ein geeignetes Modell zur kosteneffizienten CO 2 - VRE
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ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE<br />
TAGESFRAGEN<br />
ZEITSCHRIFT FÜR ENERGIEWIRTSCHAFT·RECHT·TECHNIK UND UMWELT<br />
>> STROM OHNE GRENZEN<br />
WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />
<strong>VRE</strong>-JAHRESTAGUNG 2006<br />
6/2006<br />
S P E C I A L
STROM OHNE GRENZEN<br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
die energiepolitischen Aktivitäten im europäischen Strom- und Gassektor schreiten voran. Nach Auffassung der Europäischen Kommission<br />
müssen die Mitgliedstaaten die Marktöffnungsbestimmungen gemäß der gem<strong>ein</strong>schaftlichen Gas- und Stromrichtlinie wirksamer<br />
als bisher umsetzen. Zu diesem Fazit gelangt der jüngste Benchmarking-Bericht über die Umsetzung des Energiebinnenmarktes.<br />
Und die Zwischenergebnisse der sogenannten „Sector Inquiry“ der Kommission, die mit <strong>ein</strong>em Bericht zum Jahresende abgeschlossen<br />
werden soll, unterstreichen dies.<br />
Ganz oben auf der Mängelliste stehen die angeblich hohe Marktkonzentration, mangelnde Integration der Einzelmärkte in das Gesamtsystem,<br />
die fehlende Transparenz sowie <strong>ein</strong> generelles Misstrauen gegenüber Preisbildungen. – Soweit die Kommission. Die auf<br />
fragwürdigen Maßstäben beruhenden Feststellungen sind indes von der Realität des Wettbewerbs im deutschen Strommarkt weit entfernt.<br />
Die unterschiedliche Geschwindigkeit der Umsetzung des Binnenmarktes in den <strong>ein</strong>zelnen Mitgliedstaaten soll hier jedoch<br />
nicht in Abrede gestellt werden.<br />
Dieses Special, das wir anlässlich der Jahrestagung 2006 des Verbandes der Verbundunternehmen und Regionalen Energieversorger<br />
in Deutschland – <strong>VRE</strong> – e. V. („Strom ohne Grenzen – Wo steht der europäische Strommarkt?“ am 31.05. bis 01.06.2006 in<br />
Berlin) vorlegen, analysiert die Entwicklung der EU-Energiepolitik und setzt sich mit den Vorwürfen der Kommission konstruktiv<br />
aus<strong>ein</strong>ander. Dabei stehen Energiepreisentwicklung, Emissionshandel sowie die erneuerbaren Energien im Mittelpunkt.<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE<br />
TAGESFRAGEN<br />
ZEITSCHRIFT FÜR ENERGIEWIRTSCHAFT·RECHT·TECHNIK UND UMWELT<br />
<strong>VRE</strong>-JAHRESTAGUNG 2006<br />
6/2006<br />
S P E C I A L<br />
>> STROM OHNE GRENZEN<br />
WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />
Impressum<br />
Redaktion:<br />
Martin Czakainski<br />
(verantwortlich)<br />
Franz Lamprecht,<br />
Jörg Siefke-Bremkens<br />
Verlag:<br />
etv GmbH,<br />
Montebruchstraße 2,<br />
45219 Essen<br />
Satz, Gestaltung:<br />
Scheerer GmbH,<br />
Hohenzollernstraße 65,<br />
45128 Essen<br />
Titelmotiv:<br />
Jens Herr, Signbase,<br />
Mühlheim/Ruhr<br />
Druck:<br />
WAZ Druck, Theodor-Heuss-<br />
Straße 77, 47167 Duisburg<br />
WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />
„et“-Redaktion<br />
Interview mit Klaus Rauscher<br />
„Der deutsche Strommarkt ist besser als s<strong>ein</strong> Ruf“ 4<br />
Henning Rentz<br />
Energiepolitische Diskussion ohne Scheuklappen 6<br />
R<strong>ein</strong>hold Buttgereit<br />
Die EU-Energiepolitik zwischen Binnenmarkt, globalem Wettbewerb<br />
und Energie-Außenpolitik 8<br />
Wolfgang Pfaffenberger<br />
Zu den Fundamentaldaten der Energiepreisentwicklung 12<br />
Jürgen Grohmann<br />
Alternativen in <strong>ein</strong>em unruhigen Markt 19<br />
Interview mit Karl Michael Fuhr<br />
„Emissionszertifikate sind <strong>ein</strong> wichtiger Faktor für die Strompreise“ 23<br />
Norbert Azuma-Dicke, Siegfried F. Franke<br />
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz – <strong>ein</strong> <strong>geeignetes</strong> <strong>Modell</strong> <strong>zur</strong><br />
<strong>kosteneffizienten</strong> <strong>CO</strong> 2 -Minderung in Europa? 24<br />
Derk J. Swider<br />
Zusatzkosten im konventionellen Kraftwerkspark durch den Ausbau<br />
der Windenergie 27<br />
Claus Hodurek<br />
Einspeisung regenerativer Kraftwerke –<br />
Herausforderung an <strong>ein</strong>en Übertragungsnetzbetreiber 31<br />
Henning Recknagel<br />
Endschaftsklauseln in Wegenutzungsverträgen 36<br />
3
STROM OHNE GRENZEN<br />
„Der deutsche Strommarkt ist besser als s<strong>ein</strong> Ruf“<br />
Interview mit Klaus Rauscher, Präsident des Verbandes der Verbundunternehmen und Regionalen Energieversorger<br />
in Deutschland – <strong>VRE</strong> – e.V.<br />
Die EU-Kommission will für mehr Wettbewerb auf den europäischen Energiemärkten sorgen und hat dafür bereits im Jahre 2003<br />
die sog. Beschleunigungsrichtlinien Strom und Gas erlassen. Mit dem neuen Energiewirtschaftsgesetz wurden im letzten Jahr in<br />
Deutschland diese neuen „Spielregeln“ für alle Markteilnehmer <strong>ein</strong>geführt. Trotzdem ist die Kommission mit den Ergebnissen<br />
bei der Stärkung des Wettbewerbes in europäischem Maßstab bisher nicht zufrieden.<br />
et: Die Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes hat im Februar 2006<br />
den Zwischenbericht über die Sektorenuntersuchung vorgestellt. Sie<br />
kommt darin zu dem Ergebnis, dass der Wettbewerb auf den nationalen<br />
Energiemärkten noch zu wünschen übrig lässt. Teilen Sie diese<br />
M<strong>ein</strong>ung?<br />
Rauscher: Soweit es Deutschland betrifft, n<strong>ein</strong>. Die Kommission<br />
stützt ihre Bewertung auf veraltete Informationen. In Deutschland<br />
haben wir seit Juli 2005 die EU-Binnenmarktrichtlinien mit dem<br />
neuen Energiewirtschaftsgesetz voll und ganz in nationales Recht<br />
umgesetzt. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Die Entflechtung<br />
des Netzbetriebs läuft und es wurden aus dem Stand heraus funktionstüchtige<br />
Regulierungsbehörden geschaffen. Dass Deutschland<br />
hinsichtlich s<strong>ein</strong>er Marktöffnung kritisiert wird, ist für mich schwer<br />
nachvollziehbar. Ich kann der Kommission nur empfehlen, den<br />
deutschen Energiemarkt unter den jetzt geltenden Regelungen neu<br />
zu bewerten. Ich hielte es zudem für vernünftig, etwas mehr Geduld<br />
aufzubringen. Neue Gesetze können nicht von heute auf morgen ihre<br />
volle Wirkung entfalten. Auch sollte die Kommission ihre Maßstäbe<br />
überdenken, die sie für die Bewertung <strong>ein</strong>es Marktes anlegt.<br />
et: Welche Maßstäbe m<strong>ein</strong>en Sie?<br />
Rauscher: Die EU hat immer wieder die Wechselraten von Endkunden<br />
als <strong>ein</strong> wesentliches Kriterium für die Beurteilung der Wettbewerbsintensität<br />
herangezogen. Dieses Kriterium greift aber zu<br />
kurz, wie wir aus Untersuchungen wissen. Die Verbraucher handeln<br />
mit ihren Versorgern lieber günstigere Tarife in bestehenden Verträgen<br />
aus, als zu <strong>ein</strong>em neuen Anbieter zu wechseln. Gerade die<br />
deutschen Haushaltskunden zeigen sich vielmals als<br />
„Wechselmuffel“.<br />
Dagegen haben wir<br />
bei den Industriekunden<br />
seit Beginn<br />
der Liberalisierung<br />
hohe Wechselraten.<br />
4<br />
WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />
et: Sie halten also<br />
die Kritik der Kommission<br />
an Deutschland<br />
für überzogen?<br />
Rauscher: Ich kann die Kommission nur bitten, ihre Bewertung auf<br />
<strong>ein</strong>er sachgerechten Bestandsaufnahme zu gründen. Der Wettbewerb<br />
hat bei uns längst stärker Einzug gehalten, als es die Kommission<br />
wahrnimmt. Für alle Kunden – private wie gewerbliche – ist <strong>ein</strong><br />
unkomplizierter Wechsel des Anbieters jederzeit möglich. Auch<br />
die Einbindung Deutschlands in den europäischen Binnenmarkt<br />
ist besser als oft behauptet: Wir sind inzwischen mit unseren Nachbarn<br />
gut vernetzt und der grenzüberschreitende Stromhandel nimmt<br />
von Jahr zu Jahr zu. Im letzten Jahr war Deutschland erneut<br />
Stromnettoexporteur.<br />
et: Aber das sagt noch nichts über den Wettbewerb aus.<br />
Rauscher: In Deutschland sind wesentlich mehr Energieversorgungsunternehmen<br />
tätig, als in irgend <strong>ein</strong>em anderen EU-Mitgliedstaat.<br />
Sie müssen auch sehen, dass die Leipziger Strombörse<br />
EEX inzwischen zum zweitgrößten Stromhandelsplatz Europas aufgestiegen<br />
ist. K<strong>ein</strong> internationaler Händler ließe sich auf <strong>ein</strong>en Markt<br />
<strong>ein</strong>, der ihm k<strong>ein</strong>e Gewinnmöglichkeiten bietet. Und wir wissen, dass<br />
nur wettbewerblich organisierte Märkte diese Möglichkeiten bieten.<br />
Hinzu kommt, dass sowohl im Endkundengeschäft als auch auf der<br />
Erzeugerseite der internationale Wettbewerbsdruck in Deutschland<br />
sehr hoch ist. Nicht nur Großkonzerne wie die EdF oder Electrabel<br />
treten im deutschen Markt auf, sondern auch Gesellschaften wie<br />
Nuon und andere beteiligen sich rege am Wettbewerb um Kunden.<br />
Der deutsche Strommarkt ist bereits heute sehr attraktiv. Der Wettbewerb<br />
erfasst dabei zunehmend alle Wertschöpfungsstufen. Das<br />
zeigt sich nicht zuletzt daran, dass ausländische Gesellschaften nicht<br />
nur im Handel aktiv sind, sondern sich auch durch Kapitalbeteiligungen<br />
in deutschen Versorgungsunternehmen <strong>ein</strong>bringen. Darüber<br />
hinaus sind sie bereit, im Vertrauen auf die Stabilität des Marktes<br />
eigene Erzeugungskapazitäten in Deutschland zu errichten.<br />
et: Gibt es also in Europa k<strong>ein</strong>en Handlungsbedarf?<br />
Rauscher: Das will ich damit nicht sagen. Im europäischen<br />
Strommarkt gibt es Fehlentwicklungen. Die Liberalisierung der<br />
nationalen Energiemärkte ist sehr unterschiedlich fortgeschritten.<br />
Noch nicht alle Staaten haben ihre Hausaufgaben gemacht. Und dann<br />
gibt es Versuche <strong>ein</strong>zelner Staaten, die Strompreise für die Industrie<br />
unter das Marktniveau zu drücken mit dem Ergebnis, dass der<br />
„Dass Deutschland hinsichtlich s<strong>ein</strong>er Marktöffnung kritisiert wird, ist für mich schwer nachvollziehbar.<br />
Ich kann der Kommission nur empfehlen, den deutschen Energiemarkt unter den jetzt<br />
geltenden Regelungen neu zu bewerten. Ich hielte es zudem für vernünftig, etwas mehr Geduld aufzubringen.<br />
Neue Gesetze können nicht von heute auf morgen ihre volle Wirkung entfalten.“<br />
Klaus Rauscher, Präsident des Verbandes der Verbundunternehmen und Regionalen Energieversorger<br />
in Deutschland – <strong>VRE</strong> – e.V.<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006
STROM OHNE GRENZEN<br />
Wettbewerb zum Erliegen kommt. Dass die Kommission diesen<br />
Bestrebungen nicht sehr viel entschlossener entgegentritt, finde ich<br />
erstaunlich.<br />
et: Wo sollte die Kommission Ihrer M<strong>ein</strong>ung nach die Schwerpunkte<br />
setzen?<br />
Rauscher: Bei der Liberalisierung der Strommärkte ist darauf zu<br />
dringen, dass alle Mitgliedstaaten die Binnenmarktrichtlinien zügig<br />
und in vollem Umfang umsetzen. Nur bei konsequenter Anwendung<br />
dieser Regelungen ist am Ende <strong>ein</strong> fairer, <strong>ein</strong>heitlicher Wettbewerbsmarkt<br />
in Europa garantiert. Auch der Tendenz <strong>ein</strong>zelner<br />
Länder, ihre Energiemärkte abzuschotten, sollte die Kommission entschlossen<br />
entgegentreten. Denn dieses Verhalten widerspricht dem<br />
Gedanken des Binnenmarktes. In dieser Beziehung gibt es für<br />
Deutschland k<strong>ein</strong>erlei Handlungsbedarf. Das sage ich bewusst als<br />
Vertreter <strong>ein</strong>es Unternehmens mit schwedischer Mutter. Der Schwerpunkt<br />
sollte jedenfalls nicht darauf liegen, neue Regelungen zu<br />
erfinden. Wir sind mit dem jetzigen Regelwerk auf <strong>ein</strong>em guten Weg.<br />
et: Herr Dr. Rauscher, ich danke Ihnen für das Gespräch.<br />
Die Fragen stellte Martin Czakainski<br />
6<br />
WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />
„Bei der Liberalisierung der Strommärkte ist darauf zu dringen, dass<br />
alle Mitgliedstaaten die Binnenmarktrichtlinien zügig und in vollem<br />
Umfang umsetzen. Nur bei konsequenter Anwendung dieser Regelungen<br />
ist am Ende <strong>ein</strong> fairer, <strong>ein</strong>heitlicher Wettbewerbsmarkt in<br />
Europa garantiert. Auch der Tendenz <strong>ein</strong>zelner Länder, ihre Energiemärkte<br />
abzuschotten, sollte die Kommission entschlossen entgegentreten.<br />
Denn dieses Verhalten widerspricht dem Gedanken des<br />
Binnenmarktes.“<br />
Klaus Rauscher, Präsident des Verbandes der Verbundunternehmen<br />
und Regionalen Energieversorger in Deutschland – <strong>VRE</strong> – e.V.<br />
Mit Ausnahme der neuen Bundesländer ist in den vergangenen zwei<br />
Dekaden vergleichsweise wenig in die Modernisierung der deutschen<br />
Energiewirtschaft investiert worden. Diese steht daher vor der großen<br />
Herausforderung, heute die richtigen Weichen zu stellen und so<br />
die Energieversorgung auch für kommende Generationen zu sichern.<br />
Dass Versorgungssicherheit <strong>ein</strong>e für Industrienationen wie Deutschland<br />
existenzielle Frage ist, haben nicht zuletzt die aktuellen Diskussionen<br />
um Gaslieferungen aus Russland in die Ukraine und Westeuropa<br />
sowie die Ankündigung Russlands, künftig Erdöl verstärkt<br />
nach Asien zu liefern, deutlich gezeigt.<br />
Die Verknappung von Erdöl, Gas und Kohle ist <strong>ein</strong> Prozess, der im<br />
Grunde bereits mit dem ersten Tag der Förderung begann. Seit der<br />
ersten Nutzung dieser Ressourcen ist es aber mehr oder weniger<br />
immer gelungen, der weltweit steigenden Nachfrage <strong>ein</strong> ebenfalls<br />
steigendes Angebot entgegenzusetzen (Ausnahmen gab es natürlich<br />
u. a. während der Ölpreiskrisen der 70er Jahre, diese waren aber<br />
politischer Natur und – zumindest aus heutiger Sicht – zeitlich überschaubar).<br />
Dramatische Erhöhung der Rohstoffnachfrage<br />
In den vergangenen Jahren hat sich die Nachfrage nach fossilen Rohstoffen<br />
aber dramatisch erhöht. Länder wie China oder Indien<br />
brauchen für ihr enormes Wirtschaftswachstum Energie und treten<br />
auf den internationalen Märkten für Öl, Gas und Kohle zunehmend<br />
als Nachfrager in Ersch<strong>ein</strong>ung. Die erforderliche Anpassung des<br />
Angebots wird erhebliche Investitionen und auch Zeit in Anspruch<br />
nehmen. Hinzu kommt, dass es neben den Mengeneffekten verstärkt<br />
Engpässe bei bestimmten Ölqualitäten gibt und zum Teil auch die<br />
Verarbeitungskapazitäten nicht in ausreichendem Maße verfügbar<br />
sind. So importieren z. B. die USA zusätzlich <strong>zur</strong> eigenen Produktion<br />
jährlich zweimal so viel Benzin, wie in Deutschland insgesamt verbraucht<br />
wird. Der damit insgesamt zusammenhängende Preisdruck<br />
ist inzwischen für alle deutlich spürbar.<br />
Der in Deutschland ver<strong>ein</strong>barte Ausstieg aus der Kernenergie verschärft<br />
die Situation zusätzlich. Er führt zu <strong>ein</strong>er Lücke in der Stromversorgung,<br />
die durch den Einsatz anderer Primärenergieträger oder<br />
regenerativer Energien geschlossen werden muss – und zwar zuverlässig,<br />
umweltverträglich und bezahlbar. Angesichts der<br />
beschriebenen Entwicklungen bei den fossilen Energieträgern und<br />
der Tatsache, dass die erneuerbaren Energien auf absehbare Zeit<br />
nicht in der Lage s<strong>ein</strong> werden, diese Lücke zu schließen, wird deutlich,<br />
dass die deutsche Energieversorgung breit aufgestellt s<strong>ein</strong> muss und<br />
nicht alles nur auf <strong>ein</strong>e oder wenige Karten gesetzt werden darf. Dies<br />
gilt im übrigen nicht all<strong>ein</strong> für Deutschland, sondern für die<br />
Europäische Union insgesamt.<br />
Vor <strong>ein</strong>igen Jahren noch schien die Lösung zum Greifen nahe: Erdgas<br />
und regenerative Energien sollten die Versorgung zu sicheren, umweltfreundlichen<br />
und preiswerten Bedingungen sicherstellen. Doch der<br />
Euphorie folgt bei genauem Hinsehen Ernüchterung. Denn was würde<br />
das tatsächlich bedeuten? Bei <strong>ein</strong>er vollständigen Substitution der<br />
Kernenergie durch Gas müssten 30 Mrd. m 3 – also gut <strong>ein</strong> Drittel des<br />
gegenwärtigen deutschen Gasverbrauchs – zusätzlich <strong>ein</strong>geführt<br />
werden. Hierfür würden die bestehenden Importmöglichkeiten aus<br />
Russland bei weitem nicht ausreichen. Und auch die LNG-Kapazitäten<br />
(LNG: Liquefied Natural Gas), die sich in Deutschland erst in Planung<br />
befinden, könnten die Versorgung nicht gewährleisten. Die preistreibenden<br />
Effekte dieser zusätzlichen Nachfrage sind in dieser<br />
Betrachtung noch gar nicht berücksichtigt. Gleiches gilt für die<br />
steigende Importabhängigkeit, die mit dem vermehrten Einsatz von<br />
Erdgas verbunden wäre.<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006
Energiepolitische Diskussion ohne Scheuklappen<br />
Henning Rentz<br />
Die Diskussion um die Zukunft der deutschen Energieversorgung erhitzt die Gemüter. Kaum <strong>ein</strong> anderes Thema steht so hoch<br />
auf der politischen Agenda. Im Streit um die Balance des energiepolitischen Zieldreiecks von Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit<br />
und Umweltschutz wird die Diskussion häufig mit ideologischen Scheuklappen geführt, obwohl Realismus dringend<br />
notwendig wäre. Das Beispiel Kohleverstromung zeigt, dass Kraftwerksmodernisierungen und die Weiterentwicklung von Technologien<br />
bei <strong>ein</strong>er realistischen Betrachtung der Fakten die Voraussetzungen für <strong>ein</strong>e zukunftsfähige Energieversorgung in Deutschland<br />
sind.<br />
Ebenso begrenzt ist der zunehmende Einsatz der erneuerbaren Energien.<br />
Sie sind – abgesehen von der Biomasse – nicht grundlastfähig<br />
und können daher auf absehbare Zeit immer nur als – wichtiges –<br />
Additiv in der Energieversorgung vorangebracht werden. Ein vollwertiges<br />
Substitut für Kernkraftwerke mit ihrer hohen Zeitverfügbarkeit<br />
sind sie auch mittelfristig ganz sicher nicht, denn beispielsweise<br />
stehen nur rund 10 % der Stromerzeugungskapazität auf Basis<br />
der Windenergie in Deutschland gegenwärtig rund um die Uhr <strong>zur</strong><br />
Verfügung.<br />
Es führt also nicht weiter, ausschließlich verm<strong>ein</strong>tliche Idealvorstellungen<br />
in das Zentrum der Überlegungen zu stellen. Man muss<br />
sich vielmehr mit der Realität aus<strong>ein</strong>andersetzen, analysieren, was<br />
machbar ist und das Machbare weiter optimieren. Und da sieht es<br />
in Deutschland gar nicht so schlecht aus – zumindest solange man<br />
sich gestattet, Lösungen ohne Scheuklappen zu verfolgen.<br />
Braunkohle als <strong>ein</strong>heimische Ressource<br />
Immerhin verfügt Deutschland über <strong>ein</strong>es der größten Braunkohlevorkommen<br />
weltweit. Die statistische Reichweite der Kohle insgesamt<br />
wird auf rund 200 Jahre geschätzt. Sie übertrifft damit alle anderen<br />
Primärenergieträger bei weitem. Sie steht in Deutschland subventionsfrei<br />
<strong>zur</strong> Verfügung. Der Energiegehalt all<strong>ein</strong> der unter Wirtschaftlichkeitsaspekten<br />
abbauwürdigen rh<strong>ein</strong>ischen Braunkohle<br />
liegt mit 50 Mrd b. Oelequiv. (das entspricht 9,7 Mrd. t SKE oder<br />
31,6 Mrd. t Braunkohle) 1,3 Mal so hoch, wie der gesamte verbleibende<br />
Energievorrat von Öl und Gas in der Nordsee.<br />
Hinzu kommen die Braunkohlenvorräte im Mitteldeutschen Revier<br />
und in der Lausitz. Der Braunkohle den Rücken zu kehren, wäre<br />
genau der falsche Weg. Es sind daher alle Kräfte und Kreativität<br />
zu nutzen, die Verstromung der Braunkohle durch technischen Fortschritt<br />
umwelt- und klimaverträglicher zu gestalten. Das hilft nicht<br />
nur, die Importabhängigkeit von Energie zu verringern. Mit der Technologieführerschaft<br />
erschließen sich für die Herstellerindustrie<br />
wichtige Potenziale im Export und <strong>zur</strong> Sicherung der Arbeitsplätze<br />
in der heimischen Wirtschaft. RWE verfolgt deshalb intensiv drei<br />
Entwicklungslinien:<br />
■ Herzstück ist das erste großtechnische <strong>CO</strong> 2 -freie Kohlenkraftwerk<br />
der Welt mit <strong>ein</strong>er Leistung von 450 MW, das 2014 ans Netz<br />
gehen könnte. Dazu wird auch die Speicherung des abgetrennten<br />
<strong>CO</strong> 2 in <strong>ein</strong>er ehemaligen Gaslagerstätte bis <strong>zur</strong> Inbetriebnahme<br />
des Kraftwerks entwickelt. Mit RWE DEA verfügt der RWE-Konzern<br />
als <strong>ein</strong>ziges Unternehmen der Branche über das Know-how, die<br />
Speicherentwicklung selbst zu verwirklichen. Das Investitionsvolumen<br />
wird sich auf rund 1 Mrd. € belaufen.<br />
■ Zudem werden vorhandene Technologien weiterentwickelt, um<br />
die Emissionen über die Steigerung des Wirkungsgrades zu senken.<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />
Das ist notwendig, um die Zeit zu überbrücken, bis das <strong>CO</strong> 2 -freie<br />
Kraftwerk serienreif und wirtschaftlich <strong>ein</strong>satzfähig ist. So investiert<br />
RWE z. B. rund 50 Mio. € in <strong>ein</strong>e Prototypanlage <strong>zur</strong> Wirbelschichttrocknung.<br />
Sie wird im Dezember 2007 fertig s<strong>ein</strong> und die<br />
benachbarte BoA mit Trockenbraunkohle versorgen. Der Wirkungsgrad<br />
kann mit dieser Technik noch <strong>ein</strong>mal um 4 %-Punkte erhöht<br />
werden.<br />
■ Das Unternehmen entwirft außerdem Konzepte, um auch den<br />
bestehenden, modernen Kraftwerkspark mit <strong>ein</strong>er <strong>CO</strong> 2 -Abtrennung<br />
nach<strong>zur</strong>üsten. Dabei wird das <strong>CO</strong> 2 - aus den Rauchgasen gewaschen.<br />
Dieser Prozess ist allerdings energetisch derzeit noch sehr aufwändig<br />
und zudem mit hohen Investitionen verbunden. Im Konzern hält<br />
man diese sicherlich schwierige Aufgabe jedoch für lösbar.<br />
Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe schätzt, dass<br />
die untertägigen Lagerstätten <strong>CO</strong> 2 - in <strong>ein</strong>er Bandbreite zwischen 23<br />
und 43 Mrd. t aufnehmen könnten. Unterstellt man <strong>ein</strong>en Mittelwert<br />
von 33 Mrd. t, so könnten diese Lagerstätten die <strong>CO</strong> 2 -Emissionen<br />
des deutschen Kraftwerkparks rund 80 Jahre aufnehmen.<br />
Aber auch hier gilt es, realistisch und pragmatisch zu bleiben. Die<br />
Verbreitung dieser Technologie wird, auch wenn sie Serienreife<br />
erreicht hat, Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Dafür sprechen schon<br />
all<strong>ein</strong> die langen Investitionszyklen in der Energiewirtschaft.<br />
Breiter Energiemix ist beste Risikoversicherung<br />
Die <strong>CO</strong> 2 -Sequestration kann und darf auch nicht das <strong>ein</strong>zige Standb<strong>ein</strong><br />
für Deutschland s<strong>ein</strong>. Denn nur <strong>ein</strong> breiter Energieträgermix<br />
ist und bleibt die beste Risikoversicherung und kommt dem Ideal,<br />
die Versorgung wirtschaftlich, sicher und umweltverträglich zu<br />
gewährleisten, am nächsten. Sophokles (496-405 v. Chr.) sagte: „Wir<br />
müssen dafür sorgen, dass die Brücke nicht schmäler ist als der<br />
Fluss.“ Bei der Energieversorgung kann uns das nur gelingen, wenn<br />
wir sämtliche Energieträger vorurteilslos in <strong>ein</strong> schlüssiges Gesamtkonzept<br />
<strong>ein</strong>bringen, in dem sich Ihre Vor- und Nachteile optimal austarieren.<br />
Dr. H. Rentz, Leiter Energiepolitik der RWE Power AG, Essen<br />
henning.rentz@rwe.com<br />
7
STROM OHNE GRENZEN<br />
8<br />
WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />
Die EU-Energiepolitik zwischen Binnenmarkt,<br />
globalem Wettbewerb und Energie-Außenpolitik<br />
R<strong>ein</strong>hold Buttgereit<br />
Während die EU-Kommission noch mit der Liberalisierung der Energiemärkte beschäftigt ist und in der „sector inquiry“ erkannte<br />
Defizite beseitigen will, ist sie seit kurzem außerdem mit <strong>ein</strong>er Fusionswelle europäischer Energieunternehmen konfrontiert. Die<br />
Kommission befürwortet dabei die Bildung europäischer Champions, während die meisten EU-Mitgliedstaaten nationale Champions<br />
präferieren und hier z. T. sogar protektionistische Verhaltensweisen zeigen. Damit kommt dem jüngst veröffentlichten Grünbuch<br />
<strong>zur</strong> europäischen Energiepolitik <strong>ein</strong>e ganz besondere Bedeutung zu. Gelingt es der Europäischen Kommission, von den Mitgliedstaaten<br />
mehr Kompetenzen für <strong>ein</strong>e kohärente EU-Energiepolitik zu erhalten oder bleibt es bei 25 nationalen Energiepolitiken,<br />
die z. T. schwer ver<strong>ein</strong>bar sind und vielleicht sogar die Zukunft der Gem<strong>ein</strong>schaft gefährden könnten?<br />
Ohne Zweifel sind die Aktivitäten der EU-Kommission <strong>zur</strong><br />
Liberalisierung der Energiemärkte für alle Bürger, Unternehmen<br />
und auch die Nationalpolitiken von elementarer Bedeutung. Der<br />
Abschluss der Liberalisierung der europäischen Energiewirtschaft<br />
ist auf den Sommer 2007 terminiert. Ziel ist die Schaffung <strong>ein</strong>es<br />
wirklich integrierten Energiebinnenmarktes, der der EU <strong>ein</strong>en wettbewerbsfähigen<br />
Markt und Versorgungssicherheit garantiert. Privat-<br />
und Industriekunden werden ihre Anbieter innerhalb der EU<br />
dann vollkommen frei wählen, Strom und Gas über EU-Landesgrenzen<br />
hinweg gehandelt werden können.<br />
Tatsächlich haben aber viele EU-Mitgliedstaaten bislang die Richtlinien<br />
<strong>zur</strong> Liberalisierung der Energiemärkte nur zögerlich und teilweise<br />
un<strong>zur</strong>eichend umgesetzt. Auch deshalb hat sich manche<br />
Erwartung an den Energie-Binnenmarkt, insbesondere die Hoffnung<br />
auf dauerhaft niedrigere Energiepreise, nicht immer, nicht überall<br />
und nicht für alle erfüllt. Wegen andauernder und massiver<br />
Beschwerden von Marktbeteiligten über hohe Preise und Marktversagen<br />
hatte die Europäische Kommission deshalb schon im<br />
Sommer 2005 <strong>ein</strong>e „sector inquiry“, <strong>ein</strong>e Untersuchung der<br />
europäischen Gas- und Strommärkte, gestartet. Mehrere tausend<br />
Energieunternehmen, Verbraucher und Verbände wurden befragt.<br />
Sector Inquiry über die europäischen Gas- und<br />
Strommärkte<br />
Im Ergebnis hat sich für die Kommission bestätigt, dass die<br />
europäischen Energiemärkte noch nicht nach Wettbewerbsregeln<br />
funktionieren, sondern <strong>ein</strong>e Reihe schwerwiegender Defizite aufweisen.<br />
Dazu Wettbewerbskommissarin Neelié Kroes: „Obwohl der<br />
Energiesektor für die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft in der<br />
EU <strong>ein</strong>e lebenswichtige Funktion hat, haben wir Anzeichen für<br />
schwerwiegende Defizite bei der Funktionsweise festgestellt. Ich bin<br />
entschlossen, das Wettbewerbsrecht anzuwenden, um die europäische<br />
Industrie und den Verbraucher zu schützen“. Speziell in fünf<br />
Bereichen wurden Marktdefizite benannt:<br />
■ Die Gas- und Strommärkte wiesen häufig noch <strong>ein</strong>en hohen Konzentrationsgrad<br />
auf.<br />
■ Die Märkte seien vertikal abgeschottet, die Liquidität vieler Großhandelsmärkte<br />
nicht gegeben.<br />
■ Die Entwicklung integrierter EU-Energiemärkte werde durch<br />
Hindernisse bei der grenzüberschreitenden Versorgung mit Gas und<br />
Strom verhindert.<br />
■ Mangelnde Transparenz nütze angestammten Unternehmen, verhindere<br />
Neuanbieter und resultiere in grundlegendem Misstrauen<br />
den Marktmechanismen gegenüber.<br />
■ Industrie und Verbraucher hätten k<strong>ein</strong> Vertrauen in den Preisbildungsmechanismus.<br />
Nachdem die ersten Ergebnisse der Untersuchung im November<br />
letzten Jahres bekannt wurden und der Zwischenbericht der Sektoren-<br />
Untersuchung im Februar 2006 vorgestellt wurde, schloss die<br />
Kommission vor kurzem die öffentliche Konsultation hierzu ab. Ende<br />
des Jahres wird die Generaldirektion Wettbewerb ihren Abschlußbericht<br />
vorlegen. Spätestens dann sind Vorschläge für neue Maßnahmen<br />
<strong>zur</strong> Beseitigung der Defizite zu erwarten. Im Gespräch ist<br />
u. a. <strong>ein</strong> drittes Binnenmarktpaket mit neuen legislativen Aktivitäten<br />
der Europäischen Kommission. Schon früher könnte es zu Kartellverfahren<br />
gegen <strong>ein</strong>zelne Strom- und Gaskonzerne kommen, um das<br />
Wettbewerbsrecht intensiver durchzusetzen, Exempel zu statuieren<br />
und allen Marktbeteiligten <strong>ein</strong> klares Signal zu geben. Insbesondere<br />
große Konzerne dürften hier im Fokus der Betrachtung stehen.<br />
Mergers – für nationale, europäische oder globale<br />
Champions?<br />
Während die EU noch versucht, den nach ihren Vorstellungen mangelnden<br />
Wettbewerb durch erweiterte Regeln auf dem Energiebinnenmarkt<br />
durchzusetzen, ist sie seit wenigen Monaten auch<br />
noch mit <strong>ein</strong>er Fusionswelle europäischer Energie-Unternehmen<br />
konfrontiert. Beteiligte Länder in diesem Prozess sind u. a. die großen<br />
EU-Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und<br />
das ver<strong>ein</strong>igte Königreich, beteiligte Unternehmen u. a. CENTRICA,<br />
ENDESA, ENEL, E.ON, Gaz de France, Gas Natural und SUEZ. Neben<br />
Beteiligungs- oder Übernahmeverhandlungen zwischen innerhalb<br />
der EU angesiedelten Unternehmen wird aber auch der russische<br />
Energiekonzern GAZPROM zunehmend wichtiger, der in europäische<br />
Unternehmen <strong>ein</strong>steigen möchte, um Zugang zum Endkundengeschäft<br />
zu bekommen.<br />
Die Kommission als Hüterin der Verträge muss darauf achten, dass<br />
die im EU-Vertrag verankerte Kapitalfreiheit nicht verletzt wird. Und<br />
so kommt es, dass Unternehmen, die für individuelle Verfahren<br />
der Wettbewerbsbehörde im Zusammenhang mit der Sector Inquiry<br />
in Betracht kommen, nun in der Kommission dafür Unterstützung<br />
finden, internationale, europäische Zusammenschlüsse zu bilden.<br />
Für die EU-Kommission liegen die Gründe für das derzeit hohe Preisniveau<br />
in nationalen Monopolen, mangelndem grenzüberschreitenden<br />
Wettbewerb und beständiger Konzentration.<br />
Europäische Champions sollen ihrer Vorstellung nach besser als<br />
nationale Champions dazu in der Lage s<strong>ein</strong>, die Energieversorgung<br />
sicher und preiswert zu gewährleisten. Die Wettbewerbskommis-<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006
sarin befürwortet deshalb die Bildung europäischer Champions oder,<br />
noch besser, globaler Champions mit Sitz in der Europäischen Union.<br />
Auch die EU-Mitgliedstaaten sind für europäische Champions –<br />
solange diese aus dem eigenen Land stammen – und dagegen, wenn<br />
<strong>ein</strong> „nationales Unternehmen“ durch <strong>ein</strong> „ausländisches“ übernommen<br />
zu werden droht. Regierungen begründen ihre Aktivitäten<br />
zum Schutz nationaler Unternehmen dabei mit der Sicherung der<br />
Unabhängigkeit ihrer Energieversorgung, also mit <strong>ein</strong>er strategischen<br />
Funktion. Wir befinden uns damit in <strong>ein</strong>er neuen Phase nationalen<br />
Protektionismus und sehen uns konfrontiert mit Blockadehaltungen<br />
von Regierungen gegen Unternehmen, die ihren Standort in anderen<br />
EU-Mitgliedstaaten haben – vom europäischen Gedanken ist so im<br />
politischen Alltag nicht viel geblieben! Die Europäische Kommission<br />
nimmt die Prüfung von Fusionen sehr ernst. Europäische Fusionskontrolle<br />
hat aber dort ihre Grenzen, wo sich die Aktivitäten der<br />
betroffenen Konzerne nicht überlappen. Bei nationalen Übernahmen<br />
hat die Europäische Kommission nach geltender Rechtslage – die<br />
noch aus den Zeiten <strong>ein</strong>er ungleich kl<strong>ein</strong>eren EU stammt – überhaupt<br />
nichts zu beschließen oder zu genehmigen, solange <strong>ein</strong>es<br />
der beteiligten Unternehmen nicht mehr als <strong>ein</strong> Drittel s<strong>ein</strong>es<br />
Umsatzes in <strong>ein</strong>em anderen Mitgliedsland macht. Hier sind die<br />
betroffenen Mitgliedstaaten ganz all<strong>ein</strong> verantwortlich, zuständig<br />
und genehmigungsrelevant – was die Wettbewerbskommission gerne<br />
ändern würde.<br />
Energie – <strong>ein</strong> strategisches Gut<br />
Die Europäische Union befindet sich in <strong>ein</strong>er entscheidenden Phase<br />
der Neustrukturierung der europäischen Energiewirtschaft. Jetzt<br />
werden die Weichen dafür gestellt, welche europäischen Großkonzerne<br />
in Zukunft in Europa und weltweit <strong>ein</strong>e Rolle spielen<br />
werden. Dabei ist <strong>ein</strong>e Verquickung von Staaten mit Unternehmen<br />
gegeben, direkt über Beteiligungen, indirekt durch „Schutzmaßnahmen“<br />
der Nationalregierungen, zum Schutze nationaler Arbeitsplätze,<br />
Investitionen etc. Tatsächlich war Energiepolitik noch nie frei<br />
von staatlicher Einflussnahme – Energie ist eben <strong>ein</strong> sehr spezielles,<br />
strategisches Gut, am ehesten noch vergleichbar mit sauberem<br />
Wasser. Heute herrscht <strong>ein</strong>e weltweite Konkurrenz um die begrenzten<br />
Energieressourcen. Dies ist <strong>ein</strong> weiterer Grund, weshalb die EU-<br />
Kommission es befürwortet, aus nationalen Champions europäische<br />
Champions zu machen, die auch im globalen Wettbewerb bestehen<br />
Vertragliche Grundlagen der EU-Energiepolitik<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />
können. Es ist auch Aufgabe der EU-Kommission, im Rahmen ihrer<br />
Möglichkeiten effektive Strukturen der europäischen Energiewirtschaft<br />
zu schaffen. Unternehmen wollen und müssen weltweit am<br />
globalisierten Markt teilnehmen, um wirtschaften zu können. Hierfür<br />
ist es kontraproduktiv, wenn Nationalstaaten versuchen, heimische<br />
Märkte abzuschotten, die Globalisierung aufzuhalten oder gar<br />
umzukehren.<br />
Energie, lange Zeit innerhalb der EU wie auch in der nationalen<br />
Politik k<strong>ein</strong> ausgesprochen relevantes und „spannendes“ Politikfeld,<br />
hat in den letzten Monaten deutlich an Bedeutung gewonnen. Mit<br />
dem Themenkomplex befassen sich heute nicht mehr nur der Energiekommissar<br />
und der Umweltkommissar, sondern u. a. auch die<br />
Wettbewerbskommissarin, der Industriekommissar und die EU-<br />
Außenkommissarin. Sogar von „Energie-NATO“, „Energie-KSZE“ und<br />
vor allem „Europäischer Energie-Außenpolitik“ ist jetzt die Rede.<br />
Ursächlich hierfür war der Gaskonflikt zwischen Russland und der<br />
Ukraine <strong>zur</strong> Jahreswende 2005/06. Seitdem Moskau die Energieressource<br />
Gas als politische Waffe zu nutzen versuchte und es in<br />
der Folge auch zu Gaslieferengpässen in Mitgliedstaaten der EU kam,<br />
ist energiepolitisch nichts mehr wie es war. So zynisch es klingen<br />
mag: Der Ukraine-Gas-Konflikt hat die europäische Diskussion über<br />
Versorgungssicherheit und Abhängigkeit um <strong>ein</strong>en Quantensprung<br />
vorangebracht. Die Liberalisierung der Energiemärkte wurde aus<br />
den Schlagzeilen verdrängt. Auch wenn Russlands Präsident Putin<br />
jüngst erklärte, „Energie-Egoismus (sei) in der modernen,<br />
interdependenten Welt <strong>ein</strong>e Sackgasse“: Heute hat die Europäische<br />
Union es offensichtlich mit Problemen, Herausforderungen und<br />
Zuständen zu tun, die <strong>ein</strong>e erhebliche Bedrohung darstellen und <strong>ein</strong>e<br />
starke gem<strong>ein</strong>same EU-Energiepolitik der Mitgliedstaaten, die sich<br />
nicht nur auf die EU-interne Markt- und Wettbewerbspolitik<br />
beschränkt, zwingend notwendig werden lässt. Dies zeigt sehr<br />
deutlich und nachhaltig die politische Diskussion des neuesten Grünbuchs<br />
der Europäischen Kommission <strong>zur</strong> Europäischen Energiepolitik.<br />
Das EU-Grünbuch <strong>zur</strong> Europäischen Energiepolitik<br />
Die Idee zum Grünbuch „Eine europäische Strategie für nachhaltige,<br />
wettbewerbsfähige und sichere Energie“ war schon vor dem Ukraine-<br />
Folgende wichtige Vertragswerke bzw. Institutionen standen an den Anfängen der heutigen Europäischen Union EU, der früheren Europäischen Gem<strong>ein</strong>schaft<br />
EG bzw. Europäischen Wirtschaftsgem<strong>ein</strong>schaft EWG:<br />
■ Der Pariser Vertrag über die Europäische Gem<strong>ein</strong>schaft für Kohle und Stahl, EGKS, wurde 1951 gegründet und war zeitlich bis 2002 befristet.<br />
Mit der EGKS, auch Montanunion genannt, wurde die Kohle- und Stahlproduktion staatlicher Kontrolle entzogen und in <strong>ein</strong>en gem<strong>ein</strong>samen Markt<br />
überführt. Die Erzeugung sollte auf höchstem Leistungsstand rationell verteilt, die Beschäftigung gesteigert, der Lebensstandard verbessert und<br />
die Wirtschaft ausgeweitet werden.<br />
■ Die Europäische Atomgem<strong>ein</strong>schaft EURATOM, welche zeitgleich mit den Römischen Verträgen über die Europäische Wirtschaftsgem<strong>ein</strong>schaft<br />
EWG 1957 gegründet wurde. Ihre Aufgabe ist es, durch die „Schaffung der für die schnelle Bildung und Entwicklung von Kernindustrien erforderlichen<br />
Voraussetzungen <strong>zur</strong> Hebung des Lebensstandards und <strong>zur</strong> Entwicklung der Beziehungen mit anderen Ländern beizutragen“.<br />
Kohle und Atom waren damals, in den 50er Jahren, offensichtlich von herausragender Bedeutung für die Energie- und Wirtschaftspolitik, zum Wiederaufbau<br />
der Industrien nach dem 2.Weltkrieg und als Beitrag <strong>zur</strong> Unabhängigkeit vom Erdöl. Vor diesem Hintergrund verzichteten s<strong>ein</strong>erzeit die Mitgliedstaaten<br />
der Gem<strong>ein</strong>schaft auf nationale Souveränitäten. Für die übrigen Energieträger war der EG-Vertrag politische Handlungsgrundlage.<br />
Mit diesen Zuständigkeiten begann die Europäische Union vor Jahren die Liberalisierung des Energiebinnenmarktes – 1996 für Elektrizität und 1998<br />
für Gas. Die Energiemärkte für Elektrizität und Gas sollten dabei ab 01.07.2004 für alle Nichthaushaltskunden und ab 01.07.2007 für alle Kunden<br />
vollständig dem Wettbewerb geöffnet s<strong>ein</strong>.<br />
9
STROM OHNE GRENZEN<br />
10<br />
WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />
Konflikt geboren; sie geht auf den EU-Gipfel in Hampton Court im<br />
Oktober 2005 <strong>zur</strong>ück, auf dem von der Britischen Ratspräsidentschaft<br />
<strong>ein</strong>e Europäische Energiepolitik thematisiert worden war. Das<br />
nunmehr vorliegende Grünbuch wäre ohne den Ukraine-Konflikt<br />
aber so gewiss nicht geschrieben worden und stände auch nicht so<br />
sehr in der öffentlichen Diskussion und Wahrnehmung. Das Grünbuch<br />
versucht, die Grundzüge der künftigen europäischen Energiepolitik<br />
festzuschreiben. Energie und Energiesicherheit stehen<br />
dabei im Zentrum der Überlegungen. Es werden praktisch alle<br />
Themen angesprochen, die aus Sicht der EU-Kommission europäisch<br />
und nicht mehr national zu regeln sind – und dies sind nicht die<br />
all<strong>ein</strong>igen Auffassungen des zuständigen Energiekommissars<br />
Piebalgs: Wurden die ersten Entwürfe des Grünbuches im Kabinett<br />
Piebalgs geschrieben, stammt die letzte Fassung aus dem direkten<br />
Umfeld des EU-Kommissionspräsidenten Barroso, ist also <strong>zur</strong><br />
„Chefsache“ geworden. Am 08.März 2006 veröffentlichten denn auch<br />
Barroso und Piebalgs gem<strong>ein</strong>sam in Brüssel das Grünbuch für <strong>ein</strong>e<br />
Europäische Energiepolitik [1].<br />
In diesem Grünbuch wird skizziert, wie die Europäische Energiepolitik<br />
die drei zentralen Ziele nachhaltige Entwicklung, Wettbewerbsfähigkeit<br />
und Versorgungssicherheit erreichen könnte.<br />
Barroso spricht in diesem Zusammenhang auch von der Trias Kyoto<br />
– Lissabon – Moskau. Das Grünbuch „Eine europäische Strategie für<br />
nachhaltige, wettbewerbsfähige und sichere Energie“ nennt hierzu<br />
sechs vorrangige Bereiche mit Maßnahmenvorschlägen:<br />
■ Vollendung des Energiebinnenmarktes für Strom und Gas, u. a.<br />
Einführung <strong>ein</strong>es Europäischen Energienetz-Kodex, Schaffung <strong>ein</strong>er<br />
europäischen Regulierungsbehörde und <strong>ein</strong>es Europäischen Zentrums<br />
für Energienetze.<br />
■ Versorgungssicherheit im Energiebinnenmarkt/Solidarität, u. a.<br />
Schaffung <strong>ein</strong>er europäischen Stelle <strong>zur</strong> Beobachtung der Energieversorgung<br />
und <strong>ein</strong>es europäischen Zentrums für Energienetzwerke,<br />
regelmäßige und transparente Veröffentlichung des Stands der Erdölvorräte<br />
der Gem<strong>ein</strong>schaft, Entwicklung von Mechanismen <strong>zur</strong><br />
gegenseitigen Hilfe bei Infrastrukturausfällen.<br />
■ Nachhaltig ausgerichteter Energieträgermix, u. a. Analyse der EU-<br />
Energiestrategie und aller Energieträger bezüglich ihres Beitrages<br />
zu Erreichung der energiepolitischen Ziele, Debatte über den<br />
zukünftigen europäischen Energieträgermix, Festlegung <strong>ein</strong>es<br />
Minimalanteils sicher verfügbarer <strong>CO</strong> 2 -armer Energiequellen als<br />
Referenz für nationale Energiepolitik.<br />
■ Ein integrierter Ansatz für Klimaschutz, u. a. Beibehaltung und<br />
Ausbau der internationalen Vorreiterrolle der EU (u. a. Emissionshandel),<br />
verstärkte Nutzung erneuerbarer Energiequellen (Road Map)<br />
und Verbesserung der Energieeffizienz, <strong>CO</strong> 2 -Sequestrierung und<br />
unterirdischen Speicherung.<br />
■ Innovation, u. a. strategischer Plan für Energietechnologien.<br />
■ kohärente Energieaußenpolitik, u. a. Überprüfung der EU-Energiestrategie,<br />
Integration energiepolitischer Ziele in Außen-, Handelsund<br />
Entwicklungspolitik, Sicherung und Diversifizierung der Energieversorgung,<br />
Energiepartnerschaften und Dialog mit Erzeugerund<br />
Transitländern (explizit Russland).<br />
Deutlich ist das Bemühen der Kommission, die mit dem Gaskonflikt<br />
Russland/Ukraine <strong>zur</strong> Jahreswende offenbar gewordene internationale<br />
Dimension der Energiepolitik dazu zu nutzen, de facto mehr<br />
Kompetenzen für <strong>ein</strong>e Europäische Energiepolitik zu erhalten und<br />
die EU25-Staaten auf <strong>ein</strong>e gem<strong>ein</strong>same Energiestrategie <strong>ein</strong>zuschwören.<br />
In der Konsequenz der Verwirklichung der Ideen dieses<br />
Grünbuches müssten die EU-Mitgliedstaaten auf nationale Kompetenzen<br />
zugunsten der EU verzichten. Das Grünbuch könnte damit<br />
zu <strong>ein</strong>em Wendepunkt der europäischen Energiepolitik werden und<br />
dazu beitragen, dass die EU <strong>ein</strong>e internationale Bedeutung auf diesem<br />
Gebiet bekommt, die ungleich höher ist als die Addition von 25 mehr<br />
oder weniger verschiedenen nationalen Energiepolitiken. „Die grundlegendste<br />
Frage ist die, ob Einvernehmen darüber herrscht, dass<br />
<strong>ein</strong>e neue, gem<strong>ein</strong>same europäische Energiestrategie entwickelt<br />
werden muss, und ob Nachhaltigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und<br />
Sicherheit die zentralen Prinzipien s<strong>ein</strong> sollten, die dieser Strategie<br />
zugrunde liegen“ [2]. Die Kommission möchte „die Freiheit der Mitgliedstaaten,<br />
zwischen verschiedenen Energiequellen zu wählen,<br />
mit dem Erfordernis der EU insgesamt, über <strong>ein</strong>en Energieträgermix<br />
zu verfügen, der ihren zentralen Zielen im Energiebereich gerecht<br />
wird, verbinden“ [3].<br />
Die Europäische Kommission spricht also schon davon, dass die Wahl<br />
des Energieerzeugungsmix den Mitgliedstaaten überlassen bleiben<br />
soll. Gleichzeitig wird aber darauf hingewiesen, dass nationale Energiemarktentscheidungen<br />
<strong>ein</strong>es Mitgliedstaates die Energiepolitik und<br />
-sicherheit anderer EU-Staaten und der Europäische Union insgesamt<br />
be<strong>ein</strong>flussen. Wenn die Europäische Union mit <strong>ein</strong>er gem<strong>ein</strong>samen<br />
Stimme in Energiefragen sprechen würde, könnte sie die globale Energiedebatte<br />
mitbestimmen. Grundsätzlich stellt sich immer die Frage,<br />
auf welcher Ebene sich <strong>ein</strong>e politische Herausforderung besser lösen<br />
lässt, national oder europäisch? Diese Frage nach der Subsidiarität<br />
lässt sich bezüglich Energie heute aber <strong>ein</strong>deutig beantworten: Die<br />
Zeiten nationaler Energiepolitik sind vorbei. Die EU benötigt deshalb<br />
<strong>ein</strong>e kohärente europäische Energiepolitik, die in sich geschlossen<br />
ist und nicht nur die Addition von 25 nationalen Energiepolitiken –<br />
nationalen Energiepolitiken, die sich sehr oft gar nicht addieren lassen,<br />
da sie sich z. T. elementar widersprechen!<br />
Derzeit werden die verschiedenen Energieträger wie z. B. Kohle, Kernkraft,<br />
Wind, Gas, Biomasse, Wasserkraft, Sonnenenergie oder Geothermie<br />
national innerhalb der Europäischen Union z. T. grundlegend<br />
unterschiedlich <strong>ein</strong>geschätzt, protegiert oder be- bzw. verhindert. Bei<br />
diesen politischen Gegensätzen ist <strong>ein</strong>e Europäische Energiepolitik<br />
nur schwer vorstellbar. Dabei müsste doch <strong>ein</strong>e ausgeglichene Versorgung<br />
aus vielen Quellen für alle nur Vorteile haben? Braucht die<br />
Welt, braucht Europa nicht alle Energieträger-Quellen, alle verfügbaren<br />
Optionen? Es gibt k<strong>ein</strong>en optimalen Energieträger, alle haben<br />
ihre unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten, Vor- und Nachteile,<br />
Abhängigkeiten, kurz- und langfristige Kosten. Nur <strong>ein</strong> breiter Energiemix<br />
kann Risiken diversifizieren und <strong>ein</strong>seitige Abhängigkeiten<br />
begrenzen – sowohl von <strong>ein</strong>zelnen Energieträgern als auch von entsprechenden<br />
Exportstaaten. Die Europäische Union ist bereits heute<br />
der weltweit größte Energieimporteur, und die Kommission erwartet<br />
<strong>ein</strong>en weiteren Anstieg der Abhängigkeit von Energieimporten, von<br />
50 % im Jahre 2000 auf etwa 70 % bis 2030!<br />
Diesem Grünbuch kommt deshalb schon jetzt <strong>ein</strong> sehr hoher Stellenwert<br />
in der Geschichte der Energiepolitik der Europäischen Union<br />
zu. Das Papier wurde unmittelbar nach s<strong>ein</strong>er Veröffentlichung<br />
bereits auf der Sondersitzung des Energieministerrates am<br />
14.03.2006 in Brüssel diskutiert und schnell von nationalen<br />
Regierungen – überwiegend negativ – kommentiert. Auch der<br />
Europäische Rat, das Gremium der Staats- und Regierungschefs der<br />
25 EU-Mitgliedstaaten, hat das Papier bereits auf der Tagesordnung<br />
der Sitzung vom 23./24.03.2006 behandelt. Das Grünbuch ist<br />
nunmehr bis zum September 2006 Gegenstand <strong>ein</strong>es öffentlichen<br />
Konsultationsprozesses. Im Gegensatz zu ersten Vermutungen hat<br />
jüngst Kommissar Piebalgs erklärt, dass diesem Grünbuch, als Mitteilung<br />
der Kommission <strong>zur</strong> Diskussion, k<strong>ein</strong> „Weißbuch“ folgen<br />
wird, die Kommission also k<strong>ein</strong>e förmlichen Vorschläge für <strong>ein</strong> konkretes<br />
Tätigwerden der Gem<strong>ein</strong>schaft machen wird. Damit dürfte<br />
die Kommission bereits auf die Kritik verschiedener Mitgliedstaaten<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006
eagiert haben, die deutlich gemacht hatten, nicht dazu bereit zu<br />
s<strong>ein</strong>, weitere energiepolitische Kompetenzen an die Europäische<br />
Kommission abzugeben. Stattdessen hat Piebalgs nunmehr <strong>ein</strong>en<br />
Aktionsplan angekündigt. Zum Jahresende wird <strong>ein</strong> umfassendes<br />
Papier der Kommission zu erwarten s<strong>ein</strong>, in dem dann sehr konkrete<br />
Maßnahmen vorgeschlagen werden. Ein Aktionsplan muss<br />
dabei nicht weniger ambitioniert s<strong>ein</strong> als <strong>ein</strong> Weißbuch. Wird es<br />
gelingen, zu <strong>ein</strong>em Kompromiss zu gelangen, der zumindest <strong>ein</strong>e<br />
europäischere Energiepolitik möglich werden lässt? Oder bleibt es<br />
bei <strong>ein</strong>em mehr oder weniger unabgestimmten Sammelsurium 25<br />
verschiedener Energiepolitiken, das zwar EU-Energiepolitik genannt<br />
wird, aber eben weiterhin k<strong>ein</strong> in sich geschlossenes strategisches<br />
Vorgehen b<strong>ein</strong>haltet?<br />
Die EU braucht <strong>ein</strong>e geschlossene, in sich abgestimmte Europäische<br />
Energiepolitik – hier sind die Mitgliedstaaten gefordert, sich <strong>ein</strong>en<br />
Ruck zu geben. Dies bedeutet aber nicht nur, dass die nationalen<br />
Energiepolitiken zumindest eng abgestimmt werden müssen. Es<br />
dürfen in Brüssel auch nicht Green Papers, White Papers, Guidelines<br />
usw. generiert werden, die mit<strong>ein</strong>ander z. T. kaum kompatibel sind.<br />
Hierauf geht das Grünbuch wie auch die bisherige Diskussion s<strong>ein</strong>er<br />
Inhalte nicht <strong>ein</strong>. Der Europäische Verband der Elektrizitätswirtschaft<br />
EURELECTRIC hatte hierzu schon im letzten Jahr in <strong>ein</strong>em<br />
umfassenden Papier dokumentiert, welche wesentlichen<br />
Ungereimtheiten vorhanden sind. Hier gibt es noch Handlungs- und<br />
Optimierungsbedarf, der diesmal aber vor allem an die Adresse<br />
der Europäischen Kommission, nicht an die EU-Mitgliedstaaten und<br />
Staats- und Regierungschefs geht!<br />
Anspruch und Realität europäischer Energiepolitik<br />
Am Anfang des europäischen Gedankens<br />
stand das Einvernehmen darüber, in<br />
bestimmten Energiefragen auf nationale<br />
Souveränitäten zugunsten gem<strong>ein</strong>schaftlicher<br />
Politik zu verzichten. Heute ist diese<br />
Bereitschaft – und dies wäre unweigerlich<br />
die Konsequenz der Verwirklichung der<br />
Ideen des Grünbuches und vor allem auch<br />
s<strong>ein</strong>es Geistes – erkennbar begrenzter als<br />
vor 50 Jahren. International agierende<br />
Unternehmen sind in derartigen Fragen<br />
offenbar schon weiter als nationale Mitgliedstaaten<br />
der Europäischen Union.<br />
Natürlich hat nationale Energiepolitik (z. B.<br />
Netzausbau, Energieträgerauswahl, die Entscheidung<br />
für oder gegen Kohle, Kernkraft,<br />
Erneuerbare Energien etc.) staatenübergreifende,<br />
internationale Konsequenzen! Verlangen<br />
die internationalen Anforderungen –<br />
zu erwähnen sei hier nur die Ölpreisentwicklung,<br />
der Atomkonflikt mit dem Iran, die<br />
Abhängigkeit vom Gas aus Russland – nicht<br />
<strong>ein</strong>deutig nach <strong>ein</strong>er kohärenten EU-Energiepolitik?<br />
Unstrittig dürfte auch s<strong>ein</strong>, dass<br />
<strong>ein</strong>e EU international ungleich mehr zu sagen<br />
hat als <strong>ein</strong> <strong>ein</strong>zelnes EU-Mitgliedsland –<br />
unabhängig davon, wie stark es sich selbst<br />
fühlen mag. Barrosos Ziel der EU-Energiepolitik<br />
ist „die Versorgungssicherheit für ganz<br />
Europa, nicht für <strong>ein</strong>zelne Mitgliedsländer“.<br />
Dies steht aber offensichtlich im Widerspruch<br />
<strong>zur</strong> Politik und zum Selbstverständnis <strong>ein</strong>iger<br />
EU-Mitgliedstaaten. Es gibt heute nur wenige<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />
Staats- und Regierungschefs, die sich der europäischen Idee verpflichtet<br />
fühlen und so auch handeln. Tatsächlich dominieren<br />
nationale Egoismen und Egozentren, nicht nur, aber auch und<br />
vielleicht ganz besonders in der Energiepolitik. In Konkurrenz zu<br />
allen Staaten und Regionen der Erde führt aber k<strong>ein</strong> Weg an <strong>ein</strong>er<br />
geschlossenen EU-Energiepolitik vorbei, wenn der globale Wettbewerb<br />
um Ressourcen für die Europäische Union nicht verloren<br />
gehen soll. Notwendig ersch<strong>ein</strong>t <strong>ein</strong> energiepolitisches Gesamtkonzept<br />
der EU, was in der Konsequenz den Verzicht auf nationale<br />
Rechte b<strong>ein</strong>halten wird. Das ist der Preis der Europäischen Union,<br />
der Gem<strong>ein</strong>schaft, für <strong>ein</strong>e sichere Energieversorgung!<br />
Insofern wird sich am weiteren Verlauf und Ergebnis der energiepolitischen<br />
Diskussion zeigen, ob die Staatengem<strong>ein</strong>schaft tatsächlich<br />
doch noch in der Lage ist, sich globalen Herausforderungen<br />
geschlossen zu stellen. Oder ob die EU in ihre nationalen Einzelteile<br />
zerfällt und vom Gedanken gem<strong>ein</strong>schaftlicher Politik nichts bleibt.<br />
Und dies angesichts der Tatsache, dass tatsächlich schon heute 70-<br />
80 % der nationalen Legislative in Brüssel bestimmt und national<br />
nur mehr umgesetzt wird!<br />
Zynische Stimmen in Brüssel m<strong>ein</strong>en, die Mitgliedstaaten würden<br />
erst zu <strong>ein</strong>er „Energieunion“ bereit s<strong>ein</strong>, wenn es neue – dann aber<br />
hoffentlich nicht allzu – dramatische Vorfälle und Katastrophen<br />
gegeben hat, die verdeutlichen, wie beschränkt nationale Energiepolitiken<br />
in ihrer Wirksamkeit und Bedeutung sind: Blackouts, der<br />
Einsatz von Energieträgern als wirtschaftliche und als politische<br />
Waffe. Insofern kam schon der Ukraine-Gas-Konflikt <strong>ein</strong>em Weckruf<br />
gleich – zuvor war über Abhängigkeit und Erpressbarkeit von<br />
Staaten und Systemen, die über begrenzte und weltweit nachgefragte<br />
11
STROM OHNE GRENZEN<br />
12<br />
WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />
Ressourcen verfügen, aus politischer Rücksichtnahme in solcher<br />
Offenheit nicht gesprochen worden. Aber haben die Ereignisse <strong>zur</strong><br />
Jahreswende 2005/06 und die seitdem – gerade in Deutschland –<br />
geführten Diskussionen über Russland als verlässlichen Energiepartner<br />
nachhaltige Wirkung? Ist jetzt <strong>ein</strong>e wirklich europäische<br />
Energiepolitik tatsächlich machbar? Zweifel sind hier sicher<br />
angebracht, doch ist daran zu erinnern: Die EU hat schon ganz andere<br />
gem<strong>ein</strong>same Politiken durchgesetzt, deren Realisierung im Vorfeld<br />
häufig als kaum wahrsch<strong>ein</strong>lich <strong>ein</strong>geschätzt worden war. Der Euro<br />
ist hier das beste Beispiel, auch wenn noch nicht alle EU-Staaten<br />
diesen Schritt hin <strong>zur</strong> gem<strong>ein</strong>samen Währung gegangen sind.<br />
Vielleicht liegt überhaupt die Zukunft der Europäischen Union mit<br />
derzeit 25 und zukünftig wohl noch mehr Mitgliedstaaten in Mehrheitsentscheidungen?<br />
Energiepolitik für die EU-Zukunft entscheidend<br />
Es wird sich schon bald zeigen, ob die Mitgliedstaaten der Union die<br />
Zeichen der Zeit erkannt haben und Inhalt und Geist des Grünbuches<br />
folgen. Die meisten Energieressourcen sind endlich, und die Suche<br />
nach Alternativen begann weltweit viel zu spät. Lange wurden durchaus<br />
vorhandene Prognosen über die Knappheit der Energieressourcen<br />
nicht ernst genommen – auch weil sich in der Vergangenheit viele<br />
Voraussagen nicht bestätigt hatten. Rohstofflieferanten haben <strong>ein</strong><br />
gewaltiges Machtmittel in ihren Händen. Viele der endlichen und<br />
begehrten Ressourcen befinden sich in Regionen dieser Erde, die<br />
man gem<strong>ein</strong>hin als politisch wenig stabil bezeichnet. Seit wenigen<br />
Monaten spricht die Europäische Union denn auch von <strong>ein</strong>er<br />
European Energy Foreign Policy, <strong>ein</strong>er Europäischen Energie-Außenpolitik.<br />
Auch wenn manchen dies viel zu zentralistisch und<br />
europäisch ist: Lassen sich die energiepolitischen Herausforderungen<br />
dieser Tage noch national bewältigen? Energiekommissar Piebalgs:<br />
„Man muss ... die entscheidenden Fragen der Zukunft auf<br />
europäischer Ebene diskutieren.“ Wenn es der EU, den EU-Mitgliedstaaten,<br />
nicht schnell gem<strong>ein</strong>sam gelingen sollte, die<br />
anstehenden energiepolitischen Herausforderungen zu bewältigen,<br />
dann stellt sich vielleicht schon bald die Frage nach der Handlungsfähigkeit<br />
und Zukunft der Gem<strong>ein</strong>schaft überhaupt.<br />
Anmerkungen<br />
[1] Originaltitel des Grünbuches: „Green Paper „A European Strategy for Sustainable,<br />
Competitive and Secure Energy“, das gesamte Dokument findet sich unter<br />
http://europa.eu.int/comm/energy/green-paper-energy/index_en.htm<br />
[2] Grünbuch, Zitat S.5, 1. Absatz.<br />
[3] Grünbuch, Zitat S.11, 1. Absatz.<br />
Dr. R. Buttgereit, Direktor Vattenfall European Affairs Office, Brüssel<br />
r<strong>ein</strong>hold.buttgereit@vattenfall.de<br />
Dies gilt in ähnlicher Weise auch für viele andere Rohstoffe. Beispielhaft<br />
sei dies an der Preisentwicklung für Kupfer gezeigt (vgl.<br />
Abb. 1). Das Wirtschaftswachstum liegt dabei im Weltmaßstab weit<br />
über dem europäischen Niveau (vgl. Tab. 1). Ein kurzer Rückblick<br />
auf die Vertragsstrukturen in dem für die Preisentwicklung wichtigen<br />
Markt für Rohöl kann diese Entwicklung erklären [1]. Bis in die 70er<br />
Jahre wurde Rohöl im Wesentlichen von westlichen Ölgesellschaften<br />
auf der Basis langfristiger Verträge <strong>ein</strong>gekauft; an die Stelle langfristiger<br />
Verträge trat dann <strong>ein</strong>e stärkere Marktorientierung, die<br />
der größeren Vielfalt von Akteuren und dem größeren Volumen des<br />
Marktes Rechnung trug. Das Produkt Erdöl unterliegt dabei<br />
besonderen Produktionsstrukturen. Der Zeitbedarf für die<br />
Erschließung neuer Quellen ist bedeutend. Daraus folgt, dass Nachfrageschwankungen,<br />
die an die Grenzen des kurzfristigen Angebots<br />
stoßen, erhebliche Preisbewegungen <strong>zur</strong> Folge haben können. Diese<br />
auch als Preisvolatilität bezeichnete, die realen Verhältnisse auch<br />
stark überzeichnende Preisreaktion, ist für solche Marktgegebenheiten<br />
typisch. Dazu kommen die besonderen politischen Risiken in diesem<br />
Markt. Da <strong>ein</strong> bedeutender Teil der Reserven von Erdöl in politischen<br />
Krisenregionen liegt, können daraus zusätzliche Verstärkungen marktbedingter<br />
Preisbewegungen resultieren, die u. a. die Erwartungen<br />
der Marktteilnehmer widerspiegeln.<br />
Schließlich können sich auch die Finanzmärkte die Preisbewegungen<br />
zunutze machen, um aus erwarteten Preisdifferenzen Renditen für<br />
Kapitalanlagen abzuleiten. Zwar ändert dies an der realen Angebots-<br />
Nachfragekonstellation nichts, andererseits können die von Finanzinstitutionen<br />
veröffentlichten Erwartungen <strong>zur</strong> Preisentwicklung<br />
die Erwartungen der Marktteilnehmer verändern und damit –<br />
zumindest für begrenzte Zeiträume – das Geschehen an den realen<br />
Märkten auch tatsächlich be<strong>ein</strong>flussen.<br />
Sonderstellung der Rohstoffmärkte<br />
Rohstoffmärkte sind also in gewisser Weise „Märkte pur“. Für viele<br />
andere Märkte von Gütern und Dienstleistungen ist dagegen eher<br />
Preiskonstanz und periodische Preiskorrektur typisch, wobei die<br />
regelmäßig stattfindende Preiskorrektur häufig das Risiko von Preisänderungen<br />
zu antizipieren versucht, um damit die Intervalle<br />
zwischen Preiskorrekturen möglichst lang zu halten. Durch starke<br />
Tab. 1: Wachstumsraten des realen Bruttoinlandsprodukts<br />
gewichtet mit Kaufkraftparitäten<br />
2004* 2005** 2006**<br />
OECD: 3,3 2,7 2,7<br />
Nord Amerika 4,1 3,4 3,2<br />
Europa 2,7 1,8 2,1<br />
Pazifik 2,8 3 2,9<br />
Entwicklungsländer: 6,2 5,7 5,3<br />
Afrika 5,1 5 5,6<br />
Lat<strong>ein</strong>amerika & Karibik 5,8 4,3 4,1<br />
Asien & Ozeanien 6,7 6,3 5,7<br />
OPEC 7,1 6,3 5,4<br />
GUS 8,4 6,5 6<br />
China 10,1 9,9 8,7<br />
Welt 5,2 4,6 4,4<br />
* geschätzt; ** Prognose • Quelle: OPEC Market Indicators, 02/2006<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006
Zu den Fundamentaldaten der<br />
Energiepreisentwicklung<br />
Wolfgang Pfaffenberger<br />
Die Weltwirtschaft ist im Wandel. Insbesondere in den Ländern mit <strong>ein</strong>er nachholenden Entwicklung wächst das Bruttoinlandsprodukt<br />
stark an. Dies findet zum Teil in Bereichen statt, die hochgradig materialintensiv oder mit <strong>ein</strong>em wachsenden Energieverbrauch<br />
verbunden sind. Während man in den 70er Jahren bei uns von der Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch<br />
zu sprechen begann, befinden sich <strong>ein</strong>ige der Länder mit nachholender Entwicklung in <strong>ein</strong>er Phase, in der<br />
überproportionaler Energieverbrauch sowohl Wachstumsvoraussetzung wie auch Wachstumsfolge ist. Die damit verbundenen<br />
Veränderungen der Angebots-/Nachfrageverhältnisse auf den Märkten für Rohstoffe führten zwar bisher nicht zu echten Versorgungsengpässen,<br />
haben aber auf der anderen Seite in erheblichem Maße die Preise be<strong>ein</strong>flusst. Die Märkte für Energierohstoffe<br />
werden dadurch tendenziell zu Verkäufermärkten.<br />
Preisbewegungen werden die Planung von Einkaufs- und Produktionsentscheidungen<br />
in vielen Bereichen und auch die Interaktion<br />
zwischen Lieferanten und Abnehmern <strong>ein</strong>er Belastungsprobe<br />
ausgesetzt. Denn solche starken Preisänderungen führen zu <strong>ein</strong>em<br />
Margen- bzw. Vermögenstransfer, der früher getätigte Planungen<br />
obsolet macht.<br />
Derzeit werden gerne Botschaften vom Ende des Zeitalters der fossilen<br />
Energie kundgetan, die in ähnlicher Weise in den letzten hundert<br />
Jahren schon häufiger vernommen werden konnten, nämlich immer<br />
dann, wenn die Preise höhere Knappheit signalisiert haben. Es ist<br />
gängige Praxis, die gegenwärtige Situation in die Zukunft zu verlängern,<br />
um sich <strong>ein</strong> Bild von der zukünftigen Entwicklung zu<br />
machen. Diese Praxis ist umso robuster, je kürzer die betrachtete<br />
zukünftige Zeitspanne ist. In der Energieversorgung geht es jedoch<br />
aufgrund der kapitalintensiven Infrastrukturen um langfristige<br />
Zeiträume. Lassen sich auf den gegenwärtigen Preisinformationen<br />
Zukunftserwartungen aufbauen, die auch die Basis für lange in<br />
die Zukunft reichende Investitionen bilden?<br />
Abb. 2 [2] zeigt die Entwicklung des Ölpreises seit 1860 ausgedrückt<br />
in konstanten Dollar. Die Niedrigpreisphase in der Zeit nach dem<br />
zweiten Weltkrieg endete in den 70er Jahren mit den Ölpreiskrisen.<br />
Die Preise stiegen damals noch weit über das heutige Niveau. Die<br />
Niedrigpreisphase begann wieder 1985 und endete nach knapp 15<br />
Jahren zu Beginn dieses Jahrtausends (vgl. Abb. 3). Als Folge der<br />
hohen Preise gingen damals Produktion und Verbrauch <strong>zur</strong>ück.<br />
Danach stieg die Produktion wieder allmählich an und in den letzten<br />
Abb. 1 Kupferpreis, Jahresdurchschnitt Quelle: Westmetall, 1. Quartal 2006 Abb. 2 Realer Rohölpreis seit 1860<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />
Jahren haben wir starke Zuwächse bei Verbrauch und Produktion<br />
zu verzeichnen. In den 70er Jahren war die M<strong>ein</strong>ung verbreitet,<br />
das Ende des Ölzeitalters sei gekommen. Die nachgewiesenen<br />
Reserven von Öl sind jedoch seitdem stärker gestiegen und liegen<br />
heute etwa bei dem Doppelten des Werts von 1980. Ähnliches gilt<br />
in verstärktem Maße auch für Erdgas (vgl. Abb. 4 und 5).<br />
Auf der Basis von Reserven und gegenwärtiger Produktion wird<br />
die statische Reichweite der Reserven ermittelt. Diese liegt heute auf<br />
dem gleichen Niveau wie vor 15 oder 30 Jahren. Die Botschaft vom<br />
Ende des Ölzeitalters ist also heute genauso „wahr“ wie damals. Dies<br />
muss man sich bei der Bewertung der Zusammenhänge vor Augen<br />
führen. Ein relativer Rückgang der Nachfrage verbunden mit <strong>ein</strong>em<br />
Platzen der mit der Ölpreisentwicklung gekoppelten Finanzblase<br />
kann das Preisniveau auch wieder stark reduzieren. Preisvolatilität<br />
ist nicht auf <strong>ein</strong>e Richtung festgelegt! Für Kohle gelten aufgrund der<br />
wesentlich größeren und breiter verteilten Vorräte andere<br />
Bedingungen. Engpässe auf den Märkten bei Kohle in den letzten<br />
Jahren erklären sich in wesentlichem Umfang aus der Knappheit der<br />
Infrastrukturen im Transportbereich.<br />
Es ist deutlich darauf hinzuweisen, dass der von den Abbildungen<br />
4 und 5 suggerierte Trend <strong>ein</strong>er Parallelität der Entdeckung neuer<br />
Reserven im Gleichklang mit der steigenden Produktion natürlich<br />
nicht beliebig in die Zukunft verlängerbar ist. Für die Diskussion<br />
der gegenwärtigen Preisentwicklungen ist jedoch deutlich zwischen<br />
der gegenwärtigen Angebots-/Nachfragekonstellation <strong>ein</strong>erseits und<br />
der langfristigen Verfügbarkeit von Ressourcen zu unterscheiden.<br />
13
STROM OHNE GRENZEN<br />
14<br />
WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />
Tab. 2: Wert der Primärenergie<strong>ein</strong>fuhr<br />
Wert der Primärenergie<strong>ein</strong>fuhr*)<br />
in Mrd. € 2005<br />
Tatsächlich bei Mengen 2005<br />
1995 15.0 18.4<br />
2005 51.8 51.8<br />
Differenz 36.8 33.3<br />
Mengeneffekt 3.4<br />
Preiseffekt 33.3<br />
*) ohne Mineralölprodukte • Quelle: BAFA, eigene Berechnungen<br />
Gegenwärtig findet die Preisbildung sehr stark auf der Basis kurzfristiger<br />
Indikatoren statt. Soweit langfristige Verträge existieren,<br />
garantieren sie zwar für die Laufzeit die Verfügbarkeit, doch sind<br />
die Preise im Allgem<strong>ein</strong>en an kurzfristige Indikatoren gebunden.<br />
Etwas anderes wäre auch wirtschaftlich aus verschiedenen Gründen<br />
nicht vorstellbar: denn es würde voraussetzen, dass Anbieter z. B.<br />
bei steigenden Preisen Lieferungen für kontrahierte Mengen „unter<br />
Wert“ verkaufen müssten.<br />
Dass die gegenwärtigen Preise nicht die langfristige Knappheit ausdrücken,<br />
hat aber noch weitere Ursachen:<br />
■ Die Investitionen der Ölindustrie in die Erschließung neuer Vorkommen<br />
haben in der Zeit der niedrigen Ölpreise stark nachgelassen.<br />
Die Angebotssituation der Gegenwart ist damit das Ergebnis der<br />
Preiserwartung der Vergangenheit.<br />
■ Die Produktionskosten für Öl liegen weit unter dem gegenwärtigen<br />
Preisniveau (Abb. 6). In dem Diagramm [3] sind die Produktionskosten<br />
über den Ressourcen <strong>ein</strong>schließlich der unkonventionellen<br />
Ressourcen dargestellt.<br />
■ Steigende Preise rufen verschiedene Substitutionsvorgänge hervor<br />
(Verbesserung der Energieeffizienz, Wechsel der Energieträger,<br />
Einführung anderer Umwandlungsprozesse etc.), deren längerfristige<br />
Wirkung heute nicht bekannt ist, da im Laufe solcher Substitutionsprozesse<br />
auch neues Wissen entsteht.<br />
■ Unbekannt ist heute auch die künftige Nachfrage nach Energie,<br />
die in vielfältiger Weise mit der künftigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen<br />
Entwicklung verknüpft ist.<br />
Daraus, dass die Preise an den Märkten für Energierohstoffe nicht<br />
die langfristige Knappheit zum Ausdruck bringen, sondern das<br />
jeweilige aktuelle Marktgeschehen reflektieren, folgt aber, dass entgegen<br />
dem, was heute täglich in der Zeitung zu lesen ist, k<strong>ein</strong>eswegs<br />
davon auszugehen ist, dass die Preise für Energierohstoffe langfristig<br />
stabil auf dem heutigen Niveau verbleiben. Man kann sich viele<br />
Abb. 3 Rohölpreis der letzten 20 Jahre Abb. 4 Nachgewiesene Reserven und Produktion von Erdöl<br />
Abb. 5 Nachgewiesene Reserven und Produktion Erdgas Abb. 6 Produktionskosten von Öl<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006
Szenarien vorstellen, bei denen Schwankungen des Wirtschaftswachstums<br />
auch in den Ländern mit nachholender Entwicklung<br />
zu reduziertem Nachfragewachstum nach Energie führen und damit<br />
Überschießeffekte der Angebotsseite hervorrufen können, wie dies<br />
etwa 1998 der Fall gewesen ist. In den letzen Jahren war es weniger<br />
das Niveau der Energienachfrage, dass die Preise getrieben hat,<br />
als der starke kurzfristige Zuwachs. Dies sei an der Entwicklung<br />
in China demonstriert: Die Abb. 7 zeigt die Entwicklung von Ölverbrauch<br />
und Produktion in China seit 1993. Während China bis zu<br />
Beginn der 90er Jahre bei Öl autark war, ist der Ölverbrauch<br />
inzwischen stark angestiegen. China ist inzwischen nach den USA<br />
der zweitgrößte Ölverbraucher der Welt. Die Abb. 8 zeigt den Zuwachs<br />
des Ölverbrauchs nach Ländergruppen. Die Abb. 9 den Zuwachs des<br />
Gasverbrauchs. Deutlich zeigt sich der starke Anstieg bei den Ländern<br />
mit nachholender Entwicklung, während in den Industrieländern<br />
der Verbrauch nur langsam wächst. Es ist anzunehmen, dass die<br />
Märkte auf größere Zuwächse überproportional stark reagieren. Setzt<br />
man den Zuwachs des Energieverbrauchs der letzten Jahre weltweit<br />
in Zusammenhang mit der Entwicklung des Ölpreises, so zeigt sich<br />
dieser Zusammenhang deutlich (Abb. 10).<br />
Entwicklung in Deutschland<br />
Der Anstieg der Weltmarktpreise, die in Dollar notiert werden, wirkt<br />
sich korrigiert um eventuelle Wechselkursänderungen aus. Tab. 2<br />
zeigt die Veränderung des Werts der Energieträgerimporte. Kor-<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />
rigiert um den Mengeneffekt haben sie zwischen 1995 und 2005 um<br />
ca. 33 Mrd. € zugenommen (in konstanten Euro von 2005). Pro Kopf<br />
der Bevölkerung sind dies ca. 400 € und bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt<br />
ca. 1,5 %. Die Ausgaben der Haushalte für Energie<br />
(ohne Kraftstoffe, vgl. Tab. 3) sind zwischen 1996 und 2005 um<br />
145 € gestiegen (Mengen- und Preiseffekt, der Preiseffekt ließ sich<br />
nicht trennen). Im gleichen Zeitraum gab es aber zusätzliche<br />
Abb. 7 Produktion und Verbrauch von Erdöl in China Abb. 8 Veränderung des Ölverbrauchs nach Ländergruppen<br />
in Mio. t<br />
Abb. 9 Veränderung des Erdgasverbrauchs nach Ländergruppen<br />
in Mio. toe<br />
Tab. 3: Entwicklung der jährlichen Energieausgaben<br />
der Haushalte, ohne Kraftstoffe in €.<br />
Ausgaben 1996 1173<br />
Ausgaben 2005 1318<br />
Differenz 145<br />
Zusätzliche Steuern / Umlagen<br />
Stromsteuer 71<br />
Erdgas-/Heizölsteuer 70<br />
Umlage für Regenerative 24<br />
Total 165<br />
Die Werte sind <strong>zur</strong> Vergleichbarkeit in € von 2005 umgerechnet<br />
Quelle: BMWi, eigene Berechnungen<br />
Abb. 10 Veränderung des Energieverbrauchs und realer Ölpreis<br />
15
STROM OHNE GRENZEN<br />
16<br />
WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />
steuerliche Belastungen in Höhe von 165 €, die höher sind als die<br />
Mehrausgaben.<br />
Das Preisniveau in Deutschland für Endverbraucher von Energie<br />
liegt aufgrund der Besteuerung über dem Preisniveau der Energieträger.<br />
Zur Begründung der Ökosteuer wurde ausgeführt: „Fossile<br />
Energien sind <strong>ein</strong> knappes und endliches Gut. Zudem entstehen bei<br />
ihrer Verbrennung Treibhausgase, die in die Atmosphäre entweichen<br />
und somit zum Treibhauseffekt und der globalen Erwärmung<br />
beitragen. Die daraus resultierenden Kosten der Gesellschaft für<br />
Klimaschutzmaßnahmen und die Beseitigung von Umweltschäden<br />
sind in den Preisen nicht enthalten. Die Preise für die Nutzung der<br />
meisten Energieträger sind deshalb langfristig zu niedrig, weil sie<br />
nur <strong>ein</strong>en Teil ihrer wahren Kosten widerspiegeln“[4].<br />
Mit der Einführung des Zertifikatehandels für <strong>CO</strong> 2 ergibt sich<br />
nunmehr systemwidrig <strong>ein</strong>e zweifache Einrechnung der Umweltkosten.<br />
Die Abb. 11 zeigt die implizite <strong>CO</strong>2-Steuer der Energieträger.<br />
Da die Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen in den <strong>CO</strong> 2 -<br />
Zertifikatehandel <strong>ein</strong>bezogen ist, ergibt sich für Stromverbraucher<br />
nunmehr <strong>ein</strong> impliziter <strong>CO</strong> 2 -Preis von 50-60 €/t je nach Preis der<br />
<strong>CO</strong> 2 -Zertifikate und der Überwälzung auf den Strompreis.<br />
Anmerkungen<br />
[1] Vgl. Robert Mabro: The International Oil Price Regime: Origins, Rationale and Assessment,<br />
in: Journal of Energy Literature, 1, 2005, 3 -20.<br />
Abb. 11 Die Ökosteuer als <strong>CO</strong> 2 -Steuer; (Strom soweit voll besteuert)<br />
[2] Quelle für die Abb. 2-5 und 7-10: BP.<br />
[3] Nach Shell, Energy Needs, Choices and Possibilities, 2001. Die Werte wurden auf US$<br />
von 2004 umgerechnet.<br />
[4] BMU (Febr. 2004), Die ökologische Steuerreform.<br />
Prof. Dr. W. Pfaffenberger, Professor of Economics (European Utility<br />
Management), International University Bremen<br />
w.pfaffenberger@iu-bremen.de<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006
Alternativen in <strong>ein</strong>em unruhigen Markt<br />
Jürgen Grohmann<br />
In Zeiten stark volatiler Preise richtet sich der Blick der Unternehmen zunehmend auf die Energiekosten. Strukturierte Beschaffung<br />
und Beschaffungs-Portfolien können helfen, die mit stark schwankenden Energiepreisen verbundenen Risiken zu mindern.<br />
Jedoch kann dies nur gelingen, wenn das Unternehmen über ausreichende Organisationsstrukturen und <strong>ein</strong> stabiles<br />
Risikomanagement verfügt. Die Weitergabe dieser Aufgaben an <strong>ein</strong>en spezialisierten Dienstleister kann dabei zu <strong>ein</strong>er signifikanten<br />
Entlastung unternehmenseigener Ressourcen führen und die Qualität des Beschaffungs- und Portfoliomanagements gewährleisten.<br />
In den vergangenen 15 Monaten hat sich nicht nur der europäische<br />
Strommarkt, sondern auch das energiewirtschaftliche Umfeld erheblich<br />
gewandelt. Die Entwicklungen im Energiemarkt waren von teils<br />
dramatischen Entwicklungen bei den Roh- und Grundstoffen wie<br />
z. B. Stahl oder Aluminium begleitet.<br />
Der Markt für Strom und <strong>CO</strong> 2 ist im Vergleich zu anderen Commodity-<br />
Märkten (z. B. Öl, Gold, Weizen) noch sehr jung. In vielen Bereichen<br />
fehlt es noch an Datenmaterial, um langfristige Zeitreihenanalysen<br />
durchzuführen. Der Anstieg der Preise im europäischen Strommarkt<br />
und die Zunahme der Volatilität haben <strong>ein</strong>e Vielzahl von Ursachen<br />
und können nicht mit <strong>ein</strong>em angeblich noch nicht ausreichend entwickelten<br />
Handelsmarkt begründet werden. Abb. 1 zeigt die Preisentwicklung<br />
in Deutschland im Laufe des Jahres 2005, wobei wesentliche<br />
Ereignisse hervorgehoben wurden. Es ist deutlich zu erkennen,<br />
dass neben dem Anstieg der Preise zum Teil auch massive<br />
Schwankungen zu verzeichnen waren. Das erhebliche und nach wie<br />
vor steigende Handelsvolumen zeigt, dass der deutsche Markt gut<br />
entwickelt ist. Wie Abb. 2 zeigt, liegt das jährlich gehandelte Volumen<br />
in Deutschland derzeit bei rund 3 300 TWh. Dies entspricht etwa<br />
dem Sechsfachen des jährlichen nationalen Verbrauchs und deutet<br />
auf <strong>ein</strong>e ausreichende Liquidität.<br />
Die geschilderte Entwicklung hat <strong>zur</strong> Folge, dass der Einfluss der<br />
Energiekosten auf das Ergebnis <strong>ein</strong>es Unternehmens zunehmend<br />
in den Fokus gerät. Dabei spielt selbstverständlich die absolute Höhe<br />
der Preise <strong>ein</strong>e wesentliche Rolle. Parallel dazu werden jedoch auch<br />
verstärkt der Einfluss der Preisschwankungen auf das Unternehmensergebnis<br />
und die damit verbundenen Risiken analysiert.<br />
Dies äußert sich in <strong>ein</strong>er zunehmenden Nachfrage nach marktpreisorientierten<br />
Liefermodellen in Verbindung mit der Bereitstellung<br />
von Marktinformationen und Handlungsempfehlungen, der Unter-<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />
stützung durch die Überwachung von Transaktions- und Risikolimiten<br />
sowie der Berichterstattung <strong>zur</strong> Entwicklung des Stromportfolios.<br />
Verbindung von Vertrieb und Handel als Wettbewerbsvorteil<br />
E.ON Sales & Trading GmbH ist es durch die Fusion von Vertrieb<br />
und Handel auf Wholesale-Ebene bereits frühzeitig gelungen, sich<br />
auf die geschilderte Situation <strong>ein</strong>zustellen. Die Ver<strong>ein</strong>igung beider<br />
Kompetenzen unter <strong>ein</strong>em Dach erlaubt die Entwicklung flexibler<br />
Lösungen für Kundenprobleme und eröffnet die Möglichkeit, proaktiv<br />
neuen Situationen zu begegnen.<br />
Zur Optimierung der Kooperation von Vertrieb und Handel wurde<br />
bei E.ON Sales & Trading bereits vor <strong>ein</strong>igen Jahren <strong>ein</strong> spezialisiertes<br />
Team im Handelsressort gegründet. Dieses Team ist <strong>ein</strong>erseits fest<br />
im Handelsmarkt etabliert und räumlich auf dem Trading Floor<br />
angesiedelt, andererseits durch die Entwicklung von kundenspezifischen<br />
Lösungen intensiv in die Arbeit des Vertriebs <strong>ein</strong>gebunden.<br />
Die Teammitglieder stehen Kunden und Key Account Managern<br />
gleichermaßen als Berater <strong>zur</strong> Verfügung. Der Schwerpunkt liegt<br />
dabei auf der Bereitstellung von Marktinformationen und auf der<br />
Analyse, Entwicklung und Bewertung von Liefermodellen und deren<br />
Effekt auf die Risikosituation des Kunden. Hinzu kommt die operative<br />
Betreuung von Kundenportfolios in mittlerweile vier Ländern<br />
Europas. Die im vorangegangenen Abschnitt aufgestellte These <strong>ein</strong>er<br />
steigenden Nachfrage nach marktnahen Dienstleistungen und marktpreisorientierten<br />
Beschaffungsmodellen wird durch Abb. 3 und 4<br />
belegt. Hier ist die Entwicklung der betreuten Kundenportfolios und<br />
der abgewickelten Handelsgeschäfte im Team Kundenportfoliomanagement<br />
dargestellt. Es ist deutlich zu erkennen, dass seit 2003<br />
in allen Bereichen massive Zuwachsraten zu verzeichnen sind.<br />
Abb. 1 Historische Entwicklung der Jahreskontrakte in Deutschland Abb. 2 Ansteigendes Handelsvolumen in Deutschland<br />
19
STROM OHNE GRENZEN<br />
20<br />
WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />
Aktive Marktteilnahme von Industrie- und<br />
Versorgungsunternehmen<br />
Vor dem Schritt in die Welt der strukturierten Beschaffung und<br />
des Portfoliomanagements gilt es – unabhängig von Sektor und<br />
Branche – <strong>ein</strong>e Bestandsaufnahme des Status Quo durchzuführen.<br />
An erster Stelle ist die Frage nach der Fähigkeit <strong>zur</strong> lang- und kurzfristigen<br />
Prognose zu beantworten. Diese Fähigkeit hat zentrale<br />
Bedeutung bei der monetären Bewertung von Profil- und Volumenrisiko<br />
und bei der Entscheidung, ob diese Risiken gegen Zahlung<br />
<strong>ein</strong>er pauschalen Prämie an den Lieferanten abgegeben oder selbst<br />
getragen werden sollen. Während <strong>ein</strong> Stromanbieter immer von <strong>ein</strong>er<br />
groben Abschätzung der möglichen Entwicklung des Bedarfsprofils<br />
ausgehen muss, kann <strong>ein</strong> Unternehmen mit guter Prognosefähigkeit<br />
den monetären Effekt von Prognosefehlern und den daraus<br />
resultierenden Bedarf an Ausgleichsenergie gut selbst abschätzen.<br />
Insofern bietet <strong>ein</strong>e gute Prognosefähigkeit <strong>ein</strong> erhebliches Einsparpotenzial<br />
für den Kunden, da die bei Übernahme der genannten<br />
Risiken pauschal kalkulierten Risikoprämien entfallen. Sollte diese<br />
Fähigkeit nicht im Hause vorhanden s<strong>ein</strong>, so bleibt entweder die<br />
Möglichkeit der Vergabe der Prognoseerstellung an <strong>ein</strong>en Dienstleister<br />
oder die Verlagerung des Risikos auf den Lieferanten. In<br />
Abb. 5 sind verschiedene Beschaffungskonzepte in Bezug auf deren<br />
jeweilige Marktnähe sowie Chancen-/Risikoprofil zusammengestellt.<br />
Sofern sich <strong>ein</strong> Unternehmen dafür entscheidet, das Profil- und<br />
Volumenrisiko selbst zu tragen, muss im nächsten Schritt überlegt<br />
werden, ob es die Risiken <strong>ein</strong>er unvollständigen Abdeckung s<strong>ein</strong>es<br />
Lastprofils durch Standardhandelsprodukte übernehmen möchte.<br />
Der Vorteil bei der Verwendung von Standardhandelsprodukten liegt<br />
in deren transparentem Marktpreis, der Nachteil liegt in der im<br />
Normalfall auftretenden Short Position (Unterdeckung) in den Peakbzw.<br />
Long Positionen (Überdeckung) in den Offpeak-Stunden. Dieser<br />
Nachteil könnte durch die Integration <strong>ein</strong>er Fahrplanlieferung in das<br />
Beschaffungsportfolio kompensiert werden. Fahrpläne haben im Vergleich<br />
zu Standardhandelsprodukten jedoch <strong>ein</strong>e weitaus geringere<br />
Liquidität im Markt.<br />
Während die bisher dargestellten Aspekte sowohl für industrielle<br />
als auch für kommunal und regional aktive Unternehmen gelten,<br />
gibt es in den Funktionen des Risikomanagements zwischen diesen<br />
beiden Unternehmensgruppen erhebliche Unterschiede.<br />
Kommunal und regional aktive Unternehmen<br />
Für Unternehmen der Energiewirtschaft ist die Verzahnung der Vertriebs-<br />
mit den Beschaffungsaktivitäten von zentraler Bedeutung.<br />
Fehlende Synchronisierung dieser Aktivitäten kann zu erheblichen<br />
Delta-Positionen im Stromportfolio führen und in der momentanen<br />
Phase sehr volatiler Preise fatale Auswirkungen auf das Unternehmensergebnis<br />
haben. Vor diesem Hintergrund gilt es, das Absatzportfolio<br />
nach kl<strong>ein</strong>en (Tarif), mittleren (Sondervertrag) und großen<br />
Einzelkunden zu strukturieren.<br />
Ausgehend von dieser Struktur ist es notwendig, die jeweiligen Verträge<br />
nach Laufzeiten und Kündigungszyklen zu strukturieren,<br />
Abb. 3 Geschäftsentwicklung Portfoliomanagement TK Abb. 4 Geschäftsentwicklung Sales Trading TK<br />
Abb. 5 Grundlagen der strukturierten Beschaffung Abb. 6 Aufgabenverteilung in der Energieversorgung<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006
Abb. 7 Position in den Büchern „Hedge Vertrieb“ und „Eigenhandel“ zum 31.03.2006<br />
um <strong>ein</strong>e weitgehende Transparenz zu erhalten. Während für die<br />
Beschaffung des Stromabsatzes im Tarifsegment im Normalfall <strong>ein</strong>e<br />
<strong>ein</strong>fache Beschaffungsstrategie (z. B. Beschaffung in <strong>ein</strong>er bestimmten<br />
Anzahl äquidistanter Schritte) ausreichend ist, muss für die Segmente<br />
der mittleren und Großkunden differenzierter vorgegangen werden.<br />
Im mittleren Segment dürfte <strong>ein</strong>e Strukturierung nach Kundengruppen<br />
und Vertragslaufzeiten die sinnvollste Lösung darstellen,<br />
während im Großkundensegment die back-to-back-Beschaffung das<br />
Mittel der Wahl ist.<br />
Für die gezeigten Beschaffungsschritte ist <strong>ein</strong>e entsprechende<br />
Strategie unter Einbeziehung von Regelungen zu erlaubten Produkten,<br />
Transaktions- und Preislimiten etc. zu entwickeln und im<br />
Unternehmen zu implementieren. In der operativen Umsetzung ist<br />
die permanente Überwachung der Aktivitäten von Vertrieb und<br />
Beschaffung, die laufende Bewertung von entstehenden offenen<br />
Positionen und die Auslastung von Risikolimiten zu gewährleisten.<br />
Die wesentlichen Führungsgrößen für das Risikomanagement sind<br />
das Volumen der offenen Position und das daraus resultierende Delta-<br />
Risiko, der Value at Risk (VaR) sowie die über die offene Position<br />
erwirtschaftete Profits and Losses (P&L). Nur durch <strong>ein</strong>e laufende<br />
Risikoanalyse kann der Erfolg des Unternehmens gesichert werden.<br />
Industrielle Stromverbraucher<br />
Für Industriekunden stellt sich die Frage nach der strukturierten<br />
Beschaffung meist aus <strong>ein</strong>er anderen Perspektive. Im Normalfall<br />
geht es darum, Strom für <strong>ein</strong> langfristig prognostiziertes Lastprofil<br />
risikogesteuert unter Ausnutzung von Opportunitäten am Markt<br />
zu beschaffen. Ziel ist im Normalfall nicht, frühzeitig <strong>ein</strong>en festen<br />
Lieferpreis zu garantieren, sondern bis zu <strong>ein</strong>em bestimmten Zeitpunkt<br />
das aus der offenen Position resultierende Delta-Risiko auf<br />
<strong>ein</strong>en definierten Wert zu reduzieren, um ausreichende Budgetsicherheit<br />
zu gewährleisten. Dieser Zeitpunkt kann auch erst in<br />
der laufenden Lieferperiode liegen und ist <strong>ein</strong>zig von den<br />
Budgetierungszyklen im Unternehmen abhängig. Ansonsten ist<br />
während der Beschaffungsphase der erwartete Preis (gewichtetes<br />
Mittel aus bereits <strong>ein</strong>gedeckten Strommengen und dem mit Hilfe der<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />
Hourly Forward Curve berechneten und saldierten monetären Wert<br />
der verbleibenden offenen Positionen) <strong>ein</strong>e wesentliche Größe im<br />
Rahmen des Risikomanagements. Hinzu kommen das Delta-Risiko<br />
und der VaR der offenen Position.<br />
Fallstudien<br />
Die Erfahrung zeigt, dass viele Unternehmen am Markt agieren,<br />
ohne über ausreichende Organisationsstrukturen und <strong>ein</strong> stabiles<br />
Risikomanagement zu verfügen. Selbstverständlich ist <strong>ein</strong> hoher Einsatz<br />
erforderlich, wenn sämtliche Funktionen ohne externe Unterstützung<br />
neu in <strong>ein</strong>em Unternehmen implementiert werden sollen.<br />
Dies beginnt bei der Definition und Umsetzung der neuen Prozesse<br />
sowie bei der <strong>Modell</strong>ierung und Bewertung von Risiken und endet<br />
beim laufenden Monitoring des Marktgeschehens und der Auswirkungen<br />
auf die individuelle Unternehmenssituation.<br />
E.ON Sales & Trading hat bezüglich der erforderlichen Prozesse<br />
die nötige Erfahrung und ist auf Grund der Größe und Marktpositionierung<br />
in der Lage, intensive Marktbeobachtung und Analyse<br />
zu betreiben. Hinzu kommt, dass das Unternehmen auf Grund<br />
der eigenen Handelsaktivitäten über die entsprechende Methodenkompetenz<br />
und Werkzeuge verfügt, um Risiken zu modellieren<br />
und zu bewerten. Schon aus eigenem Interesse und für das eigene<br />
Geschäft wird laufend an der Verbesserung dieser Komponenten<br />
gearbeitet, wovon auch die Kunden von E.ON Sales & Trading profitieren.<br />
Im Folgenden sollen zwei Fallstudien die oben theoretisch diskutierten<br />
Anforderungen an das Risikomanagement mit realen<br />
Zahlen verdeutlichen.<br />
Beispiel 1:<br />
Verteilungsunternehmen mit Handelsaktivitäten<br />
Der Beschaffungs-/Handelsbereich <strong>ein</strong>es Verteilungsunternehmens<br />
hat <strong>ein</strong>erseits die Aufgabe, die im Vertrieb kalkulierten Preise sicherzustellen,<br />
also <strong>ein</strong> Beschaffungsbuch zu führen und andererseits<br />
21
STROM OHNE GRENZEN<br />
22<br />
WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />
durch das Eingehen von Risikopositionen Gewinne zu erwirtschaften.<br />
Abb. 6 zeigt die hierfür erforderliche Grundstruktur der Bücher und<br />
Aufgabenverteilung. Das Buch „Hedge-Vertrieb“ hat die Aufgabe,<br />
Vertriebspreise zu sichern, d. h. bei diesem Buch handelt es sich um<br />
<strong>ein</strong> Non-Profit-Buch. Bei Abschluss von Vertriebsverträgen beschafft<br />
der Vertrieb Fahrpläne aus dem Hedgebuch, dieses wiederum<br />
beschafft aus dem Eigenhandelsbuch im Normalfall Standardhandelsprodukte,<br />
um die verkauften Profile preislich zu sichern. Bei<br />
<strong>ein</strong>em delta-neutralen Hedge befinden sich im Hedgebuch k<strong>ein</strong>e<br />
systematischen offenen Positionen, das Risiko der Randstunden<br />
ist selbstverständlich in diesem Buch aggregiert und wird durch den<br />
Value at Risk abgebildet. So ist gewährleistet, dass k<strong>ein</strong>e signifikanten<br />
Delta-Risiken an <strong>ein</strong>er nicht überwachten Stelle im Unternehmen<br />
existieren. Zusätzlich kann für das Hedgebuch <strong>ein</strong> Fahrplan beschafft<br />
werden, um bei Erreichen <strong>ein</strong>es VaR-Limits dieses Risiko zu<br />
reduzieren. Eine Analyse des Erzeugungsbuchs findet an dieser Stelle<br />
nicht statt, da bei der Betrachtung von Kraftwerken <strong>ein</strong>e ggf. sehr<br />
komplexe Bewertung als Swing-Option erfolgen muss.<br />
Wie im Eigenhandel mit den an das Hedgebuch verkauften<br />
Strommengen umgegangen wird, liegt im Ermessen des für die<br />
Risikoposition verantwortlichen Händlers; dieses Buch wird nach<br />
den Kriterien VaR, Profit & Loss (P&L) und Delta-Risiko gesteuert.<br />
Selbstverständlich könnte das Eigenhandelsbuch auch ausgeblendet<br />
werden, indem sämtliche Handelsprodukte back-to-back am Markt<br />
beschafft werden. In Abb. 7 ist sowohl die über Handelsprodukte<br />
abgesicherte Vertriebslast als auch die davon unabhängige Eigenhandelsposition<br />
<strong>ein</strong>es Unternehmens mit entsprechender Risikobewertung<br />
zusammengestellt.<br />
Beispiel 2: Industrieunternehmen<br />
Es wurde bereits betont, dass bei <strong>ein</strong>em Industrieunternehmen im<br />
Gegensatz zu <strong>ein</strong>em Verteilunternehmen die Anforderungen an das<br />
Risikomanagement i. A. geringer sind und sich das Portfoliomanagement<br />
normalerweise auf <strong>ein</strong>e risikoüberwachte strukturierte<br />
Beschaffung begrenzt, wobei den kalendarischen und preislichen<br />
Limiten besonderes Augenmerk geschenkt wird. Ausgehend von der<br />
langfristigen Lastprognose wird <strong>ein</strong>e Absicherungsstruktur und <strong>ein</strong>e<br />
Absicherungsstrategie entwickelt und fixiert. Im Anschluss daran<br />
startet das operative Portfoliomanagement. Abb. 8 zeigt die Portfoliosituation<br />
<strong>ein</strong>es Industriekunden zum 31.03.2006. Auf Grund der<br />
systematischen Vorgehensweise bei der Beschaffung konnte <strong>ein</strong> ver-<br />
gleichsweise günstiger Beschaffungspreis realisiert werden. Der<br />
Tabelle kann entnommen werden, dass das Portfolio nahezu vollständig<br />
deltaneutral abgesichert ist, dass also Marktpreisbewegungen<br />
k<strong>ein</strong>en signifikanten Einfluss mehr auf die Beschaffungskosten haben<br />
sollten. Lediglich <strong>ein</strong>e dramatische Verschiebung der Preisrelation<br />
zwischen Base und Peak hätte noch Einfluss auf das Portfolio, dieses<br />
Risiko wird über den VaR ausgedrückt.<br />
Speziell die preislichen Limite haben zentrale Bedeutung, da bis <strong>zur</strong><br />
Realisierung des deltaneutralen Hedges jede Marktpreisbewegung<br />
Einfluss auf die erwarteten Beschaffungskosten hat. Hier gibt<br />
Abb. 9 <strong>ein</strong>en Überblick über die aktuelle Situation. Der erwartete<br />
Beschaffungspreis (links) liegt nahezu in der Mitte zwischen den<br />
definierten Preislimiten, die zum 31.03.2006 erreichte Profildeckung<br />
(rechts) liegt an der oberen Grenze des ver<strong>ein</strong>barten Beschaffungskorridors,<br />
<strong>ein</strong>e Folge der insgesamt bullschen Markt<strong>ein</strong>schätzung.<br />
Analyse und Management von Risikopositionen<br />
ist unerlässlich<br />
Der Markt für Strom war in den letzten Monaten erheblich von<br />
gestiegenen Preisniveaus und Volatilitäten geprägt, womit die Energiekosten<br />
und ihr Einfluss auf das Unternehmensergebnis zunehmend<br />
in den Fokus der Risikoanalysen rücken. Unabhängig vom<br />
Beschaffungskonzept (vom Vollstromprodukt mit schrittweiser<br />
Beschaffung bis zum vollständigen Einkauf über den Handelsmarkt)<br />
sind Analyse, Bewertung und Management der <strong>ein</strong>zelnen Risikopositionen<br />
unerlässlich. Dies ist im Normalfall mit <strong>ein</strong>em nicht<br />
unerheblichen Ressourcen<strong>ein</strong>satz verbunden. E.ON Sales & Trading<br />
bietet durch <strong>ein</strong> spezielles Team für das Kundenportfoliomanagement<br />
kompetente Unterstützung bei der Beantwortung der relevanten<br />
Fragen. Strukturierung und Design relevanter Prozesse stellen <strong>ein</strong>en<br />
wesentlichen Bestandteil der Beratungsleistung in der Implementierungsphase<br />
dar. In der operativen Phase folgt die Unterstützung<br />
bei Marktbeobachtung und -<strong>ein</strong>schätzung sowie bei der laufenden<br />
Portfoliobetreuung und -bewertung. Zur weiteren Entlastung der<br />
kundeneigenen Ressourcen bietet E.ON Sales & Trading <strong>ein</strong> breites<br />
Spektrum an Dienstleistungen <strong>zur</strong> Lastprognose, zum Fahrplan- und<br />
Bilanzkreismanagement und <strong>zur</strong> EEG-Abwicklung an.<br />
Dr. J. Grohmann, Kundenportfoliomanagement E.ON Sales & Trading<br />
GmbH, München<br />
jürgen.grohmann@eon-energie.com<br />
Abb. 8 Risikoanalyse <strong>ein</strong>es Industriekunden Abb. 9 Überwachung von Preis- und Zeitlimiten im Rahmen der<br />
strukturierten Beschaffung<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006
„Emissionszertifikate sind <strong>ein</strong> wichtiger Faktor<br />
für die Strompreise“<br />
Interview mit Karl Michael Fuhr, Vorsitzender der Geschäftsführung E.ON Sales & Trading<br />
Der Emissionshandel wirkt sich auf die Strompreise aus. Die Folge sind u.a. Preisschwankungen, denen mit geeigneten Strategien<br />
begegnet werden muss. Diversifizierung, strukturierte Beschaffung und das Portfoliomanagement bieten die Mittel dazu. „et“ sprach<br />
mit Karl Michael Fuhr, dem Vorsitzenden der Geschäftsführung von E.ON Sales & Trading über den Zusammenhang von Stromund<br />
Zertifikatspreisen, Möglichkeiten der Risikooptimierung und die zweite Phase des Emissionshandels.<br />
et: Herr Fuhr, die Preise für <strong>CO</strong> 2 -Emissionszertifikate sind Ende April<br />
innerhalb weniger Tage massiv <strong>ein</strong>gebrochen und haben die<br />
Terminnotierungen für Strom deutlich nach unten gezogen. Werden die<br />
Strompreise immer unberechenbarer?<br />
Fuhr: Wir wussten, dass die Emissionszertifikate <strong>ein</strong> wichtiger Faktor<br />
für die Strompreise sind. Mit <strong>ein</strong>em Preisverfall dieses Ausmaßes<br />
hatten wir allerdings nicht gerechnet. Die Entwicklung ist in erster<br />
Linie auf <strong>ein</strong>e inkonsistente Datenbereitstellung durch die Teilnehmerländer<br />
<strong>zur</strong>ückzuführen. Es wäre sinnvoll, die Ist-Werte des<br />
<strong>CO</strong> 2 -Ausstoßes öfter und <strong>ein</strong>heitlich zu kommunizieren. Andererseits<br />
ist nun für jeden sichtbar geworden, dass die Handelspreise<br />
für <strong>CO</strong> 2 und für Strom zusammenhängen und durch fundamentale<br />
Faktoren gebildet werden. Damit haben beide Märkte auch wieder<br />
an Vertrauen gewonnen. Das ist – neben den gesunkenen Preisen<br />
– die positive Botschaft der letzten Wochen.<br />
et: Dennoch bleibt der Eindruck, dass die Strompreise für Käufer und<br />
Verkäufer immer schwerer prognostizierbar sind. Welche Strategie empfehlen<br />
Sie, um die Risiken der Marktentwicklung <strong>ein</strong>zugrenzen?<br />
Fuhr: Man sollte auf k<strong>ein</strong>en Fall alles auf <strong>ein</strong> Karte setzen. Tagesaktuelle<br />
Schwankungen bei den Jahresprodukten von <strong>ein</strong>em Euro<br />
oder mehr für die Megawattstunde sind <strong>ein</strong> gutes Argument für <strong>ein</strong>e<br />
zeitlich und mengenmäßig diversifizierte Beschaffungsstrategie.<br />
Dafür gibt es strukturierte Produkte, die sich am Marktpreis<br />
orientieren, aber durch verschiedene Optionalitäten dennoch planbar<br />
bleiben. Unter Risikogesichtspunkten ist das <strong>ein</strong> vernünftiger<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />
Mittelweg. Deshalb haben wir diese Produkte „smart products“<br />
genannt. Eine Alternative ist das Portfoliomanagement im Sinne<br />
<strong>ein</strong>er ganzheitlichen Beratung des Kunden, die auf kontinuierlichem<br />
Markt-Monitoring durch unsere Spezialisten beruht. Hier partizipiert<br />
der Kunde am Know-How unseres Trading Floors und spart sich den<br />
Aufbau eigener Analyse- und Handelsstrukturen. Er ist allerdings<br />
näher am Markt und geht <strong>ein</strong> höheres Risiko <strong>ein</strong>. Im Grunde gibt<br />
es für jeden Grad an Risikobereitschaft <strong>ein</strong>e Lösung, da sich viele<br />
unserer Produkte kombinieren lassen.<br />
et: Welche Themen werden den Strommarkt in den nächsten Jahren<br />
prägen? Auf welche Entwicklungen sollten sich die Marktteilnehmer<br />
<strong>ein</strong>stellen?<br />
Fuhr: Wir haben 2007/2008 den Übergang in die zweite Handelsphase<br />
für <strong>CO</strong> 2 -Emissionszertifikate. Die Konturen für diese Phase<br />
zeichnen sich langsam ab, aber niemand weiß bislang genau, wie<br />
glatt der Übergang verlaufen wird. Ich glaube, dass der Handel mit<br />
<strong>CO</strong> 2 -Zertifikaten, der ja europaweit stattfindet, die Strompreise in<br />
den verschiedenen europäischen Ländern stärker an<strong>ein</strong>ander bindet.<br />
Der Gaspreis wird <strong>ein</strong>e stärkere Rolle spielen, da in den nächsten<br />
Jahren überproportional Gaskraftwerke zugebaut werden und die<br />
Importpreise für Gas durch den <strong>CO</strong> 2 -Handel stärker als früher auf<br />
die Strompreise wirken. Die weltweiten und regionalen Preise für<br />
Kohle, Öl und Gas werden – neben den Nachfragefaktoren – die<br />
Strompreise auf der Großhandelsebene wesentlich bestimmen.<br />
„et“-Redaktion<br />
„Wir haben 2007/2008 den Übergang in die zweite Handelsphase für<br />
<strong>CO</strong> 2 -Emissionszertifikate. Die Konturen für diese Phase zeichnen sich<br />
langsam ab, aber niemand weiß bislang genau, wie glatt der Übergang<br />
verlaufen wird. Ich glaube, dass der Handel mit <strong>CO</strong> 2 -Zertifikaten, der<br />
ja europaweit stattfindet, die Strompreise in den verschiedenen europäischen<br />
Ländern stärker an<strong>ein</strong>ander bindet.“<br />
Karl Michael Fuhr, Vorsitzender der Geschäftsführung E.ON Sales<br />
& Trading<br />
23
STROM OHNE GRENZEN<br />
24<br />
WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz – <strong>ein</strong> <strong>geeignetes</strong><br />
<strong>Modell</strong> <strong>zur</strong> <strong>kosteneffizienten</strong> <strong>CO</strong> 2 -Minderung in<br />
Europa?<br />
Norbert Azuma-Dicke und Siegfried F. Franke<br />
Das EEG wird im Allgem<strong>ein</strong>en als <strong>ein</strong> Erfolgsmodell der deutschen Klima- und Umweltpolitik betrachtet, durch das sowohl der Einsatz<br />
von regenerativen Energien gefördert als auch die Reduktion von Treibhausgasen kostengünstig verwirklicht werden soll. Eine<br />
genaue Analyse der wirtschaftlichen Auswirkungen des EEG stellt dies in Frage und lässt Zweifel daran aufkommen, ob es im<br />
Vergleich zu Alternativen wie dem Emissionshandel als tragfähiges Reduktionsmodell für Gesamteuropa betrachtet werden<br />
kann.<br />
Die Emission von <strong>CO</strong> 2 und anderen Treibhausgasen auf <strong>ein</strong>e<br />
möglichst wirtschaftliche Weise zu reduzieren, ist das vorrangige<br />
Ziel der Klimarahmenkonvention der Ver<strong>ein</strong>ten Nationen, die im<br />
Jahr 1994 in Kraft trat. Deutschland hat sich früh <strong>zur</strong> Übernahme<br />
dieser Konvention in nationales Recht bekannt und bereits im Jahr<br />
1992 im Rahmen <strong>ein</strong>er Selbstverpflichtung Reduktionsziele definiert,<br />
die über das vertraglich auferlegte Maß hinausgingen. Auch bei<br />
der Entwicklung von Instrumenten <strong>zur</strong> Reduktion von Emissionen<br />
zeigte Deutschland Selbstbewussts<strong>ein</strong>: Es begann früher als viele<br />
andere Staaten, die Produktion und die Verwendung von Strom<br />
aus emissionsfreien erneuerbaren Energien zu fördern und machte<br />
sich in der EU dafür stark, dem deutschen <strong>Modell</strong> der Emissionsreduktion<br />
zu folgen. Die selbstgewählte Rolle als Vorreiter im Kampf<br />
gegen <strong>ein</strong>e erwartete Klimaerwärmung mag mit dazu beigetragen<br />
haben, dass der Sitz des Sekretariats der Konvention nach Bonn<br />
gelegt wurde. Im weiteren Verlauf der Verhandlungen über die<br />
Umsetzung der Klimakonvention hat sich die EU in Kyoto verpflichtet,<br />
ihre Emissionen von <strong>CO</strong> 2 bis 2012 um 8 % gegenüber den Emissionen<br />
von 1990 zu senken. Deutschland wiederum hat sich im sogenannten<br />
Burdensharing der EU zu <strong>ein</strong>em darüber weit hinausgehenden Minderungsziel<br />
von 21 % verpflichtet.<br />
Die Klimarahmenkonvention als Grundlage für die<br />
deutsche Klimaschutzpolitik<br />
Die Klimarahmenkonvention definiert nicht nur das Ziel der Vermeidung<br />
von <strong>CO</strong> 2 und der anderen Treibhausgase, es beschreibt<br />
auch im Detail die Instrumente, die das Konventionskriterium der<br />
Wirtschaftlichkeit in besonders hohem Maße erfüllen. Gleichwohl<br />
haben die EU und Deutschland bislang nur spärlich von den Konventionsinstrumenten,<br />
die aus der Wirtschaftswissenschaft als Firstbest-Instrumente<br />
bekannt sind, Gebrauch gemacht. Anstelle der Konventionsinstrumente<br />
hat Deutschland Second-best-Instrumente der<br />
Emissionsvermeidung <strong>ein</strong>gesetzt, deren Wirtschaftlichkeit bislang<br />
nicht nachgewiesen wurde. Die Bundesrepublik Deutschland hat im<br />
Jahr 2000 <strong>ein</strong> nationales Klimaschutzprogramm beschlossen, das<br />
alle Maßnahmen des Bundes <strong>zur</strong> Reduktion der Emission von <strong>CO</strong> 2<br />
zusammenfasst.<br />
Bei näherer Betrachtung dieses Programms stellt sich heraus, dass<br />
im Unterschied zu den Instrumenten der Klimarahmenkonvention<br />
k<strong>ein</strong>e der angeführten 64 Maßnahmen direkt an den Emissionen<br />
ansetzt, sondern vielmehr darauf gerichtet sind, indirekt die Emission<br />
von <strong>CO</strong> 2 zu reduzieren: Etwa durch die Verminderung des Endenergieverbrauchs<br />
und die Reduzierung des Einsatzes fossiler Energieträger,<br />
durch die Erhöhung der Produktion von Energien, die<br />
fossile Energieträger ersetzen sollen, oder durch die Steigerung<br />
der Effektivität der Nutzung von Energien. Um die indirekte Emissionsvermeidung<br />
zu erreichen, sieht das nationale Klimaschutzprogramm<br />
neben Steuern und Subventionen auch ordnungsrechtliche<br />
Maßnahmen (Regulierungen) vor. Bemerkenswert ist weiterhin,<br />
dass alle 64 Maßnahmen des Klimaschutzprogramms <strong>ein</strong>e Emissionsvermeidung<br />
im Inland bezwecken, obwohl die Klimakonvention<br />
auch Vermeidungsoptionen jenseits der nationalen Grenzen vorsieht,<br />
z. B. den Ankauf von Emissionsrechten auf dem Weltmarkt.<br />
Diese internationale Herangehensweise ist nur folgerichtig, weil<br />
es sich bei der Emission von <strong>CO</strong> 2 um <strong>ein</strong> internationales<br />
Externalitätenproblem handelt; daher ist es im Grunde gleichgültig,<br />
wo auf der Welt die Emission von <strong>CO</strong> 2 reduziert wird. Wichtig ist<br />
nur, dass die Reduktion zu möglichst geringen Kosten geschieht; <strong>ein</strong><br />
Aspekt, dem die Bundesrepublik Deutschland bislang nur wenig<br />
Beachtung schenkt, wie das Beispiel des EEG verdeutlichen soll.<br />
Unter den 64 Maßnahmen des Klimaschutzprogramms misst der<br />
Gesetzgeber dem EEG <strong>ein</strong>e herausragende Bedeutung zu, denn er<br />
erwartet von ihm <strong>ein</strong>en besonders großen Beitrag <strong>zur</strong> Reduktion von<br />
<strong>CO</strong> 2 .<br />
Förderung erneuerbarer Energien in Deutschland<br />
Nicht nur in Deutschland sind die erneuerbaren Energieträger wiederentdeckt<br />
worden, sondern unter dem internationalen Druck <strong>zur</strong> Emissionsminderung<br />
auch in vielen Nachbarstaaten. Während die<br />
Stromgewinnung aus Wasserkraft auf <strong>ein</strong>e lange Tradition <strong>zur</strong>ückblicken<br />
kann, kommen in Europa seit kurzer Zeit vermehrt Techniken<br />
der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energieträgern zum<br />
Einsatz, die bislang eher <strong>ein</strong> Schattendas<strong>ein</strong> gefristet hatten. Die<br />
Nutzung von Wind, Sonne und Biomasse <strong>zur</strong> Stromgewinnung ist<br />
hier an erster Stelle zu nennen. Sie wird vom deutschen Staat mit<br />
der Begründung forciert, dass die damit verbundenen Stromerzeugungstechniken<br />
k<strong>ein</strong>e Emission von <strong>CO</strong> 2 verursachen, und dass<br />
der so erzeugte Strom <strong>ein</strong> Substitut für Strom aus konventionellen<br />
Energieträgern, wie z. B. Kohle, ist. Jedoch gibt es auch Nachteile<br />
der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Sie liegen vor allem<br />
in den vergleichsweise hohen Erzeugungskosten, wenn man von der<br />
Wasserkraft absieht. Um dennoch die Stromerzeugung aus erneuerbaren<br />
Energien zu steigern, musste dieser Kostennachteil kompensiert<br />
werden: Dies geschieht durch etliche finanzielle Anreize,<br />
die die Nutzung der erneuerbaren Energien begünstigen. Im Jahre<br />
1991 wurden im Strom<strong>ein</strong>speisegesetz jene Rahmenbedingungen<br />
definiert, die den Betrieb alternativer Energieerzeugungsanlagen<br />
für deren Betreiber wirtschaftlich attraktiv gestalten sollten. Mit der<br />
erwarteten Produktionsausweitung wollte der Gesetzgeber <strong>ein</strong>en<br />
Beitrag „<strong>zur</strong> Ressourcenschonung und zum Klimaschutz“ leisten.<br />
Den Erzeugern von Strom aus erneuerbaren Energien wurde mit<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006
dem Gesetz <strong>ein</strong>e Abnahmegarantie für den regenerativ erzeugten<br />
Strom zu <strong>ein</strong>em Preis gegeben, der sich am Strompreis für Endkunden<br />
orientierte.<br />
Nach der Liberalisierung des deutschen Energiemarktes und dem<br />
damit <strong>ein</strong>setzenden Strompreisverfall reichte diese Garantie nicht<br />
mehr aus, weil auch die Vergütungszahlungen für Strom aus erneuerbaren<br />
Energien sanken. Um die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren<br />
Energien – wie es im Gesetz heißt – vorrangig aus Klimaschutzgründen<br />
zu sichern und darüber hinaus auch noch zu steigern,<br />
wurde im Jahr 2000 von der rot-grünen Bundesregierung im Erneuerbare-Energien-Gesetz<br />
(EEG) <strong>ein</strong> über dem Marktpreis liegender<br />
Mindestpreis für den erzeugten Strom aus regenerativen Quellen<br />
<strong>ein</strong>geführt. In der Begründung des EEG wird zwar auf das Ziel der<br />
Emissionsreduktion zum Zwecke des Klimaschutzes Bezug<br />
genommen, jedoch unterließ es die Bundesregierung, in ihrer<br />
Begründung auf das Kriterium der Wirtschaftlichkeit <strong>ein</strong>zugehen<br />
und die relativen Kosten der Emissionsvermeidung anzugeben. Es<br />
kommt sicher nicht von ungefähr, dass in der Gesetzesbegründung<br />
neben dem Ziel des Umwelt- und Klimaschutzes weitere Ziele<br />
angegeben werden, wie die Schonung von Ressourcen und die Weiterentwicklung<br />
von Technologien <strong>zur</strong> Stromerzeugung aus erneuerbaren<br />
Energien. Eine Bewertung dieser Teilziele soll hier unterbleiben;<br />
sie ist an anderer Stelle erfolgt [1].<br />
Mehrkosten des EEG<br />
Mitte des Jahres 2004 wurde das EEG erneut überarbeitet und in<br />
<strong>ein</strong>zelnen Punkten angepasst. So wurden u. a. die Vergütungssätze<br />
für Strom aus Photovoltaik, Geothermie, Offshore-Windanlagen und<br />
Biomasse angehoben, um in diesen Bereichen <strong>ein</strong>e Ausweitung der<br />
Stromerzeugung zu forcieren. In der Koalitionsver<strong>ein</strong>barung von<br />
CDU/CSU und SPD, die im Herbst 2005 den Weg <strong>zur</strong> Bildung der<br />
schwarz-roten Bundesregierung ebnete, wurde ver<strong>ein</strong>bart, die Förderung<br />
der erneuerbaren Energien im Grundsatz beizubehalten.<br />
Allerdings sollen gemäß dieser Ver<strong>ein</strong>barung im Jahr 2007 die Vergütungs-<br />
und Degressionssätze auf den Prüfstand gestellt werden.<br />
Das Ziel des EEG soll beigehalten werden: Der Anteil der Erneuerbaren<br />
an der Stromversorgung soll bis zum Jahr 2010 auf mindestens<br />
12,5 % bzw. bis zum Jahr 2020 auf 20 % erhöht werden. Erneut<br />
fehlt <strong>ein</strong>e Wirtschaftlichkeitsbetrachtung und es gibt k<strong>ein</strong>e Angaben,<br />
wie hoch die mit dieser Anteilsausweitung verbundenen Kosten der<br />
Emissionsminderung sind.<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />
Dies ist eigentlich erstaunlich, denn die Emissionsvermeidungskosten<br />
des EEG sind relativ exakt zu ermitteln, weil die für die Berechnung<br />
dieser Kosten benötigten Daten verfügbar sind. Der Verband<br />
der Netzbetreiber in Deutschland etwa veröffentlicht jährlich die sich<br />
aus dem Gesetz ergebende Gesamtvergütung für die Stromproduktion<br />
aus erneuerbaren Energien. Die Vergütungszahlungen stiegen von<br />
etwas mehr als 1 Mrd. € im Jahr 2000 auf 3,5 Mrd. in 2004, und<br />
für 2005 schätzt der Verband <strong>ein</strong>e Vergütungssumme von b<strong>ein</strong>ahe<br />
4,5 Mrd. € für den regenerativ erzeugten Strom (siehe Abb. 1); für<br />
die Folgejahre wird <strong>ein</strong>e weiter steigende Vergütung erwartet. Die<br />
durchschnittliche Vergütung je erzeugter KWh stieg von 8,5 Cent<br />
im Jahr 2000 auf etwa 9,53 Cent/kWh im Jahr 2005 (vgl. Abb. 2),<br />
obwohl im EEG <strong>ein</strong>e Degression der Vergütungssätze vorgesehen<br />
wird. Der Grund für den Anstieg der durchschnittlichen Vergütung<br />
je erzeugter KWh liegt in dem beschleunigten Zubau von<br />
Photovoltaikanlagen, die wegen ihrer vergleichsweise geringen Wirtschaftlichkeit<br />
<strong>ein</strong>e besonders hohe Garantievergütung erhalten. Eine<br />
weitere wichtige Größe für die Berechnung der <strong>CO</strong> 2 -Vermeidungskosten<br />
des regenerativ erzeugten Stroms sind die Marktpreise für<br />
Strom. Am wenigsten durch die Politik verzerrt sch<strong>ein</strong>en die Preise<br />
zu s<strong>ein</strong>, die an der Strombörse festgestellt werden.<br />
Zur Ermittlung der Mehrkosten der Förderung erneuerbarer Energien<br />
ist der Preis des verdrängten Stroms von der durchschnittlichen<br />
Vergütung je erzeugter KWh aus Erneuerbaren abzuziehen. Würde<br />
der Börsenpreis angesetzt, so könnte <strong>ein</strong>gewendet werden, dass<br />
der Handelskontrakt für den an der Börse gehandelten Strom verschieden<br />
von <strong>ein</strong>em Kontrakt für Strom aus erneuerbaren Energien<br />
ist. In der Tat muss der an der Börse gehandelte Strom exakt<br />
zu bestimmten Zeiten verfügbar s<strong>ein</strong>. Für Strom aus regenerativen<br />
Energien wie beispielsweise Wind- oder Sonnenenergie können<br />
die Erzeuger <strong>ein</strong>e solche zeitgenaue Strom<strong>ein</strong>speisung nicht garantieren,<br />
weil die Stromerzeugung witterungsabhängig und die<br />
Speicherung von Strom bislang unwirtschaftlich ist. Erst die „Veredlung“<br />
durch sogenannte Regelenergie aus konventionellen Kraftwerken<br />
macht es möglich, dass Strom aus Erneuerbaren überhaupt<br />
vermarktbar ist. Durch das Unterhalten von Anlagen <strong>zur</strong> Erzeugung<br />
solcher Regelenergie entstehen zusätzliche Kosten, sogenannte<br />
sekundäre Kosten der Erzeugung von Strom aus regenerativen<br />
Quellen, die nur schwer zu ermitteln sind. Bei <strong>ein</strong>em angenommenen<br />
Marktwert für regenerativen Strom in Höhe von rund 4,2 Cent/kWh<br />
(durchschnittlicher EEX-Börsenpreis im Jahr 2005) ergeben sich<br />
ohne Berücksichtigung der sekundären Kosten für <strong>ein</strong>e „Veredelung“<br />
Abb. 1 Gesamtvergütung der EEG-Einspeisung Abb. 2 Durchschnittsvergütung der EEG-Einspeisung<br />
25
STROM OHNE GRENZEN<br />
26<br />
WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />
des Regenerativstroms für das Jahr 2005 Netto-Mehrkosten der<br />
Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren in Höhe von durchschnittlich<br />
5,35 Cent/kWh und damit insgesamt rund 2,5 Mrd. €. Diese<br />
Mehrkosten des Stroms aus erneuerbaren Energien sind in Relation<br />
zu den vermiedenen Emissionen zu setzen, die aus der Verdrängung<br />
von konventionellem, fossil erzeugtem Strom resultieren. Nimmt<br />
man <strong>ein</strong>e Freisetzung von durchschnittlich 675 Gramm <strong>CO</strong> 2 je<br />
erzeugter KWh regenerativen Stroms an [2], die durch die Erzeugung<br />
von Strom aus Erneuerbaren vermieden wird, so ergeben sich Grenzvermeidungskosten<br />
der deutschen Förderung regenerativer Energieträger<br />
in Höhe von 79 € je t <strong>CO</strong> 2 . Diese Grenzvermeidungskosten<br />
dürften eher höher s<strong>ein</strong>, da bei ihrer Berechnung die Aufwendungen<br />
für die Regelenergievorhaltung (Kapazitätsreserven) nicht berücksichtigt<br />
wurden. Auch dürfte die angenommene Emissionsverdrängung<br />
zu hoch angesetzt s<strong>ein</strong>. Denn es dürfte auch Strom aus<br />
Anlagen verdrängt werden, die ohne Emissionen Strom erzeugen.<br />
Jedoch können die berechneten Grenzvermeidungskosten der deutschen<br />
Förderung regenerativer Energieträger in Höhe von 79 € je t<br />
<strong>CO</strong> 2 als <strong>ein</strong>e Richtgröße dienen, die <strong>ein</strong>en Vergleich mit alternativen<br />
Emissionsminderungsanstrengungen bzw. Politikmaßnahmen<br />
möglich machen.<br />
Für <strong>ein</strong>en Vergleich bietet sich das Instrument des Handels mit Emissionsrechten<br />
(Emissionshandel) an; hierbei handelt es sich um <strong>ein</strong><br />
von der Umweltökonomie als „first-best“ bezeichnetes Instrument.<br />
Der europaweite Handel mit Emissionsrechten wurde am 1. Januar<br />
2005 gestartet; er gilt zugleich als Test für den weltweiten Emissionshandel,<br />
der 2008 aufgenommen werden soll. Der Emissionshandel<br />
gibt den <strong>CO</strong> 2 -Emissionsrechten in Europa <strong>ein</strong>en wirtschaftlichen<br />
Wert, der derzeit bei ca. 29 € je t liegt. Beim Vergleich<br />
mit den durchschnittlichen Grenzvermeidungskosten von Strom aus<br />
regenerativen Energieträgern ergibt sich, dass das Instrument der<br />
Förderung der erneuerbaren Energien durch das EEG in Deutschland<br />
fast dreimal so hohe Kosten verursacht wie das Instrument des<br />
europaweiten Emissionshandels. Zu beachten ist dabei, dass der<br />
europäische Emissionshandel lediglich den Unternehmen aus der<br />
Industrie und die Energiewirtschaft offen steht und dass nur ihnen<br />
handelbare Emissionsrechte zugeteilt wurden. In anderen Sektoren<br />
könnte es kostengünstigere Emissionsminderungspotenziale geben.<br />
So sind beispielsweise im Gebäudebestand durch wärmedämmende<br />
Maßnahmen Minderungspotenziale zu vermuten, die zu äußerst<br />
geringen Kosten erschlossen werden könnten [3]. Der Zertifikatpreis<br />
im europäischen Emissionshandel könnte signifikant sinken, wenn<br />
solche Potenziale vermehrt genutzt würden. Die Wirtschaftlichkeit<br />
der Emissionsvermeidung durch die Förderung erneuerbarer Energien<br />
über das EEG in Deutschland erschiene in <strong>ein</strong>em noch ungünstigerem<br />
Licht, wenn andere Instrumente der Klimakonvention zum<br />
Vergleich herangezogen werden. Beispielsweise haben Schätzungen<br />
der Auswirkungen <strong>ein</strong>es Einsatzes sogenannter flexibler Mechanismen<br />
wie Clean Development Mechanism (CDM) oder Joint<br />
Implementation (JI) ergeben, dass der Preis für die europäischen<br />
Emissionszertifikate sinken könnte. Die Schätzungen für CDM-Projekte<br />
ergeben Vermeidungskosten von ca. 5 € je t <strong>CO</strong> 2 . Für den weltweiten<br />
Emissionshandel unter dem Kyoto-Regime, der 2008 starten<br />
soll, werden noch geringere Zertifikatpreise prognostiziert.<br />
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz –<br />
<strong>ein</strong> <strong>Modell</strong> für Europa?<br />
Gemessen am Ziel der Emissionsminderung sind die Vermeidungskosten<br />
der Förderung erneuerbarer Energien in Deutschland<br />
erheblich höher als die <strong>ein</strong>es europäischen Emissionshandels.<br />
Bei <strong>ein</strong>er nach deutschem Vorbild harmonisierten europäischen Förderung<br />
erneuerbarer Energien (EU-Strom<strong>ein</strong>speisegesetz) könnten<br />
sich aber durchaus Vermeidungskosten ergeben, die unter dem<br />
deutschen Niveau liegen. So ist die Stromerzeugung aus der Sonnenstrahlung<br />
in Ländern wie Spanien, Portugal, Italien oder Griechenland<br />
mit weitaus höheren Jahresnutzungsstunden als in Deutschland<br />
möglich, weshalb naturgemäß die spezifischen Erzeugungskosten<br />
auch deutlich niedriger sind. Ähnliches gilt für die<br />
Stromerzeugung durch Windkraft: Windreiche Landstriche an der<br />
britischen, französischen oder portugiesischen Küste versprechen<br />
höhere Jahres-Volllaststunden als das deutsche Binnenland. Die spezifischen<br />
Emissionsvermeidungskosten für die <strong>ein</strong>zelnen Technologien<br />
sind deshalb ebenfalls geringer als hierzulande. Folglich würde <strong>ein</strong>e<br />
europaweit harmonisierte Förderung erneuerbarer Energien durchschnittlich<br />
geringere Kosten verursachen, als dies in Deutschland<br />
der Fall ist. Dabei ist indessen zu bedenken, dass auch bei der zu<br />
erwartenden relativen Verbesserung der Kosteneffizienz die Emissionsvermeidungskosten<br />
technisch bedingt immer noch über den<br />
Kosten des europäischen Emissionshandels lägen.<br />
Deutschland verstößt durch die Förderung der Erneuerbaren mit<br />
dem Ziel der Emissionsminderung gegen die in der Klimakonvention<br />
der Ver<strong>ein</strong>ten Nationen aufgestellte Norm der Wirtschaftlichkeit.<br />
Das gleiche Verdikt träfe die EU, wenn die deutschen Regelungen<br />
europaweit ausgedehnt würden. Nur bei der Anwendung von wirtschaftlichen<br />
Maßnahmen der Emissionsminderung kann bei <strong>ein</strong>em<br />
gegebenen Mittelaufwand der größtmögliche Nutzen für das Klima<br />
erreicht werden. Anders gesprochen: Bei <strong>ein</strong>er alternativen Verwendung<br />
der für die Förderung erneuerbarer Energie aufgewendeten<br />
Mittel könnte in der Welt wesentlich mehr <strong>CO</strong> 2 vermieden werden.<br />
Literatur<br />
[1] Voß, A.; Rath-Nagel, S.; Dicke, N.: Konzeption <strong>ein</strong>es effizienten und marktkonformen<br />
Fördermodells für erneuerbare Energien; Gutachten im Auftrag des Wirtschaftsministeriums<br />
Baden-Württemberg, Stuttgart 2000.<br />
[2] Roth, H.; Wegner, U.: Verstärkter Teillastbetrieb thermischer Kraftwerke durch Windstrom<strong>ein</strong>speisung;<br />
ew Jg. 105, Heft 5, 2006.<br />
[3] Hillebrand, B.: Ökologische und ökonomische Wirkungen der energetischen Sanierung<br />
des Gebäudebestandes, Studie im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung, 2004.<br />
Dr. N. Azuma-Dicke, Energiepolitik und Energiewirtschaft, Verband<br />
der Verbundunternehmen und Regionalen Energieversorger in<br />
Deutschland – <strong>VRE</strong> – e.V.,<br />
Prof. Dr. Habil. S. F. Franke, Ordinarius für Wirtschaftspolitik<br />
und Öffentliches Recht an der Universität Stuttgart,<br />
norbert.azuma-dicke@vre-online.de<br />
franke@ivr.uni-stuttgart.de<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006
Zusatzkosten im konventionellen Kraftwerkspark<br />
durch den Ausbau der Windenergie<br />
Derk J. Swider<br />
Für die nächsten Jahre wird in Deutschland <strong>ein</strong> erheblicher Ausbau der Windenergie erwartet. Da die Erzeugung mit Windkraftanlagen<br />
vom fluktuierenden und schwer prognostizierbaren Winddargebot abhängt, kann die Frage gestellt werden, welche Auswirkungen<br />
durch <strong>ein</strong>e verstärkte Integration von Windenergie auf den Betrieb und damit auf die Kosten des konventionellen<br />
Kraftwerkparks zu erwarten sind. Diese Frage kann durch Anwendung stochastischer Fundamentalmodelle <strong>zur</strong> Abbildung des<br />
kostenminimalen Betriebs des Elektrizitätssystems nachgegangen werden. Im vorliegenden Beitrag werden die Ergebnisse entsprechender<br />
<strong>Modell</strong>anwendungen vorgestellt und diskutiert.<br />
In den letzten Jahren hat in Deutschland <strong>ein</strong> erheblicher Zubau<br />
von Windkraftanlagen stattgefunden. Prognosen der zukünftigen<br />
Entwicklung legen nahe, dass auch in den nächsten Jahren mit hohen<br />
Wachstumsraten zu rechnen ist. So wird bis 2020 <strong>ein</strong>e Steigerung<br />
der installierten Windleistung um mehr als den Faktor 2,5 auf bis<br />
zu 50 GW erwartet [1]. Unter diesen Bedingungen ist davon auszugehen,<br />
dass die Integration entsprechender Mengen an Windenergie<br />
in das Energiesystem großen Einfluss auf den Betrieb des<br />
konventionellen Kraftwerksparks haben wird. Ein wesentlicher Grund<br />
dafür ist, dass die Windenergie<strong>ein</strong>speisung stark fluktuierend und<br />
nur beschränkt prognostizierbar ist.<br />
Aspekte des Ausbaus der Windenergie<br />
Um der fluktuierenden Erzeugung aus Windkraftanlagen in <strong>ein</strong>er<br />
Region Rechnung zu tragen, müssen die anderen Erzeugungstechnologien<br />
im System flexibler betrieben werden. Dies ist <strong>ein</strong>e direkte<br />
Folge der im Vergleich zu Nachfrageschwankungen größeren<br />
Erzeugungsgradienten. Die resultierende Zunahme von Anfahrvorgängen<br />
stellt <strong>ein</strong>e erhöhte Belastung der konventionellen Kraftwerke<br />
dar und führt zu höheren Kosten des Systembetriebs. Zudem<br />
ist <strong>ein</strong> höherer Teillastbetrieb der konventionellen Kraftwerke zu<br />
erwarten, der mit verminderten Wirkungsgraden und damit<br />
erhöhtem Brennstoff<strong>ein</strong>satz, höheren <strong>CO</strong> 2 -Emissionen und steigenden<br />
Kosten des Systembetriebs <strong>ein</strong>hergeht.<br />
Eng mit den Fluktuationen des Winddargebots ist die beschränkte<br />
Prognostizierbarkeit verbunden. Basierend auf <strong>ein</strong>er Prognose der<br />
Windenergie<strong>ein</strong>speisung wird der jeweilige Kraftwerks<strong>ein</strong>satz<br />
geplant. Ergeben sich Abweichungen zwischen dem prognostizierten<br />
und dem tatsächlichen Wert der Wind<strong>ein</strong>speisung, muss die Differenz<br />
durch den Einsatz von Regelenergie ausgeglichen werden. Um diesen<br />
Ausgleich gewährleisten zu können, sind geeignete, d. h. flexible<br />
und schnell startbare Kraftwerkskapazitäten (Reservekapazitäten)<br />
vorzuhalten. In diesem Zusammenhang ist auch die für die Versorgungssicherheit<br />
bedeutende Gewährleistung der Abdeckung der<br />
Die diesem Beitrag zugrunde liegenden <strong>Modell</strong>entwicklungen wurden<br />
von der Europäischen Kommission in den Projekten GreenNet und<br />
Wilmar gefördert. Die Anwendung der <strong>Modell</strong>e <strong>zur</strong> Ableitung von<br />
Effekten <strong>ein</strong>er verstärkten Windenergie<strong>ein</strong>speisung in Europa wurde<br />
von der Europäischen Kommission im Projekt GreenNet-EU27 gefördert.<br />
Die wesentlichen an der <strong>Modell</strong>entwicklung und -anwendung<br />
beteiligten Partner in diesen Projekten waren Prof. Dr. Christoph<br />
Weber, Universität Duisburg-Essen, Dr. Peter Meibom, Risø National<br />
Laboratory, Roskilde, Dr. Hans Auer, Technische Universität Wien und<br />
Prof. Dr. Goran Strbac, Imperial College London.<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />
Jahreshöchstlast zu nennen. Durch das schwankende Winddargebot<br />
ist zum Zeitpunkt der höchsten Nachfrage im Jahr nur <strong>ein</strong> kl<strong>ein</strong>er<br />
Teil der installierten Windkapazitäten sicher verfügbar. Folglich<br />
müssen auch für diesen Fall ausreichende Kraftwerkskapazitäten<br />
(Schattenkapazitäten) vorgehalten werden.<br />
Neben diesen überwiegend negativen Aspekten ist auch die durch<br />
den Ausbau der Windenergie bedingte verminderte Stromerzeugung<br />
des konventionellen Kraftwerksparks zu diskutieren. Diese folgt<br />
direkt aus den vernachlässigbaren kurzfristigen Grenzkosten der<br />
Windstromerzeugung, wodurch es zu <strong>ein</strong>er Verschiebung der Merit-<br />
Order der Erzeugungskapazitäten nach rechts kommt, d. h. Windenergie<br />
verdrängt konventionelle Anlagen mit höheren kurzfristigen<br />
Grenzkosten. Dies führt zu <strong>ein</strong>em geringeren Brennstoff<strong>ein</strong>satz,<br />
geringeren <strong>CO</strong> 2 -Emissionen und sinkenden Kosten des Systembetriebs.<br />
Zur volkswirtschaftlichen Bewertung der Minderung der<br />
<strong>CO</strong> 2 -Emissionen sei auf [2] verwiesen. Eine weitergehende Darstellung<br />
der diskutierten Aspekte kann beispielsweise [3] entnommen<br />
werden.<br />
Entsprechend dieser Diskussion ist zu untersuchen, wie die Effekte<br />
<strong>ein</strong>er verstärkten Integration von Windenergie auf den Kraftwerksbetrieb<br />
ökonomisch zu bewerten sind. Die Beantwortung dieser<br />
Frage erfolgte in den von der Europäischen Kommission geförderten<br />
Projekten GreenNet [4], Wilmar [5] und GreenNet-EU27 [6]. Es wurde<br />
somit ähnlichen Fragestellungen wie in der Dena-Studie [7] nachgegangen,<br />
allerdings wurde nicht nur Deutschland, sondern der<br />
europäische Elektrizitätsmarkt betrachtet. Ein weiterer Unterschied<br />
bestand in der methodischen Herangehensweise.<br />
Abbildung des kostenminimalen Systembetriebs<br />
Die zu erwartenden Auswirkungen <strong>ein</strong>er verstärkten Integration von<br />
Wind ins europäische Energiesystem können prinzipiell mit fundamentalanalytischen<br />
Elektrizitätsmarktmodellen ermittelt werden.<br />
Mit solchen Ansätzen wird die Elektrizitätswirtschaft technologieseitig<br />
(Bottom-Up) abgebildet, d. h. ausgehend von <strong>ein</strong>er geeigneten<br />
Beschreibung des realen Kraftwerksparks wird der<br />
kostenminimale Betrieb bestimmt. Dies ermöglicht die Ermittlung<br />
der Kosten der Elektrizitätsbereitstellung. Die durch <strong>ein</strong>en Ausbau<br />
der Windenergie entstehenden zusätzlichen Kosten im Betrieb der<br />
konventionellen Kraftwerke können dann durch entsprechende Analysen<br />
mit <strong>ein</strong>em solchen <strong>Modell</strong> bestimmt werden.<br />
Klassischerweise werden Elektrizitätsmarktmodelle deterministisch<br />
formuliert. Hier heißt dies, dass die Windenergie<strong>ein</strong>speisung nur<br />
über ihren Erwartungswert berücksichtigt wird, wodurch vorliegende<br />
Fluktuationen gut abbildbar sind. In der Realität müssen die <strong>ein</strong>gesetzten<br />
Kraftwerke aber flexibel auf die jeweiligen Abweichungen<br />
27
STROM OHNE GRENZEN<br />
28<br />
WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />
zwischen der erwarteten und der tatsächlichen Wind<strong>ein</strong>speisung zu<br />
möglichst geringen Kosten reagieren können. Da diese Abweichungen<br />
nicht vernachlässigt werden können, sind deterministische <strong>Modell</strong>e<br />
<strong>zur</strong> Bewertung <strong>ein</strong>es zunehmenden Ausbaus der Windenergie nicht<br />
ausreichend. Die Windenergie<strong>ein</strong>speisung ist daher als stochastische<br />
Größe zu interpretieren und in geeigneter Form in Elektrizitätsmarktmodelle<br />
zu integrieren.<br />
Entsprechende methodische Entwicklungen führten zum „Stochastic<br />
European Electricity Market Model“ (E2M2s), entwickelt im Rahmen<br />
des EU-Projekts GreenNet [4], und zum „Joint Market Model“ (JMM),<br />
entwickelt im Rahmen des EU-Projekts Wilmar [5]. Beide <strong>Modell</strong>e<br />
stellen stochastische lineare Optimierungsmodelle dar, die wettbewerbliche<br />
Elektrizitätsmärkte interregional abbilden. Auf Grund<br />
unterschiedlicher Zielsetzungen innerhalb der Forschungsprojekte<br />
unterscheiden sich die <strong>Modell</strong>e in <strong>ein</strong>igen entscheidenden Punkten,<br />
dazu zählt insbesondere die Methode <strong>zur</strong> Integration stochastischer<br />
Größen. Zudem werden im <strong>Modell</strong> E2M2s Investitionen und Reserveanforderungen,<br />
letztere auf der Basis <strong>ein</strong>es probabilistischen<br />
Ansatzes, endogen berücksichtigt. Demgegenüber erfolgt im <strong>Modell</strong><br />
JMM <strong>ein</strong>e detailliertere Abbildung von Teilmärktem, d. h. dem<br />
Spot-, Regelenergie- und Wärmemarkt. Für weiterführende Beschreibungen<br />
der <strong>Modell</strong>e sei auf [4-6] und insbesondere auf die<br />
Beiträge von Weber et al. und Meibom et al. in [8] verwiesen.<br />
Implementierung stochastischer Methoden<br />
Die Berücksichtigung stochastischer Schwankungen <strong>ein</strong>er verstärkten<br />
Wind<strong>ein</strong>speisung stellt die wesentliche methodische Erweiterung<br />
der entwickelten <strong>Modell</strong>e dar. Um in <strong>ein</strong>em Fundamentalmodell<br />
stochastische Fluktuationen abbilden zu können, ist die klassische<br />
Betrachtung <strong>ein</strong>es <strong>ein</strong>zelnen Betriebszustands des Systems nicht<br />
mehr ausreichend. Vielmehr sind verschiedene stochastisch<br />
bestimmte Zustände in <strong>ein</strong>em geschlossenen Ansatz zu berücksichtigen.<br />
Die Zielfunktion wird so <strong>zur</strong> stochastischen Größe, deren<br />
Erwartungswert zu optimieren ist, d. h. bei der Optimierung wird<br />
die gesamte Menge möglicher stochastischer Zustände berücksichtigt.<br />
Im Gegensatz dazu steht die Szenarienanalyse, bei der jedes mögliche<br />
Szenario getrennt analysiert wird. Entsprechend dieser methodischen<br />
Anforderungen wird im <strong>Modell</strong> E2M2s <strong>ein</strong> Szenariogitter, vgl.<br />
Abb. 1 (links), und im <strong>Modell</strong> JMM <strong>ein</strong> Szenariobaum, vgl. Abb. 1<br />
(rechts), verwendet.<br />
Für die stochastische <strong>Modell</strong>ierung im <strong>Modell</strong> E2M2s werden mit<br />
<strong>ein</strong>em Szenariogitter zwei Typen von Unsicherheiten berücksichtigt,<br />
kurz- und langfristige Fluktuationen. Die kurzfristigen Fluktuationen<br />
beschreiben das Winddargebot, während die langfristigen<br />
Abb. 1 Schematische Darstellung <strong>ein</strong>es Szenariogitters (links) und <strong>ein</strong>es<br />
Szenariobaums (rechts).<br />
Fluktuationen das Wasserdargebot beschreiben. Im <strong>Modell</strong> E2M2s<br />
werden für jeden betrachteten typischen Tag drei stochastische<br />
Zustände der kurzfristigen und zwei der langfristigen Fluktuationen<br />
unterschieden. Die Bestimmung der stochastischen Zustände und<br />
ihrer Eintritts- und Übergangswahrsch<strong>ein</strong>lichkeiten erfolgt unter<br />
Verwendung historischer Daten.<br />
Im <strong>Modell</strong> JMM erfolgt die Berücksichtigung kurzfristiger<br />
Fluktuationen mit Hilfe <strong>ein</strong>es Szenariobaums. Dieser wird durch die<br />
zu beachtenden Werte des Winddargebots gebildet und zeichnet sich<br />
durch <strong>ein</strong>e zunehmende Unsicherheit der stochastischen Variable<br />
über dem Betrachtungshorizont aus. Im <strong>Modell</strong> JMM deckt der verwendete<br />
Szenariobaum <strong>ein</strong>en Optimierungshorizont von maximal<br />
36 Stunden ab. Werden längere Zeiträume betrachtet, so wird <strong>ein</strong>e<br />
rollierende Planung angewendet. Die Bestimmung der stochastischen<br />
Zustände und ihrer Eintrittswahrsch<strong>ein</strong>lichkeiten erfolgt unter<br />
Berücksichtigung <strong>ein</strong>es Zeitreihenansatzes <strong>zur</strong> Prognose der zu<br />
erwartenden Windleistung.<br />
Annahmen bestimmen <strong>Modell</strong>ergebnisse<br />
Die entwickelten <strong>Modell</strong>e werden angewendet, um die Zusatzkosten<br />
des Kraftwerksparks durch <strong>ein</strong>en Ausbau der Windenergie<br />
bestimmen zu können. Bei <strong>ein</strong>er solchen Betrachtung sind die Ergebnisse<br />
stark abhängig von den jeweiligen Annahmen. Hier ist zunächst<br />
die Definition der Zusatzkosten von entscheidender Bedeutung. Dabei<br />
wird generell angenommen, dass Kosten entstehen, wenn <strong>ein</strong>e neue<br />
Technologie in <strong>ein</strong> existierendes System integriert wird. Dies ist<br />
unabhängig davon, ob diese Technologie zu den erneuerbaren oder<br />
den konventionellen Anlagen zu zählen ist. Wenn aber, wie hier, die<br />
Integration von Wind betrachtet wird, so können Zusatzkosten entstehen,<br />
welche über die Kosten für die Netzintegration, wie sie auch<br />
bei konventionellen Anlagen auftreten, hinausgehen. Zu erwartende<br />
Zusatzkosten der Netzintegration werden hier nicht betrachtet, dazu<br />
sei auf [6, 7] verwiesen.<br />
Die Zusatzkosten des Betriebs können bezüglich ihrer Ursache in<br />
Kosten auf Grund von höherer Fluktuation und geringerer Prognostizierbarkeit<br />
des Winddargebots unterschieden werden. Etwas<br />
technischer heißt dies, dass Zusatzkosten durch den sich ändernden<br />
Kraftwerksbetrieb (vermehrter Teillastbetrieb und häufigere Anfahrvorgänge)<br />
und durch <strong>ein</strong> angepasstes Investitionsverhalten (höhere<br />
Reservekapazitäten und flexiblere Erzeugungstechnologien) entstehen<br />
können. Es ist daher bedeutend festzuhalten, dass entsprechend<br />
definierte Zusatzkosten vom existierenden System und<br />
s<strong>ein</strong>er Entwicklung über die Zeit abhängen. Dies ist wiederum stark<br />
von den Einschätzungen des <strong>Modell</strong>anwenders über wesentliche Ein-<br />
Abb. 2 Erzeugungskapazitäten bei deterministischer (links) und<br />
stochastischer (rechts) Betrachtung.<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006
flussgrößen abhängig. Dazu zählen die Entwicklung der Nachfrage,<br />
der Brennstoff- und Zertifikatepreise, möglicher Investitionsoptionen<br />
und der Windenergieerzeugung.<br />
Nachfolgend werden <strong>ein</strong>ige Ergebnisse der Anwendung des <strong>Modell</strong>s<br />
E2M2s für Deutschland präsentiert. Dabei wird ab dem Jahr 2006<br />
für die Nachfrage <strong>ein</strong>e jährliche Steigerung von rund 1,0 % und für<br />
die Brennstoffpreise von St<strong>ein</strong>- und Braunkohle von je 0,4 % und von<br />
Erdgas von 1,1 % angenommen. Zudem wird <strong>ein</strong> konstanter <strong>CO</strong> 2 -<br />
Zertifikatepreis von 10 €/MWh angesetzt. Diese Annahme liegt zwar<br />
unterhalb der für die nächsten Jahre im aktuellen EU-Emissionsrechtehandel<br />
erwarteten Preise, antizipiert aber bereits die in der<br />
anschließenden Kyoto-Phase des Emissionsrechtehandels zu<br />
erwartende Hot-Air-bedingte Preisreduktion. Für den exogen vorgegebenen<br />
Zubau an Windkapazitäten wird <strong>ein</strong>e Entwicklung entsprechend<br />
des BAU-Szenarios in [1] betrachtet. Dabei erfolgt bis<br />
2020 <strong>ein</strong> Ausbau auf rund 42 GW. Eine detaillierte Diskussion der<br />
Abb. 3 Elektrizitätspreise (links) und Reservekapazitäten (rechts)<br />
jeweils bei deterministischer und stochastischer Betrachtung.<br />
Annahmen ist dem Beitrag von Swider und Weber in [8] zu<br />
entnehmen.<br />
Generell haben die angenommenen relativen Änderungen der Preisentwicklungen<br />
der Brennstoffe aber auch der <strong>CO</strong> 2 -Zertifikate merkliche<br />
Auswirkungen auf die zu untersuchenden Zusatzkosten. So<br />
kann gezeigt werden, dass gerade die Preise der <strong>CO</strong> 2 -Zertifikate<br />
die Investitionsentscheidungen stark zu Gunsten von Erdgas be<strong>ein</strong>flussen.<br />
Entsprechend steigt die Flexibilität des Erzeugungssystems<br />
auch unabhängig von <strong>ein</strong>em Ausbau der Windenergie. Die der<br />
Integration des Windes zuzuordnenden Zusatzkosten sind folglich<br />
geringer.<br />
Hier ist noch anzumerken, dass im vorliegenden Beitrag die aktuell<br />
höheren spezifischen Investitionskosten in Windkraftanlagen gegenüber<br />
konventionellen Anlagen und damit auch die durch die Vergütung<br />
im Rahmen des EEG bedingten Zusatzkosten nicht berücksichtigt<br />
werden (beispielsweise kann bei den spezifischen<br />
Investitionskosten <strong>ein</strong>es großen St<strong>ein</strong>kohlekraftwerks von rund<br />
820 €/kW und bei <strong>ein</strong>em GUD-Kraftwerk von rund 440 €/kW ausgegangen<br />
werden, während die spezifischen Investitionskosten für<br />
Windkraftanlagen Onshore bei rund 1 000 €/kW liegen und Offshore<br />
rund 1 650 €/kW zu erwarten sind; darüber hinaus ist zu<br />
beachten, dass Windkraftanlagen stets deutlich geringere Volllaststunden<br />
aufweisen). Es erfolgt nur <strong>ein</strong> Vergleich zwischen dem<br />
deutschen Elektrizitätssystem mit Erzeugung aus Wind (nachfolgend<br />
als stochastische <strong>Modell</strong>version bezeichnet) und <strong>ein</strong>er nicht näher<br />
spezifizierten Alternative, welche durch <strong>ein</strong>e konstante, dem<br />
Erwartungswert der Windenergieerzeugung entsprechenden<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />
Erzeugung mit perfekter Prognostizierbarkeit charakterisiert ist<br />
(nachfolgend als deterministische <strong>Modell</strong>version bezeichnet). Alle<br />
anderen Charakteristika werden als identisch angenommen und<br />
fallen aus der Betrachtung heraus, vgl. dazu den Beitrag von Weber<br />
in [8].<br />
Zusatzkosten durch Windkraftausbau<br />
Abb. 2 zeigt die Entwicklung der mit dem <strong>Modell</strong> E2M2s bestimmten<br />
installierten Erzeugungskapazitäten in Deutschland bis zum Jahr<br />
2020 jeweils für die deterministische (links) und die stochastische<br />
(rechts) <strong>Modell</strong>version. Es ist gut zu erkennen, dass bei <strong>ein</strong>er Berücksichtigung<br />
der stochastischen Windenergie<strong>ein</strong>speisung verstärkt<br />
Investitionen in flexible Technologien erfolgen. Dies ist <strong>ein</strong>e direkte<br />
Folge der hohen Fluktuationen und geringen Prognosefähigkeit<br />
der Windenergie<strong>ein</strong>speisung, was bei Voraussetzung <strong>ein</strong>er gleich<br />
bleibend hohen Versorgungssicherheit zu höheren Reservekapazitäten<br />
führt. Bis zum Jahr 2020 werden beim Vergleich der<br />
stochastischen und der deterministischen <strong>Modell</strong>version zusätzlich<br />
fast 12 GW mit Erdgas befeuerte Anlagen (davon mehr als <strong>ein</strong> Drittel<br />
Gasturbinen) und rund 2 GW weniger mit St<strong>ein</strong>kohle befeuerte<br />
Anlagen neu installiert. Insgesamt wird so <strong>ein</strong>e höhere Flexibilität<br />
des Erzeugungssystems erreicht.<br />
Abb. 3 ist zu entnehmen, dass die unterschiedliche Entwicklung der<br />
installierten Kapazitäten nur geringe Auswirkungen auf die Elektrizitätspreise<br />
(links) hat, dagegen steigen die erforderlichen Reservekapazitäten<br />
(rechts) beim Ausbau der Windenergie und ihrer<br />
stochastischen Betrachtung, wie oben angesprochen, stark an. Der<br />
Darstellung kann zudem entnommen werden, dass die <strong>Modell</strong>ergebnisse<br />
für den historischen Zeitraum bis zum Jahr 2005 gut den<br />
Marktergebnissen entsprechen. Die wenigen Abweichungen können<br />
im Fall der Preise zu <strong>ein</strong>em großen Teil mit im <strong>Modell</strong> unberücksichtigten<br />
Wetteranomalien erklärt werden. So führte der heiße<br />
Sommer im Jahr 2003 zu <strong>ein</strong>er verminderten Verfügbarkeit von<br />
Grundlastkraftwerken, wodurch es am Markt zu stark steigenden<br />
Preisen kam.<br />
Die Tabelle gibt schließlich disaggregierte Zusatzkosten je <strong>ein</strong>gespeister<br />
Windenergie<strong>ein</strong>heit, d. h. in €/MWh Wind, unter den oben<br />
skizzierten Annahmen an. Für das Jahr 2020 werden Zusatzkosten<br />
des Betriebs von mehr als 2 €/MWh und Zusatzkosten durch<br />
Investitionen von zusätzlichen 6 €/MWh erhalten. Dabei sei erneut<br />
darauf hingewiesen, dass bei der Berechnung der Zusatzkosten durch<br />
Investitionen nicht die höheren spezifischen Investitionskosten in<br />
Windkraftanlagen berücksichtigt sind, sondern ausschließlich das<br />
durch die besonderen Charakteristika der Wind<strong>ein</strong>speisung<br />
geänderte systemoptimale Investitionsverhalten in konventionelle<br />
Erzeugungskapazitäten. Es ist zu erkennen, dass die Zusatzkosten<br />
des Betriebs maßgeblich durch <strong>ein</strong>en zunehmenden Teillastbetrieb<br />
der konventionellen Anlagen verursacht werden. Die Zusatzkosten<br />
auf Grund <strong>ein</strong>er höheren Anzahl von Anfahrvorgängen sind dagegen<br />
deutlich geringer. Prinzipiell vergleichbare Zusatzkosten für Deutschland<br />
werden auch mit dem <strong>Modell</strong> JMM berechnet. Die Zusatzkosten<br />
des Betriebs werden danach zu zwei Dritteln durch die Fluktuationen<br />
des Winddargebots und zu <strong>ein</strong>em Drittel durch die geringe Prognostizierbarkeit<br />
verursacht. Bei der Beurteilung der <strong>ein</strong>zelnen Kostenkomponenten<br />
ist prinzipiell zu beachten, dass die Zusatzkosten durch<br />
sich ändernde Investitionen in konventionelle Anlagen die Zusatzkosten<br />
des Betriebs be<strong>ein</strong>flussen.<br />
Wie oben diskutiert, hängen die Zusatzkosten von den <strong>Modell</strong>annahmen,<br />
der <strong>Modell</strong>ierungsmethode, dem System und dessen Entwicklung<br />
ab. Ein direkter Vergleich der mit unterschiedlichen<br />
29
STROM OHNE GRENZEN<br />
30<br />
WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />
Tabelle: Disaggregierte Zusatzkosten durch den Ausbau der Windenergie.<br />
Jahr Windgedeckte Zusatzkosten des Betriebes Zusatzkosten durch Summe der<br />
Nachfrage (€/MWh) Investitionen* Zusatzkosten<br />
(%) Teillast Anfahrt (€/MWh) (€/MWh)<br />
2010 8.39 1.05 0.20 2.13 3.38<br />
2020 14.82 2.07 0.21 5.95 8.23<br />
* Ohne Berücksichtigung der spezifischen Investitionskosten in Windkraftanlagen.<br />
Ansätzen bestimmten Kosten ist folglich schwierig. Beispielsweise<br />
ging E.ON Energie bereits im Jahr 2002 von Zusatzkosten des Betriebs<br />
von rund 7 €/MWh und von Zusatzkosten durch Investitionen von<br />
zusätzlichen 15 €/MWh aus [9]. Wie und unter welchen Annahmen<br />
diese Kosten aber im Detail bestimmt wurden, wird mit den öffentlich<br />
verfügbaren Informationen nicht deutlich und entzieht sich somit<br />
<strong>ein</strong>er vergleichenden Bewertung.<br />
In Zukunft ist flexibler Energiemix notwendig<br />
Die präsentierten Ergebnisse der Anwendung zeigen, dass es mit<br />
<strong>ein</strong>em verstärkten Ausbau der Windenergie zu Zusatzkosten im konventionellen<br />
Kraftwerkspark kommt. Diese sind nicht zu vernachlässigen<br />
und sollten bei <strong>ein</strong>er Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der<br />
Erzeugung aus Windkraftanlagen berücksichtigt werden. Es wurde<br />
ferner deutlich, dass bei <strong>ein</strong>em Ausbau der Windenergie <strong>ein</strong><br />
flexiblerer Energiemix notwendig ist, was aus heutiger Sicht insbesondere<br />
verstärkte Investitionen in mit Erdgas befeuerte Anlagen<br />
betrifft. Entsprechend ist der Beschaffungssicherheit dieses Energieträgers<br />
auch zukünftig <strong>ein</strong> starkes Gewicht in der Energiepolitik<br />
zu geben. Prinzipiell ist <strong>ein</strong> diversifizierter Energiemix anzustreben,<br />
in dem sowohl erneuerbare als auch konventionelle Erzeugungstechnologien<br />
wichtige Rollen <strong>ein</strong>nehmen. Bei den relevanten Entscheidungsträgern<br />
und in der Forschung sollten zudem hier nicht<br />
untersuchte Optionen stärkere Beachtung finden. Dazu zählt die<br />
Entkopplung der Windenergie<strong>ein</strong>speisung von der Nachfrage, beispielsweise<br />
durch die Nutzung von Druckluftspeichern, und die Förderung<br />
von Möglichkeiten <strong>zur</strong> Bedarfsminderung und -steuerung.<br />
Anmerkungen<br />
[1] Resch, G., Auer, H., Stadler, M., Huber, C., Nielsen, L. H., Twidell, J. und Swider,<br />
D. J.: Dynamics and basic interactions of RES-E with the grid, switchable loads and storage.<br />
Forschungsbericht und Datenbank zum EU-Projekt GreenNet: Pushing a least cost<br />
integration of green electricity into the European grid. [online] http://www.greennet.at/,<br />
2003.<br />
[2] Azuma-Dicke, N. H.: Zweitbeste (Second-best) Instrumente der deutschen Politik<br />
<strong>zur</strong> Reduktion von <strong>CO</strong>2 : Förderung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien.<br />
Dissertation, vorgelegt an der Universität Stuttgart. [online] http://elib.unistuttgart.de/opus/volltexte/2005/2329/,<br />
2005.<br />
[3] Hasche, B., Barth, R. und Swider, D. J.: Analyse von Integrationsoptionen verteilter<br />
Erzeuger im deutschen Energiesystem. Forschungsbericht zum BMBF-Projekt Netmod:<br />
Reduzierte <strong>Modell</strong>e komplexer elektrischer Netze mit verteilten Energieerzeugungssystemen.<br />
[online] http://www.netmod.org/, 2006.<br />
[4] Homepage des EU-Projekts Wilmar: Wind power integration in liberalised electricity<br />
markets. [online] http://www.wilmar.risoe.dk/.<br />
[5] Homepage des EU-Projekts GreenNet: Pushing a least cost integration of green<br />
electricity into the European grid. [online] http://www.greennet.at/.<br />
[6] Homepage des EU-Projekts GreenNet-EU27: Guiding a least cost grid integration of<br />
RES-electricity in an extended Europe. [online] http://www.greennet-europe.org/.<br />
[7] Studie im Auftrag der Deutschen Energie-Agentur GmbH: Energiewirtschaftliche Planung<br />
für die Netzintegration von Windenergie in Deutschland an Land und Offshore bis zum<br />
Jahr 2020. [online] http://www.deutsche-energie-agentur.de/, 2005.<br />
[8] Swider, D. J. und Voß, A. (Hrsg.): Disaggregated system operation cost and grid<br />
extension cost caused by intermittent RES-E grid integration. Forschungsbericht zum EU-<br />
Projekt GreenNet-EU27: Guiding a least cost grid integration of RES-electricity in an<br />
extended Europe. [online] http://www.greennet-europe.org/, 2006.<br />
[9] E.ON Energie: Höhere Stromrechnung durch Ausbau der Windkraft. Pressemitteilung<br />
vom 22.07.2002. [online] http://www.eon-energie.com/.<br />
Dr.-Ing. D. J. Swider, Leiter der Abteilung Energieanwendung und Energiemanagement<br />
am Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung<br />
der Universität Stuttgart<br />
djswider@ier.uni-stuttgart.de<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006
Einspeisung regenerativer Kraftwerke – Herausforderung<br />
an <strong>ein</strong>en Übertragungsnetzbetreiber<br />
Claus Hodurek<br />
Aufgrund der gesetzlichen Vorgaben zum EEG-Belastungsausgleich obliegt es den Übertragungsnetzbetreibern, die Einspeiseschwankungen<br />
aus der regenerativen Stromerzeugung auszugleichen. Vattenfall Europe Transmission führt <strong>ein</strong>e Bewirtschaftung<br />
des hierzu eigens gebildeten EEG-Bilanzkreises über Day-ahead- und Intraday-Handel durch, da <strong>ein</strong> Ausgleich über klassische<br />
Regelleistung schon aufgrund der Höhe der Abweichungen nicht möglich wäre. Die Höhe und Form der Wind<strong>ein</strong>speisung, die<br />
das Gros der Erneuerbaren Energie ausmacht, ist frühestens 24 Stunden im Voraus und selbst dann nur mit hohen Unsicherheiten<br />
prognostizierbar, wobei die verbleibenden Abweichungen bereits heute an die Systemgrenzen führen. Der weitere Ausbau insbesondere<br />
der Nutzung von Windenergie erfordert deshalb neben der Einbeziehung auch dieser Kraftwerke in die Systemsteuerung<br />
den schnellen und rechtzeitigen Netzausbau, die Entwicklung und Förderung von Speichertechnologien sowie die Schaffung<br />
finanzieller Anreize für <strong>ein</strong>e verbrauchsgerechte Stromerzeugung durch regenerative Kraftwerke.<br />
Die Stromerzeugung aus regenerativen Quellen wird in Deutschland<br />
seit Anfang der 90er Jahre beginnend mit dem Strom<strong>ein</strong>speisegesetz<br />
und seit dem 1. April 2000 durch das „Gesetz für den Vorrang<br />
Erneuerbarer Energien – Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)“ vom<br />
29.03.2000, novelliert durch das „Gesetz <strong>zur</strong> Neuregelung des Rechts<br />
der erneuerbaren Energien im Strombereich“ vom 21.07.2004, gefördert.<br />
Dessen Abwicklungsmechanismus ist in Abb. 1 schematisch<br />
dargestellt.<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />
Die gesetzlichen Rahmenbedingungen<br />
Die Regularien „Abnahmeverpflichtung“ und „Mindestvergütung“,<br />
die zunächst den örtlichen Netzbetreiber betreffen, stellen die<br />
Betreiber regenerativer Kraftwerke von Investitions- und Vermarktungsrisiken<br />
frei. Entsprechend der gesetzlichen Vorgaben wird<br />
der regenerative Strom durch die regelzonenverantwortlichen<br />
Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) physikalisch und finanziell aus-<br />
31
STROM OHNE GRENZEN<br />
32<br />
WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />
Abb. 1 Abwicklungsmechanismus des EEG<br />
Abb. 2 Umformung der Naturenergie Wind in <strong>ein</strong> nutzbares Produkt<br />
Abb. 3 Verlauf der Wind<strong>ein</strong>speisung in der Regelzone Vattenfall,<br />
jeweils im Januar der Jahre 2004 bis 2006<br />
geglichen, um schlussendlich den in der jeweiligen Regelzone verbleibenden<br />
EEG-Strom gleichmäßig an alle Elektrizitätsversorgungsunternehmen<br />
(EVU), orientiert an deren Letztverbraucherversorgung,<br />
zu liefern. Der Wirkungsmechanismus des EEG sorgt lediglich dafür,<br />
dass die über <strong>ein</strong> Kalenderjahr <strong>ein</strong>gespeiste Strommenge gleichmäßig<br />
in Deutschland verteilt und am Ende von den Letztverbrauchern<br />
vergütet wird. Weitgehend unbeachtet bleibt, dass im<br />
Unterschied zu § 14 Absatz 1 EEG, der <strong>ein</strong>en „unverzüglich vorläufigen“<br />
Ausgleich des Verlaufs der Einspeisung zwischen den ÜNB<br />
vorsieht, <strong>ein</strong>e derartig klare Regelung im Verhältnis zu den abnahmeverpflichteten<br />
EVU fehlt. Hier ist lediglich von <strong>ein</strong>em „rechtzeitig<br />
bekannt gegebenen, der tatsächlichen Stromabnahme angenäherten<br />
... Profil...“ die Rede.<br />
Ausgleich der Einspeiseschwankungen –<br />
„Veredelung“ oder partielle „Nutzbarmachung“<br />
Der Verlauf der Einspeisung ist, wie nachfolgend anhand praktischer<br />
Erfahrungen gezeigt wird, für den weitaus überwiegenden Teil von<br />
regenerativen Kraftwerken (Wind, Solar) k<strong>ein</strong>eswegs rechtzeitig vorhersehbar,<br />
sondern erheblichen Schwankungen unterworfen. Der<br />
momentane Ausgleich dieser Schwankungen ist jedoch weder durch<br />
das bestehende EEG noch durch <strong>ein</strong>e Rechtsverordnung vorgegeben.<br />
Er obliegt somit zwangsläufig den ÜNB, die nach § 12 Absatz 1 EnWG<br />
„die Energieübertragung durch das Netz unter Beachtung des Austauschs<br />
mit anderen Verbundnetzen zu regeln“ haben.<br />
In <strong>ein</strong>er Branchenver<strong>ein</strong>barung haben sich die an der Abwicklung<br />
Beteiligten pragmatisch darauf verständigt, die Weitergabe von EEG-<br />
Strom in Form von „Bandlieferungen“ (Stromlieferung über jeweils<br />
<strong>ein</strong>en Monat mit konstanter Leistung) durchzuführen, ungeachtet<br />
dessen, ob zum jeweiligen Zeitpunkt überhaupt <strong>ein</strong>e ausreichende<br />
Einspeisung erfolgt oder nicht. In der Literatur wird oftmals von<br />
„Veredelung“ gesprochen. Das „Sammeln“ und „Umformen“ des<br />
fluktuierend <strong>ein</strong>gespeisten EEG-Stroms in <strong>ein</strong> Standardmarktprodukt<br />
kann aber auch mit <strong>ein</strong>em Wälzprozess verglichen werden<br />
(siehe Abb. 2). Letztlich geht es um die eigentliche „partielle Nutzbarmachung“<br />
<strong>ein</strong>er Naturenergie, die erhebliche Aufwendungen<br />
(physikalische und finanzielle) bedingt. Dass insbesondere die Windstromerzeugung<br />
k<strong>ein</strong>erlei vorhersagbarem „Muster“ oder „Profil“<br />
folgt, ist mittlerweile kaum noch bestritten. Mathematisch betrachtet,<br />
erfolgt die Windstromerzeugung chaotisch, nicht zuletzt werden<br />
Windverteilungen nach der „Chaos-Funktion“ der Weibull-Verteilung<br />
statistisch bestimmt. Symbolisch sei hier auf den Verlauf der<br />
Abb. 4 EEG-Bilanzkreis der VE Transmission<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006
Windstrom<strong>ein</strong>speisung in drei auf<strong>ein</strong>ander folgenden Jahren im<br />
Monat Januar (2004, 2005, 2006) verwiesen (siehe Abb. 3). Demnach<br />
lässt sich nicht nur der konkrete Verlauf, sondern auch die über<br />
<strong>ein</strong>en längeren Zeitraum <strong>ein</strong>gespeiste Menge kaum vorhersehen.<br />
Eine <strong>ein</strong>igermaßen belastbare Einschätzung, in welcher Höhe und<br />
mit welchem Verlauf die Strom<strong>ein</strong>speisung aus Windkraftwerken<br />
erfolgt, ist erfahrungsgemäß frühestens 24 Stunden im Voraus<br />
ermittelbar. Doch selbst dann besteht die Gefahr, dass durch Nichtzutreffen<br />
der Wetterprognose im Ist <strong>ein</strong>e völlig andere Strom<strong>ein</strong>speisung<br />
stattfindet. Zu Fragen der Prognosegenauigkeit später mehr.<br />
Methode der Bewirtschaftung des<br />
EEG-Bilanzkreises<br />
Die Vattenfall Europe Transmission GmbH (VE Transmission) führt<br />
in Über<strong>ein</strong>stimmung mit der Stromnetzzugangsverordnung vom 25.<br />
Juli 2005 die EEG-Strommengen in <strong>ein</strong>em gesonderten Bilanzkreis<br />
(Abb. 4). Wie bei jedem anderen Bilanzkreis ergibt sich viertelstündlich<br />
<strong>ein</strong> Überschuss oder <strong>ein</strong> Defizit, welches der Bilanzkreisverantwortliche<br />
ausgleichen muss. Der Ausgleich erfolgt, indem<br />
basierend auf der Wetterprognose zunächst am Vortag für den<br />
Folgetag an der Börse überschüssiger Strom vermarktet oder<br />
fehlender Strom stundenweise gekauft wird. Ändert sich die Einspeisung<br />
am laufenden Tag gegenüber der Prognose, muss innertags<br />
weiterer Handel vorgenommen werden. Die verbleibende<br />
Abweichung wird durch den Einsatz von Regelenergie ausgeglichen.<br />
Der EEG-Ausgleich stellt dabei <strong>ein</strong>e große Herausforderung dar. Erstens<br />
verfügt die VE Transmission als Übertragungsnetzbetreiber<br />
über k<strong>ein</strong>e eigenen Kraftwerke, mit denen sie die Schwankungen<br />
ausgleichen könnte. Zweitens sind wegen der erheblichen Leistungsänderungen<br />
im Tagesverlauf teilweise mehrere 1 000 MW über<br />
Ausgleichshandel zu bewältigen. Die all<strong>ein</strong> in der Regelzone Vattenfall<br />
im Tagesverlauf auszugleichenden Leistungsbeträge zeigt Abb. 5.<br />
Dort sind die geordneten Differenzen zwischen dem täglichen<br />
Maximum und Minimum der Wind<strong>ein</strong>speisung dargestellt. Im Jahr<br />
2005 war z. B. zum Ausgleich der Schwankungen der über das EEG<br />
durch VE Transmission gewälzten Strommenge von 15 TWh <strong>ein</strong>e<br />
zusätzliche Strommenge von 20 % erforderlich.<br />
Mit der <strong>zur</strong> Verfügung stehenden klassischen Regelleistung (derzeit<br />
ca. 1 300 MW), die allerdings gemäß UCTE-Regeln <strong>zur</strong> Erfüllung<br />
anderer Aufgaben dient, könnte nur <strong>ein</strong> teilweiser Ausgleich dieser<br />
Abweichungen erreicht werden. So hätte im Jahr 2005 all<strong>ein</strong> an<br />
Abb. 5 Geordnete Differenz zwischen täglichem Max/Min der<br />
Wind<strong>ein</strong>speisung in der Regelzone Vattenfall im Jahr 2005<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />
ca. 150 Tagen die gebundene Regelleistung nicht ausgereicht, um die<br />
Windstochastik auszugleichen.<br />
Abb. 6 Einspeiseverlauf Windstrom und vorherige Prognose<br />
Abb. 7 Fehlerverteilung von Prognose und Hochrechnung im Monat<br />
März 2006<br />
Abb. 8 Dauerlinie von Prognose und Hochrechnung der Wind<strong>ein</strong>speisung<br />
im Monat März 2006, Regelzone Vattenfall<br />
33
STROM OHNE GRENZEN<br />
34<br />
WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />
Leistungsänderungsgeschwindigkeit und<br />
Prognosefehler<br />
Trotz Anwendung immer besser werdender Verfahren treten erhebliche<br />
Prognosefehler auf. Selbst an Tagen mit relativ genauer Prognose<br />
können kurzfristig schnell mehrere Tausend MW Ausgleichsbedarf<br />
entstehen, wie aus dem Verlauf im Zeitraum 15.-17. Dezember<br />
2005 erkennbar ist (Abb. 6).<br />
Bemerkenswert in dieser Grafik ist auch, dass sich am 15. Dezember<br />
innerhalb von 6 Stunden bei <strong>ein</strong>er installierten Leistung von etwa<br />
17 000 MW die Wind<strong>ein</strong>speisung um ca. 6 000 MW erhöhte, das entspricht<br />
etwa 30 % der installierten Leistung bzw. <strong>ein</strong>er Änderungsgeschwindigkeit<br />
von 1 000 MW/h. Bei künftig installierten Leistungen<br />
von ca. 40 000 MW bedeutet das, dass stündliche<br />
Leistungsänderungen von 2 500 bis 3 000 MW sehr realistisch<br />
s<strong>ein</strong> werden.<br />
Prognosegenauigkeit –<br />
Day-ahead-Prognose und Hochrechnung<br />
Die Voraussetzung für <strong>ein</strong>e erfolgreiche Bewirtschaftung des EEG-<br />
Bilanzkreises ist <strong>ein</strong>e gute Day-ahead-Prognose. Bei rechtzeitiger<br />
Kenntnis der voraussichtlichen Einspeisung kann am Vortag über<br />
den Handel an der Strombörse EEX auf <strong>ein</strong>en liquiden Markt <strong>zur</strong>ückgegriffen<br />
werden. Ausgleichshandel nach Börsenschluss kann nur<br />
noch als Intraday-Handel realisiert werden, der derzeit noch <strong>ein</strong>e<br />
deutlich geringere Liquidität ausweist. In Abb. 7 ist die Qualität<br />
der Day-ahead-Prognose und der „online“-Hochrechnung aus<br />
gemessenen Referenzanlagen den tatsächlichen Einspeisewerten für<br />
den Monat März 2006 (abrechnungsrelevante Einspeisezeitreihen)<br />
in der Regelzone Vattenfall gegenübergestellt.<br />
Für die Day-ahead- und Intraday-Prognose verwendet VE-Transmission<br />
den Ensemble-Mittelwert von Verfahren verschiedener professioneller<br />
Anbieter. Die Hochrechnung basiert auf der<br />
Äquivalentierung von Referenzmessungen auf die in der Regelzone<br />
installierte Kraftwerksleistung in Windkraftwerken. Die Gegenüberstellung<br />
der jeweils prognostizierten und der tatsächlich <strong>ein</strong>gespeisten<br />
Leistung über alle 1/4-Stunden des selben Monats März<br />
2006 (Abb. 8) zeigt, dass die Prognosegüte und damit auch die prognostizierte<br />
Strommenge recht gut ist. Trotzdem traten Abweichungen<br />
zwischen Istwerten und Day-ahead-Prognose von teilweise bis zu<br />
1 500 MW auf. Selbst die Hochrechnung weist zeitweise noch<br />
Abweichungen von bis zu 500 MW <strong>zur</strong> tatsächlichen Erzeugung aus.<br />
Dabei betrug im März der relative Prognosefehler der Day-ahead-<br />
Prognose lediglich 6,5 % und der der Hochrechnung sogar nur<br />
1,8 %. Die aus der Hochrechnung resultierenden „verschobenen<br />
Strommengen“ summieren sich all<strong>ein</strong> im Jahr 2005 auf 600 GWh.<br />
Das zeigt, dass trotz der bereits erreichten hohen Prognosegüte weiterhin<br />
große Einspeiseschwankungen verbleiben, die nur durch den<br />
Einsatz kurzfristig verfügbarer Kraftwerksleistung ausgeglichen<br />
werden können. Diese Abweichungen liegen für die Einspeiseprognose<br />
in der Vattenfall-Regelzone bereits heute in der Größenordnung<br />
<strong>ein</strong>es Kernkraftwerkes und für die Hochrechnung im Bereich <strong>ein</strong>es<br />
mittleren Braunkohleblocks.<br />
Dringender Handlungsbedarf<br />
Wenn das Ziel <strong>ein</strong>es deutlich erhöhten Anteils erneuerbarer Energien<br />
an der Stromversorgung nicht um den Preis von Versorgungsausfällen<br />
und Störungen erreicht werden soll, ist dringend die Lösung<br />
nachfolgender Aufgaben geboten.<br />
Zunächst ist kurzfristig der Zugriff auf die Windkraftwerke für die<br />
Netzbetreiber (ÜNB, VNB) zu ermöglichen, um Systembalance bzw.<br />
Netzsicherheit aufrecht erhalten zu können. Neben der Verpflichtung<br />
zum Einbau fortlaufend übertragbarer Messungen ist die Beteiligung<br />
der Windkraftwerke an <strong>ein</strong>em System des sicherheitsrelevanten<br />
Erzeugungsmanagements unabdingbar. Darüber hinaus muss stets<br />
<strong>ein</strong>e ausreichende Ersatzleistung in Kraftwerken bereitstehen, die<br />
z. B. bei Windstille die fehlende regenerative Stromerzeugung<br />
ersetzen. Entscheidend ist allerdings, daß die regenerativen Kraftwerke<br />
künftig mindestens „vorbehandelten“ Strom bereitstellen, der<br />
dann <strong>ein</strong>er „Veredelung“ unterzogen werden kann. Langfristig muss<br />
deshalb in der Förderung umgesteuert werden. „Statt Masse –<br />
Klasse“, d. h., durch Bonus-/Malus Vergütungs-Systeme muss die<br />
Investition in Technik und Methoden, die aus der „Naturenergie“<br />
<strong>ein</strong>e „Nutzbare Energie“ machen, unterstützt werden. Einen Schwerpunkt<br />
stellt dabei die Weiterentwicklung von Speichertechnologien<br />
mit hohen Wirkungsgraden dar. Ein hoher Marktanteil erneuerbarer<br />
Energien heißt vor allem, dass <strong>ein</strong> vom Markt benötigtes Produkt<br />
<strong>zur</strong> richtigen Zeit in der richtigen Höhe bereitgestellt wird. Gerade<br />
hier ist es noch <strong>ein</strong> weiter Weg, bis die regenerativen Energien<br />
tatsächlich im Wettbewerb bestehen können. Daneben sind erhebliche<br />
Aufgaben für den schnellen und rechtzeitigen Ausbau der Netze<br />
zu bewältigen, um Strom aus immer entfernter liegenden Erzeugungsorten<br />
(offshore-Anlagen) zu den Verbrauchsregionen zu transportieren.<br />
Die Realisierung des politisch gewollten Zieles der Nutzung von <strong>ein</strong>heimischen<br />
und umweltfreundlichen Energieträgern bedarf der<br />
gem<strong>ein</strong>samen Lösung erheblicher Aufgaben durch alle Beteiligten<br />
im Bewussts<strong>ein</strong>, dass die dafür erforderlichen hohen Aufwendungen<br />
als Investitionen in die Zukunft gerechtfertigt sind.<br />
Dipl.-Ing. C. Hodurek, Vattenfall Europe Transmission GmbH, Berlin<br />
claus.hodurek@vattenfall.de<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006
STROM OHNE GRENZEN<br />
36<br />
WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />
Endschaftsklauseln in Wegenutzungsverträgen<br />
Henning Recknagel<br />
In den nächsten Jahren werden alle Konzessionsverträge auslaufen, die vor dem 1. Januar 1995 mit zwanzigjähriger Laufzeit abgeschlossen<br />
worden sind. Anlass der damaligen Vertragswelle war der 1980 in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen<br />
(GWB) <strong>ein</strong>gefügte § 103a Absatz 4 Satz 1, wonach Altverträge ihre Freistellung vom Kartellverbot spätestens am 1. Januar 1995<br />
verloren.<br />
Die gesetzliche Befristung [1] der Konzessionsverträge auf 20 Jahre<br />
[2] wird nunmehr <strong>ein</strong>e erneute Verhandlungswelle auslösen, die alle<br />
Versorgungsunternehmen, vor allem aber die regionalen<br />
Unternehmen berührt. Kommt es bei den Verhandlungen nicht zu<br />
<strong>ein</strong>er Verlängerung des Vertrages, so sind dessen Endschaftsklauseln<br />
oder in ihrer Ermangelung gesetzliche Vorschriften anzuwenden<br />
und auszulegen. Die dann <strong>ein</strong>tretende Abwicklungslage ist durch<br />
die permanenten Änderungen des Ordnungsrahmens seit 1998 noch<br />
komplizierter geworden:<br />
■ Die „Konzessionsverträge“ des GWB wurden zu „Wegenutzungsverträgen“<br />
des EnWG [3].<br />
■ War bis 1998 das Energieversorgungsunternehmen wegenutzungsberechtigt,<br />
so ist heute nach § 46 Absatz 2 Satz 2 EnWG der<br />
„bisher Nutzungsberechtigte verpflichtet, s<strong>ein</strong>e für den Betrieb der<br />
Netze der allgem<strong>ein</strong>en Versorgung im Gem<strong>ein</strong>degebiet notwendigen<br />
Verteilungsanlagen dem neuen Energieversorgungsunternehmen<br />
gegen Zahlung <strong>ein</strong>er wirtschaftlich angemessenen Vergütung zu<br />
überlassen.“<br />
■ Nach dem Willen des Reformgesetzgebers des Energiewirtschaftsgesetzes<br />
1998 „bleiben laufende Konzessionsverträge, <strong>ein</strong>schließlich<br />
der ver<strong>ein</strong>barten Konzessionsabgaben, trotz Wegfalls der<br />
Ausschließlichkeit im Übrigen unberührt.“ [4] Das setzt sich 2005<br />
in § 113 EnWG fort: „Laufende Wegenutzungsverträge, <strong>ein</strong>schließlich<br />
der ver<strong>ein</strong>barten Konzessionsabgaben, bleiben unbeschadet<br />
ihrer Änderung durch die §§ 36, 46 und 48 im Übrigen unberührt.“<br />
Beide Vorschriften sind wörtlich zu nehmen und eng auszulegen:<br />
Sie sichern den Kommunen trotz der gesetzlichen Eingriffe 1998<br />
und 2005 in das ursprüngliche Austauschverhältnis der Konzessionsverträge<br />
nur die Konzessionsabgaben. Jenseits dieser<br />
gesetzlichen Vertragsänderungen [5] bleiben die Verträge<br />
unangetastet [6]. Eine Anpassung des Vertrages insgesamt oder<br />
hinsichtlich <strong>ein</strong>zelner Klauseln unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls<br />
der Geschäftsgrundlage ist ausgeschlossen [7]. Hätte der Gesetzgeber<br />
nur die Konzessionsabgabenhöhe sichern wollen, hätte er das<br />
auch so <strong>ein</strong>schränkend formuliert. Das war aber nicht s<strong>ein</strong>e Absicht.<br />
Andere Leistungen als die Absicherung der Konzessionsabgabe wollte<br />
er gegenüber den Gem<strong>ein</strong>den nicht erbringen.<br />
Das gilt auch für die Endschaftsbestimmungen in den ehemaligen<br />
Konzessionsverträgen. Ausformulierte Endschaftsbestimmungen<br />
wie Sachzeitwert, Taxwert sind nicht durch die Gesetzesformel des<br />
§ 46 Absatz 2 Satz 3 EnWG von der „wirtschaftlich angemessenen<br />
Vergütung“ ersetzt worden [8]. Der Gesetzgeber 1998 wollte mit<br />
dieser Formel nur „prohibitiv hohe Kaufpreise“ unterbinden [9].<br />
Hierbei war ihm der seit Beginn der 90er Jahre wogende, lebhafte<br />
ökonomisch-juristische Streit über die Wertfindung in Endschaftsbestimmungen<br />
um Sachzeitwert [10], Ertragswert [11] oder<br />
tarifkalkulatorischen Restwert [12] bekannt. Die damalige Rechtsprechung<br />
erkannte überwiegend den Sachzeitwert an [13]. In diese<br />
Aus<strong>ein</strong>andersetzungen griff er mit der Formulierung des unbestimmten<br />
Gesetzesbegriffs „wirtschaftlich angemessene Vergütung“<br />
nicht <strong>ein</strong>, sondern überließ die Auslotung des Prohibitivpreises<br />
der Fortentwicklung der Rechtsprechung. Ebenso war der Gesetzgeber<br />
1991 bereits bei der Änderung von § 3 Absatz 2 Nr. 2 KAV vorgegangen.<br />
Die Norm verbietet Verpflichtungen <strong>zur</strong> Übertragung von<br />
Versorgungs<strong>ein</strong>richtungen ohne „wirtschaftlich angemessenes Entgelt.“<br />
Die Begründung des Gesetzentwurfes führt hierzu aus:<br />
„Entgeltver<strong>ein</strong>barungen, die am Sachzeitwert der Anlagen anknüpfen,<br />
entsprechen der gegenwärtigen Praxis und sind auch in Zukunft<br />
vorbehaltlich anderweitiger kartellrechtlicher oder preisrechtlicher<br />
Entwicklungen nicht zu beanstanden.“ [14].<br />
Die „wirtschaftlich angemessene Vergütung“ im<br />
Gesetzgebungsverfahren des EnWG 2005<br />
Der unbestimmte Gesetzesbegriff der „wirtschaftlich angemessenen<br />
Vergütung“ in § 13 Abs. 2 Satz 2 EnWG 1998 bzw. § 46 Abs. 2 Satz<br />
2 EnWG 2005 ist nach den öffentlich zugänglichen Materialien in<br />
beiden Gesetzgebungsverfahren nicht näher behandelt worden. Weder<br />
Bundestag noch Bundesrat haben die im Regierungsentwurf enthaltene<br />
Formulierung diskutiert und erst recht nicht kritisiert.<br />
Das ist für das EnWG 2005 umso bemerkenswerter, als neben der<br />
oben dargestellten Aus<strong>ein</strong>andersetzung der 90er Jahre seit dem<br />
16. November 1999 die „Endschaftsbestimmung“-Entscheidung des<br />
Bundesgerichtshofs [15] über <strong>ein</strong>e Sachzeitwertklausel in <strong>ein</strong>em<br />
Konzessionsvertrag mit der Gem<strong>ein</strong>de Kaufering vorlag. In diesem<br />
Urteil hatte der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs im Kern entschieden,<br />
dass <strong>ein</strong>e Sachzeitwertklausel wegen Verstoßes gegen<br />
§ 103a GWB alter Fassung unwirksam ist, wenn der Sachzeitwert<br />
den Ertragswert nicht unerheblich übersteigt, so dass die Übernahme<br />
der Stromversorgung durch <strong>ein</strong>en nach den Maßstäben wirtschaftlicher<br />
Vernunft handelnden anderen Versorger ausgeschlossen<br />
ist [16]. Der BGH hatte den Fall <strong>zur</strong> weiteren Sachaufklärung an<br />
das Oberlandesgericht München <strong>zur</strong>ückverwiesen, das am 17.11.2005<br />
die Klage der Gem<strong>ein</strong>de Kaufering abwies [17]. Nach der Beweisaufnahme<br />
ergab sich, dass der Ertragswert den Sachzeitwert zum<br />
Stichtag 1. Januar 1995 sogar überstieg. Auch unter Würdigung aller<br />
Hilfsanträge der Klägerin überstieg der Sachzeitwert den Ertragswert<br />
um 7 %. Das bewertete der Senat als kartellrechtlich unerheblichen<br />
Abstand des Sachzeitwertes zum Ertragswert, so dass die<br />
Gem<strong>ein</strong>de den Sachzeitwert zu bezahlen hatte. Im Anschluß an<br />
die Rechtsprechung des BGH [18] und des OLG Düsseldorf [19]<br />
erachtete das OLG München <strong>ein</strong>en Abstand von unter 10 % zwischen<br />
den beiden Werten als kartellrechtlich irrelevant.<br />
Fortführung der Rechtsprechung<br />
„Endschaftsbestimmung“<br />
Wie an anderer Stelle bereits ausführlicher dargestellt [20], lag der<br />
Entscheidung des Bundesgerichtshofs der vertraglich ver<strong>ein</strong>barte<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006
Sachzeitwert zu Grunde, kontrolliert bzw. korrigiert durch <strong>ein</strong>en<br />
kartellrechtlich nichtprohibitiven Abstand zum Ertragswert.<br />
Diese Systematik wird auch bei der Anwendung von § 46 Absatz 2<br />
Satz 2 EnWG fortgeführt werden können, so dass bei Netzabgaben<br />
weiterhin der Sachzeitwert und der Ertragswert zu ermitteln sind<br />
[21]. Der Ertragswert wurde 1995 noch bei geschlossenem Versorgungsmonopol<br />
aus den Gesamterlösen des Vollmonopols ermittelt.<br />
Das ändert sich durch das Energiewirtschaftsgesetz vom 07.07.2005<br />
und vor allem durch die Netzentgeltverordnungen Strom und Gas<br />
vom 25.07.2005 in mindestens zwei gravierenden Punkten.<br />
Zum Ersten muss sich als Folge der im EnWG 2005 angeordneten<br />
Entflechtung von Netz und Versorgung jede Ertragswertberechnung<br />
für <strong>ein</strong> Netz auf den Ertragswert des Netzes beschränken, also auf<br />
die Netzentgelte. Das gilt auch für nicht entflochtene Unternehmen,<br />
die insofern getrennte Preise für die Netzentgelte und die Versorgungsleistungen<br />
zu ermitteln haben und all<strong>ein</strong> die Netzentgelte<br />
den Ertragswerten zu Grunde legen müssen [22]. Auch hier schlägt<br />
der generelle Grundsatz durch, wonach <strong>ein</strong> Netz k<strong>ein</strong>erlei Versorgungstätigkeit<br />
ausübt und ausüben darf [23]. Die Netze werden<br />
zwar zu Zwecken der allgem<strong>ein</strong>en Versorgung errichtet und<br />
betrieben, die Netzbetreiber haben aber k<strong>ein</strong>e Versorgungsaufgaben<br />
mehr [24].<br />
Zum Zweiten wird der Ertragswert durch die Regulierung der Netzentgelte<br />
begrenzt. Die Ertragswertermittlung bestimmt sich bis zum<br />
Inkrafttreten <strong>ein</strong>er Anreizregulierung nach den Regeln der Netzentgeltverordnung.<br />
Aus ihnen sind die Ertragswerte zu errechnen,<br />
da <strong>ein</strong> unmittelbarer Verknüpfungszusammenhang zwischen dem<br />
Ertragswert für <strong>ein</strong> zu überlassenes Netz und den nach den Netzentgeltverordnungen<br />
genehmigten Entgelten besteht. Da der Ertragswert<br />
<strong>ein</strong> Zukunftswert ist, wird es hier auf die dem übernehmenden<br />
Netzbetreiber genehmigten Netzentgelte ankommen, wobei auch zu<br />
bewerten ist, wie sich das übernommene bzw. hinzutretende Netz<br />
auf die bereits genehmigten Netzentgelte auswirkt. Um Prognoseunsicherheiten<br />
und das in ihnen liegende Streitpotenzial zu<br />
minimieren, wird der übernehmende Netzbetreiber <strong>ein</strong>en kompletten<br />
Netzentgeltantrag bei der Bundesnetzagentur unter Einbeziehung<br />
des zu übernehmenden Netzes stellen müssen.<br />
Das In<strong>ein</strong>andergreifen von genehmigungspflichtigen Netzentgelten<br />
und Prohibitivabstandsverbot des Sachzeitwertes zum Ertragswert<br />
kann dazu führen, dass der in der „Endschaftsbestimmung“-Entscheidung<br />
entwickelte Vergleichsmaßstab versagt, weil der Sachzeitwert<br />
zu hoch ausfällt und nur der Ertragswert zum Tragen kommt,<br />
da der Abstand zwischen beiden Werten größer als 10 % wird. Selbst<br />
wenn der 10 %-Abstand <strong>ein</strong>gehalten werden kann – zum Beispiel<br />
durch <strong>ein</strong>e Änderung der Gesamtnutzung [25] –, wird das Prohibitivabstandsverbot<br />
den Sachzeitwert regelmäßig nach unten<br />
ziehen, falls es bei der bisherigen kartellrechtlichen Abweichungsgrenze<br />
von 10% bleibt. Ein ähnliches Ergebnis kann sich <strong>ein</strong>stellen,<br />
soweit sich die Vorgaben des § 6 NEV auch direkt auf den Sachzeitwert<br />
auswirken, zum Beispiel bei der Relation von Restnutzungsdauer<br />
<strong>ein</strong>er Leitung <strong>zur</strong> Gesamtnutzungsdauer.<br />
Solche Entwicklungen sind insbesondere zu erwarten, wenn die<br />
Bundesnetzagentur §§ 6 StromNEV/GasNEV wörtlich anwendet und<br />
kalkulatorische Abschreibungen unter Null verbietet (§ 6 Absatz<br />
6 StromNEV/GasNEV). Dieses Verbot soll ungeachtet der Änderung<br />
von Eigentumsverhältnisse an Netzen oder der Begründung von<br />
Schuldverhältnissen gelten (§ 6 Absatz 7 StromNEV/GasNEV), also<br />
auch Netzüberlassungen erfassen.<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />
37
STROM OHNE GRENZEN<br />
In diesen Regelungen taucht die alte Argumentation aus den 90er<br />
Jahren wieder auf, die Kunden würden bei Übernahmen zum Sachzeitwert<br />
durch erhöhte Abschreibungen mehrfach belastet [26], insbesondere<br />
durch die Fortführung abgeschriebener Anlagen mit<br />
Anhaltewerten. Mit diesem Vorbringen hatte sich das Oberlandesgericht<br />
München in s<strong>ein</strong>er ersten Kaufering-Entscheidung aus<strong>ein</strong>andergesetzt<br />
und war zu dem Ergebnis gekommen, Anhaltewerte<br />
seien in der Elektrizitätswirtschaft üblich und <strong>zur</strong> Korrektur <strong>ein</strong>er<br />
ver<strong>ein</strong>fachungsbedingten Unterbewertung von Stromversorgungsnetzen<br />
betriebswirtschaftlich geboten. Diese Ausführungen hat<br />
der Bundesgerichtshof in der „Endschaftsbestimmung“-Entscheidung<br />
als rechtsfehlerfrei gebilligt [27], ohne über die Zulässigkeit von<br />
Anhaltewerten aus revisionsverfahrensrechtlichen Gründen entscheiden<br />
zu können [28].<br />
Es ist wohl nicht nur für den Juristen erstaunlich, daß solche von<br />
der höchstrichterlichen Rechtsprechung verworfenen alten Überlegungen<br />
der 90er Jahre wie die „Doppelbelastung von Kunden“<br />
im Jahre 2005 im Gewand <strong>ein</strong>er Rechtsverordnung der Bundesregierung<br />
wieder auftauchen und als materielles Gesetz bundesweite<br />
Verbindlichkeit beanspruchen.<br />
Die Ver<strong>ein</strong>barkeit von § 6 Absätze 6 und 7 NEV mit den<br />
Ermächtigungsgrundlagen des Energiewirtschaftsgesetzes und höherrangigem<br />
Recht hat mit der Abwicklung und Auslegung von Endschaftsbestimmungen<br />
unmittelbar nichts zu tun, sondern die Normen<br />
strahlen auf solche Vertragsklauseln lediglich aus. Gerichtliche Aus<strong>ein</strong>andersetzungen<br />
werden in Netzentgeltgenehmigungsverfahren<br />
vor den Oberlandesgerichten und dem Bundesgerichtshof zu führen<br />
s<strong>ein</strong>. Über sie wird wiederum der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs<br />
[29] befinden, der dann s<strong>ein</strong>e Rechtsprechung zu den<br />
Endschaftsbestimmungen zu Grunde legen kann. Nicht auszuschließen<br />
ist, daß letztendlich das Bundesverfassungsgericht zu<br />
entscheiden haben wird, ob und wie weit § 6 Absätze 6 und 7 NEV<br />
und andere Teile der beiden Verordnungen verfassungsgemäß sind.<br />
Verfahrensrechtlich wird zu untersuchen s<strong>ein</strong>, ob Vorschriften der<br />
NEV gemäß Artikel 80 Absatz 1 Satz Grundgesetz von den<br />
Ermächtigungsnormen des EnWG gedeckt sind. Unter dem Aspekt<br />
des Grundrechtsschutzes wird geprüft werden müssen, ob beispielsweise<br />
das schrankenlose Verbot der Abschreibung unter Null<br />
Grundrechte der Netzbetreiber aus den Artikeln 14, 12 und GG verletzt,<br />
weil sie gezwungen werden, Wirtschaftsgüter unentgeltlich zu<br />
veräußern, die noch <strong>ein</strong>en erheblichen nachhaltigen wirtschaftlichen<br />
Wert im Geschäftsverkehr haben. Zu dem Zwangs<strong>ein</strong>griff, alle<br />
zwanzig Jahre das Netzeigentum <strong>zur</strong> vertraglichen Disposition zu<br />
stellen, tritt der Zwang, Wirtschaftsgüter mit hohem Wert zu Null<br />
abzugeben, also „zu verschenken.“ [30]. „Die Eigentumsgarantie des<br />
Art. 14 GG hat die Aufgabe, den Bestand des Eigentums in der Hand<br />
des Eigentümers zu sichern“ [31]. An diesem Maßstab müssen sich<br />
auch die §§ 6 StromNEV/GasNEV messen lassen.<br />
Die Wertermittlung als Energiekartellrecht<br />
Bisher ist zu Grunde gelegt worden, dass die unveränderten kartellrechtlichen<br />
Maßstäbe fortgeführt werden können. Mit der Unterstellung<br />
der Netzbereiche unter <strong>ein</strong> Regulierungsregime ist zu prüfen,<br />
ob Endschaftsklauseln seit dem 13. Juli 2005 dem Kartellrecht oder<br />
dem Regulierungsrecht unterfallen.<br />
Eine erste Antwort findet sich in der Stellung der Norm im EnWG,<br />
nämlich im „nichtregulierten“ Teil 5 (Planfeststellung, Wegenutzung).<br />
Das ist zutreffend, denn materiell ist § 46 EnWG wie die<br />
Vorgängernorm des § 13 EnWG 1998 die energierechtliche Fortführung<br />
der §§ 103, 130 a GWB [32].<br />
38<br />
WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />
Die Zuordnung zum Energiekartellrecht folgt auch aus § 46 Abs. 5<br />
EnWG, wonach die Aufgaben und Zuständigkeiten der Kartellbehörden<br />
nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen<br />
im Rahmen des § 46 EnWG unberührt bleiben. Das ist auch<br />
systematisch und logisch begründbar. In Konsequenz der kartellrechtlichen<br />
Abstammung der Absätze 1 bis 4 des § 46 EnWG ist<br />
dessen Absatz 5 <strong>ein</strong>e Kompetenzzuweisung an die Kartellbehörden,<br />
die <strong>ein</strong>e Zuständigkeit der Bundesnetzagentur ausschließt. Diese<br />
könnte ohnehin nur ihre allgem<strong>ein</strong>en Instrumente nach § 65 EnWG<br />
<strong>ein</strong>setzen, wohingegen die Kartellbehörden die kartellrechtlichen<br />
Spezialinstrumente der §§ 19, 20 GWB <strong>zur</strong> Verfügung hat. § 46 Abs.<br />
5 EnWG entzieht Lebenssachverhalte aus dem Bereich des § 46<br />
der Zuständigkeit der jeweiligen Regulierungsbehörde und belässt<br />
sie in der Zuständigkeit des Bundeskartellamtes bzw. der Landeskartellbehörden.<br />
Bei der Prüfung von Endschaftsbestimmungen sind nach Aufhebung<br />
der §§ 103, 103a GWB a.F. die §§ 19 und 20 GWB un<strong>ein</strong>geschränkt<br />
anwendbar, da § 46 EnWG k<strong>ein</strong>e ausdrücklich abschließende<br />
Regelung im Sinne von § 111 Absatz 1 Satz 1 EnWG enthält. Führt<br />
<strong>ein</strong>e Kartellbehörde <strong>ein</strong> Verfahren nach § 19 GWB durch, so hat<br />
sie der Bundesnetzagentur Gelegenheit <strong>zur</strong> Stellungnahme zu geben<br />
(§ 58 Abs. 2 EnWG).<br />
Selbst wenn man <strong>ein</strong>e konkurrierende Kompetenz der Regulierungsbehörde<br />
und der jeweils zuständigen Kartellbehörde oder des Bundeskartellamts<br />
in Fällen des § 46 EnWG annehmen würde, hätte die<br />
jeweilige Regulierungsbehörde den Vorrang der Regelungen des<br />
GWB zu achten, der sich aus unmittelbarer bzw. bei der Anwendung<br />
durch Landesregulierungsbehörden analoger Anwendung von §<br />
58 Abs. 3 EnWG ergibt.<br />
Richterliche Kontrolldichte<br />
Von entscheidender Bedeutung für <strong>ein</strong> rechtsstaatliches Regulierungsregime<br />
wird die richterliche Kontrolldichte s<strong>ein</strong>, mit der das Verwaltungshandeln<br />
der Regulierungsbehörden, vorrangig der Bundesnetzagentur,<br />
durch die Dritte Gewalt überwacht und notfalls gezügelt<br />
wird.<br />
Einem verfassungsgemäßen Verhältnis von richterlicher Kontrolle<br />
der Verwaltung kann nur entsprechen, dass die richterliche Kontrolle<br />
umso intensiver ist, je stärker die Exekutive in die Rechte<br />
von Unternehmen <strong>ein</strong>greifen kann. Ein allumfassendes Regulierungsregime<br />
mit straffen gesetzlichen Instrumenten, wie sie im 3. und im<br />
8. Teil des EnWG enthalten sind, erfordert zum Ausgleich und zum<br />
Ausbalancieren <strong>ein</strong>e deutlich höhere Kontrolldichte als zum Beispiel<br />
die kartellrechtliche Missbrauchskontrolle. Die hergebrachten verwaltungsrechtlichen<br />
Lehren vom Ermessen und den unbestimmten<br />
Rechtsbegriffen mit und ohne Beurteilungsspielraum bedürfen daher<br />
<strong>ein</strong>er Aktualisierung in ihrer Anwendung im Regulierungsrecht der<br />
Energiewirtschaft [33]. Das gilt insbesondere in der Anlaufphase,<br />
in der die Weichen auch im Umgang mit<strong>ein</strong>ander für lange Zeit<br />
gestellt werden. Es ist weder nach Verfassungsrecht noch nach Verwaltungsrecht<br />
notwendig, <strong>ein</strong> neues Sonderrecht der Regulierung<br />
zu konstruieren, das sich in das überlieferte Verwaltungsrechtssystem<br />
nicht <strong>ein</strong>füge und das wegen s<strong>ein</strong>er direktiven Eingriffsmöglichkeiten<br />
und s<strong>ein</strong>er Systemfremdheit stärkere gerichtsfreie<br />
Spielräume benötige. Im Gegenteil: Entscheidungen der Regulierungsbehörden<br />
sind stets ökonomisch determiniert und schon deswegen<br />
voll nachprüfbar. Sie handeln nicht politisch-gouvernemental, sondern<br />
vollziehen Gesetze. Die Maßstäbe der Rationalität und Nachprüfbarkeit,<br />
die die Regulierungsbehörde an das Verhalten der regulierten<br />
Unternehmen anlegt, muß sie auch gegen sich gelten lassen. Dezisio-<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006
nistische, der gerichtlichen Nachprüfung entzogene Entscheidungsparameter<br />
darf regulatorisches Verwaltungshandeln im<br />
Rechtsstaat nicht enthalten.<br />
Zusammenfassung<br />
■ Wegenutzungsverträge (Konzessionsverträge), die vor dem 28.<br />
April 1998 abgeschlossen wurden, sind hinsichtlich ihrer Endschaftsbestimmungen<br />
durch das EnWG 1998 und das EnWG 2005<br />
unverändert geblieben.<br />
■ Wenn Endschaftsbestimmungen spezielle Anlagenübernahmeklauseln<br />
enthalten, wie beispielsweise den Sachzeitwert oder den<br />
Taxwert, dann sind diese Klauseln weiterhin Vertragsinhalt; sie sind<br />
nicht durch den unbestimmten Gesetzesbegriff der „wirtschaftlich<br />
angemessenen Vergütung“ in § 46 Absatz 2 EnWG ersetzt worden.<br />
■ Ihnen ist mit der Entscheidung des Bundesgerichthofs „Endschaftsbestimmung“<br />
(Kaufering) der jeweilige Ertragswert gegenüberzustellen.<br />
Übersteigt der Sachzeitwert um mehr als 10 % den<br />
Ertragswert, so kann er insofern nicht verlangt werden, sondern nur<br />
bis zu 10 % über dem Ertragswert.<br />
■ Der Ertragswert <strong>ein</strong>es Netzes errechnet sich als Zukunftswert<br />
nach den Netzentgelten, die der Netzübernehmer erwarten kann.<br />
Sie werden nach der Netzentgeltverordnung ermittelt.<br />
■ Endschaftsbestimmungen unterliegen als Energiekartellrecht dem<br />
Maßstab des § 19 GWB, nicht aber den allgem<strong>ein</strong>en Aufsichtsmaßnahmen<br />
nach § 65 EnWG.<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />
Anmerkungen<br />
[1] §§ 46 Absatz 2 Satz 2 Energiewirtschaftsgesetz 2005, 13 Absatz 2 Satz 2 Energiewirtschaftsgesetz<br />
1998, 103a Absatz 1 Satz 1 GWB 1990.<br />
[2] An Sinn und Zulässigkeit <strong>ein</strong>er solchen Befristung kann nach der Entflechtung der<br />
Netze und der Verpflichtung der Netzbetreiber zu diskriminierungsfreiem Netzzugang und<br />
Netznutzung mehr denn je gezweifelt werden. Aber das ist nicht Thema dieser Überlegungen.<br />
[3] Der Begriffswechsel war unnötig, denn der Begriff „Konzessionsvertrag“ ist sehr viel<br />
älter als das Kartellrecht und hat nach überwiegender M<strong>ein</strong>ung von jeher <strong>ein</strong>en zivilrechtlichen<br />
Vertrag gem<strong>ein</strong>t. Vergleiche Scholtka, Das Konzessionsabgabenrecht in der Elektrizitäts-<br />
und Gaswirtschaft, VEnergG, 1999 S. 34 unter Hinweis auf Arbeiten von<br />
Crome 1917 und Thoma 1918.<br />
[4] § 1 des Übergangsgesetzes aus Anlass des Gesetzes <strong>zur</strong> Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts.<br />
[5] Danner/Theobald, Energierecht (Stand Januar 2006), Einführung zum EnWG, Seite 25<br />
Randnummer 57; Pippke/Gaßner, RdE 2006, Seite 33.<br />
[6] Jeweils für § 1 (siehe vorstehende Fußnote) Kühne, in: Das neue Energierecht in der<br />
Bewährung – Festschrift für Jürgen F. Baur, Seite 187, 192 ff, Böwing, in: Energiewirtschaftsgesetz<br />
1998, Seite 270 Anmerkung 8.1, Obernolte/Danner zu § 13 Rn. 2 EnWG<br />
1998, Scholtka a.a.O. Seite 42 f; anderer Ansicht Kermel, in: Berliner Kommentar zum<br />
Energierecht Seite 1109.<br />
[7] Kühne FS Baur, Seite 195ff, Böwing, in: Energiewirtschaftsgesetz 1998, Seite 271<br />
Anmerkung 8.2.<br />
[8] Anderer Ansicht Pippke/Gaßner RdE 2006, Seite 34 unter völliger Außerachtlassung<br />
der Entstehungsgeschichte des § 13 EnWG 1998 und des § 46 EnWG.<br />
[9] Begründung der Bundesregierung zu § 8 EnWG 1998, Bundestagsdrucksache 13/7274<br />
Seite 21.<br />
[10] Hüffer/Tettinger, Konzessionsvertrag, Endschaftsklausel und Übernahmepreis (1990)<br />
Seite 47 ff, dieselben, Rechtsfragen beim Versorgerwechsel nach Ablauf von Kon-<br />
39
STROM OHNE GRENZEN<br />
40<br />
WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />
zessionsverträgen (1993), S. 55 ff, Tettinger/Pielow, Der Sachzeitwert als der nach<br />
wie vor maßgebliche Übernahmepreis beim Versorgerwechsel (1995), Recknagel, Zum<br />
historischen und heutigen Sachzeitwertbegriff, in: Recht der Energiewirtschaft 1996, Seite<br />
218-225; weitere Nachweise der Literatur in BGHZ 143, 128, 151 f.<br />
[11] Eiber/Fuchs Betriebsberater 1994, Seite 1175 ff.<br />
[12] Petersen/Klaue/Zezwitsch/Traub, Gutachten <strong>zur</strong> Beurteilung von Endschaftsklauseln<br />
in Stromkonzessionsverträgen (1995).<br />
[13] OLG Celle WuW/E OLG 5036 = RdE 1997, 144, OLG Frankfurt/Main WuW/E OLG<br />
5036 = RdE 1992, 159; OLG München WuW/E OLG 5385; LG Hannover RdE 1996, 31.<br />
[14] Bundesratsdrucksache 686/91 Seite 19.<br />
[15] BGHZ 143, 128 ff = Energiewirtschaftliche Tagesfragen 2000, Seite 182 ff = Recht<br />
der Energiewirtschaft 2000, Seite 108 ff.<br />
[16] BGZ 143, 128 (Leitsatz 1) und Seite 157.<br />
[17] Urteil vom 17.11.2005 – U (K) 3325/96.<br />
[18] Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verlangt <strong>ein</strong>en „deutlichen Abstand“<br />
zwischen zwei Preisen, jenseits dessen <strong>ein</strong> kartellrechtlicher Missbrauch beginnt: vgl.<br />
BGH, Beschluß vom 22.7.1999, Flugpreisspaltung.<br />
[19] OLG Düsseldorf , Beschluß vom 11.2.2004, Umdruck Seite 11 – „TEAG“.<br />
[20] Recknagel, Zur Stromnetzübernahme nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs<br />
vom 16.11.1999, Energiewirtschaftliche Tagesfragen 2000, S. 336 ff.<br />
[21] Ebenso Danner/Theobald – wie Fußnote 5 – Anmerkung 62 S. 26, der allerdings<br />
noch den „objektiven Wert“ erwähnt. Der „objektive“ Wert spielt in der Leitentscheidung<br />
„Endschaftsbestimmung“ k<strong>ein</strong>e Rolle. Ob dieser dritte Wert dem Prüfmaßstab des BGH<br />
in dem Revisionsverfahren („Lippstadt“) standgehalten hat, war zum Zeitpunkt des<br />
Manuskriptabschlusses unbekannt.<br />
[22] Auch <strong>ein</strong> nichtentflochtenes Unternehmen (de-minimis-Unternehmen) muß Netzentgelte<br />
nach der NEV bilden und darf nur sie im Falle <strong>ein</strong>er Netzveräußerung ansetzen.<br />
[23] Der Netzerwerb bedeutet k<strong>ein</strong>en Erwerb von Versorgungskunden. Die Stellung als<br />
Grundversorger oder als sonstiger Versorger wird durch die Netzveräußerung nicht berührt.<br />
Es wird häufig vorkommen, dass zwar <strong>ein</strong> Netz auf Grund <strong>ein</strong>er Entscheidung <strong>ein</strong>er<br />
Gem<strong>ein</strong>de von <strong>ein</strong>em Netzbetreiber erworben wird, aber bis zum nächsten Stichtag<br />
nach § 36 Absatz 2 EnWG die Grundversorgung bei dem bisherigen Versorger verbleibt.<br />
Denn die Gem<strong>ein</strong>den entscheiden nach dem jetzigen Recht nicht mehr über die Versorgung<br />
im Gem<strong>ein</strong>degebiet.<br />
[24] Insbesondere die Entnahme von Energie aus dem Netz begründet k<strong>ein</strong> Versorgungsverhältnis<br />
zum Netzbetreiber.<br />
[25] Vergleiche hierzu LSP Nr. 39 Absatz 2 Satz 2 und Ebisch/Gottschalk, Preise und<br />
Preisprüfungen bei öffentlichen Aufträgen, 7. Auflage, Randnummern 14-20 zu Nr. 39<br />
LSP.<br />
[26] Das wird in dem „Positionspapier der Regulierungsbehörden des Bundes und der<br />
Länder zu Einzelfragen der Kostenkalkulation gemäß Stromnetzentgeltverordnung“ vom<br />
7. März 2006 sehr deutlich.<br />
[27] BGHZ 143, 158.<br />
[28] BGHZ 143, 161.<br />
[29] § 107 Absatz 1 Ziffer 1 EnWG.<br />
[30] Hinzu tritt auf der Ebene des <strong>ein</strong>fachen Rechts die Frage, wie sich <strong>ein</strong>e solche Praxis<br />
mit dem ausdrücklichen Verbot des § 3 Absatz 2 Nummer 3 KAV ver<strong>ein</strong>baren ließe, wonach<br />
Verpflichtungen <strong>zur</strong> Übertragung von Versorgungs<strong>ein</strong>richtungen ohne wirtschaftlich<br />
angemessenes Entgelt verboten sind.<br />
[31] BVerfGE 24, 367, 400f. (Hervorhebung durch den Verfasser).<br />
[32] Die §§ 103, 103a gelten weiterhin für die Wasserversorgung. Unter dem Aspekt<br />
des Gleichheitssatzes des Artikels 3 GG ersch<strong>ein</strong>t es schon sehr begründungsbedürftig,<br />
wie man in <strong>ein</strong>em angenommenen Fall der gleichzeitigen Übertragung von Strom- und<br />
Gasnetzen <strong>ein</strong>erseits und <strong>ein</strong>es Wassernetzes andererseits die unterschiedlichen Wertberechnungen<br />
rechtfertigen würde. All<strong>ein</strong> auf unterschiedliche Rechtsrahmen hinzuweisen,<br />
dürfte nicht ausreichen, da die zu beurteilenden ökonomischen Sachverhalte identisch<br />
s<strong>ein</strong> würden und die rechtlichen Spielregeln von 1957 (Inkrafttreten des GWB) bis 1998<br />
gleich waren.<br />
[33] Die Situation erinnert an die 50er-Jahre mit den Vorbereitungen der Einführung <strong>ein</strong>er<br />
von der Verwaltung abgelösten Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die Diskussion begann mit<br />
dem Aufsatz von Bachof JZ 1955, 97 ff: „Beurteilungsspielraum, Ermessen und unbestimmter<br />
Rechtsbegriff im Verwaltungsrecht.“<br />
Prof. Dr. H. Recknagel, Honorarprofessor an der Universität Hannover,<br />
RA Kanzlei KSB INTAX Knoke Sallawitz v. Bismarck Brauer v. Bock<br />
Wendenburg Celle/Hannover<br />
rck100@web.de<br />
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006