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THALIA | Reiseziele 45<br />

Fotos: © Dirk Heißerer<br />

Verleger (Knut Dorn, Harrassowitz) im Pariser Hof<br />

<strong>wie</strong> eine prächtige Gedenktafel verkündet,<br />

„seine Meistersinger“, die Ende Oktober 1862<br />

in Leipzig uraufgeführt wurden. Ein Jahr<br />

darauf kam <strong>der</strong> russische Dichter Fjodor M.<br />

Dostojewski nach Wiesbaden und frönte im<br />

alten Kurhaus (1810–1907) erfolgreich dem<br />

seit 1771 erlaubten Glücksspiel. Als er 1865<br />

<strong>wie</strong><strong>der</strong>kam, versuchte er sein Glück noch<br />

einmal und verlor alles. In seinem in höchster<br />

Zeitnot entstandenen Roman „Der Spieler“<br />

(1866) ist mit „Roulettenburg“ auch Wiesbaden<br />

gemeint. Auf das neue Kurhaus an alter Stelle<br />

schaut seit 1996 etwas diskret von <strong>der</strong> Seite<br />

eine mo<strong>der</strong>ne Bronzebüste Dostojewskis.<br />

Das Glücksspiel wurde übrigens 1872 im<br />

Deutschen Reich verboten und erst nach<br />

dem Zweiten Weltkrieg von den Amerikanern<br />

<strong>wie</strong><strong>der</strong> eingeführt.<br />

Von <strong>der</strong> Dostojewski-Büste führt <strong>der</strong> Weg in<br />

den Kurpark zu <strong>der</strong> 1905 eingeweihten Denkmal-Anlage<br />

für Gustav Freytag. Eine Bronchitis<br />

hatte 1877 den nationalliberalen Autor von<br />

„Soll und Haben“ (1856) und „Die Ahnen“<br />

(1872–80) nach Wiesbaden geführt. Seit 1881<br />

lebte <strong>der</strong> Autor mit seiner zweiten Frau, seit<br />

1891 mit seiner dritten, in einer prächtigen<br />

Villa am Hainer Weg (seit 1886 Gustav-Freytag-<br />

Straße 18), wo er am 30. April 1895 mit<br />

Die Wagner-Villa in Biebrich<br />

78 Jahren verstorben ist. Das von Fritz Schaper<br />

entworfene Marmorstandbild des Dichters,<br />

den zwei Puttigruppen (für Prosa und Drama)<br />

flankieren, ist ein beson<strong>der</strong>s gelungenes<br />

Beispiel für die äußerliche „Wirkungslosigkeit<br />

eines Klassikers“ (Max Frisch). Dagegen hat das<br />

Schiller-Denkmal (1905) von Joseph Uphues<br />

vor dem alten Hoftheater (heute Hessisches<br />

Staatstheater) geradezu einen mo<strong>der</strong>nen<br />

Schwung. Nur an einer Stelle scheiden sich<br />

die Geister, beim Goethe-Denkmal (1919) von<br />

Hermann Hahn auf <strong>der</strong> Treppe zum Museum.<br />

Goethe sitzt dort als Olympier im Bademantel,<br />

mit einem Adler im Arm, auf einem Wolkenkissen<br />

und wirkt so, als sei er erst kürzlich<br />

einem 3-D-Drucker entsprungen. Mit dem<br />

außerordentlich interessanten Geschehen<br />

im Museum selbst hat dieser granitene Torwächter<br />

jedenfalls nichts zu tun.<br />

Felix Krull<br />

Ein an<strong>der</strong>er falscher Goethe hat mit Wiesbaden<br />

dagegen weitaus mehr zu tun. „Der Rheingau<br />

hat mich hervorgebracht”, lässt Thomas Mann<br />

in Goethe-Parodie den Hochstapler Felix Krull<br />

seine berühmten „Bekenntnisse“ beginnen,<br />

und von seinem Geburtsort, dem „ehrwürdigen<br />

Städtchen“ Eltville am Rhein mit seiner<br />

„Schaumweinfabrikation“, ist es tatsächlich<br />

nicht weit bis nach Wiesbaden als dem<br />

ersten <strong>der</strong> „vornehmen Taunusbä<strong>der</strong>“. In<br />

Wiesbaden, wir erfahren es schon bald<br />

(Buch I, 5), wird <strong>der</strong> halbwüchsige Felix zum<br />

ersten Mal ins Theater mitgenommen, in eine<br />

Operette, bei <strong>der</strong> ihm <strong>der</strong> Protagonist, <strong>der</strong><br />

Schauspieler Müller-Rosé, auf <strong>der</strong> Bühne<br />

als Herzensbrecher und nachher hinter <strong>der</strong><br />

Bühne in seiner Gar<strong>der</strong>obe als Ekel erscheint.<br />

Und in Wiesbaden, genauer im „ersten Stock<br />

einer baufälligen und verlassenen Kaserne (…)<br />

am Außenrande <strong>der</strong> Stadt“, spielt sich<br />

(Buch II, 5) die berühmte Musterungs- o<strong>der</strong><br />

besser Ausmusterungsszene ab, an <strong>der</strong>en<br />

Ende die auch für den Autor selbst wichtige<br />

Sentenz steht, „daß dies eben: soldatisch, aber<br />

nicht als Soldat, figürlich, aber nicht wörtlich,<br />

daß im Gleichnis leben zu dürfen eigentlich<br />

Freiheit bedeute“.<br />

Dirk Heißerer<br />

Literatur-Tipps:<br />

Fjodor Dostojewskij<br />

Der Spieler<br />

340 Seiten, 9,99 €<br />

ISBN 978-3-596-18899-4<br />

eBook, 9,99 €<br />

ISBN 978-3-10-402032-7<br />

Fischer Taschenbuch<br />

Walter Kempowski<br />

Uns geht’s ja noch gold<br />

384 Seiten, 11,00 €<br />

ISBN 978-3-442-72537-3<br />

btb Verlag<br />

Thomas Mann<br />

Bekenntnisse<br />

des Hochstaplers<br />

Felix Krull<br />

400 Seiten, 9,95 €<br />

ISBN 978-3-596-29429-9<br />

eBook, 9,99 €<br />

ISBN 978-3-10-402616-9<br />

Fischer Taschenbuch<br />

Putti (Prosa) vom<br />

Freytag-Denkmal (1905)<br />

Das Kurhaus „Aquis Mattiacis“ (1907)

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