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1 Beate Reese Zur Stellung und Bedeutung von ... - Stadt Würzburg

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<strong>Beate</strong> <strong>Reese</strong><br />

<strong>Zur</strong> <strong>Stellung</strong> <strong>und</strong> <strong>Bedeutung</strong> <strong>von</strong> Fotografie in der Konkreten Kunst<br />

I. Konkrete Fotografie in der Sammlung Peter C. Ruppert<br />

Die Sammlung „Peter C. Ruppert. Konkrete Kunst in Europa nach 1945“ ist bislang<br />

die einzige Sammlung zur konkreten Kunst, in die auch die Fotografie in Form einer<br />

eigenen Abteilung eingegangen ist. Den Anstoß, der Fotografie innerhalb der<br />

konkreten Kunst nachzugehen, gab Ende 1996 die Ausstellung „Konstruktive<br />

Fotoarbeiten“ in Köln. Unter diesem Titel zeigte die in focus Galerie am Dom<br />

Fotografien <strong>von</strong> Gottfried Jäger <strong>und</strong> René Mächler. Besondere Aufmerksamkeit<br />

erregten Mächlers Luminogramme, da diese offensichtlich in Bezug standen zu den<br />

Errungenschaften der Schweizer Konkreten. 1 Mit dem Erwerb <strong>von</strong> Arbeiten Jägers<br />

<strong>und</strong> Mächlers wurde 1997 die Sammlung zur Fotografie hin ausgeweitet. Es folgten -<br />

in der Reihenfolge des Erwerbs -Fotografien <strong>von</strong> Karl Martin Holzhäuser, Roger<br />

Humbert, Pierre Cordier, Heinrich Heidersberger, Kilian Breier, Floris Neusüss <strong>und</strong><br />

Peter Keetman. Die bislang letzten Ankäufe sind die zur Werkgruppe der<br />

Lichtmalereien gehörende Fotografie „180.9.2003“ <strong>von</strong> Karl Martin Holzhäuser, eine<br />

als „Mondelement“ betitelte Arbeit <strong>von</strong> Hein Gravenhorst, eine Lichtgrafik <strong>von</strong> Heinz<br />

Hajek Halke <strong>von</strong> 1963, die als „Quadratserie“ bezeichneten Fotogramme <strong>von</strong><br />

Gunther Keusen aus dem Jahre 1965 sowie ein Fotogramm des Briten Adam Fuss<br />

<strong>von</strong> 1990. In Planung ist der Erwerb <strong>von</strong> Werken Inge Dicks, John Hilliards u.a.<br />

Ausgewählt wurden <strong>und</strong> werden jeweils Werke, die, so Intention des Sammlers, den<br />

Beitrag der Fotografie innerhalb der konkreten Kunst darstellen bzw. untersuchen.<br />

Daneben gilt es auch, Kunstwerke in die Sammlung zu integrieren, die die Malerei<br />

mit ihren Mitteln so nicht schaffen kann <strong>und</strong> die die besonderen Möglichkeiten des<br />

Mediums Fotografie innerhalb der konkreten Kunst wahrnehmen. 2 Bei der Auswahl<br />

der Fotografien wurden Kriterien zugr<strong>und</strong>e gelegt, die auch für konkrete Gemälde,<br />

Plastiken <strong>und</strong> Reliefs bestimmend waren: es galt 1. Fotografien ohne Gegenstands<strong>und</strong><br />

Realitätsbezug auszusuchen, 2. Fotografien zu versammeln, in denen Licht als<br />

eigenständiges <strong>und</strong> selbstreferenzielles Wesens-Element der Fotografie zur<br />

Erscheinung gebracht wird <strong>und</strong> in denen 3. eine konstruktive, auf geometrischen<br />

Formen basierende Struktur konstitutiv ist für die ästhetische Gestalt.<br />

Den in der Sammlung Ruppert gezeigten Fotografien ist gemein, dass sie mit den<br />

Bedingungen <strong>und</strong> Möglichkeiten einer kameralosen Fotografie arbeiten, mit einer<br />

nicht-apparativen Fotografie, bei der die Bildentstehung weitgehend in die<br />

Dunkelkammer verlegt ist. Hierbei wird auf den Fotoapparat als Mittler zwischen<br />

Subjekt <strong>und</strong> Wahrnehmungsbild <strong>und</strong> fotografierendem Objekt, somit auf die<br />

Realitäts- <strong>und</strong> Abbildungsfunktion der Fotografie bewusst verzichtet. Trotz dieser<br />

Gemeinsamkeit gehören die versammelten Fotografien unterschiedlichen Kontexten<br />

<strong>und</strong> Traditionen an, die zunächst nach Herkunft <strong>und</strong> Herstellungsverfahren zu<br />

differenzieren sind, bevor nach der Begrifflichkeit des Konkreten in der Fotografie zu<br />

fragen sein wird.<br />

1) Fotogramme<br />

Für fast alle in der Sammlung vertretenen Fotografen stand zu Beginn die<br />

Auseinandersetzung mit dem Fotogramm, das in der Nachkriegsfotografie wieder<br />

einen experimentellen Umgang mit der Gegenstandswelt <strong>und</strong> mit den Bedingungen<br />

1 Guido Magnaguagno: Vorwort, in: René Mächler. Konstruktive Fotografie. Fotogramme 1956-1992. Aarau<br />

1993 (Edition Bild), o. S.<br />

2 Peter C. Ruppert im Gespräch mit der Autorin am 13. Mai <strong>und</strong> am 25. Juni 2004.<br />

1


<strong>und</strong> Möglichkeiten der Fotografie erlaubte.1835 <strong>von</strong> William Fox Talbot entdeckt, hat<br />

das Fotogramm als eigenständiges Medium mittlerweile eine eigene Tradition<br />

ausgebildet, die <strong>von</strong> Man Ray, Moholy-Nagy <strong>und</strong> Christians Schads Schadografien<br />

über Keetmann <strong>und</strong> Heidersberger bis in die Gegenwart zu Tim Otto Roth reicht. 3<br />

Fotogramme entstehen direkt durch die Fixierung <strong>von</strong> Objekten mit Licht auf<br />

lichtempfindlichem Papier oder unmittelbar durch eine gelenkte Belichtung des<br />

Papiers. Ein Fotogramm kann ungegenständlich oder auch gegenstandsbezogen<br />

sein, wobei bei der zweiten Variante der Gegenstand als Schattenbild erscheint. Er<br />

wird direkt auf das Fotopapier gelegt <strong>und</strong> durch eine natürliche oder künstliche<br />

Lichtquelle belichtet. Dadurch bilden sich die Gegenstände hell auf schwarzem<br />

Gr<strong>und</strong> ab. Anschließend wird das Papier entwickelt <strong>und</strong> fixiert.<br />

Von Floris Neusüss, der in Kassel eine eigene fotografische Schule für das<br />

Fotogramm begründet hat, ist ein sogenanntes Tellerbild <strong>von</strong> 1969 in der Sammlung<br />

vertreten. Es wird auch als „Schwarze Sonne“ bezeichnet <strong>und</strong> stammt aus einer in<br />

den Jahren 1964 bis 1971 entstandenen Reihe <strong>von</strong> Fotogrammen. Die kreisförmigen<br />

Schattenbilder <strong>von</strong> Tellern, gewöhnlichen Alltagsgegenständen, fügen sich hier zu<br />

einer geometrisch streng komponierten Abfolge <strong>von</strong> Kreisen, wobei das Fotogramm<br />

die Körperhaftigkeit bzw. Kontur des Ausgangsobjektes (Teller, d. Verf.) erhält, es<br />

gleichzeitig aber als Transformation <strong>von</strong> Licht entmaterialisiert, so dass das<br />

Ausgangsobjekt seinem Wesen <strong>und</strong> seiner Form nach entfremdet erscheint. Mittels<br />

der Transformation in ein Schattenbild verliert der Gegenstand seine <strong>Bedeutung</strong> <strong>und</strong><br />

reduziert sich zu einem abstrakten Zeichen, hier zu Kreisen mit jeweils einem<br />

schwarzen oder weißen Zentrum. Auch wenn die Schattenbilder in ihrer Kreisform<br />

auf dem ersten Blick gleichförmig erscheinen, unterscheidet sich auf den zweiten<br />

Blick jedes Schattenbild durch feine Nuancierungen im Hell-Dunkel Bereich vom<br />

anderen.<br />

Während die Kreise der rechten Reihe jeweils ein helles Zentrum aufweisen, das<br />

zum Rand hin dunkler wird, verkehren sich die Tonwerte entsprechend bei der linken<br />

Reihe. Rechts sind die Zentren <strong>von</strong> einem feinen weißen Lichtband umgrenzt,<br />

dagegen verwischen sich links die Grenzen <strong>und</strong> werden teilweise überdeckt.<br />

Neusüss, der die Fotopapiere immer wieder variiert, nimmt hier Autoreveralpapier,<br />

auf dessen grauem Fond die Kreise der rechten Reihe fast körperlos zu schweben<br />

scheinen. Bei der linken Reihe scheint sich das äußere Lichtband mit dem Fond zu<br />

verbinden. Mit den Möglichkeiten des Fotogramms visualisiert Neusüss hier in<br />

anderer Weise die Figur-Gr<strong>und</strong>-Thematik.<br />

In anderer Weise als bei Neusüss verbindet der Kreis als zentrales<br />

Gestaltungselement die Fotogramme <strong>von</strong> Adam Fuss. 2003 wurde <strong>von</strong> Fuss das<br />

Fotogramm „Untitled“ <strong>von</strong> 1990 erworben. Hier scheint sich ein blau-violetter<br />

Farbraum spiralförmig in einen räumlich ungeahnt tiefen lichterfüllten Raum zu<br />

öffnen. Naturhafte Bezüge, wie ein Lichtfleck auf einer Wasseroberfläche oder <strong>von</strong><br />

einem Zentrum ausgehende Wellenbewegungen stellen sich bei dieser Arbeit<br />

ebenso ein wie jenseitige metaphysische Erfahrungen. So vieldeutig diese Arbeit ist,<br />

so verblüffend einfach ist der Entstehungsprozess dieser sogenannten “circular<br />

forms”, den seine Galerie wie folgt beschreibt: „produced by a flashlight suspended<br />

from a ceiling and allowed to swing in ever decreasing circles towards the center of a<br />

large sheet of photographic paper. Hued gels covering the lens of the flashlight<br />

determine the colors of the spirals.“ 4 Demnach lässt Fuss eine Lichtquelle mit<br />

3 Vgl. Hierzu:<br />

4 Adam Fuss: Works 1985-2002. Circular forms. www.fraenkelgallery.com/exhibitions/e_fuss_circ.html. Zugriff<br />

am 22.4.2004.<br />

2


eingefärbten Linsen in abfallender Bewegung auf ausgebreitetes Fotopapier<br />

schwingen.<br />

2) Rhythmogramme<br />

Fuss, der als innovatives Moment die Möglichkeiten der Farbfotografie einbezieht,<br />

steht mit diesem Fotogramm im Kontext der Fotografien <strong>von</strong><br />

Lichtpendelbewegungen, mit denen Peter Keetman <strong>und</strong> Heinrich Heidersberger<br />

bekannt geworden sind. In der Sammlung sind sie jeweils mit einer Fotografie<br />

vertreten. In Form <strong>von</strong> Schwingungsfiguren visualisieren diese Bewegungen <strong>und</strong><br />

Spuren <strong>von</strong> Licht als räumliche Erscheinung. Unmittelbar nach dem Krieg, 1949,<br />

begann Keetman als Gründungsmitglied der Fotografengruppe „fotoform“ mit<br />

Lichtexperimenten. Dabei ging er <strong>von</strong> der Frage aus, ob die Fotografie etwas zu<br />

leisten vermag, was nur der Fotografie zu eigen ist <strong>und</strong> keiner anderen Technik -<br />

keiner Malerei, Zeichnung <strong>und</strong> Grafik. So begann er „Bewegungsvorgänge, die das<br />

Auge wohl verfolgen, aber nicht aufzeichnen kann, mittels der Kamera festzuhalten.“ 5<br />

Dazu spannte er einen 1 Meter langen Draht in einen Schraubstock <strong>und</strong> befestigte<br />

eine Taschenlampe daran. Vor der frontal eingestellten Kamera ließ er den Draht<br />

zwischen Lichtquelle <strong>und</strong> geöffnetem Kameraverschluss schwingen. Die<br />

Schwingungsbewegungen erscheinen als weiße Lichtzeichnung auf schwarzem<br />

Gr<strong>und</strong>.<br />

Wie bei Keetmann beschreiben auch die <strong>von</strong> Heidersberger so benannten<br />

Rhythmogramme nur eine relativ kleine Werkgruppe in einem umfangreichen Werk,<br />

das Architektur-, Sach- <strong>und</strong> Industriefotografie umfasst. Technisches Interesse führte<br />

Heidersberger, der <strong>von</strong> 1928 bis 1931 als Maler bei Léger <strong>und</strong> Mondrian begann,<br />

1950 zu ersten Rhythmogrammen. Das sind in optische Sprache übersetzte<br />

Pendelschwingungen, die als Lichtzeichnung festhalten werden. 6 Um ebendiese<br />

Lichtbewegungen festzuhalten, stellte Heidersberger einen „Rhythmographen“ her,<br />

eine bis teilweise an die Atelierdecke reichende Apparatur, an der eine punktförmige<br />

Lichtquelle befestigt wurde. Ihre Lichtspur bannte er direkt ohne Kamera auf die<br />

fotografische Platte. Bereits vor Keetmann <strong>und</strong> Heidersberger zeichneten Alfred<br />

Gysi, Liposky u.a. aus einem wissenschaftlichen Interesse heraus solche<br />

Schwingungsfiguren fotografisch auf, um bestimmte universale Gesetzmäßigkeiten<br />

im Verlauf <strong>von</strong> Lichtbewegungen zu erforschen.<br />

3) Luminogramme<br />

Im weitesten Sinne können diese Rhythmogramme als Untergruppe dem<br />

Luminogramm zugeordnet werden. Auf der Interaktion <strong>von</strong> lichtempfindlichem Papier<br />

<strong>und</strong> Beleuchtung basierend, ist es wiederum dem Fotogramm verwandt. Während<br />

das Fotogramm im weitesten Sinne dem Gegenstand verb<strong>und</strong>en bleibt, der als<br />

verfremdetes <strong>und</strong> oftmals abstraktes, aber auch als nachvollziehbares abbildendes<br />

Motiv in Erscheinung tritt, ermöglicht das Luminogramm in seiner Konzentration auf<br />

das Licht eine gänzlich neue Bildstruktur. Gr<strong>und</strong>legende Arbeiten zum Luminogramm<br />

schuf der 1931 geborene Kilian Breier um 196o. Er ließ das Licht einer<br />

Streichholzflamme auf ausgebreitetem oder gefaltetem Fotopapier so wirken, dass<br />

feine Übergänge zwischen belichteten <strong>und</strong> unbelichteten Bereichen entstanden. In<br />

der Sammlung Ruppert ist er mit einer sogenannten „Programmierten Bildserie“ aus<br />

dem Jahr 1962 vertreten. Diese Bildserie ist aus fünf Gr<strong>und</strong>elementen -mit<br />

Streichholzflamme <strong>und</strong> diagonaler Abdeckung fotogrammatisch belichtet - in vier<br />

5 Peter Keetman in: Ungegenständliche Fotografie. Ausst.kat. Kunstgewerbemuseum Basel 1960, o. S.<br />

6 Harro Siegel: Der Photogrammist Heinrich Heidersberger (1957), www.heidersberger.de/photogrammist.htm.<br />

Zugriff am 2.4.2004.<br />

3


Variationen gelegt. Er thematisiert so graduelle Verschiebungen in der Bildwirkung<br />

<strong>und</strong> verfolgt das Konzept steter Veränderung.<br />

In diesen Zusammenhang gehören auch die in der Sammlung zu sehenden<br />

Fotogramme <strong>von</strong> Gunther Keusen. 1965 führte er systematische Experimente mit<br />

lichtempfindlichem Papier durch. 7 Beide Fotografen waren geprägt <strong>von</strong> ihrer<br />

Ausbildung bei Otto Steinert, der an der Saarbrücker Werkkunstschule lehrte. 8<br />

Daneben kam Keusen als Assistent <strong>von</strong> Oskar Holweck noch mit einer aus der<br />

Bauhaustradition entwickelten künstlerischen Gr<strong>und</strong>lehre in Berührung. Während<br />

Keusen später Saarbrücken verließ, um in Düsseldorf seine Studien fortzusetzen,<br />

fand Breier über seine Auseinandersetzung mit Licht früh Eingang in entsprechende<br />

Künstlerkreise. Zusammen mit ungegenständlich arbeitenden Künstlern wie Boris<br />

Kleint, Leo Erb, Oskar Holweck gehörte er 1957 zu den Gründungsmitgliedern der<br />

neuen gruppe saar. Sie zielte darauf, der ungegenständlichen, als fortschrittlich<br />

geltenden Kunst ein Forum zu geben. Breier <strong>und</strong> die Fotografin Monika <strong>von</strong> Boch,<br />

beide Steinert-Schüler, waren die ersten Fotografen, die in einer konstruktiv-konkret<br />

arbeitenden Künstlergruppe Aufnahme fanden. Aufbauend auf Ideen des Bauhauses<br />

widmete sich die neue gruppe saar nicht nur der strukturalen Ordnung <strong>von</strong><br />

Bildelementen, sondern sie setzte sich auch mit dem realen Licht <strong>und</strong> seinen<br />

Erscheinungen auseinander. Verbindungen entstanden Ende der 1950-er Jahre zur<br />

Düsseldorfer ZERO-Bewegung, unter deren Einfluss die neue gruppe saar einen<br />

Richtungswechsel hin zu einer materialbezogenen, eher konstruktiven Kunst<br />

vollzog. 9<br />

Im Kontext konkreter Kunst wird auch der Schweizer Fotograf René Mächler<br />

genannt. Nach ersten ungegenständlichen Fotogrammen in den 1960er Jahren<br />

entstehen 1971 erste Luminogramme, darunter „Kreuz strahlend“ aus der Sammlung<br />

Ruppert. Schärfe <strong>und</strong> Unschärfe als fotografische Bildqualitäten dialogisch<br />

gegeneinander ausspielend, erscheinen hier geometrische Formen wie Kreuze,<br />

Kreise <strong>und</strong> Quadrate als reine Licht- oder Schattenbilder. Zu den neueren Arbeiten<br />

Mächlers gehört das „Videogramm“, eine Aufnahme auf Diafilm. Hierbei arrangiert<br />

Mächler – wie es der Galerist Burkhard Arnold schreibt - auf einem Leuchtpult farbige<br />

Folien, die anschließend mit einem Videogerät aufgenommen werden. Von einem<br />

Bildschirm wird dann ein Ausschnitt mit der Kamera fotografiert <strong>und</strong> auf Ifochrome<br />

(museumsgeeignetes Farbmaterial) vergrößert. 10<br />

Ein weiteres frühes Luminogramm in der Sammlung Peter C. Ruppert stammt <strong>von</strong><br />

Roger Humbert: Luminogramm 1959, das auch den Titel „Lichtstruktur“ trägt <strong>und</strong> so<br />

auf das gr<strong>und</strong>legende Anliegen <strong>von</strong> Humbert verweist. Seine Luminogramme sind<br />

<strong>von</strong> einer technischen Formgestaltung geprägt. Formelemente wie Schablonen,<br />

Lochkarten, Stanzabfälle werden in einer Lichtquelle so komponiert, dass sie rein auf<br />

7 J.S. Schmoll gen. Eisenwerth: Experimentelle Fotografie <strong>und</strong> Fotogramme <strong>von</strong> Gunther Keusen, in: Gunther<br />

Keusen. Lichtbilder 1961-65, Köln 1999, S. 5-11.<br />

8 Otto Steinerts Schüler in Saarbrücken 1948-1959. Ausst.kat. Museum Haus Ludwig für Kunstausstellungen,<br />

Saarlouis 2003.<br />

9 Sabine Graf: Im Schnittpunkt der Kunst der Zeit – die „neue gruppe saar“, in: neue gruppe saar. Hrg. v. Claudia<br />

Maas <strong>und</strong> Michael Jähne. Institut für aktuelle Kunst im Saarland an der Hochschule der Bildenden Künste Saar,<br />

Saarbrücken 2003, S. 7–109, S. 25f. Sigurd rompza, konkrete tendenzen in der kunst der 60er jahre des 20.<br />

jahrh<strong>und</strong>erts: die gruppe saar, in: ebd., S. 119-124, s.a. . Sigurd rompza, konkrete tendenzen in der kunst der<br />

60er jahre des 20. jahrh<strong>und</strong>erts: die gruppe saar, in: 10-Zehn-X. 10 Jahre Forum konkrete Kunst. Pluralität der<br />

konkreten Kunst. 10. Erfurter Kolloquium 2003. Dokumentation der Ergebnisse <strong>von</strong> Kolloqium <strong>und</strong><br />

Ausstellung, Erfurt 2004, S. 31-35, S. 35. S.a. in focus. Kilian Breier <strong>und</strong> Floris M. Neusüss. Ausstellung in der<br />

in focus Galerie am Dom, Köln. www.germangalleries.com/in_focus/Breier_Neusüss.html. Zugriff am<br />

30.4.2004.<br />

10 Brief des Galeristen Burkhard Arnold, in focus Galerie am Dom, Köln an Peter C. Ruppert vom 20. Mai 2000.<br />

4


ihre geometrischen Strukturen reduziert werden. Die Lichtführung entmaterialisiert<br />

sie <strong>und</strong> lässt sie vibrierend <strong>und</strong> schwingend erscheinen.<br />

Als „klassisches Luminogramm“ beschreibt auch Karl Martin Holzhäuser 2003 seine<br />

sogenannte Lichtmalerei. Als Schüler <strong>von</strong> Kilian Breier begann Holzhäuser 1967 bis<br />

1969 mit sogenannten mechano-optischen Untersuchungen, Darstellungen<br />

fotografisch optischer Erscheinungen. 1983 entwickelte er die fotografische<br />

Farblichtmalerei, auch Fotografie elementar genannt. Hier wirken „die Lichtquelle,<br />

ihre Bewegung, ihre Beleuchtungsrichtung, die Geschwindigkeit (etwa der<br />

Belichtungszeit bei der herkömmlichen Fotografie gleichzusetzen)“ direkt auf das<br />

Material <strong>und</strong> erzeugen Lichtspuren. Wie Holzhäuser zu seiner Arbeit <strong>von</strong> 2003 in der<br />

Sammlung Peter C. Ruppert darlegt, arbeitet er im mechanischem Sinne mit einem<br />

sogenannten Lichtrakel, „der, ähnlich wie beim Siebdruck, hier über das fotografische<br />

Material gezogen wird. Diese Lichtrakel sind mit Tasten versehen, die nach vorher<br />

festgelegten Programmen geöffnet oder geschlossen werden. Bei geöffneter Taste<br />

kann Licht auf das Material fallen, bei geschlossener Taste bleibt das Material an<br />

dieser Stelle unbelichtet. Die einzelnen Tasten fasst er wiederum zu sogenannten<br />

„Clustern“ zusammen, so dass schmale oder breite Lichtspuren entstehen, die<br />

jedoch erst nach der Entwicklung des Bildes sichtbar werden. 11 Die Bildentstehung<br />

ist somit an ein streng kalkuliertes Programm geb<strong>und</strong>en, das nach voraus geplanten<br />

einzelnen Handlungsschritten in der Dunkelkammer abläuft.<br />

4) Chemigramme<br />

Eine primäre Form fotografischer Gestaltung <strong>und</strong> somit vergleichbar mit dem<br />

Fotogramm <strong>und</strong> dem Luminogramm ist das Chemigramm. Es basiert auf der<br />

Interaktion <strong>von</strong> lichtempfindlichem Papier mit Entwickler <strong>und</strong> Fixierbad, somit auf<br />

fotochemische Reaktionen. Als Hauptvertreter gilt der Belgier Pierre Cordier, der<br />

1956 das erste Chemigramm schuf <strong>und</strong> 1963 diesen Begriff urheberrechtlich<br />

schützen ließ. 12 Ohne je eine Aufnahme gemacht zu haben, erzeugt Cordier<br />

Chemigramme allein durch die fotochemische Behandlung <strong>und</strong> Gestaltung<br />

lichtempfindlicher Papiere in der Phase der Entwicklung <strong>und</strong> Fixierung. Für Cordier,<br />

der seine Chemigramme zwischen der Fotografie, der Malerei, der Keramik <strong>und</strong> der<br />

Gravüre lokalisiert 13 , umfasst das Wort Chemigramm gleichermaßen die Technik <strong>und</strong><br />

das resultierende Bild. Das Prinzip des Zufalls, das in seine Arbeit immer mit eingeht,<br />

erlaubt eine Vielzahl <strong>von</strong> Gestaltungsmöglichkeiten, wobei das Spektrum bei Cordier<br />

<strong>von</strong> amorphen Formgestalten bis hin zu geometrischen Strukturen reicht.<br />

5) Fotooptische Untersuchungen (generative Fotografie)<br />

1968 stellte Cordier zusammen mit Gottfried Jäger, Hein Gravenhorst <strong>und</strong> Karl-<br />

Martin Holzhäuser im Bielefelder Kunsthaus aus. Der Titel dieser Ausstellung<br />

„Generative Fotografie“ war gleichsam Programm. Die Fotografen einte ein<br />

ästhetisches Prinzip, das gekennzeichnet war durch: „Erzeugung ästhetischer<br />

Strukturen auf Gr<strong>und</strong> definierter Programme, die durch fotochemische, fotooptische<br />

oder fototechnische Operationen realisiert werden mit dem Ziel, einen optionalen <strong>und</strong><br />

funktionalen Bezug aller am Aufbau der ästhetischen Struktur beteiligten Elemente<br />

11 Karl Martin Holzhäuser: <strong>Zur</strong> Arbeit 180.9.2003, Werkbeschreibung für den Sammler Peter C. Ruppert,<br />

November 2003.<br />

12 Jäger, Gottfried: Fotografik-Lichtgrafik-Lichtmalerei. Bildgebende Fotografie. Ursprünge, Konzepte <strong>und</strong><br />

Spezifika einer Kunstform, Köln 1988, S. 218 (im folgenden Jäger 1988).<br />

13 Pierre Cordier, zit. in: Ungegenständliche Fotografie, o. S.<br />

5


zu erreichen.“ 14 Diese Richtung der Fotografie suchte logisch nachvollziehbare<br />

ästhetische Strukturen zu erzeugen <strong>und</strong> bezog sich im besonderen Maße auf Max<br />

Benses „Generativer Ästhetik“. Der Philosoph Bense, seit 1949 Ordinarius für<br />

Philosophie <strong>und</strong> Wissenschaftstheorie an der Technischen Hochschule Stuttgart,<br />

arbeitete auf dem Gebiet der mathematischen Informationsästhetik. Max Bill, mit dem<br />

er in Austausch stand, berief ihn dann an die neu gegründete Hochschule für<br />

Gestaltung in Ulm. Bense lieferte mit seiner Generativen Ästhetik für diese<br />

Fotografen, besonders Jäger <strong>und</strong> Gravenhorst, ein „Erzeugungsprinzip“, um<br />

ästhetische Zustände (innovative Ordnungen, im Sinne originaler Verteilung oder<br />

Gestaltung) über bestimmte Operationen methodisch zu erzeugen. Wie Gravenhorst<br />

es darlegt, konnte über die methodische Erzeugung ästhetischer Strukturen das<br />

hervorgerufen werden, „war wir `Ordnungen` <strong>und</strong> `Komplexität` makroästhetisch <strong>und</strong><br />

`Red<strong>und</strong>anzen` <strong>und</strong> `Information` mikroästhetisch an Kunstwerken wahrnehmen.“ 15<br />

Die generative Fotografie betonte das generierende, das Bild erzeugende Element<br />

der Fotografie <strong>und</strong> konzentrierte sich dabei besonders auf ihren zeichengebenden<br />

bzw. semiotischen Charakter, insofern das fotografische Bild auf seine Eigenschaften<br />

selber Bezug nimmt. Fotochemische, fotooptische Versuchsanordnungen oder<br />

fototechnische Operationen ersetzen das Experiment, wobei die Entstehung des<br />

Bildes einem rational begründeten <strong>und</strong> logisch nachvollziehbaren Programm folgt,<br />

das über die einzelnen Entstehungsschritte des Bildes Aufschluss gibt. Es entstehen<br />

keine Einzelbilder mehr, sondern jedes Bild ist das Ergebnis einer bestimmten<br />

Operation. So zeigen die beiden Lochblendenstrukturen <strong>von</strong> Gottfried Jäger aus dem<br />

Jahr 1967 jeweils zwei unterschiedliche Stadien in der Überlagerung <strong>von</strong><br />

Lochblendenmustern. Hierbei wird das Elementarzeichen der Lochblende, das<br />

bereits die Lochkamera (=camera obscura) als einfaches optisches Zeichen selber<br />

hervorbringt, Schritt für Schritt zu einer Struktureinheit höherer Ordnung<br />

transformiert. Im Sinne des Generativen wird hier ein Bild vom Einfachen zum<br />

Komplexen fortschreitend konstituiert, was auch als Prozess der zunehmenden<br />

formalen Anreicherung bzw. zeichenhaften Verdichtung beschrieben werden kann.<br />

Dieser Prozess kann an bestimmten Stellen unterbrochen werden, wofür die beiden<br />

Bilder aus der Sammlung ein Beispiel sind.<br />

Auf eine sogenannte fotomechanische Transformation beruht das als „Mondelement“<br />

bezeichnete Bild <strong>von</strong> Hein Gravenhorst in der Sammlung Peter C. Ruppert. Wie<br />

Gravenhorst es dargelegt hat, gibt es bei diesem Verfahren mehrere Möglichkeiten,<br />

ästhetische Zustände methodisch in Form eines Programmes zu erzeugen. Bei<br />

diesem Bild ist eine zentralsymmetrische Elementar-Struktur durch fotomechanische<br />

Rotation in eine spiralförmige Struktur überführt (=transformiert) worden.<br />

Anschließend ist durch eine weitere Transformation eine Kontrastverstärkung hin zu<br />

einer präzisierten Schwarz/Weiß Verteilung erreicht. Interessant wäre beispielsweise<br />

ein Vergleich der Arbeiten Gravenhorsts, die über die fotomechanische Rotation<br />

auch Scheinbewegungen erzeugen <strong>und</strong> den Arbeiten Ludwig Wildings.<br />

Zwischen Fotografie <strong>und</strong> Bild - Grenzbereiche der Fotografie<br />

Diese auf Verwissenschaftlichung <strong>und</strong> exakt rationale Bildproduktion konzentrierte<br />

Richtung markierte einen scharfen Bruch mit der experimentellen Fotografie eines<br />

Chargesheimer, Heinz Hajek Halke, Peter Keetman <strong>und</strong> der <strong>von</strong> Otto Steinert<br />

14 Jäger, Gottfried: Generative Fotografie (1969), in: Wolfgang Kemp: Theorie der Fotografie III 1945-1980,<br />

München 1999 (Erstausgabe 1983), S. 154-158, hier S. 154.<br />

15 Hein Gravenhorst, in: Generative Fotografie. Mappe mit insgesamt 16 Einzel-Bildblättern <strong>und</strong> insgesamt 10<br />

Textseiten, Bielefeld (o. J.), o. S.<br />

6


geprägten Richtung der sogenannten subjektiven Fotografie der Nachkriegszeit. Den<br />

konzeptuellen Ansatz einer Medienreflexion in gewisser Weise vorausnehmend 16 ,<br />

haben die generativen Fotografen ästhetische oder zeichenhafte Strukturen<br />

entwickelt, um eben die Frage nach dem fotografischem Bild als solchem visuell<br />

anschaulich zu machen.<br />

Dennoch war die subjektive Fotografie, die im Unterschied zu einer vermeintlich<br />

objektiven Fotografie den durch das Subjekt gefilterten Blick auf die Welt hervorhob<br />

nicht nur wesentlich für die Wiederentdeckung der fotografischen Avantgarde der<br />

1920er Jahre, sondern auch für die neuerliche Hinwendung zum fotografischen<br />

Experiment <strong>und</strong> zu frühen Abstraktionstendenzen im Sinne einer autonomen,<br />

bildgestaltenden Fotografie. Zu den Vertretern der sujektiven Fotografie gehören<br />

nicht nur unmittelbar Peter Keetman <strong>und</strong> Halke, sondern auch als Steinerts Schüler<br />

Gunther Keusen <strong>und</strong> Kilian Breier. Auch Pierre Cordier, der einen Studienaufenthalt<br />

bei Steinert verbrachte <strong>und</strong> erste Chemigramme in Rahmen der subjektiven<br />

Fotografie ausstellte, ist <strong>von</strong> diesen Tendenzen geprägt. Steinert, der eine<br />

Durchdringung <strong>von</strong> äußerer <strong>und</strong> innerer Welt anstrebte, schärfte den Blick für die<br />

mechanischen <strong>und</strong> formalen Aspekte der Bildgestaltung, wobei sich für ihn in der<br />

formal-abstrakten Umsetzung eines Motivs in eine geometrische Konstruktion ein<br />

Höchstmaß an Subjektivität offenbarte. (Steinert, subjektive Fotografie, S. 154f.)<br />

Ohne hier genauer auf Steinert <strong>und</strong> seine Wirkung auf eine nachfolgende<br />

Fotografengeneration eingehen zu wollen, sei dennoch festzuhalten: Der<br />

experimentelle Umgang mit der Fotografie <strong>und</strong> ihren medialen Bedingungen<br />

ermöglichte nicht nur die Loslösung <strong>von</strong> der Kamera, sondern lenkte in Folge den<br />

Blick auch auf einzelne Werkprozesse, so die Belichtung oder die Entwicklung.<br />

Jäger zählt die oben aufgeführten Fotografen zu einer bildgebenden Richtung der<br />

Fotografie, die sich durch einen freien kompositorischen, d.h. in gewisser Weise auch<br />

künstlerisch-schaffendem Umgang mit dem fotografischen Material auszeichne.<br />

Zwangsläufig verunklärt sich hier die Grenze zwischen der Fotografie <strong>und</strong> einem mit<br />

fotografischen Mitteln hergestellten Bild. Dass diese Grenzüberschreitung durchaus<br />

intendiert sein kann, belegen Äußerungen einzelner Fotografen. Für Cordier<br />

überschreitet das Chemigramm die Grenzen zur Malerei <strong>und</strong> auch ein Fotograf wie<br />

Roger Humbert strebte an, aus Fotografien Bilder zu machen, „die er als echtes<br />

Gegenstück zur heutigen Malerei gesehen haben will“. 17 Diese Tendenz, Bilder<br />

mittels fotografischer Techniken <strong>und</strong> Materialien zu erzeugen, sieht Helmut Friedell<br />

auch bei Nikolaus Koliusis als gegeben. 18 Das heißt letztendlich auch, dass die<br />

Fotografie bzw. die fotografische Technik bei einigen der hier vorgestellten<br />

Fotografen zunehmend eine sozusagen „dienende“ Funktion einnimmt, wie es<br />

Nikolaus Koliusis formuliert hat: „Ich bediene mich der fotografischen Prozesse,<br />

Apparaturen <strong>und</strong> Materialien, um Aufschlüsse über ihre Funktions- <strong>und</strong><br />

Wirkungsweise zu erhalten“. 19 Dabei geht er zum einen konzeptuell vor, indem er<br />

beispielsweise zeigt, dass verschiedene Fotolabors bei einem Negativ<br />

unterschiedliche Weißtöne erzielen, zum anderen konzentriert er sich zunehmend<br />

16 Für Lemagny markiert der Fotograf Cordier den Endpunkt einer konzeptuell verfahrenden Fotografie, bei der<br />

nach dem fotografischem Bild als solchem gefragt wird. Jean-Claude Lemagny: Kreative Fotografie in Europa.<br />

Ein Vorschlag zur Klassifikation ihrer zeitgenössischen Tendenzen (1980), in Kemp III, 1999 (s. Anmerk. ), S.<br />

289-293, S. 290f.<br />

17 Roger Humberts Lichtstrukturen. Text <strong>von</strong> Gert A. Haisch. Eigene Publikation. Kein Erscheinungsort <strong>und</strong> –<br />

jahr (1965), o. S.<br />

18 Helmut Friedel: Nikolaus Koliusis Fotografie - Das ausschnitthafte, erweiterte Bild, in: Nikolaus Koliusis.<br />

Zwischen-Raum. Ausst.kat. Galerie der <strong>Stadt</strong> Stuttgart 1996, Ostfildern-Ruit 1996, S. 21f, S. 21.<br />

19 Koliusis, zit. nach ebd., S. 21.<br />

7


stärker auf die Wirkung, die fotospezifische Materialien, wie transparente Filterfolien,<br />

auf die Wahrnehmung des Betrachters haben können.<br />

6) Künstlerische Fotografie<br />

Neben diesen Fotografen, die sich – <strong>von</strong> einer fotografischen Ausbildung ausgehend<br />

- mit den Möglichkeiten <strong>und</strong> Bedingungen des fotografischen Bildes<br />

auseinandersetzen - ist mit Dóra Maurer eine Künstlerin in der Sammlung vertreten,<br />

die innerhalb ihres vielschichtigen Werkes zur konkreten Kunst <strong>von</strong> einem Medium in<br />

das andere übergeht <strong>und</strong> sowohl mit Film als auch mit Fotografie experimentiert. 20<br />

Sie nimmt <strong>von</strong> daher in der Sammlung <strong>und</strong> auch in der konkreten Fotografie eine<br />

Sonderstellung ein. Begonnen hat sie mit Fotogrammen <strong>und</strong> der fotografischen<br />

Untersuchung umkehrbarer Bewegungsabläufe. 21 Fotografie nutzt sie – wie sie sagt<br />

– als Hilfsmittel, aber auch als Medium, um ein Thema zu erforschen <strong>und</strong> zu<br />

untersuchen. 22 In diesem Sinne ist die Fotografie eine Gr<strong>und</strong>lage, auf der sie mit<br />

künstlerischen Mitteln aufzubauen sucht. So basiert die Collage „Gemischte<br />

räumliche Verhältnisse IV, Nr. 8“ <strong>von</strong> 1993/96 aus der Sammlung Ruppert auf einer<br />

Schwarz-Weiß Fotografie, die –auf den Bildträger aufgeklebt – mit ihren Raumlinien<br />

gleichsam den Ausgangspunkt bildet für die weitere bildkünstlerische Bearbeitung mit<br />

Bleistift <strong>und</strong> Gouache. Mit Gouache werden die fotografisch fixierten Raumlinien<br />

farbig überzeichnet, erweitert <strong>und</strong> netzartig mit in die Fläche projizierten,<br />

verschiedenfarbigen Rastern überlagert. Ebenso wie in der Malerei folgt sie auch in<br />

der Fotografie ihrem Konzept der Untersuchung räumlicher Strukturen, die sie durch<br />

Überlagerungen mit farbigen Rastern, Projektionen, Verschiebungen ins Irrationale<br />

transformiert. Ähnlich wie bei Maurer, ist auch bei Ryszard Wasko <strong>und</strong> Aleksander<br />

Konstantinov der unbelichtete Filmstreifen bzw. das Foto- Negativ Ausgangspunkt für<br />

eine weitergehende künstlerische Gestaltung oder auch manuelle Bearbeitung,<br />

wobei jedoch eine spezifische mediale Fähigkeit oder Qualität des Fotos - bei<br />

Konstantinov die Transparenz des Negativs - durchaus gesucht wird. In den Arbeiten<br />

zum „broken film“ geht es Wasko im wesentlichen darum, das lineare Zeit- <strong>und</strong><br />

Raum-Kontinuum des Films durch den Einbezug anderer Medien aufzubrechen.<br />

In anderer Weise hat die Fotografie für die Österreicherin Inge Dick, die noch in die<br />

Sammlung Aufnahme finden wird, die ihre Malerei ergänzt <strong>und</strong> auch erweitert. Ihre<br />

Auseinandersetzung mit Licht <strong>und</strong> Lichtqualität hat eine wesentliche Verstärkung in<br />

den Farbwerten der Fotos gef<strong>und</strong>en. Darüber hinaus führte sie die Fotografie nach<br />

ihren Worten zu der neuen „Dimension der Zeit“. 23<br />

Zu den konkret-konstruktiven Künstler, die auch mit Fotografie arbeiten bzw.<br />

gearbeitet haben, gehören neben Maurer u.a. auch die aus der Tradition des<br />

Bauhaus` kommende Künstlerin Martha Höpfner <strong>und</strong> Francesco Infante. Auch <strong>von</strong><br />

Künstlern wie Victor Vasarely, Pol Bury, Klaus Staudt <strong>und</strong> sigurd rompza sind<br />

einzelne Fotogramme bzw. Fotografien überliefert, die jedoch immer in Bezug zu<br />

ihrem künstlerischen Werk stehen.<br />

Zusammenfassend gesagt, umfasst die Sammlung Ruppert Fotografien <strong>und</strong><br />

künstlerisch erweiterte Fotoarbeiten, die unterschiedlichen Werkkontexten<br />

20 Dieter Ronte, Beke László, Dóra Maurer. Arbeiten 1970-1993. Ausst.kat. Budapest 1994.<br />

21 Daneben hat Dóra Maurer auch ein Buch über das Fotogramm verfasst <strong>und</strong> Fotografie in Budapest<br />

unterrichtet.<br />

22 Dóra Maurer im Gespräch mit der Autorin am 6. Mai 2004 in Würzburg.<br />

23 Inge Dick, zit. in: Karo Dame. Konstruktive, Konkrete <strong>und</strong> Radikale Kunst <strong>von</strong> Frauen <strong>von</strong> 1914 bis heute.<br />

Hrsg. v. Beat Wismer. Ausst.kat. Aargauer Kunsthaus, Aarau, Baden 1995, S. 344. Inge Dick arbeitet als einzige<br />

der hier vorgestellten zeitgenössischen Künstlerinnen mit Fotografie.<br />

8


entstammen. Während sich Maurers oder auch Dicks Umgang mit der Fotografie<br />

ideengeschichtlich aus ihrem Werk zur konkreten Kunst herleiten, stehen die<br />

Arbeiten <strong>von</strong> Fuss, Neusüss, Keetman <strong>und</strong> auch die der generativen Fotografen in<br />

einem fotogeschichtlichen Zusammenhang, der sich in der Auseinandersetzung mit<br />

den gestalterischen Möglichkeiten mit Licht bis in die 1920er Jahre zurückverfolgen<br />

lässt.<br />

II. Zum Begriff des Konkreten in der Fotografie<br />

Mit der Erweiterung der konkreten Kunst um Fotografie hat die Sammlung ein Terrain<br />

betreten, das bis heute theoretisch <strong>und</strong> wissenschaftlich kaum erschlossen ist. Als<br />

schwierig erweist sich zunächst die Abgrenzung gegen andere, nicht unumstrittene<br />

Begrifflichkeiten wie experimentelle, ungegenständliche, abstrakte oder konstruktive<br />

Fotografie, wobei unter letzterem sowohl die Luminogramme Mächlers als auch die<br />

generative Fotografie firmierten. Versteht man Konstruktion als eine auf einzelnen<br />

Handlungsschritten aufbauende Methode, erscheint dieser Begriff durchaus<br />

sprechend. Ein neuerer Begriff ist der der neuen Reduktion, der <strong>von</strong> der Fotografie<br />

als einem Informations- <strong>und</strong> Kommunikationsmedium ausgeht. 24 Dabei geht es im<br />

wesentlich darum, im Verfahren der Reduktion die reine Form des Mediums im<br />

Endergebnis freizulegen. 25 Vorgestellt wurden in der Grazer Ausstellung u.a. auch<br />

die auf reine Farbentwicklungsprozesse konzentrierten „Acrylics“ <strong>von</strong> Robert Davies,<br />

der <strong>von</strong> Jäger auch als konkret arbeitender Künstler betrachtet wird.<br />

Bis auf Dóra Maurer waren die in der Sammlung vertretenen Fotografen in<br />

Ausstellungen zur ungegenständlichen oder abstrakten Fotografie zu sehen.<br />

Mächler, Humbert, Keetman, Heidersberger wurden 1960 in der Basler Ausstellung<br />

„ungegenständliche Fotografie“ vorgestellt. Diese versammelte Fotografen, die in<br />

Kenntnis der fotografischen Mittel mittels der Kamera neue Wege in der Gestaltung<br />

ungegenständlicher fotografischer Ausdruckswerte beschritten. (Vorwort zur<br />

Ausstellung). Das, was in dieser Ausstellung als ungegenständlich galt, summiert<br />

Jäger in seiner zuletzt herausgegebenen Publikation „Abstrakte Fotografie“ unter den<br />

Sammelbegriff der abstrakten Fotografie, da diese Fotografie vom Gegenstand<br />

abstrahiere, diesen verfremde <strong>und</strong> es dabei letztlich auch um die Genese „nichtgegenständlicher<br />

fotografischer Bildstrukturen“ gehe. 26 Jäger unterscheidet hier<br />

zwischen verschiedenen Gruppen ungegenständlicher Fotografie. Die konkrete oder<br />

absolute Fotografie fasst er als Untergruppe, aber auch Erweiterung abstrakter<br />

Fotografie, insofern sich hier, so seine Begründung, die Fotografie mit sich selbst<br />

befasst, mit ihren eigenen technischen Mitteln z. B. mit dem Fotoprozess <strong>und</strong> sich<br />

“<strong>von</strong> einer fotografischen, bildaufzeichnenden, zu einer fotogenen, bilderzeugenden<br />

Kunstform (Hervorhebungen des Verfassers)“ wandele. In diesem Sinne könne die<br />

generative Fotografie auch als konkret oder absolut bezeichnet werden. 27 Im<br />

Unterschied zu 1960 verlagert sich der Akzent <strong>von</strong> den fotografischer Mitteln hin zum<br />

Entstehungsprozess des fotografischen Bildes, auf die Interaktion <strong>von</strong> Licht <strong>und</strong><br />

Papier, Papieren <strong>und</strong> chemischer Substanz.<br />

24 Rethinking Photography I. Narration <strong>und</strong> neue Reduktion in der Fotografie. Ausstellung Forum <strong>Stadt</strong>park<br />

Graz 2002, s.a. die gleichnamige Publikation. Hrsg. v. Ruth Horak, Salzburg 2003 (fotohof edition<br />

Band 3).<br />

25 Boris Groys im Faltblatt zur Ausstellung „Rethinking Photography I.<br />

26 Gottfried Jäger, Die Kunst der abstrakten Fotografie, in: derselbe (Hrsg.): Die Kunst der abstrakten<br />

Fotografie, Stuttgart 2002, S. 11-72, S. 11. Vgl. hierzu auch die Kritik des renommierten Fotohistorikers Herbert<br />

Molderings an der Begrifflichkeit, ebd., S. 268f.<br />

27 Ebd. S.13.<br />

9


Bislang finden sich in der Literatur zur konkreten Kunst nur wenig Hinweise darauf,<br />

was genau unter konkrete Fotografie zu verstehen ist. In den 1960er Jahren fanden<br />

einzelne Vertreter, so Hein Gravenhorst, René Mächler <strong>und</strong> Roger Humbert,<br />

Aufnahme in Ausstellungen zur konkreten Kunst. 28 Nur zögernd öffnen sich bis heute<br />

auf konkrete Kunst spezialisierte Institutionen wie das Museum für konkrete Kunst in<br />

Ingolstadt oder Galerien der Fotografie 29 <strong>und</strong> bislang fanden nur wenige Fotografen<br />

Aufnahme in Sammlungen <strong>und</strong> Ausstellungen konkreter Kunst 30 , darunter Inge Dick<br />

<strong>und</strong> auch Nikolaus Koliusis. 31 1995 wurde letzterer mit seinen raumbezogenen<br />

Filterfolien in der Stiftung für konkrete Kunst in Reutlingen <strong>und</strong> im Espace de l` Art<br />

Concrète, Chateau de Mouans-Sartoux in Frankreich ausgestellt. Koliusis reflektiert<br />

zwar die Bedingungen des Mediums, doch geht er mit seinen neueren Arbeiten einen<br />

Schritt weiter, indem er sich explizit auf die Wahrnehmung <strong>und</strong><br />

„Wahrnehmungsmechanismen“ bezieht: „Indem ich mit diesen Eigenschaften (den<br />

medialen der Fotografie, d. Verf.) unabhängig <strong>von</strong> ihrer konventionellen Verwendung<br />

umgehe (d.h. auch, dass ich meine Arbeiten nicht als `Verfremdung` verstehe),<br />

versuche ich, deren Qualitäten in Bezug auf Wahrnehmungsmechanismen<br />

anschaulich zu machen.“ 32<br />

In einer weitgehend <strong>von</strong> Malern geführten Diskussion um konkrete Kunst spielte die<br />

Fotografie lange keine Rolle. Erst die seit den 1960er Jahren erfolgte Ausweitung der<br />

Diskussion in Hinblick auf bildkünstlerische Lösungen, die den eng gefassten<br />

Rahmen einer <strong>von</strong> van Doesburg <strong>und</strong> den Schweizer Konkreten bestimmten<br />

Richtung überschreiten, scheint den Blick auch für die Fotografie geschärft zu haben.<br />

Doch die Annäherung an dieses Medium ist weitgehend <strong>von</strong> Begriffen, Vorbildern<br />

<strong>und</strong> Vergleichen aus <strong>und</strong> mit der Kunst geprägt. Das spezielle Wesen der Fotografie<br />

wird hierbei nur wenig berücksichtigt. Als konkret gelten Fotografen, die 1. einen<br />

biographischen Bezug zur konkreten Kunst im weitesten Sinne aufweisen <strong>und</strong><br />

entsprechende Gestaltungsweisen ausgebildet haben, wie Kilian Breier oder René<br />

Mächler <strong>und</strong> 2. Fotografen, deren Werke in ihrer geometrisch-konstruktiven Formoder<br />

Farbgestalt vermeintliche Bezüge zu wichtigen Vertretern der konkreten Kunst<br />

aufweisen. Auszugsweise <strong>und</strong> kursorisch seien hier einige Einordnungsversuche<br />

aufgeführt. Für den Kunsthistoriker Helmert-Corvey weisen besonders Karl Martin<br />

Holzhäusers frühe, im Kontext der generativen Fotografie entstandenen Fotografien,<br />

aber auch seine späteren farbigen Lichtmalereien Bezüge zur konkreten Kunst auf,<br />

wobei die Lichtmalereien in ihrer Farbdifferenzierung eher dem Einfluss <strong>von</strong> Josef<br />

Albers, aber auch der analytischen Hard-Edge-Malerei verpflichtet seien. 33 Auch<br />

Christiane Richter als Vertreterin einer ungegenständlichen Fotokunst der Farbe gilt<br />

der konkreten bzw. der konkreten Tradition nahestehend. Sie bearbeite in ihren<br />

Farbfotografien das, so die Begründung, „wofür Josef Albers in seiner<br />

28 Beteiligung <strong>von</strong> Hein Gravenhorst an den Ausstellungen „Konkrete Grafik – Texte“, Emden 1965,<br />

„international concrete art“, Jihlava (CSSR), 1968, Konkrete Fotografie, Galerie Actuell, Bern, 1968, u.a. mit<br />

René Mächler,<br />

29 Neben der Ausstellung einzelner Vertreter fand 1997 eine Gruppenausstellung zur konkreten Fotografie in<br />

der Galerie am Dom in Köln. Der Inhaber der Galerie vermittelte viele der in der Sammlung Peter C. Ruppert<br />

vertretenen Fotografien.<br />

30<br />

31 Den mit Honegger befre<strong>und</strong>ete Künstler sieht Jäger 1986 noch im Kontext der sogenannten generativen<br />

Fotografen, Jäger, Generative Fotografie III. Ein systematisch-konstruktiver Weg (1986), in: Fotoästhetik 1991<br />

s. Anmerk., S. 5-70, S. 59.<br />

32 Nikolaus Koliusis, Raum – Zeit – Fotografie, in: Gegen die Indifferenz der Fotografie. Die Bielefelder<br />

Symposien über Fotografie 199-1985, Bielefeld 1986, S. 273.<br />

33 Theodor Helmert-Corvey: Konkrete Gesten, in: Karl Martin Holzhäuser. Konkrete Gesten. Lichtmalerei<br />

zwischen Konstruktion <strong>und</strong> Informel. Ausst.kat. Daniel-Pöppelmann-Haus Herford, Bielefeld 1995, S. 5-32, S.<br />

5f.<br />

10


Veröffentlichung 1963 den Terminus `Interaction of Color` prägte.“ 34 Neben Albers<br />

werden als einflussreiche Vorbilder auch die amerikanischen Maler Marc Rothko <strong>und</strong><br />

Barnett Newman bemüht. Dieser Bezug auf eine Malerei, die sich <strong>von</strong> einer<br />

europäischen Tradition abzugrenzen suchte, erscheint jedoch ebenso wenig haltbar,<br />

wie die Gleichsetzung <strong>von</strong> Farbe in der Malerei <strong>und</strong> Farbe in der Fotografie. Anders<br />

als die Malerei, die Ölfarben so mischt <strong>und</strong> abwandelt, dass gänzlich neue<br />

Farbnuancen <strong>und</strong> –töne entstehen können, folgt die Farbigkeit in der Farbfotografie<br />

der technisch bedingten Logik der Spektralfarben des Regenbogens. Die Farbtöne<br />

sind an diese <strong>und</strong> ein industriell normiertes Farbsystem geb<strong>und</strong>en, also an die<br />

fotografischen Gr<strong>und</strong>farben yellow, magenta <strong>und</strong> cyan. Die Farbigkeit ist einerseits<br />

industriell vorgegeben, andererseits ist auch diese spezifische <strong>von</strong> den<br />

Spektralfarben bestimmte Farbigkeit ein Spezifikum, die mit Malerei im klassischen<br />

Sinne nur schwer verglichen werden kann.<br />

Eine eher fragwürdige Definition <strong>von</strong> konkreter Fotografie legte auch Peter Volkwein,<br />

der verstorbene Direktor des Museums für konkrete Kunst in Ingolstadt, 1999 in<br />

seiner Einführung zum Werk <strong>von</strong> Sabine Richter dar. Richter, die <strong>von</strong><br />

Architekturformen, also Gegenstandsbezügen ausgeht <strong>und</strong> diese so abstrahiert, das<br />

ihre geometrische Strukturen das fotografische Bild bestimmen, wandelt, so Volkwein<br />

„Realitätsbezüge durch Abstraktion in konkrete Bildelemente um.“ 35 Lässt man außer<br />

acht, dass Volkwein Max Bills Definition sehr weit auslegt, wäre bei Richter auch<br />

eine Lesart möglich, die ihre Fotografien in Bezug setzt zur Tradition der subjektiven<br />

Fotografie, insofern sie das Motiv so abstrahiert <strong>und</strong> verfremdet, das es als reine<br />

geometrische Konstruktion in Erscheinung tritt. Erste Anfänge konkreter<br />

Gestaltungen sieht Volkwein – wie er weiter darlegt - bereits in den Fotogrammen<br />

<strong>von</strong> Moholy-Nagy, da dieser systematisch <strong>und</strong> methodisch vorgehe <strong>und</strong> bereits die<br />

spezifischen fotografischen Gesetze <strong>und</strong> Methoden, die sich aus der<br />

Wechselwirkung <strong>von</strong> lichtempfindlicher Schicht <strong>und</strong> Lichtwirkungen ergebe,<br />

auszuloten suche. 36<br />

In dieser Argumentation trifft sich Peter Volkwein in gewisser Weise mit Gottfried<br />

Jäger. Jäger, der als Fotograf auch mit raumplastischen Fotoarbeiten <strong>und</strong><br />

Fototheoretiker hervorgetreten ist, ist bestrebt, eine eigenständige Richtung<br />

konkreter Fotografie zu konstituieren. 1988 spricht er erstmals <strong>von</strong> konkreter<br />

Fotografie. Die generative Fotografie könne auch als konkret bezeichnet werden 37 ,<br />

da sie „eine Art visueller Gr<strong>und</strong>lagenforschung“ betreibe <strong>und</strong> ihr spezifischer<br />

Charakter „in der Bevorzugung systematisch-konstruktiver Mittel“ liege. Ist diese<br />

Zuordnung zunächst noch auf die generativen Fotografen beschränkt, weitet er diese<br />

Begrifflichkeit zunehmend aus. In seinem 1990 überarbeiteten Aufsatz „Konkrete<br />

Fotografie <strong>und</strong> konstruktive Konzepte“ zählt er auch Heinz Hajek Halkes letzte<br />

Arbeiten zur konkreten Fotografie, „die nichts will, als die Verwirklichung ihrer<br />

ureigenen Idee, das Phänomen des flüchtigen Lichts auf anschauliche Weise zu<br />

fixieren.“ 38 Jäger beruft sich zwar auf Theo van Doesburg als Begründer dieser<br />

Begrifflichkeit an, doch legt er ihn sehr abgekürzt aus. Der historische Kontext für die<br />

Entstehung dieser Begrifflichkeit wird ebenso wenig reflektiert wie der<br />

geistesgeschichtliche Zusammenhang. Während van Doesburg eine mathematisch<br />

vorgehende Gestaltungsweise für unabdingbar hält, hat die Gestaltung des Lichts<br />

34 Michael Köhler: Das ungegenständliche Lichtbild heute, in: Abstrakte Fotografie, a.a.O., S. 227.<br />

35 Kritiklos folgt Anita Unterholzer dieser Argumentation in ihrem statement zur konkreten Fotografie ....<br />

36 Peter Volkwein, Sabine Richter. Einführung zur Ausstellung in die Werkstattgalerie Friege 1999,<br />

www.richter-sabine.de/content_volkwein.html. Zugriff am 4.5.2004.<br />

37 Jäger 1988, S. 56.<br />

38 Jäger 1982/90, S. 92.<br />

11


nach neueren Ausführungen nicht zwingend systematisch <strong>und</strong> methodisch zu<br />

erfolgen. Sie könne also auch freie oder „spontane“ Bildgestaltungen informeller<br />

Gestaltungen umfassen. 2003 definiert Jäger konkrete Fotografie eher vage als eine<br />

Fotografie, „die sich selbst genügt, die zu sich selber findet, die nichts als sich selber<br />

darstellen will. Es ist eine Fotografie der Fotografie (...), die Elemente <strong>und</strong><br />

Gr<strong>und</strong>strukturen der Fotografie frei <strong>und</strong> offenlegt...“ 39 Es bleibt offen, worin die<br />

Selbstgenügsamkeit besteht, ob hiermit allein die generativen Fotografien <strong>und</strong> neuen<br />

Reduktiven gemeint sind oder ob er die Anfänge bereits in den Lichtgestaltungen <strong>von</strong><br />

Moholy-Nagy sieht.<br />

<strong>Zur</strong> Klärung der Begrifflichkeiten sei an dieser Stelle kurz auf van Doesburg <strong>und</strong> Max<br />

Bill verwiesen, deren Theorie <strong>und</strong> Definitionen bei der Bestimmung konkreter<br />

Fotografie oder Fotoarbeiten immer wieder angeführt werden. Am Ende seines<br />

Lebens <strong>und</strong> quasi als Resümee seiner vorangegangenen Auseinandersetzung mit<br />

elementarer <strong>und</strong> abstrakter Kunst sprach Theo van Doesburg 1930 im Zuge der<br />

Gründung der nur kurzlebigen Gruppe „Art concret“ erstmals <strong>von</strong> konkreter Kunst. In<br />

ersten <strong>und</strong> einzigen Nummer der Zeitschrift „Art concret“ präzisierte <strong>und</strong><br />

veröffentlichte er dazu eine kurze Definition <strong>und</strong> eine Anleitung zur Entstehung eines<br />

konkreten Gemäldes. 40 Theo van Doesburg, der sich in seinem Gesamtwerk vor<br />

allem auf die gesellschaftlich bedeutsamere Architektur konzentrierte, bezieht sich<br />

hier explizit auf die Malerei <strong>und</strong> auf ihr wesentliches Element, die Farbe. In<br />

Abgrenzung zu den abstrakten Ismen seiner Zeit betonte er die Eigenständigkeit der<br />

Malerei als Ausdruck geistiger Schöpfung. Konkretisierung im Sinne van Doesburgs<br />

bedeutete die <strong>Zur</strong>ückführung des Bildes auf seine konkreten Eigenschaften <strong>und</strong><br />

Elemente: die bildnerischen Mittel Form <strong>und</strong> Farbe sowie die medialen Bedingungen<br />

ihrer Erscheinung: Fläche <strong>und</strong> Rahmen bzw. Zweidimensionalität <strong>und</strong> rechteckige<br />

Begrenzung. Konkrete Kunst beinhaltete für van Doesburg das gesetzmäßige<br />

Konstruieren unter Ausschaltung der Intuition sowie die Entwicklung einer<br />

mathematischen, kontrollierbaren <strong>und</strong> allgemeingültigen Form. Hiermir hat van<br />

Doesburg der konkreten Kunst einen Weg gewiesen, die für rompza aus heutiger<br />

Sicht jedoch in eine „Sackgasse“ führt, wenn „<strong>von</strong> künstlern mathematische<br />

operationsmodelle, bzw. geometrische elementarformen in künstlerischen Objekten<br />

in den vordergr<strong>und</strong> gestellt (werden), ohne an diesen visuell relevante phänomene<br />

zu zeigen.“ 41<br />

Mit der Betonung der Eigenständigkeit der Malerei, die allein auf die ihr inhärenten<br />

Möglichkeiten <strong>und</strong> Mittel zurückgreift, wandte sich van Doesburg in einem Akt der<br />

Negation nicht nur gegen überkommene Bildvorstellungen, sondern grenzte diese<br />

auch gegen die Fotografie ab. Dieses gegenüber der Malerei relativ neue Medium<br />

drängte in jenen Jahren nicht nur stark in die Kunst, sondern es suchte in jenen<br />

Jahren auch nach neuen, produktiven Wegen jenseits einer abbildenden Funktion.<br />

Während van Doesburg die wesenseigenen Elemente der Malerei herausstellte,<br />

beschwor Moholy-Nagy, mit dem van Doesburg über das Bauhaus gut bekannt war,<br />

die Eigenständigkeit der Fotografie. 1925 hob er im Bauhausbuch die Möglichkeiten<br />

einer neuen Lichtgestaltung hervor, „wobei das Licht als ein neues<br />

Gestaltungsmittel, wie in der Malerei die Farbe, in der Musik der Ton, zu<br />

39 Gottfried Jäger: Konkrete Fotografie, in: Bulletin Deutsche Fotografische Akademie, 19/2003, S. 6-9, S. 9.<br />

40 Theo van Doesburg u.a.: „Die Gr<strong>und</strong>lage der konkreten Malerei“ <strong>und</strong> „Kommentar zur Gr<strong>und</strong>lage der<br />

konkreten Malerei (1930), Wiederabdruck in: Kunsttheorie im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert, Band 1, 1895-1941. Hg. <strong>von</strong><br />

Charles Harrison <strong>und</strong> Paul Wood, Ostfildern-Ruit 1998, S. 378.<br />

41 Sigurd rompza: interview mit dr. lida <strong>von</strong> mengden, in: Kunst konkret, Ausgabe 7, (Saarbrücken)<br />

2001, S. 15f, hier S. 16.<br />

12


handhaben ist. Ich nenne diese Art Lichtgestaltung Photogramm. Hier liegen<br />

Gestaltungsmöglichkeiten einer neu eroberten Materie.“ 42 Für ihn führte diese<br />

experimentelle Lichtgestaltung die Fotografie in eine produktive Richtung, wobei es<br />

darauf ankomme, die Lichtempfindlichkeit der photographischen Platte zu benützen<br />

<strong>und</strong> die <strong>von</strong> uns selbst (...) gestalteten Lichterscheinungen (...) darauf zu fixieren.“<br />

Doch wesentlich bleibt für Moholy die subjektive, d.h. künstlerische Gestaltung der<br />

Lichterscheinung, d.h. das Licht ist in der Fotografie eine ebenso zu formende <strong>und</strong> zu<br />

gestaltende Erscheinung wie die Farbe in der Malerei. Von daher spricht Moholy-<br />

Nagy im Unterschied zu van Doesburg, der die Komposition zugunsten der<br />

Konstruktion ablehnt, auch <strong>von</strong> subjektiver Komposition, die den Fotografen erst<br />

zum Gestalter, zum Künstler mache. Die neuen ungeahnten Möglichkeiten, die sich<br />

ihm in der Gestaltung des Lichts eröffneten, mochte er sicherlich nicht in der Form<br />

reglementiert <strong>und</strong> reduziert sehen wie es van Doesburg für das jahrh<strong>und</strong>ertealte<br />

Medium der Malerei formulierte. Beide betonen zwar die Eigenständigkeit des<br />

jeweiligen Gestaltungsmittel, aber hinsichtlich der Gestaltungsweise <strong>und</strong> der daraus<br />

entstehenden bildnerischen Gestalt entwickeln beide gänzlich andere Vorstellungen.<br />

Nicht nur in seinen Fotogrammen, sondern auch in seiner Malerei suchte Moholy-<br />

Nagy eine neue, über die Anordnung der Dinge definierte Vorstellung <strong>von</strong> Raum zu<br />

visualisieren. Nicht zufällig setzte in den späten 1920er Jahren zwischen Malern,<br />

Fotografen <strong>und</strong> Wissenschaftlern eine Diskussion ein über die Wesens-Unterschiede<br />

<strong>von</strong> Fotografie <strong>und</strong> Malerei <strong>und</strong> ihren Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen in Hinblick auf eine<br />

bildwirksame Gestaltung, die sich im wesentlichen an der Faktur <strong>und</strong> der daraus<br />

hervorgehenden Bildwirkungen entzündete. 43<br />

Als Ausdruck des menschlichen Geistes fasst auch Max Bill die konkrete Kunst. In<br />

Bezug auf van Doesburg erweiterte <strong>und</strong> definierte er im Zeitraum <strong>von</strong> 1936 bis 49 die<br />

Gr<strong>und</strong>lagen der konkreten Kunst neu. Auch Bill bleibt in gewisser Weise<br />

gattungsgeb<strong>und</strong>en, insofern er sich auf Malerei <strong>und</strong> Plastik bezieht. Als wesentlich<br />

für seine Definition der konkreten Kunst <strong>und</strong> auch für die Übertragungen auf den<br />

Bereich der Fotografie wird gerne jener vieldeutige <strong>und</strong> missverständlicher Satz<br />

zitiert, dass in der Vorstellung bestehende abstrakte Ideen in konkreter Form<br />

sichtbar <strong>und</strong> anschaulich gemacht werden. <strong>Zur</strong> Klärung sei an dieser Stelle eben<br />

jene Passage zitiert, aus der dieser Satz stammt:“ konkrete malerei <strong>und</strong> plastik ist die<br />

gestaltung <strong>von</strong> optisch wahrnehmbaren. Ihre gestaltungsmittel sind die farben, der<br />

raum, das licht <strong>und</strong> die bewegung. Durch die formung dieser Elemente entstehen<br />

neue realitäten. Vorher nur in der vorstellung bestehende abstrakte ideen, werden in<br />

konkreter form sichtbar gemacht. Konkrete kunst ist in ihrer letzten konsequenz der<br />

reine ausdruck <strong>von</strong> harmonischem mass <strong>und</strong> gesetz. Sie ordnet systeme <strong>und</strong> gibt mit<br />

künstlerischen mitteln diesen ordnungen leben. Sie ist real <strong>und</strong> geistig,<br />

unnaturalistisch <strong>und</strong> dennoch naturnah. Sie erstrebt das universelle <strong>und</strong> pflegt<br />

dennoch das einmalige. Sie drängt das individualistische zurück, zugunsten des<br />

individuums.“ 44 Bill erweitert zwar die Möglichkeiten einer konkreten Gestaltung,<br />

doch hat diese auch weiterhin Maß <strong>und</strong> Gesetz zu genügen. Dennoch bleibt<br />

hinsichtlich einer kategorialen Einschätzung zu fragen, was unter konkretion<br />

42 Malerei, Photografie, Film, Bauhausbuch 8, München 1925.<br />

43 Die Aktualität dieser Problematik in den späten 1920er Jahren veranlasste Moholy-Nagy Ernst Kallais<br />

Aufsatz „Malerei <strong>und</strong> Photographie“ in der Internationalen Revue <strong>von</strong> 1927 zu veröffentlichen <strong>und</strong> zur<br />

Diskussion zu stellen. Ernst Kallai: Malerei <strong>und</strong> Photographie, in: Internationale Revue 1927, Reprint Nendeln<br />

Liechtenstein 1979, S. 148-240.<br />

44 Max Bill, zit. nach: Max Bill. Ausst.kat. Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen am Rhein 1990, S. 41.<br />

13


abstrakter gedanken letztlich zu verstehen ist. Bill nennt hierfür ein Beispiel: „als<br />

beispiel diene hierfür ein grenzfall in der malerei: auf einer leinwand befindet sich ein<br />

roter punkt. Dieser kann auf zwei Arten entstanden sein: erstens kann es ein<br />

sonnenaufgang im nebel sein <strong>und</strong> ist somit als abstraktion anzusehen, oder es kann<br />

zweitens ein roter punkt sein, der einzig durch sein verhältnis zur fläche eine<br />

künstlerische realität ausdrückt; in diesem zweiten fall handelt es sich um die<br />

konkretion eines abstrakten gedankens, also um konkrete kunst.“ 45 Das heißt also,<br />

dass ein abstrakter Gedanken als innerbildliche Realität in Form <strong>von</strong> Flächen- oder<br />

Farb-Formbeziehungen konkret d.h. auch anschaulich <strong>und</strong> fassbar wird, also über<br />

elementarisierende Erfindungen außerbildliche Abstrakta wie Progression oder<br />

Unendlichkeit „ahnungsgebend umgesetzt“ <strong>und</strong> also sichtbar werden. 46 In ähnlicher<br />

Weise argumentiert Max Bense in seiner Passage zur konkreten Malerei in der<br />

Schrift „Ästhetik <strong>und</strong> Zivilisation“ <strong>von</strong> 1958, in der er sich auf Vordemberge-Gildewart<br />

<strong>und</strong> Max Bill bezieht: „Man wird nicht umhinkönnen, festzustellen, das Konkrete<br />

Malerei zwar wenig semantische Informationen bietet, aber gleichwohl relativ hohe<br />

Werte ästhetischer Information. Die Ìdeen`, die in der Konkreten Malerei, wie man<br />

sich ausdrückt, „konkretisiert“, also realisiert werden, sind letztlich <strong>von</strong> der Natur<br />

einer Wahrnehmung. Immerhin eine Wahrnehmung, ..., nämlich der Farben <strong>und</strong> der<br />

Farben-Form Relation. Es scheint, dass im ästhetischen Prozess der Konkreten<br />

Malerei mindestens Farben als „eternal objects“ <strong>und</strong> nicht als „events“ visuelles<br />

Thema werden <strong>und</strong> dass Wahrnehmbares nur mit den Mitteln der Wahrnehmung –<br />

wie es sich <strong>von</strong> sich selbst her zeigt“ – wahrnehmbar gemacht werden soll.“ 47<br />

Obgleich der ästhetische Zeichenprozess in der konkreten Malerei auf elementare<br />

<strong>und</strong> euklidische Elemente zurückführt wird, gehören diese, wie Bense weiter<br />

argumentiert, weder der Geometrie noch der Physik an, sondern sie konzentrieren<br />

sich hier auf den ästhetischen Sachverhalt. Das heißt, dass sich konkrete Kunst nicht<br />

allein auf die Darstellung mathematischer Operationsmodelle oder geometrische<br />

Elementarformen beschränken bzw. reduzieren lässt, sondern an diesen oder<br />

vermittelt diesen visuelle Phänomene zeigt <strong>und</strong> anschaulich macht, d.h. die<br />

Vorgehensweise ist mehr oder weniger Mittel zum Zweck, nämlich das Sehen selbst<br />

zu thematisieren. 48 Daraus leitet sich ab, dass eine rational vorgehende Gestaltung<br />

mit geometrischen Gr<strong>und</strong>formen allein noch kein konkretes Kunstwerk schafft.<br />

III. Fazit<br />

Auch wenn sich die Kunst, weniger die Wissenschaft, <strong>von</strong> diesen nunmehr in die<br />

Jahre gekommenen Definitionen gelöst, entfernt <strong>und</strong> weiter entwickelt hat, bleibt<br />

doch der Bezug auf die Wahrnehmung in Hinblick bzw. das Sichtbarmachen<br />

innerbildlicher Phänomene <strong>und</strong> Erscheinungen, aber auch in Hinblick<br />

wissenschaftsorientierter Recherchen so unterschiedlicher Gruppierungen <strong>und</strong><br />

Richtungen wie der neuen gruppe saar, der Gruppe Grav oder den Künstlern der<br />

Nouvelle Tendences ein verbindendes Element. Die Ansätze <strong>und</strong> <strong>Bedeutung</strong>en, die<br />

heute unter der Begrifflichkeit konkret summiert werden, haben sich nicht zuletzt<br />

durch die Pluralität künstlerischer Positionen – bedingt auch durch neue technische<br />

45 Max Bill zit. nach Peter Staechelin: Die blinden Passagiere, in: 10-Zehn-X. 10 Jahre Forum konkrete Kunst.<br />

10. Erfurter Kolloquium vom 22.-24. Mai 2003, Erfurt 2004, S. 37-39, S. 37.<br />

46 Raim<strong>und</strong> Stecker: „Kunst ist die geistige Umwertung der Materie“ Zu den weittragenden Gedanken <strong>von</strong> Theo<br />

van Doesburg vor <strong>und</strong> in den „Manifest“ genannten Gr<strong>und</strong>lagen der konkreten Malerei, in: das Kunstwerk,<br />

Dezember 1990, S. 3-62, hier S. 19.<br />

47 Max Bense, Ästhetik <strong>und</strong> Zivilisation. Aesthetica III. (Für Max Bill), Baden-Baden 1958, S. 86-88.<br />

48 In der aktuellen Diskussion hat sigurd rompza in seinem Interview mit lida <strong>von</strong> mengden auf diesen Aspekt<br />

erneut aufmerksam gemacht. Kunst Konkret. Zeitschrift für Kunst, Architektur <strong>und</strong> Gestaltung, Ausgabe 7,<br />

2001, S. 15f, S. 16.<br />

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Möglichkeiten - verändert <strong>und</strong> erweitert, so dass mittlerweile in der aktuellen<br />

Diskussion über neue Begrifflichkeiten nachgedacht wird. 49 Dieser Pluralität kann<br />

natürlich Rechnung getragen werden, indem <strong>von</strong> konkret eher im Sinne eines<br />

„Übereinstimmungsbegriff“ gesprochen wird. Dennoch folgt die konkrete Kunst einer<br />

gewissen Programmatik bzw. sie hat einen Kanon des bildnerischen Vokabulars <strong>und</strong><br />

Ansätze ausgebildet, auf die sich Künstler noch heute in Form bewusster Reflexion<br />

<strong>und</strong> Rezeption beziehen <strong>und</strong> die sie hinsichtlich der Untersuchung <strong>von</strong> Räumlichkeit,<br />

Flächigkeit, Plastizität, Farbkonzepte im Rahmen primärer bildnerischer<br />

Gegebenheiten weiter modifizieren <strong>und</strong> variieren. Übertragungen auf andere<br />

Bereiche finden sich im Bereich der konkreten Musik <strong>und</strong> der konkreten Poesie. Sie<br />

sind jedoch Randbereiche innerhalb der konkreten Kunst geblieben.<br />

Diese spezifische Tradition der konkreten Kunst, die länderübergreifend eine Art<br />

Anker- <strong>und</strong> Referenzpunkt bildet, fehlt in dieser Weise in der Fotografie. Mit dem<br />

Fotogramm hat sie – besonders auch im Bereich ungegenständlicher Darstellungen -<br />

eine vergleichbar eigene <strong>und</strong> adäquate Tradition ausgebildet hat, die sich weiter zu<br />

verfolgen lohnt. So mag <strong>von</strong> Fotografie als eine neue Möglichkeit der Bildfindung<br />

innerhalb der konkreten Kunst zu sprechen sein, aber weniger <strong>von</strong> einer konkreten<br />

Fotografie. Weder wird man hier dem spezifischen Medium der Fotografie gerecht,<br />

noch der Begrifflichkeit des Konkreten, die gerade in Bezug auf van Doesburg <strong>und</strong><br />

Bill eng gefasst <strong>und</strong> auf die klassischen Medien begrenzt ist.<br />

Von konkreter Fotografie zu sprechen hieße auch, die letztlich an gänzlich<br />

unterschiedliche technische Trägersysteme <strong>und</strong> Traditionen geb<strong>und</strong>ene<br />

Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen des jeweiligen Mediums zu nivellieren. Auch wenn<br />

Fotografie ausschließlich mit Licht <strong>und</strong> lichtempfindlichem Papier arbeitet, ist sie an<br />

ein technisches Trägersystem <strong>und</strong> physikalische Prozesse geb<strong>und</strong>en. Auch ohne<br />

Einsatz der Kamera beruht die ästhetische Schöpfung auf physikalisch-chemische<br />

Prozesse, diese bringen also ein Bild hervor, das eben trotz aller Eigenständigkeit<br />

der Formschöpfung <strong>von</strong> diesen Prozessen geprägt <strong>und</strong> bestimmt ist <strong>und</strong> letztlich als<br />

ein fotografisch erzeugtes bzw. mittels fotografischer Technik erzeugtes Bild<br />

erkennbar bleibt. Will man die hier vorgestellten Fotografen in Beziehung zur<br />

konkreten Kunst setzen, ist der Ansatz, begriffliche Übertragungen <strong>und</strong> formale<br />

Vergleiche zu bemühen, gerade auch in Hinblick medialer Unterschiede zu unscharf.<br />

In der Konzentration auf „einfache“ Sachverhalte, der Analyse bildgebender <strong>und</strong> –<br />

erzeugender Verfahren, in der Differenzierung <strong>von</strong> ästhetischer Gestalt <strong>und</strong><br />

technischem Prozess sowie der überlegten Anordnung <strong>von</strong> Schwarz-Weiß Formen<br />

mögen einige der hier vorgestellten Fotografen Parallelen auf weisen zu reduktiven<br />

<strong>und</strong> elementaren Verfahren in einer konkret-konstruktiv arbeitenden Kunst. 50 Hier<br />

wäre es spannend genauer zu fragen, welche Berührungspunkte es beispielsweise<br />

zwischen den Intentionen der generativen Fotografie <strong>und</strong> Gruppierungen wie „GRAV“<br />

oder „Art et informatique“ gibt. In den 1960er Jahren weiteten diese das Spektrum<br />

konkreter Kunst im wesentlichen aus, indem sie sich auf wissenschaftsorientierte<br />

visuelle Recherchen konzentrierten <strong>und</strong> darüber auch zu neuen Bildformen (bewegte<br />

<strong>und</strong> programmierte Bilder) <strong>und</strong> Medien (Computer- <strong>und</strong> Plotterzeichnungen) fanden.<br />

In den 1960er Jahren zeichnet sich in der Kunst ein Kontext ab, in dem diese Form<br />

der Fotografie ein Form findet.<br />

49 Hartmut Böhm in seinem statement, Kolloquium konkrete Kunst, Erfurt 2004.<br />

50 Dietfried Gerhardus: anmerkungen zu “elementarität” <strong>und</strong> “reduktion” in der modernen kunst, in: neue gruppe<br />

saar 2003, s. Anmerk. , S. 117f, hier S. 117.<br />

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