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JOGU 207/2009 - Johannes Gutenberg-Universität Mainz

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Wissenschaft & Forschung<br />

Neue Töne anstimmen<br />

Musikwissenschaft im Nationalsozialismus Ende 2008 wurde im <strong>Mainz</strong>er Rathaus die Ausstellung „Entartete<br />

Musik“ gezeigt. Anlässlich der Schau fand auch eine musikwissenschaftliche Tagung statt, in der sich Fachleute aus ganz<br />

Deutschland mit der Thematik befassten. Organisiert hatte die Tagung Thorsten Hindrichs. Der <strong>Mainz</strong>er Musikwissenschaftler<br />

sagt: „Das Konzept ist aufgegangen. Aber Diskussion und Aufarbeitung müssen weitergehen.“<br />

Im Jahr 1938 fanden in Düsseldorf die sogenannten<br />

„Reichsmusiktage“ statt. Teil der Veranstaltung war<br />

die Ausstellung „Entartete Musik“. Im Mittelpunkt<br />

stand Musik, die der Rassenwahn-Ideologie der<br />

Nationalsozialisten widersprach. Viele Künstler und<br />

Komponisten waren betroffen. Einer, der das alles<br />

weiß, ist Eckhard John. Der Musikwissenschaftler,<br />

der am Institut für internationale Popularliedforschung<br />

im Deutschen Volksliedarchiv in Freiburg<br />

arbeitet, setzt sich schon seit vielen Jahren kritisch<br />

mit diesem Thema auseinander.<br />

John studierte Musikwissenschaft, Volkskunde und<br />

Geschichte, promovierte 1993, war als Ausstellungsmacher<br />

tätig, dazu als Dozent und Publizist,<br />

und ist Gründer und Herausgeber des „Historischkritischen<br />

Liederlexikons“.<br />

„Das Konzept ist aufgegangen.<br />

Aber Diskussion und Aufarbeitung<br />

müssen weitergehen.“<br />

Als einer von acht Referenten war auch er zur musikwissenschaftlichen<br />

Tagung „Entartete Musik“<br />

nach <strong>Mainz</strong> gekommen. Im Rathaus sprach der<br />

Fachmann zum Thema „Mythos Entartete Musik<br />

– Strukturen der Musikpolitik im NS-Staat“. Die<br />

Fachtagung sollte der interessierten Öffentlichkeit<br />

die verschiedenen fatalen Konsequenzen der nationalsozialistischen<br />

Kulturpolitik für die Musikkultur<br />

ins Bewusstsein rufen.<br />

Angereist waren Experten aus ganz Deutschland,<br />

die meisten darunter Musikwissenschaftler. Ihre<br />

Vorträge deckten ein breites Spektrum ab. Es ging<br />

um die nationalsozialistische Machtübernahme<br />

und Machtergreifung in <strong>Mainz</strong> 1933, aber genauso<br />

auch um die Rolle der Musik in der französischen<br />

Kulturpolitik in Deutschland zwischen 1945 und<br />

1949.So lautete das Thema eines der Vorträge:<br />

„Rééducation mit musikalischen Mitteln – französische<br />

Konzepte einer geistigen Neuorientierung der<br />

Deutschen nach 1945.“<br />

Die Tagung war integriert in eine mehrere Wochen<br />

laufende Ausstellung im <strong>Mainz</strong>er Rathaus, die ebenfalls<br />

den Titel „Entartete Musik“ trug. 1988 war die<br />

Ausstellung von Albrecht Düling und Peter Girth<br />

rekonstruiert worden, und heute, 20 Jahre später,<br />

wurde sie neu konzipiert. Ein weiteres Ziel der<br />

eintägigen Tagung mit den acht Experten bestand<br />

darin, der Ausstellung „Entartete Musik“ eine musikwissenschaftliche<br />

Perspektive zu verleihen.<br />

Entartete Musik? Die meisten könnten wahrscheinlich<br />

eher mit dem Begriff „Entartete Kunst“ etwas<br />

anfangen als mit „Entartete Musik“. Thorsten Hindrichs<br />

möchte das nicht eindeutig bejahen, aber<br />

„tendenziell stimmt das wohl“. Hindrichs arbeitet<br />

als Musikwissenschaftler an der<br />

<strong>Johannes</strong> <strong>Gutenberg</strong>-Universität. Mit<br />

dem Thema der Tagung beschäftigt er<br />

sich seit den 90er Jahren. Er sagt: „Die<br />

Ausstellung ,Entartete Musik’ hat auch<br />

nie so ein großes Medienecho gehabt<br />

wie die Ausstellung ,Entartete Kunst’,<br />

die ein Jahr vorher stattgefunden hatte.“<br />

Hindrichs hat die Tagung im Rathaus<br />

konzipiert und organisiert. Er investierte<br />

viel Zeit und Engagement in die Planungen.<br />

Zwei Jahre beanspruchten die Planungen<br />

und Vorbereitungen. Und es hat<br />

sich gelohnt, wie er findet. Ein paar Tage<br />

nach der umfangreichen Veranstaltung im<br />

Rathaus sitzt er in seinem Büro im Philosophicum<br />

der Universität und zieht Bilanz:<br />

„Inhaltlich war es eine schöne Tagung, ich<br />

fand die Vorträge sehr spannend, die Qualität<br />

war sehr gut, es war viel Neues dabei.“<br />

In der Ankündigung zur Tagen war zu lesen: en:<br />

„Gerade angesichts des Umstands, dass die<br />

,Reichsmusiktage’ 1938 – einschließlich der<br />

dort gezeigten Ausstellung – in wesentlichen Teilen<br />

von Musikwissenschaftlern konzipiert und durchgeführt<br />

wurden, sieht sich das akademische Fach<br />

Musikwissenschaft in der Verantwortung, deutlich<br />

Position zu beziehen.“ Ist das gelungen? Hindrichs<br />

findet: Ja.<br />

Das Konzept, das er sich überlegt habe, sei aufgegangen.<br />

Nichtsdestotrotz müsse vor allem fachintern<br />

die Diskussion weitergehen. Aber auch die<br />

Aufarbeitung. „Es ist die erste Tagung dieser Art<br />

gewesen. Die Absicht war, sich wissenschaftlich mit<br />

diesem Thema auseinanderzusetzen. Das kann man<br />

aber nicht oft genug machen“, sagt er. Deswegen<br />

werde das mit Sicherheit nicht die letzte Veranstaltung<br />

dieser Art gewesen sein. Dimitri TAUBE ■<br />

derAusstellungsplakat<br />

15<br />

[<strong>JOGU</strong>] <strong>207</strong>/<strong>2009</strong>

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