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Der gol<strong>de</strong>ne Schnitt<br />
Süd<strong>de</strong>utsche Zeitung Content<br />
Indien und das Geschäft mit <strong>de</strong>n Haaren:<br />
„Haben sie bei euch keine eigenen am Kopf?”<br />
Der gol<strong>de</strong>ne Schnitt<br />
Im Tempel von Tirupati lassen sich täglich 50 000 Menschen<br />
kahlscheren – mit diesem göttlichen Opfer schmückt sich <strong>de</strong>r<br />
Rest <strong>de</strong>r Welt für gutes Geld<br />
Von Karin Steinberger<br />
Madras, im Juli – Ans En<strong>de</strong> mag man gar nicht <strong>de</strong>nken. Wenn<br />
je<strong>de</strong>s Haar gezählt, je<strong>de</strong> Nisse entfernt und je<strong>de</strong>s Strähnchen<br />
abgerechnet ist. Wenn Wärmezangen und Connectoren die Dinge<br />
aneinan<strong>de</strong>rschweißen und spitznaglige Friseurinnen in London o<strong>de</strong>r Rosenheim Honigblon<strong>de</strong>s<br />
und Dunkelschwarzes einarbeiten, wenn sich Wildfrem<strong>de</strong> an sei<strong>de</strong>nweicher Pracht berauschen, die<br />
hinunterhängt bis in unbezahlbare Längen.<br />
Doch noch kein Wort davon, wie sich Hornfä<strong>de</strong>n in pures Gold verwan<strong>de</strong>ln. Wie Göttliches in gigantische<br />
Haartürme umgearbeitet wird. Nicht hier, am heiligsten Ort, hoch oben auf <strong>de</strong>n Tirumalahügeln<br />
in Tirupati, im Tempel von Gott Venkateswara, wo P. Rangaraju sitzt, Tempelfriseur Nummer<br />
54, die Beine überkreuz, vor sich einen Kopf, nach vorne geneigt, ausgeliefert, wie ein Schaf beim<br />
Scheren. Die Frau hockt vor ihm auf kalten Kacheln, das Zettelchen in <strong>de</strong>r Hand: 15.30 Uhr, Barber<br />
54. Hält still auf nackten Füßen, Mann und Kind sind schon kahl und starren das Häufchen an,<br />
das sich in <strong>de</strong>r Rinne türmt, schwarz und fettig, Mutters Haar, Mutters Schönheit, Mutters Geruch<br />
– und ihre Läuse dazu.<br />
Rangaraju arbeitet schnell und fehlerlos, schaufelt aus einem Eimer Wasser über <strong>de</strong>n Kopf, setzt<br />
an, arbeitet sich von <strong>de</strong>r Schä<strong>de</strong>lmitte runter zu <strong>de</strong>n Ohren, vor zum Gesicht, immer <strong>de</strong>r gleiche<br />
Schnitt, die gleiche Prozedur, acht Stun<strong>de</strong>n am Tag, 50 Tonsuren pro Schicht, sagt er und nickt <strong>de</strong>m<br />
Ehemann zu. Der ganze Saal ist voller Friseure, je<strong>de</strong>r mit Nummernschild hinter sich an <strong>de</strong>r Wand,<br />
je<strong>de</strong>r mit Kundschaft, je<strong>de</strong>r mit einer Bestzeit pro Kopf, die gebrochen wer<strong>de</strong>n will. Alles voller<br />
Haar, alles voller Mensch. Fließbandarbeit im heiligen Bezirk.<br />
Die Tücken <strong>de</strong>s Schä<strong>de</strong>ls<br />
Seit 27 Jahren ist P. Rangaraju Tempelfriseur am heiligen Berg. „27 Jahre Service”, sagt er. Er mag<br />
das, wenn sich die Köpfe vor ihm senken, wie Gras im Wind, immer in eine Richtung, immer zu einem<br />
Zweck. Er kennt sie, die Tücken <strong>de</strong>r Schä<strong>de</strong>l, die Dellen und Beulen, die verwachsenen Narben,<br />
je<strong>de</strong>r Kopf ein Relief. Es gibt hier nur einen Schnitt: Vollrasur, 20 000 Mal am Tag, <strong>de</strong>n Göttern zum<br />
Dank, <strong>de</strong>m Tempel zum Wohle. Rangaraju weiß, wie man Menschen vom Haar befreit.<br />
Die Frau vor ihm sitzt still. 30 Jahre ist sie alt. Sie starrt auf die Füße <strong>de</strong>s Friseurs, auf seine verwachsenen<br />
Zehen, in <strong>de</strong>nen sich die Haare verfangen, <strong>de</strong>nkt an all die Stun<strong>de</strong>n, die sie mit diesem<br />
Haar verbracht hat, hinunter bis zu <strong>de</strong>n Hüften, dunkel wie Mahagoni, ein Kampf an je<strong>de</strong>m Tag,<br />
<strong>Heft</strong> <strong>18</strong>/2008<br />
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