JOGU 207/2009 - Johannes Gutenberg-Universität Mainz
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Studium & Lehre<br />
Quelle: tns emnid/Bertelsmann Stiftung<br />
Verbindende Vergangenheit –<br />
trennende Gegenwart?<br />
Das Israelbild der Deutschen Den 60. Jahrestag der Gründung des Staates<br />
Israel nahm die Bertelsmann Stiftung zum Anlass die Deutsche Bevölkerung<br />
nach ihrem Israelbild zu befragen. Im Gegensatz zu einer frühere Umfragen der<br />
britischen BBC, die ergeben hatte, dass Israel von den Deutschen als das Land<br />
gesehen wurde, das den negativsten Einfl uss auf die Weltpolitik hat, zeichnet<br />
die Bertelsmann-Umfrage eine tendenziell positives Israelbild der Deutschen.<br />
Die Israel-Expertin der Stiftung Maren Qualmann stellte in einem Vortrag der<br />
Arbeitsgemeinschaft Israel der Universität <strong>Mainz</strong> nun die Ergebnisse ihrer<br />
Umfrage von 2007 vor.<br />
Es mag zunächst irritierend klingen, dass Israel von<br />
den Deutschen als das Land gesehen wird, das<br />
weltweit den negativsten Einfl uss auf die Weltpolitik<br />
hat. Gerade im Hinblick auf die besondere Historische<br />
Beziehung und Verantwortung Deutschlands<br />
gegenüber Israel erstaunt dieses Umfrageergebnis<br />
der BBC aus dem Jahr 2007. Doch ist dieses zunächst<br />
weniger aussagekräftig, als vielleicht vorschnell<br />
vermutet werden könnte. „Umfragen können<br />
eben nicht erklären, was hinter den Aussagen<br />
steck“, erläutert die Israel-Expertin der Bertelsmann<br />
Stiftung Maren Qualmann dazu in ihrem Vortrag. So<br />
entsprechen die Ergebnisse der BBC-Umfrage nicht<br />
einem generell negativen Israelbild der Deutschen,<br />
sondern vielmehr der gegenwärtigen Wahrnehmung<br />
Israels und des gesamten Nahen Ostens als<br />
eine internationale Krisenregion.<br />
Grade der Zustimmung der Bundesbürger zur Aussage:<br />
„Mich beschämt, dass Deutsche so viele Verbrechen an den Juden<br />
begangen haben.“<br />
Vorschnelle Urteile zu vermeiden und gezielt und<br />
konkret das Verhältnis der beiden Staaten zu hinterfragen<br />
war Anliegen der 2007 durchgeführten<br />
Umfrage der Bertelsmann Stiftung, die ihre eigenen<br />
Ergebnisse mit Zahlen aus einer Umfrage des<br />
Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL von 1991 vergleichen<br />
konnte.<br />
„Umfragen können eben nicht<br />
erklären, was hinter den<br />
Aussagen steckt.“<br />
Was denken die Menschen von Israel und warum<br />
denken sie so, wie sie denken? Zu keinem anderen<br />
Land, außer zu Frankreich, unterhält Deutschland so<br />
lebendige und weit reichende Beziehungen wie zu<br />
Israel. Dies mag aus der gemeinsamen Geschichte<br />
resultieren, ist aber gerade aus diesem<br />
Grund keine Selbstverständlichkeit,<br />
sondern spricht vielmehr für ein reges<br />
Interesse der beiden Nationen aneinander.<br />
Zurückblickend lautet eines der entscheidenden<br />
Ergebnisse der Umfrage,<br />
dass die Shoah Deutschland und Israel<br />
nicht voneinander trennt, sondern auf<br />
deutscher Seite vor allem das Bewusstsein<br />
der schamhaften Vergangenheit<br />
dem entgegensteht. So empfi nden zwei<br />
Drittel der Bundesbürger die deutschen<br />
Verbrechen an den Juden als Scham<br />
(s. Grafi k) und die Hälfte der Bevölkerung<br />
verspürt eine besondere Verantwortung<br />
gegenüber Israel. Dieses Verständnis<br />
spiegelt sich auch in der Politik wieder.<br />
„Die besondere Verantwortung Deutsch-<br />
lands gegenüber Israel ist Teil der Staatsräson der<br />
Bundesrepublik und als solche unumstößlich“, fasst<br />
Qualmann ihre Erfahrungen mit Deutschen Politikern<br />
zusammen.<br />
Zugleich wünschen sich jedoch mehr als die Hälfe<br />
der Deutschen einen Schlussstrich hinter die gemeinsame<br />
Vergangenheit zu ziehen. Dieser Wunsch<br />
entspricht der veränderten Wahrnehmung Israels<br />
in Deutschlands, die zunehmend von aktuellen Ereignissen<br />
dominiert wird. Prägend für das Israelbild<br />
sind nicht mehr nur die Verbrechen des Nationalsozialismus,<br />
sondern in stärkerem Maße der Nahostkonfl<br />
ikt, die Israelische Siedlungspolitik und die<br />
Situation der Palästinenser in den Autonomiegebieten,<br />
wobei sich in diesen Themen die unterschiedliche<br />
politische Kultur beider Länder widerspiegelt.<br />
So begrüßen die Israelis den Einsatz deutscher<br />
Soldaten vor der Libanesischen Küste im Rahmen<br />
der UNIFIL-Mission der Vereinten Nationen, wogegen<br />
in der Bundesrepublik Militäreinsätze seit dem<br />
Zweiten Weltkrieg generell sehr kritisch diskutiert<br />
werden. Aus demselben Grund halten die Deutschen<br />
einen Krieg gegen den Iran wegen dessen<br />
Atomprogramm mehrheitlich für ungerechtfertigt,<br />
während die Israelis – aufgrund der unmittelbaren<br />
Bedrohung – diesen befürworten würden.<br />
„Die Vergangenheit verbindet Deutschland und<br />
Israel“ so Qualmann, doch ist sie und wird in Zukunft<br />
gegenüber aktuellen Ereignissen weniger<br />
bedeutend werden. „Die Perspektiven werden sich<br />
mit neuen Generationen zunehmend verändern.<br />
Diese müssen ernst genommen, werden.“ So zeigt<br />
die Umfrage ebenfalls, dass jüngere Generationen<br />
in Deutschland wie in Israel weniger Interesse am<br />
jeweils anderen Land zeigen und vor allem in Israel<br />
junge Menschen eine generell skeptischere Haltung<br />
als ihre Eltern und Großeltern vertreten.<br />
Dieser Paradigmenwechsel, in dem die Unterschiede<br />
in der politischen Kultur der beiden Staaten zunehmend<br />
das gegenseitige Bild bestimmen, birgt Chancen,<br />
zugleich aber auch die Gefahr einander nicht<br />
mehr zu verstehen. Das Ergebnis der Bertelsmann-<br />
Umfrage ist daher neben der Feststellung eines eher<br />
positiven Israelbild der Deutschen zugleich die Aufforderung,<br />
den Dialog der Bevölkerung beider Länder<br />
voranzutreiben und die guten Beziehungen, vor<br />
allem zwischen den jungen Bürgern beider Staaten,<br />
auszubauen und zu festigen. Sebastian KUMP ■<br />
[<strong>JOGU</strong>] 200/2007 <strong>207</strong>/<strong>2009</strong><br />
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