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Fritz Klemm - Zeit Kunstverlag

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<strong>Fritz</strong><br />

<strong>Klemm</strong><br />

von Michael Hübl<br />

Ausgabe 77<br />

Heft 3<br />

1. Quartal 2007<br />

B 26079<br />

Eine Edition der<br />

<strong>Zeit</strong>verlag Beteiligungs<br />

GmbH & Co. KG<br />

Künstler<br />

Kritisches Lexikon der<br />

Gegenwartskunst


1 Wald, ca. 1968<br />

Tusche, Kreide, Stift<br />

48,8 x 60 cm<br />

Courtesy Galerie Baumgarten, Freiburg<br />

»Aber mein Realismus bildet nicht nur ab, ich meine<br />

ihn als Weltsicht. Da bin ich eher Menzel oder Pissaro<br />

nahe. Mir geht es aber nicht um einen Stil. Mein Realismus<br />

ist Schopenhauers Denken nahe: fest in der<br />

Anschaulichkeit, trocken in der Durchführung, lapidar<br />

in der Aussage: Sie wissen, wie schwer es mir fällt,<br />

dies spielerisch leicht zu machen.«<br />

<strong>Fritz</strong> <strong>Klemm</strong> (Juni 1989 im einem Gespräch mit Gert Reising)


Michael Hübl<br />

über <strong>Fritz</strong> <strong>Klemm</strong><br />

»Ich bin das erste Material,<br />

woran ich arbeite«<br />

Reduktion der formalen Mittel ist ein wiederkehrendes Anliegen<br />

in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Dabei war das Bemühen um<br />

Einfachheit mit unterschiedlichen Zielen und Intentionen verbunden:<br />

Die Selbstbeschränkung auf geometrische Grundformen<br />

hat im Suprematismus eine andere Bedeutung als in der<br />

Minimal Art. Während Kasimir Malewitsch sein Schwarzes Quadrat<br />

auf weißem Grund als komprimierte Zusammenfassung der<br />

Welt und ihres Zukunftspotenzials verstand, waren die minimalistischen<br />

Bestrebungen eines Donald Judd oder Sol Le Witt darauf<br />

angelegt, frei zu bleiben von jedweden semantischen Überlagerungen,<br />

die nicht unmittelbar aus dem exakt bemessenen<br />

gestalterischen Aufbau begründet sind. Die Moderne brachte<br />

noch einen dritten Weg der Vereinfachung hervor: die Abstraktion,<br />

bei der die Darstellung einer Figur oder eines Gegenstandes<br />

auf ihre begriffliche Basis, sozusagen auf ihren Kern zurückgeführt,<br />

reduziert wird.<br />

Als Mitte der siebziger Jahre ein neues Interesse an den Arbeiten<br />

von <strong>Fritz</strong> <strong>Klemm</strong> einsetzte, fanden sie nicht zuletzt deshalb<br />

Beachtung, weil sich in ihnen ästhetische Stringenz und Askese<br />

der Form verbanden. <strong>Klemm</strong> konzentrierte sich damals auf Papierarbeiten,<br />

die durch horizontale, vertikale und einzelne diagonal<br />

ausgerichtete Linien großflächig gegliedert waren. Oft wurden<br />

die klar gegeneinander abgegrenzten Bildpartien mit<br />

parallel verlaufenden Lineaturen strukturiert, die <strong>Klemm</strong> mit dem<br />

Bleistift – selten auch mit Kreide – zeichnete, mit der Tuschfeder<br />

zog oder mit dem Messer in das Papier schnitt. So entstand ein<br />

lamellenartiger Effekt, der zum auffälligen Merkmal seiner Arbeiten<br />

wurde.<br />

Klarheit und Kargheit bestimmten das künstlerische Vorgehen<br />

von <strong>Fritz</strong> <strong>Klemm</strong>. Damit traf er, ohne dass es je seine Intention<br />

gewesen wäre, den Nerv einer <strong>Zeit</strong>, die nach Antworten auf einen<br />

wachsenden Konsumismus und die durch ihn generierte<br />

Schwemme an visuellen Reizen suchte. Mit materieller Selbstbeschränkung<br />

wie in der Arte povera und mit minimalistischen<br />

oder konzeptuellen Methoden unternahm es eine Reihe von<br />

Künstlern, einen autonomen Bereich ästhetischer Reflexion zu<br />

wahren oder herzustellen. In einem Prozess beschleunigten<br />

Massenkonsums, der durch bunte, laute, grelle und erotisierende<br />

Werbebotschaften fortlaufend stimuliert wurde, schien<br />

Zurückhaltung in den Gestaltungsmitteln das Gebot der Stunde.<br />

<strong>Klemm</strong> entsprach ihm insofern, als er den formalen Aufbau seiner<br />

Arbeiten strikter Linearität unterordnete und bei der malerischen<br />

Behandlung von Flächen auf alle Farben verzichtete, die<br />

bunter waren als Schwarz, Grau oder Braun. Aus der zeitgeschichtlichen<br />

Perspektive der siebziger Jahre ließen sich<br />

<strong>Klemm</strong>s Papierarbeiten demnach als eine eigene Art von Minimal<br />

deuten – und waren doch nichts weniger als das. So prinzi<br />

pienfest <strong>Klemm</strong> in seiner Lebensführung war, so wenig stützte<br />

er seine künstlerische Praxis auf ein bloßes Prinzip. Die weitgehend<br />

regelmäßige, manchmal dichte Abfolge von Parallelen,<br />

die seine späten Arbeiten kennzeichnet, ist aus keiner Formel<br />

abgeleitet, noch folgt sie strenger Systematik. <strong>Klemm</strong> hielt sich<br />

an das, was er sah. Seine Kunst ist von ihrem Ursprung her realistisch.<br />

Der Gegenstand seiner Darstellungen ist im Titel angegeben:<br />

Wand nennt <strong>Klemm</strong> die großen gestreiften Blätter, und abgesehen<br />

von sporadischen Ergänzungen wie Wand mit Rahmen<br />

(1972) oder Wand im Atelier (1975) bleibt diese Angabe für<br />

sämtliche Arbeiten, die bis zu seinem Tod entstehen, verbindlich.<br />

Die Ausschließlichkeit, mit der sich der Künstler seinem<br />

Bildthema widmet, hat einen biographischen Anlass. Mit dem<br />

Sommersemester 1970 endete <strong>Klemm</strong>s Lehrtätigkeit an der<br />

Kunstakademie Karlsruhe. 22 Jahre lang hatte <strong>Fritz</strong> <strong>Klemm</strong> dort<br />

die Werkklasse geleitet, hatte die räumlichen, technischen oder<br />

auch kommunikativen Möglichkeiten der Hochschule genutzt.<br />

Jetzt war er hinsichtlich seiner Arbeit mit einem Schlag auf sich<br />

selbst zurückgeworfen. Sein Dienstatelier in einem umgebauten<br />

Barockschloss außerhalb der Stadt, wo die Akademie ihre<br />

Außenstelle Scheibenhardt unterhält, stand ihm nicht mehr zur<br />

Verfügung. <strong>Klemm</strong> musste sich einen neuen Ort zum Arbeiten<br />

suchen, und fand einen Raum, der die Radikalität der neuen Lebenssituation<br />

baulich auf den Punkt brachte. Im Herbst 1970<br />

bezog <strong>Fritz</strong> <strong>Klemm</strong> seine künftige Wirkungsstätte in einem Atelierhaus<br />

der Stadt Karlsruhe, einem Stück Betonarchitektur.<br />

Jetzt öffnete sich der Blick nicht mehr auf Wiesen, Weiden, Felder<br />

und den Wald, der sich in einiger Entfernung erstreckt. Wohl<br />

war eine Seite des neuen Ateliers komplett verglast, wies nach<br />

Norden und durfte von daher für Maler, die auf gleichmäßige<br />

Lichtverhältnisse Wert legen, als ideal gelten. Doch die Aussicht<br />

war eng, verstellt von alten Bäumen, die man zwischen faden,<br />

architektonisch uninspirierten Mietsbauten hatte stehen lassen.<br />

Durch das Blattwerk ringsum war das Licht im Sommer grünlich.<br />

Ohnehin glich es mehr einem Dämmer, denn es fiel in einen<br />

Raum, der nicht wie draußen in Schloss Scheibenhardt weiß gestrichene<br />

Unbeschwertheit abstrahlte, sondern bestimmt wurde<br />

durch nackten Sichtbeton und die Struktur der Schalbretter, die<br />

man beim Bau verwendet hatte. Eine Klause mit Stromversorgung<br />

und Wasser-Anschluss. Wie er selbst die geänderte Lage<br />

empfand, hat <strong>Klemm</strong> später in einen knappen Satz gefasst:<br />

»Jetzt steh ich da und hab’ nichts mehr, nur noch die Wand«1.<br />

Die Wand bleibt von da an das visuelle Bezugsobjekt, an dem<br />

<strong>Klemm</strong> für seine Arbeit Maß nimmt. Die Linien, die er Strich um<br />

3


2<br />

3 4<br />

4


<strong>Fritz</strong><br />

<strong>Klemm</strong><br />

5<br />

2 Haus, ca. 1948<br />

Aquarell<br />

41,5 x 54,5 cm<br />

Courtesy Galerie Baumgarten, Freiburg<br />

3 Wand, ca 1972<br />

Collage, Farbe<br />

64 x 54 cm<br />

Courtesy Galerie Baumgarten, Freiburg<br />

4 Hausgiebel, ca. 1948<br />

Aquarell<br />

51 x 37 cm<br />

Courtesy Galerie Baumgarten, Freiburg<br />

5 Gelber Sessel, ca. 1962<br />

Caparol, Aquarell<br />

36,7 x 50,2 cm<br />

Courtesy Galerie Baumgarten, Freiburg<br />

6 Bäume (Villa Massimo), 1985<br />

Bleistift<br />

49,8 x 38 cm<br />

Courtesy Galerie Baumgarten, Freiburg<br />

6<br />

5


Strich in weitgehend gleichen, aber nie völlig identischen Abständen<br />

zu Papier bringt, geben das wieder, was er tagtäglich<br />

vor sich sieht: Betonwände mit schmalen horizontalen Graten,<br />

wie sie sich an den Fugen der Bretter bilden, wenn der Beton in<br />

die Schalung gepresst wird. <strong>Klemm</strong> hat die gründlich geänderten<br />

Gegebenheiten nicht zuletzt durch seine Lebensführung gemeistert,<br />

die auch bisher schon festen Regeln und Ritualen unterworfen<br />

gewesen war. Wenn er morgens sein Atelier betrat,<br />

hatte er bereits ein exakt eingeteiltes Programm inklusive Gymnastik,<br />

Rohkost und <strong>Zeit</strong>ungslektüre absolviert. Sein Freund und<br />

Sammler, der später ermordete Münchner Jurist Bernd Mittelsten<br />

Scheid, hat in einem höchst lebendigen Aufsatz das Procedere<br />

geschildert, mit dem sich <strong>Klemm</strong> langsam fit machte: »Er<br />

stand um vier Uhr auf, machte intensiv Atemübungen, vor allem<br />

Kopfstand, die kein jüngerer ihm nachmachen konnte, trank<br />

nach dem Aufstehen einen ungewürzten Gemüsesud »mit Verachtung«,<br />

und erst dann frühstückte er gegen acht Uhr2. Die<br />

ungewohnte Umgebung, mit der sich der Künstler nach seinem<br />

Ausscheiden aus der Akademie plötzlich konfrontiert sah, hat<br />

diese bei aller Strenge von serener Heiterkeit begleitete Haltung<br />

zusätzlich verstärkt: Der kahle Raum wird zum Resonanzkörper<br />

der existenziellen Askese, die sich <strong>Klemm</strong> auferlegt hat und aus<br />

der die außergewöhnliche Kongruenz von Kunst und Leben in<br />

seinem Spätwerk resultiert.<br />

Noch in den frühen achtziger Jahren, als <strong>Klemm</strong>s Wand-Ansichten<br />

an Bekanntheit gewannen, hätte der Begriff Spätwerk Befremden<br />

ausgelöst. Lange herrschte die Meinung, <strong>Klemm</strong> habe<br />

erst nach Abschluss seiner Dienstjahre begonnen, sich ernsthaft<br />

einer eigenen künstlerischen Produktion zu widmen. Folglich<br />

hätte er zwar sein Werk spät entwickelt, aber damit noch kein<br />

Spätwerk geschaffen. <strong>Klemm</strong> hat diesen Eindruck unterstützt.<br />

Lange hat er es selbst in privaten Situationen tunlichst vermieden,<br />

frühe Zeichnungen oder Malereien zu zeigen. Allenfalls<br />

sprach er davon, dass er in der Nachkriegszeit an der Alb, einem<br />

Flüsschen, das sich durch Karlsruher Gemarkung schlängelt,<br />

Landschaftsstudien aquarelliert hatte. Und vielleicht erwähnte<br />

er beiläufig, dass ihn der Blick aus den hohen Fenstern<br />

seines Ateliers in Scheibenhardt animiert hat, mit Kreide, Tusche<br />

und Gouache graphische Paraphrasen auf den nahe gelegenen<br />

Wald zu Papier zu bringen. Mehr gab er nicht preis. Nach<br />

und nach erst kam heraus, dass der Künstler allein das Motiv<br />

»Wald« weit über 200 Mal bearbeitet hatte3.<br />

<strong>Fritz</strong> <strong>Klemm</strong> verstand seine distanzierte Haltung gegenüber<br />

zurückliegenden Werkphasen als Ausdruck eines avancierten<br />

Qualitätsanspruchs. Entsprechend skrupulös ging er bei seinen<br />

Papierarbeiten vor, die oft verworfen wurden, auf einem Stapel<br />

mit vermeintlichem Ausschuss landeten und später als Rohstoff<br />

wieder Eingang fanden in den Gestaltungsprozess. Einzelne<br />

Partien, die <strong>Klemm</strong> für gut gelungen erachtete, wurden ausgeschnitten<br />

und probeweise mit Stecknadeln oder Tesafilm auf<br />

Blättern fixiert, an denen er gerade arbeitete. Durch das Verfahren<br />

gewann er die nötige <strong>Zeit</strong>, um zu beobachten und um abzuwägen,<br />

wie die Teile des Bildes zusammenwirken und welche<br />

Interferenzen sich zwischen ihnen einstellen. Dabei ging es<br />

<strong>Klemm</strong> wesentlich darum, das Papier, wie er sagte, zu »entmaterialisieren«4.<br />

Diesem ästhetischen Axiom versuchte er gerecht<br />

zu werden, indem er etwa schwarzen Fotokarton mehrmals mit<br />

Tusche übermalte, bis sich die Pappe zu wellen begann und einen<br />

fast fettigen dunklen Glanz erhielt. Oder er überzog billiges<br />

Einwickelpapier mit Tusche, um anschließend die Rückseite als<br />

sichtbare Fläche zu verwenden, weil hier das Schwarz der Tusche<br />

als malerisch ungleichmäßiges Grau durchschimmerte.<br />

<strong>Klemm</strong> strebte danach, seine Arbeiten so weit zu treiben, bis ihre<br />

Materialität überwunden war. Bis er das rein Stoffliche transzendiert<br />

hatte und sich – nach seinen Worten – »ein<br />

Geheimnis«5 bemerkbar machte. Um diesen Zustand zu erlangen,<br />

wandte er äußerste Sorgfalt auf. Bevor <strong>Fritz</strong> <strong>Klemm</strong> ein Bild<br />

öffentlich machte, hatte er es wiederholter kritischer Begutachtung<br />

unterzogen, hatte er Änderungen, Ergänzungen, Korrekturen<br />

vorgenommen und nicht selten komplette Blätter als unvollkommen<br />

beiseite gelegt oder für nichtig erklärt. Insofern liegt<br />

hier ein entscheidender Grund für die erst in den letzten Lebensjahren<br />

langsam aufgegebene Scheu des Künstlers, Arbeiten<br />

zu zeigen, die doch immerhin zu einer <strong>Zeit</strong> entstanden waren,<br />

als er bereits an der Karlsruher Kunstakademie lehrte. Der<br />

späte <strong>Klemm</strong> meinte offenbar, seine früheren Arbeiten würden<br />

den eigenen hohen Maßstäben nicht standhalten.<br />

Ein weiteres Motiv für seine Zurückhaltung in Sachen Frühwerk<br />

(ein relativer Begriff bei einem, der, als er an der Alb aquarelliert,<br />

bereits auf die 50 zugeht) liegt wohl wieder in seiner Biographie<br />

begründet. Als <strong>Klemm</strong> 1948 das Angebot erhielt, die Leitung<br />

des Werkunterrichts an der damaligen Badischen Akademie der<br />

Bildenden Künste zu übernehmen, hatte er sich bis dahin weder<br />

als Maler noch als Zeichner bemerkbar gemacht. Seit dem Jahr<br />

1925, das den Abschluss seines Studiums an der Badischen<br />

Landeskunstschule, der späteren Akademie, markierte, war<br />

<strong>Klemm</strong> – außer während einiger kurzer kriegsbedingter Unterbrechungen<br />

– als Kunsterzieher oder nach dem Sprachgebrauch<br />

der <strong>Zeit</strong>: als Zeichenlehrer tätig gewesen. Selbst nachdem<br />

er begonnen hatte, an der Kunstakademie zu lehren,<br />

gehörte <strong>Klemm</strong> bis 1956 offiziell weiterhin dem Kollegium des<br />

Karlsruher Bismarck-Gymnasiums an, von wo aus er an die<br />

6


<strong>Fritz</strong><br />

<strong>Klemm</strong><br />

Hochschule abgeordnet war. Aus dieser Vorgeschichte heraus<br />

mag sich ein besonderer Respekt gegenüber jenen Akademielehrern<br />

ergeben haben, die sich wie Karl Hubbuch, Otto Laible<br />

oder Wilhelm Schnarrenberger schon in der Weimarer Republik<br />

als Künstler einen Namen gemacht hatten. Beeindruckt war<br />

<strong>Klemm</strong> von der Persönlichkeit des expressionistischen Malers<br />

und Graphikers Erich Heckel, der 1949 nach Karlsruhe berufen<br />

worden war. Heckel hatte als Mitbegründer der »Brücke« für<br />

Aufsehen gesorgt, hatte als Sanitäter das Grauen des Ersten<br />

Weltkriegs durchlebt, hatte Ruhm erlangt, war von den Nationalsozialisten<br />

diffamiert und in seinen existenziellen Möglichkeiten<br />

massiv eingeschränkt worden und zeigte sich nun in Karlsruhe<br />

als abgeklärte, altersweise Figur, die umfangen wurde von einer<br />

Aura fernöstlicher Entrücktheit. Ein Eindruck, der, wie <strong>Klemm</strong><br />

mit einer Mischung aus Schmunzeln und Verehrung schilderte6,<br />

gleichsam unterstrichen wurde durch den gelblichen Teint des<br />

bei seiner Berufung bereits 66-jährigen Heckel.<br />

Dort die renommierten Maler mit ihren Erfahrungen und Erfolgen,<br />

hier der »Zeichenlehrer«, der Neuling, der im gymnasialen<br />

Schulalltag möglicherweise die Auffassung verinnerlicht hatte,<br />

lediglich Teil eines Beamtengefüges mit begrenztem Handlungsspielraum<br />

zu sein: In dieser Divergenz hat <strong>Klemm</strong>s Befangenheit<br />

im Umgang mit seinen Arbeiten der fünfziger und sechziger<br />

Jahre sicher ebenso ihre Ursache wie in seinen<br />

ausgeprägten Qualitätsvorstellungen. Ein Drittes kommt hinzu.<br />

Denkbar ist, dass <strong>Fritz</strong> <strong>Klemm</strong>, und sei es unbewusst, vermeiden<br />

wollte, in die Ecke des Ewiggestrigen gestellt zu werden,<br />

der auf den Exerzitien des Naturstudiums beharrt, während<br />

ringsum experimentiert und die Lust der Freiheit geprobt wird.<br />

<strong>Klemm</strong> war einer der Protagonisten in dem inzwischen notorischen,<br />

ursprünglich nur hochschulinternen Streit, der HAP<br />

Grieshaber veranlasste, seine Lehrtätigkeit an der Kunstakademie<br />

Karlsruhe aufzugeben. Grieshaber hatte 1955 die Nachfolge<br />

Heckels angetreten und tat seither alles, um innerhalb des Lehrbetriebs<br />

für frischen Wind zu sorgen. Als »Charismatiker, der<br />

zur Gemeindebildung anregte«7 polarisierte er – und das in einem<br />

kulturpolitischen Klima, das durch den Kalten Krieg ideologisch<br />

extrem aufgeladen war. Die rüden Polemiken, die der<br />

Kunstkritiker Will Grohmann und der Maler Karl Hofer, Direktor<br />

der Hochschule für bildende Künste Berlin, als wechselseitige<br />

Angriffe Mitte der fünfziger Jahre in der Tagespresse veröffentlichten,<br />

verweisen – ähnlich wie zuvor das erste Darmstädter<br />

Gespräch zum Thema »Das Menschenbild in unserer <strong>Zeit</strong>«<br />

(1950) – auf die Heftigkeit, wenn nicht Verbissenheit, mit der damals<br />

um die Freiheit, die gesellschaftliche Funktion, die ethischen<br />

Maximen von Kunst und deren formale Umsetzung gestritten<br />

wurde. Dieser Grundsatzstreit erreichte Karlsruhe nicht<br />

zuletzt anlässlich der Staatsexamensprüfung vom 18. Dezember<br />

1959, die sich zu einem Affront für Grieshaber auswuchs:<br />

Die Prüfungskommission verweigerte den Arbeiten von zwei<br />

seiner Schülerinnen die Anerkennung und begründete die Entscheidung<br />

damit, dass den vorgelegten Zeichnungen – Bildgegenstand:<br />

Hühner – die geforderte Erkennbarkeit fehle8. <strong>Klemm</strong><br />

war zu dieser <strong>Zeit</strong> Prorektor, und laut Wilhelm Loth, der damals<br />

gerade eine Klasse für Bildhauerei übernommen hatte, soll es<br />

just er, <strong>Klemm</strong>, gewesen sein, der die Angelegenheit erst richtig<br />

ins Rollen brachte9.<br />

<strong>Fritz</strong> <strong>Klemm</strong> hat die Position, die er bei der Beurteilung der umstrittenen<br />

Blätter einnahm, nie geleugnet; die Prinzipienfestigkeit,<br />

die er als Grundgerüst seiner Lebensführung ansah, legte<br />

eine solche Haltung nahe. Er hat aber auch erkennen lassen,<br />

dass die Forderung nach naturgetreuer Wiedergabe nur als letzter<br />

Funke in einem seit langem schwelenden Konflikt wirkte. Eine<br />

Fotografie10, aufgenommen beim Akademiefasching 1956,<br />

liefert ein Indiz für das, was <strong>Klemm</strong> Jahre danach gesprächsweise<br />

erwähnte. Zu sehen ist ein Tisch, auf dem (welch ein Exzess!)<br />

eine einzelne Flasche Bier mit übergestülptem Bierkrug steht.<br />

Hinter dem Tisch zwei Damen, flankiert von zwei Herren. Links<br />

sitzt Grieshaber, maskiert als arabischer Potentat mit dunklem<br />

Turban, falschem Bart und mit dem stilisierten Brustschmuck eines<br />

Pharaonen auf dem hellen Gewand. Rechts <strong>Klemm</strong>:<br />

schwarzes Hemd, weißer Umhang, dunkler Hut mit aufgesteckten<br />

Flügeln aus kantig gefaltetem Papier – eine Mischung aus<br />

Pierrot und Hermes, dem Götterboten, mit brennender Zigarette<br />

in der Rechten (weil Regeln für ihn auch mal Ausnahmen haben<br />

durften). Hier der Herrscher, dort der skeptische Beobachter: Im<br />

Rückblick auf die Auseinandersetzung mit Grieshaber betonte<br />

<strong>Klemm</strong>, dass ihm der Holzschneider von der Achalm anfangs<br />

durchaus sympathisch gewesen sei, dass ihn aber dessen diktatorische<br />

Ader gestört habe, die nach und nach zutage getreten<br />

sei. Insofern eignet dem Streit eine gewisse Tragik: Einer, der<br />

von der Reichskulturkammer mit Berufsverbot belegt wurde und<br />

sich als Antifaschist begreift, weckt durch sein dominantes,<br />

egozentrisches, womöglich aber einfach nur ungeniert-genialisches<br />

Wesen11 die Aversion von einem, der sich zwar nie in irgendeine<br />

Richtung politisch exponiert hat, dem jedoch die Anmaßung<br />

von Macht und das Anmaßende der Macht zutiefst<br />

gegen den Strich gingen (von den Zumutungen des Militärdienstes<br />

etwa hat <strong>Klemm</strong> nur mit Abscheu gesprochen). In der Kontroverse<br />

um die Hühner-Zeichnungen zweier Examens-Kandidatinnen<br />

haben sich mithin mehrere Faktoren überlagert. Durch die<br />

oft verbrämten, aber de facto extremen ideologischen Spannun-<br />

7


7 9<br />

8 10<br />

8


<strong>Fritz</strong><br />

<strong>Klemm</strong><br />

11<br />

7 Wand, 1988<br />

Zeichnung/Collage<br />

140 x 100 cm<br />

Courtesy Galerie Baumgarten, Freiburg<br />

8 Alter Sessel, 1952<br />

Caparol auf Karton<br />

80 x 58 cm<br />

Courtesy Galerie Baumgarten, Freiburg<br />

10 Frühe Wand, ca. 1970<br />

Collage/Gouache<br />

65 x 50 cm<br />

Courtesy Galerie Baumgarten, Freiburg<br />

11 Atelier, ca. 1948/50<br />

Aquarell, Bleistift<br />

42,1 x 48,8 cm<br />

Courtesy Galerie Baumgarten, Freiburg<br />

9 Frühe Wand, ca. 1970<br />

Tusche/Gouache<br />

69,5 x 49,5 cm<br />

Courtesy Galerie Baumgarten, Freiburg<br />

9


gen der Adenauer-Ära wurde das Aufeinandertreffen zweier gegensätzlicher<br />

Charaktere ebenso weiter aufgeheizt wie durch<br />

die damals virulente Debatte um den Gegensatz von gegenständlich<br />

und abstrakt – Attribute, die als Synonyme galten für<br />

reaktionär und modern.<br />

Die Frage, ob eine figurative oder eine ungegenständliche Kunst<br />

die angemessene Antwort auf die moderne Gegenwart sei, hat<br />

sich heute erledigt. Im Falle von <strong>Fritz</strong> <strong>Klemm</strong> wäre sie absurd.<br />

Denn <strong>Klemm</strong> war beides: dem Gegenstand und der Moderne<br />

verpflichtet. Zunächst einmal ist da der Umstand, dass er den<br />

Bezug zum realen Objekt nie aufgegeben hat: Noch in den vom<br />

Grundton Schwarz getragenen Bildern aus den Monaten vor<br />

seinem Tod bleiben die Schatten, Streifen und Strukturen der<br />

Wand nachvollziehbar, die ihn über beinahe drei Jahrzehnte hinweg<br />

beschäftigt hat. Angesichts des hohen Alters, das <strong>Klemm</strong><br />

bereits erreicht hatte, stellen sich diese Bilder wie die Summe,<br />

die Zusammenfassung, das geistige Konzentrat eines oft<br />

schweren und widerspenstigen, oft wieder glücklichen, lässigen<br />

Lebens dar – entfernt vergleichbar jener letzten Mauer in einer<br />

Reihe von Pariser Abrisshäusern, die Rainer Maria Rilke in seinem<br />

Tagebuchroman Die Aufzeichnungen des Malte Laurids<br />

Brigge als ein rohes, rücksichtslos entblößtes Schaubild der<br />

existenziellen Bedingungen des Menschen beschreibt. »Das<br />

zähe Leben dieser Zimmer hatte sich nicht zertreten lassen«,<br />

heißt es da, und einige Sätze weiter: »Es war in jedem Streifen,<br />

der abgeschunden war... «12. Eine vergleichbare ästhetische<br />

Verdichtung von den Erfahrungen des Lebens und den Spuren,<br />

die es hinterlässt, mag man in den späten dunklen Wand-Arbeiten<br />

<strong>Klemm</strong>s auch deshalb vermuten, weil der Künstler sogar<br />

noch als Über-80-Jähriger auf eine Brandmauer zu sprechen<br />

kam, die hinter den von seinem Vater betreuten Lauerschen<br />

Gärten13 seiner Geburtsstadt Mannheim aufragte. Das Motiv<br />

der Mauer hat <strong>Klemm</strong> folglich von der Kindheit bis ins Alter hinein<br />

begleitet, und so könnte es zu einem Zeichen geworden<br />

sein für die Widerstände, die er im Laufe seines Lebens zu bewältigen<br />

hatte. Faktum bleibt jedoch, dass er ganz nach der<br />

Manier eines gegenständlich arbeitenden Künstlers durchweg<br />

an der Realität seiner betonierten Atelierumgebung Maß nahm.<br />

»Ich bin Realist«, bekannte <strong>Klemm</strong> im Juni 1989 während eines<br />

Gesprächs mit Gert Reising, »Aber mein Realismus bildet nicht<br />

nur ab, ich meine ihn als Weltsicht. Da bin ich eher Menzel oder<br />

Pissaro nahe. Mir geht es aber nicht um einen Stil. Mein Realismus<br />

ist Schopenhauers Denken nahe: fest in der Anschaulichkeit,<br />

trocken in der Durchführung, lapidar in der Aussage: Sie<br />

wissen, wie schwer es mir fällt, dies spielerisch leicht zu machen«14.<br />

<strong>Klemm</strong> war auch sonst in manchem Traditionalist; beispielsweise<br />

hatte für ihn ein formales Kriterium wie das der Valeurs, über<br />

die sich eine Feinabstimmung der Farbwirkung erreichen lässt,<br />

große Bedeutung. Das war die eine Seite. Die andere konstituierte<br />

sich durch fortgesetzte Nähe zur Moderne. Sie reicht von<br />

der familiären Alltagspraxis und die Lebensführung über seine<br />

pädagogischen Leitgedanken bis hin zur Entwicklung der eigenen<br />

künstlerischen Arbeit. <strong>Klemm</strong> war seit 1931 mit Antonia<br />

Gräfin von Westfalen (1902-1989) verheiratet, die wie er an der<br />

Badischen Landeskunstschule studiert hatte und als überaus<br />

sensible und begabte Malerin gelten darf. Ihr Œuvre blieb<br />

schmal, denn sie musste sich als Hausfrau betätigen. Das Ehepaar<br />

hatte sechs Kinder, mit denen es in ausgesprochen progressiven,<br />

wenngleich beengten Verhältnissen lebte: Antonia<br />

und <strong>Fritz</strong> <strong>Klemm</strong> gehörten zu den ersten Mietern der Werkbund-<br />

Siedlung Dammerstock, die Walter Gropius mit Walter Haessler<br />

1928-29 errichtet hatte und die in der Bevölkerung ähnlichen<br />

Spott auslöste wie die kurz zuvor in Stuttgart unter der künstlerischen<br />

Oberleitung von Ludwig Mies van der Rohe fertiggestellte<br />

Weißenhof-Siedlung. <strong>Klemm</strong> berichtete gerne, wie der<br />

Straßenbahnschaffner manchmal als nächste Haltestelle » Jammerstock«<br />

statt » Dammerstock« ausrief.<br />

<strong>Klemm</strong>s Affinität zu modernen Formen tat das keinen Abbruch;<br />

er hegte auch später eine Vorliebe für klares funktionalistisches<br />

Design15. Modern war auch sein Interesse an einer reformerischen<br />

Lebensweise, mit der ihn seine Frau bekannt machte,<br />

modern war die Einstellung, mit der er seinen Werkunterricht<br />

gestaltete: Es sollten dort mit einfachen Materialien grundlegende<br />

formale Probleme durchgespielt werden. <strong>Klemm</strong> forderte<br />

seine Studenten dazu heraus, noch aus der armseligsten, bedürftigsten<br />

Situation heraus freie und erfindungsreiche Arbeiten<br />

anzugehen. Einer seiner letzten Studenten, der Bildhauer Michael-Peter<br />

Schiltsky, hat diesen Unterricht so beschrieben:<br />

»Die Einfachheit von Werkzeug und Material war ein wesentlicher<br />

Bestandteil der Lehre <strong>Fritz</strong> <strong>Klemm</strong>s im Fach Werken an der<br />

Akademie: Papier (Buchbinden und alles was sich daraus entwickeln<br />

läßt), Holz in einfachen Ver- und Bearbeitungsformen<br />

und die Aufforderung, man solle, auch um Kosten zu sparen,<br />

Abfallprodukte, Pappen, Tüten, Stoffreste sammeln, eine Ästhetik<br />

aus Abfall entwickeln«16. In diesem Punkt traf sich <strong>Klemm</strong><br />

mit der Arte Povera, obschon die Maximen, auf die er seinen<br />

Unterricht stützte, aus den Ideen abgeleitet waren, die man am<br />

Bauhaus umgesetzt hatte. Auch hier eine Anbindung an die Moderne,<br />

auf die er sich in seinen Malereien, Zeichnungen, Papierarbeiten<br />

kontinuierlich zubewegte. Beharrlich wie in der kompakten<br />

Werkgruppe buchstäblich gewichtiger Malereien, die<br />

10


<strong>Fritz</strong><br />

<strong>Klemm</strong><br />

vom Ende der fünfziger Jahre bis weit in die sechziger hinein<br />

aus unzähligen, durch den Kunstharzbinder Caparol ausgehärteten<br />

Farbschichten entstehen, hat <strong>Klemm</strong> den Gegenstand umkreist,<br />

hat ihn – statt die absolute Gültigkeit einer bestimmten<br />

Form zu behaupten – eins um andere Mal neu befragt, weil jede<br />

Festlegung immer auch Ausklammern, Ausblenden heißt. Dieser<br />

Befragungsprozess schloss die eigene Person ausdrücklich mit<br />

ein. Die zuletzt zeichenhaft reduzierten Selbstporträts, die eine<br />

Konstante bilden im Werk des Künstlers, zeigen, wie sehr er seine<br />

Arbeit aus der Relation Subjekt-Objekt definierte und wie er<br />

sich dabei selbst als Teil der objektiven Welt verstand – bearbeitbar<br />

wie alles andere um ihn herum. Als Konsequenz daraus<br />

galt für <strong>Fritz</strong> <strong>Klemm</strong>: » Ich bin das erste Material, woran ich arbeite«17.<br />

15 vgl. Mittelsten Scheid wie Anm. 2, S. 51.<br />

16 Michael Peter Schiltsky: Für <strong>Fritz</strong> <strong>Klemm</strong>, in:<br />

<strong>Fritz</strong> <strong>Klemm</strong>. Bilder, Zeichnungen, Aquarelle,<br />

Gouachen, Collagen 1948 bis 1985, Katalog zur<br />

Ausstellung im Badischen Kunstverein, Karlsruhe<br />

1985, S. 10-13, hier S. 10.<br />

17 Mittelsten Scheid, a.a.O., S. 49.<br />

Fotonachweis<br />

Cover<br />

Alle anderen<br />

Abbildungen<br />

Barbara <strong>Klemm</strong><br />

Courtesy Galerie A. Baumgarten,<br />

Freiburg<br />

Anmerkungen:<br />

1 So berichtete der Bildhauers Wilhelm Loth, zit.<br />

nach Eva Studinger: Biografie, in: <strong>Fritz</strong> <strong>Klemm</strong>.<br />

Retrospektive 1992. Katalog zur Ausstellung in<br />

der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe u.a. 1993,<br />

S. 177-184, hier S. 182.<br />

2 Bernd Mitttelsten Scheid: <strong>Fritz</strong> <strong>Klemm</strong> - Notizen<br />

eines Freundes, ebenda S. 47-51, hier S. 48.<br />

3 vgl. ebenda S. 98, Nr. 35.<br />

4 Gespräch mit dem Autor im Dezember 1982.<br />

5 ebenda<br />

6 ebenda<br />

7 Manfred Schneckenburger: Ein Mythos kehrt in<br />

die <strong>Zeit</strong> zurück, in: Grieshaber. Ein Lebenswerk<br />

1909-1981, Katalog zur Ausstellung der Staatsgalerie<br />

Stuttgart, der Galerie der Stadt Stuttgart,<br />

des Württembergischen Kunstvereins Stuttgart<br />

und des Museums für Kunst und Gewerbe Hamburg,<br />

Stuttgart 1984, S. 10-19, hier S. 11.<br />

8 vgl. hierzu Margot Fürst: Stolperdrähte. HAP<br />

Grieshaber im Staatsdienst, in: grieshaber<br />

schüler heute, Katalog zur Ausstellung im<br />

Spendhaus Reutlingen, Reutlingen 1991, S. 79-<br />

90, sowie Brigitte Baumstark: Grieshaber in<br />

Karlsruhe, in: HAP Grieshhaber. Figuren-Welten,<br />

Katalog zur Aussstellung in der Städtischen Galerie<br />

Karlsruhe, Karlsruhe 2003, S. 19-27.<br />

9 So jedenfalls Studinger unter Berufung auf Loth,<br />

s. <strong>Klemm</strong>, 1993, a.a.O., S. 181.<br />

10 Abgebildet bei Baumstark, Grieshaber, a.a.O., S.<br />

21.<br />

11 Zur Charakterisierung Grieshabers vgl. Ludwig<br />

Greve: Versuch eines Porträts mit verteilten Rollen,<br />

in: Grieshaber, Stuttgart 1984, a.a.O., S.20-<br />

25.<br />

12 Rainer Maria Rilke: Die Aufzeichnungen des Malte<br />

Laurids Brigge, zit. nach der Ausgabe Frankfurt<br />

am Main 1978, S. 46.<br />

13 Zu der Parkanlage und dem Gartenrest der<br />

Mannheimer Fabrikantenfamilie Lauer s. Der<br />

Brockhaus Mannheim. 400 Jahre Quadratestadt<br />

- das Lexikon, Mannheim 2006, S. 188f.<br />

14 Gert Reising: Wenn ich alleine bin, rede ich.<br />

Wand-Bilder bei <strong>Fritz</strong> <strong>Klemm</strong>, in: <strong>Klemm</strong>, 1993,<br />

a.a.O., S. 13-24, hier S. 20.<br />

Michael Hübl, geboren 1955,<br />

studierte Kunst, Kunstgeschichte<br />

und Germanistik an der Kunstakademie<br />

Karlsruhe und an den Universitäten<br />

Heidelberg, Karlsruhe<br />

und Hamburg. Seit 1981 zahlreiche<br />

Texte zur Kunst der Gegenwart.<br />

Leiter des Kulturressorts der<br />

Badischen Neuesten Nachrichten.<br />

11


12<br />

13<br />

14<br />

12


<strong>Fritz</strong><br />

<strong>Klemm</strong><br />

15<br />

12 Frühe Wand, ca. 1970 – 1972<br />

Bleistift/Farbstift/Gouache<br />

49,5 x 69,5 cm<br />

Courtesy Galerie Baumgarten, Freiburg<br />

13 Wand, 1988<br />

Zeichnung/Collage<br />

140 x 100 cm<br />

Courtesy Galerie Baumgarten, Freiburg<br />

14 Wand, 1984<br />

Bleistift, Collage<br />

140 x 100 cm<br />

Courtesy Galerie Baumgarten, Freiburg<br />

15 Wand, 1989<br />

Tusche, Kreide, Collage<br />

99 x 139 cm<br />

Courtesy Galerie Baumgarten, Freiburg<br />

16 Frühe Wand, ca. 1972<br />

Gouache, Bleistift<br />

69,4 x 49,8 cm<br />

Courtesy Galerie Baumgarten, Freiburg<br />

16<br />

13


Notizen von einem Besuch bei <strong>Fritz</strong> <strong>Klemm</strong> am<br />

4.12.82 (Michael Hübl)<br />

Ich steckte zu sehr in Erwartungen, um beurteilen zu<br />

können, ob es wirklich fast schüchtern war, wie er<br />

mir sein Geschenk anbot. Wir waren über drei Stunden<br />

dagesessen, in der kleinen engen Nische, er mit<br />

dem Rücken zum großen Atelierraum hinter ihm, sodaß<br />

ich das dünne, feine hochstehende weiße Haar<br />

als eine Art Lichtkranz um seinen Kopf sehen konnte.<br />

Vielleicht saßen wir wirklich wie zwei Jünger vor<br />

ihm, hörten ihm zu: seinen Episoden, seinem Stolz,<br />

seiner wie auch immer zu bewertenden Philosophie,<br />

von der er ausdrücklich betont, daß sie nur für ihn<br />

zwingende Gültigkeit habe; jeder andere wisse wohl<br />

seinen eigenen Weg.<br />

Er spricht von den Ereignissen um Grieshabers<br />

Rücktritt: Grieshaber sei ihm anfangs nicht unsympathisch<br />

gewesen, habe es später aber immer mehr<br />

auf Machtdemonstration angelegt. Zum Krach kam<br />

es, als zwei Studenten beim Examen anstelle einer<br />

realistischen Zeichnung eines Hasen und eines Huhnes<br />

etwas à la Foutrier ablieferten, nur Fell, wirr gezeichnet.<br />

Das ging anfangs durch, weil der Ministerialbeamte<br />

liberal und unsicher war, ja mehr noch, er<br />

wollte etwas Gutes tun und meinte bei der Begutachtung<br />

der sogenannten Dreitagesarbeit, wie gut<br />

hier doch der Hase getroffen sei, worauf Grieshaber<br />

entrüstet reagiert haben soll: Das sei doch ein Huhn.<br />

Darauf wurde den beiden Studenten nahegelegt,<br />

diesen Teil der Prüfung zu wiederholen. Grieshaber<br />

protestierte, wollte die Autorität seiner Person und<br />

seines Amtes in die Waagschale werfen und verlor –<br />

die Alternative, entweder die Studenten bestehen<br />

so, oder er legt sein Amt als Professor nieder, wurde<br />

vom Ministerium gegen ihn entschieden. <strong>Klemm</strong>, der<br />

in dieser Sache gegen Grieshaber war, erhielt dadurch<br />

den Ruf, den Holzschneider » abgesägt « zu<br />

haben.<br />

Er lese gerade den Grünen Heinrich, nicht so wie<br />

früher, schnell drüber weg, sondern Zeile für Zeile<br />

auskostend. Und Keller beschreibe ja ähnliche Zustände<br />

wie an den Akademien. Wir sprechen darüber,<br />

wie jemand etwas wird als Künstler, daß oft die<br />

Stillen, die Nichtbeachteten auf einmal ganz hoch<br />

kommen (und er meint damit auch sich, der sich als<br />

Kunsterzieher durchgeschlagen hatte, später als<br />

Werklehrer eher zu den Randzonen des kunstakademischen<br />

Lehrkörpers gehörte). Schüler von großen<br />

Namen würden oft gar nichts, selbst bei Trübner, der<br />

seinen Schülern wirklich eine solide Ausbildung gegeben<br />

habe, die nicht auf flottes Imitieren der Eigenart<br />

des Lehrers gezielt habe, sei auch niemand herausgekommen,<br />

der einen eigenen Weg gefunden<br />

hätte. Ständige Selbstkritik sei nötig, das Arbeiten<br />

an sich selbst. Deswegen sei er so fit und vital. Er<br />

habe erkannt, daß seine Arbeit nur dann etwas werden<br />

könne, wenn er sich asketisch darauf vorbereitet.<br />

Er spricht von der » Heilung «, die in den Bildern<br />

stecke und sieht darin einen Grund, warum sie so<br />

hoch gehandelt würden. <strong>Klemm</strong> ist Vegetarier und<br />

Asket. Freitag ist sein Fastentag und nur sonntags<br />

bleibt er morgens länger liegen – bis sieben. Dennoch<br />

ist er nicht humorlos oder vertrocknet. Er hat<br />

seine Lieblingsbäckereien und ergötzt sich gerne an<br />

Süßigkeiten, die er sich in der Schweiz oder Belgien<br />

besorgen läßt. »Aber das Café Kongress hat fast<br />

noch bessere als dort.«<br />

Er erzählt von den Cafes aus der <strong>Zeit</strong> vor dem Zweiten<br />

Krieg, als Karlsruhe noch Charme hatte, Künstler<br />

und Juristen hätten sich dort getroffen, wiewohl<br />

überhaupt die Juristen die Kunst oft gerechter beurteilten<br />

als die Kunsthistoriker (einer seiner ersten begeisterten<br />

und treuen Käufer, Bernd Mittelsten<br />

Scheid, ist Jurist).<br />

Nach meinem Besuch in seinem Atelier verstehe ich,<br />

was ich vorher aus seiner künstlerischen Entwicklung<br />

vom halb-abstrakten, besser stark abstrahiert<br />

Gegenständlichen zum ganz Abstrakten herausgelesen<br />

habe: Daß <strong>Klemm</strong>s Kunst realistische Kunst ist.<br />

Es ist der Realismus der Zen-Malerei. Er malt und<br />

zeichnet (»Eine gute Zeichnung muss auch gemalt<br />

sein «), was er ständig um sich herum sieht: Die kahlen<br />

grauen Betonwände seines Ateliers, an denen<br />

das einzig Lebendige das Muster der Holzverschalung<br />

ist und die feinen, liniendünnen Grate, die dort<br />

entstanden sind, wo Bohle an Bohle stieß und der<br />

Beton in die Fugen sickerte. Aber <strong>Klemm</strong> malt nicht<br />

ab, er übersetzt. Es geht ihm um minimale Tonwerte<br />

in seiner reichen Schwarz-Skala. Er nimmt schwarz-<br />

14


<strong>Fritz</strong><br />

<strong>Klemm</strong><br />

en Fotokarton als Malgrund und » entmaterialisiert«<br />

ihn, indem er ihn immer und immer wieder mit Tusche<br />

übermalt, Matte, wellige Flächen entstehen.<br />

Überall liegen Arbeiten. Fertige, fast fertige, angefangene,<br />

unbewältigte. Flächen sind mit Tesa probegeklebt,<br />

bei manchen Blättern ist ihm schon klar, wie<br />

es weiter geht, die müssen nur noch in Kleinigkeiten<br />

korrigiert werden. Bei einer großen weißen Zeichnung<br />

will er noch mit Sepia drübergehen – da weiß<br />

er noch nicht, ob das glückt, oder ob er dann das<br />

Blatt wegwerfen muß (obwohl er fast nichts wegwirft).<br />

Aber alle Arbeiten müssen, wenn sie fertig<br />

sind, ein »Geheimnis « enthalten – das betont er wiederholt.<br />

Berg will gehen will gehen. Sein Kopf bereut den Alkohol<br />

vom Abend zuvor. Wir reden noch eine Weile<br />

weiter. <strong>Klemm</strong> meint, es sei wichtig für mich, in »die<br />

Küchen« zu gucken, das sei die Kunstgeschichte,<br />

die man sonst nirgends lesen könne und die vielleicht<br />

auch nicht geschrieben werden müsse. (Wir<br />

hatten am Anfang unseres Gesprächs über die Ausstellung<br />

im Prinz-Max-Palais gesprochen; ich erzählte<br />

Arnolds Anekdote über das Christbaumkugeln-<br />

Bild von Schnarrenberger, und <strong>Klemm</strong> wendet ein,<br />

dass solches Hintergrundswissen nicht unbedingt<br />

notwendig sei: Denn diese Kunst habe als Kunst<br />

eben nichts <strong>Zeit</strong>typisches. Für sich betrachtet sei sie<br />

eben nicht mehr als gut gemachte Malerei).<br />

Künstler<br />

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© <strong>Zeit</strong>verlag Beteiligungs GmbH & Co. KG,<br />

München 2007<br />

ISSN 0934-1730<br />

15


<strong>Fritz</strong><br />

<strong>Klemm</strong><br />

17 Frühe Wand, ca. 1968<br />

Gouache, Bleistift<br />

69 x 49,5 cm<br />

Courtesy Galerie Baumgarten, Freiburg<br />

16

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