Nach 90 Semestern an der Uni - Zs-online.ch
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Thema<br />
Der Baron ist mit seinem Latein am Ende<br />
Erst gingen die Frauen. D<strong>an</strong>n das Erbe. Und jetzt ist<br />
au<strong>ch</strong> er weg. Meinhard von Seckendorff hat sein<br />
ewiges Studium abgebro<strong>ch</strong>en.<br />
Text: Joel Bedetti<br />
Bil<strong>der</strong>: Lukas Messmer<br />
Die Lage ist kritis<strong>ch</strong>. Im J<strong>an</strong>uar verg<strong>an</strong>genen<br />
Jahres verliess <strong>der</strong> Freiherr<br />
Meinhard von Seckendorff na<strong>ch</strong> <strong>90</strong><br />
<strong>Semestern</strong> die <strong>Uni</strong>versität Züri<strong>ch</strong> und<br />
kehrte auf sein S<strong>ch</strong>loss im märkis<strong>ch</strong>en<br />
Obernzenn zurück.<br />
Er kehrte zurück mit leeren Tas<strong>ch</strong>en,<br />
dafür mit <strong>der</strong> Hoffnung, die Heimat bald<br />
wie<strong>der</strong> verlassen zu können. Do<strong>ch</strong> nur<br />
die begüterte und poetis<strong>ch</strong> ver<strong>an</strong>lagte<br />
Cousine Celia könnte den Freiherrn aus<br />
dem S<strong>ch</strong>lamassel holen.<br />
Meinhard Eri<strong>ch</strong> Peter von Seckendorff,<br />
66 Jahre, Baron, Privatgelehrter,<br />
Frauenliebhaber, Hoteldauergast und<br />
ewiger Student, ist ein kleingewa<strong>ch</strong>sener<br />
Herr mit adligen M<strong>an</strong>ieren, s<strong>ch</strong>lohweissen<br />
Haaren und einem gutmütigen<br />
Lä<strong>ch</strong>eln im runden Gesi<strong>ch</strong>t.<br />
Bedrückt sitzt er im S<strong>ch</strong>losswohnzimmer,<br />
duckt si<strong>ch</strong> vor den grimmigen<br />
Blicken <strong>der</strong> Vorfahren, <strong>der</strong>en Bil<strong>der</strong> er<br />
no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t verkauft hat, und sagt: «Viellei<strong>ch</strong>t<br />
hätte i<strong>ch</strong> do<strong>ch</strong> besser einen Beruf<br />
ergriffen, als i<strong>ch</strong> jung war.» Denn das Erbe,<br />
das ist jetzt weg.<br />
Der Baron war in Rage, als i<strong>ch</strong> ihn<br />
na<strong>ch</strong> einer längeren Su<strong>ch</strong>e endli<strong>ch</strong> am<br />
Telefon hatte. Seine Sätze sprudelten<br />
dur<strong>ch</strong> den Hörer, dass mir s<strong>ch</strong>windlig<br />
wurde.<br />
Gerade sei er dabei, den <strong>an</strong>tiken Sekretär<br />
zu räumen, den er seinem Cousin<br />
Graf Rainer verkaufe, d<strong>an</strong>n erzählte er<br />
von Cousine Jutta, die eigentli<strong>ch</strong> eine<br />
T<strong>an</strong>te sei und ihn um 400’000 Euro betrogen<br />
habe, von <strong>der</strong> Anwältin Möller,<br />
die ihn vor Gewinnspielfirmen s<strong>ch</strong>ützt,<br />
und von einer Philosophiedozentin, bei<br />
<strong>der</strong> er ni<strong>ch</strong>t l<strong>an</strong>den konnte.<br />
Meinhard von Seckendorff war<br />
ho<strong>ch</strong>erfreut, dass i<strong>ch</strong> ihn besu<strong>ch</strong>en<br />
wollte. «Nur s<strong>ch</strong>ade, dass i<strong>ch</strong> mein Gästezimmer<br />
s<strong>ch</strong>on veräussern musste»,<br />
bedauerte er.<br />
Obernzenn ist ein deprimierendes<br />
2000-Seelen-Dorf inmitten <strong>der</strong> Waldund-Hügel-Geografie<br />
Nordbayerns. Der<br />
Bus vergisst m<strong>an</strong><strong>ch</strong>mal zu stoppen. Die<br />
verwaisten Strassen sind mit Werbung<br />
für Altgold zugepflastert. Und im Eing<strong>an</strong>gsberei<strong>ch</strong><br />
des Supermarktes sollte<br />
m<strong>an</strong> besser die Luft <strong>an</strong>halten.<br />
Verbli<strong>ch</strong>ene Tapeten<br />
Glei<strong>ch</strong> neben dem Supermarkt wohnt<br />
<strong>der</strong> Baron. Das Seckendorffs<strong>ch</strong>e Familien<strong>an</strong>wesen,<br />
erbaut im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t,<br />
ist ein blau-rotes Zwillingss<strong>ch</strong>loss.<br />
Das Blaue S<strong>ch</strong>loss ist herausgeputzt,<br />
grenzt nordseitig <strong>an</strong> einen englis<strong>ch</strong>en<br />
Garten und lockt mit seiner Gemäldesammlung<br />
Busladungen von Touristen<br />
<strong>an</strong>. Hier wohnt <strong>der</strong> Graf Rainer von<br />
Seckendorff. Das Rote S<strong>ch</strong>loss wirkt<br />
verna<strong>ch</strong>lässigt, hat ein Baugerüst vor<br />
<strong>der</strong> Südnase und ist mit einem s<strong>ch</strong>lammigen<br />
Burggraben eingezogen. Hier<br />
wohnt Meinhard von Seckendorff.<br />
Als i<strong>ch</strong> die Einfahrt ho<strong>ch</strong>laufe, steht<br />
er bereits auf <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>lossbrücke. Mit<br />
S<strong>ch</strong>irm und zu l<strong>an</strong>gem M<strong>an</strong>tel strahlt<br />
er dur<strong>ch</strong> den Nieselregen.<br />
Innen sieht das Rote S<strong>ch</strong>loss aus<br />
wie na<strong>ch</strong> einem Krieg: nackt und ausges<strong>ch</strong>la<strong>ch</strong>tet.<br />
Die Holzböden sind verbogen,<br />
die Tapeten verbli<strong>ch</strong>en, die Wände<br />
zersprungen, die Räume einzig von verrussten<br />
Öfen bevölkert.<br />
Der Baron bewohnt im Oberges<strong>ch</strong>oss<br />
eine halbwegs intakte Oase inmitten <strong>der</strong><br />
S<strong>ch</strong>losswüste, wenn au<strong>ch</strong> die Heizung<br />
m<strong>an</strong><strong>ch</strong>mal den Geist aufgibt. Ein Flur<br />
mit <strong>der</strong> ausufernden Bibliothek. Ein mit<br />
den übriggebliebenen Erbstücken ausstaffiertes<br />
Wohnzimmer. Ein Fernsehzimmer,<br />
das <strong>der</strong> Baron nur ungern zeigt,<br />
weil es ni<strong>ch</strong>t aufgeräumt ist, und ein<br />
S<strong>ch</strong>lafzimmer, das er lieber ni<strong>ch</strong>t zeigt.<br />
«Eigentli<strong>ch</strong> lege i<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on Wert auf<br />
Ordnung», sagt Meinhard von Seckendorff.<br />
Kommunistis<strong>ch</strong>er Untergrund<br />
Ordnung in den Lebenslauf des Barons<br />
zu bringen, ist aber ni<strong>ch</strong>t g<strong>an</strong>z einfa<strong>ch</strong>.<br />
Er fährt einfa<strong>ch</strong> dort weiter, wo wir am<br />
Telefon stehen geblieben sind, und erzählt<br />
drauflos, von T<strong>an</strong>te Fea, die den<br />
kommunistis<strong>ch</strong>en Untergrund unterstützte,<br />
vom Vetter Burkhard, <strong>der</strong> einst<br />
das Erdges<strong>ch</strong>oss bewohnte und mit<br />
seinem ungaris<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>äferhund aus<br />
einem Bierglas tr<strong>an</strong>k, von seiner Ex Isabella<br />
und von <strong>der</strong> Hamburger Cousine<br />
Celia, in die er verliebt ist. «Celia ist poetis<strong>ch</strong><br />
und begütert», sagt Meinhard von<br />
Seckendorff, «das würde viele Probleme<br />
lösen.»<br />
Herr Baron, können Sie g<strong>an</strong>z vorne<br />
beginnen?<br />
Er beginnt mit <strong>der</strong> Mutter: «Mutter<br />
liebte den Wald mehr als mi<strong>ch</strong>.» Eine<br />
s<strong>ch</strong>wierige Beziehung. Der Vater, P<strong>an</strong>zergeneral<br />
Eri<strong>ch</strong> von Seckendorff, fiel<br />
neun Monate na<strong>ch</strong> Meinhards Geburt<br />
<strong>an</strong> <strong>der</strong> Westfront. Die beiden waren auf<br />
si<strong>ch</strong> gestellt.<br />
Die Mutter, eine Berlinerin, harrte<br />
aus Pfli<strong>ch</strong>tgefühl gegenüber dem verstorbenen<br />
Gatten auf dem Provinzs<strong>ch</strong>loss<br />
aus und kümmerte si<strong>ch</strong> um das Familiengut,<br />
das S<strong>ch</strong>loss, die Äcker und →<br />
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