Nach 90 Semestern an der Uni - Zs-online.ch
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Studium<br />
Text: Pascal Ritter und Patrice Siegrist<br />
Bild: IPZ<br />
Studium<br />
Text: Patrice Siegrist<br />
Illustration: Philip S<strong>ch</strong>aufelberger<br />
Eine Oase <strong>der</strong> Harmonie<br />
Der neue St<strong>an</strong>dort in Oerlikon hat sein zweites Semester<br />
im Dienste <strong>der</strong> <strong>Uni</strong>versität <strong>an</strong>getreten.<br />
Eine ni<strong>ch</strong>t g<strong>an</strong>z ironiefreie Zwis<strong>ch</strong>enbil<strong>an</strong>z.<br />
«I<strong>ch</strong> war völlig baff!»<br />
Während einer Open-Book-Prüfung verbietet die Aufsi<strong>ch</strong>t<br />
das Benutzen von alten Prüfungen. Studierende<br />
protestieren, denn bisher s<strong>ch</strong>ien dies erlaubt.<br />
Freibier, eine Gypsyi-B<strong>an</strong>d und ein grinsen<strong>der</strong><br />
Rektor. Mit viel Pomp wurde das<br />
neue Gebäude <strong>an</strong> <strong>der</strong> Affolternstrasse<br />
im letzten Herbst eröffnet. Hier haben<br />
Politik- und Filmwissens<strong>ch</strong>aftler sowie<br />
die Damen und Herren <strong>der</strong> Populären<br />
Kulturen nun ein neues Zuhause.<br />
In unmittelbarer Nähe zum Bahnhof<br />
Oerlikon und <strong>der</strong> ABB <strong>an</strong>gesiedelt,<br />
sollen sie si<strong>ch</strong> im Cityport – wie <strong>der</strong> Glaspalast<br />
in wohlklingendem Neudeuts<strong>ch</strong><br />
gen<strong>an</strong>nt wird – wie zu Hause im Wohnzimmer<br />
fühlen. Nur so sind die liebevoll<br />
gedimmten Lampen zu erklären, die<br />
na<strong>ch</strong> Sonnenunterg<strong>an</strong>g eine rom<strong>an</strong>tis<strong>ch</strong><br />
dämmrige Atmosphäre erzeugen. Der extensiv<br />
lernende Studi fühlt si<strong>ch</strong> in Zeiten<br />
zurückversetzt, als er unter <strong>der</strong> Decke<br />
mit <strong>der</strong> Tas<strong>ch</strong>enlampe lesen musste.<br />
Kus<strong>ch</strong>el-Vorlesungen<br />
Zu dieser Kus<strong>ch</strong>elatmosphäre fehlt nur<br />
no<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Kaffee. Lei<strong>der</strong> gibts im Cityport<br />
für fleissige Jungakademiker ab 16:30<br />
Uhr keinen sol<strong>ch</strong>en mehr. Zum Glück<br />
liegt <strong>der</strong> Starbucks nur einen mittleren<br />
Fussmars<strong>ch</strong> entfernt. Wer nun denkt,<br />
dass einem dort ein Kulturs<strong>ch</strong>ock droht,<br />
liegt gänzli<strong>ch</strong> fals<strong>ch</strong>. Das Klientel im<br />
Starbucks ähnelt dem <strong>der</strong> Cafeteria sehr<br />
stark. Businessmen und Studis müssen<br />
nämli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> dort in <strong>der</strong> glei<strong>ch</strong>en<br />
S<strong>ch</strong>l<strong>an</strong>ge <strong>an</strong>stehen.<br />
An <strong>der</strong> l<strong>an</strong>gen S<strong>ch</strong>l<strong>an</strong>ge vor <strong>der</strong> Kasse<br />
und <strong>der</strong> damit verbundenen Körpernähe<br />
in <strong>der</strong> 10-Uhr-Pause gibt es ni<strong>ch</strong>ts auszusetzen.<br />
Im Gegenteil, sie passt absolut<br />
in das Konzept Cityport. Denn au<strong>ch</strong> die<br />
Atmosphäre während den Pfli<strong>ch</strong>tvorlesungen<br />
im einzigen «grossen» Hörsaal<br />
ist sehr kus<strong>ch</strong>lig. M<strong>an</strong><strong>ch</strong>e weigern si<strong>ch</strong>,<br />
Professor H<strong>an</strong>s-Peter Kriesi und Rektor Andreas Fis<strong>ch</strong>er im Cityport.<br />
ihre Plätze in den B<strong>an</strong>kreihen mit ihren<br />
Kommilitonen zu teilen, und setzen si<strong>ch</strong><br />
auf einen Stuhl am R<strong>an</strong>de. Aber A<strong>ch</strong>tung!<br />
Das ist br<strong>an</strong>dgefährli<strong>ch</strong>! Der Ordungsdienst<br />
weist die verklemmten Studis<br />
s<strong>ch</strong>nell mit Verweis auf feuerpolizeili<strong>ch</strong>e<br />
Verordnungen zure<strong>ch</strong>t. «Alles nur S<strong>ch</strong>ik<strong>an</strong>e»,<br />
da<strong>ch</strong>ten viele Studierende, bis die<br />
Situation do<strong>ch</strong> brenzlig wurde und Hektik<br />
in den gemütli<strong>ch</strong>en Alltag des Citypot<br />
bra<strong>ch</strong>te.<br />
Feueralarm im Cityport<br />
Die Idee, dem Cityport neben den Olivenbäumen<br />
au<strong>ch</strong> sonst ein italienis<strong>ch</strong>es<br />
Flair zu verleihen, endete nämli<strong>ch</strong> mit<br />
einem Feuerwehreinsatz. Während <strong>der</strong><br />
Pizzawo<strong>ch</strong>e löste <strong>der</strong> überhitzte Ofen<br />
den Feueralarm aus, worauf m<strong>an</strong> auf <strong>der</strong><br />
gefährli<strong>ch</strong> nahe <strong>an</strong> den Eingängen verlaufenden<br />
Strasse eine Parade <strong>der</strong> städtis<strong>ch</strong>en<br />
Feuerwehr bestaunen durfte.<br />
Verletzt wurde Gott sei D<strong>an</strong>k niem<strong>an</strong>d.<br />
Nur Professor Kriesis Mittagessen<br />
wurde gestört. Es wird gemunkelt, dass<br />
ihm darum sein S<strong>an</strong>dwi<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gut bekommen<br />
sei. Er erholte si<strong>ch</strong> aber s<strong>ch</strong>nell<br />
und st<strong>an</strong>d s<strong>ch</strong>on in <strong>der</strong> Wo<strong>ch</strong>e darauf<br />
wie<strong>der</strong> stramm vor den Polito-Studis und<br />
gew<strong>an</strong>n souverän den allwö<strong>ch</strong>entli<strong>ch</strong>en<br />
Kampf mit dem Feedback produzierenden,<br />
ständig ausfallenden o<strong>der</strong> gar ni<strong>ch</strong>t<br />
erst funktionierenden Mikrofon.<br />
Lei<strong>der</strong> bekommt m<strong>an</strong> das auf den<br />
Plätzen hinter den beiden mä<strong>ch</strong>tigen<br />
Säulen, wel<strong>ch</strong>e im glei<strong>ch</strong>en Raum die<br />
tiefliegende Decke vor dem Einsturz bewahren,<br />
gar ni<strong>ch</strong>t mit. ◊<br />
So etwas hat Isabel no<strong>ch</strong> nie erlebt. Die<br />
Umweltwissens<strong>ch</strong>afts-Studentin sitzt<br />
in <strong>der</strong> Prüfung «Te<strong>ch</strong>nik <strong>der</strong> Problemlösung».<br />
Es ist eine Open-Book-Prüfung,<br />
Isabels Unterlagen sind sorgfältig ausgebreitet.<br />
Der Test ist bereits im G<strong>an</strong>ge, als<br />
die Prüfungsaufsi<strong>ch</strong>t mit dem Studenten<br />
Benjamin ins Gesprä<strong>ch</strong> kommt. Unruhe<br />
kommt auf. Die Aufsi<strong>ch</strong>t gibt bek<strong>an</strong>nt,<br />
dass alte Prüfungen als Unterlagen ni<strong>ch</strong>t<br />
zugelassen sind. «I<strong>ch</strong> war völlig baff, als<br />
Prüfungsaufseherin Barbara S<strong>ch</strong>mied<br />
na<strong>ch</strong> fünf Minuten dieses Verbot ausspra<strong>ch</strong>»,<br />
sagt Isabel. Denn im Frühlingssemester<br />
2010 habe sie die Prüfung<br />
s<strong>ch</strong>on einmal ges<strong>ch</strong>rieben, und dort seien<br />
diese zugelassen gewesen. Benjamin<br />
bestätigt dies: «Da es keine Musterlösungen<br />
gibt, löste i<strong>ch</strong> zur Vorbereitung die<br />
Prüfung aus dem Jahr 2008 und nahm<br />
sie mit – wie im letzten Semester au<strong>ch</strong>.»<br />
Kein Gewohnheitsre<strong>ch</strong>t<br />
Davon wusste die Prüfungsaufsi<strong>ch</strong>t<br />
ni<strong>ch</strong>ts. Barbara S<strong>ch</strong>mied sagt, dass sie<br />
keine Ahnung gehabt hätte, dass eine<br />
alte Prüfung im Umlauf sei. Diese müsse<br />
rausges<strong>ch</strong>muggelt worden sein. In einem<br />
Mail wendet sie si<strong>ch</strong> <strong>an</strong> die Studierenden.<br />
Sie s<strong>ch</strong>reibt, dass kein Gewohnheitsre<strong>ch</strong>t<br />
daraus abgeleitet werden<br />
könne, wenn in früheren <strong>Semestern</strong> alte<br />
Prüfungen benutzt wurden. Sie ma<strong>ch</strong>t<br />
no<strong>ch</strong> einmal klar, dass kommuniziert<br />
wurde, dass nur Unterlagen aus <strong>der</strong> Vorlesung,<br />
den Übungen und dem Skript zulässig<br />
sind. Die alte Prüfung zähle ni<strong>ch</strong>t<br />
dazu und sei daher illegal.<br />
In einem <strong>an</strong><strong>der</strong>en Raum absolvierten<br />
glei<strong>ch</strong>zeitig die Agronomen den selben<br />
ersten Teil dieser Prüfung. Dort wurde<br />
Wel<strong>ch</strong>e Unterlagen erlaubt sind o<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t, s<strong>ch</strong>eint zufällig zu sein.<br />
das Verbot ni<strong>ch</strong>t ausgespro<strong>ch</strong>en, die Prüfungen<br />
konnten benutzt werden. Isabel<br />
leitet daraus Unre<strong>ch</strong>t ab.<br />
Im Mail <strong>an</strong> die Studierenden reagiert<br />
S<strong>ch</strong>mied auf die Vorwürfe: «Sollte si<strong>ch</strong> im<br />
Prüfungsteil ‹Problemlösen im Rahmen<br />
von Projekten› die Notenverteilung <strong>der</strong><br />
Umweltwissens<strong>ch</strong>aften-Studierenden<br />
signifik<strong>an</strong>t von <strong>der</strong>jenigen <strong>der</strong> Agronomen<br />
unters<strong>ch</strong>eiden, so wird dies bei <strong>der</strong><br />
definitiven Bewertung berücksi<strong>ch</strong>tigt.»<br />
Dies sei eine <strong>an</strong>gemessene Reaktion auf<br />
die Ges<strong>ch</strong>ehnisse. Es tue ihr leid, dass es<br />
dadur<strong>ch</strong> für einige zu einer Stresssituation<br />
gekommen sei, bedauert S<strong>ch</strong>mied.<br />
Zufrieden zeigt si<strong>ch</strong> Isabel mit dieser<br />
Argumentation ni<strong>ch</strong>t. Die Art und Weise,<br />
wie das G<strong>an</strong>ze von statten ging, passe ihr<br />
gar ni<strong>ch</strong>t. «I<strong>ch</strong> finde es wi<strong>der</strong>sprü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>,<br />
da i<strong>ch</strong> unter Open Book etwas <strong>an</strong><strong>der</strong>es<br />
verstehe. Zudem hat das Verbot den<br />
Zeitdruck im zweiten Teil <strong>der</strong> Prüfung<br />
erhöht», sagt sie.<br />
S<strong>ch</strong>mied versi<strong>ch</strong>ert, dass sie si<strong>ch</strong> Ged<strong>an</strong>ken<br />
zum zweiten Teil ma<strong>ch</strong>e. Do<strong>ch</strong><br />
bevor die Auswertung vorliege und die<br />
Notenkonferenz stattgefunden habe,<br />
könne und wolle sie dazu ni<strong>ch</strong>ts sagen.<br />
Alte Prüfung recycelt<br />
Dass Unters<strong>ch</strong>iede in <strong>der</strong> Notenverteilung<br />
entstehen, s<strong>ch</strong>eint wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>.<br />
Denn: «Diese Prüfung war <strong>der</strong>jenigen von<br />
2008 sehr ähnli<strong>ch</strong>», sagt Benjamin. Prüfungsaufseherin<br />
S<strong>ch</strong>mied sei dies au<strong>ch</strong><br />
zu Ohren gekommen. Sie habe das aber<br />
ni<strong>ch</strong>t überprüft. Dies sei unglückli<strong>ch</strong> und<br />
sollte ni<strong>ch</strong>t die Regel sein. ◊<br />
8 9 ZS #1 / 11 — 25.02.2011