JOGU 207/2009 - Johannes Gutenberg-Universität Mainz
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Wissenschaft & Forschung<br />
Sich selbst fremd: Veränderte<br />
Hirnaktivierungen lassen sich im<br />
Kernspintomograf nachweisen.<br />
Fotos: Matthias Michal<br />
Stelle: „Wobei mir die seltsame Vorstellung einfällt,<br />
eine Art Wachtraum, der mir heute früh kam, als<br />
ich nach Petkas Weggang vergeblich einzuschlafen<br />
versuchte. Es war mir, als läge ich fl ach auf meinem<br />
Bett und sähe mich gleichzeitig selber daliegen,<br />
während sich aus meinem Leib ein leuchtendweißes<br />
Wesen erhob; eine Art Engel, doch ohne Flügel, der<br />
steil aufwärts schwebte. Ich spüre noch, während<br />
ich dies schreibe, das hochziehende, schwebende<br />
Gefühl. Natürlich ein Wunschtraum und Fluchttraum.<br />
Mein Ich läßt den Leib, den armen, verdreckten,<br />
mißbrauchten, einfach liegen. Es entfernt sich<br />
von ihm und entschwebt rein in weiße Fernen. Es<br />
soll nicht mein ‘Ich’ sein, dem dies geschieht. Ich<br />
schiebe all das aus mir hinaus. Ob ich wohl spinne?<br />
Aber mein Kopf faßt sich in diesem Augenblick kühl<br />
an, die Hände sind bleiern und ruhig.”<br />
Wesentlich ist, dass dieser<br />
Zustand der Selbstdistanz nur<br />
temporär sein darf.<br />
Wie 110.000 Leidensgenossinnen (vgl. Stern Nr.<br />
44/2008) ist die Verfasserin, deren Erinnerungen<br />
unter dem Titel „Anonyma” aktuell als Taschenbuch<br />
und Film herausgekommen sind, von sowjetischen<br />
Besatzungssoldaten mehrfach mißbraucht worden.<br />
Der Autorin dieses Tagebuch-Textes ist eines klar:<br />
Wesentlich ist, dass dieser Zustand der Selbstdistanz<br />
nur temporär sein darf, dass mit der Rückkehr<br />
der Normalität, in diesem Falle einer zivilen Friedensgesellschaft,<br />
die Rückführung des Systemes<br />
Mensch in den emotionsoffenen Normalzustand<br />
gelingen muss. Der Ausnahmezustand darf nicht<br />
chronisch werden, der Schutzmechanismus muss<br />
dann enden, wenn seine Funktion erfüllt ist – die<br />
Ablösung vom eigenen Körper und den eigenen<br />
Emotionen, die Erzeugung eines durchdringenden<br />
Gefühles der Irrealität dienen schließlich einzig der<br />
Bewahrung des eigentlichen Selbst.<br />
Dass die Depersonalisation auch der Bewältung<br />
physischer Beeinträchtigungen dient, zeigt die<br />
Neurobiologie. In einer Studie konnten Michal und<br />
seine Kollegen nachweisen, dass DP bei gesunden<br />
Probanden vermittels hypnotischer Suggestion vorübergehend<br />
indiziert werden kann. Dieser künstlich<br />
herbeigeführte Zustand der Selbstentfremdung<br />
führte zu bedeutsamen Veränderungen der<br />
Schmerzverarbeitung im Gehirn: in Regionen, die für<br />
die Konstruktion des Körperschemas verantwortlich<br />
sind, und auch in den Bereichen, welche Emotionen<br />
generieren und regulieren. Die Technologie der<br />
Positronen-Emissions-Tomografi e kann diese Modifi<br />
zierung des Glukosestoffwechsels abbilden, veränderte<br />
Hirnaktivierungen lassen sich auch mit Hilfe<br />
der funktionellen Kernspintomografi e nachweisen.<br />
Die vom <strong>Mainz</strong>er Interdisziplinären Forschungszentrum<br />
für Neurowissenschaften, kurz IFZN, geförderten<br />
aktuellen Untersuchungen sind dem veränderten<br />
Emotionserleben auf der Spur. Fortlaufend<br />
werden zwei Probandengruppen – Gesunde und<br />
Betroffene – auf die Emotionsverarbeitung im Zustand<br />
der Depersonalisation getestet.<br />
„Die Welt wie ein Magritte-Gemälde erleben zu<br />
müssen, stellt eine schwere Belastung dar. Ein Gespräch<br />
ist in diesem Zusammenhang oft hilfreich”,<br />
erläutert der Psychotherapeut Michal seine Erfahrungen.<br />
Ulrike BRANDENBURG ■<br />
Information: Gesunde, die sich auf ihre Hypnosefähigkeit<br />
testen lassen und an der entsprechenden<br />
Studie teilnehmen wollen, erhalten unter E-Mail<br />
dp-studie@uni-mainz.de weitere Informationen.<br />
Betroffene, die eine Beratung über die Möglichkeiten<br />
der Behandlung wünschen oder an der Studie<br />
teilnehmen möchten, können sich jederzeit unter<br />
(06131) 177381 (= Spezialsprechstunde der Klinik<br />
für psychosomatische Medizin und Psychotherapie)<br />
an Dr. Michal und seine Kollegen wenden.<br />
Verantwortliche der Studie zur „Emotionsverarbeitung<br />
bei hypnotisch induzierter und klinischer<br />
Depersonalisation” sind unter anderen Dr. Matthias<br />
Michal und Prof. Dr. Manfred E. Beutel von der<br />
<strong>Mainz</strong>er Klinik und Poliklinik für Psychosomatische<br />
Medizin und Psychotherapie und Prof. Dr. Peter<br />
Stoeter vom Institut für Neuroradiologie, Prof. Dr.<br />
Mathias Schreckenberger, Klinik und Poliklinik für<br />
Nuklearmedizin und Prof. Dr. Thomas Metzinger<br />
(Philosophisches Seminar). Die Studie wird vom<br />
IFZN (Interdisziplinäres Forschungszentrum für Neurowissenschaften)<br />
gefördert.<br />
Vom 18. bis 21. März <strong>2009</strong> fi ndet in <strong>Mainz</strong> die 60.<br />
Arbeitstagung des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische<br />
Medizin (DKPM) und zugleich die<br />
17. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für<br />
Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie<br />
(DGPM) statt.<br />
Internet: http:/www.ifzn.uni-mainz.de/321.php<br />
17<br />
[<strong>JOGU</strong>] <strong>207</strong>/<strong>2009</strong>