligungen Inland seine Karriere beginnt.<br />
Nach einem Exkurs von drei Jahren<br />
bei der Friedrich Krupp GmbH in Essen<br />
kehrt er 1986 zurück und tritt nach einigen<br />
Stationen im Jahr 2000 die Nachfolge von<br />
Hans-Dietrich Winkhaus an der Konzernspitze<br />
an. Als er diese nach acht Jahren verlässt,<br />
hat er den Konzern internationalisiert,<br />
wie es keinem anderen Dax-Konzernchef<br />
gelang.<br />
Im Stil des Düsseldorfer Familienkonzerns,<br />
Konflikte im<br />
Stillen und ohne Krawall beizulegen,<br />
regiert Lehner nun auch<br />
im Herzen der deutschen Industrie<br />
und kommt damit offenbar<br />
bei den meisten Akteuren<br />
an. Die deutsche Fondsgesellschaft<br />
Union Investment<br />
»<br />
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46 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Gruppenbild mit Dame<br />
Das Netzwerk des Ulrich Lehner<br />
Wulf Bernotat<br />
Ex-E.On-Chef<br />
Carsten Spohr<br />
Lufthansa-Chef<br />
Lothar Steinebach<br />
Ex-Finanzvorstand Henkel<br />
Wolf Doldinger<br />
Coach/Managementberater<br />
Hans Michael Gaul Sieghardt Rometsch<br />
Ex-E.On-Vorstand<br />
August-Wilhem Scheer<br />
Scheer Group<br />
Ex-HSBC-Banker<br />
Werner Wenning<br />
René Obermann<br />
Ex-Telekom-Chef<br />
Bernhard Schadeberg August Oetker<br />
Oetker<br />
Krombacher-Inhaber<br />
Ernst Tanner<br />
Hans-Joachim Körber<br />
Lindt&Sprüngli-Chef<br />
Ex-Metro-Chef<br />
Die<br />
Die Aufsichtsratsfreunde<br />
Die Connaisseure<br />
Similauner-Seilschaft<br />
Die Jazz-Band<br />
Die Skatrunde<br />
Die Henkel-Connection<br />
(Gesellschafterausschuss)<br />
Die Chemie-Granden<br />
Aufsichtsratschef E.On<br />
Aufsichtsratschef E.On<br />
Werner Wenning<br />
Karl-Ludwig Kley<br />
Merck-Chef<br />
Jürgen Hambrecht<br />
Werner Müller<br />
Ex-BASF-Chef<br />
Ex-Evonik-Chef<br />
Chef der RAG-Stiftung<br />
Herbert Henzler<br />
Ex-McKinsey-Chef<br />
Hubert Burda<br />
Burda-Verlag<br />
Wolfgang Reitzle<br />
Ex-Linde-Chef<br />
Aufsichtsratschef Dt. Bank<br />
Paul Achleitner<br />
Kasper Rorsted<br />
Henkel-Chef<br />
Norbert Reithofer<br />
Simone Bagel-Trah<br />
Vorstandschef BMW Clan-Chefin<br />
Herbert Hainer<br />
Werner Wenning<br />
Christoph Henkel<br />
Aufsichtsratschef E.On Erbe und Unternehmer<br />
René Obermann Klaus Zumwinkel Jürgen Hambrecht<br />
Adidas-Chef Ex-Telekom-Chef Ex-Chef Deutsche Post<br />
Ex-BASF-Chef<br />
Reinhold Messner<br />
Jürgen Weber<br />
Bergsteiger Aufsichtsratschef Lufthansa<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 47<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
etwa, die Kundenvermögen in Höhe von<br />
rund 225 Milliarden Euro verwaltet,<br />
stimmte 2013 seiner Wiederwahl zum Aufsichtsratsvorsitzenden<br />
der Deutschen Telekom<br />
zu. Das war eine kleine Sensation.<br />
Denn Lehner verfügt über mehr als fünf<br />
Aufsichtsratsmandate, was gegen die internen<br />
Richtlinien vieler institutioneller Anleger<br />
verstößt.<br />
Union-Fondsmanager Ingo Speich erklärt<br />
sein positives Votum nicht nur damit,<br />
dass Lehner signalisiert habe, die Zahl seiner<br />
Mandate zu reduzieren. Für Speich<br />
zählt vor allem, dass Lehner bei den deutschen<br />
Unternehmen „einen guten Job“<br />
mache. Bei ThyssenKrupp etwa sei für die<br />
Nachfolge Crommes „niemand außer Lehner<br />
ernsthaft“ infrage gekommen. „Er polarisiert<br />
nicht, er stellt sich selbst nicht in<br />
den Mittelpunkt. Wenn Veränderungen<br />
anstehen, bemüht er sich, alle mitzunehmen,<br />
von den Mitarbeitern bis zu den Aktionären“,<br />
sagt Speich.<br />
Ähnlich argumentieren die Verwalter<br />
der Fondsgesellschaften des Versiche-<br />
Sache und niemals sich in den Mittelpunkt.“<br />
Ins gleiche Horn stößt Höttges’ Vorgänger<br />
Obermann. Lehner sei „ ein Meister darin,<br />
bei komplexen Themen die wesentlichen<br />
Dinge herauszuarbeiten und für Klarheit<br />
zu sorgen“. Das sei „eine seiner größten<br />
Stärken“. Gemeinsam mit Lehner sitzt<br />
der ehemalige Telekom-Chef inzwischen<br />
in den Aufsichtsräten von E.On und ThyssenKrupp.<br />
Lehner selbst sieht seine Hauptaufgabe<br />
als Chefkontrolleur darin, die richtigen Talente<br />
für Vorstand und Aufsichtsrat zu finden.<br />
Ein gut zusammengesetzter Aufsichtsrat<br />
ist für ihn „ein Kollektivorgan“. Die<br />
früher übliche Blockbildung zwischen Kapital-<br />
und Arbeitnehmerseite ist ihm ein<br />
Gräuel. Zufrieden ist Lehner dann, wenn<br />
sich „alle Talente vernünftig und offen“<br />
einbrächten. „Jeder muss zu Wort kommen<br />
– am besten ehrlich und unpolitisch.“<br />
Aus der Verantwortung für das operative<br />
Geschäft entlässt Lehner die Manager mit<br />
seiner Arbeitsweise nicht. „Baustellenleiter<br />
»Bei Novartis und Oetker bin ich dem<br />
Ruf der Kapitalmärkte gefolgt«<br />
Ulrich Lehner zu der Entscheidung, die Beirats- und Verwaltungsratsmandate aufzugeben<br />
rungskonzerns Allianz (AGI), die 373 Milliarden<br />
Euro Kundenvermögen verwalten.<br />
Sie setzten sich ausdrücklich über das Votum<br />
des US-Aktionärsberaters Institutional<br />
Shareholder Services hinweg, die Fondsmanagern<br />
empfohlen hatte, gegen die<br />
Wiederwahl Lehners in den Telekom-Aufsichtsrat<br />
zu stimmen.<br />
ENTLARVENDE KLARHEIT<br />
Keine Frage, Lehners Konsensstrategie ist<br />
für hartgesottene angelsächsische Wadenbeißer<br />
höchst gewöhnungsbedürftig. Er<br />
sei zutiefst von der Kraft der besseren Argumente<br />
überzeugt, berichten Aufsichtsratskollegen<br />
aller Couleur. Festgefahrene<br />
Diskussionen entspanne er mit einer witzigen<br />
Bemerkung. Dass er mal wütend mit<br />
der Faust auf den Tisch haut, hat noch keiner<br />
erlebt.<br />
„Herr Lehner versteht es geschickt, immer<br />
sympathisch zu vermitteln“, sagt Timotheus<br />
Höttges, Vorstandschef bei der<br />
Deutschen Telekom. „Er kombiniert mit<br />
seiner analytischen Gabe und versteht es<br />
so, komplexe Zusammenhänge zu strukturieren,<br />
das ist oft entlarvend. Er stellt die<br />
Gang gesetzt, bei dem seit mehr als einem<br />
halbem Jahr Headhunter weltweit nach geeigneten<br />
Kandidaten suchen.<br />
PEINLICHKEIT IN DER SCHWEIZ<br />
Richtig in die Schusslinie geriet Lehner<br />
aber wegen zu großer Nähe zum früheren<br />
Chef des Schweizer Pharmakonzerns Novartis,<br />
Daniel Vasella. Als Mitglied im Verwaltungsrat<br />
genehmigte Lehner Anfang<br />
2013 Vasella als Abfindung die phänomenale<br />
Summe in Höhe von 72 Millionen<br />
Franken (rund 60 Millionen Euro). Lehner<br />
wurde ein enges Verhältnis zu Vasella<br />
nachgesagt. Der Skandal wuchs sich zur<br />
Peinlichkeit für Lehner aus, weil er das Abschiedsgeschenk<br />
mit dem sechsjährigen<br />
Verbot für Vasella rechtfertigte, bei einem<br />
Konkurrenzunternehmen anzuheuern.<br />
Vasella dagegen entschied sich, dem öffentlichen<br />
Druck nachzugeben und auf das<br />
Geld zu verzichten.<br />
Ein hartes Machtwort wäre auch beim<br />
Bielefelder Oetker-Clan vielleicht angebracht<br />
gewesen. An ihm biss sich Lehner<br />
als einer von vier familienfremden Beiratsmitgliedern<br />
die Zähne aus. Anlass war der<br />
Streit der beiden Familienzweige um die<br />
Macht, der Ende vergangenen Jahres bei<br />
der Frage der Nachfolge von Konzernchef<br />
August Oetker eskalierte. Im Zuge dessen<br />
gelang es Lehner nicht, die Sippe zu einer<br />
Fusion der hauseigenen Reederei Hamburg<br />
Süd mit dem Konkurrenten Hapag-<br />
Lloyd zu bewegen, die beide Unternehmen<br />
auf den Weltmeeren gestärkt hätte. Lehner<br />
legte Mitte des Jahres sein Amt im Oetker-<br />
Beirat nieder.<br />
Selbst als Aufsichtsrat von Porsche muss<br />
Lehner sich fragen lassen, ob er dort unabhängig<br />
genug von den Eigentümerfamilien<br />
Piëch/Porsche agiert hat. Denn möglicherweise<br />
droht ihm nun eine Anklage wegen<br />
Beihilfe zur Marktmanipulation im Zuge<br />
der geplanten VW-Übernahme durch Porsche.<br />
Die Staatsanwaltschaft vermutet,<br />
dass auch die Kontrolleure von den Übernahmeplänen<br />
gewusst und sie gegenüber<br />
Aktionären verschleiert haben. Lehner allerdings<br />
hält die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft<br />
für unbegründet.<br />
Und auch die Fondsgesellschaften wollen<br />
ihr Vertrauen in Lehner nicht als Blankoscheck<br />
für alle Ewigkeit verstanden wissen.<br />
„So viele Ämter innezuhaben ist sehr<br />
fordernd. Das kann nur eine Übergangslösung<br />
sein“, sagt Fondsmanager Speich.<br />
Lehner selbst sieht keine Gefahr, sich mit<br />
den vielen Mandaten zu übernehmen.<br />
Auch der deutsche Corporate Governan-<br />
ist der Vorstand“, sagt er. „Der Aufsichtsrat<br />
überwacht nur den Baustellenleiter.“ Damit<br />
signalisiert Lehner offenbar für jedermann<br />
erkennbar, dass sein Wort am Ende<br />
gilt. „Die freundliche Art sollte man aber<br />
nicht mit mangelnder Durchsetzungsfähigkeit<br />
verwechseln“, sagt der ehemalige<br />
DGB-Chef und langjährige Telekom-Aufsichtsrat<br />
Michael Sommer.<br />
Trotzdem steht Lehner auch in der Kritik,<br />
stößt seine Methode, mit allen Akteuren so<br />
lange zu diskutieren, bis die sich auf eine<br />
einheitliche Linie einschwören lassen, an<br />
Grenzen. Skepsis erntet der Rheinländer etwa<br />
bei ThyssenKrupp. „Cromme verkörperte<br />
Leadership, bei Lehner vermissen wir<br />
das manchmal“, sagt ein Manager, der nicht<br />
genannt werden will. „Wenn wir Cromme<br />
überzeugt hatten, zog er das auch durch.“<br />
Bei der Telekom gab Lehner offenkundig<br />
zu sehr der Bundesregierung nach, die die<br />
ehemalige baden-württembergische Kultusministerin<br />
Marion Schick (CDU) als<br />
Personalchefin wollte. „Das war ein grober<br />
Patzer“, sagt ein Betriebsrat. Schick warf<br />
nach nur zwei Jahren im April hin. Nun hat<br />
er einen „richtigen Auswahlvorgang“ in »<br />
48 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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|2|<br />
1|Jazzer Kontrabassist Lehner mit Freund<br />
und Bandleader Wolf Doldinger<br />
2|Jugendliebe Seit fast 45 Jahren mit<br />
Ehefrau Johanna verheiratet<br />
3|Jogger Beim Waldlauf kommen Lehner<br />
die besten Ideen für Reden und Vorträge<br />
4|Joker Begehrter Mann für Unternehmen<br />
in Not<br />
5|Jubel Mit Schauspielerin Veronica Ferres<br />
auf der Düsseldorfer Galopprennbahn<br />
|1|<br />
FOTOS: ANDREAS ENDERMANN, PR (2), ANDRE ZELCK, PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />
|4| |5|<br />
|3|<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 49<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
ce Kodex für gute Unternehmensführung<br />
gibt für Berufsaufsichtsräte keine Empfehlungen.<br />
Der Verzicht auf seine Jobs bei Novartis<br />
und Oetker wäre aus seiner Sicht gar<br />
nicht notwendig gewesen, sagt er. „Da bin<br />
ich dem Ruf der Kapitalmärkte gefolgt.“<br />
Um zu beweisen, dass in seinem ausgefüllten<br />
Leben noch Platz ist, zeigte Lehner<br />
der WirtschaftsWoche seinen Kalender.<br />
Die erste November-Woche sei durchaus<br />
„typisch“, sagt er. Montag und Dienstag:<br />
Reise nach Peking (als Präsident der Industrie-<br />
und Handelskammer Düsseldorf)mit<br />
dem neuen Düsseldorfer Oberbürgermeister<br />
Thomas Geisel (SPD). Mittwoch um<br />
10.30 Uhr: Jour fixe mit dem Telekom-Chef<br />
Timotheus Höttges in der Henkel-Zentrale<br />
in Düsseldorf, danach Gespräch mit einem<br />
Headhunter, abends Kontrabass-Üben mit<br />
Wolf Doldinger. Donnerstag, 9.30 Uhr:Prüfungsausschusssitzung<br />
in Essen, 12.00 Uhr:<br />
Finanzausschuss in Düsseldorf, 14.30 Uhr:<br />
Sitzung des Kuratoriums der Gerda-Henkel-Stiftung.<br />
Die Woche klingt am Freitag<br />
um 9.00 Uhr mit einer Gremiensitzung aus.<br />
Am Wochenende sind „Joggen“ und „Enkel“<br />
als fixe Termine eingetragen.<br />
ONE-MAN-SHOW MIT SEKRETÄRIN<br />
Wer Lehner bei der Arbeit beobachten will,<br />
muss ihn in seiner stattlichen Villa am<br />
nordöstlichen Stadtrand von Düsseldorf<br />
aufsuchen und darf den Blick auf das idyllische<br />
Pillebachtal genießen. Dort, in seinem<br />
Büro, parkt er acht iPads – für jeden<br />
wichtigen Posten und jedes Unternehmen,<br />
das er kontrolliert, eines. Jedes Gerät ist<br />
über eine sichere Leitung mit den Datenräumen<br />
der Firmen verbunden.<br />
Stolz verweist Lehner darauf, dass er als<br />
einer der meistbeschäftigten deutschen<br />
Konzern-Controlletti keinen Stab aus Zuarbeitern<br />
oder Assistenten beschäftigt. Bis<br />
auf seine langjährige Sekretärin ist Lehner<br />
eine One-Man-Show. „Ich arbeite gern<br />
und brauche nicht viel Schlaf“, sagt er.<br />
Auch das Wochenende sei ihm nicht heilig.<br />
„Das ist meine Überschussreserve.“<br />
Die nutzt er auch, um seine musikalischen<br />
Hobbys zu perfektionieren. Der<br />
Kontrabass kommt Lehners Persönlichkeit<br />
besonders entgegen, meint der bekannte<br />
Dirigent Dirk Joeres: „Er entspricht seinem<br />
Bedürfnis, den Dingen auf den Grund zu<br />
gehen und von dort aus eine für alles tragfähige<br />
Basis zu schaffen.“<br />
n<br />
juergen.berke@wiwo.de, mario.brueck@wiwo.de,<br />
melanie bergermann | Frankfurt, jürgen salz<br />
Lesen Sie weiter auf Seite 52 »<br />
INTERVIEW Manuel Theisen<br />
»Panische Angst«<br />
Der Experte für Unternehmensführung meint, dass deutsche<br />
Aufsichtsräte ihre Aufgabe oft unterschätzen und sich überfordern.<br />
KENNER DER KONTROLLEURE<br />
Theisen, 61,ist beurlaubter Professor für<br />
Betriebswirtschaft an der LMU München<br />
und Herausgeber der Fachzeitschrift<br />
„Der Aufsichtsrat“.<br />
Herr Professor Theisen, wie autoritär<br />
muss ein Aufsichtsratschef heute sein?<br />
Der starke Vorsitzende, der alles weiß<br />
und die anderen Kontrolleure zu Statisten<br />
degradiert, ist in Deutschland verbreitet,<br />
aber ein Auslaufmodell. Er kann<br />
das Unternehmen noch so gut kennen,<br />
mit der Fülle an Aufgaben ist er zwangsläufig<br />
überfordert. Er muss deshalb delegieren<br />
können und die richtigen Leute<br />
ins Gremium holen. Nur weil alle Experten<br />
sind, funktionieren sie noch nicht<br />
zusammen. So banal es klingt: Soziale<br />
Kompetenzen wie Teamfähigkeit werden<br />
zwangsläufig wichtiger.<br />
Schauen nette Teamplayer dem<br />
Vorstand denn genug auf die Finger?<br />
Da gibt es keinen automatischen Zusammenhang.<br />
Deutsche Aufsichtsräte sind<br />
kritischer geworden und haken nicht alles<br />
kommentarlos ab. Einige haben geradezu<br />
panische Angst vor Haftungsrisiken<br />
und sind deshalb fast übervorsichtig. Sie<br />
sollten eigentlich Sparringspartner des<br />
Vorstands sein und das Unternehmen<br />
gemeinsam mit ihm voranbringen.<br />
Stattdessen scheuen sie das Risiko.<br />
Mit wie vielen Mandaten ist ein<br />
Aufsichtsrat überfordert?<br />
Es gibt keine feste Grenze. Für manche<br />
ist eins zu viel, andere bewältigen eine<br />
ganze Reihe gut. An sich spricht nichts<br />
gegen mehrere Mandate, im Gegenteil.<br />
Gefragt ist in dem Gremium vor allem<br />
Erfahrung, und da ist es hilfreich, wenn<br />
ein Aufsichtsrat aktuelle Vergleichsmöglichkeiten<br />
anderer Unternehmen hat.<br />
Die Arbeit wird aber immer komplexer.<br />
Das liegt vor allem an der zunehmenden<br />
Regulierung und an den schärferen Leitlinien<br />
zur guten Unternehmensführung.<br />
Kartellrecht etwa war vor ein paar Jahren<br />
noch gar kein Thema im Aufsichtsrat.<br />
Heute müssen Unternehmen und ihre<br />
Kontrolleure höllisch aufpassen, dass es<br />
da keine Konflikte gibt. Ein immer größerer<br />
Teil der Aufsichtsarbeit besteht leider<br />
darin, Checklisten abzuhaken, die<br />
bestätigen, dass alles korrekt läuft.<br />
Ist das den Aufsichtsräten bewusst?<br />
Gerade hochdekorierte Manager überschätzen<br />
sich und hinterfragen die eigene<br />
Kompetenz und Leistungsfähigkeit zu<br />
wenig. Viele Mandate schmeicheln<br />
schließlich auch der eigenen Eitelkeit.<br />
Wenn es gut läuft, mag der Aufwand<br />
überschaubar sein, in Krisen aber kann<br />
ein Posten in einem einzigen Kontrollgremium<br />
fast ein Vollzeitjob sein.<br />
Wie reagieren die Unternehmen?<br />
Die Auswahl der Kontrolleure hat sich<br />
professionalisiert. Prominenz reicht als<br />
Qualifikation nicht mehr. Es müsste aber<br />
echte Bewerbungsgespräche geben, die<br />
klären, ob Kandidaten wirklich genug<br />
Zeit haben und technisch so ausgestattet<br />
sind, dass sie jederzeit auf wichtige Unterlagen<br />
zugreifen können.<br />
Gibt es überhaupt genug Kandidaten,<br />
die ausreichend qualifiziert sind?<br />
Immer weniger. Seit 2009 muss in jedem<br />
Aufsichtsrat ein Finanzexperte vertreten<br />
sein, da wird das Angebot schon knapp.<br />
Der Mangel wird sich mit weiter steigenden<br />
Anforderungen verschärfen.<br />
cornelius.welp@wiwo.de | Frankfurt<br />
FOTO: GERALD VON FORIS<br />
50 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Lenins Erben<br />
AUFSICHTSRÄTE | Eine Exklusivstudie zeigt: Die Kontrolleure werden besser, vor allem in Krisen.<br />
Ulrich Lehner ist das Vorbild: Als Aufsichtsratschef<br />
der Telekom berief er<br />
Anfang 2010 einen Sonderausschuss<br />
ein, der nur eine Aufgabe hatte: zusammen<br />
mit dem Vorstand eine Strategie<br />
für die bevorstehende Versteigerung neuer<br />
Mobilfunkfrequenzen festzulegen. Damit<br />
verhinderte Lehner, dass die Telekom im<br />
Eifer des Bietergefechts zu viel für die Frequenzen<br />
bezahlte, wie es 2000 der Fall war.<br />
Wo andere Aufsichtsräte Vorstandsentscheidungen<br />
nur abnicken, versteht Lehner<br />
sich als Sparringspartner für das Management.<br />
Das hilft: Auch die Kontrolleure<br />
von ThyssenKrupp arbeiten effektiver, seit<br />
er den früheren Oberaufpasser Gerhard<br />
Cromme abgelöst hat. Im jährlichen Ranking<br />
der Dax- und MDax-Unternehmen<br />
des Corporate-Governance-Experten Peter<br />
Ruhwedel ist der kriselnde Stahlkonzern<br />
von Platz 10 auf Platz 7 geklettert. Die Telekom<br />
hat sich zwar um einen Platz verschlechtert,<br />
aber nur, weil die Ausschüsse<br />
nicht ganz so aktiv waren wie zuletzt.<br />
Das Motto des russischen Revolutionärs<br />
Lenins gilt fort: Vertrauen ist gut, Kontrolle<br />
ist besser. „Gut abgeschnitten haben jene<br />
Aufsichtsräte, die ihre Arbeit in Krisensituationen<br />
und Transformationsprozessen intensiviert<br />
und die Vorstände engmaschig<br />
begleitet haben“, sagt Ruhwedel. Der Professor<br />
an der FOM Hochschule Duisburg<br />
legt das Ranking zum dritten Mal vor. Sieger<br />
bei den Dax-Konzernen ist die Deutsche<br />
Bank, Schlusslicht HeidelbergCement.<br />
Bewertet hat Ruhwedel die Dax- und<br />
MDax-Kontrolleure nach Arbeitsweise,<br />
Eignung, Unabhängigkeit, Vielfalt und der<br />
Transparenz ihrer Arbeit. Ruhwedels Fazit:<br />
„Die Qualität der Aufsichtsratsarbeit hat<br />
insgesamt zugenommen, es gibt aber immer<br />
noch erhebliche Unterschiede. Vor allem<br />
einige MDax-Unternehmen haben<br />
nach wie vor großen Nachholbedarf.“ n<br />
hans-juergen.klesse@wiwo.de<br />
Argusauge Achleitner<br />
Wie Dax-Aufsichtsräte arbeiten, was sie verdienen und wie sich der Börsenwert unter ihrer Ägide 2013 entwickelt hat<br />
Deutsche Bank<br />
Allianz<br />
Deutsche Börse<br />
Munich Re<br />
SAP<br />
Adidas<br />
ThyssenKrupp<br />
Commerzbank<br />
Deutsche Post<br />
Daimler<br />
Siemens<br />
Deutsche Telekom<br />
Beiersdorf<br />
E.On<br />
Infineon<br />
K+S<br />
BMW<br />
RWE<br />
Bayer<br />
Lanxess<br />
Volkswagen<br />
BASF<br />
Linde<br />
Deutsche Lufthansa<br />
Continental<br />
HeidelbergCement<br />
20<br />
12<br />
18<br />
20<br />
16<br />
12<br />
20<br />
20<br />
20<br />
20<br />
20<br />
20<br />
12<br />
12<br />
12<br />
16<br />
20<br />
20<br />
20<br />
12<br />
20<br />
12<br />
12<br />
20<br />
20<br />
12<br />
Mitglieder<br />
Durchschnittsvergütung<br />
(in Euro<br />
pro Kopf)<br />
193125<br />
174058<br />
120556<br />
116027<br />
185363<br />
76667<br />
77500<br />
84300<br />
70842<br />
150000<br />
221046<br />
129833<br />
110958<br />
264445<br />
88292<br />
127609<br />
227887<br />
123300<br />
171000<br />
156207<br />
488727<br />
249375<br />
189498<br />
107807<br />
183550<br />
67542<br />
79,2<br />
72,2<br />
83,3<br />
69,4<br />
90,3<br />
65,3<br />
71,5<br />
70,8<br />
77,8<br />
65,3<br />
71,5<br />
81,3<br />
81,3<br />
68,1<br />
74,3<br />
52,8<br />
62,5<br />
55,6<br />
55,6<br />
48,6<br />
48,6<br />
45,1<br />
47,9<br />
45,8<br />
43,1<br />
44,4<br />
Eignung<br />
91,7<br />
83,3<br />
58,3<br />
66,7<br />
83,3<br />
91,7<br />
50,0<br />
50,0<br />
58,3<br />
33,3<br />
58,3<br />
33,3<br />
41,7<br />
50,0<br />
58,3<br />
33,3<br />
50,0<br />
50,0<br />
41,7<br />
66,7<br />
41,7<br />
58,3<br />
58,3<br />
25,0<br />
66,7<br />
41,7<br />
Vielfalt<br />
100<br />
100<br />
75<br />
75<br />
50<br />
75<br />
50<br />
50<br />
75<br />
75<br />
50<br />
75<br />
75<br />
75<br />
50<br />
50<br />
50<br />
50<br />
50<br />
50<br />
75<br />
75<br />
25<br />
100<br />
50<br />
50<br />
Quelle: Peter Ruhwedel, Hochschule für Oekonomie und Management, Geschäftsjahr 2013 bzw. 2012/13. Bei der Gesamtbeurteilung (maximal 100 Punkte) wurde die<br />
Arbeitsweise mit 40 Prozent, die Transparenz mit 30 Prozent sowie Eignung und Vielfalt mit jeweils 15 Prozent berücksichtigt. Fresenius Medical Care, Fresenius SE, Henkel<br />
und Merck wurden aufgrund abweichender Rechtsform nicht beurteilt<br />
73,7<br />
78,9<br />
65,8<br />
78,9<br />
52,6<br />
65,8<br />
68,4<br />
68,4<br />
42,1<br />
65,8<br />
55,3<br />
39,5<br />
28,9<br />
42,1<br />
42,1<br />
76,3<br />
52,6<br />
57,9<br />
52,6<br />
44,7<br />
36,8<br />
31,6<br />
52,6<br />
34,2<br />
31,6<br />
36,8<br />
Gesamtpunkte/<br />
Veränderung<br />
zum Vorjahr<br />
82,5 4<br />
80,1 5<br />
73,1 5<br />
72,7 4<br />
71,9 5<br />
70,8 4<br />
64,1 4<br />
63,9 4<br />
63,7 4<br />
62,1 5<br />
61,4 5<br />
60,6 5<br />
58,7 4<br />
58,6 5<br />
58,6 5<br />
56,5 4<br />
55,8 4<br />
54,6 5<br />
51,8 5<br />
50,4 5<br />
48,0 5<br />
47,5 4<br />
47,5 4<br />
47,3 5<br />
44,2 5<br />
42,6 7<br />
Vorsitzender des Aufsichtsrats<br />
Paul Achleitner<br />
Helmut Perlet<br />
Joachim Faber<br />
Bernd Pischetsrieder<br />
Hasso Plattner<br />
Igor Landau<br />
Ulrich Lehner<br />
Klaus-Peter Müller<br />
Wulf von Schimmelmann<br />
Manfred Bischoff<br />
Gerhard Cromme<br />
Ulrich Lehner<br />
Reinhard Pöllath<br />
Werner Wenning<br />
Wolfgang Mayrhuber<br />
Ralf Bethke<br />
Joachim Milberg<br />
Manfred Schneider<br />
Werner Wenning<br />
Rolf Stomberg<br />
Ferdinand Piëch<br />
Eggert Voscherau<br />
Manfred Schneider<br />
Wolfgang Mayrhuber<br />
Wolfgang Reitzle<br />
Fritz-Jürgen Heckmann<br />
Arbeitsweise<br />
Transparenz<br />
Börsenentwicklung<br />
(in Prozent)<br />
5,2<br />
24,4<br />
30,3<br />
17,8<br />
2,7<br />
37,6<br />
–0,4<br />
9,2<br />
59,6<br />
52,2<br />
24,7<br />
44,6<br />
19,0<br />
–4,8<br />
26,6<br />
–36,1<br />
16,9<br />
–14,8<br />
41,8<br />
–26,9<br />
18,6<br />
8,9<br />
15,2<br />
8,3<br />
82,0<br />
20,3<br />
52 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Schlechter als die Dax-Kontrolleure<br />
Wie MDax-Aufsichtsräte arbeiten, was sie verdienen und wie sich der Börsenwert unter ihrer Ägide 2013 entwickelt hat<br />
Aareal Bank<br />
SGL Carbon<br />
Rhön-Klinikum<br />
Kuka<br />
Klöckner & Co.<br />
Leoni<br />
ProSiebenSat.1<br />
Sky Deutschland<br />
Axel Springer<br />
Hannover Rück<br />
DMG Mori Seiki<br />
Metro<br />
LEG Immobilien<br />
Celesio<br />
Fuchs Petrolub<br />
Hugo Boss<br />
Fraport<br />
Bilfinger Berger<br />
Gea Group<br />
MTU Aero Engines<br />
Gerresheimer Glas<br />
Dürr<br />
TUI<br />
Symrise<br />
TAG Immobilien<br />
Rheinmetall<br />
Wincor Nixdorf<br />
Stada Arzneimittel<br />
Brenntag<br />
Deutsche Wohnen<br />
Evonik Industries<br />
Norma Group<br />
Südzucker<br />
Kabel Deutschland<br />
Deutsche Euroshop<br />
Hochtief<br />
MAN<br />
Krones<br />
Talanx<br />
ElringKlinger<br />
Salzgitter<br />
Wacker Chemie<br />
Gerry Weber<br />
Rational<br />
Fielmann<br />
Aurubis<br />
12<br />
12<br />
20<br />
12<br />
6<br />
12<br />
9<br />
9<br />
9<br />
9<br />
12<br />
20<br />
6<br />
12<br />
6<br />
12<br />
20<br />
12<br />
12<br />
12<br />
12<br />
12<br />
16<br />
12<br />
6<br />
16<br />
12<br />
9<br />
6<br />
6<br />
20<br />
6<br />
20<br />
12<br />
9<br />
16<br />
16<br />
12<br />
16<br />
12<br />
21<br />
16<br />
6<br />
3<br />
16<br />
12<br />
Mitglieder<br />
Durschnittsvergütung<br />
(in Euro pro<br />
Kopf)<br />
84135<br />
43333<br />
97500<br />
70833<br />
80000<br />
120083<br />
66667<br />
106778<br />
333333<br />
99278<br />
81325<br />
68270<br />
62292<br />
81267<br />
95000<br />
180250<br />
43416<br />
108917<br />
97333<br />
83956<br />
83417<br />
82596<br />
107456<br />
77750<br />
47917<br />
84375<br />
63875<br />
117956<br />
133000<br />
40000<br />
139900<br />
74963<br />
60000<br />
35583<br />
34667<br />
128208<br />
45563<br />
41667<br />
139688<br />
51569<br />
66091<br />
109905<br />
85000<br />
214667<br />
29375<br />
102157<br />
70,8<br />
81,3<br />
82,6<br />
79,9<br />
62,5<br />
61,8<br />
74,2<br />
77,3<br />
75,0<br />
69,5<br />
62,5<br />
74,3<br />
77,3<br />
54,2<br />
64,8<br />
55,6<br />
73,6<br />
43,1<br />
58,3<br />
56,9<br />
42,4<br />
59,0<br />
51,4<br />
57,6<br />
56,3<br />
38,9<br />
52,8<br />
50,0<br />
46,1<br />
76,6<br />
59,7<br />
43,0<br />
49,3<br />
57,6<br />
52,3<br />
56,9<br />
48,6<br />
43,1<br />
45,8<br />
36,1<br />
56,3<br />
38,2<br />
45,3<br />
57,1<br />
27,1<br />
37,5<br />
Eignung<br />
83,3<br />
58,3<br />
75,0<br />
75,0<br />
75,0<br />
100,0<br />
75,0<br />
25,0<br />
58,3<br />
25,0<br />
91,7<br />
41,7<br />
100,0<br />
75,0<br />
91,7<br />
66,7<br />
58,3<br />
75,0<br />
50,0<br />
50,0<br />
75,0<br />
66,7<br />
58,3<br />
33,3<br />
83,3<br />
83,3<br />
75,0<br />
100,0<br />
33,3<br />
83,3<br />
41,7<br />
75,0<br />
50,0<br />
58,3<br />
83,3<br />
33,3<br />
25,0<br />
91,7<br />
33,3<br />
58,3<br />
75,0<br />
66,7<br />
16,7<br />
66,7<br />
16,7<br />
8,3<br />
Quelle: Peter Ruhwedel, Hochschule für Oekonomie und Management, Geschäftsjahr 2013 bzw. 2012/13. Bei der Gesamtbeurteilung (maximal 100 Punkte) wurde die Arbeitsweise<br />
mit 40 Prozent, die Transparenz mit 30 Prozent sowie Eignung und Vielfalt mit jeweils 15 Prozent berücksichtigt. 1 Im Vorjahr nicht im MDax.<br />
Vielfalt<br />
50<br />
75<br />
50<br />
50<br />
25<br />
50<br />
75<br />
75<br />
75<br />
100<br />
50<br />
50<br />
25<br />
50<br />
25<br />
75<br />
25<br />
75<br />
75<br />
25<br />
50<br />
50<br />
50<br />
50<br />
50<br />
50<br />
50<br />
25<br />
75<br />
0<br />
50<br />
50<br />
50<br />
75<br />
25<br />
50<br />
75<br />
25<br />
50<br />
50<br />
25<br />
25<br />
25<br />
0<br />
50<br />
25<br />
57,9<br />
42,1<br />
42,1<br />
44,7<br />
71,1<br />
44,7<br />
26,3<br />
44,7<br />
28,9<br />
39,5<br />
39,5<br />
47,4<br />
23,7<br />
52,6<br />
42,1<br />
36,8<br />
39,5<br />
44,7<br />
36,8<br />
60,5<br />
52,6<br />
34,2<br />
47,4<br />
50<br />
26,3<br />
44,7<br />
28,9<br />
31,6<br />
42,1<br />
13,2<br />
31,6<br />
36,8<br />
39,5<br />
10,5<br />
28,9<br />
34,2<br />
34,2<br />
31,6<br />
31,6<br />
28,9<br />
5,3<br />
23,7<br />
36,8<br />
5,3<br />
13,2<br />
10,5<br />
Gesamtpunkte/<br />
Veränderung<br />
zum Vorjahr<br />
65,7 4<br />
65,1 4<br />
64,4 4<br />
64,1 4<br />
61,3 5<br />
60,6 4<br />
60,1 4<br />
59,4 4<br />
58,7 5<br />
58,4 7<br />
58,1 4<br />
57,7 5<br />
56,8 1<br />
56,2 4<br />
56,1 4<br />
54,5 4<br />
53,8 5<br />
53,1 4<br />
53,1 4<br />
52,2 4<br />
51,5 5<br />
51,4 5<br />
51,0 5<br />
50,6 4<br />
50,4 4<br />
49,0 4<br />
48,5 4<br />
48,2 4<br />
47,3 5<br />
47,1 4<br />
47,1 1<br />
47,0 5<br />
46,6 4<br />
46,2 5<br />
45,9 4<br />
45,5 5<br />
44,7 5<br />
44,2 5<br />
40,3 5<br />
39,4 7<br />
39,1 4<br />
36,1 5<br />
35,4 4<br />
34,4 5<br />
24,8 4<br />
23,2 7<br />
Vorsitzender des Aufsichtsrats<br />
Marija Korsch<br />
Susanne Klatten<br />
Eugen Münch<br />
Bernd Minning<br />
Dieter Vogel<br />
Werner Rupp<br />
Johannes Peter Huth<br />
James Murdoch<br />
Guiseppe Vita<br />
Herbert Haas<br />
Raimund Klinkner<br />
Franz Haniel<br />
Michael Zimmer<br />
John Hammergren<br />
Jürgen Hambrecht<br />
Hellmut Albrecht<br />
Karlheinz Weimar<br />
Bernhard Walter<br />
Jürgen Heraeus<br />
Klaus Eberhardt<br />
Gerhard Schulze<br />
Klaus Eberhardt<br />
Klaus Mangold<br />
Thomas Rabe<br />
Lutz Ristow<br />
Klaus Greinert<br />
Alexander Dibelius<br />
Martin Abend<br />
Stefan Zuschke<br />
Uwe Flach<br />
Werner Müller<br />
Stefan Wolf<br />
Hans-Jörg Gebhard<br />
Jens Schulte-Bockum<br />
Manfred Zaß<br />
Pedro López Jiménez<br />
Ferdinand Piëch<br />
Ernst Baumann<br />
Wolf-Dieter Baumgartl<br />
Walter Herwarth Lechler<br />
Rainer Thieme<br />
Peter-Alexander Wacker<br />
Ernst Schröder<br />
Siegfried Meisters<br />
Mark Binz<br />
Heinz Jörg Fuhrmann<br />
Arbeitsweise<br />
Transparenz<br />
Börsenentwicklung<br />
(in Prozent)<br />
83,2<br />
–4,2<br />
38,8<br />
23,1<br />
11,0<br />
90,3<br />
69,0<br />
93,6<br />
44,6<br />
5,8<br />
56,0<br />
67,6<br />
–1,4<br />
76,3<br />
26,4<br />
29,7<br />
23,8<br />
11,7<br />
41,4<br />
3,8<br />
26,8<br />
92,0<br />
52,6<br />
23,5<br />
–7,5<br />
23,2<br />
42,1<br />
47,2<br />
35,5<br />
0,2<br />
–10,1<br />
71,8<br />
–36,7<br />
66,6<br />
0,6<br />
41,3<br />
10,5<br />
32,8<br />
14,8<br />
16<br />
–21,4<br />
61,9<br />
–15,5<br />
10,6<br />
16,5<br />
–17,7<br />
54 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»Es gibt noch viele<br />
weiße Flecken«<br />
INTERVIEW | Henning Kreke Der Douglas-Chef treibt den Radikalumbau<br />
des Handelskonglomerats zum reinen Parfümeriekonzern<br />
voran und prüft die Rückkehr an die Börse.<br />
Herr Kreke, Sie waren vor einigen Jahren<br />
Vizepräsident des Fußballbundesligisten<br />
Borussia Dortmund (BVB)...<br />
...und bin immer noch Fan, auch wenn es<br />
derzeit Erfreulicheres gibt, über das wir reden<br />
können.<br />
So schlimm?<br />
Es ist ja kaum zu verstehen, dass eine<br />
Mannschaft, die international so hervorragend<br />
spielt, in der Bundesliga solche Probleme<br />
haben kann. Hoffentlich ist mit dem<br />
Sieg im letzten Heimspiel endlich der Knoten<br />
geplatzt.<br />
Was muss die Mannschaft tun?<br />
Das fragen Sie den Falschen. Ich gehe gerne<br />
ins Stadion und drücke dem BVB als Fan<br />
weiter beide Daumen, aber das war es<br />
dann auch. Man kann als Manager einiges<br />
<strong>vom</strong> Fußball lernen, aber umgekehrt funktioniert<br />
das nicht.<br />
Wo sind die Parallelen?<br />
Dafür zu sorgen, dass die Leute, die Tore<br />
schießen können, auch die Möglichkeit dazu<br />
bekommen. Dass man hinten den Kasten<br />
sauber hält, offensiv und defensiv gut<br />
aufgestellt ist und als Team agiert. Das alles<br />
und die faszinierende Atmosphäre drum<br />
herum führen letztlich dazu, dass die Stadien<br />
– sprich bei uns die Läden – gut gefüllt<br />
sind.<br />
Wie zufrieden sind Sie denn mit der<br />
letzten Saison der Douglas-Gruppe?<br />
Wir erstellen gerade die Bilanz für das Geschäftsjahr<br />
2013/14, das am 30. September<br />
zu Ende gegangen ist. Daher nur so viel:<br />
Wir sind sehr zufrieden mit der Entwicklung,<br />
die Gruppe bleibt auf Wachstumskurs.<br />
Douglas und Thalia haben sich hervorragend<br />
geschlagen. Und Christ war –<br />
wie schon in den Vorjahren – auch wieder<br />
sehr gut unterwegs.<br />
Wenn Sie mit der Juweliersparte so<br />
zufrieden sind, warum verkaufen Sie sie?<br />
2013 hat meine Familie gemeinsam mit<br />
dem Finanzinvestor Advent Douglas von<br />
der Börse genommen. Advent ist ein Partner<br />
auf Zeit, dessen Geschäftsmodell darin<br />
besteht, Unternehmen zu kaufen und zu<br />
DER DUFT-DYNAST<br />
verkaufen. Gemeinsam verfolgen wir einen<br />
klaren Kurs, nämlich die volle Konzentration<br />
auf unsere Parfümeriesparte. Christ ist<br />
nach wie vor ein tolles Unternehmen, und<br />
die Familie Kreke würde gerne dabei bleiben.<br />
Deshalb spricht meine Familie auch<br />
mit dem neuen Eigentümer, dem Finanzinvestor<br />
3i, über eine mögliche Rückbeteiligung.<br />
Hätten Sie das nicht bereits im Vorfeld<br />
des Verkaufs klären können?<br />
Das wäre nicht sinnvoll gewesen. Wir haben<br />
uns mit Advent für den Verkauf von<br />
Christ aus der Gruppe entschieden und<br />
den Verkaufsprozess vorangetrieben. In<br />
dieser Konstellation konnten wir dann<br />
aber nicht zeitgleich in den Verhandlungen<br />
an der Seite eines möglichen Käufers auftauchen.<br />
Entweder man kauft oder man<br />
verkauft, beides gleichzeitig geht nun einmal<br />
nicht. Da muss man mögliche Interessenkonflikte<br />
vermeiden.<br />
Verhandeln Sie schon mit 3i?<br />
Unser Interesse ist dort bekannt. Auch das<br />
Christ-Team würde einen Einstieg sehr begrüßen,<br />
aber letztlich ist dies eine Entscheidung<br />
des neuen Eigentümers. Auch<br />
die Höhe einer möglichen Beteiligung ist<br />
noch völlig offen.<br />
Fallen durch den Verkauf von Christ<br />
Stellen in der Douglas Holding weg?<br />
Nein, es wird keine Stellenstreichungen geben.<br />
Einige Mitarbeiter wechseln aus der<br />
Douglas Holding zu Christ, teilweise arbeitet<br />
die Holding aber auch im Rahmen von<br />
Dienstleistungsverträgen weiter für das<br />
Unternehmen.<br />
Wofür brauchen Sie eigentlich noch eine<br />
Holding? Die Confiseriekette Hussel haben<br />
Sie im Frühjahr verkauft, Christ folgt<br />
jetzt. Auch Thalia und die Modeläden von<br />
AppelrathCüpper stehen zum Verkauf.<br />
Die Aufgaben, die heute von der Holding<br />
übernommen werden, fallen durch einen<br />
Verkauf von Tochterunternehmen nicht<br />
einfach weg. Das war auch bei allen früheren<br />
Veränderungen in unserem Portfolio<br />
nicht der Fall. Insofern stellt sich diese Frage<br />
nicht.<br />
Jetzt wollen Sie aber die komplette<br />
Gruppe zerschlagen, das ist schon eine<br />
völlig neue Dimension.<br />
Das ist nicht richtig. Wir haben vor einiger<br />
Zeit erkannt, dass unsere Strukturen nicht<br />
mehr zeitgemäß sind. Anders als früher<br />
können wir heute weder im Personalbereich<br />
noch in der Anmietung, der Warenwirtschaft<br />
oder dem Einkauf Vorteile aus<br />
der Gruppenstruktur ziehen. Zudem haben<br />
wir mit dem Ausbau unserer Parfü-<br />
Kreke, 49, hat 2001 den Chefposten der<br />
Douglas-Holding von seinem Vater Jörn<br />
übernommen. 2012 hatten die Familie Kreke<br />
und der Finanzinvestor Advent Douglas<br />
von der Börse genommen. »<br />
FOTOS: DOMINIK PIETSCH FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
56 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
meriesparte alle Hände voll zu tun. Bevor<br />
dann andere Sparten kürzertreten<br />
müssen, ist es sinnvoller, für diese Geschäftsfelder<br />
neue Eigentümerstrukturen<br />
zu suchen. Dann kommt die Fragestellung:<br />
Wer ist der beste Eigentümer für ein Geschäftsmodell,<br />
und wer entwickelt ein Unternehmen<br />
so, dass es sich im Wettbewerb<br />
nachhaltig behaupten kann?<br />
Welcher Eigentümer käme denn für Ihre<br />
Problemsparte Thalia infrage?<br />
Der Wettbewerb im Buchmarkt ist weiterhin<br />
intensiv. Aber Thalia ist gut aufgestellt<br />
und alles andere als eine Problemsparte.<br />
Operativ hat Thalia immer Geld verdient.<br />
Und mittlerweile ist auch die Profitabilität<br />
wieder auf einem Niveau, wo das Geschäft<br />
Spaß macht. Für die langfristige Weiterentwicklung<br />
von Thalia sind deshalb verschiedene<br />
Konstellationen denkbar. Wir haben<br />
aber keinen Zeitdruck und können in Ruhe<br />
mit Interessenten Gespräche führen.<br />
Ist die Sanierung jetzt abgeschlossen?<br />
Ja, der Einschnitt ins Filialnetz ist beendet.<br />
Wir schauen uns dennoch die Standorte<br />
weiter an, aber das zählt zum normalen Tagesgeschäft<br />
eines Handelsunternehmens.<br />
Nach Erledigung unserer Hausaufgaben<br />
sind wir jetzt so weit, dass Thalia nicht<br />
mehr nur mitschwimmt, sondern wieder<br />
der Taktgeber der Branche ist.<br />
Wenn man Sie so hört, gewinnt man den<br />
Eindruck, Sie wollten Ihre Thalia-Anteile<br />
nicht loswerden, sondern aufstocken?<br />
Bei Thalia wird es sicherlich irgendwann<br />
zu einem Eigentümerwechsel kommen.<br />
Aber ähnlich wie bei Christ werden wir uns<br />
als Familie Kreke sehr intensiv mit der Frage<br />
befassen, ob wir auch bei Thalia beteiligt<br />
bleiben.<br />
Steht auch die Beteiligung der Familie an<br />
der Parfümeriesparte zur Disposition?<br />
Nein. An unseren Douglas-Parfümerien<br />
werden wir definitiv festhalten.<br />
Gilt das auch, wenn Sie die Sparte im<br />
Frühjahr 2015 an die Börse bringen?<br />
Wir werden bei Douglas in jedem Fall an<br />
Bord bleiben. Ein Börsengang ist im Übrigen<br />
nur eine von mehreren Möglichkeiten,<br />
die wir derzeit prüfen. Und auch hinsichtlich<br />
des Zeitpunktes ist noch nichts entschieden.<br />
Sehen Sie in Deutschland noch<br />
Wachstumsmöglichkeiten für die Douglas-<br />
Parfümerien?<br />
Es gibt noch viele weiße Flecken. Wir haben<br />
bereits mehr als 400 Filialen in<br />
Deutschland. Ich habe in der Vergangenheit<br />
mal von 500 Standorten geträumt, das<br />
schien mir eine sinnvolle Zahl. Wenn wir<br />
»Wir erzielen in<br />
Deutschland fast 20<br />
Prozent der Douglas-<br />
Umsätze online«<br />
Alles muss raus<br />
Die Aufspaltung der Douglas-Gruppe<br />
Douglas<br />
Parfüm, Kosmetik<br />
Thalia<br />
Bücher<br />
Christ<br />
Schmuck<br />
AppelrathCüpper<br />
Mode<br />
Hussel<br />
Süßwaren<br />
Umsatz* Mitarbeiter Filialen<br />
3000 Mio. € 14000 1100<br />
Vorbereitung auf möglichen<br />
Börsengang<br />
915 Mio. € 5000 300<br />
Käufer gesucht<br />
400 Mio. € 2400 220<br />
im Oktober an Finanzinvestor<br />
3i verkauft<br />
122 Mio. € 750 13<br />
Käufer gesucht<br />
100 Mio. € 1000 219<br />
im März an Finanzinvestor<br />
Emeram verkauft<br />
* letzte verfügbare Informationen; Quelle: Unternehmen<br />
bei einer geringeren Zahl landen, ist das<br />
kein Drama, zumal wir aus kartellrechtlichen<br />
Gründen auf dem Heimatmarkt keine<br />
größeren Wettbewerber übernehmen<br />
dürfen.<br />
Das heißt, Sie müssen im Ausland expandieren,<br />
wenn Sie stärker wachsen wollen.<br />
Wo geht die Reise hin?<br />
Im Rahmen einer Franchise-Partnerschaft<br />
werden wir noch in diesem Jahr in Norwegen<br />
starten. Und wir halten auch in anderen<br />
Ländern Ausschau nach Wachstums-<br />
Chancen. Im Wesentlichen konzentrieren<br />
wir uns derzeit aber auf den französischen<br />
Markt. Da wollen wir richtig Gas geben<br />
und unsere Position ausbauen. Im Sommer<br />
haben wir den französischen Wettbewerber<br />
Nocibé übernommen, das war die<br />
größte Übernahme in der Geschichte von<br />
Douglas.<br />
Wie läuft die Integration von Nocibé?<br />
Unsere Douglas-Parfümerien waren in<br />
Frankreich über viele Jahre die Nummer<br />
vier der Branche. Direkt nach dem Kauf haben<br />
wir uns entschieden, alle französischen<br />
Douglas-Filialen auf die Marke Nocibé<br />
umzustellen. Damit haben wir auf einen<br />
Schlag das größte Parfümerie-Filialnetz<br />
in Frankreich und sind beim Umsatz<br />
die starke Nummer zwei. Wir haben das<br />
Unternehmen zwar offiziell erst zum Juni<br />
übernommen, hatten aber lange Vorlaufund<br />
Vorbereitungszeiten. Die Integration<br />
ist bis auf einige Kleinigkeiten praktisch<br />
abgeschlossen.<br />
Wie wichtig ist das Online-Geschäft für<br />
die Parfümerien?<br />
Wir erzielen in Deutschland mittlerweile<br />
fast 20 Prozent unserer Douglas-Umsätze<br />
über unseren Online-Shop – mit anhaltend<br />
steigender Tendenz. Gerade wenn Kunden<br />
bereits wissen, welches Produkt sie kaufen<br />
möchten, nutzen sie gerne unser Internet-<br />
Angebot. Das gilt zunehmend auch für unsere<br />
Auslandsmärkte.<br />
Machen Sie Ihren stationären Läden mit<br />
Ihrem Online-Shop nicht Konkurrenz?<br />
Letztlich entscheidet der Kunde, wo er einkaufen<br />
möchte. Und wenn der Online-<br />
Kunde nicht bei uns einkaufen kann, kauft<br />
er bei einem Wettbewerber. Das wäre weitaus<br />
riskanter. Wir sind aber weiter fest davon<br />
überzeugt, dass die Mehrheit der Kunden<br />
lieber stationär einkauft. Deswegen<br />
geben wir auch stationär weiter Gas. Die<br />
Möglichkeiten, Marken zu präsentieren,<br />
Innovationen zu verkaufen und über gute<br />
Beratung Kunden zu begeistern – das funktioniert<br />
nur im Laden.<br />
n<br />
henryk.hielscher@wiwo.de, stephanie heise<br />
FOTOS: DOMINIK PIETSCH FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
58 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Alles steht infrage Chefaufseher Cordes soll<br />
das Cevian-Investment bei Bilfinger retten<br />
In Sack und Asche<br />
BILFINGER | Die Agenda für Aufsichtsratschef Eckhard Cordes und<br />
für den noch zu findenden Vorstandschef des Krisenkonzerns.<br />
Für einen hochrangigen Manager aus<br />
der Bilfinger-Zentrale in Mannheim<br />
ist klar, wer den kriselnden MDax-<br />
Konzern demnächst führen muss: Jürgen<br />
Klopp. Nicht der Jürgen Klopp, aber ein Jürgen<br />
Klopp. „Wir brauchen hier einen Trainer<br />
wie ihn“, skizziert der Bilfinger-Mann<br />
seinen Wunsch-Chef, „einen mit Charisma,<br />
der eine substanzielle Strategie entwickeln<br />
und zugleich ein verunsichertes Team motivieren<br />
und mitreißen kann.“ Ein Bilfinger-<br />
Team, das – wie Klopps Dortmunder Borussen<br />
in der Bundesliga – mit höchsten<br />
Ansprüchen ins Geschäftsjahr gestartet ist,<br />
um dann spektakulär abzustürzen.<br />
Falsch ist die Parallele nicht. Bilfinger hat<br />
innerhalb der vergangenen Monate<br />
n mit vier Gewinnwarnungen die Anleger<br />
schockiert und den Aktienkurs halbiert,<br />
n woraufhin Hauptaktionär Cevian Vorstandschef<br />
Roland Koch in die Wüste<br />
schickte und<br />
n Aufsichtsratschef Bernhard Walter zum<br />
Rücktritt zwang.<br />
Und die Aussichten machen kaum Mut:<br />
„Wir werden 2015 nicht wachsen und die<br />
Marge nicht steigern können“, räumte Interims-Vorstandschef<br />
Herbert Bodner vergangene<br />
Woche ein und überlegte laut, ob<br />
die Aktionäre mit einer Dividendensenkung<br />
oder -streichung rechnen müssen.<br />
Viel zu tun für Eckhard Cordes, seit vergangener<br />
Woche im Auftrag von Cevian<br />
neu im Aufsichtsrat und Chef des Gremiums.<br />
Er muss ein Sparprogramm aufsetzen,<br />
etliche Koch-Altlasten beseitigen und<br />
Bilfinger überzeugend neu definieren.<br />
Schwer wird schon die Chefsuche – zumal<br />
es nicht nur um die Neubesetzung an<br />
der Spitze geht, sondern um den fast kompletten<br />
Vorstand. Denn die derzeitige Riege<br />
sei ein „Lame-Duck-Vorstand“, der keine<br />
Durchsetzungskraft mehr habe,<br />
urteilt ein ehemaliger Bilfinger-<br />
Top-Manager. Tatsächlich sind<br />
bis zu vier der fünf Vorstandsmitglieder<br />
Chefs auf Abruf:<br />
n Koch-Vorgänger Herbert<br />
Bodner, der eigentlich Aufsichtsratschef<br />
werden sollte,<br />
leitet den Konzern nun aus der<br />
Not heraus erneut. Sein Vertrag<br />
Köpfe<br />
Unter wiwo.de/bilfingervorstand<br />
und in den App-<br />
<strong>Ausgabe</strong>n mehr<br />
über die Top-Manager<br />
von Bilfinger<br />
läuft bis Ende Mai 2015. Überlegungen, ob<br />
er noch mehrere Jahre weitermacht, wischte<br />
der 66-Jährige, der erst seit 2013 im Aufsichtsrat<br />
saß, am vergangenen Mittwoch<br />
ironisch <strong>vom</strong> Tisch: „Ich kann mir nicht<br />
vorstellen, dass Herr Cordes mich das fragt.<br />
Es kann ja nicht jeder so lange arbeiten wie<br />
Herr Mehdorn.“<br />
n Finanzchef Joachim Müller muss gehen,<br />
sobald ein Nachfolger da ist. Offenbar wird<br />
ihm angelastet, dass die wahren Geschäftszahlen<br />
nur scheibchenweise bekannt wurden<br />
und zur Hauptversammlung im Mai<br />
noch alle Prognosen bestätigt wurden.<br />
n Vorstand Joachim Enenkel hat den Bereich<br />
Power, der Dienstleistungen für<br />
Kraftwerke erbringt und dessen Lage Bodner<br />
in Sack und Asche „desaströs“ nennt,<br />
bereits an Interimschef Bodner abgeben<br />
müssen. Enenkels Abgang wird erwartet<br />
(WirtschaftsWoche 46/2014).<br />
n Pieter Koolen zog 2013 auf dem Koch-Ticket<br />
in den Vorstand ein und blieb ein<br />
Fremdkörper bei Bilfinger. Auch sein Ressort<br />
Industriedienstleistungen floriert<br />
nicht mehr. Konzern-Insider sagen, ihn<br />
ziehe es zurück in die Niederlande.<br />
Stabil scheint derzeit allein die Position<br />
von Jochen Keysberg, im Vorstand unter<br />
anderem für Gebäudemanagement zuständig<br />
– laut Bodner der Bereich, in dem<br />
„wir rundum erfolgreich sind“.<br />
DIKTIERT VON NOT UND ELEND<br />
Cordes muss also ein Manager-Trio oder<br />
gar -Quartett gewinnen. Was das künftige<br />
Führungsteam genau tun soll, kann der frühere<br />
Daimler-, Metro- und Haniel-Manager<br />
aber derzeit nur schwer erklären. Eine neue<br />
Strategie müssen vor allem er und Aufsichtsratskollege<br />
Jens Tischendorf entwickeln.<br />
Beide sind Statthalter des schwedischen<br />
Finanzinvestors Cevian, der mehr als<br />
25 Prozent der Bilfinger-Anteile hält. Vor allem<br />
Cordes und Tischendorf entscheiden<br />
in den kommenden Monaten über die Zukunft<br />
des Konzerns.<br />
Dabei steht alles infrage, was<br />
Bodner in seiner langen Amtszeit<br />
von 1999 bis 2011 aufgebaut<br />
und was der frühere CDU-Spitzenpolitiker<br />
Roland Koch als<br />
Scherbenhaufen hinterlassen<br />
hat. Die Agenda für Cordes und<br />
sein bisher virtuelles Team wird<br />
diktiert von Not und Elend. Bei<br />
Energiedienstleistungen etwa<br />
FOTO: FRANK ZAURITZ<br />
60 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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gilt es, schnell festzulegen, auf welches Volumen<br />
der frühere Hoffnungsträger geschrumpft<br />
werden muss. Die Sparte leidet –<br />
auch international – massiv unter den Folgen<br />
der Energiewende. Die bisher verkündeten<br />
Sparprogramme werden nicht reichen.<br />
Der Geschäftsführer eines der erst vor<br />
wenigen Jahren von Bilfinger zugekauften<br />
Unternehmens sagt: „Jetzt hängen wir alle<br />
an diesem Konzern und bereuen die Übernahme.“<br />
Manchen noch jungen Bilfinger-<br />
Töchtern dürfte der erneute Verkauf bevorstehen<br />
– zu einem ungünstigen Zeitpunkt<br />
mit schlechter Performance. Die künftige<br />
Strategie wird bestimmen, welche der Unternehmen<br />
überhaupt noch zu Bilfingers<br />
Power-Bereich passen und welche nicht.<br />
Ähnliches gilt für die Industriesparte.<br />
„Mehr hochwertige Dienstleistungen, die<br />
nicht ersetzbar sind“, skizziert Bodner das<br />
mögliche neue Bilfinger-Leistungsprofil.<br />
Mitglieder der Unternehmensfamilie, die<br />
nur „Allerweltstätigkeiten“ anböten, passten<br />
nicht mehr ins Portfolio, weil die Margen<br />
dabei zu gering seien. Aufgabe der<br />
neuen Vorstände wird sein, auch hier die<br />
Verkaufskandidaten zu identifizieren.<br />
Halbe Portion<br />
Aktienkurs von Bilfinger (in Euro)<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
J<br />
4. August<br />
Rücktritt Roland Koch<br />
(Vorstandsvorsitzender)<br />
Gewinnwarnung<br />
8. Mai<br />
Hauptversammlung<br />
F M A M J J<br />
2014<br />
Quelle: Thomson Reuters<br />
11. November<br />
Amtsantritt<br />
Eckhard Cordes<br />
(Aufsichtsratschef)<br />
A S O N<br />
Erleichtert wird dies dadurch, dass<br />
Kochs Versuch, die rund 500 Bilfinger-Einzelunternehmen<br />
stärker zu vernetzen,<br />
kaum Erfolg hatte. „Bilfinger ist immer<br />
noch ein Sammelsurium von Divisionen<br />
und Firmen“, beschreibt der Chef einer<br />
Power-Tochter die Innen-Wahrnehmung,<br />
„ganz selten erkennt man eine Strategie<br />
darin. Jede Firma hat ihren eigenen Markt –<br />
einen gemeinsamen gibt’s nicht.“<br />
Daher sollten sich Cordes und Co. von<br />
einer weiteren Koch-Idee verabschieden:<br />
dem teuren Aufbau einer Auftragsdatenbank,<br />
die für „verstärktes Cross-Selling“<br />
sorgen sollte. Die Vorstellung, dass ein<br />
Kunde <strong>vom</strong> Facility Management bis zum<br />
Kraftwerksbau alles bei unterschiedlichen<br />
Bilfinger-Sparten bestellt, „ist wunderschön,<br />
aber nicht realistisch“, ätzt Bodner.<br />
Ein weiterer Rohrkrepierer aus der Koch-<br />
Ära ist nach Einschätzung eines ehemaligen<br />
Top-Managers die Einführung von Repräsentanten<br />
für Weltregionen. Die bringen<br />
wenig, weil Dienstleister wie Bilfinger<br />
eher den Auftraggebern in neue Länder<br />
folgen und ihre Präsenz weiterentwickeln,<br />
als dass sie strategisch Weltregionen definieren,<br />
um dort Marktpositionen zu erobern.<br />
Die ungeliebte Auftragsdatenbank<br />
und die Regionalrepräsentanten sind Module<br />
des Koch-Programms BEST und haben<br />
„im Unternehmen keine Akzeptanz“,<br />
sagt der Ex-Manager: „Davon sollte sich die<br />
neue Führung verabschieden.“<br />
Und eine Menge Verunsicherung in der<br />
Belegschaft muss sie ausräumen. 1250 Arbeitsplätze<br />
wollte Koch abbauen, um den<br />
zu hohen Anteil der Verwaltungskosten<br />
»<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
am Umsatz zu senken. Angesichts gesunkener<br />
Umsätze, unkt ein Betriebsrat,<br />
müsste das Verhältnis trotz des Abbaus<br />
prozentual immer noch relativ hoch sein:<br />
„Wird nun wieder mit dem Rasenmäher<br />
gespart?“<br />
Die Fülle von Problemen muss Cordes<br />
kurzfristig und gleichzeitig angehen und<br />
wird dabei <strong>vom</strong> Erfolgsdruck getrieben,<br />
unter dem sein eigener Auftraggeber steht.<br />
Der Finanzinvestor Cevian zählt zu den<br />
aktivistischen Aktionären. Die kaufen sich<br />
bei unterbewerteten Unternehmen ein,<br />
forcieren drastische Veränderungen und<br />
wollen so in relativ kurzer Zeit Wertsteigerungen<br />
erzielen. Normalerweise erwarten<br />
ihre Geldgeber nach 18 Monaten Resultate.<br />
Cevian ist zwar etwas längerfristiger ausgerichtet,<br />
doch nach spätestens fünf Jahren<br />
müssen sich die Investments rentieren.<br />
„Cevian steht enorm unter Druck“, heißt es<br />
in Finanzkreisen.<br />
Mit einem Misserfolg würde Cevian<br />
nicht nur Geld verbrennen, sondern auch<br />
seinen Ruf lädieren – und sein Geschäftsmodell.<br />
Aktivisten leben davon, dass sich<br />
ihnen andere Investoren anschließen, weil<br />
die ihnen zutrauen, Unterbewertungen<br />
125 Millionen<br />
Euro Verlust machte<br />
Bilfinger bisher 2014 –<br />
im Vorjahr gab es Gewinn<br />
besser zu erkennen. Meist löst schon ihr<br />
Einstieg einen Kursanstieg aus. Ein Flop<br />
nimmt ihnen leicht die Überzeugungskraft.<br />
Dabei gilt der ursprüngliche Plan in Finanzkreisen<br />
weiter als schlau. Die Bilfinger-Aktie<br />
galt beim Cevian-Einstieg 2011<br />
als günstig. Schon der Verkauf der Bausparte<br />
sollte Wert schaffen. Der Deal dürfte in<br />
den nächsten Wochen abgeschlossen sein.<br />
Aber der Ertrag daraus reicht wegen des<br />
operativen Totalabsturzes nicht mehr aus.<br />
„Mit Cordes’ Berufung hat Cevian die<br />
Macht bei Bilfinger übernommen“, heißt es<br />
in Finanzkreisen. Die Personalwechsel an<br />
der Spitze seien nur der Anfang eines größeren<br />
Umbaus. Cevian werde alles versuchen,<br />
um sein Engagement noch zu drehen<br />
– wie Jürgen Klopps Borussia bei einem<br />
fast schon verlorenen Spiel.<br />
n<br />
harald.schumacher@wiwo.de, cornelius welp | Frankfurt<br />
Auf der Erfolgsspur<br />
MeinFernbus fährt der<br />
Konkurrenz davon<br />
Macht der Größe<br />
FERNBUSSE | In der jungen Branche schlagen die Gesetze der<br />
Logistik unerbittlich zu: Nur wer eng vernetzt ist, gewinnt.<br />
Heute ist Familientag. Torben Greve,<br />
Gründer und Chef des Berliner<br />
Start-ups MeinFernbus (MFB), trägt<br />
ein Hemd in der Firmenfarbe Grün. Er hat<br />
Mitarbeiter sowie 87 Busunternehmer in<br />
das Park Inn Hotel am Alexanderplatz in<br />
Berlin geladen, mit denen er bundesweit<br />
ein Liniennetz aufgezogen hat.<br />
Die Stimmung ist angespannt. Denn der<br />
Preiskampf unter den Fernbusunternehmen<br />
hierzulande ist eines der großen Themen<br />
des zweitägigen Treffens. Pionier<br />
DeinBus.de hat soeben Insolvenz angemeldet,<br />
City2City den Rückzug eingeläutet<br />
und der ADAC seinen Ausstieg aus dem<br />
Gemeinschaftsunternehmen mit der Deutschen<br />
Post angekündigt. Da überrascht der<br />
MFB-Chef seine Mitarbeiter und Partner<br />
mit einer frohen Botschaft: „Wir werden in<br />
diesem Jahr aller Voraussicht nach schwarze<br />
Zahlen schreiben.“<br />
Der Kapitalismus lebt und frisst zugleich<br />
seine Kinder. Keine zwei Jahre<br />
nach der allgemeinen Zulassung<br />
von Fernbussen in<br />
Deutschland schlagen die Gesetze,<br />
die für das Geschäft in<br />
vergleichbaren Branchen wie<br />
der Logistik und Luftfahrt gelten,<br />
überraschend schnell auch<br />
bei den neuen Überlandbeförderern<br />
zu: Langfristig Chancen<br />
Interview<br />
Das Gespräch mit<br />
MeinFernbus-Chef<br />
Torben Greve lesen<br />
Sie in unseren<br />
App-<strong>Ausgabe</strong>n<br />
hat nur, wer einen Markt umfassend abdeckt.<br />
Das erfordert eine bestimmte Größe,<br />
was wiederum zu Vorteilen wie niedrigeren<br />
Stück-, sprich: Passagier- und Fahrzeugkosten,<br />
führt und dank hoher Bekanntheit<br />
Nachfrage ansaugt. Einfach chic und cool<br />
plus kostenloses WLAN genügt nicht.<br />
Dafür stehen lehrbuchhaft MFB-Chef<br />
Greve und sein Mitgründer Panya Putsathit,<br />
die 2011 MeinFernbus auf die Straße<br />
schickten. Das Start-up kommt inzwischen<br />
auf einen Marktanteil von 45 Prozent und<br />
beschäftigt 250 meist junge Mitarbeiter, die<br />
in der Zentrale nahe des Berliner Fernsehturms<br />
Kundenanfragen annehmen, Kontakt<br />
zu Busfahrern halten, Fahrpläne umbauen<br />
und die IT für die Buchungsplattform<br />
programmieren.<br />
Greve und sein Kompagnon haben ein<br />
Unternehmen aufgebaut, dessen Arbeitsweise<br />
an eine Netzwerk-Airline wie die<br />
Lufthansa erinnert. So betreibt MFB nicht<br />
nur Linien auf Rennstrecken<br />
wie zwischen den Großstädten<br />
Köln und Berlin, wo der gleiche<br />
harte Wettbewerb wie zwischen<br />
Lufthansa und Air Berlin<br />
tobt und der Preisdruck erbarmungslos<br />
zuschlägt. MFB fährt<br />
auch auf Nebenstrecken mit<br />
wenig Konkurrenz, etwa zwischen<br />
Hamburg und Nordhau-<br />
FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />
62 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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sen oder Leipzig und Münchberg. Dort erzielt<br />
das Unternehmen höhere Preise.<br />
Der zweite Vorteil dieser Strategie: Die<br />
Busse auf den Nebenstrecken schaufeln<br />
den Hauptstrecken massenhaft Fahrgäste<br />
zu, sodass sich die Auslastung der mehr als<br />
300 grünen MFB-Busse „auf dem Niveau<br />
von Fluggesellschaften bewegt“, sagt Greve,<br />
sprich: auf vielen Strecken über 80 Prozent.<br />
Start-ups vorne<br />
Marktanteile der deutschen Fernbusunternehmen<br />
1 (in Prozent)<br />
April<br />
2013<br />
Sonstige 3<br />
Aug.<br />
2013<br />
Nov.<br />
2013<br />
MeinFernbus<br />
Deutsche Bahn 2 ADAC Postbus 4<br />
Jan.<br />
2014<br />
März<br />
2014<br />
FlixBus<br />
Aug.<br />
2014<br />
Okt.<br />
2014<br />
1 nach angebotenen Fahrplankilometern; 2 Berlinlinienbus, IC Bus;<br />
3 darunter: City2City (Aufgabe im Oktober 2014) und DeinBus.de<br />
(Insolvenz im Oktober 2014); 4 künftig ohne ADAC;<br />
Quelle: IGES<br />
DYNAMIK BLEIBT<br />
Die Verfolger sind davon weit entfernt.<br />
Allenfalls FlixBus aus München dürfte mit<br />
einem Marktanteil von 24 Prozent in die<br />
Reichweite der Berliner kommen. Gründer<br />
und Geschäftsführer Jochen Engert sieht<br />
„die Gewinnschwelle auf einzelnen Strecken<br />
nicht mehr weit entfernt“.<br />
Der prominenteste Wettbewerber, der<br />
unter dem kleinen Marktanteil leidet, ist<br />
der Postbus. Der ADAC sucht nun das Weite,<br />
weil die Anfangsverluste wohl knapp<br />
doppelt so hoch lagen wie geplant. Berater<br />
von Roland Berger hatten einst ein Minus<br />
von drei Millionen Euro kalkuliert. Zudem<br />
gab es unterschiedliche Auffassungen in<br />
Fragen der Strategie. Der ADAC pochte<br />
weiter auf hohe Qualitätsstandards wie einen<br />
zweiten Fahrer an Bord. Möglicherweise<br />
rückt die Post nun davon ab, um Kosten<br />
zu sparen.<br />
Für den Bonner Logistikkonzern gilt der<br />
Markt dennoch als attraktiv, allein weil die<br />
Gesellschaft immer älter werde und nach<br />
50<br />
45<br />
40<br />
35<br />
30<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
0<br />
Verkehrsmitteln mit barrierefreiem Zugang<br />
verlange, also zum Beispiel keine<br />
Bahnhöfe mit Treppen und Unterführungen.<br />
Sogar ein Shuttle-Service von ausgewählten<br />
Punkten zu den zentralen Haltestellen<br />
der Postbusse gilt intern als Möglichkeit,<br />
um das Angebot attraktiver zu machen.<br />
Zudem gibt es Manager in der Chefetage<br />
des Konzerns, die die Chance sehen,<br />
in einem großen Fernbusnetz auch Expresssendungen<br />
und Pakete mit zu befördern<br />
– wie dies Passagierflugzeuge tun.<br />
Dass das Wachstum nach zwei Jahren an<br />
seine Grenzen stößt, ist unwahrscheinlich.<br />
„Die Dynamik bleibt“, sagt Christoph Gipp<br />
<strong>vom</strong> Mobilitätsberater IGES. Auf vereinzelten<br />
Strecken stiegen noch immer neue Unternehmen<br />
in den Markt ein. So würde sich<br />
eine zweistellige Zahl an Investoren für<br />
den insolventen Anbieter DeinBus.de interessieren,<br />
sagt Insolvenzverwalter Christian<br />
Feketija. Er rechnet deshalb damit, dass<br />
der Verkaufsprozess „bis Ende des Jahres<br />
abgeschlossen werden kann“.<br />
Berater Gipp gibt sich optimistisch: „Der<br />
Markt verträgt langfristig circa vier größere<br />
und mehrere kleinere Anbieter.“<br />
n<br />
christian.schlesiger@wiwo.de | Berlin, florian zerfaß<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Zu klein für ganz groß<br />
GROSSPROJEKTE | Konzerne aus Japan, Korea und China stechen deutsche Unternehmen auf<br />
den Zukunftsmärkten aus. Schuld daran sind die Firmen, aber auch passive Politiker.<br />
Total verhoben<br />
Das Stahlwerk in Brasilien<br />
kam ThyssenKrupp teuer<br />
zu stehen, dadurch geriet<br />
der Konzern in Not<br />
FOTO: ABRIL IMAGEM/EXAME/GERMANO LUDERS<br />
64 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Für ThyssenKrupp scheint die Welt in<br />
Ordnung. Vor wenigen Tagen meldete<br />
der Ruhrkonzern, dass Saudi-Arabien<br />
ihm den Zuschlag für den Bau eines<br />
100 Millionen Euro teuren Zementwerks<br />
erteilt hat. Auch in Algerien zog die Anlagenbautochter<br />
des Essener Riesen, die<br />
einst unter Polysius firmierte, einen Großauftrag<br />
an Land. Chemieanlagenbauer Uhde,<br />
der mit der Schwestersparte im Januar<br />
zum neuen Geschäftsfeld Industrial Solutions<br />
fusionierte, verdient derweil gut an der<br />
Reindustrialisierung der USA mit. Die<br />
Amerikaner bestellen Chemiefabriken, seit<br />
sie mit der umstrittenen Frackingmethode<br />
auf heimischen Böden preiswert an Schiefergas<br />
und -öl kommen.<br />
Doch die schönen Aufträge sind bloß eine<br />
Momentaufnahme. Deutsche Anlagenbauer<br />
bleiben bei einer wachsenden Zahl<br />
milliardenschwerer Großprojekte rund um<br />
den Globus immer öfter im Abseits. ThyssenKrupp<br />
etwa verlor seit 2013 vier Ausschreibungen<br />
für Düngemittelfabriken in<br />
Osteuropa und Zentralasien an Konkurrenten<br />
aus Fernost und mischt abseits des<br />
Westens selten mit. In Russland zog die<br />
dort gut verdrahtete SMS Group des einstigen<br />
Industrieverbandschefs Heinrich<br />
Weiss im Bieterkampf um ein Walzwerk am<br />
Ural den Kürzeren. Die Siemensianer beißen<br />
sich beim Einstieg in den vietnamesischen<br />
Kraftwerksmarkt die Zähne aus.<br />
Vor allem das alles entscheidende Fernost-Geschäft,<br />
über das sich die Elite der<br />
deutschen Wirtschaft in der kommenden<br />
Woche auf ihrer Asien-Pazifik-Konferenz<br />
in Vietnams Wirtschaftszentrum Ho-Chi-<br />
Minh-Stadt den Kopf zerbrechen wird, ist<br />
rückläufig: Japan, Südkorea und allen<br />
voran China peitschen wo immer möglich<br />
Wenig Lichtblicke<br />
Von deutschen Unternehmen gebaute Großanlagen<br />
im Ausland (Wert in Mrd. Euro)<br />
Kraftwerke<br />
Walzwerke<br />
Luft- und Gasverflüssigung/-zerlegung<br />
Organische<br />
Chemieanlagen<br />
Hüttenwerke<br />
Baustoffanlagen<br />
Anlagen zur Papierherstellung<br />
Quelle: VDMA<br />
3,6<br />
1,8<br />
0,9<br />
1,4<br />
2,9<br />
1,4<br />
1,9<br />
0,7<br />
1,2<br />
0,5<br />
0,6<br />
0,4<br />
6,2<br />
2008<br />
2013<br />
9,2<br />
ihre eigenen Anlagenbauer in die Wachstumsmärkte.<br />
Für Deutschland wird zu groß, was draußen<br />
in der Welt ausgeschrieben wird. Während<br />
Anbieter aus Asien ein Megaprojekt<br />
nach dem anderen kapern, lassen sich die<br />
verwöhnten Qualitätsführer hierzulande<br />
mit kleineren und mittelgroßen Ordern in<br />
zweistelliger Millionenhöhe abspeisen.<br />
Der Anlagenbau, einst Paradebranche des<br />
Exportweltmeisters, ist gezwungen, nach<br />
Nischen zu suchen.<br />
KEIN MITTEL GEGEN DUMPING<br />
Die Folgen treffen nicht nur die einschlägigen<br />
Unternehmen, sie werden auch zur<br />
Bedrohung für den Industriestandort<br />
Deutschland. Noch bestellen Südkoreaner<br />
Turbinen made in Germany, wenn ihre<br />
Unternehmen Megakraftwerke irgendwo<br />
auf der Welt planen. Eines Tages werden<br />
sie jedoch selbst hocheffiziente Turbinen<br />
produzieren und die Deutschen ganz aus<br />
dem Großgeschäft verdrängen.<br />
Klaus Gottwald, Branchenexperte beim<br />
Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau<br />
(VDMA), ist besorgt: „Wenn wir<br />
die Fähigkeit aus der Hand geben, Großprojekte<br />
schlüsselfertig abzuwickeln, verlieren<br />
wir eines Tages den Anschluss am<br />
Weltmarkt.“ Zahlen befeuern seine Furcht:<br />
Deutsche Lieferanten großer Kraftwerke,<br />
Chemie-, Stahl- oder Düngemittelfabriken<br />
haben binnen fünf Jahren fast ein Drittel an<br />
Auftragsvolumen eingebüßt und 2013 nur<br />
21 Milliarden Euro mit Aufträgen erwirtschaftet,<br />
deren Projektvolumen größer ist<br />
als 50 Millionen Euro.<br />
An der Auszehrung sind die Großanlagenbauer<br />
zum einen selber schuld, wie<br />
Hubert Lienhard mahnt, der Chef des<br />
schwäbischen Anlagenbauers Voith (siehe<br />
Interview Seite 68). Kein Manager will als<br />
Generalunternehmer die Verantwortung<br />
für ein Projekt auf sich nehmen, das milliardenschwere<br />
Risiken birgt. Zumal deutsche<br />
Großanlagen zuletzt oft spektakulär<br />
gescheitert sind – wie das ThyssenKrupp-<br />
Stahlwerk in Brasilien, das den gesamten<br />
Konzern in Schieflage brachte.<br />
Doch auch die Bundesregierung hat ihren<br />
Anteil am Niedergang. Denn Berlin findet<br />
kein Mittel gegen die Dumping-Kredite,<br />
vor allem aus China. Trotz deren Mitgliedschaft<br />
in der Welthandelsorganisation<br />
WTO päppelt Peking ganz frech die eigene<br />
Exportwirtschaft mit billigen Darlehen. Zugleich<br />
verlieren die hiesigen Hermes-Bürgschaften<br />
als Instrument der deutschen Außenhandelsförderung<br />
mehr und mehr<br />
»<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 65<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Wasser, marsch! China päppelt die eigenen<br />
Kraftwerksbauer mit Billigkrediten, damit<br />
sie bei Großprojekten zum Zuge kommen<br />
Asien runter, Nordamerika rauf<br />
Wichtigste Auslandsmärkte für deutsche Großanlagenbauer<br />
(Volumen in Mrd. Euro)<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013<br />
Quelle: VDMA<br />
»<br />
ihre Schlagkraft. Exporteure, die der<br />
Bund über die private Euler-Hermes-Versicherungsgruppe<br />
gegen Ausfallrisiken bei<br />
Handelsgeschäften schützt, kommen häufig<br />
nicht an die benötigten Policen: Im<br />
Kleingedruckten stecken zu viele Ausnahmen<br />
oder schwer erfüllbare Bedingungen.<br />
Den Unternehmen bleibt oft nur noch, die<br />
Risiken selbst zu tragen – oder gleich zu<br />
Hause zu bleiben.<br />
Spuren des Rückzugs finden sich überall,<br />
etwa im lange Zeit isolierten Myanmar, wo<br />
seit Ende der Militärdiktatur 2011 riesige<br />
Infrastrukturbauten anstehen. Münchens<br />
Flughafenbetreiber FMG lief schau für die<br />
Beteiligung an drei Flughäfen. Aber die Tür<br />
nach Myanmar blieb verschlossen. Zwar<br />
erreichten die Bayern die letzte Runde der<br />
Ausschreibungen, aber die Regierung entschied<br />
sich für ein Konsortium unter japanischer<br />
Führung.<br />
Asiatischpazifischer<br />
Raum<br />
Nordamerika<br />
Westeuropa<br />
Nah- und Mittelost<br />
Osteuropa/GUS<br />
Afrika<br />
Mittel- und<br />
Südamerika<br />
In Brasilien wiederum entwarfen deutsche<br />
Architekten zur Fußball-WM die Pläne<br />
für fünf der zwölf Stadien. Made in Germany<br />
indes waren bloß die Sitze oder die<br />
Schließtechnik – die großen Bauaufträge<br />
gingen an lokale Riesen wie den Baukonzern<br />
Odebrecht. Kraftwerksbauer Voith<br />
und Siemens geraten in dem Land unter<br />
den Druck chinesischer Wettbewerber. Die<br />
liefern billiger und werden immer besser.<br />
Während Firmen aus dem Reich der Mitte<br />
mit Macht auf den Weltmarkt drängen,<br />
bleibt ihr Heimatmarkt abgeschottet. Dadurch<br />
sind die Chinesen längst Weltmeister<br />
beim Bau von Flughäfen, Häfen, Straßen,<br />
Autobahnen. Allein 6600 Kilometer<br />
U-Bahn werden 2014 im eigenen Land fertiggestellt<br />
– im Wert von rund 80 Milliarden<br />
Euro. Nur zwei bis drei Prozent der öffentlichen<br />
Aufträge ergattern ausländische Bieter,<br />
schätzt die Handelskammer der Europäischen<br />
Union in Peking. Am ehesten<br />
kommen noch hoch spezialisierte Subunternehmer<br />
wie der Tunnelbohrmaschinenbauer<br />
Herrenknecht aus dem Schwarzwald<br />
ins Geschäft.<br />
In Deutschland gilt es schnell als Skandal,<br />
wenn Politiker Unternehmen bei der<br />
Suche nach Aufträgen helfen. In Ostasien<br />
ist das pure Selbstverständlichkeit. So inszeniert<br />
sich etwa Japans Premierminister<br />
Shinzo Abe als Chefverkäufer seines Landes.<br />
Als er vor knapp einem Jahr das Investoren-Mekka<br />
Myanmar besuchte, unterzeichnete<br />
er ein Abkommen über besseren<br />
Marktzugang für japanische Firmen – und<br />
bewilligte zeitgleich Gelder für Infrastrukturprojekte<br />
im Wert von 610 Millionen Dollar.<br />
Dass die Münchner beim Flughafenbau<br />
außen vor blieben, war darum kein Zufall.<br />
Sogar in Europa bläst die Japan-AG zum<br />
Angriff. Den Tunnel unter dem Bosporus,<br />
der den asiatischen mit dem europäischen<br />
Teil Istanbuls verbindet, bauten japanische<br />
Ingenieure. Vor einem Jahr reiste Abe<br />
zur Eröffnung in die Türkei – und verhandelte<br />
mit dem heutigen türkischen Präsidenten<br />
und damaligen Premierminister<br />
Recep Tayyip Erdogan zugleich über den<br />
Bau eines japanischen Atomkraftwerks.<br />
Fukushima ist ja weit weg.<br />
VERZICHT AUF GEWINN<br />
Japans Methode ist simpel: Der Staat stützt<br />
Privatfirmen mit billigen Krediten und umfassenden<br />
Garantien, die Regierung koppelt<br />
Investitionen mit Entwicklungshilfe,<br />
Politiker machen aktiv Werbung. Ähnlich<br />
handelt Südkorea – und geht dabei noch<br />
mehr ins Risiko. Im Mai ging erstmals jenseits<br />
der Landesgrenzen ein Atomreaktor<br />
aus heimischer Produktion in Betrieb, in<br />
den Vereinigten Arabischen Emiraten: Bei<br />
der Ausschreibung Ende 2009 hatte der<br />
Staatskonzern Korea Electric Power (Kepco)<br />
den französischen Konzern Areva und<br />
auch US-Wettbewerber General Electric<br />
ausgestochen. Vier Reaktoren bauen die<br />
Neulinge im AKW-Geschäft zum Dumpingpreis<br />
von 15 Milliarden Euro. Das kostete<br />
Kepco den Gewinn – doch dafür haben<br />
die Südkoreaner nun ein Referenzprojekt<br />
für den Weltmarkt: 80 Atommeiler will das<br />
Land bis 2030 bauen.<br />
Die Chinesen gehen noch härter ran. Sie<br />
haben in Simbabwe den Bau eines Wasserkraftwerks<br />
vereinbart – und finanzieren<br />
FOTO: DDP IMAGES/SIPA USA<br />
66 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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das 400-Millionen-Dollar-Projekt über den<br />
Kredit einer Staatsbank zu lächerlichen<br />
zwei Prozent Zinsen. Zudem füttern staatlich<br />
kontrollierte Institute wie die China<br />
Export-Import Bank („Exim“) schwerfällige<br />
eigene Staatsunternehmen mit billigen<br />
Darlehen, damit sie Afrikas Infrastrukturprojekte<br />
realisieren können. Im Tausch bezieht<br />
Peking Metalle und Brennstoffe. Im<br />
Mai verkündete Premierminister Li Keqiang,<br />
die Kreditlinien für Afrika von 10 auf<br />
30 Milliarden Dollar zu erhöhen.<br />
Dagegen haben deutsche Unternehmen<br />
keine Chance. Hans Janus, Vorstand der<br />
Euler Hermes AG, die staatliche Exportkreditgarantien<br />
managt, sieht die Politik in der<br />
Verantwortung: „Chinesische Banken bieten<br />
oft Finanzierungen an, die nicht wettbewerbskonform<br />
sind.“ Da müssten sich<br />
Politiker bemühen, China auf Einhaltung<br />
der international festgelegten Standards<br />
für Kredithilfen festzunageln. Weil das<br />
dauern kann, fordern deutsche Exporteure<br />
eine Reform der Hermes-Bürgschaften.<br />
Die funktionieren so: Ein deutscher Exporteur,<br />
der etwa eine Abfüllanlage nach Afrika<br />
liefern will, versichert das Handelsgeschäft<br />
bei Euler Hermes. Platzt der Deal<br />
oder zahlt der Kunde nicht, trägt der Bund<br />
den größten Teil des Zahlungsausfalls.<br />
Doch die Sache hat mehrere Haken. So<br />
hilft Berlin nur, wenn mehr als 50 Prozent<br />
des Auftrags in Deutschland gefertigt werden.<br />
Bei Großprojekten in Asien ist das<br />
kaum zu schaffen, weil die Kunden Aufträge<br />
für Komponenten und Montage an heimische<br />
Unternehmen vergeben. Staaten,<br />
denen irgendwann mal die Schulden erlassen<br />
wurden, bleiben ohnehin außen vor.<br />
VORLIEBE FÜR EUROPA<br />
Der Afrikaverein der deutschen Wirtschaft<br />
läuft dagegen Sturm. „Der Bund erzielt mit<br />
Hermes-Bürgschaften Jahr für Jahr Überschüsse“,<br />
sagt Geschäftsführer Christoph<br />
Kannengießer. „Da kann es nicht sein, dass<br />
die Bundesregierung so vielen Lieferanten<br />
die Kreditversicherung verweigert und damit<br />
den Handel mit wichtigen Wachstumsländern<br />
im Keim erstickt.“<br />
Exportversicherer Euler Hermes, der im<br />
Namen des Bundes die Bürgschaften managt,<br />
sieht sich in einem „Dilemma“, klagt<br />
Versicherungschef Janus. Einerseits erwarte<br />
die Wirtschaft eine schnelle und unbürokratische<br />
Bearbeitung der Anträge.<br />
„Andererseits müssen wir uns die ausländischen<br />
Risiken eben genau anschauen,<br />
das braucht Zeit.“<br />
Den Lobbyisten der Unternehmen passt<br />
die ganze politische Linie nicht: „Wir müssen<br />
wieder in Großprojekte reinkommen“,<br />
verlangt Volker Treier, der stellvertretende<br />
Hauptgeschäftsführer der DIHK. „Es ist<br />
naiv, zu glauben, dass wir uns in der Welt<br />
bei Großbauten heraushalten und gleichzeitig<br />
unseren Wohlstand halten können.“<br />
Treier wäre es am liebsten, wenn Berlin die<br />
staatliche Förderbank KfW mit einer „deutlich<br />
intensiverer“ Außenwirtschaftsförderung<br />
betraute. Die müsse weltweit Infrastruktur-Projekte<br />
finanzieren und dabei<br />
deutsche Zulieferer einbinden.<br />
Die Förderbanker spielen den Ball aber<br />
zur Wirtschaft zurück. „Wir müssen aufhören,<br />
uns zu beklagen“, sagt Bruno Wenn,<br />
Chef der KfW-Tochter DEG, die im Privatsektor<br />
investiert. Deutsche Unternehmen<br />
hätten gute Argumente, um gegen asiatische<br />
Konkurrenten zu punkten, und könnten<br />
anbieten, die Rohstoffe des Landes<br />
nicht zu auszuführen, sondern vor Ort zu<br />
verarbeiten und so zur lokalen Wertschöpfung<br />
beizutragen. »<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
Die Frage ist, ob die Industrie das überhaupt<br />
im großen Stil will. Der kriselnde<br />
Baukonzern Bilfinger etwa will keine Kraftwerke<br />
mehr bauen, sondern sie nur noch<br />
betreiben. Siemens hat sich weitgehend<br />
aus dem Anlagenbau zurückgezogen und<br />
betätigt sich lieber als Subunternehmer.<br />
Unter den Dax-Konzernen sind nur noch<br />
ThyssenKrupp und der Münchner Gaseproduzent<br />
Linde im Anlagenbau unterwegs.<br />
Walz- und Stahlwerke liefert die Düsseldorfer<br />
SMS Group, Kraftwerksturbinen<br />
und Papiermaschinen Voith. Beides sind<br />
Familienkonzerne, die langfristig denken<br />
und sich nicht in jedem Quartal vor nervösen<br />
Aktionären rechtfertigen müssen.<br />
Nach negativen Erfahrungen der vergangenen<br />
Jahre bevorzugen deutsche Unternehmen<br />
eher den europäischen Markt,<br />
wo die Risiken geringer sind als in Afrika.<br />
Bei der geplanten Brücke über den Fehmarnbelt,<br />
dem mit mindestens 5,6 Milliarden<br />
Euro aktuell teuersten europäischen<br />
Bauprojekt, sind gerade Hochtief und der<br />
österreichische Baukonzern Strabag im<br />
Rennen. Unter den 17 Bewerbern, die in<br />
den neun Konsortien um die Fehmarnbelt-Aufträge<br />
buhlen, sind nur fünf nicht<br />
europäische: zwei aus den USA und drei<br />
aus Südkorea.<br />
Wenigstens im Baugeschäft gibt es noch<br />
Hoffnung. Denn in Europa tun sich Chinas<br />
staatlich gepäppelte Konzerne schwer.<br />
Krachend gescheitert ist in Polen etwa der<br />
Bau einer Autobahn, die Chinas Firma Covec<br />
nicht wie bestellt zur Fußball-EM 2012<br />
fertig bekam. Für sie mussten europäische<br />
Konzerne in die Bresche springen. n<br />
florian.willershausen@wiwo.de | Berlin, alexander busch |<br />
São Paulo, martin fritz | Tokio, philipp mattheis | Shanghai,<br />
mathias peer | Bangkok, harald schumacher<br />
Abwärts im Ausland<br />
Auftragseingang deutscher Großanlagenbauer*<br />
(2004–2013, in Mrd. Euro)<br />
35<br />
30<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
Gesamtvolumen<br />
Davon Ausland<br />
0<br />
2004 2007 2010 2013<br />
* Anlagen mit einem Auftragswert von mehr als<br />
50 Mio. Euro; Quelle: VDMA<br />
INTERVIEW Hubert Lienhard<br />
»Wir sind außen vor«<br />
Der Chef des schwäbischen Anlagenbauers Voith verlangt mehr<br />
staatliche Bürgschaften für den Export von Großgewerken und stärkeren<br />
politischen Druck auf China.<br />
DER ASIENFREUND<br />
Lienhard, 63, leitet seit<br />
April 2008 den Anlagenbauer<br />
Voith im schwäbischen<br />
Heidenheim. Der promovierte<br />
Chemiker aus dem<br />
Schwarzwald ist seit mehr<br />
als 30 Jahren im Großanlagenbau<br />
tätig. Er macht<br />
sich in mehreren Vereinen<br />
für den Asien-Handel stark<br />
und ist seit Februar dieses<br />
Jahres Vorsitzender des<br />
Asien-Pazifik-Ausschusses<br />
der deutschen Wirtschaft.<br />
Herr Lienhard, der Berliner Großflughafen<br />
wird zur Bauruine, die Elb-<br />
Philharmonie kostet zehnmal mehr<br />
als geplant. Schaden solche Flops dem<br />
Image deutscher Unternehmen als<br />
Lieferanten von Großgewerken?<br />
Das glaube ich nicht. Diese Projekte haben<br />
vielleicht etwas an unserem Image<br />
gekratzt. Aber ich denke, dass unser Ruf<br />
nach wie vor gut ist und die meisten Ausländer<br />
dies als Einzelfälle ansehen.<br />
Im Markt für Großprojekte außerhalb<br />
Europas und Nordamerikas verzeichneten<br />
deutsche Unternehmen zuletzt<br />
rückläufige Auftragseingänge. Liegt das<br />
am zyklischen Wesen des Geschäfts,<br />
oder sehen Sie andere Gründe?<br />
Das hat nichts mit der Konjunktur zu<br />
tun. Immer mehr deutsche Unternehmen<br />
ziehen sich aus dem klassischen<br />
Geschäft mit großen Infrastrukturprojekten<br />
zurück. Ein sehr großer Teil dieses<br />
Projektgeschäftes ist zu asiatischen Anbietern<br />
gewandert. Japaner und Südkoreaner<br />
mischen am Persischen Golf gut<br />
mit, die Chinesen sind in Afrika stark. Indien<br />
plant für 90 Milliarden Dollar einen<br />
Industriekorridor zwischen den Megastädten<br />
Neu-Delhi und Mumbai, den<br />
komplett Japaner bauen sollen – Straßen,<br />
Stromversorgung, Verkehrsleittechnik. Die<br />
deutsche Wirtschaft bleibt außen vor...<br />
...weil deutsche Unternehmen nur noch<br />
kleine Projekte stemmen können?<br />
Nein. Wir sind bei diesen Projekten ja dabei,<br />
aber eben oft nur noch als Zulieferer<br />
der Generalunternehmer. Uns gelingt vielfach<br />
nur noch, über die Endkunden in die<br />
Angebotslisten zu kommen. Auftraggeber<br />
schreiben in Ausschreibungen häufig spezifische<br />
Anforderungen, die deutsche Unternehmen<br />
am ehesten erfüllen.<br />
Ist das nicht besser, auf diese Weise<br />
sicheres Geld zu verdienen, statt als Konsortialführer<br />
große Risiken einzugehen?<br />
Eine solche Strategie klingt zwar logisch,<br />
sie zum Erfolg zu führen ist aber viel<br />
schwerer als gedacht. Um bei Großprojek-<br />
FOTO: OSTKREUZ/DAWIN MECKEL<br />
68 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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ten als wichtiger Lieferant zum Zuge zu<br />
kommen, muss ein Unternehmen weltweit<br />
präsent sein. Wer zum Beispiel an<br />
einem Projekt eines staatlichen chinesischen<br />
Wasserkraftwerk-Unternehmens<br />
mitverdienen will, egal, ob in Afrika oder<br />
in Asien, der muss in China sitzen.<br />
Das tun die meisten wichtigen deutschen<br />
Unternehmen doch bereits.<br />
Ja, aber wir müssen uns in diesen Märkten<br />
noch viel tiefer verwurzeln und dort zu<br />
einheimischen Unternehmen mit deutschen<br />
Wurzeln werden, ein Teil der dortigen<br />
Volkswirtschaft. Hier liegt noch viel<br />
Arbeit vor uns.<br />
Unser Eindruck ist, dass deutsche Unternehmen<br />
weniger Aufträge aus Schwellenländern<br />
bekommen, weil sie sich immer<br />
seltener um große Gewerke bemühen.<br />
Das ist so. Die Zeit des deutschen Großprojektgeschäfts<br />
ist vorbei. Solche riesigen<br />
Vorhaben sind für viele Unternehmen in<br />
Deutschland eine Belastung geworden.<br />
Um gegen große asiatische Staatsunternehmen<br />
mitspielen zu können, müssen<br />
Unternehmen eine beachtliche Größe<br />
aufweisen. Solche Unternehmen sind in<br />
der Regel an der Börse notiert. Und die<br />
mag zyklisches Geschäft nicht, bei dem die<br />
Anleger zittern, ob das nächste Projekt gut<br />
oder schlecht läuft.<br />
Warum bilden die deutschen Unternehmen<br />
keine Konsortien<br />
für Großaufträge?<br />
Weil sie keine Finanzierung<br />
bekommen würden.<br />
Eine langfristige<br />
Projektfinanzierung ist<br />
für die westlichen Banken<br />
nicht interessant –<br />
vor allem wegen der<br />
Risikoprüfungen, die<br />
ihnen mit der verschärften<br />
Regulierung im Finanzsektor<br />
auferlegt wurden. Chinas<br />
Staatsbanken etwa haben da ganz andere<br />
Möglichkeiten. Sie müssen sich keinem<br />
Regime wie Basel III unterwerfen und<br />
können höhere Risiken übernehmen.<br />
Einer aktiven Wirtschaftspolitik wie in<br />
China stehen EU-Vorschriften im Wege.<br />
Was verlangen Sie von Berlin?<br />
In Deutschland und der EU gelten klare<br />
Spielregeln, die einen fairen Wettbewerb<br />
sicherstellen sollen. Dies dürfen wir nicht<br />
aufgeben. Vielmehr müssen wir uns um<br />
Gleichberechtigung im internationalen<br />
Wettbewerb bemühen, und hier ist die<br />
»Wir müssen<br />
chinesische<br />
Unternehmen<br />
werden«<br />
Politik am Zuge: Es muss uns gelingen,<br />
dass die Exportkreditversicherungen in<br />
China mit den Standards der OECD<br />
übereinstimmen und diese nicht unterbieten,<br />
wie es zurzeit passiert.<br />
Das kann lange dauern.<br />
Deshalb plädieren wir für schnell umsetzbare<br />
Veränderungen. Dazu zählen<br />
wir die Bedingungen für die staatlichen<br />
Hermes-Bürgschaften. Im Moment gibt<br />
es die Absicherung für Exportgeschäfte<br />
praktisch nur, wenn mindestens 50 Prozent<br />
der Wertschöpfung in Deutschland<br />
anfallen. Das ist in Zeiten der Globalisierung<br />
nicht mehr realistisch: Wir müssen<br />
Teile einer Großanlage dezentral bauen<br />
und in den Importländern für Arbeit sorgen,<br />
andernfalls erhalten wir viele Zuschläge<br />
nicht. Eine Absenkung des Wertschöpfungsanteils<br />
in Deutschland auf<br />
30 Prozent wäre ein wichtiger Schritt.<br />
Könnten nicht auch öffentlich-rechtliche<br />
oder staatliche Banken stärker in<br />
die Exportfinanzierung einsteigen?<br />
Das sehe ich nicht. Wir reden ja hier von<br />
Milliardenbeträgen – und ich glaube<br />
nicht, dass sich da der Staat bei allen<br />
Risiken noch einbringt. Nehmen wir<br />
den Hochgeschwindigkeitskorridor<br />
Delhi–Mumbai. Da müsste Deutschland<br />
ja das ganze Land rechts und links der<br />
Strecke kaufen, dann dort versuchen, die<br />
Industrie anzusiedeln.<br />
Die Japaner machen<br />
das. Uns wäre<br />
das viel zu riskant.<br />
Sind die Deutschen<br />
also zu vorsichtig,<br />
zu risikoscheu und zu<br />
kompliziert?<br />
Nein, das sind eher die<br />
Strukturen unserer<br />
Wirtschaft, in denen<br />
solche riesigen Infrastrukturprojekte<br />
nur noch schwer abzubilden<br />
sind. Ich wüsste nicht, wer diese<br />
Risiken in seine Bilanz nehmen würde.<br />
Auch die Amerikaner machen das heute<br />
ja nicht mehr. Zudem erwartet man in<br />
Deutschland, dass die Wirtschaft sich<br />
selbst hilft. In Japan, China und Südkorea<br />
ist das anders. Die Japaner bauen in<br />
Indien nicht nur die Zugstrecke, sondern<br />
auch die Infrastruktur rund herum...<br />
...mit weitreichenden Konsequenzen.<br />
Natürlich werden am Ende nur japanische<br />
Züge auf der Strecke fahren. n<br />
florian.willershausen@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 69<br />
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Spezial | Business-IT<br />
IT-Power<br />
Mehr Rechenzentren<br />
in Deutschland<br />
Dramatische Kehrtwende<br />
DATENSICHERHEIT | Immer mehr amerikanische Cloud-Anbieter wie Salesforce, Oracle<br />
oder Amazon eröffnen jetzt eigene Rechenzentren in Deutschland – und reagieren so<br />
auf die Sicherheitsbedenken der hiesigen Unternehmen.<br />
Die Ansage war klar und deutlich:<br />
„Wir sind nicht in das<br />
Prism-Programm involviert,<br />
und wir ermöglichen keinen<br />
Regierungen direkten Zugang<br />
zu den Servern“, hieß es aus der Münchner<br />
Niederlassung des amerikanischen Cloud-<br />
Anbieters Salesforce auf Anfrage der WirtschaftsWoche.<br />
Das war vor etwas mehr als<br />
einem halben Jahr. Die Botschaft sollte offenbar<br />
lauten: Business as usual. Die durch<br />
den ehemaligen NSA-Mitarbeiter Edward<br />
Snowden losgetretene Schnüffelaffäre<br />
durch amerikanische und britische Geheimdienste<br />
habe keinerlei Auswirkungen<br />
auf das Geschäft in Deutschland.<br />
Heute zeigt sich: Die Aussage war reichlich<br />
voreilig. „Es stößt bei vielen Deutschen,<br />
vornehmlich Datenschützern und<br />
mittelständischen Unternehmen, auf Un-<br />
behagen, dass der Großteil der amerikanischen<br />
Cloud-Anbieter den europäischen<br />
Markt derzeit noch über Rechenzentren in<br />
Irland und den Niederlanden versorgt“,<br />
sagt René Büst, Cloud-Experte bei der IT-<br />
Beratung Crisp Research in Kassel.<br />
UNBEHAGEN BEI DEN KUNDEN<br />
Der Druck hat Folgen: „Kein Anbieter, der<br />
den deutschen Markt als attraktiv betrachtet,<br />
kommt daran vorbei, ein eigenes Rechenzentrum<br />
in Deutschland zu eröffnen“,<br />
sagt Crisp-Analyst Büst. Offen über ihr Unbehagen<br />
reden wollen die Kunden wegen<br />
der großen Abhängigkeit <strong>vom</strong> jeweiligen<br />
IT-Lieferanten zwar nicht. Fakt ist aber: Mit<br />
Salesforce, Oracle und Amazon haben<br />
gleich mehrere US-Anbieter angekündigt,<br />
eigene Rechenzentren in Deutschland zu<br />
eröffnen. Die deutsche Cloud wird Realität.<br />
Das ist eine dramatische Kehrtwende<br />
zum bisherigen Vorgehen – insbesondere<br />
der amerikanischen IT-Granden. Denn zuvor<br />
galt im Cloud Computing das Mantra,<br />
dass für die Bereitstellung von Softwareangeboten<br />
per Internet-Zugriff der Standort<br />
der dazu notwendigen Rechenzentren<br />
mehr oder weniger egal sei. Schließlich benötigen<br />
die Kunden für die Nutzung solcher<br />
Dienste bloß eine Internet-Verbindung<br />
und einen Browser.<br />
Cloud Computing gilt als eines der wichtigsten<br />
Wachstumsfelder der IT. Unternehmen,<br />
so die Vorstellung von Anbietern wie<br />
Google, Amazon oder Salesforce, sollen<br />
Computerprogramme nicht mehr auf den<br />
eigenen Rechnern halten, sondern diese<br />
auslagern und nur bei Bedarf per Web anfordern.<br />
Der Vorteil liege auf der Hand: Der<br />
Kunde muss sich nicht mehr um Aktuali-<br />
»<br />
FOTO: PHOTOTHEK/THOMAS TRUTSCHEL<br />
70 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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»<br />
sierungen kümmern und bezahlt nur<br />
noch die Software, die er wirklich auch nutzt.<br />
Entsprechend hoch sind die Erwartungen<br />
der Marktforscher. Laut der jüngsten,<br />
Prognose des amerikanischen IT-Analysehauses<br />
IDC sollen sich die weltweiten Umsätze<br />
mit Cloud-Services von knapp 57 Milliarden<br />
Dollar in diesem Jahr bis 2018 mehr<br />
als verdoppeln – auf gut 128 Milliarden<br />
Dollar. Das entspricht einer jährlichen<br />
Wachstumsrate von rund 23 Prozent. Der<br />
gesamte IT-Markt soll dagegen nur um gut<br />
3,5 Prozent wachsen. In Deutschland ist<br />
das Cloud-Plus sogar noch kräftiger: Von<br />
1,7 Milliarden Euro in diesem Jahr erwartet<br />
IDC bis 2018 einen Zuwachs fast um den<br />
Faktor drei auf dann 4,9 Milliarden Euro.<br />
EINBUSSEN DURCH NSA-AFFÄRE<br />
Beim Kampf um diesen Kuchen spielt Sicherheit<br />
eine immer größere Rolle. Die<br />
amerikanischen IT-Anbieter könnten in<br />
den kommenden Jahren zwischen 10 und<br />
20 Prozent ihrer Cloud-Auslandsumsätze<br />
einbüßen, so eine Studie des Washingtoner<br />
Thinktanks Information Technology<br />
and Innovation Foundation (ITIF). Das<br />
entspräche rund 35 Milliarden Dollar zwischen<br />
2014 und 2016. Die erwarteten Einbußen<br />
begründet ITIF-Analyst Daniel Castro<br />
mit Bedenken bei nicht amerikanischen<br />
Kunden durch die Aufdeckung der<br />
Schnüffelaffäre: „Vor allem europäische<br />
Anbieter versuchen, gegenüber ihren amerikanischen<br />
Wettbewerbern zu punkten.“<br />
Völlig von der Hand zu weisen sind derartige<br />
Unkenrufe offenbar nicht. Anders<br />
lässt sich die Schar von US-Anbietern nicht<br />
erklären, die aktuell nach Deutschland<br />
drängt, um hierzulande eigene Cloud-Rechenzentren<br />
zu eröffnen.<br />
Vorgeprescht ist ausgerechnet Cloud-<br />
Primus Salesforce, der noch im vergangenen<br />
Jahr von Problemen in Deutschland<br />
nichts wissen wollte. Die räumen die Amerikaner<br />
zwar bis heute nicht ein. Dennoch<br />
hat der Anbieter von webbasierten Systemen<br />
zum Management von Kundenbeziehungen<br />
im Juli eine weitreichende Partnerschaft<br />
mit der Deutschen Telekom verkündet.<br />
Demnach wird die Telekom-Tochter<br />
T-Systems der Provider des ersten deut-<br />
Wachstum in der Wolke<br />
Weltweite Umsätze mit Cloud-Diensten<br />
(Prognose, in Milliarden Dollar)<br />
56,6<br />
Quelle: IDC<br />
70,1<br />
86,4<br />
105,5<br />
127,5<br />
2014 2015 2016 2017 2018<br />
schen Rechenzentrums von Salesforce.<br />
Der Betrieb soll Anfang 2015 starten. „Wir<br />
sehen für unsere Kunden in Deutschland<br />
Erfolg versprechende Möglichkeiten in der<br />
Cloud“, sagt Salesforce-Chef Marc Benioff.<br />
„Deshalb tätigen wir lokale Investitionen,<br />
um den Erfolg zu beschleunigen.“<br />
Für Marktbeobachter ist dies ein Schritt,<br />
um vermeintliche Bedenken als reiner US-<br />
Anbieter zu zerstreuen. „Salesforce muss<br />
näher an den Kunden herankommen,<br />
wenn der Kunde nicht von allein kommt“,<br />
sagt Analyst Büst von Crisp Research. Die<br />
Pläne von Salesforce zeigten, dass der<br />
Druck vonseiten der Kunden enorm sein<br />
müsse und Deutschland als Markt attraktiver<br />
sei als vermutet: „Der Standortvorteil<br />
eines Rechenzentrums in Deutschland ist<br />
nicht zu vernachlässigen, um deutschen<br />
Unternehmen ihre Bedenken zu nehmen.“<br />
Zu dieser Erkenntnis haben sich inzwischen<br />
auch die wichtigsten Salesforce-<br />
Konkurrenten durchgerungen. Der amerikanische<br />
SAP-Rivale Oracle will in Frankfurt<br />
und München gleich zwei neue Rechenzentren<br />
in Deutschland eröffnen. Beide<br />
sollen noch vor Jahresende in Betrieb<br />
gehen und die diversen Cloud-Lösungen<br />
der Amerikaner anbieten. „In Deutschland<br />
ist Datensicherheit ein besonders sensibles<br />
Thema. Die Ankündigung ist ein Zeichen<br />
dafür, dass Oracle als US-Unternehmen<br />
dem deutschen Markt verbunden bleibt“,<br />
sagt Deutschland-Chef Jürgen Kunz.<br />
Die deutschen Rechenzentren sollen zudem<br />
als Blaupause dienen, nach deren<br />
4,9 Milliarden Euro Cloud-Umsätze in<br />
Deutschland 2018 – drei Mal so viel wie dieses Jahr<br />
Vorbild Oracle schnell in neue Märkte rund<br />
um den Globus expandieren will.<br />
Einen Turbo hat jüngst der amerikanische<br />
E-Commerce- und Cloud-Vorreiter<br />
Amazon gezündet: Im Gegensatz zur<br />
Konkurrenz hat Vorstandschef Jeff Bezos<br />
seine Leute im Verborgenen an einem<br />
nationalen Angebot tüfteln lassen. Ende<br />
Oktober meldete der Cloud-Ableger Amazon<br />
Web Services Vollzug und nahm sein<br />
erstes Rechenzentrum in Frankfurt in Betrieb<br />
– noch vor der Konkurrenz. „In<br />
Deutschland kommt dem Datenschutz<br />
eine große Bedeutung zu“, so Amazon bei<br />
der Eröffnung. „Daher wünschen sich<br />
unsere Kunden die Möglichkeit, personenbezogene<br />
Daten sicher innerhalb des<br />
Landes zu speichern.“<br />
Die Strategie von Amazon, Salesforce<br />
und Oracle hat den Druck auf Anbieter erhöht,<br />
die eine eigene Cloud-Infrastruktur<br />
zwischen Rhein und Elbe bisher verweigert<br />
haben. Bestes Beispiel ist Microsoft:<br />
Der weltgrößte Softwarekonzern bedient<br />
den europäischen Markt mit Cloud-Produkten<br />
wie der Bürosoftware Office 365<br />
bisher von Dublin und Amsterdam aus.<br />
Das könnte sich ändern. „Bei unseren<br />
Großkunden erfreuen sich die klassischen<br />
Microsoft-Produkte, die in unseren Rechenzentren<br />
in Irland oder den Niederlanden<br />
betrieben werden, eines immer größeren<br />
Zuspruchs. Aber für den deutschen<br />
Mittelstand ist das offensichtlich noch<br />
nicht gut genug“, räumte Microsoft-<br />
Deutschland-Chef Christian Illek Mitte<br />
September ein. Der Aufbau einer deutschen<br />
Cloud sei zwar noch nicht beschlossen,<br />
„aber wir prüfen das derzeit“, so Illek.<br />
BILLIGES MARKETING?<br />
Allerdings sieht nicht jeder Branchenkenner<br />
die Vorstöße der Amerikaner positiv:<br />
„Das ist billiges Marketing und dient einzig<br />
dazu, den Kunden zu beruhigen“, schimpft<br />
Axel Oppermann, Chef der Beratung Avispador<br />
mit Sitz in Kassel. Der rechtliche<br />
Rahmen verändere sich durch hiesige Infrastruktur<br />
nicht, so Oppermann: „Nur weil<br />
ein Rechenzentrum in Deutschland betrieben<br />
wird, bedeutet das nicht automatisch,<br />
dass die Kundendaten den europäischen<br />
Wirtschaftsraum nicht verlassen.“ Grund:<br />
Zumindest auf gerichtliche Anordnung<br />
könnten auch Betreiber in Deutschland<br />
zur Herausgabe von Daten an US-Behörden<br />
gezwungen werden.<br />
n<br />
michael.kroker@wiwo.de<br />
Lesen Sie weiter auf Seite 74 »<br />
72 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Spezial | Business-IT<br />
Preise in Echtzeit<br />
PREISBUTLER24 | Das Kölner Start-up will den Amazon-Marktplatz<br />
aufmischen: Mit einer neuen Cloud-Software können Händler<br />
die Verkaufspreise ihrer Wettbewerber automatisch unterbieten.<br />
Gernot Kahl ist so etwas wie ein Multitalent<br />
rund ums Kaufen: Er hat mal<br />
bei einem Verkaufssender Staubsauger<br />
und Flachbild-Fernseher verhökert<br />
und Händler beim Aufbau von eigenen<br />
Web-Shops beraten. Aktuell verkauft er<br />
über Amazon diverse Produkte in seinem<br />
Shop namens SFD Medien, darunter Kondome,<br />
DVDs und CDs bis hin zu frischen<br />
Ananassäften. „Ich bin ein<br />
klassischer Gemischtwarenladen“,<br />
sagt Kahl.<br />
Um seine Amazon-Umsätze<br />
zu steigern, muss Kahl in der<br />
jeweiligen Produktkategorie zu<br />
den Preisführern gehören. Dabei<br />
hilft ihm eine Software, an<br />
der er zwei Jahre lang getüftelt<br />
hat. Kahl hat jetzt seinen Service<br />
so ausgebaut, dass ihn<br />
auch andere nutzen können.<br />
An diesem Montag geht er damit<br />
unter dem Namen Preisbutler24<br />
an den Start. Händler<br />
auf Amazon können mithilfe<br />
des neuen Dienstes ihre Verkaufspreise<br />
automatisch günstiger<br />
machen als der Wettbewerb.<br />
„Damit lässt sich der<br />
Absatz deutlich ankurbeln“,<br />
verspricht Kahl.<br />
IDIOTENARBEIT<br />
Der 41-Jährige hat mit den Verkaufspreisen<br />
der eigenen Produkte<br />
experimentiert: „Die Verkäufe sind<br />
immer dann durch die Decke gegangen,<br />
wenn ein Artikel der günstigste seiner Kategorie<br />
ist – und sei es nur um einen Cent.“<br />
Also passte er bei seinen im Durchschnitt<br />
40 angebotenen Artikeln mehrmals am Tag<br />
die Preise an – manuell. „Das war eine echte<br />
Idiotenarbeit, die geradezu nach einer<br />
eigenen Software schrie“, sagt Kahl. Kurzum<br />
heuert er einen Programmierer an, der<br />
ihm eine entsprechende Lösung baut.<br />
Kahls Idee basiert auf der Nutzung einer<br />
speziellen Schnittstelle, die Amazon den<br />
Händlern auf seiner Web-Seite anbietet –<br />
allerdings in der Regel für Warenwirtschaftssysteme.<br />
Über diese Schnittstelle<br />
greift die Software auf die Shopdaten zu<br />
und passt die Preise automatisch und in<br />
Echtzeit an die der Konkurrenz an, und<br />
zwar in einem vorgegebenen Preisrahmen.<br />
Anfang 2014 ist die erste Version der<br />
Software fertig. Um sie zu nutzen, muss ein<br />
Händler kein Programm kaufen, sondern<br />
kann sie aus der Cloud herunterladen.<br />
Über einen Web-Browser kann er dann für<br />
Anvisiert Preisbutler24-Gründer Kahl zielt<br />
mit seinem Dienst allein in Deutschland auf<br />
rund 50000 Amazon-Händler<br />
jedes seiner Produkte eine Preisober- und<br />
-untergrenze angeben. „Dadurch verkauft<br />
man nie unterhalb eines bestimmten<br />
Preisniveaus“, sagt Kahl.<br />
Gleichzeitig hilft Preisbutler24 dabei,<br />
den günstigsten Wettbewerber minimal zu<br />
unterbieten, um im Amazon-Ranking auf<br />
Platz eins zu stehen. „Wenn der beste Anbieter<br />
eine CD für 9,50 Euro anbietet, reichen<br />
9,49 Euro, um günstiger zu sein“, erläutert<br />
Kahl. „Wer sie für 9,20 Euro anbietet,<br />
verschenkt einen möglichen Gewinn<br />
von 29 Cent pro Verkauf.“ Das vermeidet<br />
ein Händler mithilfe von Preisbutler24.<br />
Vor dem jetzigen Start testet Kahl den<br />
Dienst in seinem eigenen Amazon-Shop.<br />
Die Ergebnisse sind beeindruckend: Im<br />
Dezember 2013 – ohne sein Hilfssystem –<br />
verzeichnet Kahl rund 250 Bestellungen.<br />
Mit dem System sind es im April 2014 bereits<br />
900 und im September 1500 Orders.<br />
Laut Kahl hat sich der Umsatz, der 2013 in<br />
sechsstelliger Höhe lag, allein in den ersten<br />
neun Monaten 2014 mehr als verdoppelt.<br />
RIESIGER MARKT<br />
Der Markt für einen derartigen Dienst ist<br />
groß: Offizielle Zahlen mag Amazon nicht<br />
preisgeben, aber nach Schätzungen von<br />
Kahl verkaufen allein in Deutschland rund<br />
50 000 Händler über die Plattform.<br />
Weltweit sollen es gut<br />
zwei Millionen sein.<br />
Einziger Haken aus Händlersicht:<br />
Je mehr Konkurrenten<br />
die automatische Preisanpassung<br />
nutzen, desto geringer<br />
wird für den Einzelnen der Nutzen<br />
– weil sich dann alle gegenseitig<br />
unterbieten. „Das wird<br />
aber nie für alle Produkte eines<br />
Händlers gleichzeitig gelten“,<br />
sagt Kahl. „Und wenn Sie über<br />
Amazon verkaufen, stehen Sie<br />
sowieso im Preiskampf.“<br />
Konkurrenz für die neuartige<br />
Software der Kölner gibt es erst<br />
vereinzelt. Meist handelt es<br />
sich dabei aber eher um spezielle<br />
Tools zum Lagermanagement<br />
wie etwa Feedvisor oder<br />
nur auf Kommissionsbasis arbeitende<br />
Dienste wie Seller-<br />
Mania. Der verlangt für jeden<br />
verkauften Artikel 29 Cent.<br />
„Das funktioniert bei vielen<br />
Produkten mit einer Marge von 50 Cent<br />
oder weniger aber nicht“, sagt Kahl. Das<br />
Kostenmodell von Preisbutler24 richtet<br />
sich danach, wie viele verschiedene Produkte<br />
ein Händler anbietet.<br />
Von jeder CD oder jedem Deo können<br />
dann beliebig viele verkauft werden. Im<br />
kleinsten Paket zur automatischen Preisanpassung<br />
bei zehn verschiedenen Produkten<br />
kostet Preisbutler24 im Monat 49<br />
Euro; 50 Produkte sind für 169 Euro zu haben.<br />
„Es ist ein einfaches Produkt, das Kunden<br />
am besten nie wieder abbestellen wollen“,<br />
schwärmt Kahl. Der passionierte Verkäufer<br />
ist mal wieder in seinem Element. n<br />
michael.kroker@wiwo.de<br />
FOTO: DOMINIK PIETSCH FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
74 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Technik&Wissen<br />
Die Jäger des<br />
verlorenen Klangs<br />
HI-FI | Das Internet machte MP3-Gedudel allgegenwärtig<br />
und raubte der Musik ihre Opulenz. Nun entdecken<br />
Künstler, Plattenlabels und Fans den perfekten Sound<br />
neu. Es ist eine Offenbarung – und hoch profitabel.<br />
Hör-Gerät<br />
Der Pono-Player hat in seinem<br />
Speicher Platz für rund 500<br />
Alben in höchster Klangqualität,<br />
399 Dollar<br />
Neil Young ist kein Freund von<br />
Schnörkeln und Shows. Was<br />
dem kanadischen Rock-Veteranen<br />
wichtig ist, packt er in<br />
seine Lieder – und was es zu<br />
fühlen gibt, in seine Musik. Und auf der<br />
Bühne mit Pyrotechnik statt mit Sound zu<br />
begeistern, das war noch nie sein Ding. An<br />
die 35 Alben hat der Soundtüftler aufgenommen,<br />
der am vergangenen Mittwoch<br />
69 Jahre alt wurde. Und stets hat Young mit<br />
einem technischen Manko gehadert: „Von<br />
dem was du im Studio oder auf der Bühne<br />
aufnimmst, kommt nur ein Bruchteil<br />
bei den Hörern deiner Platten an.“<br />
Das soll sich nun gründlich ändern.<br />
Gut 35 Jahre nach der Entwicklung der<br />
einst für ihren Sound gepriesenen Audio-CD<br />
schickt sich eine Generation innovativer<br />
Unternehmer und Soundtüftler<br />
an, den digitalen Klang in bisher<br />
kaum gekannter Qualität und Opulenz<br />
neu zu verbreiten. Und Young<br />
ist der prominenteste Treiber des<br />
Trends zu HiRes-Audio, wie die<br />
Szene diese hochauflösende Musik<br />
(Englisch: High Resolution)<br />
nennt.<br />
Was der Audiowelt<br />
bevorsteht, ist<br />
ein Innovationsschub,<br />
der die Unterhaltungsbranche so<br />
verändern wird wie der Techniksprung<br />
<strong>vom</strong> analogen Röhrenfernsehen zum<br />
hochauflösenden Digital-TV. Ähnlich wie<br />
HDTV viermal detailreichere Bilder liefert,<br />
stecken auch in HiRes-Audio rund viermal<br />
mehr Klangdetails als in CD-Musik (siehe<br />
Grafik Seite 79).<br />
Musiker, Plattenlabels, Hi-Fi-Hersteller<br />
und Audiophile, sie alle begeistern sich derzeit<br />
für die hochauslösende Musik. Denn<br />
was da den Weg zum Trommelfell findet, ist<br />
eine Offenbarung: Feinste Klangdetails, leiseste<br />
Töne, Atemzüge oder zartes Gleiten<br />
der Finger über Saiten oder Tasten – alles<br />
bekommt eine Klarheit und Transparenz,<br />
so als löste die Vormittagssonne schlagartig<br />
den Morgennebel auf, und das flaue Grau<br />
der Landschaft würde strahlend bunt.<br />
Möglich wird dieser Effekt, weil Hi-<br />
Res-Musik dem perfekten, analogen<br />
Originalklang so nahe kommt wie kein<br />
digitales Audioformat für den Massenmarkt<br />
zuvor. Fast 100 Mal pro Sekunde<br />
erfasst es die Tonsignale. CDs speichern<br />
nicht einmal halb so viele Abtastpunkte.<br />
Mehr noch, der Super-Sound kann Töne in<br />
mehr als 16 Millionen Nuancen wiedergeben,<br />
während die CD gerade gut 65 000<br />
Klangabstufungen kennt. Neben der akustischen<br />
Feinheit geht das insbesondere zulasten<br />
der leisen Tondetails und des räumlichen<br />
Klangempfindens.<br />
In den Achtzigerjahren des vergangenen<br />
Jahrhunderts konzipiert und mittlerweile<br />
total überholt, bieten CDs schlicht nicht<br />
genug Platz, um Songs und Musik in so<br />
hoher Audioqualität zu speichern, wie sie<br />
aufgenommen werden. Also quetschen<br />
die Tontechniker den digitalen Sound so<br />
lange zusammen, bis alles auf die digitale<br />
Platte passt.<br />
Noch weniger <strong>vom</strong> Original erlebt, wer<br />
komprimierte MP3-Dateien oder Audiostream<br />
aus dem Netz hört. Da kommt, gemessen<br />
am HiRes-Datenstrom, teils nicht<br />
mal mehr ein Dreißigstel an. Rock-Legende<br />
Young kommentiert das so: „Was heute<br />
als Musik verkauft wird, ist oft einfach Shit“,<br />
polterte er im März dieses Jahres auf der<br />
Konferenz SXSW im texanischen Austin.<br />
Waren CD-Audio und MP3-Musik die<br />
Antworten auf begrenzten Speicherplatz<br />
FOTO: PHOTO BY MAARTEN DE BOER/CONTOUR BY GETTY IMAGES<br />
76 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Global Player<br />
Altrocker Neil<br />
Young sammelte<br />
Millionenbeträge<br />
für den optimalen<br />
Klang ein<br />
und langsame Internet-Verbindungen, so<br />
sorgt nun erneut das Internet für den<br />
technischen Umbruch. Denn nun ermöglichen<br />
immer schnellere Breitbandanschlüsse<br />
den HiRes-Pionieren, die Musik<br />
in nahezu optimaler Qualität zu den<br />
Kunden zu bringen.<br />
NEUES ÖKOSYSTEM FÜR MUSIK<br />
Neil Young will einer von ihnen sein: Pono<br />
hat er das Start-up genannt – was rechtschaffen<br />
auf Hawaiianisch heißt –, das er<br />
2012 mit dem Silicon-Valley-Unternehmer<br />
Multimedia<br />
In den App-<strong>Ausgabe</strong>n<br />
finden Sie<br />
Hörproben und<br />
ein Video zum<br />
Pono-Player<br />
John Hamm gegründet hat, um den puren<br />
Klang unters audiophile Volk zu bringen.<br />
Ähnlich wie Apples Kombi aus iPod-<br />
Musikspieler und iTunes-Store wollen die<br />
Gründer zum einen die Hardware<br />
verkaufen, ihren Pono-<br />
Player, und zum anderen die Hi-<br />
Res-Musik über ihren Pono<br />
Musicstore. „Wir schaffen ein<br />
ganz neues Musik-Ökosystem“,<br />
verspricht Young. Die mobile<br />
Musikbox für höchstauflösende<br />
Musik erinnert in ihrem dreieckigen<br />
Design an eine Schweizer Kult-Schokolade.<br />
Young verspricht ähnlichen Genuss –<br />
wenn auch im Ohr statt auf der Zunge.<br />
800 000 Dollar, hatten Young und Hamm<br />
kalkuliert, würden sie zum Start<br />
benötigen, als sie ihr Projekt im<br />
April dieses Jahres auf der Finanzierungsplattform<br />
Kickstarter<br />
vorstellten. Das Geld hatten sie<br />
schon am ersten Tag beisammen,<br />
und zum Schluss rund 6,2 Millionen<br />
Dollar eingesammelt. Seit<br />
Ende Oktober können Audio-<br />
»<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 77<br />
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Technik&Wissen<br />
»<br />
fans den Super-iPod in den USA im Pono<br />
Musicstore für 399 Dollar bestellen. Im<br />
Frühjahr 2015 soll er lieferbar sein.<br />
Die dritthöchste Summe, die bis dato je<br />
ein Kickstarter-Projekt erzielt hatte, ist sicher<br />
auch der Prominenz seiner Gründer<br />
geschuldet. Aber nicht nur. Denn Young ist<br />
zwar der bekannteste, aber mitnichten der<br />
einzige Jäger des verlorenen Klanges. Die<br />
ganze Audiowelt ist elektrisiert.<br />
Die Erwartungen ans Marktwachstum<br />
sind enorm. Was etwa den japanischen<br />
Elektronikriesen Panasonic dazu brachte,<br />
seine vor zwölf Jahren eingemottete Hi-Fi-<br />
Marke Technics wiederzubeleben. Zwei<br />
High-End-Anlagen für den neuen Super-<br />
Sound haben die Japaner Anfang September<br />
auf der Elektronikmesse IFA in Berlin<br />
vorgestellt; darunter spezielle Mediaplayer,<br />
die HiRes-Musik <strong>vom</strong> PC oder von einer<br />
ans Heimnetz angeschlossenen Festplatte<br />
abspielen. In den nächsten Wochen kommen<br />
die ersten Systeme in die Läden.<br />
„Die Nachfrage im Handel wächst, und<br />
auch online nimmt die Begeisterung für<br />
höchste Audioqualität zu“, sagt Michiko<br />
Ogawa. Die 51-Jährige ist nicht nur eine der<br />
Top-Jazz-Pianistinnen in Japan. Die studierte<br />
Toningenieurin verantwortet bei<br />
Panasonic zugleich die Wiedereinführung<br />
der Traditionsmarke. „Es ist der ideale Zeitpunkt,<br />
beste Technik und die Emotionalität<br />
großartiger Musik zusammenzubringen“<br />
(siehe Interview Seite 80).<br />
NACH DREI MONATEN PROFITABEL<br />
Bei Lothar Kerestedjian dürfte sie damit<br />
auf volle Zustimmung treffen. Der 52-jährige<br />
passionierte Schlagzeuger, Sohn eines<br />
Armeniers und einer Berlinerin, ist einer<br />
der Pioniere der HiRes-Szene. Er kennt das<br />
Musikgeschäft aus jeder Perspektive, war<br />
Manager der australischen Rockband<br />
INXS, hat für den US-Popstar Prince gearbeitet<br />
und mehrere japanische Elektronikkonzerne.<br />
Vor allem aber ist er ein rastloser<br />
Vorkämpfer für erstklassigen Klang. 2011<br />
gründete Kerestedjian mit seinem Bruder<br />
Frank HighResAudio.com, einen der inzwischen<br />
weltweit führenden digitalen<br />
Plattenläden für hochauflösende Musik.<br />
Der Erfolg hat die Gründer selbst überrascht.<br />
„Wir dachten, mit dem Angebot vor<br />
allem die alten analogen Sound-Enthusiasten<br />
zu erreichen und frühestens nach<br />
eineinhalb Jahren profitabel zu sein“, erzählt<br />
Kerestedjian. „Tatsächlich haben wir<br />
schon nach drei Monaten schwarze Zahlen<br />
geschrieben, so groß war die Resonanz.“<br />
Zumal neben audiophilen Connaisseuren<br />
der Generation 50+ inzwischen zunehmend<br />
auch Käufer ab Mitte 20 seinen Online-Shop<br />
besuchen. „Gemessen am Massengeschäft,<br />
ist HiRes zwar noch eine Nische,<br />
aber sie wird immer größer.“<br />
Das liegt auch daran, dass der neue Digitalklang<br />
den perfekten Sound plötzlich all<br />
jenen Musikfreunden erschließt, denen<br />
der Umbau des Wohnzimmers zum privaten<br />
Akustik-Labor bisher zu aufwendig war.<br />
„Weil sich die hochauflösenden Soundbits<br />
völlig unverfälscht übertragen lassen<br />
und analoge Störungen wegfallen, tönt’s<br />
Akustische Instanz Holger Fromme<br />
arbeitet am perfekten Lautsprecher<br />
auch ohne Riesenaufwand grandios“, sagt<br />
Holger Fromme. Der Gründer der Odenwälder<br />
Lautsprecher-Manufaktur Avantgarde<br />
Acoustic ist in Sachen Hi-Fi eine Instanz.<br />
Seit drei Jahrzehnten gelten seine<br />
Hornlautsprecher als Referenz. Unverdrossen<br />
hat er die Technik optimiert, immer<br />
mit dem Ziel, alle denkbaren analogen Störungen<br />
aus dem Klang zu eliminieren.<br />
Jetzt hat der 57-Jährige mit dem Zero 1<br />
seinen ersten aktiven, komplett digitalen<br />
Lautsprecher gebaut – und räumt damit<br />
Hi-Fi- und Design-Preise ab. Wo Soundfe-<br />
FOTOS: PR<br />
78 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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tischisten bisher armdicke<br />
Kabel mit Goldsteckern zu<br />
den Boxen verlegten, „empfangen<br />
digitale Lautsprecher<br />
ihr Signal künftig drahtlos<br />
von der vernetzten Stereoanlage“,<br />
sagt der Odenwälder.<br />
Die Verbindung von dezent auftretender<br />
Technik und atemberaubendem Klang<br />
mache die Hi-Fi-Welt zudem für weibliche<br />
Musikfans attraktiver, glaubt Fromme.<br />
„Bisher ist das primär ein Thema für Jungs,<br />
künftig wird die Zielgruppe viel größer.“<br />
DER PREIS DER QUALITÄT<br />
Das lohnt sich für die Labels gleich doppelt.<br />
Denn was immer die einschlägigen<br />
Download-Plattformen an Rock, Jazz, Pop<br />
oder Klassik anbieten, stets gibt’s die High-<br />
End-Musik nur gegen einen Preiszuschlag<br />
gegenüber Downloads in CD- oder<br />
MP3-Format. So steht etwa das brandneue<br />
Pink-Floyd-Album „The Endless River“ in<br />
CD-Qualität für knapp 16 Euro in Apples<br />
iTunes Store. Bei Kerestedjian kostet der<br />
Download des gleichen Albums – dafür<br />
auch in vielfach besserer Auflösung der<br />
Sounddatei – 24 Euro.<br />
Gut zwei Drittel davon müssen Online-<br />
Händler dem Vernehmen nach an die Labels<br />
durchreichen, die daher <strong>vom</strong> Geschäft<br />
mit dem High-End-Sound überproportional<br />
profitieren. Und doch noch nicht recht<br />
ahnen, welches – auch wirtschaftliche –<br />
Potenzial in ihren Audioarchiven lagert.<br />
Schließlich muss, wer sich für die neue,<br />
akustische Opulenz begeistert, seine Plattensammlung<br />
de facto noch einmal kaufen.<br />
Denn die bestehende CD-Sammlung<br />
oder als MP3-Datei gekaufte Stücke lassen<br />
sich nicht mehr sinnvoll in hochauflösende<br />
Dateiformate umwandeln. Klangdetails,<br />
die bei der CD-Produktion, dem Mastering,<br />
und erst recht bei der MP3-Kompression<br />
weggefallen sind, lassen sich schlicht<br />
nicht mehr herbeizaubern.<br />
Trotzdem bringe manches Plattenlabel<br />
alte Aufnahmen technisch auf HiRes-<br />
Niveau; doch das sei nichts anderes, als<br />
„aus Mist Bonbons zu machen“, ärgert sich<br />
Klangexperte Kerestedjian, „die müffeln<br />
trotzdem“. Er hat derart aufgeblasene<br />
Audiodateien konsequent aus seinem<br />
Online-Shop verbannt – und ist stattdessen<br />
regelmäßig als Audioarchäologe bei den<br />
Musikkonzernen unterwegs. „Immer auf<br />
der Suche nach den Originalbändern.“ Immerhin,<br />
inzwischen beschäftigten viele<br />
Labels eigene Spezialisten, die sogar bei<br />
den Aufnahmestudios nach alten Bändern<br />
forschen, wenn<br />
sich die Originale<br />
erfolgreicher<br />
Aufnahmen<br />
in den eigenen<br />
Archiven nicht mehr<br />
auffinden lassen.<br />
Und so wächst das Angebot an HiRes-<br />
Titeln zwar kontinuierlich, aber längst nicht<br />
so rasch, wie die Zahl von Musikveröffentlichungen<br />
in den etablierten Formaten. Auch,<br />
weil der Super-Sound bei der Aufnahme einiges<br />
an Mehraufwand erfordert: „Stücke,<br />
die für die Wiedergabe auf MP3-Spielern angepasst<br />
sind, klingen keinen Deut besser,<br />
wenn man sie einfach ins höherwertige Format<br />
umkopiert“, sagt Eric Kingdon, der beim<br />
japanischen Elektronikkonzern Sony das<br />
Home-Audio- und Video-Geschäft in Europa<br />
betreut. „Die müssten ganz neu und<br />
hochauflösend abgemischt werden.“<br />
Der 59-jährige Brite ist bei Sony seit den<br />
frühen Achtzigern so etwas wie der europäische<br />
Grandmaster of Sound, hat die<br />
Einführung der CD begleitet und ist nun<br />
auch dafür verantwortlich, Sonys HiRes-<br />
Audiosysteme für europäische Hörgewohnheiten<br />
zu optimieren. „Es ist wie die<br />
Befreiung der Musik von den Beschränkungen<br />
der Vergangenheit“, sagt Kingdon.<br />
„Dabei lässt sich HiRes-Audio so einfach<br />
nutzen, wie das die Generation Online seit<br />
Jahren mit MP3 kennt.“<br />
Zumindest fast. Denn während die meisten<br />
PCs und Multimediaplayer für die heimische<br />
Stereoanlage, aber auch erste<br />
Smartphones wie Sonys Xperia Z3 bereits<br />
HiRes-Dateien in höchster Auflösung abspielen,<br />
fehlt die Funktion etwa in Apples<br />
neuen iPhone-6-Modellen noch.<br />
Das wird kaum so bleiben. Gerade erst<br />
kündigte Musiker Bono, Kopf der irischen<br />
Band U2, im Interview mit dem US-Magazin<br />
„Time“ an, die Band arbeite mit Apple<br />
an einem „unwiderstehlichen Musikformat“.<br />
iFans interpretieren das bereits als<br />
Zusage, dass HiRes-Audio auch auf iPhone<br />
und Co. kommt.<br />
Spätestens das wäre für den Super-<br />
Sound der Durchbruch im Massenmarkt. n<br />
thomas.kuhn@wiwo.de<br />
Die perfekte Welle<br />
Um analoge Töne in Musikdateien umzuwandeln, muss das Signal digitalisiert werden.<br />
Je häufiger die Schwingung gemessen wird (Abtastfrequenz), je feiner die Auflösung der<br />
Messwerte ist (Bittiefe), desto höher ist die Qualität der digitalen Musik (Datenrate)<br />
Tonschwingung<br />
Zeit<br />
Analoger Klang<br />
Perfekte<br />
Schwingung<br />
Abtastfrequenz<br />
Auflösung<br />
Datenrate<br />
Platten-Speicher<br />
Sonys Audio-Player Z1ES<br />
spielt HiRes-Musik fast aller<br />
Formate aus dem Netzwerk und von<br />
seiner Ein-Terabyte-Festplatte.<br />
1799 Euro<br />
Grob aufgelöstes Signal<br />
mit niedriger Abtastrate<br />
und Bittiefe (MP3*)<br />
8–44,1 Kilohertz<br />
16 Bit<br />
128–320 Kilobit/Sekunde<br />
Schall-Wandler<br />
Der winzige Verstärker<br />
A200p von Beyerdynamic<br />
wandelt HiRes-Digitalmusik<br />
in analogen Sound um.<br />
299 Euro<br />
KONTEXT<br />
Feiner aufgelöstes Signal<br />
mit erhöhter<br />
Abtastrate (CD)<br />
44,1 Kilohertz<br />
16 Bit<br />
1411 Kilobit/Sekunde<br />
* nicht dargestellt ist der zusätzliche Detailverlust durch die psycho-akustische Datenkompression bei MP3<br />
Kopf-Sache<br />
Philips’ M2L-Kopfhörer<br />
ermöglicht es, dank seines<br />
Audiochips HiRes auch <strong>vom</strong><br />
iPhone wiederzugeben.<br />
249 Euro<br />
MP3-, CD- und HiRes-Hörproben aus dem<br />
neuen Album „Fragile“ des Musikers Robert<br />
Len finden Sie auf wiwo.de/sound<br />
Musik in HiRes-Qualität gibt es online unter<br />
anderem bei HDtracks.com, HighResAudio.<br />
com, Linnrecords.com oder Qobuz.com<br />
Lesen Sie weiter auf Seite 80 »<br />
Hochwertiges Signal<br />
mit hoher Abtastrate<br />
und Bittiefe (HiRes)<br />
96 Kilohertz<br />
24 Bit<br />
4608 Kilobit/Sekunde<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 79<br />
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Technik&Wissen<br />
INTERVIEW Michiko Ogawa<br />
Musik, Mode, Möbel<br />
Die japanische Jazz-Pianistin will die Hi-Fi-Kultmarke Technics wiederbeleben.<br />
Und setzt dabei auch auf ungewöhnliche Vertriebswege.<br />
DIE TONFOLGERIN<br />
Frau Ogawa, Hi-Fi-Anlagen gelten<br />
gemeinhin als teures Hobby technikverliebter<br />
Jungs fortgeschrittenen Alters.<br />
Nun soll eine Komponistin und Pianistin<br />
wie Sie die 2002 eingestellte Kultmarke<br />
Technics des Elektronikriesen Panasonic<br />
wieder auf den Markt bringen.<br />
Kollidieren da nicht die Kulturen?<br />
Kunst und Technik vertragen sich besser,<br />
als viele denken. Zudem bin ich nicht<br />
nur Musikerin, sondern auch Toningenieurin.<br />
Bei Technics ist damit sowohl<br />
meine linke, als auch meine rechte Gehirnhälfte<br />
gefragt. Und das macht nicht<br />
nur sehr viel Freude. Auch das Ergebnis<br />
wird sich hören lassen, wenn wir in die<br />
Läden zurückkommen.<br />
In den vergangenen zwölf Jahren hat<br />
sich die Musikwelt radikal verändert.<br />
Das Dateiformat MP3 hat Musik im Internet<br />
zum Massengut gemacht. Statt<br />
CDs zu kaufen, streamen die Menschen<br />
heute Hits zum Pauschalpreis aus<br />
dem Netz. Ist Hi-Fi-Technik da nicht<br />
ein Anachronismus?<br />
Im Gegenteil, die Kunden begeistern<br />
sich wieder für höchste Audioqualität.<br />
Die Nachfrage im Handel wächst, auch<br />
die Online-Nutzer interessieren sich immer<br />
häufiger für wirklich erstklassigen<br />
Sound.<br />
Wie erklären Sie sich die Renaissance?<br />
Vielleicht ist es eine Art Gegenbewegung<br />
zum Boom der komprimierten Musik der<br />
vergangenen Jahre. Internet und MP3<br />
haben es uns einerseits erst ermöglicht,<br />
riesige Musiksammlungen in winzige<br />
Geräte zu packen. Andererseits ist bei der<br />
Digitalisierung viel von der Opulenz<br />
verloren gegangen, mit der uns Musik in<br />
ihren Bann ziehen kann.<br />
Warum sollte sich das wieder ändern?<br />
Interessanterweise spielt wieder das Netz<br />
die Rolle des Katalysators. Denn weil die<br />
Leitungen immer schneller werden, können<br />
wir auf einmal Musik in einer Qualität übertragen,<br />
die weit über der von CDs liegt. Das<br />
geht so schnell und bequem, wie wir das<br />
über die Jahre mit MP3-Dateien gelernt haben.<br />
Nur klingt diese neue Musik faszinierend<br />
viel besser. Es ist der ideale Zeitpunkt,<br />
beste Technik und die Emotionalität großartiger<br />
Musik wieder zusammenzubringen.<br />
Mit einer Marke, die Musikfans aus der<br />
Generation iPhone kaum etwas sagt?<br />
Täuschen Sie sich nicht. Technics hat, selbst<br />
nach Jahren der Abstinenz, noch einen extrem<br />
guten Ruf in der Szene. Und speziell in<br />
Ogawa, 51, ist eine Ausnahmeerscheinung: Als Direktorin<br />
der wiederauferstandenen Hi-Fi-Marke<br />
Technics besetzt sie einen Top-Job in der<br />
männerdominierten Wirtschaft Japans.<br />
Als studierte Toningenieurin entwickelte<br />
sie für Panasonic ultraflache<br />
Lautsprecher. Und als Pianistin<br />
zählt sie, die mit drei Jahren<br />
begann, Klavier zu lernen,<br />
zu den führenden<br />
Künstlern der<br />
japanischen<br />
Jazz-Szene.<br />
Deutschland haben viele<br />
Menschen eine Technics-<br />
Vergangenheit. Deshalb starten<br />
wir erst hier und gehen<br />
dann in andere Länder.<br />
Auch weil Deutschlands Audiophile<br />
besonders zahlungskräftig sind?<br />
Ihre neue Spitzenanlage, die Sie auf der<br />
IFA in Berlin gezeigt haben, ist mit<br />
40 000 Euro fast schon prohibitiv teuer.<br />
Ganz ehrlich, wir rechnen bei ihr auch<br />
nicht mit riesigen Absatzzahlen. Aber sie<br />
ist ein Ausrufezeichen, ein Leuchtturm<br />
für unseren technischen und qualitativen<br />
Anspruch. Die neue Premiumklasse<br />
darunter ist schon deutlich günstiger,<br />
aber immer noch ein klares Statement in<br />
Sachen Klangqualität – mit der wir dann<br />
übrigens zu den alten auch ganz neue<br />
Zielgruppen erreichen wollen.<br />
Welche?<br />
Frauen zum Beispiel. Bisher kaufen tatsächlich<br />
vorwiegend Männer Hi-Fi-Geräte<br />
– mit starkem Fokus auf technische<br />
Details. Viel mehr als das viele Frauen<br />
tun, die mit der sehr technischen Präsentation<br />
der Anlagen im klassischen<br />
Hi-Fi-Handel oft nicht viel anfangen<br />
können. Aber das heißt ja nicht, dass sie<br />
sich nicht für großartigen Klang begeistern.<br />
Schließlich ist Musik Emotion pur...<br />
...die bisher – wenn es um Hi-Fi-Anlagen<br />
geht – zu männlich verkauft wird?<br />
Zu männlich? So würde ich das nicht<br />
sagen. Allenfalls zu fokussiert. Natürlich<br />
werden wir zum Marktstart die klassischen,<br />
anspruchsvollen Audiofans erst<br />
einmal über den hoch qualifizierten<br />
Hi-Fi-Handel ansprechen. Nur glaube<br />
ich, dass wir daneben auch andere weiblichere<br />
Wege werden gehen können.<br />
Zum Beispiel, indem wir Musik und<br />
Mode zusammenbringen.<br />
Wollen Sie etwa Hörstudios in Boutiquen<br />
einrichten?<br />
Warum soll eine Kundin, wenn sie nach<br />
schöner Kleidung sucht, nicht auf den<br />
faszinierenden Klang unserer Premium-<br />
Class-Systeme stoßen – und sich den<br />
auch gönnen wollen? Oder wir gehen in<br />
edle Design- und Möbelgeschäfte und<br />
installieren da unsere Anlagen. Ein schönes<br />
Ambiente und ein ebenso hochwertiger<br />
Klang – ich glaube, dass das sich<br />
sehr gut ergänzt. Und, dass wir auch auf<br />
diesem Weg neue Kundinnen für Technics<br />
gewinnen.<br />
n<br />
thomas.kuhn@wiwo.de<br />
FOTOS: PR<br />
80 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Straße unter Strom<br />
FOTOVOLTAIK | Seen, Fassaden, sogar Autokarosserien sollen zu<br />
Solarkraftwerken werden – und preiswerte Energie liefern.<br />
Kohlemeilern. Selbst in den Niederlanden,<br />
die nicht gerade für viel Sonnenschein bekannt<br />
sind, ist Strom aus eigenen Solarzellen<br />
billiger als Energie aus dem Netz.<br />
Doch der Platz für Solaranlagen ist begrenzt.<br />
Selbst wenn alle Gebäude in den<br />
Niederlanden mit Fotovoltaikmodulen bedeckt<br />
wären, würden sie gerade ein Viertel<br />
des benötigten Stroms erzeugen, rechnet<br />
Energiepionier de Wit vor. Wer mehr Solarenergie<br />
wolle, müsse neue Flächen erschließen.<br />
Straßen seien dazu ideal. Mit<br />
Solarzellen gespickt, könnten sie an sonnigen<br />
Tagen den Energiebedarf des gesamten<br />
Landes decken. Niemand müsste mehr<br />
wertvolle Äcker mit Paneelen überziehen.<br />
Voor niets gaat de zon op“, stöhnen die<br />
Holländer, wenn eine Rechnung in<br />
den Briefkasten flattert. Das bedeutet<br />
so viel wie „umsonst geht nur die Sonne<br />
auf“ – alles andere im Leben kostet Geld.<br />
Darüber kann man jammern, oder man<br />
sieht es als Geschenk, wie Stan de Wit.<br />
Wenn der Sonnenaufgang gratis ist, glaubt<br />
der Mitgründer des niederländischen<br />
Start-ups Solaroad, sollten wir ihn nutzen –<br />
zur Stromerzeugung.<br />
De Wit hat einen irren Plan: Er will Straßen<br />
in Solarkraftwerke verwandeln. Vergangenen<br />
Mittwoch ist er seiner Vision einen<br />
Schritt näher gekommen, an einer<br />
Landstraße nahe der Kleinstadt Krommenie<br />
bei Amsterdam. Der Wirtschaftsminister<br />
kam, die Presse, eine Menge Schaulustige.<br />
Nicht bloß irgendeinen Straßenabschnitt<br />
eröffnete der Minister hier – sondern<br />
den ersten Radweg der Welt, der<br />
Strom erzeugt.<br />
70 Meter lang, eineinhalb Meter breit<br />
und mit einem Zentimeter dicken Sicherheitsglas<br />
bedeckt, unter dem blaue Solarzellen<br />
schimmern: Ein Kraftwerk zum<br />
Drüberrollen, und die Energie kommt gratis<br />
<strong>vom</strong> Himmel. „Straßen könnten bald<br />
den Strom für unsere Elektroautos erzeugen“,<br />
schwärmt de Wit, „wäre das nicht<br />
wunderbar?“<br />
Platten-Bau Arbeiter in den Niederlanden<br />
verlegen den weltweit ersten Solar-Radweg<br />
So wagemutig die Idee der Holländer erscheint<br />
– abwegig ist sie nicht. Weltweit tüfteln<br />
Forscher daran, Solarmodule an völlig<br />
neuen Orten zu installieren: in Hausfassaden,<br />
Autodächern und sogar schwimmend<br />
auf Seen. Denn das Sonnenlicht, das täglich<br />
auf die Erde trifft, enthält 10 000-mal<br />
mehr Energie, als die Menschheit verbraucht.<br />
Ließe sich nur ein Teil davon nutzen,<br />
ginge uns der Strom nie mehr aus.<br />
Inzwischen sind Solarmodule so preiswert,<br />
dass die Idee von der allgegenwärtigen<br />
Sonnenenergie auch ökonomisch realisierbar<br />
erscheint. In einem neuen Kraftwerk<br />
in den USA etwa kostet Solarstrom pro<br />
Kilowattstunde nur noch vier Euro-Cent –<br />
das ist günstiger als Elektrizität aus neuen<br />
Solarzellen auf<br />
Highways könnten<br />
den Strombedarf<br />
der USA decken<br />
EINNAHMEN FÜR KOMMUNEN<br />
Straßen als Kraftwerke sind nicht nur ökologisch<br />
sinnvoll, glaubt de Wit, sondern<br />
auch ökonomisch. Der Pilot-Radweg kostete<br />
inklusive Forschung und Entwicklung<br />
zwar satte drei Millionen Euro – Geld, das<br />
von der niederländischen Industrieforschungsorganisation<br />
TNO kam, von der<br />
Provinz Nord-Holland, dem Straßenbauspezialisten<br />
Ooms Civiel und dem Gebäudedienstleister<br />
Imtech.<br />
Künftig will de Wit die Solarwege in<br />
günstiger Fließbandarbeit fertigen. Bauarbeiter<br />
müssten die dreieinhalb mal zweieinhalb<br />
Meter großen Betonteile dann nur<br />
vor Ort verlegen, verkabeln und ans Stromnetz<br />
anschließen – schon fließe Energie<br />
von der Straße ins Netz. Die Solarwege<br />
könnten so zur Geldquelle für klamme<br />
Kommunen werden. Der erzeugte Strom<br />
spiele die Kosten für Solarzellen, Elektronik<br />
und Glasversiegelung in weniger als 15<br />
Jahren ein, glaubt de Wit. Danach bringe<br />
jede Kilowattstunde Gewinn.<br />
Erste Zahlen gibt es. Binnen drei Wochen<br />
erzeugte der Radweg 140 Kilowattstunden<br />
Strom. Das bestätigt die Schätzungen<br />
der Forscher, denen zufolge rund 70<br />
Meter Radweg im Jahresschnitt genug<br />
Strom für zwei Haushalte liefern. Dennoch<br />
muss der Freilandversuch noch eine Menge<br />
Fragen beantworten: Hält die Glas-Fahrbahn<br />
auch schweren Fahrzeugen stand,<br />
wie die Macher versichern? Wie stark werden<br />
Staub und Schatten die Stromausbeute<br />
senken? Und halten die Module Regenwasser,<br />
Eis und Schnee stand?<br />
Vor genau diesen Fragen steht auch der<br />
Ingenieur Scott Brusaw rund 8000 Kilometer<br />
weiter westlich im US-Bundesstaat Idaho.<br />
„Würden wir sämtliche Highways, Parkplätze<br />
und Gehwege im Land mit Solarzellen<br />
pflastern, könnten wir dreimal so viel<br />
»<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 81<br />
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Technik&Wissen<br />
Architekten-Glück Solarzellen passen sich Gebäudefassaden an<br />
Wasser-Kraft Erste Fotovoltaikanlagen gehen baden<br />
»<br />
Strom produzieren, wie wir verbrauchen“,<br />
sagt er. Brusaw tüftelt seit 2010 an einem<br />
Straßenbelag, der Energie erzeugt.<br />
INNOVATIONSPREIS<br />
Ideen gesucht<br />
WirtschaftsWoche, Accenture,<br />
EnBW und Evonik<br />
suchen wieder Deutschlands<br />
innovativste Unternehmen:<br />
Vergeben wird<br />
der Deutsche Innovationspreis<br />
an Start-ups, Mittelständler und<br />
Konzerne aller Branchen. Bewerben<br />
Sie sich bis 28. November mit Ihren<br />
Ideen – <strong>vom</strong> Produkt übers Geschäftsmodell<br />
bis zur Dienstleistung. Alle Infos:<br />
www.der-deutsche-innovationspreis.de<br />
KRAFTWERK AUF DEM TEICH<br />
Das US-Verkehrsministerium unterstützt<br />
seine Arbeit mit insgesamt 850 000 Dollar.<br />
Mit dem Geld baute Brusaw genug Solarmodule,<br />
um einen vier mal zwölf Meter<br />
großen Parkplatz vor seiner Scheune zu<br />
pflastern. Die kleinen Kraftwerke heizen<br />
sich mit ihrem Strom selbst, sodass im<br />
Winter kein Schnee liegen bleibt. Eingebaute<br />
LED-Lampen können Fahrbahnstreifen<br />
anzeigen. In einem ersten Test produzierten<br />
die Zellen auf dem Parkplatz immerhin<br />
60 Prozent des Stroms, den eine<br />
Dachanlage liefert. Um seine Paneele weiterzuentwickeln,<br />
sammelte Brusaw im<br />
Sommer mehr als zwei Millionen Dollar<br />
per Crowdfunding im Internet ein. Eine<br />
Teststrecke soll im Frühjahr 2015 folgen.<br />
Nicht nur zu Lande, auch zu Wasser gibt<br />
es noch nutzbare Areale. Der Franzose Bernard<br />
Prouvost hat sie erschlossen und<br />
kann bereits mit einem funktionierenden<br />
Geschäftsmodell aufwarten. Der Chef des<br />
Unternehmens Ciel et Terre aus dem nordfranzösischen<br />
Lille hat Kunststoffpontons<br />
entwickelt, auf denen sich herkömmliche<br />
Solarpaneele befestigen lassen. Vor allem<br />
in Japan stößt sein Produkt auf reges Interesse.<br />
Da das bergige Land kaum noch größere<br />
freie Flächen besitzt, sind Teiche und<br />
Seen eine Alternative.<br />
Im September begann der japanische<br />
Mischkonzern Kyocera mit dem Bau der<br />
nach eigener Aussage größten schwimmenden<br />
Solaranlage der Welt auf zwei<br />
Seen unweit von Osaka. Auf drei Megawatt<br />
Leistung bringen es die Zellen, genug um<br />
rund 500 japanische Haushalte mit Strom<br />
zu versorgen. Weitere 30 schwimmende<br />
Kraftwerke sollen in den nächsten Monaten<br />
folgen. „Unsere Anlagen sind zwar bis<br />
zu 15 Prozent teurer als die an Land“, sagt<br />
Prouvost. Aber die geringen Pachtkosten<br />
auf dem Wasser gleichen den Nachteil aus.<br />
Da immer nur Teile der Wasseroberfläche<br />
bedeckt sind, soll auch nicht das Ökosystem<br />
des Sees leiden.<br />
Neben Straßen und Seen erobern Solaranlagen<br />
noch einen weiteren Ort: Hauswände.<br />
Früher waren die Anlagen für Architekten<br />
wenig attraktiv, weil ihre Farbe<br />
und Form sich nicht anpassen ließen.<br />
Doch das ändert sich jetzt. So eröffnete der<br />
litauische Solarpionier Juras Ulbikas, Leiter<br />
des EU-Forschungsprojekts Smart Flex, im<br />
Oktober in Vilnius eine Solarfabrik, in der<br />
Roboter maßgefertigte Solarmodule herstellen.<br />
Architekten können am Computer<br />
ganze Fotovoltaikfassaden entwerfen –<br />
und die Pläne mit einem Mausklick zur Solarfabrik<br />
schicken. Auf der Baustelle müssen<br />
die Arbeiter die einzelnen Elemente<br />
nur noch zu einer Wand aus Glas zusammenfügen.<br />
Auch farblich lassen sich Solarpaneele<br />
nun an Fassaden anpassen. Bisher waren<br />
die Module nur in Blau-Schwarz zu bekommen.<br />
Das Schweizer Forschungsunternehmen<br />
CSEM hat eine Folie entwickelt,<br />
die das sichtbare Licht reflektiert,<br />
aber Infrarotlicht zu den Zellen durchlässt.<br />
Die Folie lässt sich in beliebigen Farben<br />
herstellen – sogar in Weiß. Die Beschichtung<br />
soll kaum Mehrkosten verursachen,<br />
allerdings senkt sie den Wirkungsgrad der<br />
Zellen. Den Entwickler Christoph Ballif<br />
ficht das nicht an, „schließlich produzieren<br />
wir nun auf Flächen Strom, wo das vorher<br />
nicht möglich war“. Viele Architekten hätten<br />
schon Interesse bekundet.<br />
AUTO MIT SOLARLACK<br />
Künftig sollen Solarzellen Teil der verschiedensten<br />
Oberflächen werden und sich<br />
sogar wie Lack aufsprühen lassen. Wissenschaftlern<br />
der britischen Universität Sheffield<br />
ist das unlängst mit dem Mineral<br />
Perowskit geglückt. Die titanhaltige Verbindung<br />
ist erheblich günstiger als das bisher<br />
verwendete Silizium und soll schon bald<br />
massenhaft eingesetzt werden. Eines Tages,<br />
so hoffen die Forscher, werden Perowskit<br />
auf jede erdenkliche Oberfläche aufgetragen.<br />
Der Autobauer Daimler will diese Entwicklung<br />
mit seinem kürzlich in Peking<br />
präsentierten Konzeptauto G-Code schon<br />
vorwegnehmen. Der Mix aus Gelände- und<br />
Sportwagen hat einen imaginären Solarlack,<br />
der Strom erzeugt. „Bisher handelt es<br />
sich nur um eine Vision“, heißt es beim<br />
Autobauer. Eine Vision, die bald wahr werden<br />
könnte – so wie der Solarradweg des<br />
Niederländers de Wit.<br />
n<br />
andreas.menn@wiwo.de, benjamin reuter@wiwo.de<br />
82 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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VALLEY TALK | Prominente Start-ups<br />
schwimmen derzeit geradezu in Startkapital.<br />
Für mögliche Börsengänge verheißt<br />
das nichts Gutes. Von Matthias Hohensee<br />
Magie der Fabelwesen<br />
FOTOS: PR (2), JEFFREY BRAVERMAN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
Profi-Investoren nennen jene<br />
Jungunternehmen Einhörner, deren<br />
Bewertung noch vor dem<br />
Börsengang die magische Grenze<br />
von einer Milliarde Dollar übersteigt –<br />
um klarzumachen: Diese Firmen sind etwas<br />
Besonderes. Doch der Begriff passt<br />
nicht mehr richtig. Denn die Fabelwesen<br />
vermehren sich gerade enorm. Mittlerweile<br />
gibt es allein in Nordamerika laut der<br />
US-Wirtschaftsprüfung Pricewaterhouse-<br />
Coopers mehr als 50 Start-ups mit einer<br />
derart hohen Bewertung. Was an der Flut<br />
billigen Geldes liegt, das angelegt sein will.<br />
Die neue Elite sind jetzt die Super-Einhörner,<br />
die Investoren auf mindestens fünf Milliarden<br />
Dollar taxieren. Die Liste dieser<br />
noch relativ raren Spezies führt derzeit der<br />
Logistikdienstleister Uber an, gefolgt von<br />
der Bettenbörse Airbnb, dem Speicherservice<br />
Dropbox, dem Kommunikationsdienst<br />
Snapchat, dem Datenanalytiker Palantir,<br />
der Zahlungsplattform Square und der sozialen<br />
Pinnwand Pinterest. Alle wachsen<br />
kräftig, schreiben aber Verluste. Allein diese<br />
sieben haben seit 2007 rund 5,5 Milliarden<br />
Dollar eingesammelt. Spitzenreiter ist<br />
Uber mit 1,6 Milliarden Dollar. Angeblich<br />
will das Management nun mindestens eine<br />
weitere Milliarde Dollar für die weltweite Expansion<br />
hereinholen. Manche Analysten<br />
trauen dem Taxivermittler zu, weit mehr als<br />
die 18 Milliarden Dollar wert zu sein, von<br />
denen bisher immer die Rede war.<br />
Das sind Unsummen im Vergleich zu den<br />
Vorgängern der Super-Einhörner aus der<br />
Ära des ersten Internet-Booms. Deren Wert<br />
stieg erst nach dem Börsengang. Yahoo<br />
sammelte beim Start vor 20 Jahren 6,8 Millionen<br />
Dollar ein. Amazon benötigte nur<br />
acht Millionen Dollar. Summen, die die heutigen<br />
Stars aus der Portokasse zahlen könnten.<br />
Ebay war eigentlich nicht auf Fremdkapital<br />
angewiesen, weil es schon kurz nach<br />
Start profitabel war. Gründer Pierre Omidyar<br />
holte nur deshalb den Wagnisfinanzierer<br />
Benchmark Capital an Bord, weil er ohne<br />
namhaften Kapitalgeber Nachteile bei Geschäftsausbau<br />
und Börsengang fürchtete.<br />
Von den 6,7 Millionen Dollar Startkapital<br />
legte er fünf Millionen Dollar als Reserve auf<br />
die Bank. Selbst die Anschubfinanzierung<br />
für Google fiel bescheiden aus. Der gebürtige<br />
Deutsche Andreas von Bechtolsheim investierte<br />
gerade einmal 100 000 Dollar.<br />
1999 waren dann noch einmal 25 Millionen<br />
Dollar nötig, die Summe teilten sich die damals<br />
führenden Risikokapitalgeber Kleiner<br />
Perkins und Sequoia Capital.<br />
KASSE MACHEN? EHER SPÄTER<br />
Die Super-Einhörner sind mittlerweile so<br />
teuer, dass selbst Google oder Facebook eine<br />
Übernahme kaum verdauen könnten.<br />
Daher kommt nur ein Börsengang infrage.<br />
Das Problem: Ihre reichen Geldgeber haben<br />
schon eine Menge des Wertzuwachses<br />
vorweggenommen und sich auch noch den<br />
Zugriff auf weitere Aktien gesichert. Kann<br />
dann nach dem Börsengang der Kurs noch<br />
steigen? Facebook hat es vorgemacht. Das<br />
soziale Netzwerk sammelte 2,4 Milliarden<br />
Dollar an Startkapital ein. Derzeit bewertet<br />
die Börse es mit 210 Milliarden Dollar. Das<br />
ist beachtlich. Aber nichts im Vergleich zu<br />
Google, das aus 25,1 Millionen Dollar 367<br />
Milliarden Dollar gemacht hat.<br />
Doch das sind Ausnahmen. Beide Vorzeigekonzerne<br />
sind quasi Monopolisten. Ganz<br />
anders als moderne Einhörner wie Dropbox<br />
oder Square, die sich gegen massiven Wettbewerb<br />
behaupten müssen. Möglicherweise<br />
drängen auch einige der Kapitalgeber<br />
die Super-Einhörner nicht zu einem Börsengang,<br />
denn dann müssten sie das frei gewordene<br />
Geld wieder Erfolg versprechend<br />
neu investieren. Eine Beteiligung an einem<br />
prominenten Start-up, die sich irgendwann<br />
einmal auszahlt, erscheint da als bessere<br />
Alternative. Solange die Einhörner und ihre<br />
solventen Züchter diese Illusion aufrechterhalten,<br />
wird wohl weiter die Magie der üppigen<br />
Bewertungen verfangen.<br />
Der Autor ist WirtschaftsWoche-Korrespondent<br />
im Silicon Valley und beobachtet<br />
von dort seit Jahren die Entwicklung der<br />
wichtigsten US-Technologieunternehmen.<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 83<br />
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Management&Erfolg<br />
Rein in den Schweinezyklus<br />
STREITGESPRÄCH | Warum die Klage über Fachkräftemangel in Mode ist und<br />
wie die Chancen für junge Ingenieure stehen. Darüber streiten die<br />
Arbeitsmarktexperten Axel Plünnecke (IW) und Karl Brenke (DIW).<br />
84 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Meine Herren, in den vergangenen zehn Jahren<br />
ist die Zahl der Studienanfänger in den<br />
Ingenieurwissenschaften um etwa 50 Prozent<br />
gestiegen. Bei dieser Entwicklung kann man<br />
der Diskussion um den Fachkräftemangel doch<br />
gelassen entgegensehen...<br />
Brenke: Gelassen? Mich besorgt sie. Aber nicht<br />
mit Blick auf den Fachkräftemangel – den sehe<br />
ich bei Ingenieuren ohnehin nicht. Sondern weil<br />
wir in einigen Jahren zu viele Ingenieure haben<br />
werden und die jungen Leute Probleme bekommen,<br />
einen Job zu finden. Die Unternehmen klagen<br />
über Ingenieurmangel, die Abiturienten orientieren<br />
sich daran und stürmen diese Studienfächer. So<br />
einen Schweinezyklus hatten wir schon mal Ende<br />
der Achtziger, Anfang der Neunzigerjahre, bei EDV-<br />
Kräften.<br />
Plünnecke: Ach was, dieser Schweinezyklus existiert<br />
doch gar nicht. Die steigende Studentenzahl wird<br />
Brenke: Das liegt aber nicht an zu wenigen Ingenieuren<br />
auf dem Arbeitsmarkt. Sondern daran, dass<br />
vor allem in Ostdeutschland manche Unternehmen<br />
keine marktgerechten Löhne zahlen. Die setzen darauf,<br />
möglichst billig zu produzieren, um ihre Preise<br />
konkurrenzfähig halten zu können. Jetzt stellt sich<br />
heraus, dass die jungen Leute eher nach Baden-<br />
Württemberg oder Bayern gehen, weil dort besser<br />
gezahlt wird. Wir haben also nicht per se zu wenig<br />
Ingenieure, sondern zu wenig billige Ingenieure.<br />
Plünnecke: Das ist empirisch leider komplett falsch.<br />
Die großen Engpässe haben wir in Baden-Württemberg,<br />
Bayern und Hessen, aber nicht in Ostdeutschland.<br />
Es ist kein Lohnproblem, wenn die Unternehmen<br />
keine Ingenieure bekommen, sondern es gibt in<br />
der Summe aktuell mehr offene Stellen als...<br />
Brenke: Jetzt hören Sie doch mit den offenen Stellen<br />
auf. Ein Unternehmen sucht seine Ingenieure nicht<br />
per Stellenanzeige bei der Bundesagentur für Arbeit.<br />
Starker Anstieg<br />
So hat sich die Zahl der<br />
Studienanfänger in den<br />
Ingenieurwissenschaften<br />
entwickelt<br />
(in Tausend)<br />
200<br />
150<br />
100<br />
50<br />
2004 2013<br />
Quelle: Statistisches<br />
Bundesamt<br />
DER PESSIMIST<br />
DER OPTIMIST<br />
Axel Plünnecke (links), 43, leitet beim Institut<br />
der deutschen Wirtschaft Köln den Bereich<br />
Humankapital und Innovationen. Außerdem<br />
berät er die Bundesregierung und erstellt<br />
für sie Gutachten zur Fachkräftesicherung.<br />
Karl Brenke, 61, ist Konjunktur- und<br />
Arbeitsmarktexperte am Deutschen Institut<br />
für Wirtschaftsforschung in Berlin und<br />
erregte 2010 Aufsehen, als er den Fachkräftemangel<br />
eine Fata Morgana nannte.<br />
FOTO: FRANK BEER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
den Arbeitsmarkt entspannen. Von 2005 bis 2012 waren<br />
mehr Ingenieure in Lohn und Brot, weil Ältere<br />
länger gearbeitet haben und viele Arbeitnehmer aus<br />
dem Ausland zugewandert sind. Diese Sondereffekte<br />
wird es nicht mehr geben. Die absehbaren Lücken<br />
müssen die Absolventen also ausgleichen.<br />
Ob das gelingt? Ingenieurstudenten brechen ihr<br />
Studium schließlich überdurchschnittlich oft ab.<br />
Brenke: Es ist immer eine Fehlinvestition, wenn junge<br />
Menschen eine Ausbildung nicht abschließen.<br />
Sollten Abiturienten lieber gleich etwas anderes<br />
studieren?<br />
Brenke: Ingenieure kommen immer noch besser am<br />
Arbeitsmarkt unter als Wirtschafts-, Geistes- oder<br />
Sozialwissenschaftler.<br />
Plünnecke: In diesen Fächern werden wir wirklich<br />
Probleme bekommen, alle Absolventen adäquat am<br />
Arbeitsmarkt unterzukriegen.<br />
Durch die doppelten Abiturjahrgänge wird es in<br />
den nächsten Jahren ohnehin mehr Hochschulabsolventen<br />
geben.<br />
Plünnecke: Ja, und für den Ingenieurmarkt ist das<br />
auch gut. Denn so wird es bis etwa 2020 bei regionalen<br />
Fachkräfteengpässen bleiben – ein allgemeiner<br />
Mangel wird ausbleiben.<br />
Und nach 2020?<br />
Plünnecke: Durch den demografischen Wandel<br />
werden die Probleme eher größer als kleiner.<br />
Brenke: Was ich sogar unterschreiben würde: Dass<br />
wir regional durchaus Probleme haben bei den Ingenieuren.<br />
Plünnecke: Aha.<br />
Die Nachfrage nach Ingenieuren können Sie nicht<br />
anhand offener Stellen nachweisen. Genauso wenig<br />
wie Sie das Angebot an Ingenieuren anhand der Arbeitslosen<br />
messen können. Das ist doch ein grundsätzliches<br />
Unverständnis über die Bewegungen am<br />
Arbeitsmarkt.<br />
Das müssen Sie erklären.<br />
Brenke: Wenn ein Unternehmen einen neuen Ingenieur<br />
sucht, bewerben sich ja nicht nur Arbeitslose,<br />
sondern auch wechselwillige Mitarbeiter anderer<br />
Unternehmen...<br />
Plünnecke: ...die dort eine Lücke reißen. Wie bei<br />
einer knapper werdende Decke: Wenn alle daran<br />
ziehen, hat einer die Füße frei.<br />
Brenke: Nicht zwangsläufig. Nehmen Sie die Solarindustrie:<br />
Die sind doch froh, wenn sie auf diese<br />
Weise Personal einsparen können.<br />
So einfach scheint es aber nicht zu sein, Ingenieure<br />
zu finden: Die Bundesagentur für Arbeit hat ausgerechnet,<br />
dass Unternehmen 120 Tage nach einem<br />
Maschinenbauer suchen. Das klingt doch eher nach<br />
Engpass als nach Überschuss...<br />
Plünnecke: Genau.<br />
Brenke: Das halte ich für unwahrscheinlich. Dass es<br />
so lange dauert, diese Stellen zu besetzen, kann auch<br />
daran liegen, dass die Unternehmen sehr viel wählerischer<br />
geworden sind. Oder die Bundesagentur für<br />
Arbeit schlampt.<br />
Warum schließen Sie einen Engpass als Grund für<br />
die lange Suche so kategorisch aus?<br />
Brenke: Die simpelsten Knappheitsindikatoren in<br />
der Ökonomie sind Preise und Löhne. Bei einem<br />
»<br />
Auf der Suche<br />
In diesen Berufen dauert<br />
es überdurchschnittlich<br />
lange, Stellen neu zu<br />
besetzen (in Tagen)<br />
Ärzte<br />
Altenpfleger<br />
129<br />
Ingenieur Elektrotechnik<br />
124<br />
Maschinenbauer<br />
Krankenpfleger<br />
120<br />
120<br />
Durchschnitt aller Berufe<br />
81<br />
Quelle: Bundesagentur<br />
für Arbeit<br />
167<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 85<br />
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Management&Erfolg<br />
40%<br />
der deutschen<br />
Unternehmen haben<br />
Probleme, offene<br />
Stellen zu besetzen<br />
20%<br />
sehen dadurch ihre<br />
Wettbewerbsfähigkeit<br />
gefährdet<br />
Quelle: Manpower<br />
»<br />
Fachkräftemangel, müssten die Löhne also in die<br />
Höhe schießen – ist bei den Ingenieuren aber nicht<br />
geschehen.<br />
Plünnecke: Es gibt keine guten Lohndaten, um für<br />
einzelne Berufe Engpässe zu bestimmen. Eine verlässlichere<br />
Quelle scheint mir die Unternehmensbefragung<br />
des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung<br />
zu sein. Die kommen zu dem Ergebnis,<br />
dass Betriebe bei Ingenieuren mit Engpässen zu<br />
kämpfen haben.<br />
Brenke: Solche Befragungen habe ich früher auch<br />
gemacht. Die Unternehmen haben bereitwillig geantwortet<br />
und angekreuzt, dass es knapp sei mit<br />
Fachkräften. Daraufhin habe ich detaillierte Interviews<br />
geführt und festgestellt, dass der angebliche<br />
Fachkräftemangel sich in Luft auflöste.<br />
Wieso das denn?<br />
Brenke: Die Klage über den Fachkräftemangel ist in<br />
den vergangenen Jahren in Mode gekommen. Bis vor<br />
wenigen Jahren konnten Unternehmen bei Bewerbern<br />
aus dem Vollen schöpfen. Das hat sich jetzt<br />
verändert und wird dann direkt als extremer Mangel<br />
empfunden. Wenn es um die Einschätzung des<br />
Fachkräftemangels geht, sind Unternehmen die<br />
falschen Ansprechpartner. Auch, weil es für die Personalchefs<br />
natürlich schwer ist, zu sagen: Mein Job<br />
ist ganz einfach, und ich finde die Arbeitskräfte<br />
ganz leicht.<br />
Aber die demografische Entwicklung wird die<br />
Arbeit der Personaler nicht einfacher machen...<br />
Brenke: Gegenwärtig gehen jährlich 15 000 bis<br />
20 000 industrienahe Ingenieure in Rente – ich rede<br />
nicht über Architekten oder Unternehmensberater,<br />
die irgendwann mal Maschinenbau studiert haben.<br />
Diesen Rentnern stehen 60 000 Hochschulabsolventen<br />
gegenüber.<br />
Plünnecke: Das ist natürlich methodisch ein ganz<br />
übler Fehler. Sie können nicht nur die industrienahen<br />
Ingenieure nehmen und denen alle ausgebildeten<br />
Ingenieure gegenüberstellen.<br />
Brenke: Aber ein Ingenieur, der Taxi fährt, muss<br />
doch nicht durch einen anderen Ingenieur ersetzt<br />
werden.<br />
Plünnecke: Muss er natürlich nicht, aber Sie unterstellen<br />
mit Ihrer Rechnung, dass alle Absolventen in<br />
einen Ingenieurberuf gehen.<br />
Wie sieht denn Ihre Rechnung aus, Herr Plünnecke?<br />
Plünnecke: 60 000 erwerbstätige Absolventen<br />
kommt in etwa hin, aber ich rechne mit jährlich<br />
40 000 Ingenieuren, die in den Ruhestand gehen.<br />
Aber auch in diesem Fall könnte die Lücke problemlos<br />
gefüllt werden.<br />
Plünnecke: Falsch, denn es besteht ja Expansionsbedarf.<br />
Wir beobachten über alle Branchen hinweg,<br />
dass der Anteil an Akademikern steigt. Bei den Ingenieuren<br />
aktuell um gut 25 000 pro Jahr. Dieser Trend<br />
wird sich fortsetzen – wir haben derzeit verdammt<br />
viele Themen, die den Bedarf an Ingenieuren eher<br />
treiben: von der Digitalisierung über die Energiewende<br />
bis zur Elektromobilität.<br />
Sie würden jungen Menschen also weiterhin<br />
empfehlen, ein Ingenieurstudium abzuschließen?<br />
Brenke: Nein.<br />
Plünnecke: Doch, oder eine hochwertige Berufsausbildung.<br />
Brenke: Dem zweiten Teil Ihrer Antwort stimme ich<br />
zu. Unsere Gesellschaft muss sich darüber verständigen,<br />
ob es sinnvoll ist, dass die Hälfte eines Jahrgangs<br />
ein Studium abschließt. Wir steuern auf einen Akademiker-Überschuss<br />
zu. Wir brauchen aber auch<br />
junge Leute, die eine Werkbank einrichten können<br />
oder als Schlosser im Industriebetrieb tätig sind.<br />
Dort besteht ein Mangel.<br />
Was können Unternehmen dagegen tun?<br />
Plünnecke: Schon bei der Berufsorientierung am<br />
Gymnasium wird nicht ausreichend auf Möglichkeiten<br />
jenseits eines Studiums hingewiesen.<br />
Brenke: Und wenn sie über eine Ausbildung nachdenken,<br />
orientieren sich Schüler eher an Berufen,<br />
die jeder kennt, wie Friseur oder Maler.<br />
Plünnecke: An Berufe wie Kälteklimatechniker denken<br />
sie jedenfalls nicht, weshalb er seit Jahren zu den<br />
sogenannten Engpassberufen zählt. Die Zahl der<br />
Ausbildungsplätze ist gestiegen, die Nachfrage nicht.<br />
Die Bewerber sind nicht darüber informiert, wo ihre<br />
Chancen am besten sind.<br />
Können wir die Lücke nicht mit Auszubildenden<br />
aus anderen europäischen Ländern schließen?<br />
Plünnecke: Südeuropäische Jugendliche konnten<br />
über spezielle Programme der EU nach Deutschland<br />
kommen und hier eine Berufsausbildung absolvieren.<br />
Auch bei den Ingenieuren beobachten wir eine<br />
hohe Mobilität über die Hochschulen.<br />
Brenke: Na ja.<br />
Plünnecke: Gucken Sie doch auf die Zahlen: Unter<br />
den neu zugewanderten Erwachsenen haben wir<br />
zehn Prozent sogenannte MINT-Akademiker – also<br />
Absolventen in Studienfächern wie Mathematik, In-<br />
FOTOS: FRANK BEER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
86 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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formatik, Naturwissenschaften und Technik. In der<br />
Gesamtbevölkerung macht diese Gruppe gerade mal<br />
fünf Prozent aus.<br />
Aber ein junger Spanier will doch bestimmt genauso<br />
wenig in der Provinz arbeiten wie ein junger<br />
Deutscher...<br />
Plünnecke: Stimmt. Die gehen lieber nach München<br />
oder Stuttgart statt in die Peripherie, weil die<br />
Großstädte einfach mehr bieten.<br />
Brenke: Und weil es da höhere Löhne gibt. Fachkräfte<br />
in Deutschland sind einfach nicht mobil genug.<br />
Plünnecke: Um dem Fachkräftemangel in so manchem<br />
Ausbildungsberuf entgegenzutreten, brauchen<br />
wir beides: mehr Mobilität innerhalb Deutschlands<br />
und Zuwanderer aus den Regionen Europas<br />
mit bis zu 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit.<br />
Brenke: Aber das Problem wird man mit ausländischen<br />
Fachkräften nicht lösen können. Ein gelernter<br />
Maurer oder Dreher aus Deutschland hat eine ganz<br />
andere Qualifikation als jemand aus dem europäischen<br />
Ausland.<br />
Es ist also leichter, einen Ingenieur zu ersetzen als<br />
einen Maurer?<br />
Plünnecke: Ja, denn eine Berufsausbildung wie in<br />
Deutschland gibt es nur in sehr wenigen Ländern.<br />
Universitäten hingegen gibt es überall auf der Welt –<br />
mit ansatzweise ähnlichen Standards. Einen indischen<br />
Maurer, der deutschen Ansprüchen entspricht,<br />
werden Sie nicht so leicht finden – wohl aber<br />
sehr gute Informatiker und Ingenieure.<br />
Dann holen wir die Inder doch nach Deutschland –<br />
die Blue Card gibt es schließlich seit 2012...<br />
Plünnecke: In Indien orientieren sich die Auswanderer<br />
traditionell eher Richtung Großbritannien<br />
oder USA. Da haben wir einen Nachteil.<br />
Brenke: Mit der Blue Card sollten vor allem billige<br />
Ingenieure, Ärzte und Informatiker nach Deutschland<br />
gelockt werden, mit einem Jahresgehalt von<br />
35 000 Euro – das hat nicht funktioniert. 2013 sind<br />
nur ein paar Tausend Menschen über eine Blue Card<br />
nach Deutschland gekommen. Ein guter Ingenieur<br />
oder Arzt weiß eben auch, was er auf dem Weltmarkt<br />
wert ist.<br />
Plünnecke: Ich verrate Ihnen mal ein Geheimnis,<br />
Herr Brenke: Die 35 000 Euro sind kein vorgeschriebener<br />
Lohn, sondern ein Mindestlohn, den es zu<br />
überspringen gilt. Siemens oder Volkswagen, die ihre<br />
Ingenieure aus Indien holen, zahlen denen sowieso<br />
viel mehr.<br />
Brenke: Das war offensichtlich der gescheiterte Versuch,<br />
Billigingenieure ins Land zu holen.<br />
Plünnecke: Das ist absurd. Wir beide verdienen ja<br />
jetzt auch nicht 8,50 Euro, weil der Mindestlohn eingeführt<br />
wird. Die Politik hat in den vergangenen Jahren<br />
einiges getan, um den drohenden Fachkräftemangel<br />
abzuwenden.<br />
Was denn noch?<br />
Plünnecke: Die Rente mit 67 eingeführt.<br />
Brenke: Die jetzt durch die Rente mit 63 wieder ins<br />
Gegenteil verkehrt wurde. Das ist abstrus. Denn das<br />
widerspricht dem Trend, den wir im Moment sehen:<br />
Menschen arbeiten freiwillig länger als 65. In den<br />
skandinavischen Ländern oder der Schweiz ist das<br />
noch ausgeprägter. Da hat Deutschland noch Luft<br />
nach oben.<br />
Plünnecke: Da stimme ich Ihnen zu. Rente in Richtung<br />
70.<br />
Sie plädieren also schon für das nächste Rentengesetz?<br />
Brenke: Nein. Ich setze eher darauf, dass sowohl<br />
Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer von selbst auf die<br />
Anzeichnen der Knappheit reagieren. Der Jugendwahn<br />
in den Unternehmen, den sich in den Neunzigerjahren<br />
irgendwelche PowerPoint-Helden ausgedacht<br />
haben, damit der Krankenstand sinkt, ist ohnehin<br />
schon vorbei.<br />
n<br />
kristin.schmidt@wiwo.de<br />
9000<br />
Arbeitnehmer, die in<br />
Deutschland in sogenannten<br />
Mangelberufen<br />
– etwa als Ingenieur<br />
oder Informatiker – tätig<br />
sind, haben seit ihrer<br />
Einführung im August<br />
2012 eine EU-Blue-Card<br />
erhalten<br />
Quelle: Bundesamt für Migration<br />
und Flüchtlinge<br />
WETTBEWERB<br />
Deutschlands beste Arbeitgeber<br />
Unternehmen müssen sich immer mehr einfallen lassen, um offene Stellen zu<br />
besetzen. Doch was lockt gute Mitarbeiter an? Ein Betriebskindergarten mit<br />
langen Öffnungszeiten? Freie Wahl von Arbeitsplatz und Arbeitszeit? Oder<br />
ein hohes Gehalt? Unternehmen, die glauben, auf diese Fragen innovative<br />
Antworten gefunden zu haben, können sich jetzt bewerben: Die Wirtschafts-<br />
Woche sucht gemeinsam mit der Dekra die besten Arbeitgeber Deutschlands.<br />
HOCHKARÄTIGE JURY<br />
Der Deutsche Arbeitgeber Award zeichnet Unternehmen aus, die sich besonders<br />
für ihre Mitarbeiter engagieren. Die Bewerbungen werden von der Dekra<br />
durchleuchtet und anschließend von einer hochkarätig besetzten Jury bewertet.<br />
Die Teilnahme am WirtschaftsWoche Arbeitgeber Award ist kostenlos,<br />
Anmeldeunterlagen und ausführliche Informationen zu den Teilnahmebedingungen<br />
finden Sie unter wiwo.de/arbeitgeber-award<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 87<br />
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Management&Erfolg<br />
Ab in den Käfig!<br />
UNTERNEHMERTUM Utz Claassen über den Mut zum Anderssein.<br />
Durchtrainierter Körper, sympathisches<br />
Lächeln, kurze Hose:<br />
Gemessen an Körperbau, Ausstrahlung<br />
und Kleidung, gäbe<br />
Eric Martindale einen guten Dschungelkämpfer<br />
ab. Auf seiner Visitenkarte aber<br />
steht „Developer Evangelist“ – also eine<br />
Art Guru für alles, was mit Digitalisierung<br />
und IT-Fragen zu tun hat.<br />
Zu einer neuen Religionsbewegung<br />
aber gehört Martindale nicht – sondern<br />
zu Bitpay, einer kalifornischen Internet-<br />
Schmiede, die antritt, die Finanzwelt<br />
zu revolutionieren. An der Erkenntnisgrenze<br />
komplexester Quellcodes und<br />
anspruchsvollster Algorithmen spricht<br />
Missionar Martindale von der Zukunft<br />
der Kryptofinanz, als sei alles so einfach<br />
wie ein Baseballspiel. Klar ist: Hier geht<br />
es um nichts weniger als die Ablösung<br />
der jahrhundertealten Bankenwelt, eine<br />
epochale Revolution.<br />
Spätestens wenn Menschen mehr Vertrauen<br />
in die Validität von Internet-Protokollen<br />
haben als in die Stabilität von<br />
Währungen oder die Integrität von Banken,<br />
wird das globale Finanzsystem vor<br />
disruptiven Veränderungen stehen.<br />
Dann könnten Bitcoins das Gold der<br />
Zukunft werden.<br />
GRENZEN AUSTESTEN<br />
Martindale akzeptiert sein Gehalt zu 100<br />
Prozent in Bitcoins. Die Dollar, die er für<br />
den Alltag braucht, kann er sich als<br />
Käfigkämpfer beschaffen. Dort hat er gelernt, die Grenzen seines<br />
Mutes und seines Körpers auszutesten.<br />
Man stelle sich einmal vor, Siemens-Primus Joe Kaeser wäre<br />
tagsüber im Nadelstreifenanzug auf Hauptversammlungen oder<br />
Diskussionsrunden im öffentlich-rechtlichen TV zu sehen – und<br />
nachts auf einem Pay-TV-Kanal als schweiß- oder blutüberströmter<br />
Käfigkämpfer. Zugegeben: Man kann sich weniger schmerzhafte<br />
Formen der Start-up-Finanzierung vorstellen. Ungeachtet dessen<br />
ist Toleranz für Individualität eine zwingende Voraussetzung,<br />
nicht zu viele Talente und zu viel unternehmerische Kraft rechts<br />
und links der Straße liegen zu lassen. Denn Menschen wie Eric<br />
Martindale sind nicht nur extrem, sie können auch extrem viel<br />
Wert für ihre Unternehmen schaffen:<br />
n durch radikales Querdenken und kompromissloses Hinterfragen<br />
– wie man es unter den Top-Managern eines Dax-Konzerns<br />
Claassen, 51, war CEO beim Biotech-Unternehmen<br />
Sartorius und bei dem Energiekonzern<br />
EnBW. Derzeit ist er Anteilseigner und Verwaltungsrat<br />
beim Fußballclub RCD Mallorca.<br />
»Toleranz für Individualität<br />
ist Voraussetzung,<br />
nicht zu viele Talente<br />
und unternehmerische<br />
Kraft liegen zu lassen«<br />
allenfalls von VW-Aufsichtsratschef Ferdinand<br />
Piëch kennt;<br />
n durch leidenschaftliches, fast religiöses<br />
Eintreten für eine Idee sowie echte Leidensfähigkeit<br />
– wie man sie von Martindale<br />
bei YouTube unter dem Titel „Fight to<br />
the Finish“ bestaunen kann;<br />
n durch kreative Zerstörung und disruptive<br />
Innovation – wie Apple-Mitgründer<br />
Steve Jobs sie gefordert und vorgelebt hat.<br />
DIE WELT VERÄNDERN<br />
Die gute Nachricht:Martindale ist nicht allein.<br />
Cyberspace-Experte Farzan Fallah,<br />
der bereits mehr als 20 Patente sowie erfolgreiche<br />
Stationen am Massachusetts<br />
Institute of Technology, an der Stanford<br />
University sowie den Konzernen Fujitsu,<br />
Siemens und NEC vorweisen kann, will mit<br />
dem Start-up idelan die Welt der Smart<br />
Watches und Smart Glasses verändern.<br />
Oder Tan Le, die Gründerin von Emotiv:<br />
Sie hat sich aufgemacht, mit ihren einfach<br />
zu benutzenden, drahtlosen Elektroenzephalografie-Systemen<br />
die Welt der<br />
Neuropsychologie zu revolutionieren und<br />
die Gehirnforschung zu demokratisieren.<br />
Was also können wir von den Les,<br />
Fallahs oder Martindales lernen? Was<br />
sollten wir verändern?<br />
1. Mehr Mut und Einsatz, weniger Komfortzone!<br />
Die Vollkasko-Gesellschaft führt<br />
nicht weiter, der tägliche Fitnessstudio-<br />
Besuch schafft keine Innovation.<br />
2. Weniger Neid auf Erfolg, aber auch<br />
weniger Stigmatisierung des Scheiterns! Im Silicon Valley vertraut<br />
man oft erst dem, der schon zweimal pleitegegangen ist.<br />
3. Mehr Leistungsorientierung, weniger Verhaltenselite!<br />
Bei Google und Co. entstehen Wirtschaftsmächte mit T-Shirt und<br />
Cola-Dose.<br />
4. Mehr Querdenken, weniger Anpassungsopportunismus!<br />
Echter Fortschritt wird nie von Ja-Sagern geschaffen, weder in der<br />
alten noch in der postmodernen Ökonomie.<br />
5. Mehr Freiraum für Individualität!<br />
Käfigkämpfende Visionäre mit einem IQ von 180 aufwärts<br />
würden bei uns als Exzentriker belächelt. Doch auch wir brauchen<br />
diese Kombination von Dschungelkampf und Vision, von Intelligenz<br />
und Mut, von Ökonomie und Mission, von Individualität<br />
und Innovation. Ab in den Käfig! Und raus aus den Fesseln der<br />
Konventionen!<br />
n<br />
FOTO: LAIF/STEFAN THOMAS KROEGER<br />
88 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Geld&Börse<br />
Die Liquiditätsparty<br />
läuft weiter<br />
GELDANLAGE | Notenbanken werden die Finanzmärkte 2015 weiter mit Geld fluten und<br />
Wertpapiere kaufen. Steigen werden die Zinsen allenfalls in den USA. Für Sparbuch-<br />
Liebhaber ist das bitter. Aktien werden profitieren; aber Anleger sollten auch Geld in<br />
Anleihen stecken – und, sicher ist sicher, etwas Gold halten.<br />
Wenn Mario Draghi „den<br />
Finger am Abzug hat“, wie<br />
Commerzbank-Analyst Ulrich<br />
Leuchtmann das<br />
nennt, dann droht zwar<br />
kein Krieg. Aber auch der Präsident der Europäischen<br />
Zentralbank (EZB) führt einen<br />
Feldzug: gegen Preisverfall, Reformmüdigkeit,<br />
Schulden. Und wie in jedem Krieg gibt<br />
es Kollateralschäden: Draghi trifft das Geld<br />
der Sparer, ihre Altersvorsorge.<br />
Aussagen von Notenbankern, ihre Entscheidungen,<br />
selbst Untätigkeit bewegen<br />
Anleihen, Aktien und Gold und sind auch<br />
maßgeblich für den Sparbuch- und Tagesgeldzins.<br />
Noch nie wurden Anleger so stark<br />
von der Politik der Notenbanken getrieben,<br />
noch nie war so wichtig, was nach den geheimbündlerisch<br />
anmutenden Sitzungen<br />
der US-Notenbank Fed in Washington öffentlich<br />
gesagt, der EZB in Frankfurt nicht<br />
gesagt oder bei der Bank of Japan in Tokio<br />
denn so beschlossen wird.<br />
IN TREUE FEST ZUM BANKKONTO<br />
Ziemlich sicher ist: Auf üblichen Sparkonten<br />
wird es nach jüngsten spektakulären<br />
Notenbank-Beschlüssen auch 2015 kaum<br />
Zins geben; Strafzinsen belasten jetzt<br />
schon Fondsanleger (siehe Seite 92). Trotzdem<br />
halten deutsche Anleger in Treue an<br />
ihren Nullzinsanlagen fest. Das Sparbuch<br />
ist laut einer aktuellen Umfrage der Nürnberger<br />
GfK für knapp die Hälfte der Deutschen<br />
die beliebteste Anlageform. Mehr als<br />
2000 Milliarden Euro bunkern deutsche<br />
Sparer in der Zinswüste der Sparbücher,<br />
Tagesgeld- und Festgeldkonten, den Großteil<br />
davon schon seit Jahren. Fatal. Denn<br />
nachdem die EZB im September den Leit-<br />
zins auf nur noch 0,05 Prozent<br />
senkte, rutschten vor allem die<br />
Sparzinsen noch einmal näher<br />
an die Nulllinie, nach Abzug<br />
der Inflation steht ein Verlust<br />
an Kaufkraft. Wer ein Sparbuch<br />
mit einem Guthaben über<br />
10 000 Euro hält, bekommt aktuell<br />
alle zwölf Monate vielleicht<br />
0,2 Prozent gutgeschrieben,<br />
erst 20 Euro, dann ein paar<br />
Cent mehr. Es geht also stetig<br />
nach oben – auf dem Papier.<br />
Denn selbst eine geringe Inflation<br />
von zuletzt hierzulande<br />
0,8 Prozent knabbert am Vermögen:<br />
Abzüglich Preissteigerung<br />
sind 10 020 Euro real nur<br />
noch 9939,84 Euro wert. Wer<br />
sich nicht in die Tasche lügt,<br />
sollte wissen, dass klassische<br />
Kurzfristanlagen sukzessive<br />
Kapital wegfressen. Schwankungen<br />
gibt es auch da keine:<br />
Es geht nur nach unten.<br />
Anleger sollten deshalb in die Wirtschaft<br />
investieren, sagt Ulrich Kater, Chefvolkswirt<br />
der DekaBank in Frankfurt. Dazu<br />
müssten sie bereit sein, breit zu streuen „in<br />
Aktien, in Unternehmensanleihen oder<br />
auch eventuell in offene Immobilienfonds“.<br />
Denn die Politik der Notenbanker weist<br />
auch den Ausweg, über Ankäufe von Wertpapieren<br />
treiben sie die Aktienkurse (siehe<br />
Grafik rechts). Weil sich das Angebot an<br />
Festzinsanleihen verknappt, steigen deren<br />
Kurse. Gegenläufig sinken die Renditen,<br />
die sich als Zinskupon durch Kurs errechnen.<br />
Aktien werden gegenüber Festzinspapieren<br />
deshalb immer attraktiver.<br />
Serie/Teil I<br />
Strategie 2015<br />
Verdienen mit Aktien<br />
und Anleihen Seite 90<br />
Strafzinsen Seite 92<br />
Was Fondsmanager<br />
jetzt raten Seite 100<br />
Heft 48<br />
Anlegen in den<br />
Schwellenländern<br />
Heft 49<br />
Rentenfonds: Wer<br />
schlägt die Inflation?<br />
Die Summen an Kapital, die<br />
mit diesen Käufen in die Bilanzen<br />
der Notenbanken gesogen<br />
werden, sind enorm gewachsen:<br />
Auf das 4,5-Fache oder annähernd<br />
4500 Milliarden Dollar<br />
hat die US-Notenbank ihre<br />
Bilanzsumme aufgepumpt seit<br />
dem Fall von Lehman Brothers<br />
im September 2008. Seither<br />
legte der wichtigste Börsenindex<br />
der Welt, der amerikanische<br />
S&P 500, inklusive Dividenden<br />
um 85 Prozent zu; wer<br />
den S&P-500-Panik-Tiefstand<br />
im Januar 2009 erwischte, gewann<br />
bis dato sogar 270 Prozent.<br />
Zum Vergleich: Tagesgeld<br />
bei einer durchschnittlichen<br />
Sparkasse hat seither rund fünf<br />
Prozent Zuwachs gebracht.<br />
Und die Flut ebbt nicht ab.<br />
Zwar hat die US-Notenbank<br />
Ende Oktober unter der Ägide<br />
ihrer neuen Chefin Janet Yellen ihr ursprünglich<br />
monatlich 85 Milliarden Dollar<br />
schweres Ankaufprogramm beendet. Ein<br />
Ende der lockeren Geldpolitik sei damit<br />
aber nicht markiert, sondern nur „das Maximum<br />
der Lockerung“, so Paul Sheard, Chefvolkswirt<br />
von S&P Capital IQ in New York.<br />
Zudem übernahm – pünktlich zum Ende<br />
des Fed-Ankaufprogramms – Tokios Zentralbankchef<br />
Haruhiko Kuroda die Flutung<br />
der Welt-Finanzmärkte. Statt wie bisher<br />
umgerechnet 450 Milliarden Dollar in die<br />
Anleihne- und neun Milliarden Dollar in<br />
die Aktienmärkte zu pumpen, sollen künftig<br />
pro Jahr 725 Milliarden und 27 Milliarden<br />
Dollar fließen. Es könnte auch mehr<br />
»<br />
FOTO: BERT BOSTELMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
90 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Wer traut sich?<br />
Bulle auf dem Börsenplatz<br />
in Frankfurt<br />
Notenbanken kaufen Wertpapiere an und treiben so die Aktienkurse<br />
Bilanzsummen der US-Notenbank Fed, der Bank of Japan und der Europäischen Zentralbank (EZB);<br />
Entwicklung der Aktienkursindizes S&P 500, Nikkei und Dax (in Punkten)*<br />
Projektion<br />
Projektion<br />
Projektion<br />
2000<br />
5000 18000<br />
400 5000<br />
3200<br />
1800 S&P 500<br />
16000<br />
4500 Dax<br />
3000<br />
1600<br />
4000<br />
14000<br />
Nikkei<br />
300 4000<br />
1400<br />
3000 12 000<br />
1200<br />
3500<br />
2400<br />
200<br />
1000<br />
10 000<br />
3000<br />
Fed<br />
2000<br />
EZB<br />
2000<br />
800<br />
8000<br />
Bank of 100 2500<br />
1000<br />
Japan<br />
in Milliarden Dollar<br />
in Billionen Yen<br />
in Milliarden Euro<br />
600<br />
0 6000<br />
0 2000<br />
2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2008 2009 201020112012201320142015<br />
2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 1400<br />
* reine Kursentwicklung ohne Dividenden; logarithmische Darstellung; Quelle: Bloomberg, Thomson Reuters, BoJ, Bantleon<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 91<br />
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Geld&Börse<br />
MINUSZINS<br />
Sparen und strafen<br />
Banken knöpfen Profianlegern Zins ab – das hat Folgen für Privatsparer.<br />
Von links nach rechts und wieder nach<br />
links: Asoka Wöhrmann tigert bei seinem<br />
Vortrag auf der Bühne umher, als ob ihn<br />
jemand verfolgte. Den Chef-Anlagestrategen<br />
treiben die Strafzinsen auf Bankguthaben<br />
um. „Wir kommen in eine neue<br />
Epoche“, ruft er den Zuhörern auf dem<br />
WirtschaftsWoche Investmentgipfel in<br />
Frankfurt zu. Rechts. „Vor ein paar Monaten<br />
hätte ich das nicht geglaubt“, links,<br />
„aber die negativen Zinsen der Europäischen<br />
Zentralbank werden auf die Ökonomie<br />
durchschlagen“, sagt Wöhrmann.<br />
Der 49-jährige Deutschbanker verantwortet<br />
bei der Deutschen Asset & Wealth<br />
Management die Anlagestrategie für eine<br />
Billion Euro. Es ist auch Geld privater Sparer,<br />
allein in Publikumsfonds der zugehörigen<br />
DWS liegen 178 Milliarden Euro.<br />
FONDS ZUR KASSE GEBETEN<br />
Mancher Fondsmanager hat in diesen<br />
Tagen Grund zum Ärger: Depotbanken<br />
wie State Street oder BNY Mellon, bei<br />
denen Verwalter großer Vermögen Milliarden<br />
Euro auf dem Konto lagern, ziehen<br />
denen neuerdings 0,2 Prozent Zins auf<br />
Kassenbestände ab. Die DZ Privatbank in<br />
Luxemburg hat erst in diesen Tagen angekündigt,<br />
dass sie institutionellen Kunden<br />
ab dem 15. November gar 0,25 Prozent<br />
pro Jahr auf Euro-Guthaben abziehen will.<br />
Freundliche Grüße.<br />
Die DZ Privatbank, die zur Gruppe der<br />
Volks- und Raiffeisenbanken gehört, begründet<br />
das mit der Zinssenkung der Europäischen<br />
Zentralbank <strong>vom</strong> 5. Juni. Die<br />
verlangt von Banken, die Geld bei ihr parken,<br />
0,2 Prozent Zins – kleine Strafe, weil<br />
sie es nicht an Unternehmen verleihen.<br />
Was zunächst klingt wie ein Problem<br />
der Profianleger, trifft über Fonds oder<br />
Lebensversicherung nahezu jeden. Die<br />
DZ Privatbank etwa betreut und verwaltet<br />
rund 600 Fonds. Betroffen von den negativen<br />
Zinsen ist dort das Bargeld, das<br />
Fondsmanager halten, etwa als Reserve<br />
für den Fall, dass Kunden Geld abziehen<br />
oder der Manager neue Papiere kaufen<br />
will. Bei einzelnen Fonds liegen bis zu<br />
30 Prozent des von Anlegern eingezahlten<br />
Geldes in der Kasse – etwa beim Immobilienfonds<br />
UniImmoDeutschland von Union<br />
Investment. Bei einem Fondsvolumen<br />
von zehn Milliarden Euro stehen dort drei<br />
Milliarden Euro für Immobilienkäufe und<br />
Auszahlungen an Anleger bereit. Würden<br />
hierfür 0,2 Prozent Minuszins fällig, fehlten<br />
Anlegern jährlich sechs Millionen Euro.<br />
Union Investment ist ein großer Kunde<br />
der DZ Privatbank. Das Haus bestätigt,<br />
dass „einzelne Depotbanken“ den Negativzins<br />
der Zentralbank „an Union Investment<br />
weitergeben“. Man schichte daher Liquidität<br />
um oder lege in Festgeld oder Geldmarktfonds<br />
an. Andere Häuser halten nun<br />
Termingelder statt Cash. Wieder andere<br />
kaufen schlicht das, wofür sie bezahlt werden:<br />
Aktien etwa.<br />
Jürgen Fitschen, Co-Chef der Deutschen<br />
Bank, schließt Strafzinsen auch auf Einlagen<br />
privater Kunden nicht aus. „Jedes einzelne<br />
Institut muss sich mit dem Thema<br />
auseinandersetzen“, sagte Fitschen jetzt in<br />
seiner Funktion als Präsident des Bundesverbands<br />
deutscher Banken.<br />
Die Deutsche Skatbank, die als Direktbank-Tochter<br />
der Volks- und Raiffeisenbank<br />
Altenburger Land wie die DZ Privatbank zur<br />
Neue Epoche Negativzins frisst sich durch<br />
das Bankensystem, glaubt Wöhrmann<br />
genossenschaftlichen Gruppe gehört, hat<br />
es kürzlich vorgemacht und den Strafzins<br />
auch an Endkunden weitergegeben. Allerdings<br />
wird die Regel nur ab einer Gesamteinlage<br />
von über drei Millionen Euro angewandt.<br />
Negative Zinsen seien finanzhistorisch<br />
einmalig, schimpft Vermögensverwalter<br />
Bert Flossbach. Wie stark Privatanleger<br />
betroffen sind, zeigen Zahlen aus der<br />
Welt der Lebensversicherer. Sie legen gigantische<br />
811 Milliarden Euro an – davon<br />
stecken 238 Milliarden in Fonds. Knapp<br />
11,4 Milliarden sind zudem in Tages-,<br />
Termin- oder Festgeldern geparkt. Viel<br />
Holz, das selbst Anlageprofis nicht so<br />
eben umschichten dürften, ohne die Preise<br />
alternativer Produkte zu treiben.<br />
WIE EIN KONJUNKTURPROGRAMM<br />
Die Präsidentin der Finanzaufsicht BaFin<br />
muss daher aufpassen, dass keine neuen<br />
Ungleichgewichte entstehen; vor allem<br />
dann nicht, falls negative Zinsen flächendeckend<br />
auf private Guthaben kommen<br />
sollten: „Wenn die Menschen für ihr Erspartes<br />
keine Zinsen mehr bekommen<br />
und sie das Geld ausgeben, können neue<br />
Blasen entstehen, etwa in den Immobilienmärkten.<br />
Aktuell sind alle Zutaten für<br />
die nächste Blase da“, sagt Elke König.<br />
Damit eine Blase zum Problem werde,<br />
müssten laut König drei Dinge gegeben<br />
sein: Erstens müssten sich die Preise<br />
exorbitant entwickelt haben, zweitens<br />
müsse es hohe Verschuldung geben und<br />
drittens laxe Kriterien bei der Kreditvergabe.<br />
Nur der erste Punkt ist bislang erfüllt.<br />
Aber nicht nur hohe Schulden, sondern<br />
auch hohe Guthaben könnten die nächste<br />
Anlageblase aufpumpen. Die Deutschen<br />
parken über 2000 Milliarden Euro auf<br />
Kurzfristkonten und Sparbüchern. Wären<br />
die alle von Negativzinsen bedroht, könnten<br />
die Menschen ihr Erspartes in Sicherheit<br />
bringen – und es doch noch investieren:<br />
in Aktien, Anleihen, Gold oder das<br />
Haus.<br />
Oder sie konsumieren einfach. „Negative<br />
Zinsen auf Sparguthaben können sich<br />
als verstecktes Konjunkturprogramm auswirken,<br />
wenn die Menschen anfangen,<br />
das Geld auszugeben“, sagt König. Dann<br />
hätte der sparerschindende Strafzins<br />
immerhin einen positiven volkswirtschaftlichen<br />
Effekt.<br />
n<br />
annina.reimann@wiwo.de | Frankfurt,<br />
heike schwerdtfeger | Frankfurt<br />
FOTOS: BERT BOSTELMANN, BLOOMBERG NEWS/MARTIN LEISSL<br />
92 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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»<br />
Noch Reserven EZB-Chef Draghi wird<br />
Wertpapierkäufe ausdehnen<br />
werden: „Ich glaube nicht, dass es eine<br />
Grenze gibt“, so Kuroda. Die Märkte reagierten<br />
prompt: Japanische Aktien schossen<br />
binnen Stunden um fast fünf Prozent nach<br />
oben, auf den höchsten Stand seit Ende<br />
2007. Der Yen brach zum Dollar auf ein<br />
Siebenjahrestief ein. Der „japanische Paukenschlag“<br />
(Bankhaus Metzler) hallte bis an<br />
die Börsen in Frankfurt und New York.<br />
Am vergangenen Mittwoch erst signalisierte<br />
die Bank of England, dass auch in<br />
London die Zinsen nicht so schnell wie bisher<br />
erwartet erhöht werden. Die Notenbanken<br />
fluten weiter, die rekordtiefen Anleihenrenditen<br />
bleiben unten, Aktien relativ<br />
attraktiv; diese Botschaft eilte um den Globus.<br />
Auch Privatanleger sollten sie hören.<br />
„Anleger, die nicht bereit sind, gewisse<br />
Risiken einzugehen, erhalten eben keinen<br />
Zins mehr“, sagt Kater von der DekaBank.<br />
Die Risiken zeigen sich in einer höheren<br />
kurzfristigen Schwankungsbreite der Kurse.<br />
Der Dax etwa legte 2014 erst sechs Prozent<br />
zu, stürzte dann um 15 Prozent ab und<br />
gewann danach wiederum bis dato neun<br />
Prozent, Dividendenzahlungen aus diesem<br />
Frühjahr, die rund drei Prozentpunkte<br />
plus beitrugen, mit eingerechnet. Die<br />
Schwankungsbreite der durchschnittlichen<br />
Rendite bei Aktien minimiert sich<br />
aber für diejenigen, die einen langen Investmenthorizont<br />
haben. Bei einer Anlage<br />
über 20 Jahre im Dax lag die Verlustwahrscheinlichkeit<br />
bei null, so eine Analyse der<br />
Deutschen Asset & Wealth Management<br />
(Deutsche AWM).<br />
„Aktien sollten für denjenigen, der langfristig<br />
eine Altersvorsorge aufbauen will,<br />
auf jeden Fall dabei sein“, sagt Christoph<br />
Niesel, Portfoliomanager bei Union Investment<br />
in Frankfurt. „Anleger sollten aber<br />
nicht all ihr Geld auf einmal an den Aktienmarkt<br />
tragen, sondern sukzessive Positionen<br />
auf- und ausbauen“, sagt Niesel.<br />
Idealerweise sollten Anleger im Alter<br />
zwischen 30 und 50 Jahren Aktienanteile<br />
erwerben, die in der Spitze durchaus bei 70<br />
Prozent des Depots liegen dürfen. Bis zur<br />
Rente werden Aktien dann gehalten und<br />
später verfrühstückt. Auch 55- oder 70-<br />
Jährige dürfen raus aus dem Sparbuch. Sie<br />
müssen nur wissen, dass sie möglicherweise<br />
Verluste am Aktienmarkt nicht mehr<br />
vollständig ausgleichen können, wenn sie<br />
kurzfristig Geld benötigen sollten.<br />
Auch wenn die Notenbanker die Märkte<br />
dirigieren, gibt es naturgemäß andere<br />
»<br />
Lieber in Unternehmen investieren<br />
Zehn Aktien mit aussichtsreicher Langfristperspektive: die wichtigsten Kennzahlen, was für einen Kauf spricht<br />
Aktie/Branche/Land<br />
Allianz/Versicherung/Deutschland<br />
Verspricht eine stabile bis steigende, sehr hohe Dividende; spätestens 2016 dürften sieben Euro je Aktie fließen. Konzern hat Kapitalüberschuss – das schützt bei Turbulenzen<br />
BASF/Chemie/Deutschland<br />
Der Weltmarktführer ist eine Wette auf eine langfristig bessere Konjunktur. Gute Dividenden, tragbare Schulden und hohe Mittelzuflüsse federn Anlagerisiko ab<br />
BB Biotech/Biotechnologie-Holding/Schweiz<br />
Investieren in aussichtsreiche Biotechs mit Schwerpunkten Krebs, seltene Krankheiten, Infektionen. Gut gestreut über 5 große, 6 mittlere, 23 kleinere Beteiligungen<br />
Daimler/Automobil/Deutschland<br />
Von allem Nichtkerngeschäft befreit, laufen die Stuttgarter zu Hochform auf. Sprunghafter Anstieg der Mittelzuflüsse, niedrige Gewinnbewertung, gute Rendite<br />
Fielmann/Brillenhandel/Deutschland<br />
Hoch bewertet und trotzdem Erfolg versprechend wegen Nettoliquidität von über 300 Millionen Euro, sehr hohe Eigenkapitalquote von 71,3 Prozent, stetiges Erlöswachstum<br />
Fuchs Petrolub Vz./Schmierstoffe/Deutschland<br />
Umsatz 2009 bis 2013 um 56 Prozent und Gewinn um 81 Prozent gesteigert. Hat über 100000 Kunden und 10000 Produkte. In der Nische Nummer eins<br />
Hermle Vz./Fräsmaschinen/Deutschland<br />
Schwäbische Solidität par excellence. Auf Schulden verzichtet der gut 300 Millionen Euro Umsatz schwere Spezialanbieter ganz, wächst dieses Jahr sogar überproportional<br />
Microsoft/Software/USA<br />
Der alte Softwareriese ist aus seiner Lethargie erwacht und blüht mit Smartphones und Tablets wieder auf. Cash-Maschine mit gut 65 Milliarden Dollar auf der hohen Kante<br />
Procter & Gamble/Konsumgüter/USA<br />
Dass große Konzerne sehr profitabel bleiben können, zeigt der Pampers-Hersteller. 12 Milliarden Gewinn bei 83,2 Milliarden Dollar Umsatz werden per 30. Juni 2015 erwartet<br />
Total/Öl und Gas/Frankreich<br />
ISIN<br />
DE0008404005<br />
DE000BASF111<br />
CH0038389992<br />
DE0007100000<br />
DE0005772206<br />
DE0005790430<br />
DE0006052830<br />
US5949181045<br />
US7427181091<br />
FR0000120271<br />
Börsenwert<br />
(in Milliarden Euro)<br />
59,8<br />
63,3<br />
2,1<br />
65,4<br />
4,3<br />
4,4<br />
0,2<br />
326,2<br />
285,6<br />
108,7<br />
Kurs<br />
(in Euro)<br />
In den vergangenen fünf Jahren schüttete Total insgesamt gut 25 Euro an Dividende aus, das macht die Aktie des global agierenden 200-Milliarden-Konzerns anleiheähnlich<br />
1 geschätzt; 2 1 = niedrig, 10 = hoch; 3 Ausschüttung 2014, umgerechnet; 4 2014 inkl. Sonderausschüttung; 5 umgerechnet; Quelle: Bloomberg; Stand: 13. November 2014<br />
130,90<br />
68,97<br />
178,45<br />
61,16<br />
51,52<br />
31,65<br />
172,50<br />
39,59<br />
71,24<br />
45,48<br />
Stoppkurs<br />
(in Euro)<br />
98,00<br />
48,00<br />
118,00<br />
39,0<br />
34,00<br />
19,00<br />
119,0<br />
25,0<br />
54,00<br />
29,0<br />
Dividende<br />
(in Euro) 1<br />
6,40<br />
2,80<br />
8,40 3<br />
2,44<br />
1,60<br />
0,77<br />
8,05 4<br />
0,93 5<br />
2,07 5<br />
2,50<br />
Dividendenrendite<br />
(in Prozent) 1<br />
4,9<br />
4,1<br />
4,7 3<br />
4,0<br />
3,1<br />
2,4<br />
4,7 4<br />
2,3<br />
2,8<br />
5,5<br />
Kurs-Gewinn-<br />
Verhältnis<br />
2015 1<br />
9,6<br />
10,9<br />
–<br />
9,0<br />
25,8<br />
19,3<br />
16,5<br />
17,5<br />
20,5<br />
9,8<br />
Chance/<br />
Risiko 2<br />
5/4<br />
6/5<br />
7/6<br />
5/3<br />
5/4<br />
5/4<br />
6/5<br />
5/4<br />
6/5<br />
5/3<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 93<br />
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Geld&Börse<br />
Wartet noch ein Weilchen Fed-Chefin<br />
Yellen lässt die Leitzinsen erst mal unten<br />
Noch nie wurden Anleger so stark von<br />
der Politik der Notenbanken getrieben<br />
»<br />
Faktoren, die Anleger beachten sollten.<br />
Auf die Kurse drückt aktuell, dass einige<br />
große Dax-Konzerne bei der Vorlage ihrer<br />
jüngsten Geschäftszahlen Konjunktursorgen<br />
geäußert haben. BASF als weltgrößter<br />
Chemiekonzern, der Industriegasehersteller<br />
Linde, ebenfalls Weltmarktführer,<br />
und Europas größter Luftfahrtkonzern<br />
Lufthansa schraubten ihre Geschäftserwartungen<br />
ebenso herunter wie viele Maschinen-<br />
und Anlagenbauer.<br />
WENIG ABSTURZGEFAHR<br />
Und der Dax ist, gemessen an den bisherigen<br />
Ergebnissen, teuer: Anleger bezahlen<br />
für die Dax-Aktien im Schnitt das fast<br />
17-Fache der Gewinne der vergangenen<br />
vier Quartale. Knackig günstig wäre ein<br />
Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) um zehn.<br />
Ähnlich hoch ist der Zuschlag auf das in<br />
Maschinen, Immobilien und immateriellen<br />
Gütern steckende Vermögen der Dax-<br />
Konzerne. Auf diesen Buchwert zahlen Investoren<br />
eine Prämie von 60 Prozent. Das<br />
Kurs-Buchwert-Verhältnis liegt damit bei<br />
1,6. Die Dividendenrendite schließlich, die<br />
Ausschüttung, gemessen an den aktuellen<br />
Aktienkursen, ist mit derzeit 2,9 Prozent<br />
auch nicht überbordend. Günstig wäre der<br />
Dax bei einem Kurs-Gewinn-Verhältnis<br />
von 10, einem Kurs-Buchwert von 1,0 und<br />
einer Dividendenrendite von 5,0 Prozent.<br />
Dazu müsste er erst um rund 40 Prozent<br />
fallen, auf 5500 Punkte.<br />
Doch die Gefahr eines solchen Absturzes<br />
ist gering, mangels Alternativen. Die<br />
Dividendenrendite von 2,9 Prozent ist immer<br />
noch dreimal so hoch wie die Rendite<br />
von sicheren Anleihen mit einer Fälligkeit<br />
in sieben bis acht Jahren – und anders als<br />
Aktien bieten die kaum noch Kursfantasie.<br />
Solange das so bleibt, könnten die Aktienmärkte<br />
zwar durchaus zurückfallen, sie<br />
werden aber wahrscheinlich keinen Crash<br />
hinlegen. „Den perfekten Zeitpunkt für einen<br />
Einstieg gibt es ohnehin nie“, so Niesel,<br />
der aber Luft für positive Überraschungen<br />
sieht. „Der niedrige Ölpreis und der schwächere<br />
Euro wirken wie ein kleines Konjunkturprogramm“,<br />
sagt er. Das dürften die Börsen<br />
schon in der Hoffnung auf eine bessere<br />
Konjunktur 2016 in nächster Zeit „vorwegnehmen“,<br />
sprich mit höheren Kursen quittieren.<br />
„Transport, Konsum, der Autosektor<br />
und exportorientierte Unternehmen“ sind<br />
für den Union-Investment-Fondsmanager<br />
daher interessant.<br />
Die Strategen des Hamburger Analysehauses<br />
Bantleon schätzen für den Dax 2015<br />
sogar neue Höchststände „jenseits von<br />
11 000 Punkten“. Und in der laufenden<br />
Quartalsberichtssaison ist auch nicht alles<br />
schlecht. So katapultierte sich die Allianz in<br />
Wertvolle Versicherung<br />
Goldpreis je Feinunze seit 15 Jahren<br />
(in Dollar)*<br />
99 2005 2010 2014<br />
* logarithmisch; Quelle: Bloomberg<br />
1900<br />
1000<br />
500<br />
200<br />
die Liga der ehrenwerten Dividendenzahler.<br />
Der Versicherer will künftig die Hälfte<br />
des Nettogewinns statt bisher nur 40 Prozent<br />
an die Anteilseigner ausschütten. Sinken<br />
soll die Dividende überhaupt nicht<br />
mehr. Anleger dürfen nun auf eine Ausschüttungsrendite<br />
von rund fünf Prozent<br />
spekulieren. Vor Steuern hätten sie dann<br />
binnen 20 Jahren ihren Einsatz wieder<br />
drinnen – der dann aktuelle Kurs der Allianz-Aktie<br />
wäre ihr Gewinn.<br />
Bei kleineren Werten schaut Niesel darauf,<br />
dass deren Geschäftsmodell nicht<br />
gleich bei einer Krise infrage gestellt wird.<br />
Bewährt sind etwa der Schmierstoffhersteller<br />
Fuchs Petrolub und der Brillenhändler<br />
Fielmann. Wer dazu dividendenstarke<br />
Auslands-Papiere wie den französischen<br />
Ölgiganten Total beimischt, sollte<br />
auf lange Sicht gut fahren. „Wer global<br />
denkt, der kommt auch an US-Aktien nicht<br />
vorbei, auch wenn diese vergleichsweise<br />
teuer sind“, so Niesel. Aussichtsreich und<br />
kaum aus ihren Geschäften zu verdrängen<br />
sind Microsoft oder Procter & Gamble<br />
(siehe Tabelle Seite 93).<br />
BESSER ANLEIHEN KAUFEN<br />
Auch mit Zinsanlagen verdienten Anleger<br />
zuletzt gut. Nur eben nicht mit Angeboten<br />
von der Bank, sondern mit Anleihen, dank<br />
sinkender Renditen und steigender Kurse.<br />
Allein in diesem Jahr gewannen Anleger<br />
mit zehnjährigen Bundesanleihen inklusive<br />
Zins bisher schon 13 Prozent. Mit plus<br />
22,5 und plus 27,5 Prozent legten zehnjährige<br />
spanische und portugiesische Papiere<br />
noch deutlich stärker zu.<br />
Fallende Renditen und steigende Kurse<br />
gab es aber nicht nicht nur bei Staatsanleihen.<br />
Für Papiere von bonitätsstarken europäischen<br />
Unternehmen etwa erhalten Investoren<br />
nur noch halb so viel Rendite wie<br />
vor Jahresfrist. Riskante Schrottpapiere liefern<br />
ein Drittel weniger ab, so eine Analyse<br />
der Hamburger Absolut Research. Der Effekt:<br />
Eine noch gut neun Jahre lang laufende<br />
Anleihe des Chemiekonzerns BASF<br />
bringt aktuell nur 1,2 Prozent Rendite pro<br />
Jahr. Solche Mickerzinsen spiegeln nicht<br />
das Risiko wider, dass die Zinsen langfristig<br />
auch einmal steigen könnten und dann die<br />
Kurse am Anleihenmarkt auf die Rutschbahn<br />
gerieten. Und sie spiegeln schon gar<br />
nicht das Risiko wider, dass Anleihenschuldner<br />
auch pleitegehen können. Wer<br />
heute keine Anleihen im Depot hat,<br />
»<br />
FOTO: BLOOMBERG NEWS/ANDREW HARRER<br />
94 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Geld&Börse<br />
Billiges Geld für Berlin<br />
Durchschnittsrendite von Bundesanleihen<br />
(in Prozent)*<br />
4,8<br />
2,0<br />
1,0<br />
0,5<br />
2008 2010 2012 2014<br />
* sogenannte Umlaufrendite; logarithmisch;<br />
Quelle: Bloomberg<br />
»<br />
kommt aber nicht zwingend zu spät,<br />
wenn er denn geduldig über Jahre die Rückzahlung<br />
der Papiere abwarten kann.<br />
Schuldverschreibungen gehören in ein ausgewogenes<br />
Depot, allerdings in der Mehrzahl<br />
nur solche von bonitätsstarken Emittenten,<br />
die Stürme überstehen können.<br />
Diese Unternehmensanleihen bieten eine<br />
kalkulierbare Verzinsung und haben in der<br />
Regel einen festen Rückzahlungszeitpunkt.<br />
Empfehlenswert sind etwa in Euro<br />
notierte Anleihen des Stahlwerkers Voestalpine,<br />
des südwestdeutschen Versorgers<br />
EnBW oder von Adidas. Sie bringen 1,7 bis<br />
2,5 Prozent Rendite pro Jahr (siehe Tabelle).<br />
Deutlich darunter liegen die Renditen<br />
im kurzen Laufzeitenbereich, und „sie werden<br />
sehr niedrig bleiben“, sagt Karsten<br />
Rosenkilde, Portfoliomanager bei Deutsche<br />
AWM. Er kauft Papiere, die für Privatanleger<br />
in der Regel zu komplex sind.<br />
Nachranganleihen von VW oder Bayer etwa,<br />
die noch gute Zinsen bringen. Seit 2006<br />
gab es nur ein Jahr, in dem der Fonds ins<br />
Minus rutschte. Rosenkilde nennt „drei<br />
Prozent pro Jahr“ als Renditeziel.<br />
VON INFLATION KEINE SPUR<br />
Die beste Botschaft für Zinsanleger aber<br />
ist: Von Inflation, die Realrenditen und die<br />
Kurse existierender Anleihen drückt, dürfte<br />
auch 2015 nichts zu sehen sein. Michael<br />
Mewes, Leiter des Anleiheteams bei JP<br />
Morgan Asset Management in Frankfurt,<br />
rechnet für die Euro-Zone mit Raten zwischen<br />
„0 und 0,5 Prozent“.<br />
Mit Anleihenfonds und Unternehmensanleihen<br />
lässt sich das Vermögen real mehren,<br />
jedenfalls so lange, wie die Inflation<br />
niedrig bleibt. Dafür spricht einiges. Eine<br />
Das bisschen Haushalt Niedrige Zinsen<br />
ersparen Finanzminister Schäuble Milliarden<br />
hohe Arbeitslosigkeit, die alternde Gesellschaft<br />
und verkrustete Strukturen in Frankreich,<br />
Italien, aber auch in Deutschland,<br />
geben Europa kaum noch Potenzial für<br />
Wirtschaftswachstum oder eine die Inflation<br />
treibende Lohn-Preis-Spirale.<br />
„Wir haben in Europa eine hausgemachte<br />
Schwäche, die sich in einer deutlichen<br />
Unterauslastung der Unternehmen zeigt“,<br />
sagt Kater von der DekaBank. Das ifo Institut<br />
erwartet für die deutsche Wirtschaft im<br />
laufenden Jahr sogar nur noch ein Plus<br />
„von etwa einem Prozent“, so Hans-Werner<br />
Sinn, Chef der Münchner Prognostiker. Die<br />
Abnehmerländer in der Euro-Zone erholten<br />
sich langsamer als von vielen erhofft,<br />
die Stimmung der Verbraucher trübe<br />
»<br />
Mehr Zins einloggen<br />
Ausgewählte Anleihen und Fonds mit Kurzfristanlagen, ihre jeweils wichtigsten Kennziffern<br />
Schuldner der Anleihe/Branche<br />
Adidas/Sportartikel<br />
EnBW/Versorger<br />
Voestalpine/Stahl<br />
Apple/Konsumgüter<br />
Google/Internet<br />
McDonald’s/Gastronomie<br />
Fonds<br />
Metzler Euro Short Term<br />
UniEuroKapital Corporates A<br />
ISIN<br />
XS1114159277<br />
XS1074208270<br />
AT0000A19S18<br />
US037833AR12<br />
US38259PAB85<br />
US58013MES98<br />
ISIN<br />
IE00B8KKJT75<br />
LU0168092178<br />
Kurs<br />
(in Prozent)<br />
97,85<br />
108,06<br />
103,31<br />
101,84<br />
106,29<br />
100,11<br />
Kurs<br />
(in Euro)<br />
103,67<br />
38,57<br />
Kupon<br />
(in Prozent)<br />
2,250<br />
2,500<br />
2,250<br />
2,850<br />
3,625<br />
3,250<br />
500 Euro<br />
1 Anteil<br />
Rendite<br />
(in Prozent)<br />
Laufzeit bis<br />
2,46 8.10.2026<br />
1,71 4.6.2026<br />
1,74 14.10.2021<br />
2,54 6.5.2021<br />
2,57 19.5.2021<br />
3,24 10.6.2024<br />
laufende<br />
Kosten<br />
pro Jahr<br />
(in Prozent)<br />
5,0 2 0,73<br />
2,0 2 0,81<br />
Mindestanlage<br />
<strong>Ausgabe</strong>aufschlag<br />
maximal<br />
(in Prozent)<br />
Stückelung<br />
1000 Euro<br />
1000 Euro<br />
500 Euro<br />
2000 Dollar<br />
2000 Dollar<br />
1000 Dollar<br />
Entwicklung<br />
2014 (in Prozent)/<br />
über drei Jahre<br />
(in Prozent pro Jahr)<br />
1 Moody’s/S&P/Fitch; A bis AAA = höchste Ratingstufen, sehr gute bis Top-Bonität; 2 Discount von 50 Prozent möglich, zum Beispiel bei Comdirect;<br />
Quelle: Morningstar, Bloomberg; Stand: 13. November 2014<br />
3,1/ –<br />
3,6/6,3<br />
Währung, Rating 1<br />
Euro, kein Rating<br />
Euro, A3/A-/A-<br />
Euro, kein Rating<br />
Dollar, Aa1/AA+/AA+<br />
Dollar, A2/AA/AA<br />
Dollar, A2/A/A<br />
Fondsmerkmale<br />
investiert zum Großteil in Anleihen mit Restlaufzeiten<br />
von 1 bis 3 Jahren, ein Viertel 3 bis 5<br />
Jahre, zudem über Derivate in Bundesanleihen<br />
investiert in kurzlaufende Euro-Unternehmensanleihen,<br />
vornehmlich aus Europa, Schwerpunkt<br />
mittlere bis sehr gute Bonitäten<br />
FOTO: DPA/EPA/NICOLAS BOUVY<br />
96 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Geld&Börse<br />
Kennt keine Grenze Zentralbankchef<br />
Kuroda kauft Anleihen wie nie zuvor<br />
Der japanische Paukenschlag hallte<br />
bis an die Börse in Frankfurt<br />
»<br />
sich ein, Unternehmen zögerten mit Investitionen.<br />
Und die Wirtschaftsweisen<br />
werfen der Bundesregierung sogar einen<br />
wachstumsfeindlichen Kurs vor (siehe Seite<br />
41). Auch global „sind die Wachstumsaussichten<br />
nicht überragend“, sagt Mewes.<br />
Die Wirtschaftsschwäche drückt vor allem<br />
bei Staatspapieren auf die Bonität.<br />
Denn von einem Herauswachsen aus den<br />
Schulden kann keine Rede sein. Mitte des<br />
Jahres lagen die Schulden der 18 Euro-<br />
Länder im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt<br />
im Durchschnitt bei 92,7 Prozent.<br />
Zur Erinnerung: Nach den Maastrichter<br />
Stabilitätskriterien soll die Verschuldungsquote<br />
nicht mehr als 60 Prozent betragen.<br />
KÜNSTLICHE NACHFRAGE<br />
Auf die Kurse und Renditen der Staatsanleihen<br />
hat das kaum Einfluss, das Risiko<br />
wird zugekleistert: Banken müssen für Investments<br />
in Staatsanleihen kein Eigenkapital<br />
reservieren; auch Versicherer werden<br />
regulatorisch in Staatspapiere gezwungen.<br />
Sie halten die Nachfrage deshalb hoch und<br />
den Zins niedrig. Sollte die Nachfrage<br />
abebben, dürften die Notenbanker aus<br />
Frankfurt einspringen und Papiere von<br />
schwächelnden Staaten aufkaufen. „Wir<br />
rechnen weiter damit, dass die EZB auch<br />
zum Instrument der Staatsanleihenkäufe<br />
greifen wird“, sagt Thomas Meißner, Leiter<br />
Zinsresearch bei der Frankfurter DZ Bank.<br />
Die Analysten von Bantleon erwarten,<br />
dass aus den Reservoirs der großen drei<br />
Notenbanken Fed, EZB und Bank of Japan<br />
kommendes Jahr rund 1000 Milliarden<br />
Dollar fließen werden, mehr als doppelt so<br />
viel wie 2014. „Mit anderen Worten, die Liquiditätsparty<br />
an den Finanzmärkten geht<br />
weiter“, sagt Daniel Hartmann, Senior Analyst<br />
bei Bantleon. Die DZ Bank schätzt,<br />
dass allein die EZB ihre Bilanz in den kommenden<br />
Monaten um rund eine Billion<br />
Euro ausweiten könnte. Und Deutsche-<br />
Bank-Co-Chef Anshu Jain erwartet noch<br />
mehrere Jahre anhaltend niedrige Leitzinsen.<br />
Diese würden „nicht in absehbarer<br />
Zeit, sicher nicht in den nächsten zwei Jahren“<br />
erhöht, so Jain Anfang November.<br />
Während Europa im Zinstief bleiben<br />
dürfte, deutet sich jenseits des Atlantiks eine<br />
nur behutsame Wende an. „Wir rechnen<br />
damit, dass die US-Notenbank die<br />
Leitzinsen im September 2015 auf 0,5 Prozent<br />
anhebt“, sagt Mewes von JP Morgan<br />
AM. Die USA könnten sich aber nicht dauerhaft<br />
von der schwachen Weltwirtschaft<br />
abkoppeln, die Angst vor einem massiven<br />
Renditeanstieg sei deshalb übertrieben, so<br />
Mewes. Die Fed werde die Zinsen 2015 und<br />
2016 „langsamer als erwartet in Trippelschritten<br />
anheben“. Für Ende 2015 rechnet<br />
Mewes damit, dass zehnjährige US-Staatsanleihen<br />
bei knapp drei Prozent rentieren –<br />
nur 0,6 Prozentpunkte höher als aktuell.<br />
Weil die US-Wirtschaft stärker wächst<br />
und Anlagen in Dollar höhere Zinsen bringen,<br />
dürfte die US-Währung attraktiv bleiben.<br />
Mewes packt Kunden deshalb etwa<br />
mexikanische Staatsanleihen in Dollar, die<br />
3,3 Prozent bis 2024 bieten, selektiv in die<br />
Depots. Gut rentieren auch Unternehmensanleihen<br />
von Google, Apple oder<br />
McDonald’s mit 2,5 bis 3,2 Prozent Rendite<br />
(siehe Tabelle Seite 96).<br />
Selbst bei einem mal wieder fallenden<br />
Dollar bringt der gegenüber vergleichbaren<br />
zehnjährigen Euro-Anlagen höhere<br />
Zins von 1,5 Prozentpunkten einen Puffer<br />
für Anleger. Der Euro notiert derzeit bei<br />
1,25 Dollar. Erst bei Kursen über 1,44 Dollar<br />
rechnete sich ein Investment eines Anlegers<br />
gegenüber sicheren Euro-Anlagen<br />
nicht mehr, dann hätten Investoren auf<br />
Dollar-Anlagen lieber verzichtet. Aktuell ist<br />
so ein Dollar-Rückgang nicht in Sicht. Im<br />
Gegenteil: Uwe Burkert, Chefvolkswirt der<br />
Landesbank Baden-Württemberg, rechnet<br />
etwa damit, dass Ende 2015 der Euro 1,15<br />
Dollar kostet. Anleger aus dem Euro-Raum<br />
gewännen dann acht Prozent zusätzlich.<br />
GOLD NIE VÖLLIG WERTLOS<br />
Der starke Dollar federt auch die Einbußen<br />
ab, die Goldkäufer verkraften müssen. Der<br />
Unzenpreis fiel 2014 zwar bisher um drei<br />
Prozent auf zuletzt 1160 Dollar je Unze, in<br />
Euro gerechnet liegen Anleger 2014 mit<br />
sieben Prozent Zuwachs deutlich im Plus.<br />
Der eigentliche Wert von Gold ist<br />
schwierig zu ermitteln. Historisch gesehen<br />
pendelt sich der Preis aber so ein, dass<br />
Goldbesitzer damit einen Maßanzug bezahlen<br />
können. Ein feiner Zwirn ist derzeit<br />
für rund 500 Euro zu haben, die Feinunze<br />
kostet 950 Euro. Die Prämie bedeutet nicht,<br />
dass Gold zwangsläufig jetzt fallen muss –<br />
die Schneider könnten Maßanzüge ja in<br />
einiger Zeit deutlich teurer anbieten.<br />
Für Gold gilt, unabhängig <strong>vom</strong> Preis,<br />
dass es noch nie völlig wertlos geworden<br />
ist. Dieser Gefahr sind Anleger bei allen anderen<br />
Anlagen ausgesetzt. Gold ist nahezu<br />
überall auf der Welt als Zahlungsmittel akzeptiert,<br />
leicht mitzuführen und zu übertragen,<br />
als Erbe zum Beispiel.<br />
Gold bleibt eine Krisenversicherung fürs<br />
Depot. Niemand kündigt seine Feuer-Police,<br />
weil sein Haus im Moment nicht<br />
brennt. „Turbulenzen an den Märkten“ erwartet<br />
beispielsweise Alan Greenspan<br />
dann, wenn sich die jetzige Generation der<br />
Notenbanker eines Tages wirklich aus ihrer<br />
lockeren Zinspolitik verabschieden sollte.<br />
Ironie: Der ehemalige Fed-Chef Greenspan<br />
hatte einst selbst nicht nur den Finger<br />
am Abzug, sondern mit massiven Zinssenkungen<br />
vor mehr als einem Jahrzehnt<br />
gleich auch den Startschuss für eben diese<br />
neue lockere Politik des billigen Geldes von<br />
Draghi, Yellen und Co. abgefeuert. Gold<br />
übrigens bezeichnete er immer als „ultimative<br />
Währung“.<br />
n<br />
christof.schuermann@wiwo.de<br />
Lesen Sie weiter auf Seite 100 »<br />
FOTO: BLOOMBERG NEWS/JUNKO KIMURA-MATSUMOTO<br />
98 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Geld&Börse<br />
Blick nach vorn<br />
Anlageexperten beim Investmentgipfel (von links):<br />
Hauke Reimer (WirtschaftsWoche), Christoph Bruns (Loys),<br />
Jens Ehrhardt (DJE Kapital), Hendrik Leber (Acatis Investment)<br />
und Thorsten Polleit (Polleit & Riechert, Degussa)<br />
»Perpetuum mobile<br />
des billigen Geldes«<br />
ROUNDTABLE | Bieten Notenbanken einen Freifahrtschein für<br />
Investitionen ohne Risiko? Oder stürzen sie die Welt ins Chaos?<br />
Was prominente Fondsmanager dazu sagen, wo sie Chancen sehen.<br />
Weltweit fluten die Notenbanken den<br />
Markt mit billigem Geld und treiben die<br />
Aktienkurse. Ist da ein Ende abzusehen?<br />
Jens Ehrhardt: Es gibt keine Rückkehr zur<br />
Normalität. In Japan funktioniert jetzt<br />
schon nichts mehr, ohne dass die Zentralbank<br />
nachhilft.<br />
Thorsten Polleit: Die Herabsetzung des<br />
Zinses ist wie eine Droge. Sie gibt erst mal<br />
Anschub und scheint Probleme zu lösen,<br />
macht sie aber nur größer. Ich bin positiv<br />
eingestellt gegenüber dem Aktienmarkt,<br />
weiß aber sehr wohl, dass diese Ultraniedrigzins-Politik,<br />
aus der es kein Zurück<br />
mehr gibt, für dramatische Fehlverteilung<br />
von Kapital sorgen wird.<br />
Das heißt?<br />
Polleit: Nicht jeder Aktienkurs, der steigt,<br />
spricht dafür, dass das Unternehmen auch<br />
langfristig erfolgreich sein wird. Momentan<br />
scheint das Geld der Notenbanken die<br />
Krise zu entspannen, aber es bauen sich<br />
ganz neue Risiken auf. Man ist dabei, das<br />
Geld kaputt zu machen, alte Regeln gelten<br />
nicht mehr. Ich habe gerade von der Bank,<br />
die meinen Fonds verwaltet, die Information<br />
bekommen, dass alle Giroguthaben mit<br />
0,25 Prozent strafbesteuert werden.<br />
Ehrhardt: Für einige Konten unserer<br />
Fonds hat man uns das auch<br />
schon angedroht. Wenn wir unser<br />
Bargeld auf den Konten nicht<br />
wegräumen, müssen wir zahlen.<br />
Wegräumen, das heißt, das<br />
Geld wird anderswo investiert?<br />
Ehrhardt: Alle versuchen natürlich<br />
bei Strafzinsen, das Bargeld<br />
möglichst schnell loszuwerden. Die Gefahr<br />
ist, dass viele dann nicht groß nachdenken,<br />
wo überhaupt investiert wird.<br />
Hendrik Leber: Gleiches gilt für die Unternehmen;<br />
die bekommen das Geld doch<br />
zum Nulltarif nachgeworfen. Also schauen<br />
sie sich ihren Wettbewerber an und sagen:<br />
„Den kaufen wir mal.“ Wir alle werden zu<br />
unvernünftigen Handlungen verführt.<br />
Werden auch Privatanleger bei Strafzinsen<br />
ihre Gelder von den Konten abziehen und<br />
ihr Geld anders investieren?<br />
Leber: Nein. Die sehen keine Alternative<br />
zum Konto, sie konsumieren nicht einmal<br />
mehr, weil sie in der Wirtschaft keinen<br />
Optimismus spüren.<br />
Polleit: Mittlerweile gibt es Ökonomen,<br />
die uns weismachen wollen, dass der künftige<br />
gleichgewichtige Zins bei minus drei<br />
bis vier Prozent liegen soll. Das ist natürlich<br />
eine Zerstörung der klassischen Sparinstrumente<br />
wie Staatsanleihen, Bankschuldverschreibungen,<br />
Sparkonten.<br />
Leber: Es ist, als ob reiner Sauerstoff in die<br />
Atmosphäre gepumpt würde. Jeder atmet<br />
ihn ein, alles beschleunigt sich, der Stoffwechsel<br />
fährt hoch. Das hat<br />
Konsequenzen – zum Beispiel<br />
der weltweite Run auf Aktien.<br />
Christoph Bruns: Diesen Trend<br />
sehe ich in Deutschland nicht.<br />
Vielleicht gibt es einen Run auf<br />
Immobilien und Mischfonds,<br />
aber nicht auf Aktien. Auch nicht<br />
in Europa, deshalb sehe ich am Aktienmarkt<br />
auch noch keine Probleme.<br />
Helfen Aktien dabei, der schleichenden<br />
Vernichtung des eigenen Vermögens zu<br />
entkommen?<br />
Ehrhardt: US-Aktien halte ich gerade für<br />
die teuersten der Welt. Fonds mit US-<br />
»<br />
FOTO: BERT BOSTELMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
100 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Geld&Börse<br />
Ausweg Aktie Bruns (links)<br />
mag Ölservicewerte; Leber<br />
(oben) findet Indien interessant;<br />
Ehrhardt (rechts)<br />
liebäugelt mit Alibaba;<br />
Polleit (unten) ärgert sich<br />
über Strafzinsen<br />
»IT-Aktien sind zwar schon höllisch teuer,<br />
haben aber großes Wachstumspotenzial«<br />
Jens Ehrhardt<br />
»<br />
Aktien liefen sehr gut, vor allem wegen<br />
des steigenden Dollar. Die Erfolgsstory im<br />
kommenden Jahr wird für US-Aktien nicht<br />
so gut sein wie bisher. Einen großen Crash<br />
sehe ich dort aber auch nicht.<br />
Wir pendeln zwischen zwei dramatischen<br />
Szenarien: einer drohenden Abwertung<br />
des Geldes, der Inflation, und einer Aufwertung,<br />
die als Deflation die Konsumnachfrage<br />
stoppen könnte. Wie richte ich<br />
mich als Anleger darauf aus?<br />
Leber: Wer Aktien kauft, sollte sich überlegen,<br />
ob er die Produkte des Unternehmens<br />
braucht, die es herstellt. Ist das der Fall, ist<br />
man auch im schwierigen Marktumfeld auf<br />
der sicheren Seite. Ein Butterbrot werde ich<br />
mir auch morgen noch täglich streichen.<br />
Polleit: Aber kaum jemand handelt und<br />
schichtet seine Beteiligungen um. Wir reden<br />
doch hier von einer Umverteilung. Der<br />
arme Sparer verliert sein Geld durch die Inflation.<br />
Die Reichen leisten sich Aktien und<br />
Immobilien und werden noch reicher.<br />
Bruns: Aktien sind etwas für kluge Leute,<br />
nicht nur für reiche. Fondssparpläne lohnen<br />
sich schon ab 25 Euro im Monat. Ich<br />
halte die Unternehmen am Aktienmarkt<br />
nicht für exzessiv überbewertet. Ich bewundere<br />
die Amerikaner. Die lamentieren<br />
nicht wie wir Deutschen, sondern sehen<br />
neue Chancen, etwa durch Fracking, eine<br />
neue Industrialisierung und die Trends im<br />
Internet, die sie bestimmen.<br />
In den USA deutet sich eine Normalisierung<br />
an. Die Zentralbank hat den Kauf<br />
von Anleihen gestoppt, die Wirtschaft soll<br />
2015 um rund drei Prozent wachsen.<br />
Leber: Ich denke nicht, dass es in den USA<br />
überhaupt schon einen Entzug des billigen<br />
Geldes gibt. Die Anleihenkäufe werden offiziell<br />
für beendet erklärt, dabei zeigen Daten<br />
der US-Zentralbanken, dass die Bilanzsumme<br />
weiter ansteigt.<br />
Bruns: Die Amerikaner haben das Perpetuum<br />
mobile des billigen Geldes erfunden.<br />
Ehrhardt: Ich bin skeptisch, ob die Zinsen<br />
in den USA überhaupt stark zulegen werden<br />
und der Dollar gegenüber dem Euro<br />
dramatisch gewinnt. Die Amerikaner werden<br />
massiv gegensteuern, wenn ihre Währung<br />
unter 1,15 Dollar je Euro sinken sollte.<br />
Dann werden ihre Exporte auf den Weltmärkten<br />
zu teuer.<br />
Ehrhardt: Sie sind zwar nicht so abhängig<br />
<strong>vom</strong> Export wie wir in Deutschland. Aber<br />
auf ein Level von einem Dollar zu einem<br />
Euro wird der Dollar-Kurs nicht sinken.<br />
Was sollen Anleger nun aber kaufen? Ein<br />
Blick auf die großen Märkte in Europa<br />
und den USA wird nicht mehr ausreichen.<br />
Leber:Für mich sind vor allem drei Länder<br />
interessant, und zwar Indien, Hongkong<br />
und Russland. Auch wenn in Russland<br />
noch eine politische Normalisierung eintreten<br />
sollte, bevor dort wieder jemand<br />
investiert.<br />
Polleit: Ich richte mich immer nach dem<br />
Prinzip Preis gegen Wert. Was zahle ich für<br />
ein Unternehmen, und was bekomme ich<br />
dafür? Im Moment würde ich nach Unternehmen<br />
suchen, deren Geschäftsmodell<br />
mit Inflation gut klarkommt.<br />
Ehrhardt: IT-Aktien sind zwar momentan<br />
schon höllisch teuer, aber dank des großen<br />
Wachstumpotenzials finde ich sie weiterhin<br />
sehr interessant, nicht nur in den USA.<br />
Im Online-Handel denke ich zum Beispiel<br />
an Alibaba.<br />
Leber: Mich interessieren vier Branchen:<br />
Autozulieferer, dann die IT-Branche, wegen<br />
der Speicherung und Verwaltung der<br />
enormen Datenmengen, die wir heute<br />
schon produzieren. Auch bei Versorgern<br />
und Telekommunikationsunternehmen<br />
sehe ich Potenzial.<br />
Bruns: Zuletzt waren die Aktien der Ölservicedienstleister<br />
sehr schwach. Aber die<br />
Unternehmen brauchen wir nun mal,<br />
wenn wir auch weiter auf Öl als Energiequelle<br />
setzen. Deshalb finde ich sie spannend.<br />
Unternehmen, die mir einfallen,<br />
sind zum Beispiel Halliburton oder Technip.<br />
Auch die Luxusgüterindustrie war<br />
meiner Meinung nach zuletzt unterbewertet,<br />
wenn ich mir etwa Tod’s in Italien ansehe.<br />
Das liegt natürlich auch am schwachen<br />
Yen, der die sonst starke Nachfrage aus<br />
Japan drückt.<br />
n<br />
sebastian.kirsch@wiwo.de<br />
FOTOS: BERT BOSTELMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
102 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Geld&Börse<br />
Erst Pizza,<br />
dann Schampus<br />
ANWÄLTE | Ausländische Investoren bescheren Spezialisten für<br />
Immobilienwirtschaftsrecht aktuell glänzende Geschäfte<br />
– und bisweilen Nächte ohne Schlaf.<br />
Alles hing an dem kleinen<br />
Pfandleihhaus. Dessen<br />
Mietvertrag lief noch fünf<br />
Jahre. Der Besitzer wollte<br />
partout nicht ausziehen<br />
und blockierte so ein neues<br />
Hochhausprojekt. Der<br />
Bauherr musste dazu<br />
mehrere Grundstücke nebeneinander aufkaufen.<br />
Er konnte aber keinen einzigen<br />
Deal abschließen, solange nicht alle Mieter<br />
aus dem alten Bürohaus ausziehen würden.<br />
Alle Verkäufer, Makler und Anwälte,<br />
die an dem Großprojekt beteiligt waren,<br />
mussten Planungen und Verhandlungen<br />
erst mal einstellen. Der Pfandleiher machte<br />
eine irrwitzige Forderung auf, berichtet<br />
Tim Weber, Immobilienwirtschaftsexperte<br />
der Kanzlei Gleiss Lutz: Der 100 Quadratmeter<br />
große Laden würde genau und nur<br />
an dieser Stelle jährlich ein bis zwei Millionen<br />
Euro Gewinn abwerfen, also auf die<br />
nächsten fünf Jahre hochgerechnet fünf bis<br />
zehn Millionen Euro. Die solle ihm der Immobilienkäufer,<br />
bitte schön, zahlen, wenn<br />
er dem geplanten Hochhaus weichen solle.<br />
Hoch profitabel<br />
Millionenprojekte wie<br />
der Frankfurter Opernturm<br />
sind ein Eldorado<br />
für Immobilienanwälte<br />
„Es war eine Menge Arbeit nötig, damit der<br />
100-Millionen-Deal nicht wegen eines pokernden<br />
Mieters platzte“, sagt Weber.<br />
Immerhin sechs Wochen lag das Projekt<br />
auf Eis, bis sich der Pfandleiher dann doch<br />
mit 200 000 Euro zufriedengab. Dass Altmieter<br />
pokern, komme insbesondere bei in<br />
die Jahre gekommenen Shoppingcentern<br />
vor, berichten Immobilienrechtler. Der<br />
Entwickler eines Projekts am Potsdamer<br />
Platz in Berlin schenkte einem Mieter eine<br />
Eigentumswohnung, damit der auszog.<br />
„Gemessen an dem gigantischen Schaden,<br />
der sonst entstanden wäre, war das sogar<br />
preiswert“, sagt Weber von Gleiss Lutz.<br />
Die Kanzlei wurde jetzt von einer unabhängigen<br />
Jury unter die 25 Top-Kanzleien<br />
zum Immobilienwirtschaftsrecht gewählt.<br />
Das Verfahren lief in drei Schritten:<br />
n Zunächst wurden mittels Datenbankrecherchen<br />
und Expertengesprächen 60<br />
Kanzleien und 200 Anwälte ausgewählt,<br />
die positiv aufgefallen sind.<br />
n Diese wurden 26 Experten führender<br />
Kanzleien zur Bewertung vorgelegt. Die<br />
Bewertung der eigenen Kanzlei oder Person<br />
war dabei ausgeschlossen.<br />
n Im dritten Schritt bewertete eine Jury 39<br />
Kanzleien, deren Anwälte überdurchschnittlich<br />
gut bewertet wurden, nach den<br />
Kriterien Erfolg, Erfahrung, Spezialisierung<br />
und Stärke des Teams. Die 25 Kanzleien<br />
mit den meisten Punkten sind in der Übersicht<br />
rechts aufgeführt.<br />
Immobilienwirtschaftsanwälte haben<br />
aktuell zu tun wie lange nicht mehr. Der<br />
Immobilienmarkt für institutionelle Anleger<br />
brummt. Das Angebot an erstklassigen<br />
Objekten ist knapp, vor allem ausländische<br />
Investoren wie US-Lebensversicherer,<br />
Staatsfonds aus Skandinavien und Asien<br />
oder kanadische Pensionskassen kaufen<br />
Immobilien. Auch Vermögensverwalter<br />
reicher Familien, Projektentwickler und<br />
Fondsgesellschaften sind auf der Suche<br />
nach Gewerbeimmobilien. In diesen fünf<br />
Städten: „Frankfurt ist als Finanzstandort<br />
der Klassiker und immer vorn. Berlin ist<br />
eher auf Platz zwei, weil Investoren dort auf<br />
steigende Preise hoffen. Dann folgen Hamburg<br />
und Düsseldorf wegen ihrer attraktiven<br />
Renditen. München liegt auf Platz fünf,<br />
weil die Preise so hoch sind“, sagt Johannes<br />
Conradi von der Kanzlei Freshfields Bruckhaus<br />
Deringer.<br />
Gekauft werden Bürogebäude, Shoppingcenter,<br />
Supermärkte, Hotels und – immer<br />
häufiger Logistikzentren. Bekannte<br />
Vorzeigeobjekte der vergangenen Jahre<br />
sind der Operntum in Frankfurt oder das<br />
FOTOS: TOPICMEDIA/THOMAS ROBBIN, PR (7), FRANK SCHEMMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
104 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Düsseldorfer Dreischeibenhochhaus. „Ein<br />
Drittel der verkauften Immobilien sind<br />
Neubauten, zwei Drittel gebrauchte Bestandsobjekte“,<br />
sagt Conradi. Er ist schon<br />
so lange im Geschäft, dass er manche Immobilie<br />
bereits zweimal mitverkauft hat.<br />
An den Deals verdienen die Anwälte<br />
kräftig mit. Stundenhonorare für Partner<br />
liegen zwischen 400 und 600 Euro. Rabatte<br />
ab einem bestimmten Honorarvolumen<br />
sind üblich. Manche Mandanten legen<br />
Obergrenzen fest. Faustregel: Kleine Spezialisten<br />
sind billiger als große Law Firms.<br />
TRICK SPART STEUER<br />
„Läuft eine Transaktion, bekomme ich 400<br />
bis 500 Mails am Tag“, sagt Alexander<br />
Goepfert von Noerr, einer der ganz Erfahrenen<br />
der Branche – von Mandanten, Steuer-<br />
und Gesellschaftsrechtlern aus dem eigenen<br />
Lager, von Wirtschaftsprüfern und<br />
Anwälten der anderen Seite. Goepfert betreute<br />
auch die größte Transaktion 2014,<br />
als die Deutsche Annington für 2,4 Milliarden<br />
Euro 41 500 Wohnungen übernahm.<br />
Haben Mandanten erst mal in den virtuellen<br />
Datenräumen Mietverträge, Bilanzen<br />
und technische Berichte gesehen, kann es<br />
zu Bietergefechten kommen. Verkäufer<br />
schicken den Käufern Vertragsentwürfe,<br />
deren Anwälte schreiben Änderungswünsche<br />
hinein. Wer zu viel ändern will, fliegt<br />
raus. Nach maximal sechs Monaten liegen<br />
drei bis vier verbindliche Angebote auf<br />
dem Tisch. „Doch bis der Notarvertrag unterzeichnet<br />
ist, werden die anderen Bieter<br />
auf Stand-by gehalten“, sagt Conradi.<br />
Wenn wieder ein Bundesland die<br />
Grunderwerbsteuer erhöht, müssen Deals<br />
vor dem Stichtag durchgepeitscht werden.<br />
So können Käufer Millionen sparen. Gar<br />
keine Grunderwerbsteuer zahlen sie, wenn<br />
ihnen Anwälte sogenannte Share-Deals<br />
stricken. „Bei denen erwerben sie keine<br />
Immobilie direkt, sondern Gesellschaftsanteile“,<br />
erklärt Anwalt Roland Bomhard<br />
von Hogan Lovells.<br />
Beurkundungen beim Notar können,<br />
wenn die Verhandlungen vorher unter hohem<br />
Zeitdruck liefen, auch schon mal 24<br />
Stunden dauern. Dann gibt’s viel Kaffee,<br />
und nachts kommt der Pizzabote. Wer vor<br />
Erschöpfung einschläft, wird geweckt.<br />
Branchen-Usus ist das Glas Veuve Clicquot<br />
nach jedem Deal – egal, wie spät oder wie<br />
früh am Tag. Notare müssen den immer im<br />
Kühlschrank haben. Conradi: „Bei aller<br />
vorherigen Gegnerschaft, diese halbe<br />
Stunde muss sein.“<br />
n<br />
claudia.toedtmann@wiwo.de, hans-peter canibol<br />
JURY<br />
Wer die Kanzleien<br />
ausgewählt hat<br />
Carsten Beisheim leitet den<br />
Konzernbereich Recht und<br />
Compliance bei der Wüstenrot<br />
& Württembergische AG.<br />
Michael Bütter ist Mitglied<br />
des Management Board der<br />
Ferrostaal und Aufsichtsrat<br />
der TLG Immobilien. Zuvor<br />
war er bei der Deutschen<br />
Annington.<br />
Thomas Hegel ist Vorstandsvorsitzender<br />
der LEG Immobilien<br />
und war zuvor<br />
Geschäftsführer der Corpus<br />
Asset Wohnen.<br />
25 Top-Kanzleien für Immobilienwirtschaftsrecht<br />
Welche Sozietäten besonders empfohlen werden<br />
Kanzlei<br />
Allen & Overy<br />
Ashurst LLP<br />
Clifford Chance<br />
CMS Hasche Sigle<br />
DLA Piper<br />
FPS<br />
Freshfields Bruckhaus Deringer<br />
Gleiss Lutz<br />
Görg<br />
GSK Stockmann + Kollegen<br />
Hengeler Mueller<br />
Herbert Smith Freehills<br />
Hogan Lovells<br />
Jebens Mensching<br />
Kucera Rechtsanwälte<br />
Latham & Watkins<br />
Luther<br />
McDermott Will & Emery<br />
Noerr LLP<br />
Norton Rose Fulbright<br />
Olswang<br />
Oppenhoff & Partner<br />
P+P Pöllath + Partners<br />
Schalast & Partner<br />
Trûon Rechtsanwälte<br />
Rechtsanwalt<br />
Quelle: WirtschaftsWoche-Expertenpanel und Jury 2014<br />
Olaf Meisen, Jochen Scheel<br />
Marc Bohne, Stefan Kock, Liane Muschter<br />
Jens Liewald ist Geschäftsführender<br />
Gesellschafter der<br />
Investorengruppe LAV-Gruppe<br />
aus Köln.<br />
Achim Schunder ist Niederlassungsleiter<br />
der Zeitschriftenredaktion<br />
des C.H. Beck Verlags<br />
in Frankfurt.<br />
Ingo Seidner ist Head of<br />
Legal & Compliance Germany<br />
der Immobilenberatung<br />
Jones Lang LaSalle (JLL).<br />
Dirk Sonnberg verantwortet bei<br />
der Deutschen Wohnen AG als<br />
Managing Director Legal/Compliance<br />
den Rechtsbereich.<br />
Claudia Tödtmann ist<br />
Redakteurin der<br />
WirtschaftsWoche.<br />
Christian Keilich, Reinhard Scheer-Hennings, Cornelia Thaler<br />
Nadja Fleischmann, Peter Ruby, Hermann Stapenhorst, Volker Zerr<br />
Markus Beaumart<br />
Robin Fritz<br />
Johannes Conradi, Friedrich Heilmann, Niko Schultz-Süchting<br />
Johannes Niewerth, Tim Weber<br />
Jan Lindner-Figura<br />
Michael Eggersberger, Andreas May, Rainer Werum<br />
Georg Frowein, Daniel Kress, Thomas Müller<br />
Thomas Kessler<br />
Roland Bomhard, Dirk Debald, Hinrich Thieme<br />
Phillip Jebens<br />
Stefan Kucera<br />
Stefanie Fürst<br />
Achim Meier<br />
Jens Ortmanns<br />
Christoph Brenzinger, Michael Eggert, Professor Alexander Goepfert<br />
Ulrike Bernert-Auerbach, Thomas Hopf, Maren Stölting<br />
Christian Schede<br />
Stefanie Minzenmay<br />
Matthias Durst, Stefan Lebek<br />
Barbara Busch, Christoph Schalast<br />
Sonja Tegtmeyer, Erwin B. von Bressendorf<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 105<br />
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Geld&Börse | Barron’s<br />
Jagd nach Rendite<br />
US-AKTIEN | Prominente Hedgefondsmanager verrieten bei einer<br />
Gala in Chicago ihre Favoriten.<br />
dia seine US-Kabeldienste (vorwiegend<br />
die 26 Prozent an Charter<br />
Communications) <strong>vom</strong> Rest<br />
des Unternehmens ab. Weitz<br />
mag Liberty und Charter, auch<br />
wenn sie die typische Komplexität<br />
eines Konstrukts von John<br />
Malone aufweisen. Der gewiefte<br />
Deal-Maker Malone wisse seine<br />
Fähigkeiten gekonnt einzusetzen,<br />
um signifikante Wertsteigerungen für<br />
seine Mitaktionäre zu generieren.<br />
Interessanterweise fand auch ein weiterer<br />
Redner, Nehal Chopra <strong>vom</strong> Tiger Ratan<br />
Capital Fund, lobende Worte für Kabelnetzbetreiber<br />
Charter, wobei er einerseits<br />
die genialen Finanzkonstruktionen von<br />
Malone und andererseits die Managementkompetenz<br />
von Charter-Chef Tom<br />
Rutledge hervorhob. Wenn die Regierung<br />
die Fusion zwischen Comcast und Time<br />
Warner Cable genehmige, werde die Zahl<br />
der angeschlossenen Teilnehmer bei Charter<br />
von etwa vier Millionen auf acht Millionen<br />
wachsen. Chopra glaubt, Rutledge<br />
werde seine magische Hand auch gegenüber<br />
den neuen Kabelteilnehmern erfolgreich<br />
einsetzen – also die Kosten drücken<br />
und den Umsatz pro Kunde steigern.<br />
Auf einer Wohltätigkeitskonferenz<br />
zugunsten von Kinderhilfswerken<br />
in Chicago verrieten Profis ihre<br />
Top-Aktien. Die Anlageexperten<br />
hatten in der sechsjährigen Geschichte der<br />
Konferenz schon mehrfach überdurchschnittlich<br />
erfolgreiche Empfehlungen gegeben.<br />
Allerdings nicht 2013. Die 19 im<br />
Vorjahr vorgeschlagenen Titel verbuchten<br />
durchschnittlich sieben Prozent Verlust,<br />
während der S&P-500-Aktienindex im selben<br />
Zeitraum 17 Prozent zulegte.<br />
Hedgefondsmogul Larry Robbins, der<br />
den Glenview Capital Management-Fonds<br />
leitet, empfahl diesmal den US-Gesundheitsdienstleister<br />
Tenet Healthcare – wegen<br />
dessen Expertise bei Akquisitionen,<br />
wegen des politischen Rückenwinds für<br />
Krankenversicherungen und wegen hoher<br />
operativer Kompetenz. Außerdem kauft er<br />
Teradyne, den US-Weltmarktführer bei<br />
Testgeräten für die Halbleiterproduktion<br />
und den Chip-Designer Cadence Design<br />
Systems.<br />
200 000 MEILEN UM DIE WELT<br />
Mason Hawkins von Southeastern Asset<br />
Management, der sein Gewerbe seit rund<br />
vier Jahrzehnten aus Memphis betreibt,<br />
empfahl den US-Kommunikationsdienstleister<br />
Level 3 Communications, der ein<br />
riesiges globales Glasfasernetz mit rund<br />
200 000 Streckenmeilen betreibt. Der Datenverkehr<br />
über das für 45 Milliarden Dollar<br />
gebaute Netzwerk wächst exponentiell.<br />
Der freie Cash-Flow steigt stark. Die Wall<br />
Street hat noch nicht registriert, welches<br />
Potenzial die noch freien Glasfaserkabel<br />
und ungenutzten Schaltkreise des Unternehmens<br />
haben. Weiteres Plus: Hohe Verlustvorträge<br />
aus den Jahren mit hohen<br />
Überkapazitäten dürften dem Unternehmen<br />
künftig kräftig Steuern ersparen.<br />
Steve Kuhn von Pine River Capital Management<br />
sieht enormes Potenzial in japanischen<br />
Aktien, in die Japans größter Pensionsfonds,<br />
der Government Pension Fund<br />
GPIF, nach seiner kürzlich erfolgten Änderung<br />
der Anlagestrategie nun investieren<br />
darf.<br />
In den Augen von Wallace Weitz von<br />
Weitz Investment Management sind zwei<br />
Unternehmen aus der Nachkommenschaft<br />
von Medientycoon John Malone ein heißer<br />
Tipp: Zu Beginn des Monats trennte der<br />
US-Medienkonzern Liberty Me-<br />
Die beste<br />
Geschichte aus<br />
der aktuellen<br />
<strong>Ausgabe</strong> von<br />
dem führenden<br />
amerikanischen<br />
Magazin für<br />
Geldanleger.<br />
WEN ÜBERNIMMT BILL ACKMAN?<br />
Das diesjährige Programm war um eine Facette<br />
reicher, nämlich um Chats mit Referenten<br />
und Moderatoren. Immobilienexperte<br />
Sam Zell aus Chicago wunderte sich<br />
über die ungebrochene Begeisterung vieler<br />
Anleger trotz der Rekordkurse an den US-<br />
Aktienbörsen. Er äußerte Bedenken angesichts<br />
der wirtschaftlichen Probleme in der<br />
Welt, speziell in Europa, Russland und Japan.<br />
Die Bewertungen mancher US-Aktien<br />
wie etwa von Amazon.com, meinte er, würden<br />
ihn nachgerade an die Dotcom-Ära erinnern.<br />
Bill Ackman von Pershing Square Capital<br />
Management, dessen Hauptfonds in diesem<br />
Jahr bereits 35 Prozent zugelegt hat,<br />
ließ bei einem Chat ein separates kleines<br />
Feuerwerk steigen. Er machte sich lustig<br />
über den kalifornischen Botox-Hersteller<br />
Allergan und dessen Management. Der kanadische<br />
Pharmakonzern Valeant Pharmaceuticals<br />
will Allergan, unterstützt von<br />
Allergan-Großaktionär Pershing Square,<br />
unbedingt aufkaufen. Aber Allergan<br />
krümmt und windet sich bei dem Versuch,<br />
den unerwünschten Freiern Pershing und<br />
Valeant zu entkommen. Zur US-Eisenbahngesellschaft<br />
CSX, die das von Pershing<br />
gestützte Übernahmeangebot<br />
der Canadian Pacific Railway<br />
platzen ließ, sagte Ackman<br />
nur, CSX sei durchaus nicht sein<br />
einziges mögliches Übernahmeziel<br />
unter den US-Eisenbahngesellschaften.<br />
Er nannte keine Namen,<br />
aber die Börse ließ den<br />
Kurs der Aktie des CSX-Rivalen<br />
Norfolk Southern klettern. n<br />
jonathan r. laing | geld@wiwo.de<br />
ILLUSTRATION: TOM MACKINGER<br />
106 Nr. 47 17.11.14 WirtschaftsWoche<br />
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Geld&Börse | Steuern und Recht<br />
ANLEGERSCHUTZ<br />
Gefahr im Vakuum<br />
Bis das neue Kleinanlegergesetz in Kraft tritt, werden bestehende Lücken genutzt.<br />
Erst ein gutes Jahr alt ist das Kapitalanlagegesetzbuch<br />
(KAGB). Es sollte den Anlegerschutz stärken.<br />
Doch es blieben Lücken. Genussrechte,<br />
Nachrangdarlehen, stille Beteiligungen und<br />
partiarische Darlehen wurden nicht komplett<br />
<strong>vom</strong> KAGB erfasst. Dann kam die Prokon-Insolvenz.<br />
Anleger verloren mit den Genussrechten<br />
des Windparkbetreibers viel Geld. Jetzt bessert<br />
die Bundesregierung mit dem Gesetzentwurf<br />
zum Kleinanlegerschutzgesetz nach und verschärft<br />
die Transparenzanforderungen. „Die Prospektpflicht<br />
soll auf Nachrangdarlehen und partiarische<br />
Darlehen ausgedehnt werden. Zudem<br />
ist ein Prospekt künftig nur zwölf Monate gültig,<br />
danach muss er erneut von der Bundesanstalt für<br />
Finanzdienstleistungsaufsicht gebilligt werden.<br />
Laut-Sprecher<br />
Ex-Prokon-Chef<br />
Carsten Rodbertus<br />
Die Aufsicht kann dem Anbieter zudem Werbung<br />
untersagen“, sagt Marc von Ammon, Rechtsanwalt<br />
in der Kanzlei Jones Day. Damit sich Anleger<br />
ein besseres Bild über die Zahlungsfähigkeit des<br />
Emittenten machen können, muss er zudem eine<br />
Übersicht der Einnahmen und <strong>Ausgabe</strong>n bieten.<br />
„Ausnahmen von der Prospektpflicht für kleinteilige<br />
Emissionen könnten Anbieter jedoch nutzen,<br />
um das verschärfte Gesetz zu umgehen“, sagt<br />
von Ammon. Zudem besteht bis zum erwarteten<br />
Inkrafttreten Mitte 2015 ein Vakuum: „Der Verkauf<br />
von Nachrangdarlehen an Privatinvestoren<br />
nimmt jetzt Fahrt auf. Das eigentlich sinnvolle Finanzierungsinstrument<br />
wird von unseriösen Anbietern<br />
missbraucht“, sagt Nicolaus Thiele-Dohrmann,<br />
Chef des Analysehauses Alpha-Assets.<br />
FEHLBERATUNG<br />
Maklerin<br />
haftet doch<br />
Ein Mann schloss 2006 eine<br />
Risikolebensversicherung ab.<br />
Dass er vor Abschluss der Police<br />
an psychosomatischen Störungen<br />
gelitten hatte, gab er gegenüber<br />
der Versicherung nicht an.<br />
Der Mitarbeiter einer Versicherungsmaklerin<br />
habe ihm gesagt,<br />
dass es nicht nötig sei, solche<br />
Angaben zu machen. Als<br />
der Versicherer von der Krankengeschichte<br />
des Mannes<br />
erfuhr, focht er den Versicherungsvertrag<br />
wegen arglistiger<br />
Täuschung an. Daraufhin verklagte<br />
die Ehefrau des Versicherten<br />
die Versicherungsmaklerin<br />
auf Schadensersatz wegen<br />
Fehlberatung. Schließlich habe<br />
ihr Mitarbeiter empfohlen, die<br />
Vorerkrankungen zu verschweigen.<br />
Der Bundesgerichtshof<br />
stellte klar, dass allein die Tatsache,<br />
dass der Versicherer den<br />
Vertrag angefochten habe, kein<br />
Beweis dafür sei, dass die Police<br />
nie zustande gekommen wäre,<br />
wenn der Versicherte alle<br />
Gesundheitsfragen wahrheitsgemäß<br />
beantwortet hätte (III<br />
ZR 82/13). Dem Versicherten<br />
könnte daher ein Schaden<br />
entstanden sein, für den die<br />
Versicherungsmaklerin haften<br />
müsste. Die Vorinstanz, das<br />
Oberlandesgericht Bamberg,<br />
muss erneut entscheiden (2 O<br />
113/11).<br />
RECHT EINFACH | Betriebsfeier<br />
Weihnachtsfeiern mit Kollegen<br />
enden mitunter im Streit.<br />
Dann hat häufig ein Richter<br />
das letzte Wort.<br />
§<br />
Bowling. Das Arbeitsteam<br />
eines Jobcenters organisierte<br />
eine Weihnachtsfeier in<br />
einer Bowling-Halle. Eine<br />
der Kolleginnen brach sich bei<br />
dem Ausflug das Bein. Die Unfallversicherung<br />
weigerte sich, den<br />
Beinbruch als Arbeitsunfall anzuerkennen.<br />
Begründung: Es habe<br />
sich um eine private und nicht um<br />
eine betriebliche Weihnachtsfeier<br />
gehandelt. Die Gerichte sahen das<br />
ebenso. Nur wenn der Weihnachtsumtrunk<br />
von der Firmenleitung oder<br />
im Einvernehmen mit dieser organisiert<br />
werde, liege eine versicherte<br />
Veranstaltung vor (Bundessozialgericht,<br />
B 2 U 7/13 R).<br />
Geschenke. Damit mehr Beschäftigte<br />
zur Weihnachtsfeier kommen,<br />
lobte ein Unternehmen für jeden<br />
Teilnehmer ein Mini-iPad im Wert<br />
von 400 Euro aus. Eine Mitarbeiterin<br />
war zu dem Zeitpunkt krank. Im<br />
Nachhinein verlangte sie auch ein<br />
Mini-iPad. Vergebens. Wie zuvor<br />
die Geschäftsleitung sah auch<br />
der zuständige Arbeitsrichter das<br />
Geschenk als ein „freiwilliges<br />
Engagement“ an. Da es sich nicht<br />
um eine Arbeitsvergütung handele,<br />
gelte auch der Grundsatz der<br />
Gleichbehandlung nicht (Arbeitsgericht<br />
Köln, 3 Ca 1813/13).<br />
Randale. Während einer Weihnachtsfeier<br />
in Niedersachsen stritten<br />
sich zwei Teilnehmer. Einem<br />
der beiden rutschte schließlich die<br />
Hand aus. Ob es zu einem Faustschlag<br />
oder „nur“ zu einer Ohrfeige<br />
gekommen war, ließ sich später<br />
nicht mehr feststellen. Das Unternehmen<br />
kündigte dem Raufbold<br />
fristlos. Zu Recht, befand das<br />
Arbeitsgericht. Die Fürsorgepflicht<br />
des Arbeitgebers für seine Angestellten<br />
habe einen sofortigen<br />
Rauswurf erfordert (Arbeitsgericht<br />
Osnabrück, 4 BV 13/08).<br />
FOTOS: CARO FOTOAGENTUR/MICHAEL RUFF, YOUR PHOTO TODAY, PR<br />
108 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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SCHENKUNGSTEUER<br />
Höherer Freibetrag für Ausländer<br />
Einer Frau gehörte die Hälfte<br />
eines Grundstücks in Deutschland.<br />
Sie und ihre Töchter lebten<br />
in Großbritannien. 2011<br />
übertrug sie ihren Grundstücksanteil<br />
an ihre Kinder. Die anfallende<br />
Schenkungsteuer wollte<br />
die Mutter zahlen. Das deutsche<br />
Finanzamt setzte als Freibetrag<br />
nur jeweils 2000 Euro für<br />
beschränkt steuerpflichtige<br />
Ausländer an und nicht den für<br />
Kinder üblichen Freibetrag von<br />
400 000 Euro. Dagegen klagte<br />
die Mutter. Das Finanzgericht<br />
Düsseldorf hat erhebliche Zweifel,<br />
ob die Praxis der Finanzämter<br />
rechtens ist, bei EU-Bürgern,<br />
die ihren Wohnsitz im Ausland<br />
haben, nur den Freibetrag für<br />
beschränkt steuerpflichtige<br />
Beschenkte anzuwenden (4 K<br />
488/14 Erb). Schließlich habe<br />
der Europäische Gerichtshof in<br />
einem ähnlich gelagerten Fall<br />
entschieden, dass die Höhe des<br />
Freibetrags nicht <strong>vom</strong> Wohnsitz<br />
abhängig gemacht werden könne,<br />
so die Richter. Wenn entweder<br />
die Mutter oder eine der<br />
Töchter zum Zeitpunkt der<br />
Schenkung in Deutschland gewohnt<br />
hätte, dann hätte das Finanzamt<br />
400 000 Euro statt 2000<br />
Euro Freibetrag abgezogen.<br />
Zwar könnten die Betroffenen<br />
beim Finanzamt einen Antrag<br />
auf einen höheren Freibetrag<br />
EBAY<br />
Kauf für einen Euro ist gültig<br />
SCHNELLGERICHT<br />
Ein Mann stellte seinen Gebrauchtwagen<br />
auf der Internet-<br />
Plattform Ebay zur Versteigerung<br />
ein. Kurz vor Beginn der<br />
Auktion setzte er das Mindestgebot<br />
auf einen Euro und die<br />
Preisobergrenze auf 555,55 Euro<br />
fest. Nach wenigen Stunden<br />
brach der Autoinhaber die Auktion<br />
ab. Bis dahin lag der Preis<br />
lediglich beim Mindestgebot<br />
von einem Euro. Per E-Mail teilte<br />
er dem Bieter mit, dass er einen<br />
Käufer gefunden habe, der<br />
ihm das Auto für 4200 Euro abnehmen<br />
wolle. Der Bieter beharrte<br />
darauf, dass der Kaufvertrag<br />
gültig sei, und verklagte<br />
den Autobesitzer auf Schadensersatz.<br />
Der Bundesgerichtshof<br />
entschied, dass der Kaufvertrag<br />
trotz des Missverhältnisses zwischen<br />
Kaufpreis und Wert des<br />
Autos nicht sittenwidrig sei<br />
(VIII ZR 42/14). Es sei die freie<br />
Entscheidung des Autobesitzers<br />
gewesen, das Fahrzeug für<br />
ein Mindestgebot von einem<br />
Euro auf Ebay einzustellen. Der<br />
Kaufvertrag sei daher gültig.<br />
stellen. Allein der Zwang, einen<br />
solchen Antrag stellen zu müssen,<br />
könne gegen EU-Recht verstoßen.<br />
Derzeit läuft am Europäischen<br />
Gerichtshof ein<br />
Vertragsverletzungsverfahren<br />
gegen Deutschland wegen<br />
der Ungleichbehandlung von<br />
In- und Ausländern durch<br />
die deutsche Erbschaft- und<br />
Schenkungsteuer. Bisher hat<br />
der EuGH, noch nicht entschieden,<br />
ob die Pflicht, einen Antrag<br />
auf einen höheren Freibetrag<br />
stellen zu müssen, gegen EU-<br />
Recht verstößt. Das Finanzgericht<br />
Düsseldorf hat den Fall daher<br />
an den EuGH in Luxemburg<br />
verwiesen.<br />
GEWERBESTEUER<br />
Lobbyisten<br />
zahlen<br />
Lobbyisten müssen Gewerbesteuer<br />
zahlen (Bundesfinanzhof,<br />
VIII R 18/11). Wer Politiker<br />
informiert, berät und beeinflusst,<br />
übt keine Tätigkeit aus,<br />
die vergleichbar mit der von<br />
freiberuflichen Journalisten<br />
oder Wissenschaftlern wäre, die<br />
keine Gewerbesteuer zahlen<br />
müssen, so die Richter. Dies gilt<br />
auch für Politikberater, deren<br />
Arbeit zum Teil den steuerbegünstigten<br />
Berufen ähnelt.<br />
ARBEITSRECHT<br />
CAROLA SIELING<br />
ist Lehrbeauftragte<br />
und<br />
Fachanwältin<br />
für IT-Recht<br />
der Kanzlei<br />
Sieling.<br />
n Frau Sieling, dürfen<br />
Arbeitgeber eine Ortung<br />
ihrer Firmenwagenflotte<br />
einführen, etwa per GPS<br />
über Navigationsgeräte, um<br />
Dienstfahrten der Mitarbeiter<br />
zu überwachen?<br />
Bei der Ortung von Arbeitnehmern<br />
handelt es sich um die<br />
Verarbeitung von personenbezogenen<br />
Daten, die durch das<br />
Bundesdatenschutzgesetz<br />
besonders geschützt sind. Die<br />
Ermittlung des Standortes<br />
durch den Arbeitgeber benötigt<br />
danach eine gesetzliche<br />
Grundlage. Alternativ kann im<br />
Unternehmen die Ortung per<br />
Betriebsvereinbarung oder<br />
durch ausdrückliche Einwilligung<br />
des Arbeitnehmers geregelt<br />
werden.<br />
n Welche Rechte haben<br />
Arbeitnehmer, wenn sie den<br />
Firmenwagen privat nutzen?<br />
Der Arbeitgeber darf nur zu<br />
bestimmten Zwecken – etwa<br />
um die Sicherheit des Beschäftigten<br />
zu gewährleisten<br />
oder um Einsätze zu koordinieren<br />
– die Ortung vornehmen,<br />
und auch nur während<br />
der Arbeitszeit. Arbeitnehmer<br />
haben ein Recht darauf, zu<br />
erfragen, wann welche Daten<br />
über sie gespeichert werden.<br />
STRAFE FÜR SCHULENTZUG IST ZULÄSSIG<br />
§<br />
Das hessische Schulrecht, das Eltern bestraft,<br />
die ihre schulpflichtigen Kinder nicht zur<br />
Schule schicken, ist mit dem Grundgesetz vereinbar<br />
(Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 920/14).<br />
DATENWEITERGABE IST RECHTSWIDRIG<br />
§<br />
Das soziale Netzwerk Facebook muss die Nutzer<br />
seiner Plattform für Zusatzprogramme (Apps)<br />
umfassend darüber informieren, welche Daten an<br />
externe Dienstleister weitergegeben werden (Landgericht<br />
Berlin, 16 O 60/13). Es sei rechtswidrig, dass<br />
die Nutzer von Facebook-Apps der Weitergabe von<br />
Daten ohne ihr Wissen zustimmen, sobald sie das<br />
Programm herunterladen.<br />
WER SICH AUSKENNT, DARF NICHT KLAGEN<br />
§<br />
Ein Versicherungsvertreter, der sich im Widerrufsrecht<br />
auskennt und nach mehreren Jahren von<br />
seinem Versicherungsvertrag zurücktreten will, nur<br />
weil der Versicherer im Begleitschreiben zur Police<br />
den Hinweis auf das Widerrufsrecht optisch nicht<br />
hervorgehoben hat, handelt rechtsmissbräuchlich<br />
(Oberlandesgericht Stuttgart, 7 U 147/10).<br />
RECHENFEHLER MACHT ANGEBOT UNGÜLTIG<br />
§<br />
Bauunternehmen, die gegenüber einem öffentlichen<br />
Auftraggeber ein besonders günstiges<br />
Angebot machen, sind nicht daran gebunden, wenn<br />
das Angebot nur wegen eines Kalkulationsfehlers so<br />
günstig war (Bundesgerichtshof, X ZR 32/14).<br />
n Muss der Arbeitgeber<br />
Programme installieren, die<br />
dem Fahrer einen privaten<br />
Modus bei der Fahrtenaufzeichnung<br />
erlauben, der<br />
keine Daten speichert?<br />
Nein. Er ist lediglich verpflichtet,<br />
keine privaten Daten zu<br />
erfassen und dazu Maßnahmen<br />
zum Datenschutz zu<br />
ergreifen. Wie das technisch<br />
gelöst wird, entscheidet der<br />
Arbeitgeber.<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 Redaktion: martin.gerth@wiwo.de, sebastian kirsch, heike schwerdtfeger | Frankfurt<br />
109<br />
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Geld&Börse | Geldwoche<br />
KOMMENTAR | Der niedrige Ölpreis<br />
stützt die Börse, ist aber<br />
brandgefährlich für die neuen US-<br />
Ölanbieter. Von Martin Seiwert<br />
Fracksausen<br />
Die Ölmagnaten dieser<br />
Welt haben reichlich<br />
Gesprächsstoff, wenn<br />
sie sich am 27. November<br />
zum Opec-Gipfel in<br />
Wien einfinden. Der Ölpreis ist<br />
seit Sommer um fast ein Drittel<br />
eingebrochen. Mit 80 Dollar<br />
wurde vergangene Woche ein<br />
Barrel der Nordseesorte Brent<br />
gehandelt. Als US-Präsident<br />
Barack Obama und Chinas<br />
Staatschef Xi Jinping dann ihr<br />
neues Klimaschutzabkommen<br />
verkündeten, ging es für den<br />
Klimakiller noch weiter bergab.<br />
Es ist nicht allzu lange her,<br />
da war es US-Präsidenten die<br />
reinste Freude, mit Wort und Tat<br />
– Kriege eingeschlossen – für<br />
günstiges Öl zu streiten. Denn<br />
für die öldurstigen USA war ein<br />
niedriger Ölpreis das beste Konjunkturprogramm.<br />
Doch weil<br />
Amerika dank Fracking-Technik<br />
im kommenden Jahr Saudi-Arabien<br />
als Erdölproduzent Nummer<br />
eins ablösen dürfte, ist die<br />
Welt komplizierter geworden.<br />
GEDÄMPFTER JUBEL<br />
Seltsam: An der Wall Street hält<br />
sich die Freude über den niedrigen<br />
Ölpreis in Grenzen. Kurbelt<br />
das billige Öl die Geschäfte der<br />
Autoindustrie an, steigert er die<br />
Gewinne der Airlines, haben die<br />
Menschen jetzt mehr Geld zum<br />
konsumieren? Der Börsianer<br />
zuckt müde mit den Schultern.<br />
Was Anleger eher umtreibt, ist<br />
die Frage, wie es mit der jungen<br />
Fracking-Industrie weitergeht.<br />
Beim Fracking wird Öl unter<br />
Hochdruck aus der Erde gepresst,<br />
unter Einsatz von Wasser<br />
und Chemikalien. Die Wall<br />
Street hat die Anbieter mit Milliarden<br />
von Risikokapital geflutet,<br />
nur so war der schnelle Ausbau<br />
binnen weniger Jahre möglich.<br />
Pioneer, Devon oder Southwestern<br />
Energy heißen die neuen<br />
Player, die in den vergangenen<br />
Jahren ihren Börsenwert vervielfachten.<br />
Die meisten produzieren Gas<br />
und Öl gleichzeitig. Um das Erdgas<br />
müssen sich ihre Finanziers<br />
nicht den Kopf zerbrechen.<br />
Es verbrennt klimaschonend<br />
und wird für die USA eine der<br />
wichtigsten Energiequellen sein.<br />
Das Problem ist das Öl. Während<br />
es in Saudi-Arabien für etwa 30<br />
Dollar pro Barrel aus dem Wüstensand<br />
quillt, fallen beim aufwendigen<br />
Fracking Kosten von<br />
50 bis 80 Dollar an. Bei Ölpreisen<br />
unter 80 Dollar wird es für<br />
den einen oder anderen amerikanischen<br />
Player deshalb eng.<br />
Halcón Resources aus Texas hat<br />
schon die Reißleine gezogen:<br />
Zwei weniger profitable Förderanlagen<br />
werden demnächst<br />
dichtgemacht. Sinken die Preise<br />
unter 70 Dollar, dürften etliche<br />
der gehypten Fracking-Aktien<br />
auf Talfahrt gehen. Nicht wenige<br />
Analysten sehen genau dann<br />
allerdings den optimalen Zeitpunkt<br />
zum Einstieg. Denn auf<br />
lange Sicht, sagen sie, werde der<br />
Ölpreis wieder steigen und die<br />
US-Ölindustrie florieren.<br />
Ist es eben diese Perspektive,<br />
die zu einem „kalten Krieg zwischen<br />
Saudi-Arabien und Texas“<br />
führt, wie US-Medien spekulieren?<br />
Fluten die Saudis den<br />
Markt bewusst mit Öl, um die<br />
US-Ölindustrie in die Knie zu<br />
zwingen? Es gebe keinen „Preiskrieg“,<br />
widersprach der saudische<br />
Ölminister Ali al-Naimi am<br />
vergangenen Mittwoch. Das sei<br />
alles bloß ein „Missverständnis“.<br />
Warum Saudi-Arabien seine<br />
Verkaufspreise für November<br />
und Dezember weiter senkte,<br />
das erklärte der Minister nicht.<br />
TREND DER WOCHE<br />
Amerikanische Hausse<br />
Die robuste Konjunktur und niedrige Zinsen beflügeln<br />
US-Aktien-Klassiker. High-Tech-Werte ziehen nach.<br />
Mit neuen Kursrekorden untermauern<br />
US-Aktien ihre führende<br />
Position unter den Weltbörsen.<br />
Auffallend stabil und<br />
immer noch ein Investment<br />
sind derzeit die Dow-Klassiker<br />
Home Depot (Baumärkte),<br />
Johnson & Johnson (Pharma),<br />
Procter & Gamble (Konsumchemie),<br />
Nike (Sportartikel)<br />
und Walt Disney (Medien). Um<br />
durchschnittlich elf Prozent<br />
stiegen die Nettogewinne amerikanischer<br />
Börsenunternehmen<br />
im dritten Quartal. Selbst<br />
wenn die Gewinne in den verbleibenden<br />
Monaten des Jahres<br />
nur noch verhalten zulegen, ergäbe<br />
das für den US-Markt eine<br />
15-fache Bewertung: kein Sonderangebot<br />
mehr, aber lange<br />
noch nicht teuer. Denn das Umfeld<br />
stimmt. Aufs Jahr gerechnet<br />
Top in den USA<br />
Disney-Figuren auf dem<br />
Empire-State-Building<br />
legt die US-Wirtschaft mit 3,5<br />
Prozent zu. Derzeit läuft in<br />
Amerika die stärkste Wachstumsphase<br />
seit 2003. Dass die<br />
Notenbank Fed auch nach dem<br />
Ende ihrer Anleihenkäufe die<br />
Zinsen auf niedrigem Niveau<br />
halten will, ist für die Börsen ein<br />
kurstreibender Mix.<br />
Damit dürfte es auch nicht<br />
mehr lange dauern, bis amerikanische<br />
Technologieaktien ihr<br />
Hoch aus dem Jahr 2000 erreichen.<br />
Dem Nasdaq-100-Index<br />
fehlen dazu noch zwölf Prozent.<br />
Und heiß gelaufen wie in der<br />
2000er-Hausse sind die High<br />
Techs keineswegs: Während die<br />
Börsenbewertung damals bei<br />
mehr als dem 100-Fachen der<br />
Unternehmensgewinne lag, ist<br />
heute gerade mal das 20-Fache<br />
erreicht.<br />
Trends der Woche<br />
Entwicklung der wichtigsten Finanzmarkt-Indikatoren<br />
Stand: 13.11.2014 / 18.01 Uhr aktuell seit einer Woche 1 seit einem Jahr 1<br />
Dax 30 9248,51 –1,4 +2,1<br />
MDax 16221,82 –0,1 +1,9<br />
Euro Stoxx 50 3056,80 –1,5 +1,2<br />
S&P 500 2038,07 +0,3 +14,4<br />
Euro in Dollar 1,2456 –0,5 –7,1<br />
Bund-Rendite (10 Jahre) 1 0,75 –0,03 2 –0,99 2<br />
US-Rendite (10 Jahre) 1 2,36 –0,02 2 –0,38 2<br />
Rohöl (Brent) 3 79,32 –4,5 –25,9<br />
Gold 4 1161,75 +1,5 –8,7<br />
Kupfer 5 6755,50 +1,1 –3,8<br />
1<br />
in Prozent; 2 in Prozentpunkten; 3 in Dollar pro Barrel; 4 in Dollar pro Feinunze,<br />
umgerechnet 931,56 Euro; 5 in Dollar pro Tonne; Quelle: vwd group<br />
FOTOS: SASCHA PFLAEGING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, ACTION PRESS/ZUMA PRESS/BRYAN SMITH, PR<br />
110 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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DAX-AKTIEN<br />
Rohstoff-Rochade<br />
Günstige Preise für Erz und Kohle helfen Thyssen-<br />
Krupp bei der dringend notwendigen Gewinnwende.<br />
HITLISTE<br />
Wenn Stahlkocher Thyssen-<br />
Krupp am Donnerstag seinen<br />
Jahresabschluss vorstellt, sollte<br />
es nach zwei schweren Verlustjahren<br />
erstmals wieder für<br />
ein ganzes Geschäftsjahr<br />
(2013/14) einen Nettogewinn<br />
in dreistelliger Millionenhöhe<br />
geben. Die Stahlpreise sind<br />
zwar niedrig, dafür bekommt<br />
Thyssen aber Erz und Kohle<br />
günstig. Selbst Konkurrent<br />
ArcelorMittal, der wegen eigener<br />
Erzminen unter Druck<br />
steht, macht seit zwei Quartalen<br />
Gewinne. Die Erträge aus<br />
dem laufenden Geschäft<br />
braucht Thyssen dringend um<br />
die chronisch klamme Bilanz<br />
(zuletzt nur neun Prozent Eigenkapital)<br />
aufzupolstern.<br />
Der Weltstahlverband rechnet<br />
damit, dass die Nachfrage in<br />
der Branche im kommenden<br />
Jahr um zwei Prozent wächst.<br />
Der Wegfall hoher Abschreibungen<br />
und das zuletzt gestiegene<br />
Betriebsergebnis signalisieren,<br />
dass Thyssen 2015<br />
abermals mehr verdienen<br />
könnte – wahrscheinlich weit<br />
über 500 Millionen Euro netto.<br />
Schwer eingedampft<br />
Rohstahlproduktion<br />
bei Salzgitter<br />
DEUTSCHE INDUSTRIEAKTIEN<br />
Einen Euro für 16 Cent<br />
Die Umsatzbewertung zeigt, welche Aktien hohes<br />
Potenzial haben – und welche nicht mehr.<br />
Dax<br />
Kurs Kursent- Gewinn KGV Börsen- Dividen-<br />
(€) wicklung pro Aktie (€) wert den-<br />
1 Woche 1 Jahr 2014 2015 2015<br />
(Mio. €) rendite<br />
(%) 1<br />
Dax 9248,51 –1,4 +2,1<br />
Aktie<br />
Stand: 13.11.2014 / 18.01 Uhr<br />
Adidas 61,60 +4,3 –28,6 3,10 3,58 17 12888 2,44<br />
Allianz 130,90 +3,4 +4,3 13,99 13,86 9 59684 4,05<br />
BASF NA 68,97 –2,7 –9,6 5,57 5,89 12 63347 3,91<br />
Bayer NA 110,65 –3,4 +18,9 6,06 6,92 16 91502 1,90<br />
Beiersdorf 67,85 –0,6 –6,9 2,49 2,74 25 17098 1,03<br />
BMW St 82,72 –2,0 +2,2 9,00 9,46 9 53073 3,14<br />
Commerzbank 11,38 –6,5 +12,8 0,56 0,97 12 12956 -<br />
Continental 152,90 –3,4 +5,1 12,75 14,01 11 30581 1,64<br />
Daimler 61,16 –2,9 +5,3 6,43 6,75 9 65407 3,68<br />
Deutsche Bank 23,79 –3,6 –26,9 2,20 3,12 8 24246 3,15<br />
Deutsche Börse 55,15 ±0 +1,7 3,65 4,00 14 10644 3,81<br />
Deutsche Post 24,55 –2,9 0 1,72 1,84 13 29681 3,26<br />
Deutsche Telekom 12,45 +3,4 +11,8 0,62 0,67 19 55395 4,02<br />
E.ON 13,04 –4,6 –5,4 0,97 0,97 13 26083 4,60<br />
Fresenius Med.C. St 58,61 +0,2 +23,2 3,50 3,93 15 18026 1,31<br />
Fresenius SE&Co 41,49 +1,0 +25,7 2,02 2,34 18 9362 3,01<br />
Heidelberg Cement St 56,51 –2,0 –0,1 3,84 4,91 12 10596 1,06<br />
Henkel Vz 83,27 +3,6 +1,9 4,29 4,71 18 34429 1,47<br />
Infineon 7,59 –2,4 +10,1 0,44 0,52 15 8200 1,58<br />
K+S NA 22,66 +0,3 +10,3 1,70 1,59 14 4337 1,10<br />
Lanxess 38,46 –1,4 –22,2 1,97 2,58 15 3200 1,30<br />
Linde 146,90 +0,4 +1,8 7,59 8,44 17 27272 2,04<br />
Lufthansa 13,01 +1,4 –11,3 1,23 1,99 7 5984 -<br />
Merck 74,67 +3,5 +22,5 4,65 4,95 15 4825 2,54<br />
Münchener Rückv. 154,65 –0,7 +0,7 17,80 17,24 9 27735 4,69<br />
RWE St 26,88 –5,5 –1,0 2,21 2,24 12 16270 3,72<br />
SAP 53,30 –2,1 –10,3 3,40 3,67 15 65479 2,06<br />
Siemens 88,16 –1,6 –7,4 6,42 7,16 12 77669 3,40<br />
ThyssenKrupp 19,13 –0,2 –0,3 0,52 1,19 16 9842 -<br />
Volkswagen Vz. 168,50 –2,9 –11,7 21,99 23,77 7 78127 2,41<br />
1<br />
berechnet mit der zuletzt gezahlten Dividende<br />
Salzgitter kann in diesem Jahr<br />
neun Milliarden Euro Umsatz<br />
schaffen. An der Börse kosten<br />
alle Aktien des Stahlkochers<br />
zusammengenommen aber<br />
nur 1,4 Milliarden Euro. Jeden<br />
Euro Jahresumsatz bezahlt die<br />
Börse also nur mit 16 Cent. Auf<br />
welche Umsatzbewertung die<br />
40 wichtigsten deutschen Industrieaktien<br />
kommen, zeigt<br />
Aktie<br />
Salzgitter<br />
Aurubis<br />
E.On<br />
Rheinmetall<br />
ThyssenKrupp<br />
RWE<br />
Südzucker<br />
Leoni<br />
Volkswagen<br />
Lanxess<br />
WincorNixdorf<br />
Daimler<br />
Osram<br />
Airbus<br />
Kion<br />
BMW<br />
DMG<br />
HeidelCement<br />
Krones<br />
Stada<br />
0,16<br />
0,17<br />
0,23<br />
0,27<br />
0,27<br />
0,34<br />
0,35<br />
0,35<br />
0,40<br />
0,44<br />
0,46<br />
0,51<br />
0,62<br />
0,64<br />
0,65<br />
0,67<br />
0,72<br />
0,79<br />
0,81<br />
0,84<br />
die Tabelle unten. Günstig sind<br />
derzeit Aktien aus den Krisenbranchen<br />
Stahl, Rohstoffe und<br />
Energie. Das heißt:Wenn hier<br />
die Gewinnwende gelingt, sind<br />
enorme Kursgewinne möglich.<br />
Auf der anderen Seite zeigen<br />
Umsatzbewertungen von 1,50<br />
und mehr, wie teuer gewinnstarke<br />
Aktienlieblinge mittlerweile<br />
geworden sind.<br />
Aktie<br />
Adidas<br />
Dürr<br />
Continental<br />
BASF<br />
MTU<br />
Evonik<br />
Kuka<br />
Siemens<br />
Wacker Chemie<br />
Gerresheimer<br />
K&S<br />
ElringKlinger<br />
Gea<br />
Linde<br />
Infineon<br />
Henkel<br />
Bayer<br />
Fuchs Petrolub<br />
Beiersdorf<br />
Symrise<br />
* Börsenwert geteilt durch den für 2014 erwarteten Geschäftsjahresumsatz;<br />
Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen<br />
Umsatzbewertung*<br />
Umsatzbewertung*<br />
0,86<br />
0,87<br />
0,88<br />
0,89<br />
0,90<br />
0,92<br />
0,96<br />
1,01<br />
1,06<br />
1,10<br />
1,14<br />
1,27<br />
1,53<br />
1,61<br />
2,00<br />
2,11<br />
2,19<br />
2,37<br />
2,73<br />
2,90<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 111<br />
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Geld&Börse | Geldwoche<br />
AKTIE Münchener Rück<br />
Dicke Dividende und<br />
Schutz vor Cyberangriff<br />
Gegen den Sturm Bergungsaktion<br />
im Chinesischen Meer<br />
Nach der Hauptversammlung<br />
am 23. April könnten die Aktionäre<br />
der Münchener Rückversicherung<br />
7,50 Euro je Anteil<br />
Dividende bekommen.<br />
Beim aktuellen Kurs von 155<br />
Euro wären das 4,8 Prozent<br />
Rendite. 2,4 Milliarden Euro<br />
netto hat die Münchener<br />
Rück in den ersten neun Monaten<br />
2014 verdient, bis Ende<br />
Dezember dürften es über<br />
drei Milliarden werden. Das<br />
wären fast 18 Euro je Aktie –<br />
genug Spielraum, die mögliche<br />
Erhöhung von bisher 7,25<br />
auf 7,50 Euro zu leisten. Und<br />
die Münchner legen hohen<br />
Wert auf die Auszahlung:<br />
Noch nie seit 1970 haben sie<br />
die Dividende gesenkt.<br />
Natürlich, die Branche hat<br />
zwei zentrale Probleme.<br />
Das allgemein niedrige<br />
Zinsniveau erschwert es, aus<br />
Anleihen und Zinspapieren<br />
gute Renditen zu holen. Umso<br />
wichtiger ist, dass bei der<br />
Münchener wenigstens das<br />
Volumen der Anlagen wächst,<br />
in diesem Jahr um 6,6 Prozent<br />
auf 223 Milliarden Euro.<br />
Die Münchner Finanzmanager<br />
mussten im Jahresverlauf<br />
Abschreibungen auf<br />
Inflationsschutzderivate vornehmen,<br />
sie dürften jetzt die<br />
Finger von solch kostspieligen<br />
Spekulationen lassen.<br />
Zweites Problem: Weil<br />
Großschäden aus Naturkatastrophen<br />
derzeit rückläufig<br />
sind, Erstversicherer mehr Risiken<br />
auf ihre eigene Kappe nehmen<br />
und fremde Anbieter<br />
(Hedgefonds, Pensionskassen)<br />
ins Versicherungsgeschäft einsteigen,<br />
sind die Prämien unter<br />
Druck. Doch die Münchner<br />
steuern dagegen. So unterschreiben<br />
sie nur Neuverträge,<br />
die auskömmliche Margen versprechen.<br />
Zudem bieten sie<br />
komplexe Finanzprodukte an,<br />
bei denen sie keine Konkurrenz<br />
der Branchenneulinge befürchten<br />
müssen: Versicherung von<br />
Satelliten, Schutz vor Cyberattacken<br />
oder Absicherung gegen<br />
ausufernde Kosten bei Neubauvorhaben.<br />
Auch wenn das Prämienvolumen<br />
der Münchener sinken<br />
sollte, dürfte das Gewinnniveau<br />
(und damit auch die Dividende)<br />
stabil bleiben. Zudem senken<br />
die Münchner damit ihr<br />
Risiko. Beides trägt dazu bei,<br />
dass die Eigenmittel wachsen,<br />
allein in diesem Jahr bisher um<br />
zwölf Prozent auf 29,3 Milliarden<br />
Euro. Kein Wunder, dass<br />
die Ratingagentur Standard &<br />
Poor’s die Münchener Rück mit<br />
der Note AA- als Top-Investment<br />
betrachtet.<br />
Münchener Rück<br />
ISIN: DE0008430026<br />
400<br />
300<br />
250<br />
200<br />
150<br />
100<br />
50<br />
00 02 04 06 08 10 12 14<br />
Kurs/Stoppkurs (in Euro): 154,60/131,40<br />
KGV 2014/2015: 8,7/9,0<br />
Dividendenrendite (Prozent): 4,8*<br />
Chance<br />
Risiko<br />
Niedrig<br />
Hoch<br />
* geschätzt für 2014;<br />
Quelle: Thomson Reuters<br />
200-Tage-Linie<br />
Jede Bohne zählt<br />
Soja-Ernte in Brasilien<br />
AKTIE Syngenta<br />
Pilze bekämpfen und<br />
Kosten drücken<br />
Schwache Währungen in<br />
den Schwellenländern und<br />
Abschreibungen auf Saatgutbestände<br />
haben Syngenta-<br />
Aktien binnen zwei Jahren um<br />
ein Viertel ihres Werts gedrückt.<br />
Doch jetzt zeichnet<br />
sich bei dem Schweizer Weltmarktführer<br />
für Pflanzenschutzmittel<br />
die Wende ab.<br />
Im dritten Quartal konnte<br />
Syngenta bei stabilem Absatz<br />
die Verkaufspreise um durchschnittlich<br />
drei Prozent erhöhen.<br />
In Asien stiegen die<br />
Umsätze um vier Prozent, in<br />
Europa legten sie um zwei<br />
Prozent zu. Entscheidend für<br />
die nächsten Monate ist die<br />
Entwicklung auf dem wichtigen<br />
lateinamerikanischen<br />
Markt, auf dem Syngenta<br />
mehr als 40 Prozent seiner<br />
Umsätze holt. Dabei hat, vor<br />
allem auf dem Kernmarkt<br />
Brasilien, das neue Pilzbekämpfungsmittel<br />
Elatus gut<br />
eingeschlagen. Zudem erweitert<br />
Syngenta sein Sortiment<br />
um Pflanzenschutzprodukte<br />
für Zuckerrohr.<br />
Nach 14,7 Milliarden Dollar<br />
Umsatz (Syngenta bilanziert<br />
in US-Währung) im Vorjahr<br />
steuern die Schweizer in dieser<br />
Saison auf gut 15 Milliarden<br />
zu. Leicht rückläufig sind<br />
derzeit noch die Margen. Da<br />
Wertberichtigungen auf Saatgutbestände<br />
nun wegfallen,<br />
dürfte schon 2014 mit rund 1,7<br />
Milliarden Dollar besser ausfallen.<br />
Kostensenkungen kommen<br />
voran, bis 2018 soll der jährliche<br />
Aufwand um eine Milliarde<br />
Dollar gedrückt werden.<br />
Mit einer Gewinnbewertung<br />
(KGV 2015) um 15 sind Syngenta-Aktien<br />
auf einem vielversprechenden<br />
Niveau angekommen.<br />
Dank hoher Finanzkraft (Eigenkapitalquote<br />
47 Prozent) dürfte<br />
es kein Problem sein, an Dividende<br />
wie bisher mehr als drei<br />
Prozent zu zahlen.<br />
Syngenta<br />
ISIN: CH0011037469<br />
450<br />
400<br />
350<br />
300<br />
250<br />
200<br />
150<br />
08 09 10 11 12 13 14<br />
Kurs/Stoppkurs (in CHF): 363,30/308,80<br />
KGV 2014/2015: 16,2/14,8<br />
Dividendenrendite (in Prozent): 3,3<br />
Chance<br />
Risiko<br />
Niedrig<br />
Hoch<br />
Quelle: Thomson Reuters<br />
50-Tage-Linie<br />
200-Tage-Linie<br />
FOTO: REUTERS/STRINGER, LAIF/CONTRASTO/EMILIANO MANCUSO, LAIF/IMAGINECHINA/AN XIN, PR<br />
112 Redaktion: Geldwoche+Zertifikate: Anton Riedl<br />
Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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ETF Chinesische Aktien<br />
Befreiungsschlag für<br />
Shanghais Börse<br />
ANLEIHE MS Spaichingen<br />
Prozente<br />
<strong>vom</strong> Laster<br />
Reissack fällt nicht um Hohes<br />
Wachstum, mehr Aktien<br />
Seit Kurzem dürfen internationale<br />
Investoren über die Börse<br />
Hongkong auch chinesische<br />
Festlandsaktien handeln. Für<br />
den zentralen chinesischen<br />
Markt dieser sogenannten<br />
A-Aktien in der Metropole<br />
Shanghai ist das ein Befreiungsschlag.<br />
Die Schweizer<br />
Großbank UBS rechnet hoch,<br />
dass insgesamt rund 600 Festlandswerte<br />
mit einer Marktkapitalisierung<br />
von zwei Billionen<br />
Dollar profitieren<br />
könnten. Zwar wird das tägliche<br />
Handelsvolumen erst einmal<br />
auf umgerechnet 2,8 Milliarden<br />
Euro gedeckelt. Das<br />
aber trägt dazu bei, dass die<br />
Nachfrage nach chinesischen<br />
Festlandspapieren nicht<br />
gleich wieder verpufft. Zudem<br />
ist es gut möglich ist, dass<br />
auch die Börse in Shenzhen<br />
dem neuen Handelsverbund<br />
angeschlossen wird.<br />
Für risikofreudige Anleger<br />
sind chinesische Aktien derzeit<br />
ohnehin interessant. Das<br />
Wachstum der chinesischen<br />
Wirtschaft (7,3 Prozent im<br />
dritten Quartal) ist trotz der<br />
jüngsten Beruhigung im internationalen<br />
Vergleich weiterhin<br />
hoch. Für die A-Aktien in<br />
Shanghai und Shenzhen erwarten<br />
Analysten in diesem<br />
Jahr einen Anstieg der Nettogewinne<br />
um durchschnittlich<br />
zwölf Prozent. Daran gemessen<br />
sind die China-Papiere<br />
mit einer zehnfachen Gewinnbewertung<br />
(KGV 2014)<br />
immer noch günstig.<br />
Die führenden A-Aktien der<br />
Börsen Shanghai und Shenzhen<br />
sind im Indexfonds (ETF)<br />
CSI300 der Deutschen Bank<br />
verrechnet. Damit der Fonds<br />
läuft wie die zugrunde liegenden<br />
Aktien, setzt die Bank auch<br />
Derivate ein. Derzeit stecken im<br />
Fonds an die 650 Millionen Euro<br />
Anlegergeld. Pro Jahr fallen<br />
0,5 Prozent Gebühr an. Die Dividenden<br />
der Indexunternehmen<br />
fließen nicht in den Fonds<br />
mit ein.<br />
Eine Währungssicherung hat<br />
der Fonds ebenfalls nicht, doch<br />
das ist angesichts der guten<br />
Aussichten der chinesischen<br />
Währung kein Nachteil. Allein<br />
seit Anfang Oktober hat der chinesische<br />
Renminbi gegenüber<br />
dem Euro um drei Prozent zugelegt.<br />
Die in WirtschaftsWoche<br />
41/2014 gestartete Renminbi-<br />
Spekulation liegt sogar schon<br />
mit elf Prozent vorne – und geht<br />
in die nächste Runde.<br />
China-A-Aktien<br />
ISIN: LU0779800910<br />
9,5<br />
9,0<br />
8,5<br />
8,0<br />
7,5<br />
7,0<br />
6,5<br />
6,0<br />
2013<br />
Chance<br />
Risiko<br />
Kursverlauf A-Aktien-ETF (CSI300)<br />
Niedrig<br />
Quelle: Thomson Reuters<br />
2014<br />
Kurs/Stoppkurs (in Euro): 8,06/6,85<br />
Basisindex: CSI300<br />
Indexwährung: Renminbi (CNY)<br />
ETF-Emittentin: Deutsche Bank<br />
(db x-trackers)<br />
Jährliche Gebühren (in Prozent): 0,5<br />
Hoch<br />
Wer für einen überschaubaren<br />
Zeitraum von zwei Jahren<br />
Geld rentabel anlegen will,<br />
muss entweder angeschlagenen<br />
Währungen oder wackligen<br />
Emittenten vertrauen. Eine<br />
Ausnahme der solideren<br />
Art ist der Motorenzulieferer<br />
MS Spaichingen, dessen Anleihe<br />
bis 2016 fast drei Prozent<br />
Jahresrendite verspricht. Allerdings,<br />
mit 23 Millionen Euro<br />
Anleihevolumen handelt es<br />
sich hier um ein echtes Spezialpapier,<br />
bei dem Aufträge (etwa<br />
über die Börse Frankfurt)<br />
limitiert werden müssen.<br />
Als Spezialist für Motorenteile<br />
(Ventiltriebsysteme, Getriebegehäuse,<br />
Kipphebel)<br />
beliefert MS die Hersteller<br />
großer Dieselmotoren wie<br />
Daimler, MTU oder MAN.<br />
Eingesetzt werden die Motoren<br />
vor allem in Lastwagen<br />
und Geländefahrzeugen. Produziert<br />
wird im baden-württembergischen<br />
Spaichingen,<br />
im sächsischen Zittau und in<br />
Webberville in den USA.<br />
Die Aussichten für MS sind<br />
nicht schlecht. Die Unternehmensberatung<br />
McKinsey<br />
rechnet damit, dass der Weltmarkt<br />
für Lastwagen von 125<br />
Milliarden Euro Jahresvolumen<br />
bis 2020 auf 190 Milliarden<br />
wächst. Bei MS waren die<br />
Auftragseingänge zuletzt lebhaft.<br />
Wegen der Überalterung<br />
der Nutzfahrzeugflotten und<br />
des Nachholbedarfs bei<br />
Neuinvestitionen sollte dieser<br />
Trend auf den Hauptabsatzmärkten<br />
Deutschland und<br />
USA anhalten.<br />
Im Aufwind ist auch die<br />
zweite, kleinere Sparte<br />
Schweißen mit Ultraschalltechnik.<br />
Kunden kommen<br />
vor allem aus der wenig<br />
konjunktursensiblen Verpackungsindustrie.<br />
Motorenzulieferer wittert Morgenluft<br />
MS-Werk in Spaichingen<br />
Nach 20 Prozent Umsatzplus<br />
im ersten Halbjahr dürfte MS<br />
2014 insgesamt rund 180 Millionen<br />
Euro Umsatz erzielen. Bei<br />
einer stabilen operativen Rendite<br />
um zehn Prozent sind 18 Millionen<br />
Euro Ebitda (Gewinn vor<br />
Steuern, Zinsen, Abschreibungen<br />
und Amortisation) möglich.<br />
Daran gemessen wären die Nettoschulden,<br />
die etwa 58 Millionen<br />
Euro ausmachen dürften,<br />
gut das Dreifache. Das ist ausreichend,<br />
jedoch würde der<br />
geplante Schuldenabbau die<br />
Bilanz schon stärken. Die auf<br />
kleine Unternehmen spezialisierte<br />
Ratingagentur Creditreform<br />
bewertet MS angesichts<br />
einer Eigenkapitalquote von<br />
26,2 Prozent mit der Note BBB-;<br />
gerade noch Investmentgrade.<br />
Hinter dem Anleiheemittenten<br />
MS Spaichingen GmbH<br />
steht der Gesellschafter MS Industrie<br />
AG, dessen Aktien<br />
(DE0005855183) zu 57 Prozent<br />
im Streubesitz sind. Großaktionäre<br />
sind die Münchner Beteiligungsgesellschaft<br />
MS Proactive<br />
um MS-Chef Armin Distel und<br />
die schwäbische Industriellenfamilie<br />
Meyer, die seit Jahrzehnten<br />
hinter dem Unternehmen steht.<br />
Kurs (%) 106,98<br />
Kupon (%) 7,25<br />
Rendite (%) 2,90<br />
Laufzeit bis 15. Juli 2016<br />
Währung<br />
Euro<br />
ISIN<br />
DE000A1KQZL5<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 113<br />
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Perspektiven&Debatte<br />
Schaut auf<br />
diesen Klotz!<br />
ARCHITEKTUR | Der Wettbewerb der Spektakelbauten<br />
nimmt immer groteskere Züge an. Höchste Zeit<br />
zur Rückbesinnung auf das Ensemble. Eine lebenswerte<br />
Stadt entsteht nicht durch solitäre Riesenplastiken.<br />
Wer vor drei Jahren die<br />
Schnellstraße durch Lyon<br />
Richtung Süden nahm,<br />
kam an einer Baustelle vorbei,<br />
die einem Trümmerfeld<br />
glich: wild durcheinander gewirbelte,<br />
dramatisch ineinander verkeilte Stahlträger,<br />
als habe hier soeben ein Tornado<br />
gewütet. Nähert man sich heute aus<br />
umgekehrter Richtung der französischen<br />
Metropole, reckt sich einem schon von<br />
Weitem ein furchteinflößendes Metallmonster<br />
entgegen, ein futuristisches Großinsekt,<br />
das den Trümmern entstiegen ist,<br />
um sich wie in einem Horrorstreifen der<br />
B-Klasse über die Landzunge am Zusammenfluss<br />
von Rhône und Saône herzumachen<br />
– das Musée des Confluences, ein<br />
Wissenschaftsmuseum mit den Schwerpunkten<br />
Technik und Natur, in einem<br />
Monat wird es eröffnet. Der mächtig ausgreifende<br />
Koloss, der erkennbar schwer an<br />
seinen Ambitionen trägt, ist das jüngste<br />
Mahnmal städteplanerischen Ehrgeizes.<br />
An der Spitze einer ehemaligen Industriebrache<br />
südlich der City erhält Lyon ein<br />
neues Entrée, ein skulpturales Supersymbol,<br />
umtost von Verkehr, das den Nicht-Ort<br />
zum Kult-Ort promovieren soll: Architektur<br />
von Coop Himmelb(l)au, typisch dröhnendes<br />
Stahl-Glas-Spektakel im Dienst des<br />
City-Branding.<br />
Feingeister mögen von Entertainment-<br />
Architektur sprechen, von gebauter Reklame.<br />
Doch die Strategie hat sich bewährt,<br />
spätestens seit Frank O. Gehry Mitte der<br />
Neunzigerjahre im nordspanischen Bilbao<br />
die Architektur zum Tanzen gebracht hat.<br />
Mit den schwingenden Formen des Guggenheim-Museums<br />
bewies der kanadische<br />
Baumeister, dass moderne Architektur<br />
ein glänzendes Marketinginstrument ist.<br />
Die ehedem kunstferne Provinzkapitale<br />
mit darniederliegender Schwerindustrie<br />
wurde zu einem Wallfahrtsort des Architekturtourismus<br />
– und Gehry, der Großmeister<br />
des biomorphen Bauens, zum<br />
Pionier eines Städtewettbewerbs um Aufmerksamkeit.<br />
STADTPOLITIK IST BILDPOLITIK<br />
Der sprichwörtlich gewordene „Bilbao-Effekt“<br />
prämiert seither eine Bauproduktion,<br />
die auf demonstrativ verblüffende, unverwechselbare,<br />
überwältigende Wirkungen<br />
abzielt: wackelnde Wände, schiefe Ebenen,<br />
spektakuläre Karambolagen als architektonische<br />
„special effects“. Der Stadtplaner<br />
Georg Franck spricht <strong>vom</strong> „Funktionalismus<br />
der Auffälligkeit“. Eine Architektur, die<br />
im Dienst der Werbung steht, wird zum<br />
„Medium der Massenattraktivität“, muss<br />
„nicht nur Geld, sondern Aufsehen verdienen“.<br />
Ihre Aufgabe besteht darin, einprägsame<br />
Logos zu schaffen, die als Wunschbilder<br />
städtischer Identität fungieren: „Seht<br />
her, so bin ich!“<br />
Längst gehört es zur Planungspraxis der<br />
Städte, im Schulterschluss mit „Star“-Baumeistern<br />
Architektur als unverwechselbare<br />
Marke einzusetzen, als visuelle Visitenkarte.<br />
Der „fotografische Blick“, resümiert die<br />
Stadtsoziologin Martina Löw, ist „zum dominanten<br />
Blick in der Stadtwahrnehmung<br />
geworden, für Investoren wie für<br />
Touristen“. Stadtpolitik sei heute „Bildpolitik“,<br />
weil der Tourismus sich durch die Allgegenwart<br />
der Bilder in Reisemagazinen<br />
und Prospekten verändert habe. Anders als<br />
früher bereisen Besucher heute Städte<br />
Hoppla, da bin ich<br />
Der Frankfurter EZB-Neubau<br />
von Wolf Prix schreit nur so<br />
nach Aufmerksamkeit<br />
nicht mehr, um vor Ort ihre Attraktionen<br />
im Original zu bestaunen, sondern um sich<br />
das fotografisch und filmisch längst Bestaunte<br />
vor Ort und im Original bestätigen<br />
zu lassen. Jeder Tourist hat lange vor seiner<br />
Reise nach Bilbao das zu erlebende Gehry-<br />
Image der Stadt im Kopf – und reist nach<br />
Bilbao, um dessen Gültigkeit einzufangen.<br />
Kein Wunder, dass selbst altehrwürdige<br />
Metropolen an ihrem Image bauen. In Paris<br />
ist soeben das Museum der Fondation<br />
Louis Vuitton eröffnet worden. Mitten im<br />
Bois de Boulogne spreizt sich der neueste<br />
Gehry-Bau mit seinen monumentalen<br />
FOTO: MARC-STEFFEN UNGER<br />
114 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Glasflügeln auf, als gehe es darum, aller<br />
Welt zu beweisen, dass Paris immer noch<br />
ewig junge, sprühende Avantgarde sei<br />
(und der Bauherr, LVMH-Chef Bernard<br />
Arnault, sich als Erbe der Monarchen verstehen<br />
dürfe).<br />
Und in Frankfurt wird Anfang kommenden<br />
Jahres die neue Heimstatt der Europäischen<br />
Zentralbank eröffnet, wieder ein<br />
Bau der Marke Coop Himmelb(l)au. Auf<br />
der früheren Brache im Frankfurter Ostend,<br />
in respektheischender Distanz zu den<br />
Wolkenkratzern der City, haben es die<br />
Wiener „Gaudiburschen“ (Georg Franck)<br />
um Büro-Chef Wolf Prix ordentlich krachen<br />
lassen. Auf den sachlich-expressionistischen<br />
Klotz der Großmarkthalle von<br />
Martin Elsässer aus dem Jahr 1928 haben<br />
sie einen groben, fantastisch-neoexpressionistischen<br />
Keil in Gestalt eines 185 Meter<br />
hohen Doppelturms gesetzt, dessen<br />
Außenwände nach oben hin merkwürdig<br />
verdreht und verzogen wirken – gerade so,<br />
als würde der Turm in Schieflage geraten.<br />
Ein Kommentar zu den Schuldenkrisen,<br />
die unsere Wirtschaftswelt erschüttern?<br />
Ach was. An einer kritischen Interpretation<br />
des Kapitalismus im Zentrum der deutschen<br />
Hochfinanz ist Prix nicht gelegen,<br />
im Gegenteil: Stolz und prahlerisch prangen<br />
die Türme wie eine Geldwalhalla über<br />
Frankfurt.<br />
Vielleicht kann man den in jeder Hinsicht<br />
schrägen Bau nur verstehen, wenn<br />
man die Entwurfsidee kennt:Prix hat einen<br />
Quader mit einem kurvigen Schnitt getrennt<br />
und eine Hälfte auf den Kopf gestellt,<br />
sodass die kurvigen Seiten der beiden<br />
Teile nach außen zeigen.<br />
Heraus kommt eine absichtsvoll verwirrende<br />
Raumfigur, von der sich ihr Schöpfer<br />
einen Wow-Effekt verspricht: „Das wird<br />
»<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 115<br />
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Perspektiven&Debatte<br />
Ornament und Verbrechen Musée des Confluences in Lyon von Coop Himmelb(l)au<br />
»<br />
man sich merken“, hat Prix prophezeit –<br />
und die Vorgaben des Bauherrn damit<br />
voll erfüllt: einen Bau zu schaffen, der eine<br />
Ikone darstellt. Der Blick findet keinen Halt<br />
an den stürzenden Perspektiven der Fassade.<br />
Das soll er auch nicht: Ruhestörung<br />
gehört bei Coop Himmelb(l)au zum<br />
Programm, seit den Siebzigerjahren, als<br />
die selbst ernannten Wolkenschieber und<br />
Rolling-Stones-Fans die Architekturwelt<br />
durcheinander wirbelten. Erst mit Parolen,<br />
die zu einer Architektur aufriefen, „die<br />
leuchtet, die sticht, die fetzt und unter Dehnung<br />
reißt“. Dann mit realen Bauten, einer<br />
Art Antiarchitektur, die bekannte Bau-<br />
Konventionen aufs Korn nahm.<br />
Die Störung des Baukörpers und seine<br />
gezielte Dekonstruktion wurden zum Markenzeichen<br />
einer ganzen Generation: Architekten<br />
wie Daniel Libeskind, Frank O.<br />
Gehry, Wolf Prix und Zaha Hadid zogen<br />
aus, den Funktionalismus der Sechziger-,<br />
Siebzigerjahre das Fürchten zu lehren, mit<br />
dynamisch bewegten Bauten, deren Winkel<br />
aggressiv zugespitzt wurden wie bei<br />
Libeskind und Hadid oder mit dem heiterverspielten<br />
Pop-Interventionen eines Gehry.<br />
Was die Riege der sogenannten Dekonstruktivisten<br />
bei aller Unterschiedlichkeit<br />
eint, ist der Wille zum Extravaganten, zum<br />
effektvoll Deformierten, zum demonstrativ<br />
auffälligen Signet. Der Gestus der Unangepasstheit,<br />
der Provokation des Althergebrachten<br />
macht sie so attraktiv: Was als Anschlag<br />
auf die Bauwirtschaftsmoderne begann,<br />
wurde zum Modell für das Corporate<br />
Design der Städte.<br />
Das Gebäude<br />
profiliert sich<br />
auf Kosten der<br />
Umgebung<br />
PILZE UND MARSHMALLOWS<br />
Inzwischen auch zum Imageinstrument<br />
asiatischer Semidiktaturen, die sich Denkmäler<br />
ihrer Autorität und Fortschrittlichkeit<br />
setzen. Der Berliner Architekt Jürgen<br />
Mayer H etwa, dem das südspanische Sevilla<br />
das Implantat einer hölzernen Pilzlandschaft<br />
auf dem zentralen Platz der Altstadt<br />
verdankt, hat für seine Marshmallow-Bauten<br />
Abnehmer in Georgien gefunden.<br />
Und Zaha Hadid hat zuletzt mit dem<br />
Kulturzentrum in Aserbaidschans Hauptstadt<br />
Baku für Aufsehen gesorgt: Die glamouröse<br />
Plastik einer Riesenwelle aus<br />
weißem Beton ergießt sich in die Stadtlandschaft.<br />
Ihr Entwurf für das Performing<br />
Arts Center in Abu Dhabi zeigt, wohin die<br />
Reise geht: Die Formen werden biologisch-fluid,<br />
statt scharfer Kanten und Keile<br />
konturieren nun weiche, zerfließende<br />
Kurven das Bauprofil. Die digitalen Entwurfstechniken<br />
laden zu gestalterischen<br />
Freiheiten ein, wie man sie früher nicht<br />
kannte. Die Auffälligkeit wird geschmeidiger<br />
– und bleibt doch, was sie ist: bloßer<br />
Selbstzweck.<br />
Die Folge ist ein Wettbewerb der Überspanntheiten,<br />
bei dem Architektur wie<br />
Publikum mittlerweile aus der Puste geraten.<br />
„Der Aufmerksamkeits- und Erregungswert<br />
dieser terroristisch-touristischen<br />
Dauerprovokationen gerade im Kulturtourismus<br />
ist weiterhin hoch“, sagt der<br />
Architekturtheoretiker Michael Mönninger,<br />
„doch die anhaltende Serienfabrikation von<br />
angeblich unverwechselbaren Unikaten<br />
stößt an die Grenze des öffentlichen Auffassungsvermögens.“<br />
Libeskind in Berlin oder<br />
New York sei noch „ein Statement“ gewesen,<br />
aber Libeskinds neue Uni-Aula in<br />
Lüneburg, ein Abklatsch seiner Metropolen-Bauten<br />
in der Provinz, sei „deplatziert“.<br />
Fritz Neumeyer, Professor für Architekturtheorie<br />
an der TU Berlin, spricht <strong>vom</strong><br />
„Originalitätsstress“: Alles soll spektakulär<br />
sein, als könne man, wie Mies van der Rohe<br />
einmal ironisch sagte, „jeden Montag“ die<br />
FOTOS: QUENTIN LAFONT, ARTURIMAGES.COM/VIEW/NATHAN WILLOCK, ZAHA HADID ARCHITECTS, STUDIO X/DIVERGENCE<br />
116 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Opulenz und<br />
Auflösung Entwurf für<br />
das Performing Arts<br />
Center in Abu Dhabi<br />
von Zaha Hadid<br />
Struktur und Form New Museum in New York von Sanaa<br />
Stolz und Eitelkeit<br />
Museum der Louis-<br />
Vuitton-Stiftung von<br />
Frank O. Gehry im Bois<br />
de Boulogne in Paris<br />
Architektur neu erfinden. Die Logik dieses<br />
„Überbietungswettbewerbs“ führe dazu,<br />
dass es nicht mehr um Architektur als<br />
Raumkunst geht, sondern um „mediale<br />
Bildwirkungen“: „Jeder will noch mal eins<br />
draufsetzen“ – auf Kosten des städtischen<br />
Ensembles und der „Mitspielerqualität“.<br />
Für Neumeyer gehört es zur Ironie der Geschichte,<br />
dass, nachdem die Moderne das<br />
Ornament aus der Architektur verbannt<br />
habe, jetzt das ganze Gebäude zum Ornament<br />
wird, zur Riesenplastik. Die „Objektfixierung“,<br />
die in Markenzeichen-Architekturen<br />
zum Ausdruck kommt, beschleunige<br />
die Fragmentierung der Stadt. Das isolierte<br />
Gebäude profiliere sich auf Kosten seiner<br />
Umgebung, es sauge der Stadt Energie<br />
ab, anstatt ihr Energie zuzuführen – ein<br />
Grundproblem der Gegenwartsarchitektur:<br />
Sie vergisst, dass Architektur ein<br />
„Mannschaftssport“ (Georg Franck) ist,<br />
dass es darauf ankommt, mit anderen Architekturen<br />
zu kooperieren, im Gleichklang<br />
wie im Kontrast.<br />
Dass das möglich ist, zeigt beispielhaft<br />
Hans Kollhoffs Daimler-Chrysler-Gebäude<br />
am Potsdamer Platz in Berlin, ein hochaufragender<br />
Backsteinbau, der sich in die<br />
Block- und Platzstruktur integriert. Das<br />
zeigen die Solitäre von Herzog & de<br />
Meuron (Hamburger Elbphilharmonie,<br />
Münchner Allianz-Arena), die die Kraft<br />
zum Wahrzeichen haben, ohne der Stadt<br />
ihren Stempel aufzudrücken. Das zeigt<br />
beispielhaft das New Yorker New Museum<br />
des japanischen Architekturbüros Sanaa:<br />
Ein Turm aus versetzt übereinander gestapelten,<br />
silbrig-weißen Kartons, dessen minimalistische<br />
Schönheit auf die Nachbarschaft<br />
abstrahlt.<br />
Selbst Rem Koolhaas, der einst Forderungen<br />
des Städtebaus mit der Parole „Fuck the<br />
context“ abfertigte, hat einen vorsichtigen,<br />
für manche sogar entschiedenen Kurswechsel<br />
vollzogen: Das Ende vergangenen<br />
Jahres eröffnete Hochhaus „De Rotterdam“,<br />
ein Entwurf aus den späten Neunzigerjahren,<br />
wirkt mit seinen seitlich verschobenen<br />
Türmen noch wie ein monumentales Ausrufezeichen,<br />
ein vorweggenommenes Symbol<br />
des aus den Fugen geratenen Kapitalismus.<br />
Und Koolhaas’ offen-verschrägtes<br />
CCTV-Trapez in Peking wiederum, eines<br />
der berühmtesten Signature-Buildings der<br />
Gegenwart, lässt sich als „kritischer Kommentar“<br />
zur Unterdrückung der Presseund<br />
Meinungsfreiheit in China lesen, sagt<br />
Kulturtheoretiker Alexander Gutzmer,<br />
Chefredakteur des Fachmagazins „Baumeister“:<br />
Alles, was dieses Haus verlässt,<br />
sind windschiefe Nachrichten.<br />
Im Gegensatz dazu zelebriert Koolhaas’<br />
Entwurf für den neuen Springer-Campus<br />
in Berlin eine radikale Öffnung: Das alte<br />
Hochhaus („Die gedruckte Zeitung“) richtet<br />
den Blick förmlich aufs Neue („Die digitale<br />
Medienwelt“). Der Bau wirkt trotz der<br />
ungewöhnlichen, terrassenartig angelegten<br />
Arbeitslandschaft vergleichsweise bescheiden<br />
und nimmt, wie Fritz Neumeyer<br />
sagt, als einziger Wettbewerbsbeitrag auf<br />
die städtebaulichen Rahmenbedingungen<br />
Rücksicht. Ein Hinweis darauf, dass die<br />
Ära der Sensationsbauten ihren Zenit<br />
überschritten hat? Vielleicht.<br />
KUNST ODER LEBEN<br />
Vielleicht aber auch nicht. Wolf Prix, dessen<br />
Büro zurzeit in Tirana das neue Parlamentsgebäude<br />
Albaniens als „herausragende<br />
Landmarke“ plant, sieht in Europa<br />
überall „Angst vor der Zukunft, Angst vor<br />
Veränderung, Angst vor dem Fortschritt“.<br />
Architektur war für ihn „immer Kunst“. Die<br />
„Utopie der Architektur“, so Prix, verlange<br />
nach „Schaffung von neuen Körpern und<br />
fremden Gestalten, die wie Meteoriten von<br />
einem fremden Stern in die Vertrautheit<br />
einschlagen“. Eine lebenswerte Stadt aber<br />
lässt sich aus solchen „Fremdkörpern“<br />
nicht bauen. Sie braucht die Abstimmung<br />
ihrer Architektur, die Kooperation ihrer<br />
Gebäude. Architektur ist gebaute Begegnung,<br />
gebaute Umgangsform – und kein<br />
Schauplatz für Egomanen.<br />
n<br />
christopher.schwarz@wiwo.de, dieter schnaas | Berlin<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 117<br />
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Perspektiven&Debatte | Kost-Bar<br />
ALLES ODER NICHTS<br />
FRANK SCHÜBEL<br />
Sprecher des Vorstands<br />
des Getränkeherstellers<br />
Berentzen<br />
Aktien oder Gold?<br />
Gold – am Hals meiner Frau.<br />
Cabrio oder SUV?<br />
Offen, flach, laut.<br />
Apartment oder Villa?<br />
Apartment plus Wohnmobil,<br />
sobald die Kinder aus dem<br />
Haus sind.<br />
Fitnessstudio oder Waldlauf?<br />
Wald, auch bei Regen.<br />
Buch oder E-Reader?<br />
Buch, weil es parallel keine<br />
E-Mails empfängt.<br />
Paris oder London?<br />
Gin Tonic in London.<br />
Nass oder trocken rasieren?<br />
Nassrasur, weil sie sich wie<br />
Körperpflege anfühlt.<br />
Rotwein oder Weißwein?<br />
Alkohol nur geschäftlich und<br />
nur ab 25 %.<br />
Jazz oder Klassik?<br />
Klassik, weil sich mein Tagesablauf<br />
oft wie Jazz anfühlt.<br />
Mountainbike oder Rennrad?<br />
Beides: Ich besitze von jedem<br />
drei Stück.<br />
Berge oder Meer?<br />
Vom Berg aufs Meer schauen<br />
und nie nass werden müssen.<br />
Fenster- oder Gangplatz?<br />
Kurzstrecke Gang (Flucht),<br />
Langstrecke Fenster (Ruhe).<br />
Tee oder Kaffee?<br />
Espresso jede Stunde, mein<br />
einziges Laster.<br />
NEUES HOTEL IN BERLIN<br />
Zoo auf dem Ku’damm<br />
Leoparden schleichen als Muster über den grünen Teppich, den Modemacherin<br />
Diane von Fürstenberg gestaltet hat. Ausgesucht für die Lobby des Hotels Zoo auf<br />
dem Kurfürstendamm hat ihn Designerin Dayna Lee, die das Interieur in den zwei<br />
Jahren des Umbaus völlig auf den Kopf stellte. Backsteinwände wurden freigelegt,<br />
und handgefertigter Stuck wurde an die Decke gebracht. Das Hotel, einst ein Treffpunkt<br />
der Stars während der Berlinale, soll nun, laut Lee, die Atmosphäre bieten<br />
für „junge Menschen, die im Wohnhaus ihrer Ahnen leben und alte Möbel mit modernen<br />
Elementen kombinieren“. Dank der historischen Gebäudeteile gleicht keines<br />
der 130 Zimmer dem anderen. Doppelzimmer ab 130 Euro. designhotels.com<br />
FUSSBALL-MUSICAL<br />
Wunder 1954<br />
Es ging nur um Fußball. Und<br />
doch erhielt das Weltmeisterschaftsfinale<br />
in der Schweiz<br />
neun Jahre nach Ende des Zweiten<br />
Weltkriegs den Ehrennamen<br />
„Das Wunder von Bern“.<br />
So heißt auch das Musical, das<br />
<strong>vom</strong> 23. 11. an die Geschichte<br />
der Familie Lubanski rund um<br />
das 3:2 der deutschen Nationalspieler<br />
gegen Ungarn erzählt.<br />
Uraufführung ist im Theater an<br />
der Elbe in Hamburg, die Musik<br />
stammt von Martin Lingnau,<br />
die Texte sind von Frank Ramond,<br />
der für Udo Lindenberg<br />
und Roger Cicero schrieb.<br />
stage-entertainment.de<br />
THE NEW YORKER<br />
„It’s disappointing that even the secret shadow<br />
government can’t get anything done.“<br />
FOTOS: PR, CARTOON: PAUL NOTH/CONDÉ NAST PUBLICATIONS/WWW.CARTOONBANK.COM<br />
118 Redaktion: thorsten.firlus@wiwo.de<br />
Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Leserforum<br />
Neues <strong>vom</strong> US-Forscher Shenkar Besser kopieren statt entwickeln<br />
Perspektiven&Debatten<br />
Interview: Oded Shenkar, Forscher an<br />
der Ohio State University und Autor,<br />
über Innovationen. Heft 46/2014<br />
Provokativ<br />
Den Ausführungen von Oded<br />
Shenkar kann ich leider nicht<br />
folgen. Zum einen widerspricht<br />
er sich ständig, indem er zunächst<br />
das Kopieren als anzustrebende<br />
Handlung empfiehlt,<br />
dann hält er das Forschen doch<br />
für durchaus nützlich. Seine Ansichten<br />
zeugen mehr von einer<br />
teils provokativen und kurzsichtigen<br />
Denk- und Handlungsweise<br />
nach amerikanischem Muster.<br />
Einige asiatische Firmen<br />
haben bis heute immer noch<br />
große Schwierigkeiten mit dem<br />
Kopieren von Premiumprodukten,<br />
weil sie durch ihre hierarchische<br />
Führungsstruktur nicht<br />
in der Lage sind, wirklich zu verstehen,<br />
was sie eigentlich kopieren<br />
oder nur schlecht nachahmen.<br />
Es kann ja kein Zufall der<br />
automobilen Zeitgeschichte<br />
sein, dass die deutsche Fahrzeugindustrie<br />
noch bis heute<br />
um ihren innovativen soliden<br />
Premiumstatus beneidet wird<br />
und man unentwegt versucht,<br />
deren Level zu erreichen. Langfristig<br />
werden immer nur die Firmen<br />
überleben, die eine gesunde<br />
Innovationskultur haben und<br />
beständig in diese investieren.<br />
Joachim Riegel, via E-Mail<br />
Kahl am Main (Bayern)<br />
Politik&Weltwirtschaft<br />
Droht Europa durch separatistische<br />
Bewegungen eine neue Kleinstaaterei.<br />
Heft 45/2014<br />
Insolvenz anmelden<br />
Seit 1962 war ich rund 250 Mal<br />
in Spanien – vorwiegend beruflich.<br />
Dabei habe ich die<br />
Katalanen als intelligentes Volk<br />
kennengelernt. Nach dem,<br />
was dort in den letzten Monaten<br />
abgelaufen ist, kann diese<br />
Wertung nicht mehr gelten. Der<br />
Gipfel war die Absicht des katalanischen<br />
Parlaments, einen<br />
eigenen Geheimdienst ins<br />
Leben zu rufen, um für einen<br />
„kalten Krieg“ mit Spanien<br />
gerüstet zu sein. Katalonien ist<br />
die am höchsten verschuldete<br />
autonome Region Spaniens.<br />
Am Tage eins nach der „Independancia“<br />
müsste Kataloniens<br />
Präsident Artur Mas Insolvenz<br />
anmelden, weil er die Kredite<br />
nicht mehr bedienen kann.<br />
Jürgen Runau, via E-Mail<br />
Schwabach (Bayern)<br />
Kubas Flagge<br />
Was bei uns relativ wenig bekannt<br />
sein dürfte: Die abgebildete<br />
Flagge gelb-rot gestreift<br />
(<strong>vom</strong> Königshaus Aragón) mit<br />
blauem Dreieck und weißem<br />
Stern ist die „estelada blava“. Sie<br />
steht seit 1908 für die Unabhängigkeitsbewegung<br />
der Katalanischen<br />
Länder Katalanien nebst<br />
Valencia und den Balearen.<br />
Durch das Dreieck und den<br />
Stern erinnert sie stark an die<br />
Flagge Kubas. Wie das? Dem<br />
katalanischen Aktivisten Vincenc<br />
Albert Ballester hat sie bei<br />
einem Kuba-Aufenthalt einfach<br />
nur gefallen.<br />
Dr. Peter Gros, via E-Mail<br />
Saarbrücken<br />
Einblick<br />
Chefredakteurin Miriam Meckel<br />
über die Bundesregierung und die<br />
schwarze Null. Heft 44/2014<br />
Die Top Fünf der Woche<br />
Die beliebtesten Artikel auf WirtschaftsWoche Online<br />
1Interview mit dem Ökonomen Jim O’Neill<br />
http://www.wiwo.de/10949536.html<br />
2Nürburgring: Das Desaster geht weiter<br />
http://www.wiwo.de/10954276.html<br />
3Die Epidemie der nervigen Floskeln<br />
http://www.wiwo.de/10960790.html<br />
4Wie Goldman-Sachs-Manager Deutschland erobern<br />
http://www.wiwo.de/10914020.html<br />
5Das riskante Experiment der HypoVereinsbank<br />
http://www.wiwo.de/10946712.html<br />
Haften für Löwenanteil<br />
Sie haben die schwarze Null<br />
bereits wunderbar persifliert.<br />
In der Tat hat es schon etwas<br />
rührend Tragikomisches, wie<br />
unsere Politiker die schwarze<br />
oder rote Null umtanzen und<br />
sich für Millioneneinsparungen<br />
selbst beweihräuchern, während<br />
andere das schmutzige<br />
Geschäft des Schuldenmachens<br />
in unvergleichlich<br />
größeren Dimensionen für<br />
Deutschland gleich mitbesorgen:<br />
die chronisch defizitären<br />
Euro-Länder im Verbund mit<br />
der Europäischen Zentralbank.<br />
Der deutsche Steuerzahler<br />
haftet in jedem Fall für den<br />
Löwenanteil.<br />
Hans-Joachim Bress, via E-Mail<br />
Lüneburg (Niedersachsen)<br />
Politik&Weltwirtschaft<br />
Forum: Die Energiewende findet vor<br />
allem bei der Stromerzeugung statt.<br />
Heft 43/2014<br />
Große Plauderer<br />
Prima geschrieben. Die Autoren<br />
gehören zu den wenigen,<br />
die sich um den Mikrobereich<br />
der Energieeinsparung kümmern.<br />
Brüssel, Berlin, Minister<br />
und sonstige große Plauderer<br />
beschäftigen sich mit Ressourcenschonung<br />
im Makrobereich<br />
bis 2050. Richtig ist, wie Sie fordern,<br />
sofort angreifen und das<br />
mit minimalem Kapitalaufwand<br />
und schneller Amortisation.<br />
Warum will das niemand<br />
umsetzen? Es gibt noch viel zu<br />
tun!<br />
Manfred Ritter, via E-Mail<br />
Neumarkt (Bayern)<br />
Beste Fabrik<br />
Polo aus Pamplona. Preisverleihung in<br />
Weimar an das Volkswagenwerk in<br />
Pamplona. Heft 44/ 2014<br />
Korrektur<br />
Cord Busche ist nicht der<br />
Leiter des VW-Polo-Werks in<br />
Pamplona, er verantwortet<br />
dort die Produktionsplanung.<br />
Werksleiter ist Emilio Saenz.<br />
Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.<br />
Leserbriefe geben die Meinung des<br />
Schreibers wieder, die nicht mit der<br />
Redaktionsmeinung übereinstimmen<br />
muss. Die Redaktion behält sich vor,<br />
Leserbriefe gekürzt zu veröffentlichen.<br />
WirtschaftsWoche<br />
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40045 Düsseldorf<br />
E-Mail: leserforum@wiwo.de<br />
Bei Zuschriften per E-Mail bitten wir<br />
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ILLUSTRATION: CARLO GIAMBARRESI<br />
120 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Anfang des jeweiligen Artikels<br />
A<br />
Acatis Investment....................................................... 100<br />
Accenture.....................................................................82<br />
ADAC............................................................................62<br />
Adidas.......................................................................... 90<br />
Advent..........................................................................56<br />
Air Berlin...................................................................... 12<br />
Airbnb.......................................................................... 83<br />
Allergan......................................................................106<br />
Allianz.................................................................... 44, 90<br />
Alpha-Assets.............................................................. 108<br />
Amazon...............................................20, 70, 74, 83, 106<br />
AppelrathCüpper...........................................................56<br />
Apple......................................................................76, 90<br />
Arcelor Mittal..............................................................111<br />
Areva............................................................................64<br />
Audi..............................................................................16<br />
Avantgarde Acoustic..................................................... 76<br />
Avispador..................................................................... 70<br />
B<br />
Banco Santander.......................................................... 20<br />
BASF...................................................................... 44, 90<br />
Bayer............................................................................44<br />
Bench...........................................................................13<br />
Benchmark Capital........................................................83<br />
Roland Berger...............................................................62<br />
Beyerdynamic...............................................................79<br />
Bilfinger..................................................................60, 64<br />
Bitpay...........................................................................88<br />
BMW............................................................................ 14<br />
Hugo Boss.................................................................... 13<br />
C<br />
Cadence Design Systems.............................................106<br />
Canadian Pacific Railway.............................................106<br />
Cevian.......................................................................... 60<br />
Charter Communications.............................................106<br />
Christ........................................................................... 56<br />
Christie’s...................................................................... 28<br />
Chrysler........................................................................44<br />
Ciel et Terre.................................................................. 81<br />
City2City.......................................................................62<br />
Coca-Cola.....................................................................11<br />
Comcast..................................................................... 106<br />
Condor......................................................................... 12<br />
Continental...................................................................44<br />
Thomas Cook................................................................ 12<br />
Crisp Research..............................................................70<br />
CSX............................................................................ 106<br />
D<br />
3i................................................................................. 56<br />
Daimler...........................................................44, 81, 113<br />
Degussa......................................................................100<br />
DeinBus.de................................................................... 62<br />
Dekra........................................................................... 87<br />
Dekra Certification Group.............................................. 14<br />
Deutsche Bank........................................................44, 52<br />
Deutsche Lufthansa.......................................... 12, 62, 90<br />
Deutsche Telekom.............................................44, 52, 70<br />
Devon Energy..............................................................110<br />
Disney.......................................................................... 13<br />
DJE Kapital................................................................. 100<br />
Douglas........................................................................ 56<br />
Dropbox........................................................................83<br />
E<br />
E.On............................................................................. 44<br />
Ebay............................................................................. 83<br />
Ehrmann.......................................................................14<br />
Emeram Capital Partners...............................................13<br />
Emotiv.......................................................................... 88<br />
EnBW.......................................................... 14, 82, 88, 90<br />
Endesa......................................................................... 20<br />
Escada..........................................................................13<br />
Etihad...........................................................................12<br />
Euler-Hermes-Versicherungsgruppe...............................64<br />
Evonik.......................................................................... 82<br />
F<br />
Facebook......................................................................83<br />
Fiat...............................................................................20<br />
Fielmann.......................................................................90<br />
FlixBus..........................................................................62<br />
FMG............................................................................. 64<br />
Ford..............................................................................16<br />
Fuchs Petrolub..............................................................90<br />
Fujitsu.......................................................................... 88<br />
G<br />
General Electric............................................................ 64<br />
Gleiss Lutz.................................................................. 104<br />
Glenview Capital Management.....................................106<br />
Google.................................................................... 83, 90<br />
GPIF........................................................................... 106<br />
H<br />
Halcon Resources.......................................................110<br />
Hapag-Lloyd................................................................. 44<br />
HDtracks.com...............................................................76<br />
HeidelbergCement........................................................ 52<br />
Henkel..........................................................................44<br />
Herrenknecht................................................................64<br />
HighResAudio.com........................................................76<br />
HMV...............................................................................8<br />
Hogan Lovells..............................................................104<br />
Home Depot................................................................110<br />
Home-eat-Home........................................................... 11<br />
Hussel.......................................................................... 56<br />
Hyundai Motor Europe...................................................16<br />
I<br />
IDC...............................................................................70<br />
idelan........................................................................... 88<br />
IGES............................................................................. 62<br />
J<br />
Johnson & Johnson..................................................... 110<br />
Jones Day................................................................... 108<br />
K<br />
Karstadt.......................................................................11<br />
Kepco...........................................................................64<br />
Kia................................................................................16<br />
Kickstarter....................................................................76<br />
Kleiner Perkins..............................................................83<br />
L<br />
Level 3 Communications..............................................106<br />
Liberty Media..............................................................106<br />
Linde................................................................ 44, 64, 90<br />
Linnrecords.com........................................................... 76<br />
Loys........................................................................... 100<br />
M<br />
MAN...........................................................................113<br />
Marvel.......................................................................... 13<br />
McDonald’s.................................................................. 90<br />
MeinFernbus.................................................................62<br />
Merkur Spielothek.........................................................28<br />
Microsoft......................................................................70<br />
MS Spaichingen.......................................................... 113<br />
MTU........................................................................... 113<br />
N<br />
NEC..............................................................................88<br />
Nike........................................................................... 110<br />
Nocibé..........................................................................56<br />
Noerr..........................................................................104<br />
Norwegian.................................................................... 12<br />
Novartis........................................................................44<br />
O<br />
Odebrecht.................................................................... 64<br />
Oetker.......................................................................... 44<br />
Oracle...........................................................................70<br />
P<br />
Palantir.........................................................................83<br />
Panasonic.....................................................................80<br />
Pershing Square Capital Management..........................106<br />
Philips.......................................................................... 79<br />
Pine River Capital Management................................... 106<br />
Pinterest.......................................................................83<br />
Pioneer Energy............................................................110<br />
Polleit & Riechert........................................................100<br />
Pono.............................................................................76<br />
Porsche........................................................................ 44<br />
Preisbutler24................................................................74<br />
Procter & Gamble........................................................110<br />
PwC........................................................................24, 83<br />
Q<br />
Qobuz.com................................................................... 76<br />
R<br />
Repsol.......................................................................... 20<br />
Ritter Sport...................................................................16<br />
Rocket Internet.............................................................16<br />
Ryanair.........................................................................12<br />
S<br />
Sal.Oppenheim..............................................................14<br />
Salesforce.....................................................................70<br />
Salzgitter.................................................................... 111<br />
SAP.............................................................................. 70<br />
Sartorius.......................................................................88<br />
SBS Feintechnik............................................................14<br />
Sequoia Capital.............................................................83<br />
Siemens......................................................44, 64, 84, 88<br />
SMS-Group................................................................... 64<br />
Snapchat...................................................................... 83<br />
Social Commerce Group SE........................................... 13<br />
Solaroad....................................................................... 81<br />
Sony....................................................................... 76, 79<br />
Southeastern Asset Management................................106<br />
Southwestern Energy.................................................. 110<br />
Spotify............................................................................8<br />
Square..........................................................................83<br />
Staramba......................................................................13<br />
Sun Express.................................................................. 12<br />
Syngenta.................................................................... 112<br />
T<br />
Technics.................................................................76, 80<br />
Telefónica.....................................................................20<br />
Tenet Healthcare........................................................ 106<br />
Teradyne.................................................................... 106<br />
Thalia........................................................................... 56<br />
ThyssenKrupp........................................... 44, 52, 64, 111<br />
Tiger Ratan Capital Fund............................................. 106<br />
Time Warner Cable......................................................106<br />
Total............................................................................. 90<br />
Toyota.......................................................................... 14<br />
Trinkaus & Burkhardt.................................................... 44<br />
U<br />
Uber............................................................................. 83<br />
Union Investment..........................................................44<br />
Universal Music.............................................................13<br />
Unlock your Brain..........................................................16<br />
V<br />
Valeant Pharmaceuticals............................................. 106<br />
Villeroy & Boch..............................................................13<br />
Voestalpine...................................................................90<br />
Voith.................................................................14, 64, 68<br />
Volkswagen............................................................. 16, 84<br />
W<br />
Walt Disney.................................................................110<br />
Weitz Investment Management....................................106<br />
Y<br />
Yahoo........................................................................... 83<br />
Z<br />
Zalando........................................................................16<br />
WirtschaftsWoche <strong>17.11.2014</strong> Nr. 47 121<br />
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Ausblick<br />
„Unbedingt verhindern müssen<br />
wir, dass Beschäftigte zu<br />
Sklaven der<br />
Technologie werden.“<br />
„China hat die Fähigkeit und<br />
den Willen, mehr Gutes für<br />
die Asien-Pazifik-Region und<br />
die ganze Welt zu tun.“<br />
Detlef Wetzel<br />
Vorsitzender der IG Metall, über<br />
die Vernetzung von Maschinen<br />
untereinander und der zwischen<br />
Maschine und Mensch<br />
„Was wir anstreben, ist ein<br />
Roboter mit Persönlichkeit,<br />
der auf eigenen Willen<br />
hin zum Glück einer<br />
Familie beitragen kann.“<br />
Masayoshi Son<br />
Chef des japanischen Telekommunikationskonzerns<br />
Softbank,<br />
über Roboter, die Gesichtsausdrücke,<br />
Gesten und Emotionen<br />
erkennen können<br />
„Unser Ziel ist es, die perfekt<br />
personalisierte Nachrichtenseite<br />
für jeden Menschen<br />
weltweit zu sein.“<br />
Mark Zuckerberg<br />
Gründer und Chef von Facebook<br />
„Sie sollte klarmachen, dass<br />
Internet-Anbieter gesetzlich<br />
verpflichtet sind, ihren Zugang<br />
zu einer Web-Seite nicht zu<br />
blockieren oder zu drosseln.“<br />
Barack Obama<br />
US-Präsident, an die US-Aufsichtsbehörde<br />
Federal Communications<br />
Commission (FCC)<br />
„Ich glaube nicht, dass der<br />
Shitstorm die Weiterentwicklung<br />
der Demokratie ist.“<br />
Wolfgang Schäuble<br />
Bundesfinanzminister (CDU)<br />
„In der Öffentlichkeit wurde<br />
gezielt von interessierter<br />
Seite eine Pogromstimmung<br />
gegen die GDL und ihre<br />
Mitglieder erzeugt.“<br />
Claus Weselsky<br />
Chef der Lokführer-Gewerkschaft GDL<br />
„Vielleicht sollte man<br />
autonomes Fahren auf<br />
der Schiene beginnen,<br />
dann hätte man das Problem<br />
mit der GDL nicht.“<br />
Wilfried Porth<br />
Daimler-Personalvorstand, über den<br />
Streik der Lokführer-Gewerkschaft<br />
»Die Erde riecht großartig.«<br />
Alexander Gerst<br />
deutscher Astronaut, nach seiner Landung auf der Erde<br />
nach 165 Tagen an Bord der Internationalen Raumstation ISS<br />
Xi Jinping<br />
chinesischer Staatspräsident<br />
„Ohne eine deutsch-russische<br />
Partnerschaft kann es keine<br />
Sicherheit in Europa geben.“<br />
Michail Gorbatschow<br />
ehemaliger Präsident<br />
der Sowjetunion<br />
„Der Westen genauso wie<br />
Russland und die Ukraine<br />
müssen aufpassen, dass wir<br />
nicht alles verspielen, was wir<br />
schon einmal erreicht hatten.“<br />
Helmut Kohl<br />
Altbundeskanzler (CDU)<br />
„Die Linkspartei ist mehr als der<br />
elende Rest der DDR-Staatspartei.<br />
Sie ist nicht geschlagen.“<br />
Johanna Wanka<br />
Bundesbildungsministerin (CDU),<br />
zum Liedermacher Wolf Biermann,<br />
der die Linkspartei als „elenden Rest“<br />
bezeichnete<br />
„Freizügigkeit bedeutet nicht,<br />
mittellos durch Europa zu<br />
ziehen und Sozialleistungen<br />
zu empfangen.“<br />
Volker Kauder<br />
Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion<br />
im Bundestag, zum Urteil des Europäischen<br />
Gerichtshofs über Sozialleistungen<br />
an ausländische EU-Bürger<br />
„Ich möchte eigentlich nicht,<br />
dass ein Europa ohne Grenzen<br />
jetzt durch eine Maut wieder<br />
künstlich getrennt wird.”<br />
Hannelore Kraft<br />
Ministerpräsidentin von<br />
Nordrhein-Westfalen (SPD)<br />
„Ich weiß nicht,<br />
wie ich es lösen soll.“<br />
Bernie Ecclestone<br />
Formel-1-Chef, über die finanziellen<br />
Probleme einiger Rennställe<br />
„Wir haben uns alle wie<br />
Weltmeister gefühlt.“<br />
Joachim Gauck<br />
Bundespräsident, zur Fußballnationalmannschaft<br />
bei der Verleihung<br />
des Silbernen Lorbeerblattes, der<br />
höchsten sportlichen Auszeichnung<br />
ILLUSTRATION: TORSTEN WOLBER<br />
122 Nr. 47 <strong>17.11.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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