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56 THALIA | Lieblingsbild<br />
Klaus Wagenbach – Mein Lieblingsbild<br />
Aus dem Leben des<br />
Heiligen Benedikt<br />
Mein Lieblingsbild ist eigentlich ein Ausschnitt aus einem<br />
Freskenzyklus im Kreuzgang des Klosters Oliveto Maggiore,<br />
das bei Siena liegt, inmitten einer kahlen, geradezu<br />
theatralischen Landschaft, den crete.<br />
Der Zyklus schil<strong>der</strong>t das Leben des heiligen Benedikt samt seiner<br />
angeblichen Wun<strong>der</strong>. Das von mir beson<strong>der</strong>s geschätzte Fresko<br />
zeigt Benedikt, <strong>wie</strong> er durch Gebete ein gesprungenes Gefäß <strong>wie</strong><strong>der</strong><br />
zusammenfügt. In <strong>der</strong> Mitte steht <strong>der</strong> Maler selbst, fein herausgeputzt<br />
mit Hermelinmantel und Schwert, mit einem zahmen Dachs an <strong>der</strong><br />
Leine, ein junger, mal gerade 27 Jahre alter Geck namens Sodoma,<br />
den Vasari (nachzulesen in unserer Vasari-Ausgabe) nicht leiden kann,<br />
weil er mit Affen, Eseln und sprechenden Raben zusammenlebt und<br />
auch sonst ein rechter Lie<strong>der</strong>jan gewesen zu sein scheint.<br />
Foto: © Archiv Verlag Klaus Wagenbach<br />
Der Maler also hat sich nicht nur in die Mitte eines sakralen Vorgangs<br />
gedrängelt, son<strong>der</strong>n sieht uns – ein ganz ungewöhnlicher Vorgang<br />
um diese Zeit (1505) – direkt an! Hallo, hier bin ich! Gut gekleidet, gut<br />
genährt, <strong>leicht</strong> melancholisch, aber ziemlich selbstbewusst. Da steht<br />
Sodoma ganz in seiner Zeit, <strong>der</strong> Renaissance und dem erwachenden<br />
Selbstbewusstsein <strong>der</strong> Künstler, die keine ‚Pfennigmaler‘ mehr sein<br />
wollten, son<strong>der</strong>n auch schon mal beide Hände aufhielten. Auch das<br />
eine sehr mo<strong>der</strong>ne Haltung: Gute Arbeit will gut bezahlt sein.<br />
Beim weiteren Gang durch den Zyklus erheitert den Besucher<br />
diese Auseinan<strong>der</strong>setzung zwischen Heiligenvita und realistischer<br />
Darstellung immer <strong>wie</strong><strong>der</strong>, vom übers Dach flüchtenden Teufel o<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> Versuchung durch ziemlich wirklichkeitsnahe Frauen bis zum<br />
Speiseesaal <strong>der</strong> Mönche, auf <strong>der</strong>en Tischen man genau erkennen<br />
kann, was so Kloster-Essen war, frugal, aber immerhin mit Rotwein<br />
und Sardinen (wird wohl freitags gewesen sein …).<br />
Wie schön ist es dann, nach Siena zurückzufahren und sich in eine<br />
Trattoria zu begeben. Wie man sich dort bewegt und überhaupt in<br />
Italien, darüber haben wir schon viele Bücher <strong>gemacht</strong>. Ich nenne<br />
nur eines: Nach Italien! Es fiel mir ein, als ich mal so träumte, welche<br />
Lektüre man einem in <strong>der</strong> Schlange am Brenner o<strong>der</strong> in Chiasso vor<br />
sich hin giftenden Autofahrer empfehlen könnte, und stellte mir dazu<br />
einen gutwilligen Reisenden mit mäßigen Kenntnissen vor. Was sollte<br />
er im Gasthaus beachten? Welche günstigen o<strong>der</strong> gemeinen Gesten<br />
sind in Italien üblich (mit 24 fotografischen Beispielen)? Die schöne<br />
Perspektive: Was erzählt uns die italienische Kunst, was sagen uns die<br />
Namen und Plätze? Ein heiteres, brauchbares Büchlein, das uns viele<br />
Auflagen gebracht hat.<br />
Wenn Sie von Siena südlich fahren, empfehle ich Ihnen die Via Cassia,<br />
die Sie in San Quirico in Richtung Pienza verlassen. Bei Pienza können<br />
Sie das früheste bekannte Werk Sodomas besuchen. Sant‘ Anna in<br />
Klaus Wagenbach<br />
wurde 1930 geboren und lebt in Berlin und Italien. Vor vier Jahren<br />
erschien sein Buch „Die Freiheit des Verlegers“ (349 Seiten, 19,90 €)<br />
und soeben „Störung im Betriebsablauf, 77 kurze Geschichten für<br />
den öffentlichen Nahverkehr“ (144 Seiten, 9,90 €).<br />
Camprena, mit einem Fresko zur wun<strong>der</strong>baren Brotvermehrung – da<br />
wird ordentlich gegessen! Aber die Knubbelnase von Sodoma zeigt,<br />
dass er auch kein schlechter Zecher war. Was für ein seltsamer Spaßvogel<br />
er überhaupt war, verrät eine späte Steuererklärung gegenüber<br />
<strong>der</strong> Sieneser Stadtverwaltung:<br />
Ich habe einen Affen und einen redenden Raben, den ich halte, damit er<br />
einem Theologen-Esel in einem Käfig das Sprechen beibringt, eine Eule,<br />
um Verrückte wegzuscheuchen, eine Schleiereule, über den Waldkauz<br />
will ich Euch nichts sagen, des vorerwähnten Affen wegen. Ich habe<br />
zwei Pfauen, zwei Hunde, zwei Katzen, einen Turmfalken, einen Habicht<br />
und sechs Hühner mit achtzehn Küken; ferner zwei Truthähne und viele<br />
an<strong>der</strong>e Vögel, die ich unmöglich beschreiben kann. Außerdem habe ich<br />
noch drei gräßliche Viecher, das sind drei Frauen. Schließlich habe ich<br />
noch an die dreißig Kin<strong>der</strong>, und Eure Hochherrlichkeiten werden zugeben,<br />
dass ich an schweren Lasten genug zu tragen habe. Außerdem ist nach<br />
den Statuten je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> zwölf Kin<strong>der</strong> hat, vom Steuerzahlen befreit.<br />
So empfehle ich mich bestens. Adieu.<br />
Klaus Wagenbach