21.10.2014 Aufrufe

JOGU 207/2009 - Johannes Gutenberg-Universität Mainz

JOGU 207/2009 - Johannes Gutenberg-Universität Mainz

JOGU 207/2009 - Johannes Gutenberg-Universität Mainz

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Studium & Lehre<br />

Affentheater im Waisenhaus<br />

Langwieriger Prozess der Resozialisierung Morgens, halb acht in Sambia, mitten im Busch: Die Arbeit hat vor einer<br />

Stunde begonnen. Es ist ein sonniger, aber sehr kalter Morgen in Chimfunshi, ein Waisenhaus für Schimpansen. Zwei<br />

<strong>Mainz</strong>er Biologiestudentinnen stehen als Volontäre auf der Ladefl äche eines zwanzig Jahre alten Trucks, die Füße versinken<br />

in zermatschten Tomaten und Orangen. Die Aufgabe lautet: Obst und Gemüse sortieren, denn die Schimpansen, die in der<br />

Auffangstation des Chimfunshi Vereins zum Schutz bedrohter Umwelt e.V. in Sambia leben, warten schon auf ihr Frühstück.<br />

Nur zweimal in der Woche fährt der Truck<br />

in die nächste Stadt namens Chingola, um<br />

Obst und Gemüse, das der örtliche Supermarkt<br />

spendet, abzuholen. Ansonsten ist<br />

die Auffangstation von der Außenwelt abgeschottet.<br />

Die meisten der Schimpansen<br />

in Chimfunshi wurden als Babys durch<br />

Wilderer zu Waisen und auf Märkten verkauft.<br />

Sie kamen dann in Zoos, Zirkussen<br />

oder privaten Haushalten. Viele von ihnen<br />

wurden misshandelt, mussten in Bars die<br />

Bierfl aschen der Gäste öffnen oder Zigaretten<br />

verteilen und wurden schließlich<br />

selbst Alkohol- und Nikotinabhängig.<br />

Wurden die Schimpansen dann zu groß<br />

und somit unberechenbar, fanden die Besitzer<br />

keine Verwendung mehr für sie.<br />

„Der intensive Körperkontakt<br />

mit den Tieren<br />

hat sich als unvergesslich<br />

schöne Erinnerung in unser<br />

Gedächtnis eingebrannt.“<br />

Die über lange Zeit gequälten und unter grauenvollen<br />

Umständen gehaltenen Menschenaffen fi n-<br />

den in Chimfunshi ein neues und friedliches Zuhause.<br />

Eine Auswilderung kommt nicht in Frage, da die<br />

Menschenaffen sonst mit großer Wahrscheinlichkeit<br />

wieder in die Hände von Wilderern geraten würden.<br />

Die Geschichte Chimfunshis begann mit Sheila und<br />

David Siddle, die im Norden Sambias eine Rinderfarm<br />

betrieben. Eines Tages im Jahre 1968 wurde<br />

ein verwaistes Schimpansenjunges zu ihnen gebracht.<br />

Mittlerweile sind es 126 Schimpansen, das<br />

halbzahme Flusspferd Billy, einige Papageien und<br />

andere Tiere. So entwickelte sich die Farm zu einem<br />

weltweit bekannten Zufl uchtsort. Dort mit anzupacken,<br />

den bedrohten Tieren zu helfen und zugleich<br />

wertvolle Erfahrungen im Umgang mit Menschenaffen<br />

zu sammeln, ermöglichte den beiden Biologiestudentinnen<br />

ein Volontariat. Die Planung des<br />

Aufenthalts, der Reise und Unterkunft stellten dabei<br />

eine besondere Herausforderung dar, denn die<br />

Zu Tisch: Schimpansen in der Auffangstation.<br />

Mitarbeit am Projekt lässt sich zwar als Exkursion<br />

im Hauptstudium anrechnen, wurde aber von den<br />

Biologinnen eigenständig organisiert.<br />

Die erste Station für neu ankommende Menschenaffen<br />

stellt das Waisenhaus dar, eine gesonderte<br />

Station, in der die Tiere behutsam auf ihre neue<br />

Umgebung vorbereitet werden Die Tiere werden<br />

hier erst einmal an ihre Artgenossen gewöhnt bis<br />

sie schließlich in eine Gruppe integriert werden können.<br />

Damit beginnt der langwierige Prozess der Resozialisierung.<br />

Bildet sich eine Gruppe mit circa 15<br />

Tieren heraus, können diese dann in das eigentliche<br />

„Projekt“ umgesiedelt werden. Hier leben die Gruppen<br />

in fünf Hektar großen Freigehegen, in denen ein<br />

artgerechtes Leben ermöglicht wird. Einzig die Fütterung<br />

liegt in den Händen der Menschen. Eine weitere<br />

Aufgabe war die Hilfe bei dem Bau eines neuen<br />

Geheges. Das ist eine ganz besondere Aufgabe mitten<br />

im Busch Afrikas, wo der Strom ausschließlich<br />

aus Solarzellen oder Generatoren kommt.<br />

Foto: Geyer/Nitzsche<br />

Bei sogenannten Bushwalks haben<br />

Touristen und Volontäre die Möglichkeit<br />

mit jungen Schimpansen spazieren zu<br />

gehen. „Der intensive Körperkontakt<br />

mit den Tieren hat sich als unvergesslich<br />

schöne Erinnerung in unser Gedächtnis<br />

eingebrannt“, fassen die beiden zusammen.<br />

Dennoch hat es einen traurigen<br />

Hintergrund, da das Projekt fi nanziell<br />

auf die Touristen angewiesen ist. Auch<br />

hier mitten im Nirgendwo geht eben<br />

nichts ohne das nötige Kleingeld.<br />

Neben freiwilligen Helfern und Volontären<br />

aus der ganzen Welt kommen<br />

jährlich amerikanische Studenten, um<br />

das Verhalten der Affen zu untersuchen<br />

und zu erforschen.<br />

Die ausgeprägte Individualität der Affen<br />

beeindruckt die Wissenschaftler dabei<br />

am meisten. Und angesichts der genetischen Übereinstimmung<br />

von 98,7 Prozent sollte die Ähnlichkeit<br />

zwischen Menschen und Schimpansen keine<br />

Verwunderung auslösen.<br />

Eine weitere Kooperation besteht zwischen Chimfunshi<br />

und der Universität Oxford. In diesem Rahmen<br />

untersucht der Primatologe und Manager des<br />

Projekts Innocent Mulenga die Verwandtschaftsverhältnisse<br />

der vier Schimpansen-Unterarten. Anhand<br />

von Kotproben werden DNA-Sequenz-Analysen<br />

durchgeführt und zur Stammbaumerstellung verwendet.<br />

Der unvergesslichen Zeit in Afrika trauern die beiden<br />

Biologiestudentinnen sehnsuchtsvoll nach: „Selbst<br />

jetzt, einige Monate nach unserer abenteuerlichen<br />

Reise, müssen wir täglich an die lieb gewonnenen<br />

Affen denken. Die Sehnsucht wird wohl nie versiegen.“<br />

Rebecca GEYER / Elisa NITZSCHE ■<br />

Information: www.chimfunshi.com<br />

13<br />

[<strong>JOGU</strong>] <strong>207</strong>/<strong>2009</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!