Heft 1 + 2 / 2011 - UniversitätsVerlagWebler
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Fo<br />
Forschungsgespräch mit J. Schlegel<br />
Fo: Fachhochschulen wurden nicht aus den beruflichen<br />
Fachschulen der DDR gebildet (wie seinerzeit in der alten<br />
Bundesrepublik), sondern aus Spezialhochschulen, die<br />
nicht zu Universitäten ausgebaut werden sollten. Gerade<br />
die Rückstufung mancher wissenschaftlichen Hochschulen<br />
der DDR mit Promotionsrecht zu Fachhochschulen<br />
hatte ja einige Kompromisse ausgelöst, die der FH-Entwicklung<br />
im Westen wiederum voran half.<br />
JS: In der Tat ist das Verhältnis zwischen Fachhochschulen<br />
und Universitäten, aber auch zwischen Fachhochschulen<br />
und außeruniversitärer Forschung, unverkrampfter<br />
als in den alten Ländern. Es zeigt sich auch in der<br />
schon früh feststellbaren Bereitschaft der außeruniversitären<br />
Forschung, Absolventen der Fachhochschulen in<br />
Promotionsvorhaben einzubinden. Sicher hat auch die<br />
Klausel im Sächsischen Hochschulgesetz, die im Wege<br />
des Experiments die Promotion an Fachhochschulen zulässt,<br />
ihre Wurzel in dieser Historie.<br />
Fo: Durch den Anspruch, wegzukommen von den Spezialhochschulen<br />
und möglichst Volluniversitäten zu schaffen,<br />
ist ja die TU Magdeburg um- und aufgebaut worden,<br />
hat sich Potsdam entwickelt, sind die Hochschulen<br />
in Dresden und die TU Chemnitz umgebaut und Frankfurt/Oder<br />
und Cottbus als Universitäten neu gegründet<br />
worden. Dabei haben auch regionale, vor allem von den<br />
neuen Bundesländern und deren Grenzen bestimmte,<br />
eher sachfremde Interessen eine Rolle gespielt, die einer<br />
empirischen Regional- und Standortanalyse und -planung<br />
kaum stand gehalten hätten.<br />
Insbesondere der Raum Berlin/Brandenburg war mit TU<br />
Berlin, FU Berlin, dem Prestige-Projekt Humboldt-Universität,<br />
mit Potsdam, TU Cottbus und Viadrina Frankfurt/Oder<br />
überbesetzt. Zwar haben Hauptstädte immer<br />
einen erheblichen Überhang an regional demographisch<br />
nicht gerechtfertigter Studienplatzkapazität, aber es<br />
hätte dringend eines frühen Hochschulentwicklungsplanes<br />
Berlin/Brandenburg (HEP BB) bedurft, in dem Kapazitäten<br />
nicht überstürzt, sondern langfristig und rational<br />
geplant über 20 Jahre aus Berlin in das Umland hätten<br />
umverteilt werden können. So aber kam es zu ziemlich<br />
abrupten Abbrüchen und Kürzungen an den ehemaligen<br />
Westberliner Universitäten, die Vieles zerstört haben.<br />
Als die politische Vision eines vereinigten Bundeslandes<br />
Berlin/Brandenburg zunächst gescheitert war, hätten die<br />
genannten Hochschulen selbst die Kraft haben müssen,<br />
mit externer Planungshilfe und Moderation einen solchen<br />
HEP Berlin/Brandenburg zu entwickeln und der<br />
Politik als Handlungsalternative vorzulegen. Aber die<br />
Aktualitäten und Konflikte haben alle Kraft zu rationalem,<br />
mittel- und langfristigem Handeln aufgesogen. Wie<br />
stellte sich das Problem aus dem Blickwinkel der BLK<br />
dar?<br />
JS: Ich habe schon darauf hingewiesen, dass ich die<br />
Entwicklung der Hochschulen in den neuen Ländern<br />
als positiven Ausweis für leistungsfähigen Föderalismus<br />
empfinde. Natürlich kann man die Hochschulen in der<br />
Bundesrepublik Deutschland sich auch als ein aufeinander<br />
bezogenes zusammenhängendes Netzwerk denken.<br />
Dies entspricht aber nicht den föderalen Gegebenheiten,<br />
aufgrund derer einzelne Landesparlamente über<br />
die Hochschulen im eigenen Lande entscheiden. Dies<br />
ist nicht sachfremd, sondern spiegelt das Faktum wider,<br />
dass die jeweiligen Hochschulen von den Bürgern des<br />
einzelnen Landes getragen und von den Landesregierungen<br />
verantwortet werden.<br />
Natürlich gibt es Bereiche, bei denen man sich stärker<br />
landesübergreifende Planung vorstellen könnte, wie<br />
etwa im Dreieck Halle/Jena/Leipzig, wo Hochschulen<br />
dreier Länder relativ eng beieinander liegen und eine<br />
abgestimmte Entwicklungsplanung sicherlich nicht geschieht.<br />
Vergleichbare Situationen gibt es aber in den<br />
alten Ländern nicht minder. Die neuen Länder haben<br />
ihre Möglichkeiten auch dazu genutzt, neue Formen<br />
hochschulischer Forschung und Lehre aufzubauen: So<br />
ist die Europa-Universität Viadrina als tatsächlich grenzüberschreitend<br />
angelegte Hochschule mit ausschließlich<br />
geistes- und sozialwissenschaftlichem Spektrum in der<br />
Bundesrepublik ein Unikat, ein Unikat auf das wir aber<br />
heute, glaube ich, ungern verzichten würden. In Berlin<br />
und Brandenburg hat vielleicht der formale gemeinsame<br />
Hochschulentwicklungsplan gefehlt; die Hochschulentwicklung<br />
des Landes Brandenburg ist aber im Wissen<br />
um und unter starker Berücksichtigung der Berliner Situation<br />
entstanden.<br />
Brandenburg konnte nur deswegen auf eine medizinische<br />
Fakultät verzichten, weil Berlin in seiner Mitte<br />
liegt und dieser Verzicht war richtig. Die Kapazitätszahlen<br />
der brandenburgischen und Berliner Hochschulen<br />
sowie ihre Studienanfängerentwicklung beweisen, dass<br />
nicht über „Bedarf“ ausgebaut worden ist. Die brandenburgischen<br />
Universitäten haben nicht mit zurückgehenden<br />
Studienanfängerzahlen zu kämpfen, im Gegenteil.<br />
Gleiches gilt für die Berliner Hochschulen. Die<br />
Sogwirkung der Hauptstadt, auch auf Studierende aus<br />
anderen Ländern, ist seinerzeit sehr richtig eingeschätzt<br />
worden. Zu Beginn der 90er Jahre ging es auf der anderen<br />
Seite darum, die Konzentration von Forschungseinrichtungen<br />
in der ehemaligen DDR auf Berlin und<br />
das Berliner Umfeld aufzubrechen. Und so sind doch<br />
einige Verlagerungen von Instituten und Institutsteilen<br />
erfolgt. Auch das Wissenschaftler-Integrationsprogramm<br />
sollte dazu dienen, wissenschaftliches Personal,<br />
das bislang im Wesentlichen in Berlin arbeitete, besser<br />
auf die neuen Länder zu verteilen.<br />
Fo: Kommen wir zur Rolle der Industrieforschung. Betrachtet<br />
man die Vorteile einer starken Industrieforschung,<br />
wie sie traditionell in den Unternehmen in<br />
Baden-Württemberg und Bayern besteht, stellen sich<br />
Fragen, warum mit dem Wiederaufbau der Wirtschaft in<br />
den neuen Bundesländern nicht auch die Industrieforschung<br />
in größerem Umfang wieder eingezogen ist.<br />
Es gab ja in der DDR eine enge, traditionelle Forschungskooperation<br />
zwischen Hochschulen, Akademien<br />
und Industrie in den Industriekombinaten. Spätestens<br />
dort hätte man erkennen können, dass es sehr wohl Forschung<br />
an DDR-Hochschulen gab. Mit der Abwickelung<br />
dieser Kombinate kam auch diese Industrieforschung<br />
zum Erliegen. Wie war dieser Verlust einzuschätzen?<br />
Fo 1+2/<strong>2011</strong><br />
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