221 v. Chr. – 220 n. Chr.
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48 Die große Mauer<br />
zum Jangtsekiang. Und dieses relativ eingegrenzte Gebiet war alles andere als homogen.<br />
Die fantastische Kunst und Literatur des südlichsten chinesischen Staates,<br />
Chu, mit seinen glanzvollen Göttern, Göttinnen und bizarren mythologischen Wesen,<br />
zeugen von einer Zivilisation, die weitaus exotischer und schamanistischer<br />
war als die des vergleichsweise erdverbundenen, weiter nördlich gelegenen Herzlandes<br />
der Zhou. Die Gebiete jenseits von Chu <strong>–</strong> heute Yunnan, Guizhou und die<br />
anderen südlichsten Provinzen des chinesischen Festlandes <strong>–</strong> wurden von Stämmen<br />
bewohnt, die außerhalb der kulturellen Macht jedes locker zusammengehaltenen<br />
chinesischen Reiches existierten. Als die Macht der Zhou schwand, verblasste<br />
auch die Idee der Einheit immer mehr, da das Land während der Zeit der<br />
Streitenden Reiche in sich gespalten blieb: Die einzelnen Staaten schmiedeten Intrigen<br />
und kämpften um die Vorherrschaft, während Berater und Generäle auf der<br />
Suche nach mächtigen, fremden Schutzherren ihr Heimatgebiet verließen, die<br />
Herrscher gegeneinander ausspielten und auf die besten Posten aus waren.<br />
Konfuzius (551<strong>–</strong>479 v. <strong>Chr</strong>.), später von den Han zum bedeutendsten Philosophen<br />
des chinesischen Kaiserreichs erhoben, war ganz ein Sohn seiner Zeit (der<br />
frühen Phase der Streitenden Reiche). Obwohl seine Philosophie die politische<br />
Einigung predigte, spiegelt sein Lebensweg die Gespaltenheit der Ära wider: Er<br />
führte auf der Suche nach dem politischen Posten, den er zu verdienen glaubte,<br />
ein Wanderleben und bekleidete Ämter in verschiedenen Staaten. Konfuzius<br />
sehnte sich nach dem von der Zhou-Dynastie propagierten, verlorenen mythischen<br />
Ideal chinesischer Einheit und moralischer Tugend und hoffte, den Konflikt<br />
und die Gespaltenheit seiner Ära durch eine moralische Erneuerung überwinden<br />
zu können. Wenn jeder Mann (der Konfuzianismus erkennt nur ansatzweise die<br />
gesellschaftliche Existenz von Frauen an) menschliche Güte zeigte, würde das<br />
Land, so glaubte er, auf friedliche Weise wiedervereinigt werden. Der soziale Code,<br />
der dieser moralischen Erneuerung zugrunde lag, war der korrekte Vollzug<br />
von Riten, die alle Formen des öffentlichen und privaten Verhaltens umfassten:<br />
das Sich-Verbeugen, das Betrauern der Eltern, das Tragen der korrekten Reversfarbe,<br />
die Wahl der richtigen Musik, die Verehrung des richtigen Berges, das Engagement<br />
der richtigen Anzahl von Tänzerinnen und so weiter und so weiter.<br />
Konfuzius’ große Neuerung bestand darin, dass er seine politische Philosophie in<br />
der überschaubaren, leicht verdaulichen Analogie von Familienbeziehungen darlegte.<br />
Er setzte das Band zwischen Vater und Sohn mit dem zwischen Herrscher<br />
und Untertan gleich. Gute Väter und Söhne sind gute Herrscher und Untertanen;<br />
gute Herrscher und Untertanen werden China in den ihm angemessenen Zustand<br />
friedlicher, von Wohlstand geprägter Einheit zurückversetzen. Pflegt euren Familiengarten,<br />
predigte er, und das Land wird gedeihen; füllt eure gesellschaftliche<br />
Rolle richtig aus, und alles andere wird sich harmonisch zusammenfügen.<br />
Zu Konfuzius’ Lebzeiten wurde nichts aus seinem Plan, das China der Streitenden<br />
Reiche, eine Welt opportunistischer Herrscher, ehrgeiziger Parvenüs, rück-