P.T. MAGAZIN 05/2010
Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft. Offizielles Informationsmagazin des Wettbewerbs "Großer Preis des Mittelstandes" der Oskar-Patzelt-Stiftung
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Gesellschaft<br />
(Foto: © Monika Tugcu/PIXELIO)<br />
10<br />
vermeidung ist natürlich die hohe<br />
Kunst der Menschenvermeidung.<br />
Die Autorin Stefanie Iris Weiss, die<br />
sich schon mit Anleitungen für Yoga<br />
und veganes Leben für Teenager um<br />
die Menschheit verdient gemacht<br />
hat, will uns mit ihrem Öko-Sex-<br />
Ratgeber „Eco-Sex: Go Green Between<br />
the Sheets and Make Your<br />
Love Life Sustainable“ zeigen, dass<br />
man gleichzeitig Spaß haben und<br />
ökologisch Gas geben kann.<br />
Die Ratschläge sind gähnend interessant:<br />
Blumen für den Liebsten im<br />
Garten pflücken statt aus Kolumbien<br />
einfliegen zu lassen, Kondome<br />
aus biologisch abbaubarem Latex<br />
und handbetriebenes Sexspielzeug<br />
(ohne Batterien). Regel Nummer<br />
eins für „Ökosexuelle“ ist laut Weiss<br />
aber natürlich, „weniger oder gar<br />
keine Kinder zu bekommen“.<br />
So sieht es auch die gemeinnützige<br />
Stiftung „Optimum Population<br />
Trust“ (OPT), die daher einen speziellen<br />
Ablasshandel anbietet. Auf<br />
der Website www.popoffsets.com<br />
kann man seinen sündigen Konsum<br />
wieder gutmachen, indem man<br />
Geld gibt, das zur Vermeidung von<br />
Menschen eingesetzt wird – laut<br />
PopOffset die effektivste Form des<br />
Sündenerlasses.<br />
Ein Hund oder zwei Land Cruiser?<br />
OPT behauptet, für 7 Dollar durch<br />
Geburtenvermeidung eine Tonne<br />
CO2 einsparen zu können. Dagegen<br />
sehen Windkraft (24 Dollar), Solarenergie<br />
(51 Dollar), CO2-Sequestrierung<br />
(57-58 Dollar), Hybridautos (92<br />
Dollar) und Elektroautos (131 Dollar)<br />
alt aus. Diese Art von Rechenübung<br />
bringt schnell auch Tierfreunde,<br />
Anmerkungen<br />
die gleichzeitig den Planeten retten<br />
wollen, in arge Bedrängnis.<br />
In ihrem Buch „Time to Eat the<br />
Dog?: The Real Guide to Sustainable<br />
Living“ berechnen die neuseeländischen<br />
Umweltschützer Robert<br />
und Brenda Vale den ökologischen<br />
Pfotenabdruck unserer tierischen<br />
Lieblinge.<br />
Das Ergebnis ist für den ökologisch<br />
korrekten Tierhalter ein harter<br />
Schlag: Ein mittelgroßer Hund hat<br />
einen mehr als doppelt so großen<br />
Ressourcenverbrauch wie ein Toyota<br />
Land Cruiser (Herstellung und 10<br />
000 km/Jahr). Eine Katze kommt<br />
knapp an einen VW-Golf heran.<br />
Naturschutz und Wachstum<br />
Im Dienste des globalen, moralisierenden<br />
und kulturpessimistischen<br />
Nachhaltigkeitsbetriebs ist das Konzept<br />
des ökologischen Fußabdrucks<br />
nur ein schlechtes Propagandainstrument.<br />
Es enthält dennoch einen<br />
richtigen Grundgedanken: Es ist<br />
ein sinnvolles Ziel, den Flächenverbrauch<br />
gering zu halten. Effizienz ist<br />
eine feine Sache.<br />
Und Effizienz lässt sich auch wunderbar<br />
mit Wohlstand verbinden.<br />
Der Königsweg dorthin ist eine noch<br />
viel stärker technisierte Landwirtschaft<br />
und moderne Industrie. Es ist<br />
durchaus interessant zu betrachten,<br />
was nicht dazu beiträgt, den Verbrauch<br />
an biologisch aktiven Flächen<br />
zu verkleinern.<br />
n (1) Stefan Giljum u. a.: Wissenschaftliche Untersuchung und Bewertung des Indikators<br />
„Ökologischer Fußabdruck“, Dessau-Roßlau, Dezember 2007, Download unter<br />
www.umweltbundesamt.de<br />
n (2) Jakob Schrenk: „Unser Mann für die Welt“, 19.10.07, www.utopia.de<br />
n (3) Loreen Gabriel u. a.: „Scale matters: the impact of organic farming on biodiversity at<br />
different spatial scales“ in: Ecology Letters, 22.03.10<br />
n (4) Despommier: „Das Gewächshaus im Wolkenkratzer“ in: Spektrum der Wissenschaft, 4/10<br />
Als Erstes ist da extensive Landwirtschaft<br />
zu nennen. Der Flächenverbrauch<br />
im ökologischen Landbau<br />
ist doppelt so hoch wie im konventionellen.<br />
Für jeden Hektar ökologisch<br />
bebautes Ackerland muss ich<br />
demnach eine halben Hektar Natur<br />
opfern. Der Nutzen für die Umwelt<br />
steht in keinem Verhältnis dazu.<br />
Die Biodiversität auf ökologisch genutzten<br />
Agrarflächen ist lediglich<br />
12% höher als bei konventionellen. (3)<br />
Wohlstand UND intakte Natur sind<br />
machbar<br />
Sehr positive Effekte gehen dagegen<br />
vom globalen Trend der Verstädterung<br />
aus. Städte sind effizient. Sie<br />
sind gleichzeitig Hotspots der Biodiversität.<br />
Die artenreichste Region<br />
Deutschlands ist Berlin. Und Städte<br />
könnten in Zukunft sogar einen<br />
großen Teil der von den Bewohnern<br />
benötigten Lebensmittel selbst produzieren.<br />
Denn der Flächenbedarf der Landwirtschaft<br />
lässt sich noch um Größenordnungen<br />
reduzieren, bis hin<br />
zur Variante des vom Acker gänzlich<br />
gelösten „Urban Farming“, wie es<br />
der Mikrobiologe Dickson Despommier<br />
von der Columbia Universität<br />
propagiert, bei dem in einem Hightech-Gewächshochhaus<br />
auf einer<br />
innerstädtischen Fläche von zwei<br />
Hektar so viel Nahrung produziert<br />
werden könnte wie auf 1 000 Hektar<br />
Ackerland. (4)<br />
Wenn wir uns nicht von der irrigen<br />
Vorstellung, wir zehrten vom<br />
„Kapital“ der Natur, ins Bockshorn<br />
jagen lassen, sondern mithilfe der<br />
menschlichen Kreativität die menschengerechte<br />
Gestaltung des Planeten<br />
konsequent weiter verfolgen,<br />
werden wir Wohlstand für alle und<br />
eine „intakte“ Natur sehr gut unter<br />
einen Hut bekommen. Und dabei<br />
können wir uns auch gerne den<br />
einen oder anderen Öko-Bauernhof<br />
– mit Streichelzoo, Traktor, Geländewagen<br />
und womöglich sogar einem<br />
mittelgroßen Hund – als Ausflugsziel<br />
leisten. n<br />
Thilo Spahl<br />
Dieser Artikel erschien ungekürzt<br />
unter dem Titel „Wir schulden der<br />
Natur nichts“ zuerst in NovoArgumente<br />
107 – Juli, August <strong>2010</strong><br />
P.T. <strong>MAGAZIN</strong> 5/<strong>2010</strong>