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katja pfeiffer - Zeit Kunstverlag

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Ausgabe 94 / Heft 11 / 2. Quartal 2011Katja PfeifferAne t te Kuhn


Hinter der WirklichkeitA N E T T E K U H N Neugierde am Anfang und Entdeckerlust– das Schlüsselloch einer ausrangierten Altbautür,blaues Licht scheint auf. Katja Pfeiffer beobachtetmit amüsierter Freude, dass Ausstellungsbesuchersich vor ihrem Objekt Voyeur (Abb. Cover, 1a + b) ebensoanstellen, um durch Bücken den Blick auf das Geheimnisdahinter zu erlangen, wie sie es während ihres erstenStudienaufenthalts 1995 in Rom vor Giovanni BattistaPiranesis Schlüsselloch in Santa Maria del Priorato beobachtenkonnte, wo das sogenannte „Heilige Schlüsselloch“einen Blick durch einen Laubengang auf die Kuppeldes Petersdoms erlaubt.Jahre später ist diese Erinnerung an Piranesi für sie Anlass,selbst den Blick zu lenken und so Einblick in ihreSicht der Dinge zu schaffen. Ganz, als gäbe es einenRaum dahinter, schaut man bei Voyeur durch die Tür ineinen Gang, dessen Ende eine filigrane schwarze Fensterrosettevor bläulichen Scheiben markiert. Es ist einleerer Flur, der sich an den Seiten mit Fenstern und Fensterlädenperspektivisch nach hinten verjüngt, und esist die nächtliche Atmosphäre, die den Betrachter dazuverführt, sich geheimnisvolle Vorgänge dazu vorzustellen.Automatisch stellt sich bei Voyeur eine Geschichteein, ohne dass es konkrete Hinweise gäbe. Katja Pfeifferfängt den Betrachter mit seinen eigenen Mitteln, indemsie mit Andeutungen zunächst Neugier und dann Assoziationenund Situationen wachruft. Doch dabei bleibt esnicht, denn einmal auf dem Weg, kann man nicht mehrumhin, sich den Fragen zu stellen nach Verstecken undAufdecken, nach dem, was „hinter den Dingen“ verborgensein mag, und ist mitten im Thema: zwischen Illusion,Schein und Wirklichkeit.M e t h o d e d e r V e r m i s c h u n gUm kein Missverständnis aufkommen zu lassen, es gehtder Künstlerin nicht um ein interaktives Moment, siesucht nicht die Bewegung vor oder eine unmittelbareReaktion auf die Arbeit. Eine gewisse Distanz ist geradezunotwendig, um das, was geschieht, zu bedenken.Dorthin führt Pfeiffers Methode der „Vermischung“ 1 ,wie sie es nennt, wenn sie verschiedene räumliche undzeitliche Kontexte ineinandergreifen lässt. Neben der(kunst-)historischen Piranesi-Erfahrung sind es hier dieaktuellen bildhaften Eindrücke eines „urban exploring“bei den Beelitzer Heilstätten südwestlich von Berlin. Dersolchermaßen neu geschaffene Sehraum fokussiert aufProzess und Veränderung als maßgebliche Größe unsererWelterfahrung.Katja Pfeiffer ist Installationskünstlerin, Malerin, Zeichnerin,sie collagiert und arbeitet im Bereich Skulptur undRelief; sie verwendet die Techniken parallel und gleichberechtigtnebeneinander und legt sich inhaltlich wieformal nicht fest. 2 Gleichwohl hat sie in den zurückliegendenJahren ein Repertoire an Motiven und Methodenentwickelt, ihre Thematik überzeugend umzusetzen.Wichtig ist ihr Offenheit im Sinne von Experimentierfreude.Dass sich die Gefahr der Beliebigkeit dabei nichtstellt, macht die Qualität des noch jungen Œuvres aus.Nach Akademiezeit und früher Malerei wurde der Umzug2003 aus dem „geordneten, sauberen“ Rheinland nachBerlin zum entscheidenden Impuls.B i l d e r m i t G e r ü s t v o r b a uIn modellhaften Versuchen entstehen im Jahr 2005 Kombinationenaus Leinwand und gerüstartigem Vorbau. BeiDer einsame Mönch (Abb. 2) ist die gemalte Landschaftdem vertrauten Fernblick auf Meer und Wolkenlandschafteines Caspar David Friedrich nachempfunden,darüber hinaus aber werden die Dünen in Gegenrichtungnach vorn in den Raum erweitert und konkretisiert: Dieunbehandelten Holzplatten liegen auf einem roh gezimmertenGestell und ironisieren eine weihevolle Andacht,wie sie sich vor romantischen Landschaften gern einstellt.Andere Landschaftsbilder und Gebirgsansichten werfenmit vorgelagerten, wüsten Bretterstapeln Fragen nachunserem Umgang mit Landschaft und ihrer bildhaftenWiedergabe auf. In weiteren Malereien finden sich einfacheHütten, die skandinavischen Blockhäusern ähneln.Sie zeigen verschiedene Bauzustände bis hin zumVerfall und spüren der besonderen Ästhetik einer (Bretter-)Strukturnach. Denn den Prinzipien des Bauens undKonstruierens gilt ein grundlegendes Interesse derKünstlerin. 3 Die Serie Fortifikationen (Abb. 3) zeigt dieBauweise von Natur und Architektur gleichermaßen. Inden Arbeiten auf Papier geben Stämme und Geäst vonblätterlosen Bäumen ein Gerüst vor, in dem sich architektonischeGebilde „einnisten“, Verschläge, Hüttenoder Hochsitze bis hin zu utopisch-futuristischen Einbauten.Ob sie sich organisch einfügen oder wie aufgepfropftwirken, ob sich Baum- und Baustrukturen durchdringenoder kontrastieren, das alles findet auch in derTechnik aquarellartiger Lasur oder harter Zeichnungeine Entsprechung. Obschon sie als „Behausungen“ angelegtscheinen, stellt sich dem Betrachter die Fragenach einer möglichen Bewohnbarkeit. 4 Nicht nur weil sie2 Katja Pfeiffer


in luftiger Höhe unerreichbar scheinen, eignet diesenWohnobjekten etwas seltsam Unbehaustes. Der Gedankeverfestigt sich bei Arbeiten wie Dalmatiner (Abb. 4). Sieführen den Betrachter vor eine Bauform, die, im Grundsatzvertraut, doch von allem Bekannten abweicht. Assoziationenwie Schutz oder Geborgenheit stellen sicherst gar nicht ein. Eher denkt man an improvisierte Notunterkünfte– meist im Umbau oder Verfall begriffen.A t t r a p p e n , K u l i s s e n ,B r u c h s t ü c k eKatja Pfeiffer schätzt das Prekäre, das labile Gleichgewichtzwischen Bestand und Zusammenbruch. Und: dieseGebäude sind lediglich Attrappe, kulissenartig geschichtet,schablonenhafte Versatzstücke, Bruchstücke,die einen Raum nur vortäuschen. Auch wenn der Betrachterdurch einen davonstiebenden Hund oder durchspielende Hunde in ein Geschehen geraten zu sein scheint,dominiert ein theaterartiges Vorführen.Abschottung und Improvisation als Wirkmechanismensind auch bestimmend für die Reihe der Holzreliefs ausdem Jahr 2009, ebenfalls Bauformen jenseits des urbanenKontextes, verschachtelte Baracken (Abb. 5), fortartigeSchutzwände, bizarre Siedlungshäuschen, diesich als Zeichen einer unbehausten Gesellschaft lesenlassen, die sich nur noch nomadenhaft und auf Abrufniederlässt.„Katja Pfeiffers Sehräume fokussierenauf Prozess und Veränderungals maßgebliche Größe unsererWelterfahrung.“Die Vorliebe für komplexe rasterartige Strukturen führtim Kontext von Architektur fast zwangsläufig zu industriellenMotiven. Katja Pfeiffer zeigt leere, düstere Fabrikanlagenoder Hallen und legt den Fokus durch partielleBeleuchtung oder kaltes Gegenlicht auf die gerüstartigeKonstruktion. Von hier aus drängt sich dieBesonderheit von Berlin in der großen Umbauphase geradezuauf, und Katja Pfeiffer nimmt Baupolitik undBaugeschichte ihrer Stadt auch intensiv wahr: „Sie besteht,wenn man genau hinschaut, eigentlich nur aus Lückenund Löchern, Gerüsten und Großplakaten und demdahinter, darunter und daneben.“ 5 Kleiner Abgrund(Abb. 6) lässt sich als Anspielung auf die Baustellenar-chitektur und das Provisorische in der Stadt deuten,ohne allerdings konkret oder wirklich anschaulich zuwerden, denn auch hier gelingt es, mit dem minimalistischenObjekt (allein von Schrauben gehalten) Zwischentönevon Erzählerischem einzufangen und zugleich dieAbsurdität einer sich selbst genügenden Leerstelle vorzuführen.Rigging (2006, Abb. 7) greift die Einrüstung großer Gebäude(als Handwerkerzugang, für großformatige Werbefotosoder als Besonderheit Berlins auch zur Simulationgeplanter Fassaden) auf. 6 Die zwei Wände füllendeÜbereckmalerei in der Galerie Mertens, Berlin, baut inextremer perspektivischer Verjüngung eine riesige Gitterstrukturauf, die aus der Untersicht ein verwirrenddichtes, aber doch klaren Bauprinzipien gehorchendesGerüst aus Vertikalen, Horizontalen und Schrägen zeigt.Die Strukturen aus Schwarz und Weiß erhalten Kontrastein gedämpftem Grün, Rot und Gelb und wirken in Nahsichtimpressionistisch-abstrakt. Das dichte Netz derVergitterung rückt einerseits das zugrunde liegende stabilisierendestatische Prinzip in den Blick, aber lenkt ihnzugleich tief ins Innere der Konstruktion, wodurch dietransparente Bauweise buchstäblich den Boden unterden Füßen entzieht.M e t a p h e r n d e r G e g e n w a r tSolche Zeichen für simulierte Architektur lassen sichauch als Metapher unserer Gegenwart deuten. Wenn esüberhaupt Programmatisches bei Katja Pfeiffer gibt, diesich als Schülerin von Alfonso Hüppi dezidiert gegenFestlegungen und Dogmen verwahrt, dann ist es geradedas Interesse am Behelfsmäßigen und Flüchtigen. So beleuchtetRigging, zugleich Titel einer Ausstellung imJahr 2006, exemplarisch die gedankliche Vernetzung innerhalbdieses Werks, wenn neben „Takelage“ (von Seglern),„Schein- und Interimsarchitektur“ auch das„Equipment für Theater- oder Filmkulisse“ gemeint ist.Eine fast zufällige Trouvaille hatte 2005 dazu geführt,sich mit Illusion und Realität auseinanderzusetzen. „Dieersten Setdesignaufnahmen begegneten mir. (…) das Sabotage-Bild– die Szene einer ganzen Prozession, die aneinem gemalten Standbild vorbeimarschiert – im Filmsieht es aus, als würden sie an einer Statue vorbei marschieren,auf der Abbildung ist es einfach nur eine Stellage… .“ 7 Bei der Recherche nach einer bestimmtenFarbskala („Finanzamtfarbigkeit“) war die Künstlerinim Archiv der Filmhochschule Berlin auf historischeFilmsetaufnahmen und dabei auf eine zu Alfred Hitch-3


cocks Thriller „Sabotage“ aus dem Jahr 1936 gestoßen.Das Foto zeigt eine Szene mit Kolonnen von Komparsenund Pferden und bildhafte Darstellungen auf einer Gitterkonstruktion.Die andere Perspektive von außerhalbdes Filmdrehorts entlarvt den Illusionscharakter desMediums und wurde zum Auslöser für eine umfangreicheWerkgruppe (Abb. 14), in der Katja Pfeiffer anhandvon Ausschnitten eigener und historischer Setaufnahmenmit simulierter Architektur und simulierter Naturspielt. Das Spektrum ist facettenreich und reicht vonkleineren Arbeiten, die Collage und Malerei kombinieren,über Scherenschnitte bis zu raumfüllenden Installationen.K u g e l a r t i g e H o h l k ö r p e r„Den Prinzipien des Bauens undKonstruierens gilt ein grundlegendesInteresse der Künstlerin.“Zugrunde liegt das Prinzip von Kulissenräumlichkeit,das irritierende Verknüpfungen von Innen- und Außenräumenschafft. Dabei gibt es lyrisch anmutende künstlicheRäume, in denen häufig Baumsilhouetten vor scherenschnitthaftemFilmequipment in klarem Helldunkel-Kontrast in Szene gesetzt sind. Collagen mitschablonenartigen Versatzstücken von Raum- und Architekturdetailsbauen Kulissen zu phantastischen Bauwerkenzusammen. Eine herausragende Architekturformtaucht in mehreren Arbeiten und verschiedenenTechniken auf, ein großer kugelartiger Hohlkörper. DasSkelett definiert Innen- wie Außenraum zugleich. „Esgibt für mich ein faszinierendes Foto, das ist der BerlinerFernsehturm bzw. die Kugel, noch nicht fertig, sie stehtnoch auf dem Boden, das Publikum schaut sie sich an –das Bild stammt aus den 60er Jahren – es ist faszinierend,weil das Stahlskelett noch halb fertig herumsteht.“8 Der Reiz, dieser Form „Herr zu werden“, ist bisheute nicht erschöpft und sieht für das Jahr 2011 einegroß dimensionierte und raumfüllende Gestaltung zudiesem Thema vor.Die Installationen Backdrop und Irrlicht (beide 2007)speisen sich ebenfalls aus dem Fundus zum Filmset. Irrlicht(Abb. 8a + b) erinnert von außen an ein riesigesGehäuse einer Balgenkamera, aber wie häufig spielenandere Auslöser mit hinein, hier die Faltenbalge der Ge-lenkbusse im täglichen Berufsverkehr. Diese Ummantelunglenkt den Betrachter zur Schauseite mit bühnenartigerKulissenlandschaft. Das Auge springt zwischenGerüsten und Baumstämmen von dichteren zu lichteren,von Licht- zu Schattenzonen tief hinein in eine seltsammärchenhafte Waldlandschaft. Tatsächlich basiert dieSzenerie auf Setfotos vom „Nibelungenwald“ zu FritzLangs Stummfilmklassiker „Die Nibelungen“. 9 Das „makingof“ wird aufgegriffen und errichtet eine Scheinwelt,die wiederum ihre technische Herstellung nichtversteckt: die Motive sind aus MDF-Platten ausgesägtund wenig bemalt, sodass neben düsterem Grauschwarzder Grundton der Platten vorherrscht. Die so gefundeneKombination aus gewachsener und gezimmerter Struktur,die der Welt des Fiktiven hinterhergeht, komprimiertPfeiffer auch zu großen Reliefs. In Zwielicht (Abb. 10)durchdringen sich Bäume und (Kamera- bzw. Scheinwerfer-)Gerüsteso, dass trotz unterschiedlicher Färbungkeine eindeutige räumliche Klärung möglich istund eine eigene Bildrealität entsteht. Und dennoch bleibendie Ebenen der vier flach hintereinander hängendenPlatten mit geradliniger Begrenzung vor der Wand undmit Bodenabstand stets als Ausschnitt und künstlerischesProdukt präsent.S c h u l e d e s S e h e n sBackdrop (Abb. 9) ist eine variable Installation, die aufmehreren Ebenen agiert: Zunächst besteht sie aus bis zu30 Elementen, einfachen Platten wie für den Kulissenbauund schlichten Dachlatten, die in unterschiedlichenräumlichen Kontexten verschiedene Konstellationen inGröße und Anordnung eingehen können. 10 Die vorgegebeneRaumsituation aufgreifend, kann die Arbeit einenRundgang durch eine Abfolge von Räumen vorgebenoder sich dicht gedrängt zu einer Art Schautafel vor demBetrachter aufbauen. Es gibt auch kreisartige Anordnungenmit einem Innen und Außen oder solche, bei denender Einblick von oben vorgesehen ist. Diese Variabilität,der Verzicht auf Verbindliches oder Endgültiges,entspricht dem Prinzip des Kulissenschiebens, das immerauf neue Anforderungen reagiert. Hier allerdingssind Schau- und Rückseite gleichermaßen einbezogen,so dass sich Ein- und Durchblicke ergeben, die einmaldem Illusionismus der Kulissen, dann wieder dem Blickdahinter gelten.Die Schauseite kombiniert einzelne Fragmente, indemsie sich räumlich versetzt überschneiden oder verbindenund ein je nach Blickpunkt wechselndes Kontinuum auffalten.Die ursprüngliche Idee eines Panoramas zeigtsich als doppelt zersplitterte Realität: Segmente von4 Katja Pfeiffer


6KLEINER ABGRUND, 2006Holz, Teppich, Beschläge35 x 32 x 38 cmSpeichern, Zimmern, Lagerräumen, offene Fußböden,wie vergessen dort Stützen, Gerüste, Leitern und Gestelle,Gitter, Fensterkreuze und Türen, Scheinwerfer, Lichtreflexe– scheinbar ohne Kontext. Die Bemalung der Plattengreift damit wieder Ansichten aus der Filmarchitekturauf. Das Skizzenhafte der Malweise, das immerwieder abbricht, nur Ausschnitte gibt, Tropfspuren zulässtund neben Weiß-Grau-Braun vom Ockerton derGrundplatten geprägt ist, lässt Backdrop zu einer „Schuledes Sehens (werden), in der uns die Ungleichzeitigkeit,Offenheit und Ungerichtetheit, die Prozesshaftigkeit unsererWahrnehmung vor Augen geführt wird: eine filmisch-serielleDynamisierung der Malerei.“ 11Eine Arbeit wie Lightson (Abb. 16) scheint in einen anderenKontext zu gehören. Sie unterscheidet sich, indemsie mit vorgefertigten Gegenständen auskommt, mit achtLampen und Kabeln in einem Raum. Aber wenn man alseinen wesentlichen Faktor in Katja Pfeiffers Schaffenden Prozess der Entstehung heranzieht, ist das Werk geradezuexemplarisch für ihr künstlerisches Vorgehen.5


6 Katja Pfeiffer


7RIGGING, 2006Acryl/Wandfarbe945 x 360 cmWandbild Galerie Martin Mertens, Berlin7


„Mich hat in dieser <strong>Zeit</strong> (2006) … auch die Verlebendigungvon Gegenständen, die miteinander kommunizieren,sehr beschäftigt. Es gab eine kurze Überlegung, obman einen Trickfilm macht, in dem zwei Lampen kommunizieren,aus einem Schlüsselloch heraus, dass eineanfängt zu morsen und man dort herein guckt, weil manmerkt, die will etwas.“ 12 (Die Tür findet sich, wie eingangszu sehen, in einem späteren Werk.) Bei Lightsoninteragieren die Lampen dann direkt mit sichtbaren(Licht-)Morsezeichen, wobei ihre „Unterhaltung“ Dialogausschnitteaus Filmen aufgreift 13 , Gesprächsfetzenohne erzählerische Dramaturgie. Die notwendige Stromversorgungverläuft sichtbar am Boden. Die Schönheitdicker Kabelbündel, die zu malerischen, farbigen Verläufenund Knäueln werden, entdeckte Pfeiffer während derUmbauphase in einem Berliner Kaufhaus. Viel unmittelbarerals Malerei können sie, wenn sie wie Eingeweideaus der aufgebrochenen Decke quellen, das Wesen vonRaum erschließen.A u s d e m F u n d u sg e s a m m e l t e r B i l d e rEin persönlicher Fundus an Bildern (eigene oder gefundeneFotografien, Zeichnungen, Reproduktionen), derSpannendes, Absurdes, Humorvolles zusammenträgt,der sich beliebig nutzen und umschichten lässt, ist oftAuslöser für assoziative Verknüpfungen solcher zunächstdisparater Kontexte. In Selektion und Verarbeitungdieses Rohmaterials zeigt Katja Pfeiffer eine erstaunlicheSicherheit und Konsequenz. Durch die entstandenenArbeiten lädt sie ein zur Teilhabe an ihrer Art„Katja Pfeiffer schätzt das Prekäre,das labile Gleichgewicht zwischenBestand und Zusammenbruch.“des Welterschließens, manchmal überraschend, manchmalgeheimnisvoll, manchmal spielerisch leicht oder irritierend,immer hintergründig. Und was für sie alsKünstlerin gilt, bietet sie als methodischen Ansatz auchihren Studenten an der Bergischen Universität Wuppertal,wo sie seit 2006 eine Professur für Kunst inne hat:den Transfer von Welt ins Atelier.Die große Installation Eagle under Construction (Abb.11) aus dem Jahr 2009 ist aus solchen Alltagsbeobachtungenhervorgegangen. Es waren verfallende Voliereneines Tierparks, die die Künstlerin entdeckt hat. Vergitterung,Baumfragmente und einfache Nutzarchitekturgreifen Vorhandenes auf und bieten die Möglichkeit, eszu einem fiktiven (Lebens-)Raum ganz eigener Art weiterzuentwickeln.Die Installation, die zwei Galerieräumeeinbezog, gewährte dem Besucher zwar Einblick, abernicht Zutritt. Optisch verlor er zwischen den transparentenSchichten der Gittersegmente die Orientierungund wurde durch eine (nicht eigentlich intendierte, aberakzeptierte) Spiegelung der Acrylplatten doch Teil einesKäfigs, der zur Schau stellt.G o n d e l n u n dG e i s t e r b a h nKaum weniger als der Film ist die Schaustellerei derVolksfeste mit ihren Unterhaltungs- und Fahrgeschäftenein Reich der Suggestion und Künstlichkeit. 2005 maltPfeiffer ein Bild mit dem Titel Geisterbahn, das aus starkerUntersicht Gestänge und Fahrspur mit hängendenGondeln zeigt und in seiner Dynamik dem Gefühl desSchwindels nachspürt. Mit Typhoon (Abb. 13) wird dreiJahre später das Bild spektakulärer Attraktionen insDreidimensionale gesteigert. Die durcheinanderwirbelndenSpuren als scherenschnittartige Schablonensuggerieren durch dichte Staffelung hintereinanderBeschleunigung und Schwerelosigkeit. Dass je nachBlickwinkel die helle Silhouette des Objektes wenigerräumlich wirkt als sein Schattenbild auf der dahinterliegenden Wand, mag Zufall oder Illusion sein. Kirmesbudenschilderheischen Aufmerksamkeit durch grelleLichteffekte und locken mit scheinbar lautstarker Unterhaltung– aber nur, wenn die Phantasie das turbulenteLeben von der Vorderseite aufruft. reniL ratS, redipSyppaH, abmaZ abmaR (Abb. 12) bleiben mit der gespiegeltenSchrift und der mausgrauen Bretterwand seltsamstill. Nur an den oberen Kanten der Schriftzüge, wennNeonlicht von der Wand reflektiert hervorquillt, tretendie Schriftzüge grotesk gegen die Stille eines unterdrücktenRummels an. Die Rückseiten machen empfindsamfür Feinheiten und Verschiedenheiten der rückwärtigenTrägerfunktion – wenn die übersteigerteFarbigkeit ausgeblendet wird. „Plänterwald“ als Ausstellungstitel(Kunstverein Ulm, 2010), der auf Ort undGeschichte des stillgelegten Vergnügungsparks im OstenBerlins anspielt, zeigt, dass der Blick immer über denKontext der einzelnen Arbeit hinausgeht.Gegenüber den früheren, eher filigranen Arbeiten sinddie Schaubudenreliefs ungewohnt monumental. Sie werdenvon den „Schiffsrümpfen“ aus dem Jahr 2010 nochübertroffen. Übermächtige Wrackteile wie bei „Aida“zeigen offene Decks, Schotten und Tanks, Schalen, Planken,Spanten. Sie bedecken ganze Wände, indem sie den8 Katja Pfeiffer


Foto: Reiner WieseBlick auf ihr Skelett in ungewohnt schräger Perspektivegewähren. Man seziert und nimmt mit dem Erfassen derKonstruktion zugleich eine Destruktion vor, die bei Detailsichtbis hin zur Abstraktion führt – an Juan Gris oderPicasso erinnernd. Und zugleich ist der Blick in das Innereder Riesenwracks – die düsteren, malerisch-rostigenOberflächen tragen wesentlich dazu bei – mit einem gewissenvoyeuristischen Gruseln verbunden, aus dem sichdie Vermutung schält, dass wir selbst gemeint seinkönnten, als Beobachter, die erkennen, was es mit derTraumschiffatmosphäre auf sich hat. Katja Pfeiffers Arbeitenverführen mit ihrer eigenen Art, Narratives undKonstruktives zu verknüpfen, zum Entdecken, und unverhofftwird daraus, was Kunst im besten Sinne leistenkann: den Blick hinter die Oberfläche des Wirklichen.Anette Kuhnlebt als Kunsthistorikerin und Kunstpädagogin in Duisburg;Studium der Kunstgeschichte, Kunstwissenschaft und Germanistikin Bonn und Köln; 1. und 2. Staatsexamen; Promotion inKunstgeschichte; langjährige Kuratorin einer Firmensammlung,zahlreiche Publikationen zur zeitgenössischen Kunst in Büchernund Katalogen.Fotonac hweisCover, 1a, 1b, 8b, 12Abb. 3, 5, 15Abb. 6, 7Abb. 8a, 9, 10, 13, 16Abb. 11, 14Leonie FellePeter FreseUwe WalterAchim KukuliesLudger PaffrathAnmerkungen1 K.P. im Gespr. m. d. Verf., Düsseldorf 20.12.10,2 Nach Abschluss der Akademieausbildung konzentriert sie sichzunächst einige Jahre auf die Malerei. Es entstehen Serien mitdem Motiv von auf Treppen gelagerten Bücherstapeln, die formaleund inhaltliche Aspekte mit Gültigkeit besitzen: Die horizontalenSchichtungen (der Bücher) geben der Bildfläche einelineare Struktur und die gedämpfte Farbigkeit schlägt eine kühldistanzierteAtmosphäre an. Zugleich wohnt dem scheinbarklaren Ordnungssystem aber eine leicht subversive Kraft inne.Dennoch bricht Pfeiffer diesen zunächst erfolgreichen Wegbewusst ab in dem Unbehagen einer zu frühen Festlegung. „Ichhabe mir geschworen, es wird nichts mehr gemacht, wo ich beieinem Material bleibe, bei einer Form bleibe. Ich möchte michin keiner Weise festlegen.“ K.P. im Gespr. m. d. Verf. 20.12.103 Schon 1995 bei gezeichneten Stadtansichten von den HügelnRoms aus hielt sie rasterartige Strukturen fest. Und ein Selbstexperimentmit bei „Lieblingsabbildungen“ aufgeschlagenenKatalogen ergab, dass es dort immer um Struktur ging. K.P. i.Gespr. m. d. Verf. 20.12.104 vergl. z.B. Andreas Wenning: Baumhäuser - Neue Architekturin Bäumen, 2009; das Coldwater-Projekt in Florida: www.baumraum.de5 K. P. zitiert nach http://www.martinmertens.com/index../php?option=com_content&task=view&id=49&Itemid=66&lang=de6 2001 Karl Friedrich Schinkels Bauakademie; schon 1993/94 diegemalte Fassade des Berliner Stadtschlosses, wo ein damalsweltgrößtes Raumgerüst zum Einsatz kam.7 K. P. i. Gespr. m. d. Verf. 20.12.108 K. P. i. Gespr. m. d. Verf. 20.12.109 1922/24 in den Babelsberger Filmstudios gedreht..10 2007 Galerie Pankow, Berlin; Sonderausstellung „Housetrip“Artforum Berlin; Museum Baden, Solingen; „Wir haben keineProbleme“, Kunsthalle Bergen, Norwegen; 2008 „Rohschnitt“Galerie Gmyrek, Düsseldorf; 2010 „Plänterwald“, KunstvereinUlm11 Martin Engler: Die Welt als Kulisse und Vorstellung, Kat. Solingen2010, S. 1612 K. P. i. Gespr. m. d. Verf. 20.12.10; auch in der Assoziationskette:die Trickfilmanimation „Luxo jr.“ von John Lasseter desStudios Pixar13 aus: Blade Runner; Lethal Weapon; Donald Rumsfeld; All thatJazz; Casablanca; Marathon Man.Erscheint viermal jährlich mit insgesamt28 Künstlermonografien auf über 500 TextundBild-Seiten und kostet im Jahresabonnementeinschl. Sammelordner und Schuber 148,–,im Ausland 158,–, frei Haus.www.weltkunst.dePostanschrift für Verlag und RedaktionZEIT <strong>Kunstverlag</strong> GmbH & Co. KGBalanstraße 73, Gebäude 8D-81541 MünchenTel. 0 89/12 69 90-0 / Fax 0 89/12 69 90-11Bankkonto: Commerzbank StuttgartKonto-Nr. 525 55 34, BLZ 600 400 71GründungsherausgeberDr. Detlef BluemlerProf. Lothar Romain †RedaktionHans-Joachim MüllerGeschäftsführerGerhard FeiglMatthias WeidlingGrafikMichael MüllerGestaltungskonzeptBureau Mirko BorscheAbonnement und LeserserviceZEITKUNSTVERLAG GmbH & Co. KGBalanstraße 73, Gebäude 8D-81541 München / Tel. 0 89/12 69 90-0›Künstler‹ ist auch über denBuchhandel erhältlichPrepressFranzis print & media GmbH, MünchenDruckF&W Mediencenter GmbH, KienbergDie Publikation und alle in ihr enthaltenenBeiträge und Abbildungen sind urheberrechtlichgeschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklichvom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarfder vorherigen Zustimmung des Verlages. Dies giltinsbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen,Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherungund Verarbeitung in elektronischen Systemen.© ZEIT <strong>Kunstverlag</strong> GmbH & Co. KG,München 2011© VG Bild-Kunst, Bonn, 2011ISSN 0934-17309


8 a910 Katja Pfeiffer


8aIRRLICHT, 2007Acryl/MDF, LKW-Plane, Stahlprofile250 x 205 x 300 cm8bIRRLICHT (Detail), 20079BACKDROP, 2007Acryl/MDF, DachlattenMaße variabelInstallationsansicht Kunstverein Ulm 201010ZWIELICHT, 2008Acryl/MDF, vier Platten260 x 260 x 20 cm8 b1011


Katja PfeifferBiogr afie1973 geboren in Karlsruhe1992- Studium an der Kunstakademie Düsseldorf2000 bei den Professoren Günther Uecker, AlfonsoHüppi und Jan Dibbets1995 Studienaufenthalt in Rom1998 Meisterschülerin bei Alfonso Hüppiseit Professur für Kunst an der Bergischen2006 Universität Wuppertal2011 Stipendium Villa Serpentara (Akademie derKünste, Berlin)lebt und arbeitet in Berlin und WuppertalAusstellungen2010 Walking the Borderline, Erfurter Kunstverein,Erfurt; Die Fehleinschätzung der relativenMondgröße, Museum Baden, Solingen (E, Kat.);Plänterwald, Kunstverein Ulm, Ulm (E)2009 Zeigen. Eine Audio Tour durch Berlin vonKarin Sander, Temporäre Kunsthalle, Berlin;Eagle under construction, Galerie Martin Mertens,Berlin (E); Katja Pfeiffer / Martina Sauter,dok 25 a, Düsseldorf2008 rohschnitt, contemporary | galerie wolfganggmyrek, Düsseldorf (E); Irrlicht, Galerie MartinMertens, Berlin (E)2007 Screenshot, Galerie Martin Mertens, Berlin;Wir haben keine Probleme, Bergen Kunsthall,Bergen, Norwegen; House Trip, Artforum,Berlin; update.07 | berlin – düsseldorf,contemporary | galerie wolfgang gmyrek,Düsseldorf (Kat.); The Re-conquest of space,Overgaden, Kopenhagen, Dänemark; Backdrop,Galerie Pankow, Berlin (E, Kat.)2006 Looking forward, Galerie Martin Mertens,Berlin; Wir haben keine Probleme, Backfabrik,Berlin; Trendwände, Kunstraum, Düsseldorf;Rigging, Galerie Martin Mertens, Berlin (E)2005 Das jüngste Gerücht, Salon Köln-Düsseldorfer-Freundschaft,Berlin2002 Papierarbeiten, Galerie Peter Tedden, Düsseldorf(E, Kat.)2000 bibliophilie, Ettlinger Schloss Museum, Ettlingen(E); mischen, abheben, austeilen, GaleriePeter Tedden, Düsseldorf1999 Glück durch Paarung, Suermondt-Ludwig-Museum,Aachen1995 Made in Mauritius, Kunstraum, Düsseldorf1994 Düsseldorf – Helsinki ryhmaenaettely, KluuvinGalleria, Helsinkibibliogr afie (Auswahl)Kuhn, Anette: Katja Pfeiffer, Künstler, Kritisches Lexikonder Gegenwartskunst, München 2011Kat. Katja Pfeiffer. Die Fehleinschätzung der relativenMondgröße, Museum Baden, Solingen, 2010Kuhn, Thomas W.: Katja Pfeiffer – rohschnitt, GalerieWolfgang Gmyrek, Düsseldorf11.4. –24.5.2008; in: Kunstforum internationalBd. 191, 2008, S. 314Mayer, Roland: Ramba Zamba im Rückspiegel.KunstvereinUlm; Katja Pfeiffer und ihre „Plänterwald“-Stationenim SchuhhaussaalSeyfart, Ludwig: Rohschnitt. Katja Pfeiffer; in: Kunsttermine,S. 34 – 41Wendland, Johannes: Katja Pfeiffer. Gespür für Provisorienund Hilfskonstruktionen, in: update 07;<strong>Zeit</strong>ung zur Ausstellung in der Galerie WolfgangGmyrek, Düsseldorf, 7.9. – 17.11. 2007, S. 712 Katja Pfeiffer


1 aCoverVOYEUR (Ausschnitt), 2010Tür, Spiegel, Objektkasten, LED-Beleuchtung180 x 75 x 20 cmtechnische Mitarbeit Martin Bauer1aVOYER, 2010Installationsansicht Kunstverein Ulm, 20101bVOYEUR, 2010Detailansicht1 b


22DER EINSAME MÖNCH, 2005Acryl/HDF, Holz35 x 35 x 35 cm3FORTIFIKATION XI, 2005Mischtechnik/Papier33 x 33 cm (gerahmt)Sammlung National-Bank AG4DALMATINER, 2006Acryl, Siebdruck/MDF37 x 36 x 43 cmPrivatsammlung5BARACKEN, 2009Furnierholz60 x 115 cmPrivatsammlung3


1111EAGLE UNDER CONSTRUCTION, 2009Acrylglas, Acrylfarbe, HolzMaße variabelInstallationsansicht Galerie Mertens, Berlin 200912reniL ratS, 2010225 x 485 cmredipS yppaH, 2010250 x 208 cmabmaZ abmaR, 2010215 x 420 cmjeweils Lack/MDF, LED-Beleuchtung, Farbfilterfolien12


P<strong>katja</strong> <strong>pfeiffer</strong>1313TYPHOON, 2009Pressspan, Wandfarbe, Kinoprojektor240 x 205 x 150 cmInstallationsansicht Kunstverein Ulm 2010


p<strong>katja</strong> <strong>pfeiffer</strong>1415


16LIGHTSON, 2006Lampen, Kabel, Rechner-Relais-EinheitMaße variabelInstallationsansicht Kunstraum Düsseldorf 200714SABOTAGE, 2005Mischtechnik/Papier20 x 30 cm15OHNE TITEL, 2008Mischtechnik/Papier20 x 30 cmSammlung Westhofen

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