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44<br />

THALIA | Reiseziele<br />

Meistersinger in<br />

Roulettenburg<br />

Literarische Streifzüge in Wiesbaden<br />

Dirk Heißerer<br />

Autor und „Wegweiser”<br />

des literarischen<br />

Spaziergangs im<br />

Thalia Magazin<br />

© Christina Bleier<br />

Nach Wiesbaden kommt je<strong>der</strong> gerne.<br />

Ob Bewohner, Besucher o<strong>der</strong><br />

Besatzer, durch die Zeiten hinweg<br />

fühlen sich alle hier wohl. Ein Hauptgrund<br />

dafür ist das Heilwasser, das noch heute aus<br />

14 Quellen im Stadtgebiet sprudelt. Sie verdanken<br />

sich einer einzigartigen geologischen<br />

Störungszone zwischen dem Rheinischen<br />

Schiefergebirge und dem Oberrheingraben.<br />

Schon die römischen Eroberer schätzten die<br />

Aquae Mattiacorum, die Wasser <strong>der</strong> Mattiaker,<br />

<strong>wie</strong> <strong>der</strong> damals hier ansässige germanische<br />

Stamm genannt wurde. In dem um 830 n. Chr.<br />

„Wisibada“ genannten heilsamen Wiesenbad<br />

herrschten erst die Grafen, dann die Fürsten,<br />

schließlich die Herzöge von Nassau in Schloss<br />

Biebrich direkt am Rhein. Und während sich<br />

Wiesbaden im 19. Jh. zu einem internationalen<br />

Kurort mit Spielbank entwickelte, war man<br />

nach 1866 zugleich Verwaltungssitz eines<br />

preußischen Regierungsbezirks in <strong>der</strong> Provinz<br />

Schiller-Denkmal (1905) vor<br />

dem Hessischen Staatstheater<br />

Hessen-Nassau. Von den Amerikanern im März<br />

1945 kampflos erobert, wurde Wiesbaden zur<br />

Landeshauptstadt von Hessen und ist heute<br />

mit rund 273.00 Einwohnern nach Frankfurt<br />

die größte Stadt des Bundeslandes.<br />

Verlage und Verleger<br />

Vor dem Hauptbahnhof erstreckt sich seit<br />

1932 auf einem ehemaligen Reichsbahngelände<br />

eine auf Initiative zweier Stifter<br />

angelegte Grünfläche; durch die Herbert- und<br />

Reisinger-Anlagen lässt sich trefflich Richtung<br />

Innenstadt gehen. Und wer genau hinschaut,<br />

entdeckt einen 1995 von <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

zur För<strong>der</strong>ung von Publizität und Kommunikation<br />

(GFPK) gesetzten Gedenkstein für die<br />

Brü<strong>der</strong> Herzfelde, also für John Heartfield, den<br />

„Begrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> Politischen Fotomontage“,<br />

und Wieland Herzfelde, den „Verleger und<br />

Schriftsteller“; von den beiden heißt es: „Ihre<br />

Jugendjahre verbrachten die Brü<strong>der</strong> in<br />

Wiesbaden, später kämpften sie mit den Mitteln<br />

ihrer Kunst gegen Krieg und Faschismus.“<br />

Auch wenn <strong>der</strong> Stein schon etwas verwittert<br />

ist, sind die Brü<strong>der</strong> Herzfelde kein schlechtes<br />

Empfangskomitee. Erst recht angesichts <strong>der</strong><br />

Tatsache, dass sich nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

renommierte Verlage aus Leipzig hier<br />

neu angesiedelt hatten, darunter Brockhaus,<br />

Insel, Thieme, Dieterich und Harrassowitz, von<br />

denen heute nur noch <strong>der</strong> Wissenschaftsverlag<br />

Otto Harrassowitz hier firmiert. Einige<br />

dieser Verlage fanden eine erste Anlaufstelle,<br />

<strong>wie</strong> Max Nie<strong>der</strong>mayer berichtet, „in einem<br />

ehemaligen kleinen Hotel und Badhaus, dem<br />

Pariser Hof“ in <strong>der</strong> Spiegelgasse 9 (heute<br />

Pariser Hoftheater und Sitz des Aktiven<br />

Museums). Nie<strong>der</strong>mayer selbst gründete dort<br />

den Limes-Verlag und schaffte es, den damals<br />

verfemten Dichter Gottfried Benn als Autor zu<br />

gewinnen und seinem Werk zum Durchbruch<br />

zu verhelfen. Max Nie<strong>der</strong>mayers Erinnerungen<br />

„Pariser Hof“ (1965) sind lesenswert<br />

geblieben. Nicht vergessen sei aber auch<br />

Walter Kempowskis „Uns geht‘s ja noch gold.<br />

Roman einer Familie“ (1972); Wiesbaden in <strong>der</strong><br />

amerikanischen Besatzungszeit wird darin in drei<br />

Worten zusammengefasst: „Kippensammler<br />

und Straßenkreuzer“.<br />

Kurgast Goethe<br />

Zwei „unvergleichliche Sommer“ (Albert<br />

Schaefer) hat <strong>der</strong> Dichterfürst Johann<br />

Wolfgang von Goethe 1814 und 1815 in<br />

Wiesbaden als Kurgast verbracht. Beschäftigt<br />

mit den Gedichten zum „West-östlichen<br />

Divan“, aber auch mit den Neapel-Passagen<br />

seiner „Italienischen Reise“ nahm er zugleich<br />

regelmäßig die vorgeschriebenen Bä<strong>der</strong>, so<br />

dass er in Wiesbaden einen „wahren Cur- und<br />

Lustort“ fand, von dem aus er literarisch ersprießliche<br />

Ausflüge in die nähere und weitere<br />

Umgebung unternahm: „Wenn man von <strong>der</strong><br />

Höhe vor Wiesbaden den Rhein sieht, von<br />

Oppenheim herab bei Mainz vorbeifließen<br />

und <strong>wie</strong> er dann gegen Elfeld (Eltville) die<br />

große Aue in sich faßt und weiter hinab die<br />

Reihe von Ortschaften, <strong>der</strong> Johannesberg und<br />

bis Bingen die Landschaft erscheint, so weiß<br />

man doch warum man Augen hat“, schreibt er<br />

am 27. Mai 1815 an den Freund Zelter. Häufig<br />

wan<strong>der</strong>te <strong>der</strong> Dichter auch zum Neroberg und<br />

zum Geisberg hinauf und meinte dazu: „Man<br />

bedarf in Wiesbaden nur einer Viertelstunde<br />

Steigens, um in alle Herrlichkeit <strong>der</strong> Welt zu<br />

blicken.“ Die anlässlich dieser Bemerkung 1932<br />

errichtete Goethewarte in <strong>der</strong> Liebigstraße<br />

ist heute allerdings in einem Wohngebiet<br />

versteckt und <strong>der</strong> gewiss prächtige Ausblick<br />

über die hohen Bäume ist nur demjenigen<br />

vergönnt, <strong>der</strong> Einlass in den kantigen Turm mit<br />

seinen vergitterten Fenstern findet.<br />

Meistersinger, Spieler, Dichter<br />

Nicht weit von Schloss Biebrich, wo Goethe<br />

am 28. August 1814 seinen 65. Geburtstag<br />

feierte, verbrachte ein halbes Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

später <strong>der</strong> Komponist Richard Wagner von<br />

Februar bis November 1862 neun Monate in<br />

<strong>der</strong> Villa Rheingaustraße 137 und „schuf“ hier,

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