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ein geeignetes Modell zur kosteneffizienten CO 2 - VRE

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ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE<br />

TAGESFRAGEN<br />

ZEITSCHRIFT FÜR ENERGIEWIRTSCHAFT·RECHT·TECHNIK UND UMWELT<br />

>> STROM OHNE GRENZEN<br />

WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />

<strong>VRE</strong>-JAHRESTAGUNG 2006<br />

6/2006<br />

S P E C I A L


STROM OHNE GRENZEN<br />

Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

die energiepolitischen Aktivitäten im europäischen Strom- und Gassektor schreiten voran. Nach Auffassung der Europäischen Kommission<br />

müssen die Mitgliedstaaten die Marktöffnungsbestimmungen gemäß der gem<strong>ein</strong>schaftlichen Gas- und Stromrichtlinie wirksamer<br />

als bisher umsetzen. Zu diesem Fazit gelangt der jüngste Benchmarking-Bericht über die Umsetzung des Energiebinnenmarktes.<br />

Und die Zwischenergebnisse der sogenannten „Sector Inquiry“ der Kommission, die mit <strong>ein</strong>em Bericht zum Jahresende abgeschlossen<br />

werden soll, unterstreichen dies.<br />

Ganz oben auf der Mängelliste stehen die angeblich hohe Marktkonzentration, mangelnde Integration der Einzelmärkte in das Gesamtsystem,<br />

die fehlende Transparenz sowie <strong>ein</strong> generelles Misstrauen gegenüber Preisbildungen. – Soweit die Kommission. Die auf<br />

fragwürdigen Maßstäben beruhenden Feststellungen sind indes von der Realität des Wettbewerbs im deutschen Strommarkt weit entfernt.<br />

Die unterschiedliche Geschwindigkeit der Umsetzung des Binnenmarktes in den <strong>ein</strong>zelnen Mitgliedstaaten soll hier jedoch<br />

nicht in Abrede gestellt werden.<br />

Dieses Special, das wir anlässlich der Jahrestagung 2006 des Verbandes der Verbundunternehmen und Regionalen Energieversorger<br />

in Deutschland – <strong>VRE</strong> – e. V. („Strom ohne Grenzen – Wo steht der europäische Strommarkt?“ am 31.05. bis 01.06.2006 in<br />

Berlin) vorlegen, analysiert die Entwicklung der EU-Energiepolitik und setzt sich mit den Vorwürfen der Kommission konstruktiv<br />

aus<strong>ein</strong>ander. Dabei stehen Energiepreisentwicklung, Emissionshandel sowie die erneuerbaren Energien im Mittelpunkt.<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE<br />

TAGESFRAGEN<br />

ZEITSCHRIFT FÜR ENERGIEWIRTSCHAFT·RECHT·TECHNIK UND UMWELT<br />

<strong>VRE</strong>-JAHRESTAGUNG 2006<br />

6/2006<br />

S P E C I A L<br />

>> STROM OHNE GRENZEN<br />

WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />

Impressum<br />

Redaktion:<br />

Martin Czakainski<br />

(verantwortlich)<br />

Franz Lamprecht,<br />

Jörg Siefke-Bremkens<br />

Verlag:<br />

etv GmbH,<br />

Montebruchstraße 2,<br />

45219 Essen<br />

Satz, Gestaltung:<br />

Scheerer GmbH,<br />

Hohenzollernstraße 65,<br />

45128 Essen<br />

Titelmotiv:<br />

Jens Herr, Signbase,<br />

Mühlheim/Ruhr<br />

Druck:<br />

WAZ Druck, Theodor-Heuss-<br />

Straße 77, 47167 Duisburg<br />

WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />

„et“-Redaktion<br />

Interview mit Klaus Rauscher<br />

„Der deutsche Strommarkt ist besser als s<strong>ein</strong> Ruf“ 4<br />

Henning Rentz<br />

Energiepolitische Diskussion ohne Scheuklappen 6<br />

R<strong>ein</strong>hold Buttgereit<br />

Die EU-Energiepolitik zwischen Binnenmarkt, globalem Wettbewerb<br />

und Energie-Außenpolitik 8<br />

Wolfgang Pfaffenberger<br />

Zu den Fundamentaldaten der Energiepreisentwicklung 12<br />

Jürgen Grohmann<br />

Alternativen in <strong>ein</strong>em unruhigen Markt 19<br />

Interview mit Karl Michael Fuhr<br />

„Emissionszertifikate sind <strong>ein</strong> wichtiger Faktor für die Strompreise“ 23<br />

Norbert Azuma-Dicke, Siegfried F. Franke<br />

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz – <strong>ein</strong> <strong>geeignetes</strong> <strong>Modell</strong> <strong>zur</strong><br />

<strong>kosteneffizienten</strong> <strong>CO</strong> 2 -Minderung in Europa? 24<br />

Derk J. Swider<br />

Zusatzkosten im konventionellen Kraftwerkspark durch den Ausbau<br />

der Windenergie 27<br />

Claus Hodurek<br />

Einspeisung regenerativer Kraftwerke –<br />

Herausforderung an <strong>ein</strong>en Übertragungsnetzbetreiber 31<br />

Henning Recknagel<br />

Endschaftsklauseln in Wegenutzungsverträgen 36<br />

3


STROM OHNE GRENZEN<br />

„Der deutsche Strommarkt ist besser als s<strong>ein</strong> Ruf“<br />

Interview mit Klaus Rauscher, Präsident des Verbandes der Verbundunternehmen und Regionalen Energieversorger<br />

in Deutschland – <strong>VRE</strong> – e.V.<br />

Die EU-Kommission will für mehr Wettbewerb auf den europäischen Energiemärkten sorgen und hat dafür bereits im Jahre 2003<br />

die sog. Beschleunigungsrichtlinien Strom und Gas erlassen. Mit dem neuen Energiewirtschaftsgesetz wurden im letzten Jahr in<br />

Deutschland diese neuen „Spielregeln“ für alle Markteilnehmer <strong>ein</strong>geführt. Trotzdem ist die Kommission mit den Ergebnissen<br />

bei der Stärkung des Wettbewerbes in europäischem Maßstab bisher nicht zufrieden.<br />

et: Die Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes hat im Februar 2006<br />

den Zwischenbericht über die Sektorenuntersuchung vorgestellt. Sie<br />

kommt darin zu dem Ergebnis, dass der Wettbewerb auf den nationalen<br />

Energiemärkten noch zu wünschen übrig lässt. Teilen Sie diese<br />

M<strong>ein</strong>ung?<br />

Rauscher: Soweit es Deutschland betrifft, n<strong>ein</strong>. Die Kommission<br />

stützt ihre Bewertung auf veraltete Informationen. In Deutschland<br />

haben wir seit Juli 2005 die EU-Binnenmarktrichtlinien mit dem<br />

neuen Energiewirtschaftsgesetz voll und ganz in nationales Recht<br />

umgesetzt. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Die Entflechtung<br />

des Netzbetriebs läuft und es wurden aus dem Stand heraus funktionstüchtige<br />

Regulierungsbehörden geschaffen. Dass Deutschland<br />

hinsichtlich s<strong>ein</strong>er Marktöffnung kritisiert wird, ist für mich schwer<br />

nachvollziehbar. Ich kann der Kommission nur empfehlen, den<br />

deutschen Energiemarkt unter den jetzt geltenden Regelungen neu<br />

zu bewerten. Ich hielte es zudem für vernünftig, etwas mehr Geduld<br />

aufzubringen. Neue Gesetze können nicht von heute auf morgen ihre<br />

volle Wirkung entfalten. Auch sollte die Kommission ihre Maßstäbe<br />

überdenken, die sie für die Bewertung <strong>ein</strong>es Marktes anlegt.<br />

et: Welche Maßstäbe m<strong>ein</strong>en Sie?<br />

Rauscher: Die EU hat immer wieder die Wechselraten von Endkunden<br />

als <strong>ein</strong> wesentliches Kriterium für die Beurteilung der Wettbewerbsintensität<br />

herangezogen. Dieses Kriterium greift aber zu<br />

kurz, wie wir aus Untersuchungen wissen. Die Verbraucher handeln<br />

mit ihren Versorgern lieber günstigere Tarife in bestehenden Verträgen<br />

aus, als zu <strong>ein</strong>em neuen Anbieter zu wechseln. Gerade die<br />

deutschen Haushaltskunden zeigen sich vielmals als<br />

„Wechselmuffel“.<br />

Dagegen haben wir<br />

bei den Industriekunden<br />

seit Beginn<br />

der Liberalisierung<br />

hohe Wechselraten.<br />

4<br />

WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />

et: Sie halten also<br />

die Kritik der Kommission<br />

an Deutschland<br />

für überzogen?<br />

Rauscher: Ich kann die Kommission nur bitten, ihre Bewertung auf<br />

<strong>ein</strong>er sachgerechten Bestandsaufnahme zu gründen. Der Wettbewerb<br />

hat bei uns längst stärker Einzug gehalten, als es die Kommission<br />

wahrnimmt. Für alle Kunden – private wie gewerbliche – ist <strong>ein</strong><br />

unkomplizierter Wechsel des Anbieters jederzeit möglich. Auch<br />

die Einbindung Deutschlands in den europäischen Binnenmarkt<br />

ist besser als oft behauptet: Wir sind inzwischen mit unseren Nachbarn<br />

gut vernetzt und der grenzüberschreitende Stromhandel nimmt<br />

von Jahr zu Jahr zu. Im letzten Jahr war Deutschland erneut<br />

Stromnettoexporteur.<br />

et: Aber das sagt noch nichts über den Wettbewerb aus.<br />

Rauscher: In Deutschland sind wesentlich mehr Energieversorgungsunternehmen<br />

tätig, als in irgend <strong>ein</strong>em anderen EU-Mitgliedstaat.<br />

Sie müssen auch sehen, dass die Leipziger Strombörse<br />

EEX inzwischen zum zweitgrößten Stromhandelsplatz Europas aufgestiegen<br />

ist. K<strong>ein</strong> internationaler Händler ließe sich auf <strong>ein</strong>en Markt<br />

<strong>ein</strong>, der ihm k<strong>ein</strong>e Gewinnmöglichkeiten bietet. Und wir wissen, dass<br />

nur wettbewerblich organisierte Märkte diese Möglichkeiten bieten.<br />

Hinzu kommt, dass sowohl im Endkundengeschäft als auch auf der<br />

Erzeugerseite der internationale Wettbewerbsdruck in Deutschland<br />

sehr hoch ist. Nicht nur Großkonzerne wie die EdF oder Electrabel<br />

treten im deutschen Markt auf, sondern auch Gesellschaften wie<br />

Nuon und andere beteiligen sich rege am Wettbewerb um Kunden.<br />

Der deutsche Strommarkt ist bereits heute sehr attraktiv. Der Wettbewerb<br />

erfasst dabei zunehmend alle Wertschöpfungsstufen. Das<br />

zeigt sich nicht zuletzt daran, dass ausländische Gesellschaften nicht<br />

nur im Handel aktiv sind, sondern sich auch durch Kapitalbeteiligungen<br />

in deutschen Versorgungsunternehmen <strong>ein</strong>bringen. Darüber<br />

hinaus sind sie bereit, im Vertrauen auf die Stabilität des Marktes<br />

eigene Erzeugungskapazitäten in Deutschland zu errichten.<br />

et: Gibt es also in Europa k<strong>ein</strong>en Handlungsbedarf?<br />

Rauscher: Das will ich damit nicht sagen. Im europäischen<br />

Strommarkt gibt es Fehlentwicklungen. Die Liberalisierung der<br />

nationalen Energiemärkte ist sehr unterschiedlich fortgeschritten.<br />

Noch nicht alle Staaten haben ihre Hausaufgaben gemacht. Und dann<br />

gibt es Versuche <strong>ein</strong>zelner Staaten, die Strompreise für die Industrie<br />

unter das Marktniveau zu drücken mit dem Ergebnis, dass der<br />

„Dass Deutschland hinsichtlich s<strong>ein</strong>er Marktöffnung kritisiert wird, ist für mich schwer nachvollziehbar.<br />

Ich kann der Kommission nur empfehlen, den deutschen Energiemarkt unter den jetzt<br />

geltenden Regelungen neu zu bewerten. Ich hielte es zudem für vernünftig, etwas mehr Geduld aufzubringen.<br />

Neue Gesetze können nicht von heute auf morgen ihre volle Wirkung entfalten.“<br />

Klaus Rauscher, Präsident des Verbandes der Verbundunternehmen und Regionalen Energieversorger<br />

in Deutschland – <strong>VRE</strong> – e.V.<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006


STROM OHNE GRENZEN<br />

Wettbewerb zum Erliegen kommt. Dass die Kommission diesen<br />

Bestrebungen nicht sehr viel entschlossener entgegentritt, finde ich<br />

erstaunlich.<br />

et: Wo sollte die Kommission Ihrer M<strong>ein</strong>ung nach die Schwerpunkte<br />

setzen?<br />

Rauscher: Bei der Liberalisierung der Strommärkte ist darauf zu<br />

dringen, dass alle Mitgliedstaaten die Binnenmarktrichtlinien zügig<br />

und in vollem Umfang umsetzen. Nur bei konsequenter Anwendung<br />

dieser Regelungen ist am Ende <strong>ein</strong> fairer, <strong>ein</strong>heitlicher Wettbewerbsmarkt<br />

in Europa garantiert. Auch der Tendenz <strong>ein</strong>zelner<br />

Länder, ihre Energiemärkte abzuschotten, sollte die Kommission entschlossen<br />

entgegentreten. Denn dieses Verhalten widerspricht dem<br />

Gedanken des Binnenmarktes. In dieser Beziehung gibt es für<br />

Deutschland k<strong>ein</strong>erlei Handlungsbedarf. Das sage ich bewusst als<br />

Vertreter <strong>ein</strong>es Unternehmens mit schwedischer Mutter. Der Schwerpunkt<br />

sollte jedenfalls nicht darauf liegen, neue Regelungen zu<br />

erfinden. Wir sind mit dem jetzigen Regelwerk auf <strong>ein</strong>em guten Weg.<br />

et: Herr Dr. Rauscher, ich danke Ihnen für das Gespräch.<br />

Die Fragen stellte Martin Czakainski<br />

6<br />

WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />

„Bei der Liberalisierung der Strommärkte ist darauf zu dringen, dass<br />

alle Mitgliedstaaten die Binnenmarktrichtlinien zügig und in vollem<br />

Umfang umsetzen. Nur bei konsequenter Anwendung dieser Regelungen<br />

ist am Ende <strong>ein</strong> fairer, <strong>ein</strong>heitlicher Wettbewerbsmarkt in<br />

Europa garantiert. Auch der Tendenz <strong>ein</strong>zelner Länder, ihre Energiemärkte<br />

abzuschotten, sollte die Kommission entschlossen entgegentreten.<br />

Denn dieses Verhalten widerspricht dem Gedanken des<br />

Binnenmarktes.“<br />

Klaus Rauscher, Präsident des Verbandes der Verbundunternehmen<br />

und Regionalen Energieversorger in Deutschland – <strong>VRE</strong> – e.V.<br />

Mit Ausnahme der neuen Bundesländer ist in den vergangenen zwei<br />

Dekaden vergleichsweise wenig in die Modernisierung der deutschen<br />

Energiewirtschaft investiert worden. Diese steht daher vor der großen<br />

Herausforderung, heute die richtigen Weichen zu stellen und so<br />

die Energieversorgung auch für kommende Generationen zu sichern.<br />

Dass Versorgungssicherheit <strong>ein</strong>e für Industrienationen wie Deutschland<br />

existenzielle Frage ist, haben nicht zuletzt die aktuellen Diskussionen<br />

um Gaslieferungen aus Russland in die Ukraine und Westeuropa<br />

sowie die Ankündigung Russlands, künftig Erdöl verstärkt<br />

nach Asien zu liefern, deutlich gezeigt.<br />

Die Verknappung von Erdöl, Gas und Kohle ist <strong>ein</strong> Prozess, der im<br />

Grunde bereits mit dem ersten Tag der Förderung begann. Seit der<br />

ersten Nutzung dieser Ressourcen ist es aber mehr oder weniger<br />

immer gelungen, der weltweit steigenden Nachfrage <strong>ein</strong> ebenfalls<br />

steigendes Angebot entgegenzusetzen (Ausnahmen gab es natürlich<br />

u. a. während der Ölpreiskrisen der 70er Jahre, diese waren aber<br />

politischer Natur und – zumindest aus heutiger Sicht – zeitlich überschaubar).<br />

Dramatische Erhöhung der Rohstoffnachfrage<br />

In den vergangenen Jahren hat sich die Nachfrage nach fossilen Rohstoffen<br />

aber dramatisch erhöht. Länder wie China oder Indien<br />

brauchen für ihr enormes Wirtschaftswachstum Energie und treten<br />

auf den internationalen Märkten für Öl, Gas und Kohle zunehmend<br />

als Nachfrager in Ersch<strong>ein</strong>ung. Die erforderliche Anpassung des<br />

Angebots wird erhebliche Investitionen und auch Zeit in Anspruch<br />

nehmen. Hinzu kommt, dass es neben den Mengeneffekten verstärkt<br />

Engpässe bei bestimmten Ölqualitäten gibt und zum Teil auch die<br />

Verarbeitungskapazitäten nicht in ausreichendem Maße verfügbar<br />

sind. So importieren z. B. die USA zusätzlich <strong>zur</strong> eigenen Produktion<br />

jährlich zweimal so viel Benzin, wie in Deutschland insgesamt verbraucht<br />

wird. Der damit insgesamt zusammenhängende Preisdruck<br />

ist inzwischen für alle deutlich spürbar.<br />

Der in Deutschland ver<strong>ein</strong>barte Ausstieg aus der Kernenergie verschärft<br />

die Situation zusätzlich. Er führt zu <strong>ein</strong>er Lücke in der Stromversorgung,<br />

die durch den Einsatz anderer Primärenergieträger oder<br />

regenerativer Energien geschlossen werden muss – und zwar zuverlässig,<br />

umweltverträglich und bezahlbar. Angesichts der<br />

beschriebenen Entwicklungen bei den fossilen Energieträgern und<br />

der Tatsache, dass die erneuerbaren Energien auf absehbare Zeit<br />

nicht in der Lage s<strong>ein</strong> werden, diese Lücke zu schließen, wird deutlich,<br />

dass die deutsche Energieversorgung breit aufgestellt s<strong>ein</strong> muss und<br />

nicht alles nur auf <strong>ein</strong>e oder wenige Karten gesetzt werden darf. Dies<br />

gilt im übrigen nicht all<strong>ein</strong> für Deutschland, sondern für die<br />

Europäische Union insgesamt.<br />

Vor <strong>ein</strong>igen Jahren noch schien die Lösung zum Greifen nahe: Erdgas<br />

und regenerative Energien sollten die Versorgung zu sicheren, umweltfreundlichen<br />

und preiswerten Bedingungen sicherstellen. Doch der<br />

Euphorie folgt bei genauem Hinsehen Ernüchterung. Denn was würde<br />

das tatsächlich bedeuten? Bei <strong>ein</strong>er vollständigen Substitution der<br />

Kernenergie durch Gas müssten 30 Mrd. m 3 – also gut <strong>ein</strong> Drittel des<br />

gegenwärtigen deutschen Gasverbrauchs – zusätzlich <strong>ein</strong>geführt<br />

werden. Hierfür würden die bestehenden Importmöglichkeiten aus<br />

Russland bei weitem nicht ausreichen. Und auch die LNG-Kapazitäten<br />

(LNG: Liquefied Natural Gas), die sich in Deutschland erst in Planung<br />

befinden, könnten die Versorgung nicht gewährleisten. Die preistreibenden<br />

Effekte dieser zusätzlichen Nachfrage sind in dieser<br />

Betrachtung noch gar nicht berücksichtigt. Gleiches gilt für die<br />

steigende Importabhängigkeit, die mit dem vermehrten Einsatz von<br />

Erdgas verbunden wäre.<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006


Energiepolitische Diskussion ohne Scheuklappen<br />

Henning Rentz<br />

Die Diskussion um die Zukunft der deutschen Energieversorgung erhitzt die Gemüter. Kaum <strong>ein</strong> anderes Thema steht so hoch<br />

auf der politischen Agenda. Im Streit um die Balance des energiepolitischen Zieldreiecks von Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit<br />

und Umweltschutz wird die Diskussion häufig mit ideologischen Scheuklappen geführt, obwohl Realismus dringend<br />

notwendig wäre. Das Beispiel Kohleverstromung zeigt, dass Kraftwerksmodernisierungen und die Weiterentwicklung von Technologien<br />

bei <strong>ein</strong>er realistischen Betrachtung der Fakten die Voraussetzungen für <strong>ein</strong>e zukunftsfähige Energieversorgung in Deutschland<br />

sind.<br />

Ebenso begrenzt ist der zunehmende Einsatz der erneuerbaren Energien.<br />

Sie sind – abgesehen von der Biomasse – nicht grundlastfähig<br />

und können daher auf absehbare Zeit immer nur als – wichtiges –<br />

Additiv in der Energieversorgung vorangebracht werden. Ein vollwertiges<br />

Substitut für Kernkraftwerke mit ihrer hohen Zeitverfügbarkeit<br />

sind sie auch mittelfristig ganz sicher nicht, denn beispielsweise<br />

stehen nur rund 10 % der Stromerzeugungskapazität auf Basis<br />

der Windenergie in Deutschland gegenwärtig rund um die Uhr <strong>zur</strong><br />

Verfügung.<br />

Es führt also nicht weiter, ausschließlich verm<strong>ein</strong>tliche Idealvorstellungen<br />

in das Zentrum der Überlegungen zu stellen. Man muss<br />

sich vielmehr mit der Realität aus<strong>ein</strong>andersetzen, analysieren, was<br />

machbar ist und das Machbare weiter optimieren. Und da sieht es<br />

in Deutschland gar nicht so schlecht aus – zumindest solange man<br />

sich gestattet, Lösungen ohne Scheuklappen zu verfolgen.<br />

Braunkohle als <strong>ein</strong>heimische Ressource<br />

Immerhin verfügt Deutschland über <strong>ein</strong>es der größten Braunkohlevorkommen<br />

weltweit. Die statistische Reichweite der Kohle insgesamt<br />

wird auf rund 200 Jahre geschätzt. Sie übertrifft damit alle anderen<br />

Primärenergieträger bei weitem. Sie steht in Deutschland subventionsfrei<br />

<strong>zur</strong> Verfügung. Der Energiegehalt all<strong>ein</strong> der unter Wirtschaftlichkeitsaspekten<br />

abbauwürdigen rh<strong>ein</strong>ischen Braunkohle<br />

liegt mit 50 Mrd b. Oelequiv. (das entspricht 9,7 Mrd. t SKE oder<br />

31,6 Mrd. t Braunkohle) 1,3 Mal so hoch, wie der gesamte verbleibende<br />

Energievorrat von Öl und Gas in der Nordsee.<br />

Hinzu kommen die Braunkohlenvorräte im Mitteldeutschen Revier<br />

und in der Lausitz. Der Braunkohle den Rücken zu kehren, wäre<br />

genau der falsche Weg. Es sind daher alle Kräfte und Kreativität<br />

zu nutzen, die Verstromung der Braunkohle durch technischen Fortschritt<br />

umwelt- und klimaverträglicher zu gestalten. Das hilft nicht<br />

nur, die Importabhängigkeit von Energie zu verringern. Mit der Technologieführerschaft<br />

erschließen sich für die Herstellerindustrie<br />

wichtige Potenziale im Export und <strong>zur</strong> Sicherung der Arbeitsplätze<br />

in der heimischen Wirtschaft. RWE verfolgt deshalb intensiv drei<br />

Entwicklungslinien:<br />

■ Herzstück ist das erste großtechnische <strong>CO</strong> 2 -freie Kohlenkraftwerk<br />

der Welt mit <strong>ein</strong>er Leistung von 450 MW, das 2014 ans Netz<br />

gehen könnte. Dazu wird auch die Speicherung des abgetrennten<br />

<strong>CO</strong> 2 in <strong>ein</strong>er ehemaligen Gaslagerstätte bis <strong>zur</strong> Inbetriebnahme<br />

des Kraftwerks entwickelt. Mit RWE DEA verfügt der RWE-Konzern<br />

als <strong>ein</strong>ziges Unternehmen der Branche über das Know-how, die<br />

Speicherentwicklung selbst zu verwirklichen. Das Investitionsvolumen<br />

wird sich auf rund 1 Mrd. € belaufen.<br />

■ Zudem werden vorhandene Technologien weiterentwickelt, um<br />

die Emissionen über die Steigerung des Wirkungsgrades zu senken.<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />

Das ist notwendig, um die Zeit zu überbrücken, bis das <strong>CO</strong> 2 -freie<br />

Kraftwerk serienreif und wirtschaftlich <strong>ein</strong>satzfähig ist. So investiert<br />

RWE z. B. rund 50 Mio. € in <strong>ein</strong>e Prototypanlage <strong>zur</strong> Wirbelschichttrocknung.<br />

Sie wird im Dezember 2007 fertig s<strong>ein</strong> und die<br />

benachbarte BoA mit Trockenbraunkohle versorgen. Der Wirkungsgrad<br />

kann mit dieser Technik noch <strong>ein</strong>mal um 4 %-Punkte erhöht<br />

werden.<br />

■ Das Unternehmen entwirft außerdem Konzepte, um auch den<br />

bestehenden, modernen Kraftwerkspark mit <strong>ein</strong>er <strong>CO</strong> 2 -Abtrennung<br />

nach<strong>zur</strong>üsten. Dabei wird das <strong>CO</strong> 2 - aus den Rauchgasen gewaschen.<br />

Dieser Prozess ist allerdings energetisch derzeit noch sehr aufwändig<br />

und zudem mit hohen Investitionen verbunden. Im Konzern hält<br />

man diese sicherlich schwierige Aufgabe jedoch für lösbar.<br />

Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe schätzt, dass<br />

die untertägigen Lagerstätten <strong>CO</strong> 2 - in <strong>ein</strong>er Bandbreite zwischen 23<br />

und 43 Mrd. t aufnehmen könnten. Unterstellt man <strong>ein</strong>en Mittelwert<br />

von 33 Mrd. t, so könnten diese Lagerstätten die <strong>CO</strong> 2 -Emissionen<br />

des deutschen Kraftwerkparks rund 80 Jahre aufnehmen.<br />

Aber auch hier gilt es, realistisch und pragmatisch zu bleiben. Die<br />

Verbreitung dieser Technologie wird, auch wenn sie Serienreife<br />

erreicht hat, Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Dafür sprechen schon<br />

all<strong>ein</strong> die langen Investitionszyklen in der Energiewirtschaft.<br />

Breiter Energiemix ist beste Risikoversicherung<br />

Die <strong>CO</strong> 2 -Sequestration kann und darf auch nicht das <strong>ein</strong>zige Standb<strong>ein</strong><br />

für Deutschland s<strong>ein</strong>. Denn nur <strong>ein</strong> breiter Energieträgermix<br />

ist und bleibt die beste Risikoversicherung und kommt dem Ideal,<br />

die Versorgung wirtschaftlich, sicher und umweltverträglich zu<br />

gewährleisten, am nächsten. Sophokles (496-405 v. Chr.) sagte: „Wir<br />

müssen dafür sorgen, dass die Brücke nicht schmäler ist als der<br />

Fluss.“ Bei der Energieversorgung kann uns das nur gelingen, wenn<br />

wir sämtliche Energieträger vorurteilslos in <strong>ein</strong> schlüssiges Gesamtkonzept<br />

<strong>ein</strong>bringen, in dem sich Ihre Vor- und Nachteile optimal austarieren.<br />

Dr. H. Rentz, Leiter Energiepolitik der RWE Power AG, Essen<br />

henning.rentz@rwe.com<br />

7


STROM OHNE GRENZEN<br />

8<br />

WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />

Die EU-Energiepolitik zwischen Binnenmarkt,<br />

globalem Wettbewerb und Energie-Außenpolitik<br />

R<strong>ein</strong>hold Buttgereit<br />

Während die EU-Kommission noch mit der Liberalisierung der Energiemärkte beschäftigt ist und in der „sector inquiry“ erkannte<br />

Defizite beseitigen will, ist sie seit kurzem außerdem mit <strong>ein</strong>er Fusionswelle europäischer Energieunternehmen konfrontiert. Die<br />

Kommission befürwortet dabei die Bildung europäischer Champions, während die meisten EU-Mitgliedstaaten nationale Champions<br />

präferieren und hier z. T. sogar protektionistische Verhaltensweisen zeigen. Damit kommt dem jüngst veröffentlichten Grünbuch<br />

<strong>zur</strong> europäischen Energiepolitik <strong>ein</strong>e ganz besondere Bedeutung zu. Gelingt es der Europäischen Kommission, von den Mitgliedstaaten<br />

mehr Kompetenzen für <strong>ein</strong>e kohärente EU-Energiepolitik zu erhalten oder bleibt es bei 25 nationalen Energiepolitiken,<br />

die z. T. schwer ver<strong>ein</strong>bar sind und vielleicht sogar die Zukunft der Gem<strong>ein</strong>schaft gefährden könnten?<br />

Ohne Zweifel sind die Aktivitäten der EU-Kommission <strong>zur</strong><br />

Liberalisierung der Energiemärkte für alle Bürger, Unternehmen<br />

und auch die Nationalpolitiken von elementarer Bedeutung. Der<br />

Abschluss der Liberalisierung der europäischen Energiewirtschaft<br />

ist auf den Sommer 2007 terminiert. Ziel ist die Schaffung <strong>ein</strong>es<br />

wirklich integrierten Energiebinnenmarktes, der der EU <strong>ein</strong>en wettbewerbsfähigen<br />

Markt und Versorgungssicherheit garantiert. Privat-<br />

und Industriekunden werden ihre Anbieter innerhalb der EU<br />

dann vollkommen frei wählen, Strom und Gas über EU-Landesgrenzen<br />

hinweg gehandelt werden können.<br />

Tatsächlich haben aber viele EU-Mitgliedstaaten bislang die Richtlinien<br />

<strong>zur</strong> Liberalisierung der Energiemärkte nur zögerlich und teilweise<br />

un<strong>zur</strong>eichend umgesetzt. Auch deshalb hat sich manche<br />

Erwartung an den Energie-Binnenmarkt, insbesondere die Hoffnung<br />

auf dauerhaft niedrigere Energiepreise, nicht immer, nicht überall<br />

und nicht für alle erfüllt. Wegen andauernder und massiver<br />

Beschwerden von Marktbeteiligten über hohe Preise und Marktversagen<br />

hatte die Europäische Kommission deshalb schon im<br />

Sommer 2005 <strong>ein</strong>e „sector inquiry“, <strong>ein</strong>e Untersuchung der<br />

europäischen Gas- und Strommärkte, gestartet. Mehrere tausend<br />

Energieunternehmen, Verbraucher und Verbände wurden befragt.<br />

Sector Inquiry über die europäischen Gas- und<br />

Strommärkte<br />

Im Ergebnis hat sich für die Kommission bestätigt, dass die<br />

europäischen Energiemärkte noch nicht nach Wettbewerbsregeln<br />

funktionieren, sondern <strong>ein</strong>e Reihe schwerwiegender Defizite aufweisen.<br />

Dazu Wettbewerbskommissarin Neelié Kroes: „Obwohl der<br />

Energiesektor für die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft in der<br />

EU <strong>ein</strong>e lebenswichtige Funktion hat, haben wir Anzeichen für<br />

schwerwiegende Defizite bei der Funktionsweise festgestellt. Ich bin<br />

entschlossen, das Wettbewerbsrecht anzuwenden, um die europäische<br />

Industrie und den Verbraucher zu schützen“. Speziell in fünf<br />

Bereichen wurden Marktdefizite benannt:<br />

■ Die Gas- und Strommärkte wiesen häufig noch <strong>ein</strong>en hohen Konzentrationsgrad<br />

auf.<br />

■ Die Märkte seien vertikal abgeschottet, die Liquidität vieler Großhandelsmärkte<br />

nicht gegeben.<br />

■ Die Entwicklung integrierter EU-Energiemärkte werde durch<br />

Hindernisse bei der grenzüberschreitenden Versorgung mit Gas und<br />

Strom verhindert.<br />

■ Mangelnde Transparenz nütze angestammten Unternehmen, verhindere<br />

Neuanbieter und resultiere in grundlegendem Misstrauen<br />

den Marktmechanismen gegenüber.<br />

■ Industrie und Verbraucher hätten k<strong>ein</strong> Vertrauen in den Preisbildungsmechanismus.<br />

Nachdem die ersten Ergebnisse der Untersuchung im November<br />

letzten Jahres bekannt wurden und der Zwischenbericht der Sektoren-<br />

Untersuchung im Februar 2006 vorgestellt wurde, schloss die<br />

Kommission vor kurzem die öffentliche Konsultation hierzu ab. Ende<br />

des Jahres wird die Generaldirektion Wettbewerb ihren Abschlußbericht<br />

vorlegen. Spätestens dann sind Vorschläge für neue Maßnahmen<br />

<strong>zur</strong> Beseitigung der Defizite zu erwarten. Im Gespräch ist<br />

u. a. <strong>ein</strong> drittes Binnenmarktpaket mit neuen legislativen Aktivitäten<br />

der Europäischen Kommission. Schon früher könnte es zu Kartellverfahren<br />

gegen <strong>ein</strong>zelne Strom- und Gaskonzerne kommen, um das<br />

Wettbewerbsrecht intensiver durchzusetzen, Exempel zu statuieren<br />

und allen Marktbeteiligten <strong>ein</strong> klares Signal zu geben. Insbesondere<br />

große Konzerne dürften hier im Fokus der Betrachtung stehen.<br />

Mergers – für nationale, europäische oder globale<br />

Champions?<br />

Während die EU noch versucht, den nach ihren Vorstellungen mangelnden<br />

Wettbewerb durch erweiterte Regeln auf dem Energiebinnenmarkt<br />

durchzusetzen, ist sie seit wenigen Monaten auch<br />

noch mit <strong>ein</strong>er Fusionswelle europäischer Energie-Unternehmen<br />

konfrontiert. Beteiligte Länder in diesem Prozess sind u. a. die großen<br />

EU-Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und<br />

das ver<strong>ein</strong>igte Königreich, beteiligte Unternehmen u. a. CENTRICA,<br />

ENDESA, ENEL, E.ON, Gaz de France, Gas Natural und SUEZ. Neben<br />

Beteiligungs- oder Übernahmeverhandlungen zwischen innerhalb<br />

der EU angesiedelten Unternehmen wird aber auch der russische<br />

Energiekonzern GAZPROM zunehmend wichtiger, der in europäische<br />

Unternehmen <strong>ein</strong>steigen möchte, um Zugang zum Endkundengeschäft<br />

zu bekommen.<br />

Die Kommission als Hüterin der Verträge muss darauf achten, dass<br />

die im EU-Vertrag verankerte Kapitalfreiheit nicht verletzt wird. Und<br />

so kommt es, dass Unternehmen, die für individuelle Verfahren<br />

der Wettbewerbsbehörde im Zusammenhang mit der Sector Inquiry<br />

in Betracht kommen, nun in der Kommission dafür Unterstützung<br />

finden, internationale, europäische Zusammenschlüsse zu bilden.<br />

Für die EU-Kommission liegen die Gründe für das derzeit hohe Preisniveau<br />

in nationalen Monopolen, mangelndem grenzüberschreitenden<br />

Wettbewerb und beständiger Konzentration.<br />

Europäische Champions sollen ihrer Vorstellung nach besser als<br />

nationale Champions dazu in der Lage s<strong>ein</strong>, die Energieversorgung<br />

sicher und preiswert zu gewährleisten. Die Wettbewerbskommis-<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006


sarin befürwortet deshalb die Bildung europäischer Champions oder,<br />

noch besser, globaler Champions mit Sitz in der Europäischen Union.<br />

Auch die EU-Mitgliedstaaten sind für europäische Champions –<br />

solange diese aus dem eigenen Land stammen – und dagegen, wenn<br />

<strong>ein</strong> „nationales Unternehmen“ durch <strong>ein</strong> „ausländisches“ übernommen<br />

zu werden droht. Regierungen begründen ihre Aktivitäten<br />

zum Schutz nationaler Unternehmen dabei mit der Sicherung der<br />

Unabhängigkeit ihrer Energieversorgung, also mit <strong>ein</strong>er strategischen<br />

Funktion. Wir befinden uns damit in <strong>ein</strong>er neuen Phase nationalen<br />

Protektionismus und sehen uns konfrontiert mit Blockadehaltungen<br />

von Regierungen gegen Unternehmen, die ihren Standort in anderen<br />

EU-Mitgliedstaaten haben – vom europäischen Gedanken ist so im<br />

politischen Alltag nicht viel geblieben! Die Europäische Kommission<br />

nimmt die Prüfung von Fusionen sehr ernst. Europäische Fusionskontrolle<br />

hat aber dort ihre Grenzen, wo sich die Aktivitäten der<br />

betroffenen Konzerne nicht überlappen. Bei nationalen Übernahmen<br />

hat die Europäische Kommission nach geltender Rechtslage – die<br />

noch aus den Zeiten <strong>ein</strong>er ungleich kl<strong>ein</strong>eren EU stammt – überhaupt<br />

nichts zu beschließen oder zu genehmigen, solange <strong>ein</strong>es<br />

der beteiligten Unternehmen nicht mehr als <strong>ein</strong> Drittel s<strong>ein</strong>es<br />

Umsatzes in <strong>ein</strong>em anderen Mitgliedsland macht. Hier sind die<br />

betroffenen Mitgliedstaaten ganz all<strong>ein</strong> verantwortlich, zuständig<br />

und genehmigungsrelevant – was die Wettbewerbskommission gerne<br />

ändern würde.<br />

Energie – <strong>ein</strong> strategisches Gut<br />

Die Europäische Union befindet sich in <strong>ein</strong>er entscheidenden Phase<br />

der Neustrukturierung der europäischen Energiewirtschaft. Jetzt<br />

werden die Weichen dafür gestellt, welche europäischen Großkonzerne<br />

in Zukunft in Europa und weltweit <strong>ein</strong>e Rolle spielen<br />

werden. Dabei ist <strong>ein</strong>e Verquickung von Staaten mit Unternehmen<br />

gegeben, direkt über Beteiligungen, indirekt durch „Schutzmaßnahmen“<br />

der Nationalregierungen, zum Schutze nationaler Arbeitsplätze,<br />

Investitionen etc. Tatsächlich war Energiepolitik noch nie frei<br />

von staatlicher Einflussnahme – Energie ist eben <strong>ein</strong> sehr spezielles,<br />

strategisches Gut, am ehesten noch vergleichbar mit sauberem<br />

Wasser. Heute herrscht <strong>ein</strong>e weltweite Konkurrenz um die begrenzten<br />

Energieressourcen. Dies ist <strong>ein</strong> weiterer Grund, weshalb die EU-<br />

Kommission es befürwortet, aus nationalen Champions europäische<br />

Champions zu machen, die auch im globalen Wettbewerb bestehen<br />

Vertragliche Grundlagen der EU-Energiepolitik<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />

können. Es ist auch Aufgabe der EU-Kommission, im Rahmen ihrer<br />

Möglichkeiten effektive Strukturen der europäischen Energiewirtschaft<br />

zu schaffen. Unternehmen wollen und müssen weltweit am<br />

globalisierten Markt teilnehmen, um wirtschaften zu können. Hierfür<br />

ist es kontraproduktiv, wenn Nationalstaaten versuchen, heimische<br />

Märkte abzuschotten, die Globalisierung aufzuhalten oder gar<br />

umzukehren.<br />

Energie, lange Zeit innerhalb der EU wie auch in der nationalen<br />

Politik k<strong>ein</strong> ausgesprochen relevantes und „spannendes“ Politikfeld,<br />

hat in den letzten Monaten deutlich an Bedeutung gewonnen. Mit<br />

dem Themenkomplex befassen sich heute nicht mehr nur der Energiekommissar<br />

und der Umweltkommissar, sondern u. a. auch die<br />

Wettbewerbskommissarin, der Industriekommissar und die EU-<br />

Außenkommissarin. Sogar von „Energie-NATO“, „Energie-KSZE“ und<br />

vor allem „Europäischer Energie-Außenpolitik“ ist jetzt die Rede.<br />

Ursächlich hierfür war der Gaskonflikt zwischen Russland und der<br />

Ukraine <strong>zur</strong> Jahreswende 2005/06. Seitdem Moskau die Energieressource<br />

Gas als politische Waffe zu nutzen versuchte und es in<br />

der Folge auch zu Gaslieferengpässen in Mitgliedstaaten der EU kam,<br />

ist energiepolitisch nichts mehr wie es war. So zynisch es klingen<br />

mag: Der Ukraine-Gas-Konflikt hat die europäische Diskussion über<br />

Versorgungssicherheit und Abhängigkeit um <strong>ein</strong>en Quantensprung<br />

vorangebracht. Die Liberalisierung der Energiemärkte wurde aus<br />

den Schlagzeilen verdrängt. Auch wenn Russlands Präsident Putin<br />

jüngst erklärte, „Energie-Egoismus (sei) in der modernen,<br />

interdependenten Welt <strong>ein</strong>e Sackgasse“: Heute hat die Europäische<br />

Union es offensichtlich mit Problemen, Herausforderungen und<br />

Zuständen zu tun, die <strong>ein</strong>e erhebliche Bedrohung darstellen und <strong>ein</strong>e<br />

starke gem<strong>ein</strong>same EU-Energiepolitik der Mitgliedstaaten, die sich<br />

nicht nur auf die EU-interne Markt- und Wettbewerbspolitik<br />

beschränkt, zwingend notwendig werden lässt. Dies zeigt sehr<br />

deutlich und nachhaltig die politische Diskussion des neuesten Grünbuchs<br />

der Europäischen Kommission <strong>zur</strong> Europäischen Energiepolitik.<br />

Das EU-Grünbuch <strong>zur</strong> Europäischen Energiepolitik<br />

Die Idee zum Grünbuch „Eine europäische Strategie für nachhaltige,<br />

wettbewerbsfähige und sichere Energie“ war schon vor dem Ukraine-<br />

Folgende wichtige Vertragswerke bzw. Institutionen standen an den Anfängen der heutigen Europäischen Union EU, der früheren Europäischen Gem<strong>ein</strong>schaft<br />

EG bzw. Europäischen Wirtschaftsgem<strong>ein</strong>schaft EWG:<br />

■ Der Pariser Vertrag über die Europäische Gem<strong>ein</strong>schaft für Kohle und Stahl, EGKS, wurde 1951 gegründet und war zeitlich bis 2002 befristet.<br />

Mit der EGKS, auch Montanunion genannt, wurde die Kohle- und Stahlproduktion staatlicher Kontrolle entzogen und in <strong>ein</strong>en gem<strong>ein</strong>samen Markt<br />

überführt. Die Erzeugung sollte auf höchstem Leistungsstand rationell verteilt, die Beschäftigung gesteigert, der Lebensstandard verbessert und<br />

die Wirtschaft ausgeweitet werden.<br />

■ Die Europäische Atomgem<strong>ein</strong>schaft EURATOM, welche zeitgleich mit den Römischen Verträgen über die Europäische Wirtschaftsgem<strong>ein</strong>schaft<br />

EWG 1957 gegründet wurde. Ihre Aufgabe ist es, durch die „Schaffung der für die schnelle Bildung und Entwicklung von Kernindustrien erforderlichen<br />

Voraussetzungen <strong>zur</strong> Hebung des Lebensstandards und <strong>zur</strong> Entwicklung der Beziehungen mit anderen Ländern beizutragen“.<br />

Kohle und Atom waren damals, in den 50er Jahren, offensichtlich von herausragender Bedeutung für die Energie- und Wirtschaftspolitik, zum Wiederaufbau<br />

der Industrien nach dem 2.Weltkrieg und als Beitrag <strong>zur</strong> Unabhängigkeit vom Erdöl. Vor diesem Hintergrund verzichteten s<strong>ein</strong>erzeit die Mitgliedstaaten<br />

der Gem<strong>ein</strong>schaft auf nationale Souveränitäten. Für die übrigen Energieträger war der EG-Vertrag politische Handlungsgrundlage.<br />

Mit diesen Zuständigkeiten begann die Europäische Union vor Jahren die Liberalisierung des Energiebinnenmarktes – 1996 für Elektrizität und 1998<br />

für Gas. Die Energiemärkte für Elektrizität und Gas sollten dabei ab 01.07.2004 für alle Nichthaushaltskunden und ab 01.07.2007 für alle Kunden<br />

vollständig dem Wettbewerb geöffnet s<strong>ein</strong>.<br />

9


STROM OHNE GRENZEN<br />

10<br />

WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />

Konflikt geboren; sie geht auf den EU-Gipfel in Hampton Court im<br />

Oktober 2005 <strong>zur</strong>ück, auf dem von der Britischen Ratspräsidentschaft<br />

<strong>ein</strong>e Europäische Energiepolitik thematisiert worden war. Das<br />

nunmehr vorliegende Grünbuch wäre ohne den Ukraine-Konflikt<br />

aber so gewiss nicht geschrieben worden und stände auch nicht so<br />

sehr in der öffentlichen Diskussion und Wahrnehmung. Das Grünbuch<br />

versucht, die Grundzüge der künftigen europäischen Energiepolitik<br />

festzuschreiben. Energie und Energiesicherheit stehen<br />

dabei im Zentrum der Überlegungen. Es werden praktisch alle<br />

Themen angesprochen, die aus Sicht der EU-Kommission europäisch<br />

und nicht mehr national zu regeln sind – und dies sind nicht die<br />

all<strong>ein</strong>igen Auffassungen des zuständigen Energiekommissars<br />

Piebalgs: Wurden die ersten Entwürfe des Grünbuches im Kabinett<br />

Piebalgs geschrieben, stammt die letzte Fassung aus dem direkten<br />

Umfeld des EU-Kommissionspräsidenten Barroso, ist also <strong>zur</strong><br />

„Chefsache“ geworden. Am 08.März 2006 veröffentlichten denn auch<br />

Barroso und Piebalgs gem<strong>ein</strong>sam in Brüssel das Grünbuch für <strong>ein</strong>e<br />

Europäische Energiepolitik [1].<br />

In diesem Grünbuch wird skizziert, wie die Europäische Energiepolitik<br />

die drei zentralen Ziele nachhaltige Entwicklung, Wettbewerbsfähigkeit<br />

und Versorgungssicherheit erreichen könnte.<br />

Barroso spricht in diesem Zusammenhang auch von der Trias Kyoto<br />

– Lissabon – Moskau. Das Grünbuch „Eine europäische Strategie für<br />

nachhaltige, wettbewerbsfähige und sichere Energie“ nennt hierzu<br />

sechs vorrangige Bereiche mit Maßnahmenvorschlägen:<br />

■ Vollendung des Energiebinnenmarktes für Strom und Gas, u. a.<br />

Einführung <strong>ein</strong>es Europäischen Energienetz-Kodex, Schaffung <strong>ein</strong>er<br />

europäischen Regulierungsbehörde und <strong>ein</strong>es Europäischen Zentrums<br />

für Energienetze.<br />

■ Versorgungssicherheit im Energiebinnenmarkt/Solidarität, u. a.<br />

Schaffung <strong>ein</strong>er europäischen Stelle <strong>zur</strong> Beobachtung der Energieversorgung<br />

und <strong>ein</strong>es europäischen Zentrums für Energienetzwerke,<br />

regelmäßige und transparente Veröffentlichung des Stands der Erdölvorräte<br />

der Gem<strong>ein</strong>schaft, Entwicklung von Mechanismen <strong>zur</strong><br />

gegenseitigen Hilfe bei Infrastrukturausfällen.<br />

■ Nachhaltig ausgerichteter Energieträgermix, u. a. Analyse der EU-<br />

Energiestrategie und aller Energieträger bezüglich ihres Beitrages<br />

zu Erreichung der energiepolitischen Ziele, Debatte über den<br />

zukünftigen europäischen Energieträgermix, Festlegung <strong>ein</strong>es<br />

Minimalanteils sicher verfügbarer <strong>CO</strong> 2 -armer Energiequellen als<br />

Referenz für nationale Energiepolitik.<br />

■ Ein integrierter Ansatz für Klimaschutz, u. a. Beibehaltung und<br />

Ausbau der internationalen Vorreiterrolle der EU (u. a. Emissionshandel),<br />

verstärkte Nutzung erneuerbarer Energiequellen (Road Map)<br />

und Verbesserung der Energieeffizienz, <strong>CO</strong> 2 -Sequestrierung und<br />

unterirdischen Speicherung.<br />

■ Innovation, u. a. strategischer Plan für Energietechnologien.<br />

■ kohärente Energieaußenpolitik, u. a. Überprüfung der EU-Energiestrategie,<br />

Integration energiepolitischer Ziele in Außen-, Handelsund<br />

Entwicklungspolitik, Sicherung und Diversifizierung der Energieversorgung,<br />

Energiepartnerschaften und Dialog mit Erzeugerund<br />

Transitländern (explizit Russland).<br />

Deutlich ist das Bemühen der Kommission, die mit dem Gaskonflikt<br />

Russland/Ukraine <strong>zur</strong> Jahreswende offenbar gewordene internationale<br />

Dimension der Energiepolitik dazu zu nutzen, de facto mehr<br />

Kompetenzen für <strong>ein</strong>e Europäische Energiepolitik zu erhalten und<br />

die EU25-Staaten auf <strong>ein</strong>e gem<strong>ein</strong>same Energiestrategie <strong>ein</strong>zuschwören.<br />

In der Konsequenz der Verwirklichung der Ideen dieses<br />

Grünbuches müssten die EU-Mitgliedstaaten auf nationale Kompetenzen<br />

zugunsten der EU verzichten. Das Grünbuch könnte damit<br />

zu <strong>ein</strong>em Wendepunkt der europäischen Energiepolitik werden und<br />

dazu beitragen, dass die EU <strong>ein</strong>e internationale Bedeutung auf diesem<br />

Gebiet bekommt, die ungleich höher ist als die Addition von 25 mehr<br />

oder weniger verschiedenen nationalen Energiepolitiken. „Die grundlegendste<br />

Frage ist die, ob Einvernehmen darüber herrscht, dass<br />

<strong>ein</strong>e neue, gem<strong>ein</strong>same europäische Energiestrategie entwickelt<br />

werden muss, und ob Nachhaltigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und<br />

Sicherheit die zentralen Prinzipien s<strong>ein</strong> sollten, die dieser Strategie<br />

zugrunde liegen“ [2]. Die Kommission möchte „die Freiheit der Mitgliedstaaten,<br />

zwischen verschiedenen Energiequellen zu wählen,<br />

mit dem Erfordernis der EU insgesamt, über <strong>ein</strong>en Energieträgermix<br />

zu verfügen, der ihren zentralen Zielen im Energiebereich gerecht<br />

wird, verbinden“ [3].<br />

Die Europäische Kommission spricht also schon davon, dass die Wahl<br />

des Energieerzeugungsmix den Mitgliedstaaten überlassen bleiben<br />

soll. Gleichzeitig wird aber darauf hingewiesen, dass nationale Energiemarktentscheidungen<br />

<strong>ein</strong>es Mitgliedstaates die Energiepolitik und<br />

-sicherheit anderer EU-Staaten und der Europäische Union insgesamt<br />

be<strong>ein</strong>flussen. Wenn die Europäische Union mit <strong>ein</strong>er gem<strong>ein</strong>samen<br />

Stimme in Energiefragen sprechen würde, könnte sie die globale Energiedebatte<br />

mitbestimmen. Grundsätzlich stellt sich immer die Frage,<br />

auf welcher Ebene sich <strong>ein</strong>e politische Herausforderung besser lösen<br />

lässt, national oder europäisch? Diese Frage nach der Subsidiarität<br />

lässt sich bezüglich Energie heute aber <strong>ein</strong>deutig beantworten: Die<br />

Zeiten nationaler Energiepolitik sind vorbei. Die EU benötigt deshalb<br />

<strong>ein</strong>e kohärente europäische Energiepolitik, die in sich geschlossen<br />

ist und nicht nur die Addition von 25 nationalen Energiepolitiken –<br />

nationalen Energiepolitiken, die sich sehr oft gar nicht addieren lassen,<br />

da sie sich z. T. elementar widersprechen!<br />

Derzeit werden die verschiedenen Energieträger wie z. B. Kohle, Kernkraft,<br />

Wind, Gas, Biomasse, Wasserkraft, Sonnenenergie oder Geothermie<br />

national innerhalb der Europäischen Union z. T. grundlegend<br />

unterschiedlich <strong>ein</strong>geschätzt, protegiert oder be- bzw. verhindert. Bei<br />

diesen politischen Gegensätzen ist <strong>ein</strong>e Europäische Energiepolitik<br />

nur schwer vorstellbar. Dabei müsste doch <strong>ein</strong>e ausgeglichene Versorgung<br />

aus vielen Quellen für alle nur Vorteile haben? Braucht die<br />

Welt, braucht Europa nicht alle Energieträger-Quellen, alle verfügbaren<br />

Optionen? Es gibt k<strong>ein</strong>en optimalen Energieträger, alle haben<br />

ihre unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten, Vor- und Nachteile,<br />

Abhängigkeiten, kurz- und langfristige Kosten. Nur <strong>ein</strong> breiter Energiemix<br />

kann Risiken diversifizieren und <strong>ein</strong>seitige Abhängigkeiten<br />

begrenzen – sowohl von <strong>ein</strong>zelnen Energieträgern als auch von entsprechenden<br />

Exportstaaten. Die Europäische Union ist bereits heute<br />

der weltweit größte Energieimporteur, und die Kommission erwartet<br />

<strong>ein</strong>en weiteren Anstieg der Abhängigkeit von Energieimporten, von<br />

50 % im Jahre 2000 auf etwa 70 % bis 2030!<br />

Diesem Grünbuch kommt deshalb schon jetzt <strong>ein</strong> sehr hoher Stellenwert<br />

in der Geschichte der Energiepolitik der Europäischen Union<br />

zu. Das Papier wurde unmittelbar nach s<strong>ein</strong>er Veröffentlichung<br />

bereits auf der Sondersitzung des Energieministerrates am<br />

14.03.2006 in Brüssel diskutiert und schnell von nationalen<br />

Regierungen – überwiegend negativ – kommentiert. Auch der<br />

Europäische Rat, das Gremium der Staats- und Regierungschefs der<br />

25 EU-Mitgliedstaaten, hat das Papier bereits auf der Tagesordnung<br />

der Sitzung vom 23./24.03.2006 behandelt. Das Grünbuch ist<br />

nunmehr bis zum September 2006 Gegenstand <strong>ein</strong>es öffentlichen<br />

Konsultationsprozesses. Im Gegensatz zu ersten Vermutungen hat<br />

jüngst Kommissar Piebalgs erklärt, dass diesem Grünbuch, als Mitteilung<br />

der Kommission <strong>zur</strong> Diskussion, k<strong>ein</strong> „Weißbuch“ folgen<br />

wird, die Kommission also k<strong>ein</strong>e förmlichen Vorschläge für <strong>ein</strong> konkretes<br />

Tätigwerden der Gem<strong>ein</strong>schaft machen wird. Damit dürfte<br />

die Kommission bereits auf die Kritik verschiedener Mitgliedstaaten<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006


eagiert haben, die deutlich gemacht hatten, nicht dazu bereit zu<br />

s<strong>ein</strong>, weitere energiepolitische Kompetenzen an die Europäische<br />

Kommission abzugeben. Stattdessen hat Piebalgs nunmehr <strong>ein</strong>en<br />

Aktionsplan angekündigt. Zum Jahresende wird <strong>ein</strong> umfassendes<br />

Papier der Kommission zu erwarten s<strong>ein</strong>, in dem dann sehr konkrete<br />

Maßnahmen vorgeschlagen werden. Ein Aktionsplan muss<br />

dabei nicht weniger ambitioniert s<strong>ein</strong> als <strong>ein</strong> Weißbuch. Wird es<br />

gelingen, zu <strong>ein</strong>em Kompromiss zu gelangen, der zumindest <strong>ein</strong>e<br />

europäischere Energiepolitik möglich werden lässt? Oder bleibt es<br />

bei <strong>ein</strong>em mehr oder weniger unabgestimmten Sammelsurium 25<br />

verschiedener Energiepolitiken, das zwar EU-Energiepolitik genannt<br />

wird, aber eben weiterhin k<strong>ein</strong> in sich geschlossenes strategisches<br />

Vorgehen b<strong>ein</strong>haltet?<br />

Die EU braucht <strong>ein</strong>e geschlossene, in sich abgestimmte Europäische<br />

Energiepolitik – hier sind die Mitgliedstaaten gefordert, sich <strong>ein</strong>en<br />

Ruck zu geben. Dies bedeutet aber nicht nur, dass die nationalen<br />

Energiepolitiken zumindest eng abgestimmt werden müssen. Es<br />

dürfen in Brüssel auch nicht Green Papers, White Papers, Guidelines<br />

usw. generiert werden, die mit<strong>ein</strong>ander z. T. kaum kompatibel sind.<br />

Hierauf geht das Grünbuch wie auch die bisherige Diskussion s<strong>ein</strong>er<br />

Inhalte nicht <strong>ein</strong>. Der Europäische Verband der Elektrizitätswirtschaft<br />

EURELECTRIC hatte hierzu schon im letzten Jahr in <strong>ein</strong>em<br />

umfassenden Papier dokumentiert, welche wesentlichen<br />

Ungereimtheiten vorhanden sind. Hier gibt es noch Handlungs- und<br />

Optimierungsbedarf, der diesmal aber vor allem an die Adresse<br />

der Europäischen Kommission, nicht an die EU-Mitgliedstaaten und<br />

Staats- und Regierungschefs geht!<br />

Anspruch und Realität europäischer Energiepolitik<br />

Am Anfang des europäischen Gedankens<br />

stand das Einvernehmen darüber, in<br />

bestimmten Energiefragen auf nationale<br />

Souveränitäten zugunsten gem<strong>ein</strong>schaftlicher<br />

Politik zu verzichten. Heute ist diese<br />

Bereitschaft – und dies wäre unweigerlich<br />

die Konsequenz der Verwirklichung der<br />

Ideen des Grünbuches und vor allem auch<br />

s<strong>ein</strong>es Geistes – erkennbar begrenzter als<br />

vor 50 Jahren. International agierende<br />

Unternehmen sind in derartigen Fragen<br />

offenbar schon weiter als nationale Mitgliedstaaten<br />

der Europäischen Union.<br />

Natürlich hat nationale Energiepolitik (z. B.<br />

Netzausbau, Energieträgerauswahl, die Entscheidung<br />

für oder gegen Kohle, Kernkraft,<br />

Erneuerbare Energien etc.) staatenübergreifende,<br />

internationale Konsequenzen! Verlangen<br />

die internationalen Anforderungen –<br />

zu erwähnen sei hier nur die Ölpreisentwicklung,<br />

der Atomkonflikt mit dem Iran, die<br />

Abhängigkeit vom Gas aus Russland – nicht<br />

<strong>ein</strong>deutig nach <strong>ein</strong>er kohärenten EU-Energiepolitik?<br />

Unstrittig dürfte auch s<strong>ein</strong>, dass<br />

<strong>ein</strong>e EU international ungleich mehr zu sagen<br />

hat als <strong>ein</strong> <strong>ein</strong>zelnes EU-Mitgliedsland –<br />

unabhängig davon, wie stark es sich selbst<br />

fühlen mag. Barrosos Ziel der EU-Energiepolitik<br />

ist „die Versorgungssicherheit für ganz<br />

Europa, nicht für <strong>ein</strong>zelne Mitgliedsländer“.<br />

Dies steht aber offensichtlich im Widerspruch<br />

<strong>zur</strong> Politik und zum Selbstverständnis <strong>ein</strong>iger<br />

EU-Mitgliedstaaten. Es gibt heute nur wenige<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />

Staats- und Regierungschefs, die sich der europäischen Idee verpflichtet<br />

fühlen und so auch handeln. Tatsächlich dominieren<br />

nationale Egoismen und Egozentren, nicht nur, aber auch und<br />

vielleicht ganz besonders in der Energiepolitik. In Konkurrenz zu<br />

allen Staaten und Regionen der Erde führt aber k<strong>ein</strong> Weg an <strong>ein</strong>er<br />

geschlossenen EU-Energiepolitik vorbei, wenn der globale Wettbewerb<br />

um Ressourcen für die Europäische Union nicht verloren<br />

gehen soll. Notwendig ersch<strong>ein</strong>t <strong>ein</strong> energiepolitisches Gesamtkonzept<br />

der EU, was in der Konsequenz den Verzicht auf nationale<br />

Rechte b<strong>ein</strong>halten wird. Das ist der Preis der Europäischen Union,<br />

der Gem<strong>ein</strong>schaft, für <strong>ein</strong>e sichere Energieversorgung!<br />

Insofern wird sich am weiteren Verlauf und Ergebnis der energiepolitischen<br />

Diskussion zeigen, ob die Staatengem<strong>ein</strong>schaft tatsächlich<br />

doch noch in der Lage ist, sich globalen Herausforderungen<br />

geschlossen zu stellen. Oder ob die EU in ihre nationalen Einzelteile<br />

zerfällt und vom Gedanken gem<strong>ein</strong>schaftlicher Politik nichts bleibt.<br />

Und dies angesichts der Tatsache, dass tatsächlich schon heute 70-<br />

80 % der nationalen Legislative in Brüssel bestimmt und national<br />

nur mehr umgesetzt wird!<br />

Zynische Stimmen in Brüssel m<strong>ein</strong>en, die Mitgliedstaaten würden<br />

erst zu <strong>ein</strong>er „Energieunion“ bereit s<strong>ein</strong>, wenn es neue – dann aber<br />

hoffentlich nicht allzu – dramatische Vorfälle und Katastrophen<br />

gegeben hat, die verdeutlichen, wie beschränkt nationale Energiepolitiken<br />

in ihrer Wirksamkeit und Bedeutung sind: Blackouts, der<br />

Einsatz von Energieträgern als wirtschaftliche und als politische<br />

Waffe. Insofern kam schon der Ukraine-Gas-Konflikt <strong>ein</strong>em Weckruf<br />

gleich – zuvor war über Abhängigkeit und Erpressbarkeit von<br />

Staaten und Systemen, die über begrenzte und weltweit nachgefragte<br />

11


STROM OHNE GRENZEN<br />

12<br />

WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />

Ressourcen verfügen, aus politischer Rücksichtnahme in solcher<br />

Offenheit nicht gesprochen worden. Aber haben die Ereignisse <strong>zur</strong><br />

Jahreswende 2005/06 und die seitdem – gerade in Deutschland –<br />

geführten Diskussionen über Russland als verlässlichen Energiepartner<br />

nachhaltige Wirkung? Ist jetzt <strong>ein</strong>e wirklich europäische<br />

Energiepolitik tatsächlich machbar? Zweifel sind hier sicher<br />

angebracht, doch ist daran zu erinnern: Die EU hat schon ganz andere<br />

gem<strong>ein</strong>same Politiken durchgesetzt, deren Realisierung im Vorfeld<br />

häufig als kaum wahrsch<strong>ein</strong>lich <strong>ein</strong>geschätzt worden war. Der Euro<br />

ist hier das beste Beispiel, auch wenn noch nicht alle EU-Staaten<br />

diesen Schritt hin <strong>zur</strong> gem<strong>ein</strong>samen Währung gegangen sind.<br />

Vielleicht liegt überhaupt die Zukunft der Europäischen Union mit<br />

derzeit 25 und zukünftig wohl noch mehr Mitgliedstaaten in Mehrheitsentscheidungen?<br />

Energiepolitik für die EU-Zukunft entscheidend<br />

Es wird sich schon bald zeigen, ob die Mitgliedstaaten der Union die<br />

Zeichen der Zeit erkannt haben und Inhalt und Geist des Grünbuches<br />

folgen. Die meisten Energieressourcen sind endlich, und die Suche<br />

nach Alternativen begann weltweit viel zu spät. Lange wurden durchaus<br />

vorhandene Prognosen über die Knappheit der Energieressourcen<br />

nicht ernst genommen – auch weil sich in der Vergangenheit viele<br />

Voraussagen nicht bestätigt hatten. Rohstofflieferanten haben <strong>ein</strong><br />

gewaltiges Machtmittel in ihren Händen. Viele der endlichen und<br />

begehrten Ressourcen befinden sich in Regionen dieser Erde, die<br />

man gem<strong>ein</strong>hin als politisch wenig stabil bezeichnet. Seit wenigen<br />

Monaten spricht die Europäische Union denn auch von <strong>ein</strong>er<br />

European Energy Foreign Policy, <strong>ein</strong>er Europäischen Energie-Außenpolitik.<br />

Auch wenn manchen dies viel zu zentralistisch und<br />

europäisch ist: Lassen sich die energiepolitischen Herausforderungen<br />

dieser Tage noch national bewältigen? Energiekommissar Piebalgs:<br />

„Man muss ... die entscheidenden Fragen der Zukunft auf<br />

europäischer Ebene diskutieren.“ Wenn es der EU, den EU-Mitgliedstaaten,<br />

nicht schnell gem<strong>ein</strong>sam gelingen sollte, die<br />

anstehenden energiepolitischen Herausforderungen zu bewältigen,<br />

dann stellt sich vielleicht schon bald die Frage nach der Handlungsfähigkeit<br />

und Zukunft der Gem<strong>ein</strong>schaft überhaupt.<br />

Anmerkungen<br />

[1] Originaltitel des Grünbuches: „Green Paper „A European Strategy for Sustainable,<br />

Competitive and Secure Energy“, das gesamte Dokument findet sich unter<br />

http://europa.eu.int/comm/energy/green-paper-energy/index_en.htm<br />

[2] Grünbuch, Zitat S.5, 1. Absatz.<br />

[3] Grünbuch, Zitat S.11, 1. Absatz.<br />

Dr. R. Buttgereit, Direktor Vattenfall European Affairs Office, Brüssel<br />

r<strong>ein</strong>hold.buttgereit@vattenfall.de<br />

Dies gilt in ähnlicher Weise auch für viele andere Rohstoffe. Beispielhaft<br />

sei dies an der Preisentwicklung für Kupfer gezeigt (vgl.<br />

Abb. 1). Das Wirtschaftswachstum liegt dabei im Weltmaßstab weit<br />

über dem europäischen Niveau (vgl. Tab. 1). Ein kurzer Rückblick<br />

auf die Vertragsstrukturen in dem für die Preisentwicklung wichtigen<br />

Markt für Rohöl kann diese Entwicklung erklären [1]. Bis in die 70er<br />

Jahre wurde Rohöl im Wesentlichen von westlichen Ölgesellschaften<br />

auf der Basis langfristiger Verträge <strong>ein</strong>gekauft; an die Stelle langfristiger<br />

Verträge trat dann <strong>ein</strong>e stärkere Marktorientierung, die<br />

der größeren Vielfalt von Akteuren und dem größeren Volumen des<br />

Marktes Rechnung trug. Das Produkt Erdöl unterliegt dabei<br />

besonderen Produktionsstrukturen. Der Zeitbedarf für die<br />

Erschließung neuer Quellen ist bedeutend. Daraus folgt, dass Nachfrageschwankungen,<br />

die an die Grenzen des kurzfristigen Angebots<br />

stoßen, erhebliche Preisbewegungen <strong>zur</strong> Folge haben können. Diese<br />

auch als Preisvolatilität bezeichnete, die realen Verhältnisse auch<br />

stark überzeichnende Preisreaktion, ist für solche Marktgegebenheiten<br />

typisch. Dazu kommen die besonderen politischen Risiken in diesem<br />

Markt. Da <strong>ein</strong> bedeutender Teil der Reserven von Erdöl in politischen<br />

Krisenregionen liegt, können daraus zusätzliche Verstärkungen marktbedingter<br />

Preisbewegungen resultieren, die u. a. die Erwartungen<br />

der Marktteilnehmer widerspiegeln.<br />

Schließlich können sich auch die Finanzmärkte die Preisbewegungen<br />

zunutze machen, um aus erwarteten Preisdifferenzen Renditen für<br />

Kapitalanlagen abzuleiten. Zwar ändert dies an der realen Angebots-<br />

Nachfragekonstellation nichts, andererseits können die von Finanzinstitutionen<br />

veröffentlichten Erwartungen <strong>zur</strong> Preisentwicklung<br />

die Erwartungen der Marktteilnehmer verändern und damit –<br />

zumindest für begrenzte Zeiträume – das Geschehen an den realen<br />

Märkten auch tatsächlich be<strong>ein</strong>flussen.<br />

Sonderstellung der Rohstoffmärkte<br />

Rohstoffmärkte sind also in gewisser Weise „Märkte pur“. Für viele<br />

andere Märkte von Gütern und Dienstleistungen ist dagegen eher<br />

Preiskonstanz und periodische Preiskorrektur typisch, wobei die<br />

regelmäßig stattfindende Preiskorrektur häufig das Risiko von Preisänderungen<br />

zu antizipieren versucht, um damit die Intervalle<br />

zwischen Preiskorrekturen möglichst lang zu halten. Durch starke<br />

Tab. 1: Wachstumsraten des realen Bruttoinlandsprodukts<br />

gewichtet mit Kaufkraftparitäten<br />

2004* 2005** 2006**<br />

OECD: 3,3 2,7 2,7<br />

Nord Amerika 4,1 3,4 3,2<br />

Europa 2,7 1,8 2,1<br />

Pazifik 2,8 3 2,9<br />

Entwicklungsländer: 6,2 5,7 5,3<br />

Afrika 5,1 5 5,6<br />

Lat<strong>ein</strong>amerika & Karibik 5,8 4,3 4,1<br />

Asien & Ozeanien 6,7 6,3 5,7<br />

OPEC 7,1 6,3 5,4<br />

GUS 8,4 6,5 6<br />

China 10,1 9,9 8,7<br />

Welt 5,2 4,6 4,4<br />

* geschätzt; ** Prognose • Quelle: OPEC Market Indicators, 02/2006<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006


Zu den Fundamentaldaten der<br />

Energiepreisentwicklung<br />

Wolfgang Pfaffenberger<br />

Die Weltwirtschaft ist im Wandel. Insbesondere in den Ländern mit <strong>ein</strong>er nachholenden Entwicklung wächst das Bruttoinlandsprodukt<br />

stark an. Dies findet zum Teil in Bereichen statt, die hochgradig materialintensiv oder mit <strong>ein</strong>em wachsenden Energieverbrauch<br />

verbunden sind. Während man in den 70er Jahren bei uns von der Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch<br />

zu sprechen begann, befinden sich <strong>ein</strong>ige der Länder mit nachholender Entwicklung in <strong>ein</strong>er Phase, in der<br />

überproportionaler Energieverbrauch sowohl Wachstumsvoraussetzung wie auch Wachstumsfolge ist. Die damit verbundenen<br />

Veränderungen der Angebots-/Nachfrageverhältnisse auf den Märkten für Rohstoffe führten zwar bisher nicht zu echten Versorgungsengpässen,<br />

haben aber auf der anderen Seite in erheblichem Maße die Preise be<strong>ein</strong>flusst. Die Märkte für Energierohstoffe<br />

werden dadurch tendenziell zu Verkäufermärkten.<br />

Preisbewegungen werden die Planung von Einkaufs- und Produktionsentscheidungen<br />

in vielen Bereichen und auch die Interaktion<br />

zwischen Lieferanten und Abnehmern <strong>ein</strong>er Belastungsprobe<br />

ausgesetzt. Denn solche starken Preisänderungen führen zu <strong>ein</strong>em<br />

Margen- bzw. Vermögenstransfer, der früher getätigte Planungen<br />

obsolet macht.<br />

Derzeit werden gerne Botschaften vom Ende des Zeitalters der fossilen<br />

Energie kundgetan, die in ähnlicher Weise in den letzten hundert<br />

Jahren schon häufiger vernommen werden konnten, nämlich immer<br />

dann, wenn die Preise höhere Knappheit signalisiert haben. Es ist<br />

gängige Praxis, die gegenwärtige Situation in die Zukunft zu verlängern,<br />

um sich <strong>ein</strong> Bild von der zukünftigen Entwicklung zu<br />

machen. Diese Praxis ist umso robuster, je kürzer die betrachtete<br />

zukünftige Zeitspanne ist. In der Energieversorgung geht es jedoch<br />

aufgrund der kapitalintensiven Infrastrukturen um langfristige<br />

Zeiträume. Lassen sich auf den gegenwärtigen Preisinformationen<br />

Zukunftserwartungen aufbauen, die auch die Basis für lange in<br />

die Zukunft reichende Investitionen bilden?<br />

Abb. 2 [2] zeigt die Entwicklung des Ölpreises seit 1860 ausgedrückt<br />

in konstanten Dollar. Die Niedrigpreisphase in der Zeit nach dem<br />

zweiten Weltkrieg endete in den 70er Jahren mit den Ölpreiskrisen.<br />

Die Preise stiegen damals noch weit über das heutige Niveau. Die<br />

Niedrigpreisphase begann wieder 1985 und endete nach knapp 15<br />

Jahren zu Beginn dieses Jahrtausends (vgl. Abb. 3). Als Folge der<br />

hohen Preise gingen damals Produktion und Verbrauch <strong>zur</strong>ück.<br />

Danach stieg die Produktion wieder allmählich an und in den letzten<br />

Abb. 1 Kupferpreis, Jahresdurchschnitt Quelle: Westmetall, 1. Quartal 2006 Abb. 2 Realer Rohölpreis seit 1860<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />

Jahren haben wir starke Zuwächse bei Verbrauch und Produktion<br />

zu verzeichnen. In den 70er Jahren war die M<strong>ein</strong>ung verbreitet,<br />

das Ende des Ölzeitalters sei gekommen. Die nachgewiesenen<br />

Reserven von Öl sind jedoch seitdem stärker gestiegen und liegen<br />

heute etwa bei dem Doppelten des Werts von 1980. Ähnliches gilt<br />

in verstärktem Maße auch für Erdgas (vgl. Abb. 4 und 5).<br />

Auf der Basis von Reserven und gegenwärtiger Produktion wird<br />

die statische Reichweite der Reserven ermittelt. Diese liegt heute auf<br />

dem gleichen Niveau wie vor 15 oder 30 Jahren. Die Botschaft vom<br />

Ende des Ölzeitalters ist also heute genauso „wahr“ wie damals. Dies<br />

muss man sich bei der Bewertung der Zusammenhänge vor Augen<br />

führen. Ein relativer Rückgang der Nachfrage verbunden mit <strong>ein</strong>em<br />

Platzen der mit der Ölpreisentwicklung gekoppelten Finanzblase<br />

kann das Preisniveau auch wieder stark reduzieren. Preisvolatilität<br />

ist nicht auf <strong>ein</strong>e Richtung festgelegt! Für Kohle gelten aufgrund der<br />

wesentlich größeren und breiter verteilten Vorräte andere<br />

Bedingungen. Engpässe auf den Märkten bei Kohle in den letzten<br />

Jahren erklären sich in wesentlichem Umfang aus der Knappheit der<br />

Infrastrukturen im Transportbereich.<br />

Es ist deutlich darauf hinzuweisen, dass der von den Abbildungen<br />

4 und 5 suggerierte Trend <strong>ein</strong>er Parallelität der Entdeckung neuer<br />

Reserven im Gleichklang mit der steigenden Produktion natürlich<br />

nicht beliebig in die Zukunft verlängerbar ist. Für die Diskussion<br />

der gegenwärtigen Preisentwicklungen ist jedoch deutlich zwischen<br />

der gegenwärtigen Angebots-/Nachfragekonstellation <strong>ein</strong>erseits und<br />

der langfristigen Verfügbarkeit von Ressourcen zu unterscheiden.<br />

13


STROM OHNE GRENZEN<br />

14<br />

WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />

Tab. 2: Wert der Primärenergie<strong>ein</strong>fuhr<br />

Wert der Primärenergie<strong>ein</strong>fuhr*)<br />

in Mrd. € 2005<br />

Tatsächlich bei Mengen 2005<br />

1995 15.0 18.4<br />

2005 51.8 51.8<br />

Differenz 36.8 33.3<br />

Mengeneffekt 3.4<br />

Preiseffekt 33.3<br />

*) ohne Mineralölprodukte • Quelle: BAFA, eigene Berechnungen<br />

Gegenwärtig findet die Preisbildung sehr stark auf der Basis kurzfristiger<br />

Indikatoren statt. Soweit langfristige Verträge existieren,<br />

garantieren sie zwar für die Laufzeit die Verfügbarkeit, doch sind<br />

die Preise im Allgem<strong>ein</strong>en an kurzfristige Indikatoren gebunden.<br />

Etwas anderes wäre auch wirtschaftlich aus verschiedenen Gründen<br />

nicht vorstellbar: denn es würde voraussetzen, dass Anbieter z. B.<br />

bei steigenden Preisen Lieferungen für kontrahierte Mengen „unter<br />

Wert“ verkaufen müssten.<br />

Dass die gegenwärtigen Preise nicht die langfristige Knappheit ausdrücken,<br />

hat aber noch weitere Ursachen:<br />

■ Die Investitionen der Ölindustrie in die Erschließung neuer Vorkommen<br />

haben in der Zeit der niedrigen Ölpreise stark nachgelassen.<br />

Die Angebotssituation der Gegenwart ist damit das Ergebnis der<br />

Preiserwartung der Vergangenheit.<br />

■ Die Produktionskosten für Öl liegen weit unter dem gegenwärtigen<br />

Preisniveau (Abb. 6). In dem Diagramm [3] sind die Produktionskosten<br />

über den Ressourcen <strong>ein</strong>schließlich der unkonventionellen<br />

Ressourcen dargestellt.<br />

■ Steigende Preise rufen verschiedene Substitutionsvorgänge hervor<br />

(Verbesserung der Energieeffizienz, Wechsel der Energieträger,<br />

Einführung anderer Umwandlungsprozesse etc.), deren längerfristige<br />

Wirkung heute nicht bekannt ist, da im Laufe solcher Substitutionsprozesse<br />

auch neues Wissen entsteht.<br />

■ Unbekannt ist heute auch die künftige Nachfrage nach Energie,<br />

die in vielfältiger Weise mit der künftigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen<br />

Entwicklung verknüpft ist.<br />

Daraus, dass die Preise an den Märkten für Energierohstoffe nicht<br />

die langfristige Knappheit zum Ausdruck bringen, sondern das<br />

jeweilige aktuelle Marktgeschehen reflektieren, folgt aber, dass entgegen<br />

dem, was heute täglich in der Zeitung zu lesen ist, k<strong>ein</strong>eswegs<br />

davon auszugehen ist, dass die Preise für Energierohstoffe langfristig<br />

stabil auf dem heutigen Niveau verbleiben. Man kann sich viele<br />

Abb. 3 Rohölpreis der letzten 20 Jahre Abb. 4 Nachgewiesene Reserven und Produktion von Erdöl<br />

Abb. 5 Nachgewiesene Reserven und Produktion Erdgas Abb. 6 Produktionskosten von Öl<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006


Szenarien vorstellen, bei denen Schwankungen des Wirtschaftswachstums<br />

auch in den Ländern mit nachholender Entwicklung<br />

zu reduziertem Nachfragewachstum nach Energie führen und damit<br />

Überschießeffekte der Angebotsseite hervorrufen können, wie dies<br />

etwa 1998 der Fall gewesen ist. In den letzen Jahren war es weniger<br />

das Niveau der Energienachfrage, dass die Preise getrieben hat,<br />

als der starke kurzfristige Zuwachs. Dies sei an der Entwicklung<br />

in China demonstriert: Die Abb. 7 zeigt die Entwicklung von Ölverbrauch<br />

und Produktion in China seit 1993. Während China bis zu<br />

Beginn der 90er Jahre bei Öl autark war, ist der Ölverbrauch<br />

inzwischen stark angestiegen. China ist inzwischen nach den USA<br />

der zweitgrößte Ölverbraucher der Welt. Die Abb. 8 zeigt den Zuwachs<br />

des Ölverbrauchs nach Ländergruppen. Die Abb. 9 den Zuwachs des<br />

Gasverbrauchs. Deutlich zeigt sich der starke Anstieg bei den Ländern<br />

mit nachholender Entwicklung, während in den Industrieländern<br />

der Verbrauch nur langsam wächst. Es ist anzunehmen, dass die<br />

Märkte auf größere Zuwächse überproportional stark reagieren. Setzt<br />

man den Zuwachs des Energieverbrauchs der letzten Jahre weltweit<br />

in Zusammenhang mit der Entwicklung des Ölpreises, so zeigt sich<br />

dieser Zusammenhang deutlich (Abb. 10).<br />

Entwicklung in Deutschland<br />

Der Anstieg der Weltmarktpreise, die in Dollar notiert werden, wirkt<br />

sich korrigiert um eventuelle Wechselkursänderungen aus. Tab. 2<br />

zeigt die Veränderung des Werts der Energieträgerimporte. Kor-<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />

rigiert um den Mengeneffekt haben sie zwischen 1995 und 2005 um<br />

ca. 33 Mrd. € zugenommen (in konstanten Euro von 2005). Pro Kopf<br />

der Bevölkerung sind dies ca. 400 € und bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt<br />

ca. 1,5 %. Die Ausgaben der Haushalte für Energie<br />

(ohne Kraftstoffe, vgl. Tab. 3) sind zwischen 1996 und 2005 um<br />

145 € gestiegen (Mengen- und Preiseffekt, der Preiseffekt ließ sich<br />

nicht trennen). Im gleichen Zeitraum gab es aber zusätzliche<br />

Abb. 7 Produktion und Verbrauch von Erdöl in China Abb. 8 Veränderung des Ölverbrauchs nach Ländergruppen<br />

in Mio. t<br />

Abb. 9 Veränderung des Erdgasverbrauchs nach Ländergruppen<br />

in Mio. toe<br />

Tab. 3: Entwicklung der jährlichen Energieausgaben<br />

der Haushalte, ohne Kraftstoffe in €.<br />

Ausgaben 1996 1173<br />

Ausgaben 2005 1318<br />

Differenz 145<br />

Zusätzliche Steuern / Umlagen<br />

Stromsteuer 71<br />

Erdgas-/Heizölsteuer 70<br />

Umlage für Regenerative 24<br />

Total 165<br />

Die Werte sind <strong>zur</strong> Vergleichbarkeit in € von 2005 umgerechnet<br />

Quelle: BMWi, eigene Berechnungen<br />

Abb. 10 Veränderung des Energieverbrauchs und realer Ölpreis<br />

15


STROM OHNE GRENZEN<br />

16<br />

WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />

steuerliche Belastungen in Höhe von 165 €, die höher sind als die<br />

Mehrausgaben.<br />

Das Preisniveau in Deutschland für Endverbraucher von Energie<br />

liegt aufgrund der Besteuerung über dem Preisniveau der Energieträger.<br />

Zur Begründung der Ökosteuer wurde ausgeführt: „Fossile<br />

Energien sind <strong>ein</strong> knappes und endliches Gut. Zudem entstehen bei<br />

ihrer Verbrennung Treibhausgase, die in die Atmosphäre entweichen<br />

und somit zum Treibhauseffekt und der globalen Erwärmung<br />

beitragen. Die daraus resultierenden Kosten der Gesellschaft für<br />

Klimaschutzmaßnahmen und die Beseitigung von Umweltschäden<br />

sind in den Preisen nicht enthalten. Die Preise für die Nutzung der<br />

meisten Energieträger sind deshalb langfristig zu niedrig, weil sie<br />

nur <strong>ein</strong>en Teil ihrer wahren Kosten widerspiegeln“[4].<br />

Mit der Einführung des Zertifikatehandels für <strong>CO</strong> 2 ergibt sich<br />

nunmehr systemwidrig <strong>ein</strong>e zweifache Einrechnung der Umweltkosten.<br />

Die Abb. 11 zeigt die implizite <strong>CO</strong>2-Steuer der Energieträger.<br />

Da die Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen in den <strong>CO</strong> 2 -<br />

Zertifikatehandel <strong>ein</strong>bezogen ist, ergibt sich für Stromverbraucher<br />

nunmehr <strong>ein</strong> impliziter <strong>CO</strong> 2 -Preis von 50-60 €/t je nach Preis der<br />

<strong>CO</strong> 2 -Zertifikate und der Überwälzung auf den Strompreis.<br />

Anmerkungen<br />

[1] Vgl. Robert Mabro: The International Oil Price Regime: Origins, Rationale and Assessment,<br />

in: Journal of Energy Literature, 1, 2005, 3 -20.<br />

Abb. 11 Die Ökosteuer als <strong>CO</strong> 2 -Steuer; (Strom soweit voll besteuert)<br />

[2] Quelle für die Abb. 2-5 und 7-10: BP.<br />

[3] Nach Shell, Energy Needs, Choices and Possibilities, 2001. Die Werte wurden auf US$<br />

von 2004 umgerechnet.<br />

[4] BMU (Febr. 2004), Die ökologische Steuerreform.<br />

Prof. Dr. W. Pfaffenberger, Professor of Economics (European Utility<br />

Management), International University Bremen<br />

w.pfaffenberger@iu-bremen.de<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006


Alternativen in <strong>ein</strong>em unruhigen Markt<br />

Jürgen Grohmann<br />

In Zeiten stark volatiler Preise richtet sich der Blick der Unternehmen zunehmend auf die Energiekosten. Strukturierte Beschaffung<br />

und Beschaffungs-Portfolien können helfen, die mit stark schwankenden Energiepreisen verbundenen Risiken zu mindern.<br />

Jedoch kann dies nur gelingen, wenn das Unternehmen über ausreichende Organisationsstrukturen und <strong>ein</strong> stabiles<br />

Risikomanagement verfügt. Die Weitergabe dieser Aufgaben an <strong>ein</strong>en spezialisierten Dienstleister kann dabei zu <strong>ein</strong>er signifikanten<br />

Entlastung unternehmenseigener Ressourcen führen und die Qualität des Beschaffungs- und Portfoliomanagements gewährleisten.<br />

In den vergangenen 15 Monaten hat sich nicht nur der europäische<br />

Strommarkt, sondern auch das energiewirtschaftliche Umfeld erheblich<br />

gewandelt. Die Entwicklungen im Energiemarkt waren von teils<br />

dramatischen Entwicklungen bei den Roh- und Grundstoffen wie<br />

z. B. Stahl oder Aluminium begleitet.<br />

Der Markt für Strom und <strong>CO</strong> 2 ist im Vergleich zu anderen Commodity-<br />

Märkten (z. B. Öl, Gold, Weizen) noch sehr jung. In vielen Bereichen<br />

fehlt es noch an Datenmaterial, um langfristige Zeitreihenanalysen<br />

durchzuführen. Der Anstieg der Preise im europäischen Strommarkt<br />

und die Zunahme der Volatilität haben <strong>ein</strong>e Vielzahl von Ursachen<br />

und können nicht mit <strong>ein</strong>em angeblich noch nicht ausreichend entwickelten<br />

Handelsmarkt begründet werden. Abb. 1 zeigt die Preisentwicklung<br />

in Deutschland im Laufe des Jahres 2005, wobei wesentliche<br />

Ereignisse hervorgehoben wurden. Es ist deutlich zu erkennen,<br />

dass neben dem Anstieg der Preise zum Teil auch massive<br />

Schwankungen zu verzeichnen waren. Das erhebliche und nach wie<br />

vor steigende Handelsvolumen zeigt, dass der deutsche Markt gut<br />

entwickelt ist. Wie Abb. 2 zeigt, liegt das jährlich gehandelte Volumen<br />

in Deutschland derzeit bei rund 3 300 TWh. Dies entspricht etwa<br />

dem Sechsfachen des jährlichen nationalen Verbrauchs und deutet<br />

auf <strong>ein</strong>e ausreichende Liquidität.<br />

Die geschilderte Entwicklung hat <strong>zur</strong> Folge, dass der Einfluss der<br />

Energiekosten auf das Ergebnis <strong>ein</strong>es Unternehmens zunehmend<br />

in den Fokus gerät. Dabei spielt selbstverständlich die absolute Höhe<br />

der Preise <strong>ein</strong>e wesentliche Rolle. Parallel dazu werden jedoch auch<br />

verstärkt der Einfluss der Preisschwankungen auf das Unternehmensergebnis<br />

und die damit verbundenen Risiken analysiert.<br />

Dies äußert sich in <strong>ein</strong>er zunehmenden Nachfrage nach marktpreisorientierten<br />

Liefermodellen in Verbindung mit der Bereitstellung<br />

von Marktinformationen und Handlungsempfehlungen, der Unter-<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />

stützung durch die Überwachung von Transaktions- und Risikolimiten<br />

sowie der Berichterstattung <strong>zur</strong> Entwicklung des Stromportfolios.<br />

Verbindung von Vertrieb und Handel als Wettbewerbsvorteil<br />

E.ON Sales & Trading GmbH ist es durch die Fusion von Vertrieb<br />

und Handel auf Wholesale-Ebene bereits frühzeitig gelungen, sich<br />

auf die geschilderte Situation <strong>ein</strong>zustellen. Die Ver<strong>ein</strong>igung beider<br />

Kompetenzen unter <strong>ein</strong>em Dach erlaubt die Entwicklung flexibler<br />

Lösungen für Kundenprobleme und eröffnet die Möglichkeit, proaktiv<br />

neuen Situationen zu begegnen.<br />

Zur Optimierung der Kooperation von Vertrieb und Handel wurde<br />

bei E.ON Sales & Trading bereits vor <strong>ein</strong>igen Jahren <strong>ein</strong> spezialisiertes<br />

Team im Handelsressort gegründet. Dieses Team ist <strong>ein</strong>erseits fest<br />

im Handelsmarkt etabliert und räumlich auf dem Trading Floor<br />

angesiedelt, andererseits durch die Entwicklung von kundenspezifischen<br />

Lösungen intensiv in die Arbeit des Vertriebs <strong>ein</strong>gebunden.<br />

Die Teammitglieder stehen Kunden und Key Account Managern<br />

gleichermaßen als Berater <strong>zur</strong> Verfügung. Der Schwerpunkt liegt<br />

dabei auf der Bereitstellung von Marktinformationen und auf der<br />

Analyse, Entwicklung und Bewertung von Liefermodellen und deren<br />

Effekt auf die Risikosituation des Kunden. Hinzu kommt die operative<br />

Betreuung von Kundenportfolios in mittlerweile vier Ländern<br />

Europas. Die im vorangegangenen Abschnitt aufgestellte These <strong>ein</strong>er<br />

steigenden Nachfrage nach marktnahen Dienstleistungen und marktpreisorientierten<br />

Beschaffungsmodellen wird durch Abb. 3 und 4<br />

belegt. Hier ist die Entwicklung der betreuten Kundenportfolios und<br />

der abgewickelten Handelsgeschäfte im Team Kundenportfoliomanagement<br />

dargestellt. Es ist deutlich zu erkennen, dass seit 2003<br />

in allen Bereichen massive Zuwachsraten zu verzeichnen sind.<br />

Abb. 1 Historische Entwicklung der Jahreskontrakte in Deutschland Abb. 2 Ansteigendes Handelsvolumen in Deutschland<br />

19


STROM OHNE GRENZEN<br />

20<br />

WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />

Aktive Marktteilnahme von Industrie- und<br />

Versorgungsunternehmen<br />

Vor dem Schritt in die Welt der strukturierten Beschaffung und<br />

des Portfoliomanagements gilt es – unabhängig von Sektor und<br />

Branche – <strong>ein</strong>e Bestandsaufnahme des Status Quo durchzuführen.<br />

An erster Stelle ist die Frage nach der Fähigkeit <strong>zur</strong> lang- und kurzfristigen<br />

Prognose zu beantworten. Diese Fähigkeit hat zentrale<br />

Bedeutung bei der monetären Bewertung von Profil- und Volumenrisiko<br />

und bei der Entscheidung, ob diese Risiken gegen Zahlung<br />

<strong>ein</strong>er pauschalen Prämie an den Lieferanten abgegeben oder selbst<br />

getragen werden sollen. Während <strong>ein</strong> Stromanbieter immer von <strong>ein</strong>er<br />

groben Abschätzung der möglichen Entwicklung des Bedarfsprofils<br />

ausgehen muss, kann <strong>ein</strong> Unternehmen mit guter Prognosefähigkeit<br />

den monetären Effekt von Prognosefehlern und den daraus<br />

resultierenden Bedarf an Ausgleichsenergie gut selbst abschätzen.<br />

Insofern bietet <strong>ein</strong>e gute Prognosefähigkeit <strong>ein</strong> erhebliches Einsparpotenzial<br />

für den Kunden, da die bei Übernahme der genannten<br />

Risiken pauschal kalkulierten Risikoprämien entfallen. Sollte diese<br />

Fähigkeit nicht im Hause vorhanden s<strong>ein</strong>, so bleibt entweder die<br />

Möglichkeit der Vergabe der Prognoseerstellung an <strong>ein</strong>en Dienstleister<br />

oder die Verlagerung des Risikos auf den Lieferanten. In<br />

Abb. 5 sind verschiedene Beschaffungskonzepte in Bezug auf deren<br />

jeweilige Marktnähe sowie Chancen-/Risikoprofil zusammengestellt.<br />

Sofern sich <strong>ein</strong> Unternehmen dafür entscheidet, das Profil- und<br />

Volumenrisiko selbst zu tragen, muss im nächsten Schritt überlegt<br />

werden, ob es die Risiken <strong>ein</strong>er unvollständigen Abdeckung s<strong>ein</strong>es<br />

Lastprofils durch Standardhandelsprodukte übernehmen möchte.<br />

Der Vorteil bei der Verwendung von Standardhandelsprodukten liegt<br />

in deren transparentem Marktpreis, der Nachteil liegt in der im<br />

Normalfall auftretenden Short Position (Unterdeckung) in den Peakbzw.<br />

Long Positionen (Überdeckung) in den Offpeak-Stunden. Dieser<br />

Nachteil könnte durch die Integration <strong>ein</strong>er Fahrplanlieferung in das<br />

Beschaffungsportfolio kompensiert werden. Fahrpläne haben im Vergleich<br />

zu Standardhandelsprodukten jedoch <strong>ein</strong>e weitaus geringere<br />

Liquidität im Markt.<br />

Während die bisher dargestellten Aspekte sowohl für industrielle<br />

als auch für kommunal und regional aktive Unternehmen gelten,<br />

gibt es in den Funktionen des Risikomanagements zwischen diesen<br />

beiden Unternehmensgruppen erhebliche Unterschiede.<br />

Kommunal und regional aktive Unternehmen<br />

Für Unternehmen der Energiewirtschaft ist die Verzahnung der Vertriebs-<br />

mit den Beschaffungsaktivitäten von zentraler Bedeutung.<br />

Fehlende Synchronisierung dieser Aktivitäten kann zu erheblichen<br />

Delta-Positionen im Stromportfolio führen und in der momentanen<br />

Phase sehr volatiler Preise fatale Auswirkungen auf das Unternehmensergebnis<br />

haben. Vor diesem Hintergrund gilt es, das Absatzportfolio<br />

nach kl<strong>ein</strong>en (Tarif), mittleren (Sondervertrag) und großen<br />

Einzelkunden zu strukturieren.<br />

Ausgehend von dieser Struktur ist es notwendig, die jeweiligen Verträge<br />

nach Laufzeiten und Kündigungszyklen zu strukturieren,<br />

Abb. 3 Geschäftsentwicklung Portfoliomanagement TK Abb. 4 Geschäftsentwicklung Sales Trading TK<br />

Abb. 5 Grundlagen der strukturierten Beschaffung Abb. 6 Aufgabenverteilung in der Energieversorgung<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006


Abb. 7 Position in den Büchern „Hedge Vertrieb“ und „Eigenhandel“ zum 31.03.2006<br />

um <strong>ein</strong>e weitgehende Transparenz zu erhalten. Während für die<br />

Beschaffung des Stromabsatzes im Tarifsegment im Normalfall <strong>ein</strong>e<br />

<strong>ein</strong>fache Beschaffungsstrategie (z. B. Beschaffung in <strong>ein</strong>er bestimmten<br />

Anzahl äquidistanter Schritte) ausreichend ist, muss für die Segmente<br />

der mittleren und Großkunden differenzierter vorgegangen werden.<br />

Im mittleren Segment dürfte <strong>ein</strong>e Strukturierung nach Kundengruppen<br />

und Vertragslaufzeiten die sinnvollste Lösung darstellen,<br />

während im Großkundensegment die back-to-back-Beschaffung das<br />

Mittel der Wahl ist.<br />

Für die gezeigten Beschaffungsschritte ist <strong>ein</strong>e entsprechende<br />

Strategie unter Einbeziehung von Regelungen zu erlaubten Produkten,<br />

Transaktions- und Preislimiten etc. zu entwickeln und im<br />

Unternehmen zu implementieren. In der operativen Umsetzung ist<br />

die permanente Überwachung der Aktivitäten von Vertrieb und<br />

Beschaffung, die laufende Bewertung von entstehenden offenen<br />

Positionen und die Auslastung von Risikolimiten zu gewährleisten.<br />

Die wesentlichen Führungsgrößen für das Risikomanagement sind<br />

das Volumen der offenen Position und das daraus resultierende Delta-<br />

Risiko, der Value at Risk (VaR) sowie die über die offene Position<br />

erwirtschaftete Profits and Losses (P&L). Nur durch <strong>ein</strong>e laufende<br />

Risikoanalyse kann der Erfolg des Unternehmens gesichert werden.<br />

Industrielle Stromverbraucher<br />

Für Industriekunden stellt sich die Frage nach der strukturierten<br />

Beschaffung meist aus <strong>ein</strong>er anderen Perspektive. Im Normalfall<br />

geht es darum, Strom für <strong>ein</strong> langfristig prognostiziertes Lastprofil<br />

risikogesteuert unter Ausnutzung von Opportunitäten am Markt<br />

zu beschaffen. Ziel ist im Normalfall nicht, frühzeitig <strong>ein</strong>en festen<br />

Lieferpreis zu garantieren, sondern bis zu <strong>ein</strong>em bestimmten Zeitpunkt<br />

das aus der offenen Position resultierende Delta-Risiko auf<br />

<strong>ein</strong>en definierten Wert zu reduzieren, um ausreichende Budgetsicherheit<br />

zu gewährleisten. Dieser Zeitpunkt kann auch erst in<br />

der laufenden Lieferperiode liegen und ist <strong>ein</strong>zig von den<br />

Budgetierungszyklen im Unternehmen abhängig. Ansonsten ist<br />

während der Beschaffungsphase der erwartete Preis (gewichtetes<br />

Mittel aus bereits <strong>ein</strong>gedeckten Strommengen und dem mit Hilfe der<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />

Hourly Forward Curve berechneten und saldierten monetären Wert<br />

der verbleibenden offenen Positionen) <strong>ein</strong>e wesentliche Größe im<br />

Rahmen des Risikomanagements. Hinzu kommen das Delta-Risiko<br />

und der VaR der offenen Position.<br />

Fallstudien<br />

Die Erfahrung zeigt, dass viele Unternehmen am Markt agieren,<br />

ohne über ausreichende Organisationsstrukturen und <strong>ein</strong> stabiles<br />

Risikomanagement zu verfügen. Selbstverständlich ist <strong>ein</strong> hoher Einsatz<br />

erforderlich, wenn sämtliche Funktionen ohne externe Unterstützung<br />

neu in <strong>ein</strong>em Unternehmen implementiert werden sollen.<br />

Dies beginnt bei der Definition und Umsetzung der neuen Prozesse<br />

sowie bei der <strong>Modell</strong>ierung und Bewertung von Risiken und endet<br />

beim laufenden Monitoring des Marktgeschehens und der Auswirkungen<br />

auf die individuelle Unternehmenssituation.<br />

E.ON Sales & Trading hat bezüglich der erforderlichen Prozesse<br />

die nötige Erfahrung und ist auf Grund der Größe und Marktpositionierung<br />

in der Lage, intensive Marktbeobachtung und Analyse<br />

zu betreiben. Hinzu kommt, dass das Unternehmen auf Grund<br />

der eigenen Handelsaktivitäten über die entsprechende Methodenkompetenz<br />

und Werkzeuge verfügt, um Risiken zu modellieren<br />

und zu bewerten. Schon aus eigenem Interesse und für das eigene<br />

Geschäft wird laufend an der Verbesserung dieser Komponenten<br />

gearbeitet, wovon auch die Kunden von E.ON Sales & Trading profitieren.<br />

Im Folgenden sollen zwei Fallstudien die oben theoretisch diskutierten<br />

Anforderungen an das Risikomanagement mit realen<br />

Zahlen verdeutlichen.<br />

Beispiel 1:<br />

Verteilungsunternehmen mit Handelsaktivitäten<br />

Der Beschaffungs-/Handelsbereich <strong>ein</strong>es Verteilungsunternehmens<br />

hat <strong>ein</strong>erseits die Aufgabe, die im Vertrieb kalkulierten Preise sicherzustellen,<br />

also <strong>ein</strong> Beschaffungsbuch zu führen und andererseits<br />

21


STROM OHNE GRENZEN<br />

22<br />

WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />

durch das Eingehen von Risikopositionen Gewinne zu erwirtschaften.<br />

Abb. 6 zeigt die hierfür erforderliche Grundstruktur der Bücher und<br />

Aufgabenverteilung. Das Buch „Hedge-Vertrieb“ hat die Aufgabe,<br />

Vertriebspreise zu sichern, d. h. bei diesem Buch handelt es sich um<br />

<strong>ein</strong> Non-Profit-Buch. Bei Abschluss von Vertriebsverträgen beschafft<br />

der Vertrieb Fahrpläne aus dem Hedgebuch, dieses wiederum<br />

beschafft aus dem Eigenhandelsbuch im Normalfall Standardhandelsprodukte,<br />

um die verkauften Profile preislich zu sichern. Bei<br />

<strong>ein</strong>em delta-neutralen Hedge befinden sich im Hedgebuch k<strong>ein</strong>e<br />

systematischen offenen Positionen, das Risiko der Randstunden<br />

ist selbstverständlich in diesem Buch aggregiert und wird durch den<br />

Value at Risk abgebildet. So ist gewährleistet, dass k<strong>ein</strong>e signifikanten<br />

Delta-Risiken an <strong>ein</strong>er nicht überwachten Stelle im Unternehmen<br />

existieren. Zusätzlich kann für das Hedgebuch <strong>ein</strong> Fahrplan beschafft<br />

werden, um bei Erreichen <strong>ein</strong>es VaR-Limits dieses Risiko zu<br />

reduzieren. Eine Analyse des Erzeugungsbuchs findet an dieser Stelle<br />

nicht statt, da bei der Betrachtung von Kraftwerken <strong>ein</strong>e ggf. sehr<br />

komplexe Bewertung als Swing-Option erfolgen muss.<br />

Wie im Eigenhandel mit den an das Hedgebuch verkauften<br />

Strommengen umgegangen wird, liegt im Ermessen des für die<br />

Risikoposition verantwortlichen Händlers; dieses Buch wird nach<br />

den Kriterien VaR, Profit & Loss (P&L) und Delta-Risiko gesteuert.<br />

Selbstverständlich könnte das Eigenhandelsbuch auch ausgeblendet<br />

werden, indem sämtliche Handelsprodukte back-to-back am Markt<br />

beschafft werden. In Abb. 7 ist sowohl die über Handelsprodukte<br />

abgesicherte Vertriebslast als auch die davon unabhängige Eigenhandelsposition<br />

<strong>ein</strong>es Unternehmens mit entsprechender Risikobewertung<br />

zusammengestellt.<br />

Beispiel 2: Industrieunternehmen<br />

Es wurde bereits betont, dass bei <strong>ein</strong>em Industrieunternehmen im<br />

Gegensatz zu <strong>ein</strong>em Verteilunternehmen die Anforderungen an das<br />

Risikomanagement i. A. geringer sind und sich das Portfoliomanagement<br />

normalerweise auf <strong>ein</strong>e risikoüberwachte strukturierte<br />

Beschaffung begrenzt, wobei den kalendarischen und preislichen<br />

Limiten besonderes Augenmerk geschenkt wird. Ausgehend von der<br />

langfristigen Lastprognose wird <strong>ein</strong>e Absicherungsstruktur und <strong>ein</strong>e<br />

Absicherungsstrategie entwickelt und fixiert. Im Anschluss daran<br />

startet das operative Portfoliomanagement. Abb. 8 zeigt die Portfoliosituation<br />

<strong>ein</strong>es Industriekunden zum 31.03.2006. Auf Grund der<br />

systematischen Vorgehensweise bei der Beschaffung konnte <strong>ein</strong> ver-<br />

gleichsweise günstiger Beschaffungspreis realisiert werden. Der<br />

Tabelle kann entnommen werden, dass das Portfolio nahezu vollständig<br />

deltaneutral abgesichert ist, dass also Marktpreisbewegungen<br />

k<strong>ein</strong>en signifikanten Einfluss mehr auf die Beschaffungskosten haben<br />

sollten. Lediglich <strong>ein</strong>e dramatische Verschiebung der Preisrelation<br />

zwischen Base und Peak hätte noch Einfluss auf das Portfolio, dieses<br />

Risiko wird über den VaR ausgedrückt.<br />

Speziell die preislichen Limite haben zentrale Bedeutung, da bis <strong>zur</strong><br />

Realisierung des deltaneutralen Hedges jede Marktpreisbewegung<br />

Einfluss auf die erwarteten Beschaffungskosten hat. Hier gibt<br />

Abb. 9 <strong>ein</strong>en Überblick über die aktuelle Situation. Der erwartete<br />

Beschaffungspreis (links) liegt nahezu in der Mitte zwischen den<br />

definierten Preislimiten, die zum 31.03.2006 erreichte Profildeckung<br />

(rechts) liegt an der oberen Grenze des ver<strong>ein</strong>barten Beschaffungskorridors,<br />

<strong>ein</strong>e Folge der insgesamt bullschen Markt<strong>ein</strong>schätzung.<br />

Analyse und Management von Risikopositionen<br />

ist unerlässlich<br />

Der Markt für Strom war in den letzten Monaten erheblich von<br />

gestiegenen Preisniveaus und Volatilitäten geprägt, womit die Energiekosten<br />

und ihr Einfluss auf das Unternehmensergebnis zunehmend<br />

in den Fokus der Risikoanalysen rücken. Unabhängig vom<br />

Beschaffungskonzept (vom Vollstromprodukt mit schrittweiser<br />

Beschaffung bis zum vollständigen Einkauf über den Handelsmarkt)<br />

sind Analyse, Bewertung und Management der <strong>ein</strong>zelnen Risikopositionen<br />

unerlässlich. Dies ist im Normalfall mit <strong>ein</strong>em nicht<br />

unerheblichen Ressourcen<strong>ein</strong>satz verbunden. E.ON Sales & Trading<br />

bietet durch <strong>ein</strong> spezielles Team für das Kundenportfoliomanagement<br />

kompetente Unterstützung bei der Beantwortung der relevanten<br />

Fragen. Strukturierung und Design relevanter Prozesse stellen <strong>ein</strong>en<br />

wesentlichen Bestandteil der Beratungsleistung in der Implementierungsphase<br />

dar. In der operativen Phase folgt die Unterstützung<br />

bei Marktbeobachtung und -<strong>ein</strong>schätzung sowie bei der laufenden<br />

Portfoliobetreuung und -bewertung. Zur weiteren Entlastung der<br />

kundeneigenen Ressourcen bietet E.ON Sales & Trading <strong>ein</strong> breites<br />

Spektrum an Dienstleistungen <strong>zur</strong> Lastprognose, zum Fahrplan- und<br />

Bilanzkreismanagement und <strong>zur</strong> EEG-Abwicklung an.<br />

Dr. J. Grohmann, Kundenportfoliomanagement E.ON Sales & Trading<br />

GmbH, München<br />

jürgen.grohmann@eon-energie.com<br />

Abb. 8 Risikoanalyse <strong>ein</strong>es Industriekunden Abb. 9 Überwachung von Preis- und Zeitlimiten im Rahmen der<br />

strukturierten Beschaffung<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006


„Emissionszertifikate sind <strong>ein</strong> wichtiger Faktor<br />

für die Strompreise“<br />

Interview mit Karl Michael Fuhr, Vorsitzender der Geschäftsführung E.ON Sales & Trading<br />

Der Emissionshandel wirkt sich auf die Strompreise aus. Die Folge sind u.a. Preisschwankungen, denen mit geeigneten Strategien<br />

begegnet werden muss. Diversifizierung, strukturierte Beschaffung und das Portfoliomanagement bieten die Mittel dazu. „et“ sprach<br />

mit Karl Michael Fuhr, dem Vorsitzenden der Geschäftsführung von E.ON Sales & Trading über den Zusammenhang von Stromund<br />

Zertifikatspreisen, Möglichkeiten der Risikooptimierung und die zweite Phase des Emissionshandels.<br />

et: Herr Fuhr, die Preise für <strong>CO</strong> 2 -Emissionszertifikate sind Ende April<br />

innerhalb weniger Tage massiv <strong>ein</strong>gebrochen und haben die<br />

Terminnotierungen für Strom deutlich nach unten gezogen. Werden die<br />

Strompreise immer unberechenbarer?<br />

Fuhr: Wir wussten, dass die Emissionszertifikate <strong>ein</strong> wichtiger Faktor<br />

für die Strompreise sind. Mit <strong>ein</strong>em Preisverfall dieses Ausmaßes<br />

hatten wir allerdings nicht gerechnet. Die Entwicklung ist in erster<br />

Linie auf <strong>ein</strong>e inkonsistente Datenbereitstellung durch die Teilnehmerländer<br />

<strong>zur</strong>ückzuführen. Es wäre sinnvoll, die Ist-Werte des<br />

<strong>CO</strong> 2 -Ausstoßes öfter und <strong>ein</strong>heitlich zu kommunizieren. Andererseits<br />

ist nun für jeden sichtbar geworden, dass die Handelspreise<br />

für <strong>CO</strong> 2 und für Strom zusammenhängen und durch fundamentale<br />

Faktoren gebildet werden. Damit haben beide Märkte auch wieder<br />

an Vertrauen gewonnen. Das ist – neben den gesunkenen Preisen<br />

– die positive Botschaft der letzten Wochen.<br />

et: Dennoch bleibt der Eindruck, dass die Strompreise für Käufer und<br />

Verkäufer immer schwerer prognostizierbar sind. Welche Strategie empfehlen<br />

Sie, um die Risiken der Marktentwicklung <strong>ein</strong>zugrenzen?<br />

Fuhr: Man sollte auf k<strong>ein</strong>en Fall alles auf <strong>ein</strong> Karte setzen. Tagesaktuelle<br />

Schwankungen bei den Jahresprodukten von <strong>ein</strong>em Euro<br />

oder mehr für die Megawattstunde sind <strong>ein</strong> gutes Argument für <strong>ein</strong>e<br />

zeitlich und mengenmäßig diversifizierte Beschaffungsstrategie.<br />

Dafür gibt es strukturierte Produkte, die sich am Marktpreis<br />

orientieren, aber durch verschiedene Optionalitäten dennoch planbar<br />

bleiben. Unter Risikogesichtspunkten ist das <strong>ein</strong> vernünftiger<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />

Mittelweg. Deshalb haben wir diese Produkte „smart products“<br />

genannt. Eine Alternative ist das Portfoliomanagement im Sinne<br />

<strong>ein</strong>er ganzheitlichen Beratung des Kunden, die auf kontinuierlichem<br />

Markt-Monitoring durch unsere Spezialisten beruht. Hier partizipiert<br />

der Kunde am Know-How unseres Trading Floors und spart sich den<br />

Aufbau eigener Analyse- und Handelsstrukturen. Er ist allerdings<br />

näher am Markt und geht <strong>ein</strong> höheres Risiko <strong>ein</strong>. Im Grunde gibt<br />

es für jeden Grad an Risikobereitschaft <strong>ein</strong>e Lösung, da sich viele<br />

unserer Produkte kombinieren lassen.<br />

et: Welche Themen werden den Strommarkt in den nächsten Jahren<br />

prägen? Auf welche Entwicklungen sollten sich die Marktteilnehmer<br />

<strong>ein</strong>stellen?<br />

Fuhr: Wir haben 2007/2008 den Übergang in die zweite Handelsphase<br />

für <strong>CO</strong> 2 -Emissionszertifikate. Die Konturen für diese Phase<br />

zeichnen sich langsam ab, aber niemand weiß bislang genau, wie<br />

glatt der Übergang verlaufen wird. Ich glaube, dass der Handel mit<br />

<strong>CO</strong> 2 -Zertifikaten, der ja europaweit stattfindet, die Strompreise in<br />

den verschiedenen europäischen Ländern stärker an<strong>ein</strong>ander bindet.<br />

Der Gaspreis wird <strong>ein</strong>e stärkere Rolle spielen, da in den nächsten<br />

Jahren überproportional Gaskraftwerke zugebaut werden und die<br />

Importpreise für Gas durch den <strong>CO</strong> 2 -Handel stärker als früher auf<br />

die Strompreise wirken. Die weltweiten und regionalen Preise für<br />

Kohle, Öl und Gas werden – neben den Nachfragefaktoren – die<br />

Strompreise auf der Großhandelsebene wesentlich bestimmen.<br />

„et“-Redaktion<br />

„Wir haben 2007/2008 den Übergang in die zweite Handelsphase für<br />

<strong>CO</strong> 2 -Emissionszertifikate. Die Konturen für diese Phase zeichnen sich<br />

langsam ab, aber niemand weiß bislang genau, wie glatt der Übergang<br />

verlaufen wird. Ich glaube, dass der Handel mit <strong>CO</strong> 2 -Zertifikaten, der<br />

ja europaweit stattfindet, die Strompreise in den verschiedenen europäischen<br />

Ländern stärker an<strong>ein</strong>ander bindet.“<br />

Karl Michael Fuhr, Vorsitzender der Geschäftsführung E.ON Sales<br />

& Trading<br />

23


STROM OHNE GRENZEN<br />

24<br />

WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz – <strong>ein</strong> <strong>geeignetes</strong><br />

<strong>Modell</strong> <strong>zur</strong> <strong>kosteneffizienten</strong> <strong>CO</strong> 2 -Minderung in<br />

Europa?<br />

Norbert Azuma-Dicke und Siegfried F. Franke<br />

Das EEG wird im Allgem<strong>ein</strong>en als <strong>ein</strong> Erfolgsmodell der deutschen Klima- und Umweltpolitik betrachtet, durch das sowohl der Einsatz<br />

von regenerativen Energien gefördert als auch die Reduktion von Treibhausgasen kostengünstig verwirklicht werden soll. Eine<br />

genaue Analyse der wirtschaftlichen Auswirkungen des EEG stellt dies in Frage und lässt Zweifel daran aufkommen, ob es im<br />

Vergleich zu Alternativen wie dem Emissionshandel als tragfähiges Reduktionsmodell für Gesamteuropa betrachtet werden<br />

kann.<br />

Die Emission von <strong>CO</strong> 2 und anderen Treibhausgasen auf <strong>ein</strong>e<br />

möglichst wirtschaftliche Weise zu reduzieren, ist das vorrangige<br />

Ziel der Klimarahmenkonvention der Ver<strong>ein</strong>ten Nationen, die im<br />

Jahr 1994 in Kraft trat. Deutschland hat sich früh <strong>zur</strong> Übernahme<br />

dieser Konvention in nationales Recht bekannt und bereits im Jahr<br />

1992 im Rahmen <strong>ein</strong>er Selbstverpflichtung Reduktionsziele definiert,<br />

die über das vertraglich auferlegte Maß hinausgingen. Auch bei<br />

der Entwicklung von Instrumenten <strong>zur</strong> Reduktion von Emissionen<br />

zeigte Deutschland Selbstbewussts<strong>ein</strong>: Es begann früher als viele<br />

andere Staaten, die Produktion und die Verwendung von Strom<br />

aus emissionsfreien erneuerbaren Energien zu fördern und machte<br />

sich in der EU dafür stark, dem deutschen <strong>Modell</strong> der Emissionsreduktion<br />

zu folgen. Die selbstgewählte Rolle als Vorreiter im Kampf<br />

gegen <strong>ein</strong>e erwartete Klimaerwärmung mag mit dazu beigetragen<br />

haben, dass der Sitz des Sekretariats der Konvention nach Bonn<br />

gelegt wurde. Im weiteren Verlauf der Verhandlungen über die<br />

Umsetzung der Klimakonvention hat sich die EU in Kyoto verpflichtet,<br />

ihre Emissionen von <strong>CO</strong> 2 bis 2012 um 8 % gegenüber den Emissionen<br />

von 1990 zu senken. Deutschland wiederum hat sich im sogenannten<br />

Burdensharing der EU zu <strong>ein</strong>em darüber weit hinausgehenden Minderungsziel<br />

von 21 % verpflichtet.<br />

Die Klimarahmenkonvention als Grundlage für die<br />

deutsche Klimaschutzpolitik<br />

Die Klimarahmenkonvention definiert nicht nur das Ziel der Vermeidung<br />

von <strong>CO</strong> 2 und der anderen Treibhausgase, es beschreibt<br />

auch im Detail die Instrumente, die das Konventionskriterium der<br />

Wirtschaftlichkeit in besonders hohem Maße erfüllen. Gleichwohl<br />

haben die EU und Deutschland bislang nur spärlich von den Konventionsinstrumenten,<br />

die aus der Wirtschaftswissenschaft als Firstbest-Instrumente<br />

bekannt sind, Gebrauch gemacht. Anstelle der Konventionsinstrumente<br />

hat Deutschland Second-best-Instrumente der<br />

Emissionsvermeidung <strong>ein</strong>gesetzt, deren Wirtschaftlichkeit bislang<br />

nicht nachgewiesen wurde. Die Bundesrepublik Deutschland hat im<br />

Jahr 2000 <strong>ein</strong> nationales Klimaschutzprogramm beschlossen, das<br />

alle Maßnahmen des Bundes <strong>zur</strong> Reduktion der Emission von <strong>CO</strong> 2<br />

zusammenfasst.<br />

Bei näherer Betrachtung dieses Programms stellt sich heraus, dass<br />

im Unterschied zu den Instrumenten der Klimarahmenkonvention<br />

k<strong>ein</strong>e der angeführten 64 Maßnahmen direkt an den Emissionen<br />

ansetzt, sondern vielmehr darauf gerichtet sind, indirekt die Emission<br />

von <strong>CO</strong> 2 zu reduzieren: Etwa durch die Verminderung des Endenergieverbrauchs<br />

und die Reduzierung des Einsatzes fossiler Energieträger,<br />

durch die Erhöhung der Produktion von Energien, die<br />

fossile Energieträger ersetzen sollen, oder durch die Steigerung<br />

der Effektivität der Nutzung von Energien. Um die indirekte Emissionsvermeidung<br />

zu erreichen, sieht das nationale Klimaschutzprogramm<br />

neben Steuern und Subventionen auch ordnungsrechtliche<br />

Maßnahmen (Regulierungen) vor. Bemerkenswert ist weiterhin,<br />

dass alle 64 Maßnahmen des Klimaschutzprogramms <strong>ein</strong>e Emissionsvermeidung<br />

im Inland bezwecken, obwohl die Klimakonvention<br />

auch Vermeidungsoptionen jenseits der nationalen Grenzen vorsieht,<br />

z. B. den Ankauf von Emissionsrechten auf dem Weltmarkt.<br />

Diese internationale Herangehensweise ist nur folgerichtig, weil<br />

es sich bei der Emission von <strong>CO</strong> 2 um <strong>ein</strong> internationales<br />

Externalitätenproblem handelt; daher ist es im Grunde gleichgültig,<br />

wo auf der Welt die Emission von <strong>CO</strong> 2 reduziert wird. Wichtig ist<br />

nur, dass die Reduktion zu möglichst geringen Kosten geschieht; <strong>ein</strong><br />

Aspekt, dem die Bundesrepublik Deutschland bislang nur wenig<br />

Beachtung schenkt, wie das Beispiel des EEG verdeutlichen soll.<br />

Unter den 64 Maßnahmen des Klimaschutzprogramms misst der<br />

Gesetzgeber dem EEG <strong>ein</strong>e herausragende Bedeutung zu, denn er<br />

erwartet von ihm <strong>ein</strong>en besonders großen Beitrag <strong>zur</strong> Reduktion von<br />

<strong>CO</strong> 2 .<br />

Förderung erneuerbarer Energien in Deutschland<br />

Nicht nur in Deutschland sind die erneuerbaren Energieträger wiederentdeckt<br />

worden, sondern unter dem internationalen Druck <strong>zur</strong> Emissionsminderung<br />

auch in vielen Nachbarstaaten. Während die<br />

Stromgewinnung aus Wasserkraft auf <strong>ein</strong>e lange Tradition <strong>zur</strong>ückblicken<br />

kann, kommen in Europa seit kurzer Zeit vermehrt Techniken<br />

der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energieträgern zum<br />

Einsatz, die bislang eher <strong>ein</strong> Schattendas<strong>ein</strong> gefristet hatten. Die<br />

Nutzung von Wind, Sonne und Biomasse <strong>zur</strong> Stromgewinnung ist<br />

hier an erster Stelle zu nennen. Sie wird vom deutschen Staat mit<br />

der Begründung forciert, dass die damit verbundenen Stromerzeugungstechniken<br />

k<strong>ein</strong>e Emission von <strong>CO</strong> 2 verursachen, und dass<br />

der so erzeugte Strom <strong>ein</strong> Substitut für Strom aus konventionellen<br />

Energieträgern, wie z. B. Kohle, ist. Jedoch gibt es auch Nachteile<br />

der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Sie liegen vor allem<br />

in den vergleichsweise hohen Erzeugungskosten, wenn man von der<br />

Wasserkraft absieht. Um dennoch die Stromerzeugung aus erneuerbaren<br />

Energien zu steigern, musste dieser Kostennachteil kompensiert<br />

werden: Dies geschieht durch etliche finanzielle Anreize,<br />

die die Nutzung der erneuerbaren Energien begünstigen. Im Jahre<br />

1991 wurden im Strom<strong>ein</strong>speisegesetz jene Rahmenbedingungen<br />

definiert, die den Betrieb alternativer Energieerzeugungsanlagen<br />

für deren Betreiber wirtschaftlich attraktiv gestalten sollten. Mit der<br />

erwarteten Produktionsausweitung wollte der Gesetzgeber <strong>ein</strong>en<br />

Beitrag „<strong>zur</strong> Ressourcenschonung und zum Klimaschutz“ leisten.<br />

Den Erzeugern von Strom aus erneuerbaren Energien wurde mit<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006


dem Gesetz <strong>ein</strong>e Abnahmegarantie für den regenerativ erzeugten<br />

Strom zu <strong>ein</strong>em Preis gegeben, der sich am Strompreis für Endkunden<br />

orientierte.<br />

Nach der Liberalisierung des deutschen Energiemarktes und dem<br />

damit <strong>ein</strong>setzenden Strompreisverfall reichte diese Garantie nicht<br />

mehr aus, weil auch die Vergütungszahlungen für Strom aus erneuerbaren<br />

Energien sanken. Um die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren<br />

Energien – wie es im Gesetz heißt – vorrangig aus Klimaschutzgründen<br />

zu sichern und darüber hinaus auch noch zu steigern,<br />

wurde im Jahr 2000 von der rot-grünen Bundesregierung im Erneuerbare-Energien-Gesetz<br />

(EEG) <strong>ein</strong> über dem Marktpreis liegender<br />

Mindestpreis für den erzeugten Strom aus regenerativen Quellen<br />

<strong>ein</strong>geführt. In der Begründung des EEG wird zwar auf das Ziel der<br />

Emissionsreduktion zum Zwecke des Klimaschutzes Bezug<br />

genommen, jedoch unterließ es die Bundesregierung, in ihrer<br />

Begründung auf das Kriterium der Wirtschaftlichkeit <strong>ein</strong>zugehen<br />

und die relativen Kosten der Emissionsvermeidung anzugeben. Es<br />

kommt sicher nicht von ungefähr, dass in der Gesetzesbegründung<br />

neben dem Ziel des Umwelt- und Klimaschutzes weitere Ziele<br />

angegeben werden, wie die Schonung von Ressourcen und die Weiterentwicklung<br />

von Technologien <strong>zur</strong> Stromerzeugung aus erneuerbaren<br />

Energien. Eine Bewertung dieser Teilziele soll hier unterbleiben;<br />

sie ist an anderer Stelle erfolgt [1].<br />

Mehrkosten des EEG<br />

Mitte des Jahres 2004 wurde das EEG erneut überarbeitet und in<br />

<strong>ein</strong>zelnen Punkten angepasst. So wurden u. a. die Vergütungssätze<br />

für Strom aus Photovoltaik, Geothermie, Offshore-Windanlagen und<br />

Biomasse angehoben, um in diesen Bereichen <strong>ein</strong>e Ausweitung der<br />

Stromerzeugung zu forcieren. In der Koalitionsver<strong>ein</strong>barung von<br />

CDU/CSU und SPD, die im Herbst 2005 den Weg <strong>zur</strong> Bildung der<br />

schwarz-roten Bundesregierung ebnete, wurde ver<strong>ein</strong>bart, die Förderung<br />

der erneuerbaren Energien im Grundsatz beizubehalten.<br />

Allerdings sollen gemäß dieser Ver<strong>ein</strong>barung im Jahr 2007 die Vergütungs-<br />

und Degressionssätze auf den Prüfstand gestellt werden.<br />

Das Ziel des EEG soll beigehalten werden: Der Anteil der Erneuerbaren<br />

an der Stromversorgung soll bis zum Jahr 2010 auf mindestens<br />

12,5 % bzw. bis zum Jahr 2020 auf 20 % erhöht werden. Erneut<br />

fehlt <strong>ein</strong>e Wirtschaftlichkeitsbetrachtung und es gibt k<strong>ein</strong>e Angaben,<br />

wie hoch die mit dieser Anteilsausweitung verbundenen Kosten der<br />

Emissionsminderung sind.<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />

Dies ist eigentlich erstaunlich, denn die Emissionsvermeidungskosten<br />

des EEG sind relativ exakt zu ermitteln, weil die für die Berechnung<br />

dieser Kosten benötigten Daten verfügbar sind. Der Verband<br />

der Netzbetreiber in Deutschland etwa veröffentlicht jährlich die sich<br />

aus dem Gesetz ergebende Gesamtvergütung für die Stromproduktion<br />

aus erneuerbaren Energien. Die Vergütungszahlungen stiegen von<br />

etwas mehr als 1 Mrd. € im Jahr 2000 auf 3,5 Mrd. in 2004, und<br />

für 2005 schätzt der Verband <strong>ein</strong>e Vergütungssumme von b<strong>ein</strong>ahe<br />

4,5 Mrd. € für den regenerativ erzeugten Strom (siehe Abb. 1); für<br />

die Folgejahre wird <strong>ein</strong>e weiter steigende Vergütung erwartet. Die<br />

durchschnittliche Vergütung je erzeugter KWh stieg von 8,5 Cent<br />

im Jahr 2000 auf etwa 9,53 Cent/kWh im Jahr 2005 (vgl. Abb. 2),<br />

obwohl im EEG <strong>ein</strong>e Degression der Vergütungssätze vorgesehen<br />

wird. Der Grund für den Anstieg der durchschnittlichen Vergütung<br />

je erzeugter KWh liegt in dem beschleunigten Zubau von<br />

Photovoltaikanlagen, die wegen ihrer vergleichsweise geringen Wirtschaftlichkeit<br />

<strong>ein</strong>e besonders hohe Garantievergütung erhalten. Eine<br />

weitere wichtige Größe für die Berechnung der <strong>CO</strong> 2 -Vermeidungskosten<br />

des regenerativ erzeugten Stroms sind die Marktpreise für<br />

Strom. Am wenigsten durch die Politik verzerrt sch<strong>ein</strong>en die Preise<br />

zu s<strong>ein</strong>, die an der Strombörse festgestellt werden.<br />

Zur Ermittlung der Mehrkosten der Förderung erneuerbarer Energien<br />

ist der Preis des verdrängten Stroms von der durchschnittlichen<br />

Vergütung je erzeugter KWh aus Erneuerbaren abzuziehen. Würde<br />

der Börsenpreis angesetzt, so könnte <strong>ein</strong>gewendet werden, dass<br />

der Handelskontrakt für den an der Börse gehandelten Strom verschieden<br />

von <strong>ein</strong>em Kontrakt für Strom aus erneuerbaren Energien<br />

ist. In der Tat muss der an der Börse gehandelte Strom exakt<br />

zu bestimmten Zeiten verfügbar s<strong>ein</strong>. Für Strom aus regenerativen<br />

Energien wie beispielsweise Wind- oder Sonnenenergie können<br />

die Erzeuger <strong>ein</strong>e solche zeitgenaue Strom<strong>ein</strong>speisung nicht garantieren,<br />

weil die Stromerzeugung witterungsabhängig und die<br />

Speicherung von Strom bislang unwirtschaftlich ist. Erst die „Veredlung“<br />

durch sogenannte Regelenergie aus konventionellen Kraftwerken<br />

macht es möglich, dass Strom aus Erneuerbaren überhaupt<br />

vermarktbar ist. Durch das Unterhalten von Anlagen <strong>zur</strong> Erzeugung<br />

solcher Regelenergie entstehen zusätzliche Kosten, sogenannte<br />

sekundäre Kosten der Erzeugung von Strom aus regenerativen<br />

Quellen, die nur schwer zu ermitteln sind. Bei <strong>ein</strong>em angenommenen<br />

Marktwert für regenerativen Strom in Höhe von rund 4,2 Cent/kWh<br />

(durchschnittlicher EEX-Börsenpreis im Jahr 2005) ergeben sich<br />

ohne Berücksichtigung der sekundären Kosten für <strong>ein</strong>e „Veredelung“<br />

Abb. 1 Gesamtvergütung der EEG-Einspeisung Abb. 2 Durchschnittsvergütung der EEG-Einspeisung<br />

25


STROM OHNE GRENZEN<br />

26<br />

WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />

des Regenerativstroms für das Jahr 2005 Netto-Mehrkosten der<br />

Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren in Höhe von durchschnittlich<br />

5,35 Cent/kWh und damit insgesamt rund 2,5 Mrd. €. Diese<br />

Mehrkosten des Stroms aus erneuerbaren Energien sind in Relation<br />

zu den vermiedenen Emissionen zu setzen, die aus der Verdrängung<br />

von konventionellem, fossil erzeugtem Strom resultieren. Nimmt<br />

man <strong>ein</strong>e Freisetzung von durchschnittlich 675 Gramm <strong>CO</strong> 2 je<br />

erzeugter KWh regenerativen Stroms an [2], die durch die Erzeugung<br />

von Strom aus Erneuerbaren vermieden wird, so ergeben sich Grenzvermeidungskosten<br />

der deutschen Förderung regenerativer Energieträger<br />

in Höhe von 79 € je t <strong>CO</strong> 2 . Diese Grenzvermeidungskosten<br />

dürften eher höher s<strong>ein</strong>, da bei ihrer Berechnung die Aufwendungen<br />

für die Regelenergievorhaltung (Kapazitätsreserven) nicht berücksichtigt<br />

wurden. Auch dürfte die angenommene Emissionsverdrängung<br />

zu hoch angesetzt s<strong>ein</strong>. Denn es dürfte auch Strom aus<br />

Anlagen verdrängt werden, die ohne Emissionen Strom erzeugen.<br />

Jedoch können die berechneten Grenzvermeidungskosten der deutschen<br />

Förderung regenerativer Energieträger in Höhe von 79 € je t<br />

<strong>CO</strong> 2 als <strong>ein</strong>e Richtgröße dienen, die <strong>ein</strong>en Vergleich mit alternativen<br />

Emissionsminderungsanstrengungen bzw. Politikmaßnahmen<br />

möglich machen.<br />

Für <strong>ein</strong>en Vergleich bietet sich das Instrument des Handels mit Emissionsrechten<br />

(Emissionshandel) an; hierbei handelt es sich um <strong>ein</strong><br />

von der Umweltökonomie als „first-best“ bezeichnetes Instrument.<br />

Der europaweite Handel mit Emissionsrechten wurde am 1. Januar<br />

2005 gestartet; er gilt zugleich als Test für den weltweiten Emissionshandel,<br />

der 2008 aufgenommen werden soll. Der Emissionshandel<br />

gibt den <strong>CO</strong> 2 -Emissionsrechten in Europa <strong>ein</strong>en wirtschaftlichen<br />

Wert, der derzeit bei ca. 29 € je t liegt. Beim Vergleich<br />

mit den durchschnittlichen Grenzvermeidungskosten von Strom aus<br />

regenerativen Energieträgern ergibt sich, dass das Instrument der<br />

Förderung der erneuerbaren Energien durch das EEG in Deutschland<br />

fast dreimal so hohe Kosten verursacht wie das Instrument des<br />

europaweiten Emissionshandels. Zu beachten ist dabei, dass der<br />

europäische Emissionshandel lediglich den Unternehmen aus der<br />

Industrie und die Energiewirtschaft offen steht und dass nur ihnen<br />

handelbare Emissionsrechte zugeteilt wurden. In anderen Sektoren<br />

könnte es kostengünstigere Emissionsminderungspotenziale geben.<br />

So sind beispielsweise im Gebäudebestand durch wärmedämmende<br />

Maßnahmen Minderungspotenziale zu vermuten, die zu äußerst<br />

geringen Kosten erschlossen werden könnten [3]. Der Zertifikatpreis<br />

im europäischen Emissionshandel könnte signifikant sinken, wenn<br />

solche Potenziale vermehrt genutzt würden. Die Wirtschaftlichkeit<br />

der Emissionsvermeidung durch die Förderung erneuerbarer Energien<br />

über das EEG in Deutschland erschiene in <strong>ein</strong>em noch ungünstigerem<br />

Licht, wenn andere Instrumente der Klimakonvention zum<br />

Vergleich herangezogen werden. Beispielsweise haben Schätzungen<br />

der Auswirkungen <strong>ein</strong>es Einsatzes sogenannter flexibler Mechanismen<br />

wie Clean Development Mechanism (CDM) oder Joint<br />

Implementation (JI) ergeben, dass der Preis für die europäischen<br />

Emissionszertifikate sinken könnte. Die Schätzungen für CDM-Projekte<br />

ergeben Vermeidungskosten von ca. 5 € je t <strong>CO</strong> 2 . Für den weltweiten<br />

Emissionshandel unter dem Kyoto-Regime, der 2008 starten<br />

soll, werden noch geringere Zertifikatpreise prognostiziert.<br />

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz –<br />

<strong>ein</strong> <strong>Modell</strong> für Europa?<br />

Gemessen am Ziel der Emissionsminderung sind die Vermeidungskosten<br />

der Förderung erneuerbarer Energien in Deutschland<br />

erheblich höher als die <strong>ein</strong>es europäischen Emissionshandels.<br />

Bei <strong>ein</strong>er nach deutschem Vorbild harmonisierten europäischen Förderung<br />

erneuerbarer Energien (EU-Strom<strong>ein</strong>speisegesetz) könnten<br />

sich aber durchaus Vermeidungskosten ergeben, die unter dem<br />

deutschen Niveau liegen. So ist die Stromerzeugung aus der Sonnenstrahlung<br />

in Ländern wie Spanien, Portugal, Italien oder Griechenland<br />

mit weitaus höheren Jahresnutzungsstunden als in Deutschland<br />

möglich, weshalb naturgemäß die spezifischen Erzeugungskosten<br />

auch deutlich niedriger sind. Ähnliches gilt für die<br />

Stromerzeugung durch Windkraft: Windreiche Landstriche an der<br />

britischen, französischen oder portugiesischen Küste versprechen<br />

höhere Jahres-Volllaststunden als das deutsche Binnenland. Die spezifischen<br />

Emissionsvermeidungskosten für die <strong>ein</strong>zelnen Technologien<br />

sind deshalb ebenfalls geringer als hierzulande. Folglich würde <strong>ein</strong>e<br />

europaweit harmonisierte Förderung erneuerbarer Energien durchschnittlich<br />

geringere Kosten verursachen, als dies in Deutschland<br />

der Fall ist. Dabei ist indessen zu bedenken, dass auch bei der zu<br />

erwartenden relativen Verbesserung der Kosteneffizienz die Emissionsvermeidungskosten<br />

technisch bedingt immer noch über den<br />

Kosten des europäischen Emissionshandels lägen.<br />

Deutschland verstößt durch die Förderung der Erneuerbaren mit<br />

dem Ziel der Emissionsminderung gegen die in der Klimakonvention<br />

der Ver<strong>ein</strong>ten Nationen aufgestellte Norm der Wirtschaftlichkeit.<br />

Das gleiche Verdikt träfe die EU, wenn die deutschen Regelungen<br />

europaweit ausgedehnt würden. Nur bei der Anwendung von wirtschaftlichen<br />

Maßnahmen der Emissionsminderung kann bei <strong>ein</strong>em<br />

gegebenen Mittelaufwand der größtmögliche Nutzen für das Klima<br />

erreicht werden. Anders gesprochen: Bei <strong>ein</strong>er alternativen Verwendung<br />

der für die Förderung erneuerbarer Energie aufgewendeten<br />

Mittel könnte in der Welt wesentlich mehr <strong>CO</strong> 2 vermieden werden.<br />

Literatur<br />

[1] Voß, A.; Rath-Nagel, S.; Dicke, N.: Konzeption <strong>ein</strong>es effizienten und marktkonformen<br />

Fördermodells für erneuerbare Energien; Gutachten im Auftrag des Wirtschaftsministeriums<br />

Baden-Württemberg, Stuttgart 2000.<br />

[2] Roth, H.; Wegner, U.: Verstärkter Teillastbetrieb thermischer Kraftwerke durch Windstrom<strong>ein</strong>speisung;<br />

ew Jg. 105, Heft 5, 2006.<br />

[3] Hillebrand, B.: Ökologische und ökonomische Wirkungen der energetischen Sanierung<br />

des Gebäudebestandes, Studie im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung, 2004.<br />

Dr. N. Azuma-Dicke, Energiepolitik und Energiewirtschaft, Verband<br />

der Verbundunternehmen und Regionalen Energieversorger in<br />

Deutschland – <strong>VRE</strong> – e.V.,<br />

Prof. Dr. Habil. S. F. Franke, Ordinarius für Wirtschaftspolitik<br />

und Öffentliches Recht an der Universität Stuttgart,<br />

norbert.azuma-dicke@vre-online.de<br />

franke@ivr.uni-stuttgart.de<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006


Zusatzkosten im konventionellen Kraftwerkspark<br />

durch den Ausbau der Windenergie<br />

Derk J. Swider<br />

Für die nächsten Jahre wird in Deutschland <strong>ein</strong> erheblicher Ausbau der Windenergie erwartet. Da die Erzeugung mit Windkraftanlagen<br />

vom fluktuierenden und schwer prognostizierbaren Winddargebot abhängt, kann die Frage gestellt werden, welche Auswirkungen<br />

durch <strong>ein</strong>e verstärkte Integration von Windenergie auf den Betrieb und damit auf die Kosten des konventionellen<br />

Kraftwerkparks zu erwarten sind. Diese Frage kann durch Anwendung stochastischer Fundamentalmodelle <strong>zur</strong> Abbildung des<br />

kostenminimalen Betriebs des Elektrizitätssystems nachgegangen werden. Im vorliegenden Beitrag werden die Ergebnisse entsprechender<br />

<strong>Modell</strong>anwendungen vorgestellt und diskutiert.<br />

In den letzten Jahren hat in Deutschland <strong>ein</strong> erheblicher Zubau<br />

von Windkraftanlagen stattgefunden. Prognosen der zukünftigen<br />

Entwicklung legen nahe, dass auch in den nächsten Jahren mit hohen<br />

Wachstumsraten zu rechnen ist. So wird bis 2020 <strong>ein</strong>e Steigerung<br />

der installierten Windleistung um mehr als den Faktor 2,5 auf bis<br />

zu 50 GW erwartet [1]. Unter diesen Bedingungen ist davon auszugehen,<br />

dass die Integration entsprechender Mengen an Windenergie<br />

in das Energiesystem großen Einfluss auf den Betrieb des<br />

konventionellen Kraftwerksparks haben wird. Ein wesentlicher Grund<br />

dafür ist, dass die Windenergie<strong>ein</strong>speisung stark fluktuierend und<br />

nur beschränkt prognostizierbar ist.<br />

Aspekte des Ausbaus der Windenergie<br />

Um der fluktuierenden Erzeugung aus Windkraftanlagen in <strong>ein</strong>er<br />

Region Rechnung zu tragen, müssen die anderen Erzeugungstechnologien<br />

im System flexibler betrieben werden. Dies ist <strong>ein</strong>e direkte<br />

Folge der im Vergleich zu Nachfrageschwankungen größeren<br />

Erzeugungsgradienten. Die resultierende Zunahme von Anfahrvorgängen<br />

stellt <strong>ein</strong>e erhöhte Belastung der konventionellen Kraftwerke<br />

dar und führt zu höheren Kosten des Systembetriebs. Zudem<br />

ist <strong>ein</strong> höherer Teillastbetrieb der konventionellen Kraftwerke zu<br />

erwarten, der mit verminderten Wirkungsgraden und damit<br />

erhöhtem Brennstoff<strong>ein</strong>satz, höheren <strong>CO</strong> 2 -Emissionen und steigenden<br />

Kosten des Systembetriebs <strong>ein</strong>hergeht.<br />

Eng mit den Fluktuationen des Winddargebots ist die beschränkte<br />

Prognostizierbarkeit verbunden. Basierend auf <strong>ein</strong>er Prognose der<br />

Windenergie<strong>ein</strong>speisung wird der jeweilige Kraftwerks<strong>ein</strong>satz<br />

geplant. Ergeben sich Abweichungen zwischen dem prognostizierten<br />

und dem tatsächlichen Wert der Wind<strong>ein</strong>speisung, muss die Differenz<br />

durch den Einsatz von Regelenergie ausgeglichen werden. Um diesen<br />

Ausgleich gewährleisten zu können, sind geeignete, d. h. flexible<br />

und schnell startbare Kraftwerkskapazitäten (Reservekapazitäten)<br />

vorzuhalten. In diesem Zusammenhang ist auch die für die Versorgungssicherheit<br />

bedeutende Gewährleistung der Abdeckung der<br />

Die diesem Beitrag zugrunde liegenden <strong>Modell</strong>entwicklungen wurden<br />

von der Europäischen Kommission in den Projekten GreenNet und<br />

Wilmar gefördert. Die Anwendung der <strong>Modell</strong>e <strong>zur</strong> Ableitung von<br />

Effekten <strong>ein</strong>er verstärkten Windenergie<strong>ein</strong>speisung in Europa wurde<br />

von der Europäischen Kommission im Projekt GreenNet-EU27 gefördert.<br />

Die wesentlichen an der <strong>Modell</strong>entwicklung und -anwendung<br />

beteiligten Partner in diesen Projekten waren Prof. Dr. Christoph<br />

Weber, Universität Duisburg-Essen, Dr. Peter Meibom, Risø National<br />

Laboratory, Roskilde, Dr. Hans Auer, Technische Universität Wien und<br />

Prof. Dr. Goran Strbac, Imperial College London.<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />

Jahreshöchstlast zu nennen. Durch das schwankende Winddargebot<br />

ist zum Zeitpunkt der höchsten Nachfrage im Jahr nur <strong>ein</strong> kl<strong>ein</strong>er<br />

Teil der installierten Windkapazitäten sicher verfügbar. Folglich<br />

müssen auch für diesen Fall ausreichende Kraftwerkskapazitäten<br />

(Schattenkapazitäten) vorgehalten werden.<br />

Neben diesen überwiegend negativen Aspekten ist auch die durch<br />

den Ausbau der Windenergie bedingte verminderte Stromerzeugung<br />

des konventionellen Kraftwerksparks zu diskutieren. Diese folgt<br />

direkt aus den vernachlässigbaren kurzfristigen Grenzkosten der<br />

Windstromerzeugung, wodurch es zu <strong>ein</strong>er Verschiebung der Merit-<br />

Order der Erzeugungskapazitäten nach rechts kommt, d. h. Windenergie<br />

verdrängt konventionelle Anlagen mit höheren kurzfristigen<br />

Grenzkosten. Dies führt zu <strong>ein</strong>em geringeren Brennstoff<strong>ein</strong>satz,<br />

geringeren <strong>CO</strong> 2 -Emissionen und sinkenden Kosten des Systembetriebs.<br />

Zur volkswirtschaftlichen Bewertung der Minderung der<br />

<strong>CO</strong> 2 -Emissionen sei auf [2] verwiesen. Eine weitergehende Darstellung<br />

der diskutierten Aspekte kann beispielsweise [3] entnommen<br />

werden.<br />

Entsprechend dieser Diskussion ist zu untersuchen, wie die Effekte<br />

<strong>ein</strong>er verstärkten Integration von Windenergie auf den Kraftwerksbetrieb<br />

ökonomisch zu bewerten sind. Die Beantwortung dieser<br />

Frage erfolgte in den von der Europäischen Kommission geförderten<br />

Projekten GreenNet [4], Wilmar [5] und GreenNet-EU27 [6]. Es wurde<br />

somit ähnlichen Fragestellungen wie in der Dena-Studie [7] nachgegangen,<br />

allerdings wurde nicht nur Deutschland, sondern der<br />

europäische Elektrizitätsmarkt betrachtet. Ein weiterer Unterschied<br />

bestand in der methodischen Herangehensweise.<br />

Abbildung des kostenminimalen Systembetriebs<br />

Die zu erwartenden Auswirkungen <strong>ein</strong>er verstärkten Integration von<br />

Wind ins europäische Energiesystem können prinzipiell mit fundamentalanalytischen<br />

Elektrizitätsmarktmodellen ermittelt werden.<br />

Mit solchen Ansätzen wird die Elektrizitätswirtschaft technologieseitig<br />

(Bottom-Up) abgebildet, d. h. ausgehend von <strong>ein</strong>er geeigneten<br />

Beschreibung des realen Kraftwerksparks wird der<br />

kostenminimale Betrieb bestimmt. Dies ermöglicht die Ermittlung<br />

der Kosten der Elektrizitätsbereitstellung. Die durch <strong>ein</strong>en Ausbau<br />

der Windenergie entstehenden zusätzlichen Kosten im Betrieb der<br />

konventionellen Kraftwerke können dann durch entsprechende Analysen<br />

mit <strong>ein</strong>em solchen <strong>Modell</strong> bestimmt werden.<br />

Klassischerweise werden Elektrizitätsmarktmodelle deterministisch<br />

formuliert. Hier heißt dies, dass die Windenergie<strong>ein</strong>speisung nur<br />

über ihren Erwartungswert berücksichtigt wird, wodurch vorliegende<br />

Fluktuationen gut abbildbar sind. In der Realität müssen die <strong>ein</strong>gesetzten<br />

Kraftwerke aber flexibel auf die jeweiligen Abweichungen<br />

27


STROM OHNE GRENZEN<br />

28<br />

WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />

zwischen der erwarteten und der tatsächlichen Wind<strong>ein</strong>speisung zu<br />

möglichst geringen Kosten reagieren können. Da diese Abweichungen<br />

nicht vernachlässigt werden können, sind deterministische <strong>Modell</strong>e<br />

<strong>zur</strong> Bewertung <strong>ein</strong>es zunehmenden Ausbaus der Windenergie nicht<br />

ausreichend. Die Windenergie<strong>ein</strong>speisung ist daher als stochastische<br />

Größe zu interpretieren und in geeigneter Form in Elektrizitätsmarktmodelle<br />

zu integrieren.<br />

Entsprechende methodische Entwicklungen führten zum „Stochastic<br />

European Electricity Market Model“ (E2M2s), entwickelt im Rahmen<br />

des EU-Projekts GreenNet [4], und zum „Joint Market Model“ (JMM),<br />

entwickelt im Rahmen des EU-Projekts Wilmar [5]. Beide <strong>Modell</strong>e<br />

stellen stochastische lineare Optimierungsmodelle dar, die wettbewerbliche<br />

Elektrizitätsmärkte interregional abbilden. Auf Grund<br />

unterschiedlicher Zielsetzungen innerhalb der Forschungsprojekte<br />

unterscheiden sich die <strong>Modell</strong>e in <strong>ein</strong>igen entscheidenden Punkten,<br />

dazu zählt insbesondere die Methode <strong>zur</strong> Integration stochastischer<br />

Größen. Zudem werden im <strong>Modell</strong> E2M2s Investitionen und Reserveanforderungen,<br />

letztere auf der Basis <strong>ein</strong>es probabilistischen<br />

Ansatzes, endogen berücksichtigt. Demgegenüber erfolgt im <strong>Modell</strong><br />

JMM <strong>ein</strong>e detailliertere Abbildung von Teilmärktem, d. h. dem<br />

Spot-, Regelenergie- und Wärmemarkt. Für weiterführende Beschreibungen<br />

der <strong>Modell</strong>e sei auf [4-6] und insbesondere auf die<br />

Beiträge von Weber et al. und Meibom et al. in [8] verwiesen.<br />

Implementierung stochastischer Methoden<br />

Die Berücksichtigung stochastischer Schwankungen <strong>ein</strong>er verstärkten<br />

Wind<strong>ein</strong>speisung stellt die wesentliche methodische Erweiterung<br />

der entwickelten <strong>Modell</strong>e dar. Um in <strong>ein</strong>em Fundamentalmodell<br />

stochastische Fluktuationen abbilden zu können, ist die klassische<br />

Betrachtung <strong>ein</strong>es <strong>ein</strong>zelnen Betriebszustands des Systems nicht<br />

mehr ausreichend. Vielmehr sind verschiedene stochastisch<br />

bestimmte Zustände in <strong>ein</strong>em geschlossenen Ansatz zu berücksichtigen.<br />

Die Zielfunktion wird so <strong>zur</strong> stochastischen Größe, deren<br />

Erwartungswert zu optimieren ist, d. h. bei der Optimierung wird<br />

die gesamte Menge möglicher stochastischer Zustände berücksichtigt.<br />

Im Gegensatz dazu steht die Szenarienanalyse, bei der jedes mögliche<br />

Szenario getrennt analysiert wird. Entsprechend dieser methodischen<br />

Anforderungen wird im <strong>Modell</strong> E2M2s <strong>ein</strong> Szenariogitter, vgl.<br />

Abb. 1 (links), und im <strong>Modell</strong> JMM <strong>ein</strong> Szenariobaum, vgl. Abb. 1<br />

(rechts), verwendet.<br />

Für die stochastische <strong>Modell</strong>ierung im <strong>Modell</strong> E2M2s werden mit<br />

<strong>ein</strong>em Szenariogitter zwei Typen von Unsicherheiten berücksichtigt,<br />

kurz- und langfristige Fluktuationen. Die kurzfristigen Fluktuationen<br />

beschreiben das Winddargebot, während die langfristigen<br />

Abb. 1 Schematische Darstellung <strong>ein</strong>es Szenariogitters (links) und <strong>ein</strong>es<br />

Szenariobaums (rechts).<br />

Fluktuationen das Wasserdargebot beschreiben. Im <strong>Modell</strong> E2M2s<br />

werden für jeden betrachteten typischen Tag drei stochastische<br />

Zustände der kurzfristigen und zwei der langfristigen Fluktuationen<br />

unterschieden. Die Bestimmung der stochastischen Zustände und<br />

ihrer Eintritts- und Übergangswahrsch<strong>ein</strong>lichkeiten erfolgt unter<br />

Verwendung historischer Daten.<br />

Im <strong>Modell</strong> JMM erfolgt die Berücksichtigung kurzfristiger<br />

Fluktuationen mit Hilfe <strong>ein</strong>es Szenariobaums. Dieser wird durch die<br />

zu beachtenden Werte des Winddargebots gebildet und zeichnet sich<br />

durch <strong>ein</strong>e zunehmende Unsicherheit der stochastischen Variable<br />

über dem Betrachtungshorizont aus. Im <strong>Modell</strong> JMM deckt der verwendete<br />

Szenariobaum <strong>ein</strong>en Optimierungshorizont von maximal<br />

36 Stunden ab. Werden längere Zeiträume betrachtet, so wird <strong>ein</strong>e<br />

rollierende Planung angewendet. Die Bestimmung der stochastischen<br />

Zustände und ihrer Eintrittswahrsch<strong>ein</strong>lichkeiten erfolgt unter<br />

Berücksichtigung <strong>ein</strong>es Zeitreihenansatzes <strong>zur</strong> Prognose der zu<br />

erwartenden Windleistung.<br />

Annahmen bestimmen <strong>Modell</strong>ergebnisse<br />

Die entwickelten <strong>Modell</strong>e werden angewendet, um die Zusatzkosten<br />

des Kraftwerksparks durch <strong>ein</strong>en Ausbau der Windenergie<br />

bestimmen zu können. Bei <strong>ein</strong>er solchen Betrachtung sind die Ergebnisse<br />

stark abhängig von den jeweiligen Annahmen. Hier ist zunächst<br />

die Definition der Zusatzkosten von entscheidender Bedeutung. Dabei<br />

wird generell angenommen, dass Kosten entstehen, wenn <strong>ein</strong>e neue<br />

Technologie in <strong>ein</strong> existierendes System integriert wird. Dies ist<br />

unabhängig davon, ob diese Technologie zu den erneuerbaren oder<br />

den konventionellen Anlagen zu zählen ist. Wenn aber, wie hier, die<br />

Integration von Wind betrachtet wird, so können Zusatzkosten entstehen,<br />

welche über die Kosten für die Netzintegration, wie sie auch<br />

bei konventionellen Anlagen auftreten, hinausgehen. Zu erwartende<br />

Zusatzkosten der Netzintegration werden hier nicht betrachtet, dazu<br />

sei auf [6, 7] verwiesen.<br />

Die Zusatzkosten des Betriebs können bezüglich ihrer Ursache in<br />

Kosten auf Grund von höherer Fluktuation und geringerer Prognostizierbarkeit<br />

des Winddargebots unterschieden werden. Etwas<br />

technischer heißt dies, dass Zusatzkosten durch den sich ändernden<br />

Kraftwerksbetrieb (vermehrter Teillastbetrieb und häufigere Anfahrvorgänge)<br />

und durch <strong>ein</strong> angepasstes Investitionsverhalten (höhere<br />

Reservekapazitäten und flexiblere Erzeugungstechnologien) entstehen<br />

können. Es ist daher bedeutend festzuhalten, dass entsprechend<br />

definierte Zusatzkosten vom existierenden System und<br />

s<strong>ein</strong>er Entwicklung über die Zeit abhängen. Dies ist wiederum stark<br />

von den Einschätzungen des <strong>Modell</strong>anwenders über wesentliche Ein-<br />

Abb. 2 Erzeugungskapazitäten bei deterministischer (links) und<br />

stochastischer (rechts) Betrachtung.<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006


flussgrößen abhängig. Dazu zählen die Entwicklung der Nachfrage,<br />

der Brennstoff- und Zertifikatepreise, möglicher Investitionsoptionen<br />

und der Windenergieerzeugung.<br />

Nachfolgend werden <strong>ein</strong>ige Ergebnisse der Anwendung des <strong>Modell</strong>s<br />

E2M2s für Deutschland präsentiert. Dabei wird ab dem Jahr 2006<br />

für die Nachfrage <strong>ein</strong>e jährliche Steigerung von rund 1,0 % und für<br />

die Brennstoffpreise von St<strong>ein</strong>- und Braunkohle von je 0,4 % und von<br />

Erdgas von 1,1 % angenommen. Zudem wird <strong>ein</strong> konstanter <strong>CO</strong> 2 -<br />

Zertifikatepreis von 10 €/MWh angesetzt. Diese Annahme liegt zwar<br />

unterhalb der für die nächsten Jahre im aktuellen EU-Emissionsrechtehandel<br />

erwarteten Preise, antizipiert aber bereits die in der<br />

anschließenden Kyoto-Phase des Emissionsrechtehandels zu<br />

erwartende Hot-Air-bedingte Preisreduktion. Für den exogen vorgegebenen<br />

Zubau an Windkapazitäten wird <strong>ein</strong>e Entwicklung entsprechend<br />

des BAU-Szenarios in [1] betrachtet. Dabei erfolgt bis<br />

2020 <strong>ein</strong> Ausbau auf rund 42 GW. Eine detaillierte Diskussion der<br />

Abb. 3 Elektrizitätspreise (links) und Reservekapazitäten (rechts)<br />

jeweils bei deterministischer und stochastischer Betrachtung.<br />

Annahmen ist dem Beitrag von Swider und Weber in [8] zu<br />

entnehmen.<br />

Generell haben die angenommenen relativen Änderungen der Preisentwicklungen<br />

der Brennstoffe aber auch der <strong>CO</strong> 2 -Zertifikate merkliche<br />

Auswirkungen auf die zu untersuchenden Zusatzkosten. So<br />

kann gezeigt werden, dass gerade die Preise der <strong>CO</strong> 2 -Zertifikate<br />

die Investitionsentscheidungen stark zu Gunsten von Erdgas be<strong>ein</strong>flussen.<br />

Entsprechend steigt die Flexibilität des Erzeugungssystems<br />

auch unabhängig von <strong>ein</strong>em Ausbau der Windenergie. Die der<br />

Integration des Windes zuzuordnenden Zusatzkosten sind folglich<br />

geringer.<br />

Hier ist noch anzumerken, dass im vorliegenden Beitrag die aktuell<br />

höheren spezifischen Investitionskosten in Windkraftanlagen gegenüber<br />

konventionellen Anlagen und damit auch die durch die Vergütung<br />

im Rahmen des EEG bedingten Zusatzkosten nicht berücksichtigt<br />

werden (beispielsweise kann bei den spezifischen<br />

Investitionskosten <strong>ein</strong>es großen St<strong>ein</strong>kohlekraftwerks von rund<br />

820 €/kW und bei <strong>ein</strong>em GUD-Kraftwerk von rund 440 €/kW ausgegangen<br />

werden, während die spezifischen Investitionskosten für<br />

Windkraftanlagen Onshore bei rund 1 000 €/kW liegen und Offshore<br />

rund 1 650 €/kW zu erwarten sind; darüber hinaus ist zu<br />

beachten, dass Windkraftanlagen stets deutlich geringere Volllaststunden<br />

aufweisen). Es erfolgt nur <strong>ein</strong> Vergleich zwischen dem<br />

deutschen Elektrizitätssystem mit Erzeugung aus Wind (nachfolgend<br />

als stochastische <strong>Modell</strong>version bezeichnet) und <strong>ein</strong>er nicht näher<br />

spezifizierten Alternative, welche durch <strong>ein</strong>e konstante, dem<br />

Erwartungswert der Windenergieerzeugung entsprechenden<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />

Erzeugung mit perfekter Prognostizierbarkeit charakterisiert ist<br />

(nachfolgend als deterministische <strong>Modell</strong>version bezeichnet). Alle<br />

anderen Charakteristika werden als identisch angenommen und<br />

fallen aus der Betrachtung heraus, vgl. dazu den Beitrag von Weber<br />

in [8].<br />

Zusatzkosten durch Windkraftausbau<br />

Abb. 2 zeigt die Entwicklung der mit dem <strong>Modell</strong> E2M2s bestimmten<br />

installierten Erzeugungskapazitäten in Deutschland bis zum Jahr<br />

2020 jeweils für die deterministische (links) und die stochastische<br />

(rechts) <strong>Modell</strong>version. Es ist gut zu erkennen, dass bei <strong>ein</strong>er Berücksichtigung<br />

der stochastischen Windenergie<strong>ein</strong>speisung verstärkt<br />

Investitionen in flexible Technologien erfolgen. Dies ist <strong>ein</strong>e direkte<br />

Folge der hohen Fluktuationen und geringen Prognosefähigkeit<br />

der Windenergie<strong>ein</strong>speisung, was bei Voraussetzung <strong>ein</strong>er gleich<br />

bleibend hohen Versorgungssicherheit zu höheren Reservekapazitäten<br />

führt. Bis zum Jahr 2020 werden beim Vergleich der<br />

stochastischen und der deterministischen <strong>Modell</strong>version zusätzlich<br />

fast 12 GW mit Erdgas befeuerte Anlagen (davon mehr als <strong>ein</strong> Drittel<br />

Gasturbinen) und rund 2 GW weniger mit St<strong>ein</strong>kohle befeuerte<br />

Anlagen neu installiert. Insgesamt wird so <strong>ein</strong>e höhere Flexibilität<br />

des Erzeugungssystems erreicht.<br />

Abb. 3 ist zu entnehmen, dass die unterschiedliche Entwicklung der<br />

installierten Kapazitäten nur geringe Auswirkungen auf die Elektrizitätspreise<br />

(links) hat, dagegen steigen die erforderlichen Reservekapazitäten<br />

(rechts) beim Ausbau der Windenergie und ihrer<br />

stochastischen Betrachtung, wie oben angesprochen, stark an. Der<br />

Darstellung kann zudem entnommen werden, dass die <strong>Modell</strong>ergebnisse<br />

für den historischen Zeitraum bis zum Jahr 2005 gut den<br />

Marktergebnissen entsprechen. Die wenigen Abweichungen können<br />

im Fall der Preise zu <strong>ein</strong>em großen Teil mit im <strong>Modell</strong> unberücksichtigten<br />

Wetteranomalien erklärt werden. So führte der heiße<br />

Sommer im Jahr 2003 zu <strong>ein</strong>er verminderten Verfügbarkeit von<br />

Grundlastkraftwerken, wodurch es am Markt zu stark steigenden<br />

Preisen kam.<br />

Die Tabelle gibt schließlich disaggregierte Zusatzkosten je <strong>ein</strong>gespeister<br />

Windenergie<strong>ein</strong>heit, d. h. in €/MWh Wind, unter den oben<br />

skizzierten Annahmen an. Für das Jahr 2020 werden Zusatzkosten<br />

des Betriebs von mehr als 2 €/MWh und Zusatzkosten durch<br />

Investitionen von zusätzlichen 6 €/MWh erhalten. Dabei sei erneut<br />

darauf hingewiesen, dass bei der Berechnung der Zusatzkosten durch<br />

Investitionen nicht die höheren spezifischen Investitionskosten in<br />

Windkraftanlagen berücksichtigt sind, sondern ausschließlich das<br />

durch die besonderen Charakteristika der Wind<strong>ein</strong>speisung<br />

geänderte systemoptimale Investitionsverhalten in konventionelle<br />

Erzeugungskapazitäten. Es ist zu erkennen, dass die Zusatzkosten<br />

des Betriebs maßgeblich durch <strong>ein</strong>en zunehmenden Teillastbetrieb<br />

der konventionellen Anlagen verursacht werden. Die Zusatzkosten<br />

auf Grund <strong>ein</strong>er höheren Anzahl von Anfahrvorgängen sind dagegen<br />

deutlich geringer. Prinzipiell vergleichbare Zusatzkosten für Deutschland<br />

werden auch mit dem <strong>Modell</strong> JMM berechnet. Die Zusatzkosten<br />

des Betriebs werden danach zu zwei Dritteln durch die Fluktuationen<br />

des Winddargebots und zu <strong>ein</strong>em Drittel durch die geringe Prognostizierbarkeit<br />

verursacht. Bei der Beurteilung der <strong>ein</strong>zelnen Kostenkomponenten<br />

ist prinzipiell zu beachten, dass die Zusatzkosten durch<br />

sich ändernde Investitionen in konventionelle Anlagen die Zusatzkosten<br />

des Betriebs be<strong>ein</strong>flussen.<br />

Wie oben diskutiert, hängen die Zusatzkosten von den <strong>Modell</strong>annahmen,<br />

der <strong>Modell</strong>ierungsmethode, dem System und dessen Entwicklung<br />

ab. Ein direkter Vergleich der mit unterschiedlichen<br />

29


STROM OHNE GRENZEN<br />

30<br />

WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />

Tabelle: Disaggregierte Zusatzkosten durch den Ausbau der Windenergie.<br />

Jahr Windgedeckte Zusatzkosten des Betriebes Zusatzkosten durch Summe der<br />

Nachfrage (€/MWh) Investitionen* Zusatzkosten<br />

(%) Teillast Anfahrt (€/MWh) (€/MWh)<br />

2010 8.39 1.05 0.20 2.13 3.38<br />

2020 14.82 2.07 0.21 5.95 8.23<br />

* Ohne Berücksichtigung der spezifischen Investitionskosten in Windkraftanlagen.<br />

Ansätzen bestimmten Kosten ist folglich schwierig. Beispielsweise<br />

ging E.ON Energie bereits im Jahr 2002 von Zusatzkosten des Betriebs<br />

von rund 7 €/MWh und von Zusatzkosten durch Investitionen von<br />

zusätzlichen 15 €/MWh aus [9]. Wie und unter welchen Annahmen<br />

diese Kosten aber im Detail bestimmt wurden, wird mit den öffentlich<br />

verfügbaren Informationen nicht deutlich und entzieht sich somit<br />

<strong>ein</strong>er vergleichenden Bewertung.<br />

In Zukunft ist flexibler Energiemix notwendig<br />

Die präsentierten Ergebnisse der Anwendung zeigen, dass es mit<br />

<strong>ein</strong>em verstärkten Ausbau der Windenergie zu Zusatzkosten im konventionellen<br />

Kraftwerkspark kommt. Diese sind nicht zu vernachlässigen<br />

und sollten bei <strong>ein</strong>er Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der<br />

Erzeugung aus Windkraftanlagen berücksichtigt werden. Es wurde<br />

ferner deutlich, dass bei <strong>ein</strong>em Ausbau der Windenergie <strong>ein</strong><br />

flexiblerer Energiemix notwendig ist, was aus heutiger Sicht insbesondere<br />

verstärkte Investitionen in mit Erdgas befeuerte Anlagen<br />

betrifft. Entsprechend ist der Beschaffungssicherheit dieses Energieträgers<br />

auch zukünftig <strong>ein</strong> starkes Gewicht in der Energiepolitik<br />

zu geben. Prinzipiell ist <strong>ein</strong> diversifizierter Energiemix anzustreben,<br />

in dem sowohl erneuerbare als auch konventionelle Erzeugungstechnologien<br />

wichtige Rollen <strong>ein</strong>nehmen. Bei den relevanten Entscheidungsträgern<br />

und in der Forschung sollten zudem hier nicht<br />

untersuchte Optionen stärkere Beachtung finden. Dazu zählt die<br />

Entkopplung der Windenergie<strong>ein</strong>speisung von der Nachfrage, beispielsweise<br />

durch die Nutzung von Druckluftspeichern, und die Förderung<br />

von Möglichkeiten <strong>zur</strong> Bedarfsminderung und -steuerung.<br />

Anmerkungen<br />

[1] Resch, G., Auer, H., Stadler, M., Huber, C., Nielsen, L. H., Twidell, J. und Swider,<br />

D. J.: Dynamics and basic interactions of RES-E with the grid, switchable loads and storage.<br />

Forschungsbericht und Datenbank zum EU-Projekt GreenNet: Pushing a least cost<br />

integration of green electricity into the European grid. [online] http://www.greennet.at/,<br />

2003.<br />

[2] Azuma-Dicke, N. H.: Zweitbeste (Second-best) Instrumente der deutschen Politik<br />

<strong>zur</strong> Reduktion von <strong>CO</strong>2 : Förderung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien.<br />

Dissertation, vorgelegt an der Universität Stuttgart. [online] http://elib.unistuttgart.de/opus/volltexte/2005/2329/,<br />

2005.<br />

[3] Hasche, B., Barth, R. und Swider, D. J.: Analyse von Integrationsoptionen verteilter<br />

Erzeuger im deutschen Energiesystem. Forschungsbericht zum BMBF-Projekt Netmod:<br />

Reduzierte <strong>Modell</strong>e komplexer elektrischer Netze mit verteilten Energieerzeugungssystemen.<br />

[online] http://www.netmod.org/, 2006.<br />

[4] Homepage des EU-Projekts Wilmar: Wind power integration in liberalised electricity<br />

markets. [online] http://www.wilmar.risoe.dk/.<br />

[5] Homepage des EU-Projekts GreenNet: Pushing a least cost integration of green<br />

electricity into the European grid. [online] http://www.greennet.at/.<br />

[6] Homepage des EU-Projekts GreenNet-EU27: Guiding a least cost grid integration of<br />

RES-electricity in an extended Europe. [online] http://www.greennet-europe.org/.<br />

[7] Studie im Auftrag der Deutschen Energie-Agentur GmbH: Energiewirtschaftliche Planung<br />

für die Netzintegration von Windenergie in Deutschland an Land und Offshore bis zum<br />

Jahr 2020. [online] http://www.deutsche-energie-agentur.de/, 2005.<br />

[8] Swider, D. J. und Voß, A. (Hrsg.): Disaggregated system operation cost and grid<br />

extension cost caused by intermittent RES-E grid integration. Forschungsbericht zum EU-<br />

Projekt GreenNet-EU27: Guiding a least cost grid integration of RES-electricity in an<br />

extended Europe. [online] http://www.greennet-europe.org/, 2006.<br />

[9] E.ON Energie: Höhere Stromrechnung durch Ausbau der Windkraft. Pressemitteilung<br />

vom 22.07.2002. [online] http://www.eon-energie.com/.<br />

Dr.-Ing. D. J. Swider, Leiter der Abteilung Energieanwendung und Energiemanagement<br />

am Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung<br />

der Universität Stuttgart<br />

djswider@ier.uni-stuttgart.de<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006


Einspeisung regenerativer Kraftwerke – Herausforderung<br />

an <strong>ein</strong>en Übertragungsnetzbetreiber<br />

Claus Hodurek<br />

Aufgrund der gesetzlichen Vorgaben zum EEG-Belastungsausgleich obliegt es den Übertragungsnetzbetreibern, die Einspeiseschwankungen<br />

aus der regenerativen Stromerzeugung auszugleichen. Vattenfall Europe Transmission führt <strong>ein</strong>e Bewirtschaftung<br />

des hierzu eigens gebildeten EEG-Bilanzkreises über Day-ahead- und Intraday-Handel durch, da <strong>ein</strong> Ausgleich über klassische<br />

Regelleistung schon aufgrund der Höhe der Abweichungen nicht möglich wäre. Die Höhe und Form der Wind<strong>ein</strong>speisung, die<br />

das Gros der Erneuerbaren Energie ausmacht, ist frühestens 24 Stunden im Voraus und selbst dann nur mit hohen Unsicherheiten<br />

prognostizierbar, wobei die verbleibenden Abweichungen bereits heute an die Systemgrenzen führen. Der weitere Ausbau insbesondere<br />

der Nutzung von Windenergie erfordert deshalb neben der Einbeziehung auch dieser Kraftwerke in die Systemsteuerung<br />

den schnellen und rechtzeitigen Netzausbau, die Entwicklung und Förderung von Speichertechnologien sowie die Schaffung<br />

finanzieller Anreize für <strong>ein</strong>e verbrauchsgerechte Stromerzeugung durch regenerative Kraftwerke.<br />

Die Stromerzeugung aus regenerativen Quellen wird in Deutschland<br />

seit Anfang der 90er Jahre beginnend mit dem Strom<strong>ein</strong>speisegesetz<br />

und seit dem 1. April 2000 durch das „Gesetz für den Vorrang<br />

Erneuerbarer Energien – Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)“ vom<br />

29.03.2000, novelliert durch das „Gesetz <strong>zur</strong> Neuregelung des Rechts<br />

der erneuerbaren Energien im Strombereich“ vom 21.07.2004, gefördert.<br />

Dessen Abwicklungsmechanismus ist in Abb. 1 schematisch<br />

dargestellt.<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen<br />

Die Regularien „Abnahmeverpflichtung“ und „Mindestvergütung“,<br />

die zunächst den örtlichen Netzbetreiber betreffen, stellen die<br />

Betreiber regenerativer Kraftwerke von Investitions- und Vermarktungsrisiken<br />

frei. Entsprechend der gesetzlichen Vorgaben wird<br />

der regenerative Strom durch die regelzonenverantwortlichen<br />

Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) physikalisch und finanziell aus-<br />

31


STROM OHNE GRENZEN<br />

32<br />

WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />

Abb. 1 Abwicklungsmechanismus des EEG<br />

Abb. 2 Umformung der Naturenergie Wind in <strong>ein</strong> nutzbares Produkt<br />

Abb. 3 Verlauf der Wind<strong>ein</strong>speisung in der Regelzone Vattenfall,<br />

jeweils im Januar der Jahre 2004 bis 2006<br />

geglichen, um schlussendlich den in der jeweiligen Regelzone verbleibenden<br />

EEG-Strom gleichmäßig an alle Elektrizitätsversorgungsunternehmen<br />

(EVU), orientiert an deren Letztverbraucherversorgung,<br />

zu liefern. Der Wirkungsmechanismus des EEG sorgt lediglich dafür,<br />

dass die über <strong>ein</strong> Kalenderjahr <strong>ein</strong>gespeiste Strommenge gleichmäßig<br />

in Deutschland verteilt und am Ende von den Letztverbrauchern<br />

vergütet wird. Weitgehend unbeachtet bleibt, dass im<br />

Unterschied zu § 14 Absatz 1 EEG, der <strong>ein</strong>en „unverzüglich vorläufigen“<br />

Ausgleich des Verlaufs der Einspeisung zwischen den ÜNB<br />

vorsieht, <strong>ein</strong>e derartig klare Regelung im Verhältnis zu den abnahmeverpflichteten<br />

EVU fehlt. Hier ist lediglich von <strong>ein</strong>em „rechtzeitig<br />

bekannt gegebenen, der tatsächlichen Stromabnahme angenäherten<br />

... Profil...“ die Rede.<br />

Ausgleich der Einspeiseschwankungen –<br />

„Veredelung“ oder partielle „Nutzbarmachung“<br />

Der Verlauf der Einspeisung ist, wie nachfolgend anhand praktischer<br />

Erfahrungen gezeigt wird, für den weitaus überwiegenden Teil von<br />

regenerativen Kraftwerken (Wind, Solar) k<strong>ein</strong>eswegs rechtzeitig vorhersehbar,<br />

sondern erheblichen Schwankungen unterworfen. Der<br />

momentane Ausgleich dieser Schwankungen ist jedoch weder durch<br />

das bestehende EEG noch durch <strong>ein</strong>e Rechtsverordnung vorgegeben.<br />

Er obliegt somit zwangsläufig den ÜNB, die nach § 12 Absatz 1 EnWG<br />

„die Energieübertragung durch das Netz unter Beachtung des Austauschs<br />

mit anderen Verbundnetzen zu regeln“ haben.<br />

In <strong>ein</strong>er Branchenver<strong>ein</strong>barung haben sich die an der Abwicklung<br />

Beteiligten pragmatisch darauf verständigt, die Weitergabe von EEG-<br />

Strom in Form von „Bandlieferungen“ (Stromlieferung über jeweils<br />

<strong>ein</strong>en Monat mit konstanter Leistung) durchzuführen, ungeachtet<br />

dessen, ob zum jeweiligen Zeitpunkt überhaupt <strong>ein</strong>e ausreichende<br />

Einspeisung erfolgt oder nicht. In der Literatur wird oftmals von<br />

„Veredelung“ gesprochen. Das „Sammeln“ und „Umformen“ des<br />

fluktuierend <strong>ein</strong>gespeisten EEG-Stroms in <strong>ein</strong> Standardmarktprodukt<br />

kann aber auch mit <strong>ein</strong>em Wälzprozess verglichen werden<br />

(siehe Abb. 2). Letztlich geht es um die eigentliche „partielle Nutzbarmachung“<br />

<strong>ein</strong>er Naturenergie, die erhebliche Aufwendungen<br />

(physikalische und finanzielle) bedingt. Dass insbesondere die Windstromerzeugung<br />

k<strong>ein</strong>erlei vorhersagbarem „Muster“ oder „Profil“<br />

folgt, ist mittlerweile kaum noch bestritten. Mathematisch betrachtet,<br />

erfolgt die Windstromerzeugung chaotisch, nicht zuletzt werden<br />

Windverteilungen nach der „Chaos-Funktion“ der Weibull-Verteilung<br />

statistisch bestimmt. Symbolisch sei hier auf den Verlauf der<br />

Abb. 4 EEG-Bilanzkreis der VE Transmission<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006


Windstrom<strong>ein</strong>speisung in drei auf<strong>ein</strong>ander folgenden Jahren im<br />

Monat Januar (2004, 2005, 2006) verwiesen (siehe Abb. 3). Demnach<br />

lässt sich nicht nur der konkrete Verlauf, sondern auch die über<br />

<strong>ein</strong>en längeren Zeitraum <strong>ein</strong>gespeiste Menge kaum vorhersehen.<br />

Eine <strong>ein</strong>igermaßen belastbare Einschätzung, in welcher Höhe und<br />

mit welchem Verlauf die Strom<strong>ein</strong>speisung aus Windkraftwerken<br />

erfolgt, ist erfahrungsgemäß frühestens 24 Stunden im Voraus<br />

ermittelbar. Doch selbst dann besteht die Gefahr, dass durch Nichtzutreffen<br />

der Wetterprognose im Ist <strong>ein</strong>e völlig andere Strom<strong>ein</strong>speisung<br />

stattfindet. Zu Fragen der Prognosegenauigkeit später mehr.<br />

Methode der Bewirtschaftung des<br />

EEG-Bilanzkreises<br />

Die Vattenfall Europe Transmission GmbH (VE Transmission) führt<br />

in Über<strong>ein</strong>stimmung mit der Stromnetzzugangsverordnung vom 25.<br />

Juli 2005 die EEG-Strommengen in <strong>ein</strong>em gesonderten Bilanzkreis<br />

(Abb. 4). Wie bei jedem anderen Bilanzkreis ergibt sich viertelstündlich<br />

<strong>ein</strong> Überschuss oder <strong>ein</strong> Defizit, welches der Bilanzkreisverantwortliche<br />

ausgleichen muss. Der Ausgleich erfolgt, indem<br />

basierend auf der Wetterprognose zunächst am Vortag für den<br />

Folgetag an der Börse überschüssiger Strom vermarktet oder<br />

fehlender Strom stundenweise gekauft wird. Ändert sich die Einspeisung<br />

am laufenden Tag gegenüber der Prognose, muss innertags<br />

weiterer Handel vorgenommen werden. Die verbleibende<br />

Abweichung wird durch den Einsatz von Regelenergie ausgeglichen.<br />

Der EEG-Ausgleich stellt dabei <strong>ein</strong>e große Herausforderung dar. Erstens<br />

verfügt die VE Transmission als Übertragungsnetzbetreiber<br />

über k<strong>ein</strong>e eigenen Kraftwerke, mit denen sie die Schwankungen<br />

ausgleichen könnte. Zweitens sind wegen der erheblichen Leistungsänderungen<br />

im Tagesverlauf teilweise mehrere 1 000 MW über<br />

Ausgleichshandel zu bewältigen. Die all<strong>ein</strong> in der Regelzone Vattenfall<br />

im Tagesverlauf auszugleichenden Leistungsbeträge zeigt Abb. 5.<br />

Dort sind die geordneten Differenzen zwischen dem täglichen<br />

Maximum und Minimum der Wind<strong>ein</strong>speisung dargestellt. Im Jahr<br />

2005 war z. B. zum Ausgleich der Schwankungen der über das EEG<br />

durch VE Transmission gewälzten Strommenge von 15 TWh <strong>ein</strong>e<br />

zusätzliche Strommenge von 20 % erforderlich.<br />

Mit der <strong>zur</strong> Verfügung stehenden klassischen Regelleistung (derzeit<br />

ca. 1 300 MW), die allerdings gemäß UCTE-Regeln <strong>zur</strong> Erfüllung<br />

anderer Aufgaben dient, könnte nur <strong>ein</strong> teilweiser Ausgleich dieser<br />

Abweichungen erreicht werden. So hätte im Jahr 2005 all<strong>ein</strong> an<br />

Abb. 5 Geordnete Differenz zwischen täglichem Max/Min der<br />

Wind<strong>ein</strong>speisung in der Regelzone Vattenfall im Jahr 2005<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />

ca. 150 Tagen die gebundene Regelleistung nicht ausgereicht, um die<br />

Windstochastik auszugleichen.<br />

Abb. 6 Einspeiseverlauf Windstrom und vorherige Prognose<br />

Abb. 7 Fehlerverteilung von Prognose und Hochrechnung im Monat<br />

März 2006<br />

Abb. 8 Dauerlinie von Prognose und Hochrechnung der Wind<strong>ein</strong>speisung<br />

im Monat März 2006, Regelzone Vattenfall<br />

33


STROM OHNE GRENZEN<br />

34<br />

WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />

Leistungsänderungsgeschwindigkeit und<br />

Prognosefehler<br />

Trotz Anwendung immer besser werdender Verfahren treten erhebliche<br />

Prognosefehler auf. Selbst an Tagen mit relativ genauer Prognose<br />

können kurzfristig schnell mehrere Tausend MW Ausgleichsbedarf<br />

entstehen, wie aus dem Verlauf im Zeitraum 15.-17. Dezember<br />

2005 erkennbar ist (Abb. 6).<br />

Bemerkenswert in dieser Grafik ist auch, dass sich am 15. Dezember<br />

innerhalb von 6 Stunden bei <strong>ein</strong>er installierten Leistung von etwa<br />

17 000 MW die Wind<strong>ein</strong>speisung um ca. 6 000 MW erhöhte, das entspricht<br />

etwa 30 % der installierten Leistung bzw. <strong>ein</strong>er Änderungsgeschwindigkeit<br />

von 1 000 MW/h. Bei künftig installierten Leistungen<br />

von ca. 40 000 MW bedeutet das, dass stündliche<br />

Leistungsänderungen von 2 500 bis 3 000 MW sehr realistisch<br />

s<strong>ein</strong> werden.<br />

Prognosegenauigkeit –<br />

Day-ahead-Prognose und Hochrechnung<br />

Die Voraussetzung für <strong>ein</strong>e erfolgreiche Bewirtschaftung des EEG-<br />

Bilanzkreises ist <strong>ein</strong>e gute Day-ahead-Prognose. Bei rechtzeitiger<br />

Kenntnis der voraussichtlichen Einspeisung kann am Vortag über<br />

den Handel an der Strombörse EEX auf <strong>ein</strong>en liquiden Markt <strong>zur</strong>ückgegriffen<br />

werden. Ausgleichshandel nach Börsenschluss kann nur<br />

noch als Intraday-Handel realisiert werden, der derzeit noch <strong>ein</strong>e<br />

deutlich geringere Liquidität ausweist. In Abb. 7 ist die Qualität<br />

der Day-ahead-Prognose und der „online“-Hochrechnung aus<br />

gemessenen Referenzanlagen den tatsächlichen Einspeisewerten für<br />

den Monat März 2006 (abrechnungsrelevante Einspeisezeitreihen)<br />

in der Regelzone Vattenfall gegenübergestellt.<br />

Für die Day-ahead- und Intraday-Prognose verwendet VE-Transmission<br />

den Ensemble-Mittelwert von Verfahren verschiedener professioneller<br />

Anbieter. Die Hochrechnung basiert auf der<br />

Äquivalentierung von Referenzmessungen auf die in der Regelzone<br />

installierte Kraftwerksleistung in Windkraftwerken. Die Gegenüberstellung<br />

der jeweils prognostizierten und der tatsächlich <strong>ein</strong>gespeisten<br />

Leistung über alle 1/4-Stunden des selben Monats März<br />

2006 (Abb. 8) zeigt, dass die Prognosegüte und damit auch die prognostizierte<br />

Strommenge recht gut ist. Trotzdem traten Abweichungen<br />

zwischen Istwerten und Day-ahead-Prognose von teilweise bis zu<br />

1 500 MW auf. Selbst die Hochrechnung weist zeitweise noch<br />

Abweichungen von bis zu 500 MW <strong>zur</strong> tatsächlichen Erzeugung aus.<br />

Dabei betrug im März der relative Prognosefehler der Day-ahead-<br />

Prognose lediglich 6,5 % und der der Hochrechnung sogar nur<br />

1,8 %. Die aus der Hochrechnung resultierenden „verschobenen<br />

Strommengen“ summieren sich all<strong>ein</strong> im Jahr 2005 auf 600 GWh.<br />

Das zeigt, dass trotz der bereits erreichten hohen Prognosegüte weiterhin<br />

große Einspeiseschwankungen verbleiben, die nur durch den<br />

Einsatz kurzfristig verfügbarer Kraftwerksleistung ausgeglichen<br />

werden können. Diese Abweichungen liegen für die Einspeiseprognose<br />

in der Vattenfall-Regelzone bereits heute in der Größenordnung<br />

<strong>ein</strong>es Kernkraftwerkes und für die Hochrechnung im Bereich <strong>ein</strong>es<br />

mittleren Braunkohleblocks.<br />

Dringender Handlungsbedarf<br />

Wenn das Ziel <strong>ein</strong>es deutlich erhöhten Anteils erneuerbarer Energien<br />

an der Stromversorgung nicht um den Preis von Versorgungsausfällen<br />

und Störungen erreicht werden soll, ist dringend die Lösung<br />

nachfolgender Aufgaben geboten.<br />

Zunächst ist kurzfristig der Zugriff auf die Windkraftwerke für die<br />

Netzbetreiber (ÜNB, VNB) zu ermöglichen, um Systembalance bzw.<br />

Netzsicherheit aufrecht erhalten zu können. Neben der Verpflichtung<br />

zum Einbau fortlaufend übertragbarer Messungen ist die Beteiligung<br />

der Windkraftwerke an <strong>ein</strong>em System des sicherheitsrelevanten<br />

Erzeugungsmanagements unabdingbar. Darüber hinaus muss stets<br />

<strong>ein</strong>e ausreichende Ersatzleistung in Kraftwerken bereitstehen, die<br />

z. B. bei Windstille die fehlende regenerative Stromerzeugung<br />

ersetzen. Entscheidend ist allerdings, daß die regenerativen Kraftwerke<br />

künftig mindestens „vorbehandelten“ Strom bereitstellen, der<br />

dann <strong>ein</strong>er „Veredelung“ unterzogen werden kann. Langfristig muss<br />

deshalb in der Förderung umgesteuert werden. „Statt Masse –<br />

Klasse“, d. h., durch Bonus-/Malus Vergütungs-Systeme muss die<br />

Investition in Technik und Methoden, die aus der „Naturenergie“<br />

<strong>ein</strong>e „Nutzbare Energie“ machen, unterstützt werden. Einen Schwerpunkt<br />

stellt dabei die Weiterentwicklung von Speichertechnologien<br />

mit hohen Wirkungsgraden dar. Ein hoher Marktanteil erneuerbarer<br />

Energien heißt vor allem, dass <strong>ein</strong> vom Markt benötigtes Produkt<br />

<strong>zur</strong> richtigen Zeit in der richtigen Höhe bereitgestellt wird. Gerade<br />

hier ist es noch <strong>ein</strong> weiter Weg, bis die regenerativen Energien<br />

tatsächlich im Wettbewerb bestehen können. Daneben sind erhebliche<br />

Aufgaben für den schnellen und rechtzeitigen Ausbau der Netze<br />

zu bewältigen, um Strom aus immer entfernter liegenden Erzeugungsorten<br />

(offshore-Anlagen) zu den Verbrauchsregionen zu transportieren.<br />

Die Realisierung des politisch gewollten Zieles der Nutzung von <strong>ein</strong>heimischen<br />

und umweltfreundlichen Energieträgern bedarf der<br />

gem<strong>ein</strong>samen Lösung erheblicher Aufgaben durch alle Beteiligten<br />

im Bewussts<strong>ein</strong>, dass die dafür erforderlichen hohen Aufwendungen<br />

als Investitionen in die Zukunft gerechtfertigt sind.<br />

Dipl.-Ing. C. Hodurek, Vattenfall Europe Transmission GmbH, Berlin<br />

claus.hodurek@vattenfall.de<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006


STROM OHNE GRENZEN<br />

36<br />

WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />

Endschaftsklauseln in Wegenutzungsverträgen<br />

Henning Recknagel<br />

In den nächsten Jahren werden alle Konzessionsverträge auslaufen, die vor dem 1. Januar 1995 mit zwanzigjähriger Laufzeit abgeschlossen<br />

worden sind. Anlass der damaligen Vertragswelle war der 1980 in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen<br />

(GWB) <strong>ein</strong>gefügte § 103a Absatz 4 Satz 1, wonach Altverträge ihre Freistellung vom Kartellverbot spätestens am 1. Januar 1995<br />

verloren.<br />

Die gesetzliche Befristung [1] der Konzessionsverträge auf 20 Jahre<br />

[2] wird nunmehr <strong>ein</strong>e erneute Verhandlungswelle auslösen, die alle<br />

Versorgungsunternehmen, vor allem aber die regionalen<br />

Unternehmen berührt. Kommt es bei den Verhandlungen nicht zu<br />

<strong>ein</strong>er Verlängerung des Vertrages, so sind dessen Endschaftsklauseln<br />

oder in ihrer Ermangelung gesetzliche Vorschriften anzuwenden<br />

und auszulegen. Die dann <strong>ein</strong>tretende Abwicklungslage ist durch<br />

die permanenten Änderungen des Ordnungsrahmens seit 1998 noch<br />

komplizierter geworden:<br />

■ Die „Konzessionsverträge“ des GWB wurden zu „Wegenutzungsverträgen“<br />

des EnWG [3].<br />

■ War bis 1998 das Energieversorgungsunternehmen wegenutzungsberechtigt,<br />

so ist heute nach § 46 Absatz 2 Satz 2 EnWG der<br />

„bisher Nutzungsberechtigte verpflichtet, s<strong>ein</strong>e für den Betrieb der<br />

Netze der allgem<strong>ein</strong>en Versorgung im Gem<strong>ein</strong>degebiet notwendigen<br />

Verteilungsanlagen dem neuen Energieversorgungsunternehmen<br />

gegen Zahlung <strong>ein</strong>er wirtschaftlich angemessenen Vergütung zu<br />

überlassen.“<br />

■ Nach dem Willen des Reformgesetzgebers des Energiewirtschaftsgesetzes<br />

1998 „bleiben laufende Konzessionsverträge, <strong>ein</strong>schließlich<br />

der ver<strong>ein</strong>barten Konzessionsabgaben, trotz Wegfalls der<br />

Ausschließlichkeit im Übrigen unberührt.“ [4] Das setzt sich 2005<br />

in § 113 EnWG fort: „Laufende Wegenutzungsverträge, <strong>ein</strong>schließlich<br />

der ver<strong>ein</strong>barten Konzessionsabgaben, bleiben unbeschadet<br />

ihrer Änderung durch die §§ 36, 46 und 48 im Übrigen unberührt.“<br />

Beide Vorschriften sind wörtlich zu nehmen und eng auszulegen:<br />

Sie sichern den Kommunen trotz der gesetzlichen Eingriffe 1998<br />

und 2005 in das ursprüngliche Austauschverhältnis der Konzessionsverträge<br />

nur die Konzessionsabgaben. Jenseits dieser<br />

gesetzlichen Vertragsänderungen [5] bleiben die Verträge<br />

unangetastet [6]. Eine Anpassung des Vertrages insgesamt oder<br />

hinsichtlich <strong>ein</strong>zelner Klauseln unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls<br />

der Geschäftsgrundlage ist ausgeschlossen [7]. Hätte der Gesetzgeber<br />

nur die Konzessionsabgabenhöhe sichern wollen, hätte er das<br />

auch so <strong>ein</strong>schränkend formuliert. Das war aber nicht s<strong>ein</strong>e Absicht.<br />

Andere Leistungen als die Absicherung der Konzessionsabgabe wollte<br />

er gegenüber den Gem<strong>ein</strong>den nicht erbringen.<br />

Das gilt auch für die Endschaftsbestimmungen in den ehemaligen<br />

Konzessionsverträgen. Ausformulierte Endschaftsbestimmungen<br />

wie Sachzeitwert, Taxwert sind nicht durch die Gesetzesformel des<br />

§ 46 Absatz 2 Satz 3 EnWG von der „wirtschaftlich angemessenen<br />

Vergütung“ ersetzt worden [8]. Der Gesetzgeber 1998 wollte mit<br />

dieser Formel nur „prohibitiv hohe Kaufpreise“ unterbinden [9].<br />

Hierbei war ihm der seit Beginn der 90er Jahre wogende, lebhafte<br />

ökonomisch-juristische Streit über die Wertfindung in Endschaftsbestimmungen<br />

um Sachzeitwert [10], Ertragswert [11] oder<br />

tarifkalkulatorischen Restwert [12] bekannt. Die damalige Rechtsprechung<br />

erkannte überwiegend den Sachzeitwert an [13]. In diese<br />

Aus<strong>ein</strong>andersetzungen griff er mit der Formulierung des unbestimmten<br />

Gesetzesbegriffs „wirtschaftlich angemessene Vergütung“<br />

nicht <strong>ein</strong>, sondern überließ die Auslotung des Prohibitivpreises<br />

der Fortentwicklung der Rechtsprechung. Ebenso war der Gesetzgeber<br />

1991 bereits bei der Änderung von § 3 Absatz 2 Nr. 2 KAV vorgegangen.<br />

Die Norm verbietet Verpflichtungen <strong>zur</strong> Übertragung von<br />

Versorgungs<strong>ein</strong>richtungen ohne „wirtschaftlich angemessenes Entgelt.“<br />

Die Begründung des Gesetzentwurfes führt hierzu aus:<br />

„Entgeltver<strong>ein</strong>barungen, die am Sachzeitwert der Anlagen anknüpfen,<br />

entsprechen der gegenwärtigen Praxis und sind auch in Zukunft<br />

vorbehaltlich anderweitiger kartellrechtlicher oder preisrechtlicher<br />

Entwicklungen nicht zu beanstanden.“ [14].<br />

Die „wirtschaftlich angemessene Vergütung“ im<br />

Gesetzgebungsverfahren des EnWG 2005<br />

Der unbestimmte Gesetzesbegriff der „wirtschaftlich angemessenen<br />

Vergütung“ in § 13 Abs. 2 Satz 2 EnWG 1998 bzw. § 46 Abs. 2 Satz<br />

2 EnWG 2005 ist nach den öffentlich zugänglichen Materialien in<br />

beiden Gesetzgebungsverfahren nicht näher behandelt worden. Weder<br />

Bundestag noch Bundesrat haben die im Regierungsentwurf enthaltene<br />

Formulierung diskutiert und erst recht nicht kritisiert.<br />

Das ist für das EnWG 2005 umso bemerkenswerter, als neben der<br />

oben dargestellten Aus<strong>ein</strong>andersetzung der 90er Jahre seit dem<br />

16. November 1999 die „Endschaftsbestimmung“-Entscheidung des<br />

Bundesgerichtshofs [15] über <strong>ein</strong>e Sachzeitwertklausel in <strong>ein</strong>em<br />

Konzessionsvertrag mit der Gem<strong>ein</strong>de Kaufering vorlag. In diesem<br />

Urteil hatte der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs im Kern entschieden,<br />

dass <strong>ein</strong>e Sachzeitwertklausel wegen Verstoßes gegen<br />

§ 103a GWB alter Fassung unwirksam ist, wenn der Sachzeitwert<br />

den Ertragswert nicht unerheblich übersteigt, so dass die Übernahme<br />

der Stromversorgung durch <strong>ein</strong>en nach den Maßstäben wirtschaftlicher<br />

Vernunft handelnden anderen Versorger ausgeschlossen<br />

ist [16]. Der BGH hatte den Fall <strong>zur</strong> weiteren Sachaufklärung an<br />

das Oberlandesgericht München <strong>zur</strong>ückverwiesen, das am 17.11.2005<br />

die Klage der Gem<strong>ein</strong>de Kaufering abwies [17]. Nach der Beweisaufnahme<br />

ergab sich, dass der Ertragswert den Sachzeitwert zum<br />

Stichtag 1. Januar 1995 sogar überstieg. Auch unter Würdigung aller<br />

Hilfsanträge der Klägerin überstieg der Sachzeitwert den Ertragswert<br />

um 7 %. Das bewertete der Senat als kartellrechtlich unerheblichen<br />

Abstand des Sachzeitwertes zum Ertragswert, so dass die<br />

Gem<strong>ein</strong>de den Sachzeitwert zu bezahlen hatte. Im Anschluß an<br />

die Rechtsprechung des BGH [18] und des OLG Düsseldorf [19]<br />

erachtete das OLG München <strong>ein</strong>en Abstand von unter 10 % zwischen<br />

den beiden Werten als kartellrechtlich irrelevant.<br />

Fortführung der Rechtsprechung<br />

„Endschaftsbestimmung“<br />

Wie an anderer Stelle bereits ausführlicher dargestellt [20], lag der<br />

Entscheidung des Bundesgerichtshofs der vertraglich ver<strong>ein</strong>barte<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006


Sachzeitwert zu Grunde, kontrolliert bzw. korrigiert durch <strong>ein</strong>en<br />

kartellrechtlich nichtprohibitiven Abstand zum Ertragswert.<br />

Diese Systematik wird auch bei der Anwendung von § 46 Absatz 2<br />

Satz 2 EnWG fortgeführt werden können, so dass bei Netzabgaben<br />

weiterhin der Sachzeitwert und der Ertragswert zu ermitteln sind<br />

[21]. Der Ertragswert wurde 1995 noch bei geschlossenem Versorgungsmonopol<br />

aus den Gesamterlösen des Vollmonopols ermittelt.<br />

Das ändert sich durch das Energiewirtschaftsgesetz vom 07.07.2005<br />

und vor allem durch die Netzentgeltverordnungen Strom und Gas<br />

vom 25.07.2005 in mindestens zwei gravierenden Punkten.<br />

Zum Ersten muss sich als Folge der im EnWG 2005 angeordneten<br />

Entflechtung von Netz und Versorgung jede Ertragswertberechnung<br />

für <strong>ein</strong> Netz auf den Ertragswert des Netzes beschränken, also auf<br />

die Netzentgelte. Das gilt auch für nicht entflochtene Unternehmen,<br />

die insofern getrennte Preise für die Netzentgelte und die Versorgungsleistungen<br />

zu ermitteln haben und all<strong>ein</strong> die Netzentgelte<br />

den Ertragswerten zu Grunde legen müssen [22]. Auch hier schlägt<br />

der generelle Grundsatz durch, wonach <strong>ein</strong> Netz k<strong>ein</strong>erlei Versorgungstätigkeit<br />

ausübt und ausüben darf [23]. Die Netze werden<br />

zwar zu Zwecken der allgem<strong>ein</strong>en Versorgung errichtet und<br />

betrieben, die Netzbetreiber haben aber k<strong>ein</strong>e Versorgungsaufgaben<br />

mehr [24].<br />

Zum Zweiten wird der Ertragswert durch die Regulierung der Netzentgelte<br />

begrenzt. Die Ertragswertermittlung bestimmt sich bis zum<br />

Inkrafttreten <strong>ein</strong>er Anreizregulierung nach den Regeln der Netzentgeltverordnung.<br />

Aus ihnen sind die Ertragswerte zu errechnen,<br />

da <strong>ein</strong> unmittelbarer Verknüpfungszusammenhang zwischen dem<br />

Ertragswert für <strong>ein</strong> zu überlassenes Netz und den nach den Netzentgeltverordnungen<br />

genehmigten Entgelten besteht. Da der Ertragswert<br />

<strong>ein</strong> Zukunftswert ist, wird es hier auf die dem übernehmenden<br />

Netzbetreiber genehmigten Netzentgelte ankommen, wobei auch zu<br />

bewerten ist, wie sich das übernommene bzw. hinzutretende Netz<br />

auf die bereits genehmigten Netzentgelte auswirkt. Um Prognoseunsicherheiten<br />

und das in ihnen liegende Streitpotenzial zu<br />

minimieren, wird der übernehmende Netzbetreiber <strong>ein</strong>en kompletten<br />

Netzentgeltantrag bei der Bundesnetzagentur unter Einbeziehung<br />

des zu übernehmenden Netzes stellen müssen.<br />

Das In<strong>ein</strong>andergreifen von genehmigungspflichtigen Netzentgelten<br />

und Prohibitivabstandsverbot des Sachzeitwertes zum Ertragswert<br />

kann dazu führen, dass der in der „Endschaftsbestimmung“-Entscheidung<br />

entwickelte Vergleichsmaßstab versagt, weil der Sachzeitwert<br />

zu hoch ausfällt und nur der Ertragswert zum Tragen kommt,<br />

da der Abstand zwischen beiden Werten größer als 10 % wird. Selbst<br />

wenn der 10 %-Abstand <strong>ein</strong>gehalten werden kann – zum Beispiel<br />

durch <strong>ein</strong>e Änderung der Gesamtnutzung [25] –, wird das Prohibitivabstandsverbot<br />

den Sachzeitwert regelmäßig nach unten<br />

ziehen, falls es bei der bisherigen kartellrechtlichen Abweichungsgrenze<br />

von 10% bleibt. Ein ähnliches Ergebnis kann sich <strong>ein</strong>stellen,<br />

soweit sich die Vorgaben des § 6 NEV auch direkt auf den Sachzeitwert<br />

auswirken, zum Beispiel bei der Relation von Restnutzungsdauer<br />

<strong>ein</strong>er Leitung <strong>zur</strong> Gesamtnutzungsdauer.<br />

Solche Entwicklungen sind insbesondere zu erwarten, wenn die<br />

Bundesnetzagentur §§ 6 StromNEV/GasNEV wörtlich anwendet und<br />

kalkulatorische Abschreibungen unter Null verbietet (§ 6 Absatz<br />

6 StromNEV/GasNEV). Dieses Verbot soll ungeachtet der Änderung<br />

von Eigentumsverhältnisse an Netzen oder der Begründung von<br />

Schuldverhältnissen gelten (§ 6 Absatz 7 StromNEV/GasNEV), also<br />

auch Netzüberlassungen erfassen.<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />

37


STROM OHNE GRENZEN<br />

In diesen Regelungen taucht die alte Argumentation aus den 90er<br />

Jahren wieder auf, die Kunden würden bei Übernahmen zum Sachzeitwert<br />

durch erhöhte Abschreibungen mehrfach belastet [26], insbesondere<br />

durch die Fortführung abgeschriebener Anlagen mit<br />

Anhaltewerten. Mit diesem Vorbringen hatte sich das Oberlandesgericht<br />

München in s<strong>ein</strong>er ersten Kaufering-Entscheidung aus<strong>ein</strong>andergesetzt<br />

und war zu dem Ergebnis gekommen, Anhaltewerte<br />

seien in der Elektrizitätswirtschaft üblich und <strong>zur</strong> Korrektur <strong>ein</strong>er<br />

ver<strong>ein</strong>fachungsbedingten Unterbewertung von Stromversorgungsnetzen<br />

betriebswirtschaftlich geboten. Diese Ausführungen hat<br />

der Bundesgerichtshof in der „Endschaftsbestimmung“-Entscheidung<br />

als rechtsfehlerfrei gebilligt [27], ohne über die Zulässigkeit von<br />

Anhaltewerten aus revisionsverfahrensrechtlichen Gründen entscheiden<br />

zu können [28].<br />

Es ist wohl nicht nur für den Juristen erstaunlich, daß solche von<br />

der höchstrichterlichen Rechtsprechung verworfenen alten Überlegungen<br />

der 90er Jahre wie die „Doppelbelastung von Kunden“<br />

im Jahre 2005 im Gewand <strong>ein</strong>er Rechtsverordnung der Bundesregierung<br />

wieder auftauchen und als materielles Gesetz bundesweite<br />

Verbindlichkeit beanspruchen.<br />

Die Ver<strong>ein</strong>barkeit von § 6 Absätze 6 und 7 NEV mit den<br />

Ermächtigungsgrundlagen des Energiewirtschaftsgesetzes und höherrangigem<br />

Recht hat mit der Abwicklung und Auslegung von Endschaftsbestimmungen<br />

unmittelbar nichts zu tun, sondern die Normen<br />

strahlen auf solche Vertragsklauseln lediglich aus. Gerichtliche Aus<strong>ein</strong>andersetzungen<br />

werden in Netzentgeltgenehmigungsverfahren<br />

vor den Oberlandesgerichten und dem Bundesgerichtshof zu führen<br />

s<strong>ein</strong>. Über sie wird wiederum der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs<br />

[29] befinden, der dann s<strong>ein</strong>e Rechtsprechung zu den<br />

Endschaftsbestimmungen zu Grunde legen kann. Nicht auszuschließen<br />

ist, daß letztendlich das Bundesverfassungsgericht zu<br />

entscheiden haben wird, ob und wie weit § 6 Absätze 6 und 7 NEV<br />

und andere Teile der beiden Verordnungen verfassungsgemäß sind.<br />

Verfahrensrechtlich wird zu untersuchen s<strong>ein</strong>, ob Vorschriften der<br />

NEV gemäß Artikel 80 Absatz 1 Satz Grundgesetz von den<br />

Ermächtigungsnormen des EnWG gedeckt sind. Unter dem Aspekt<br />

des Grundrechtsschutzes wird geprüft werden müssen, ob beispielsweise<br />

das schrankenlose Verbot der Abschreibung unter Null<br />

Grundrechte der Netzbetreiber aus den Artikeln 14, 12 und GG verletzt,<br />

weil sie gezwungen werden, Wirtschaftsgüter unentgeltlich zu<br />

veräußern, die noch <strong>ein</strong>en erheblichen nachhaltigen wirtschaftlichen<br />

Wert im Geschäftsverkehr haben. Zu dem Zwangs<strong>ein</strong>griff, alle<br />

zwanzig Jahre das Netzeigentum <strong>zur</strong> vertraglichen Disposition zu<br />

stellen, tritt der Zwang, Wirtschaftsgüter mit hohem Wert zu Null<br />

abzugeben, also „zu verschenken.“ [30]. „Die Eigentumsgarantie des<br />

Art. 14 GG hat die Aufgabe, den Bestand des Eigentums in der Hand<br />

des Eigentümers zu sichern“ [31]. An diesem Maßstab müssen sich<br />

auch die §§ 6 StromNEV/GasNEV messen lassen.<br />

Die Wertermittlung als Energiekartellrecht<br />

Bisher ist zu Grunde gelegt worden, dass die unveränderten kartellrechtlichen<br />

Maßstäbe fortgeführt werden können. Mit der Unterstellung<br />

der Netzbereiche unter <strong>ein</strong> Regulierungsregime ist zu prüfen,<br />

ob Endschaftsklauseln seit dem 13. Juli 2005 dem Kartellrecht oder<br />

dem Regulierungsrecht unterfallen.<br />

Eine erste Antwort findet sich in der Stellung der Norm im EnWG,<br />

nämlich im „nichtregulierten“ Teil 5 (Planfeststellung, Wegenutzung).<br />

Das ist zutreffend, denn materiell ist § 46 EnWG wie die<br />

Vorgängernorm des § 13 EnWG 1998 die energierechtliche Fortführung<br />

der §§ 103, 130 a GWB [32].<br />

38<br />

WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />

Die Zuordnung zum Energiekartellrecht folgt auch aus § 46 Abs. 5<br />

EnWG, wonach die Aufgaben und Zuständigkeiten der Kartellbehörden<br />

nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen<br />

im Rahmen des § 46 EnWG unberührt bleiben. Das ist auch<br />

systematisch und logisch begründbar. In Konsequenz der kartellrechtlichen<br />

Abstammung der Absätze 1 bis 4 des § 46 EnWG ist<br />

dessen Absatz 5 <strong>ein</strong>e Kompetenzzuweisung an die Kartellbehörden,<br />

die <strong>ein</strong>e Zuständigkeit der Bundesnetzagentur ausschließt. Diese<br />

könnte ohnehin nur ihre allgem<strong>ein</strong>en Instrumente nach § 65 EnWG<br />

<strong>ein</strong>setzen, wohingegen die Kartellbehörden die kartellrechtlichen<br />

Spezialinstrumente der §§ 19, 20 GWB <strong>zur</strong> Verfügung hat. § 46 Abs.<br />

5 EnWG entzieht Lebenssachverhalte aus dem Bereich des § 46<br />

der Zuständigkeit der jeweiligen Regulierungsbehörde und belässt<br />

sie in der Zuständigkeit des Bundeskartellamtes bzw. der Landeskartellbehörden.<br />

Bei der Prüfung von Endschaftsbestimmungen sind nach Aufhebung<br />

der §§ 103, 103a GWB a.F. die §§ 19 und 20 GWB un<strong>ein</strong>geschränkt<br />

anwendbar, da § 46 EnWG k<strong>ein</strong>e ausdrücklich abschließende<br />

Regelung im Sinne von § 111 Absatz 1 Satz 1 EnWG enthält. Führt<br />

<strong>ein</strong>e Kartellbehörde <strong>ein</strong> Verfahren nach § 19 GWB durch, so hat<br />

sie der Bundesnetzagentur Gelegenheit <strong>zur</strong> Stellungnahme zu geben<br />

(§ 58 Abs. 2 EnWG).<br />

Selbst wenn man <strong>ein</strong>e konkurrierende Kompetenz der Regulierungsbehörde<br />

und der jeweils zuständigen Kartellbehörde oder des Bundeskartellamts<br />

in Fällen des § 46 EnWG annehmen würde, hätte die<br />

jeweilige Regulierungsbehörde den Vorrang der Regelungen des<br />

GWB zu achten, der sich aus unmittelbarer bzw. bei der Anwendung<br />

durch Landesregulierungsbehörden analoger Anwendung von §<br />

58 Abs. 3 EnWG ergibt.<br />

Richterliche Kontrolldichte<br />

Von entscheidender Bedeutung für <strong>ein</strong> rechtsstaatliches Regulierungsregime<br />

wird die richterliche Kontrolldichte s<strong>ein</strong>, mit der das Verwaltungshandeln<br />

der Regulierungsbehörden, vorrangig der Bundesnetzagentur,<br />

durch die Dritte Gewalt überwacht und notfalls gezügelt<br />

wird.<br />

Einem verfassungsgemäßen Verhältnis von richterlicher Kontrolle<br />

der Verwaltung kann nur entsprechen, dass die richterliche Kontrolle<br />

umso intensiver ist, je stärker die Exekutive in die Rechte<br />

von Unternehmen <strong>ein</strong>greifen kann. Ein allumfassendes Regulierungsregime<br />

mit straffen gesetzlichen Instrumenten, wie sie im 3. und im<br />

8. Teil des EnWG enthalten sind, erfordert zum Ausgleich und zum<br />

Ausbalancieren <strong>ein</strong>e deutlich höhere Kontrolldichte als zum Beispiel<br />

die kartellrechtliche Missbrauchskontrolle. Die hergebrachten verwaltungsrechtlichen<br />

Lehren vom Ermessen und den unbestimmten<br />

Rechtsbegriffen mit und ohne Beurteilungsspielraum bedürfen daher<br />

<strong>ein</strong>er Aktualisierung in ihrer Anwendung im Regulierungsrecht der<br />

Energiewirtschaft [33]. Das gilt insbesondere in der Anlaufphase,<br />

in der die Weichen auch im Umgang mit<strong>ein</strong>ander für lange Zeit<br />

gestellt werden. Es ist weder nach Verfassungsrecht noch nach Verwaltungsrecht<br />

notwendig, <strong>ein</strong> neues Sonderrecht der Regulierung<br />

zu konstruieren, das sich in das überlieferte Verwaltungsrechtssystem<br />

nicht <strong>ein</strong>füge und das wegen s<strong>ein</strong>er direktiven Eingriffsmöglichkeiten<br />

und s<strong>ein</strong>er Systemfremdheit stärkere gerichtsfreie<br />

Spielräume benötige. Im Gegenteil: Entscheidungen der Regulierungsbehörden<br />

sind stets ökonomisch determiniert und schon deswegen<br />

voll nachprüfbar. Sie handeln nicht politisch-gouvernemental, sondern<br />

vollziehen Gesetze. Die Maßstäbe der Rationalität und Nachprüfbarkeit,<br />

die die Regulierungsbehörde an das Verhalten der regulierten<br />

Unternehmen anlegt, muß sie auch gegen sich gelten lassen. Dezisio-<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006


nistische, der gerichtlichen Nachprüfung entzogene Entscheidungsparameter<br />

darf regulatorisches Verwaltungshandeln im<br />

Rechtsstaat nicht enthalten.<br />

Zusammenfassung<br />

■ Wegenutzungsverträge (Konzessionsverträge), die vor dem 28.<br />

April 1998 abgeschlossen wurden, sind hinsichtlich ihrer Endschaftsbestimmungen<br />

durch das EnWG 1998 und das EnWG 2005<br />

unverändert geblieben.<br />

■ Wenn Endschaftsbestimmungen spezielle Anlagenübernahmeklauseln<br />

enthalten, wie beispielsweise den Sachzeitwert oder den<br />

Taxwert, dann sind diese Klauseln weiterhin Vertragsinhalt; sie sind<br />

nicht durch den unbestimmten Gesetzesbegriff der „wirtschaftlich<br />

angemessenen Vergütung“ in § 46 Absatz 2 EnWG ersetzt worden.<br />

■ Ihnen ist mit der Entscheidung des Bundesgerichthofs „Endschaftsbestimmung“<br />

(Kaufering) der jeweilige Ertragswert gegenüberzustellen.<br />

Übersteigt der Sachzeitwert um mehr als 10 % den<br />

Ertragswert, so kann er insofern nicht verlangt werden, sondern nur<br />

bis zu 10 % über dem Ertragswert.<br />

■ Der Ertragswert <strong>ein</strong>es Netzes errechnet sich als Zukunftswert<br />

nach den Netzentgelten, die der Netzübernehmer erwarten kann.<br />

Sie werden nach der Netzentgeltverordnung ermittelt.<br />

■ Endschaftsbestimmungen unterliegen als Energiekartellrecht dem<br />

Maßstab des § 19 GWB, nicht aber den allgem<strong>ein</strong>en Aufsichtsmaßnahmen<br />

nach § 65 EnWG.<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006<br />

Anmerkungen<br />

[1] §§ 46 Absatz 2 Satz 2 Energiewirtschaftsgesetz 2005, 13 Absatz 2 Satz 2 Energiewirtschaftsgesetz<br />

1998, 103a Absatz 1 Satz 1 GWB 1990.<br />

[2] An Sinn und Zulässigkeit <strong>ein</strong>er solchen Befristung kann nach der Entflechtung der<br />

Netze und der Verpflichtung der Netzbetreiber zu diskriminierungsfreiem Netzzugang und<br />

Netznutzung mehr denn je gezweifelt werden. Aber das ist nicht Thema dieser Überlegungen.<br />

[3] Der Begriffswechsel war unnötig, denn der Begriff „Konzessionsvertrag“ ist sehr viel<br />

älter als das Kartellrecht und hat nach überwiegender M<strong>ein</strong>ung von jeher <strong>ein</strong>en zivilrechtlichen<br />

Vertrag gem<strong>ein</strong>t. Vergleiche Scholtka, Das Konzessionsabgabenrecht in der Elektrizitäts-<br />

und Gaswirtschaft, VEnergG, 1999 S. 34 unter Hinweis auf Arbeiten von<br />

Crome 1917 und Thoma 1918.<br />

[4] § 1 des Übergangsgesetzes aus Anlass des Gesetzes <strong>zur</strong> Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts.<br />

[5] Danner/Theobald, Energierecht (Stand Januar 2006), Einführung zum EnWG, Seite 25<br />

Randnummer 57; Pippke/Gaßner, RdE 2006, Seite 33.<br />

[6] Jeweils für § 1 (siehe vorstehende Fußnote) Kühne, in: Das neue Energierecht in der<br />

Bewährung – Festschrift für Jürgen F. Baur, Seite 187, 192 ff, Böwing, in: Energiewirtschaftsgesetz<br />

1998, Seite 270 Anmerkung 8.1, Obernolte/Danner zu § 13 Rn. 2 EnWG<br />

1998, Scholtka a.a.O. Seite 42 f; anderer Ansicht Kermel, in: Berliner Kommentar zum<br />

Energierecht Seite 1109.<br />

[7] Kühne FS Baur, Seite 195ff, Böwing, in: Energiewirtschaftsgesetz 1998, Seite 271<br />

Anmerkung 8.2.<br />

[8] Anderer Ansicht Pippke/Gaßner RdE 2006, Seite 34 unter völliger Außerachtlassung<br />

der Entstehungsgeschichte des § 13 EnWG 1998 und des § 46 EnWG.<br />

[9] Begründung der Bundesregierung zu § 8 EnWG 1998, Bundestagsdrucksache 13/7274<br />

Seite 21.<br />

[10] Hüffer/Tettinger, Konzessionsvertrag, Endschaftsklausel und Übernahmepreis (1990)<br />

Seite 47 ff, dieselben, Rechtsfragen beim Versorgerwechsel nach Ablauf von Kon-<br />

39


STROM OHNE GRENZEN<br />

40<br />

WO STEHT DER EUROPÄISCHE STROMMARKT?<br />

zessionsverträgen (1993), S. 55 ff, Tettinger/Pielow, Der Sachzeitwert als der nach<br />

wie vor maßgebliche Übernahmepreis beim Versorgerwechsel (1995), Recknagel, Zum<br />

historischen und heutigen Sachzeitwertbegriff, in: Recht der Energiewirtschaft 1996, Seite<br />

218-225; weitere Nachweise der Literatur in BGHZ 143, 128, 151 f.<br />

[11] Eiber/Fuchs Betriebsberater 1994, Seite 1175 ff.<br />

[12] Petersen/Klaue/Zezwitsch/Traub, Gutachten <strong>zur</strong> Beurteilung von Endschaftsklauseln<br />

in Stromkonzessionsverträgen (1995).<br />

[13] OLG Celle WuW/E OLG 5036 = RdE 1997, 144, OLG Frankfurt/Main WuW/E OLG<br />

5036 = RdE 1992, 159; OLG München WuW/E OLG 5385; LG Hannover RdE 1996, 31.<br />

[14] Bundesratsdrucksache 686/91 Seite 19.<br />

[15] BGHZ 143, 128 ff = Energiewirtschaftliche Tagesfragen 2000, Seite 182 ff = Recht<br />

der Energiewirtschaft 2000, Seite 108 ff.<br />

[16] BGZ 143, 128 (Leitsatz 1) und Seite 157.<br />

[17] Urteil vom 17.11.2005 – U (K) 3325/96.<br />

[18] Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verlangt <strong>ein</strong>en „deutlichen Abstand“<br />

zwischen zwei Preisen, jenseits dessen <strong>ein</strong> kartellrechtlicher Missbrauch beginnt: vgl.<br />

BGH, Beschluß vom 22.7.1999, Flugpreisspaltung.<br />

[19] OLG Düsseldorf , Beschluß vom 11.2.2004, Umdruck Seite 11 – „TEAG“.<br />

[20] Recknagel, Zur Stromnetzübernahme nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs<br />

vom 16.11.1999, Energiewirtschaftliche Tagesfragen 2000, S. 336 ff.<br />

[21] Ebenso Danner/Theobald – wie Fußnote 5 – Anmerkung 62 S. 26, der allerdings<br />

noch den „objektiven Wert“ erwähnt. Der „objektive“ Wert spielt in der Leitentscheidung<br />

„Endschaftsbestimmung“ k<strong>ein</strong>e Rolle. Ob dieser dritte Wert dem Prüfmaßstab des BGH<br />

in dem Revisionsverfahren („Lippstadt“) standgehalten hat, war zum Zeitpunkt des<br />

Manuskriptabschlusses unbekannt.<br />

[22] Auch <strong>ein</strong> nichtentflochtenes Unternehmen (de-minimis-Unternehmen) muß Netzentgelte<br />

nach der NEV bilden und darf nur sie im Falle <strong>ein</strong>er Netzveräußerung ansetzen.<br />

[23] Der Netzerwerb bedeutet k<strong>ein</strong>en Erwerb von Versorgungskunden. Die Stellung als<br />

Grundversorger oder als sonstiger Versorger wird durch die Netzveräußerung nicht berührt.<br />

Es wird häufig vorkommen, dass zwar <strong>ein</strong> Netz auf Grund <strong>ein</strong>er Entscheidung <strong>ein</strong>er<br />

Gem<strong>ein</strong>de von <strong>ein</strong>em Netzbetreiber erworben wird, aber bis zum nächsten Stichtag<br />

nach § 36 Absatz 2 EnWG die Grundversorgung bei dem bisherigen Versorger verbleibt.<br />

Denn die Gem<strong>ein</strong>den entscheiden nach dem jetzigen Recht nicht mehr über die Versorgung<br />

im Gem<strong>ein</strong>degebiet.<br />

[24] Insbesondere die Entnahme von Energie aus dem Netz begründet k<strong>ein</strong> Versorgungsverhältnis<br />

zum Netzbetreiber.<br />

[25] Vergleiche hierzu LSP Nr. 39 Absatz 2 Satz 2 und Ebisch/Gottschalk, Preise und<br />

Preisprüfungen bei öffentlichen Aufträgen, 7. Auflage, Randnummern 14-20 zu Nr. 39<br />

LSP.<br />

[26] Das wird in dem „Positionspapier der Regulierungsbehörden des Bundes und der<br />

Länder zu Einzelfragen der Kostenkalkulation gemäß Stromnetzentgeltverordnung“ vom<br />

7. März 2006 sehr deutlich.<br />

[27] BGHZ 143, 158.<br />

[28] BGHZ 143, 161.<br />

[29] § 107 Absatz 1 Ziffer 1 EnWG.<br />

[30] Hinzu tritt auf der Ebene des <strong>ein</strong>fachen Rechts die Frage, wie sich <strong>ein</strong>e solche Praxis<br />

mit dem ausdrücklichen Verbot des § 3 Absatz 2 Nummer 3 KAV ver<strong>ein</strong>baren ließe, wonach<br />

Verpflichtungen <strong>zur</strong> Übertragung von Versorgungs<strong>ein</strong>richtungen ohne wirtschaftlich<br />

angemessenes Entgelt verboten sind.<br />

[31] BVerfGE 24, 367, 400f. (Hervorhebung durch den Verfasser).<br />

[32] Die §§ 103, 103a gelten weiterhin für die Wasserversorgung. Unter dem Aspekt<br />

des Gleichheitssatzes des Artikels 3 GG ersch<strong>ein</strong>t es schon sehr begründungsbedürftig,<br />

wie man in <strong>ein</strong>em angenommenen Fall der gleichzeitigen Übertragung von Strom- und<br />

Gasnetzen <strong>ein</strong>erseits und <strong>ein</strong>es Wassernetzes andererseits die unterschiedlichen Wertberechnungen<br />

rechtfertigen würde. All<strong>ein</strong> auf unterschiedliche Rechtsrahmen hinzuweisen,<br />

dürfte nicht ausreichen, da die zu beurteilenden ökonomischen Sachverhalte identisch<br />

s<strong>ein</strong> würden und die rechtlichen Spielregeln von 1957 (Inkrafttreten des GWB) bis 1998<br />

gleich waren.<br />

[33] Die Situation erinnert an die 50er-Jahre mit den Vorbereitungen der Einführung <strong>ein</strong>er<br />

von der Verwaltung abgelösten Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die Diskussion begann mit<br />

dem Aufsatz von Bachof JZ 1955, 97 ff: „Beurteilungsspielraum, Ermessen und unbestimmter<br />

Rechtsbegriff im Verwaltungsrecht.“<br />

Prof. Dr. H. Recknagel, Honorarprofessor an der Universität Hannover,<br />

RA Kanzlei KSB INTAX Knoke Sallawitz v. Bismarck Brauer v. Bock<br />

Wendenburg Celle/Hannover<br />

rck100@web.de<br />

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 56. Jg. Special 6/2006

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