JOGU 207/2009 - Johannes Gutenberg-Universität Mainz
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Studium & Lehre<br />
Affentheater im Waisenhaus<br />
Langwieriger Prozess der Resozialisierung Morgens, halb acht in Sambia, mitten im Busch: Die Arbeit hat vor einer<br />
Stunde begonnen. Es ist ein sonniger, aber sehr kalter Morgen in Chimfunshi, ein Waisenhaus für Schimpansen. Zwei<br />
<strong>Mainz</strong>er Biologiestudentinnen stehen als Volontäre auf der Ladefl äche eines zwanzig Jahre alten Trucks, die Füße versinken<br />
in zermatschten Tomaten und Orangen. Die Aufgabe lautet: Obst und Gemüse sortieren, denn die Schimpansen, die in der<br />
Auffangstation des Chimfunshi Vereins zum Schutz bedrohter Umwelt e.V. in Sambia leben, warten schon auf ihr Frühstück.<br />
Nur zweimal in der Woche fährt der Truck<br />
in die nächste Stadt namens Chingola, um<br />
Obst und Gemüse, das der örtliche Supermarkt<br />
spendet, abzuholen. Ansonsten ist<br />
die Auffangstation von der Außenwelt abgeschottet.<br />
Die meisten der Schimpansen<br />
in Chimfunshi wurden als Babys durch<br />
Wilderer zu Waisen und auf Märkten verkauft.<br />
Sie kamen dann in Zoos, Zirkussen<br />
oder privaten Haushalten. Viele von ihnen<br />
wurden misshandelt, mussten in Bars die<br />
Bierfl aschen der Gäste öffnen oder Zigaretten<br />
verteilen und wurden schließlich<br />
selbst Alkohol- und Nikotinabhängig.<br />
Wurden die Schimpansen dann zu groß<br />
und somit unberechenbar, fanden die Besitzer<br />
keine Verwendung mehr für sie.<br />
„Der intensive Körperkontakt<br />
mit den Tieren<br />
hat sich als unvergesslich<br />
schöne Erinnerung in unser<br />
Gedächtnis eingebrannt.“<br />
Die über lange Zeit gequälten und unter grauenvollen<br />
Umständen gehaltenen Menschenaffen fi n-<br />
den in Chimfunshi ein neues und friedliches Zuhause.<br />
Eine Auswilderung kommt nicht in Frage, da die<br />
Menschenaffen sonst mit großer Wahrscheinlichkeit<br />
wieder in die Hände von Wilderern geraten würden.<br />
Die Geschichte Chimfunshis begann mit Sheila und<br />
David Siddle, die im Norden Sambias eine Rinderfarm<br />
betrieben. Eines Tages im Jahre 1968 wurde<br />
ein verwaistes Schimpansenjunges zu ihnen gebracht.<br />
Mittlerweile sind es 126 Schimpansen, das<br />
halbzahme Flusspferd Billy, einige Papageien und<br />
andere Tiere. So entwickelte sich die Farm zu einem<br />
weltweit bekannten Zufl uchtsort. Dort mit anzupacken,<br />
den bedrohten Tieren zu helfen und zugleich<br />
wertvolle Erfahrungen im Umgang mit Menschenaffen<br />
zu sammeln, ermöglichte den beiden Biologiestudentinnen<br />
ein Volontariat. Die Planung des<br />
Aufenthalts, der Reise und Unterkunft stellten dabei<br />
eine besondere Herausforderung dar, denn die<br />
Zu Tisch: Schimpansen in der Auffangstation.<br />
Mitarbeit am Projekt lässt sich zwar als Exkursion<br />
im Hauptstudium anrechnen, wurde aber von den<br />
Biologinnen eigenständig organisiert.<br />
Die erste Station für neu ankommende Menschenaffen<br />
stellt das Waisenhaus dar, eine gesonderte<br />
Station, in der die Tiere behutsam auf ihre neue<br />
Umgebung vorbereitet werden Die Tiere werden<br />
hier erst einmal an ihre Artgenossen gewöhnt bis<br />
sie schließlich in eine Gruppe integriert werden können.<br />
Damit beginnt der langwierige Prozess der Resozialisierung.<br />
Bildet sich eine Gruppe mit circa 15<br />
Tieren heraus, können diese dann in das eigentliche<br />
„Projekt“ umgesiedelt werden. Hier leben die Gruppen<br />
in fünf Hektar großen Freigehegen, in denen ein<br />
artgerechtes Leben ermöglicht wird. Einzig die Fütterung<br />
liegt in den Händen der Menschen. Eine weitere<br />
Aufgabe war die Hilfe bei dem Bau eines neuen<br />
Geheges. Das ist eine ganz besondere Aufgabe mitten<br />
im Busch Afrikas, wo der Strom ausschließlich<br />
aus Solarzellen oder Generatoren kommt.<br />
Foto: Geyer/Nitzsche<br />
Bei sogenannten Bushwalks haben<br />
Touristen und Volontäre die Möglichkeit<br />
mit jungen Schimpansen spazieren zu<br />
gehen. „Der intensive Körperkontakt<br />
mit den Tieren hat sich als unvergesslich<br />
schöne Erinnerung in unser Gedächtnis<br />
eingebrannt“, fassen die beiden zusammen.<br />
Dennoch hat es einen traurigen<br />
Hintergrund, da das Projekt fi nanziell<br />
auf die Touristen angewiesen ist. Auch<br />
hier mitten im Nirgendwo geht eben<br />
nichts ohne das nötige Kleingeld.<br />
Neben freiwilligen Helfern und Volontären<br />
aus der ganzen Welt kommen<br />
jährlich amerikanische Studenten, um<br />
das Verhalten der Affen zu untersuchen<br />
und zu erforschen.<br />
Die ausgeprägte Individualität der Affen<br />
beeindruckt die Wissenschaftler dabei<br />
am meisten. Und angesichts der genetischen Übereinstimmung<br />
von 98,7 Prozent sollte die Ähnlichkeit<br />
zwischen Menschen und Schimpansen keine<br />
Verwunderung auslösen.<br />
Eine weitere Kooperation besteht zwischen Chimfunshi<br />
und der Universität Oxford. In diesem Rahmen<br />
untersucht der Primatologe und Manager des<br />
Projekts Innocent Mulenga die Verwandtschaftsverhältnisse<br />
der vier Schimpansen-Unterarten. Anhand<br />
von Kotproben werden DNA-Sequenz-Analysen<br />
durchgeführt und zur Stammbaumerstellung verwendet.<br />
Der unvergesslichen Zeit in Afrika trauern die beiden<br />
Biologiestudentinnen sehnsuchtsvoll nach: „Selbst<br />
jetzt, einige Monate nach unserer abenteuerlichen<br />
Reise, müssen wir täglich an die lieb gewonnenen<br />
Affen denken. Die Sehnsucht wird wohl nie versiegen.“<br />
Rebecca GEYER / Elisa NITZSCHE ■<br />
Information: www.chimfunshi.com<br />
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[<strong>JOGU</strong>] <strong>207</strong>/<strong>2009</strong>