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VALIE EXPORT DALLA E DE gREgORI - Kultur.bz.it

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TIPP <strong>DE</strong>S MONATS<br />

CONSIGLIO <strong>DE</strong>L MESE<br />

Lois<br />

Anvidalfarei<br />

Menschsein in der<br />

ursprünglichsten Form<br />

Er ist ein Bildhauer, der polarisiert.<br />

Aufregung gab es, als sein<br />

nackter Mann im Garten des<br />

Kapuzinerklosters in Bozen an<br />

prominenter Stelle seinen Platz<br />

fand. Dann wurde die Figur<br />

in die Gartenecke verbannt.<br />

Stimmen wurden laut, als in<br />

der Fußgängerzone von St. Ulrich<br />

eine Figur platziert wurde.<br />

Denn Anvidalfareis Männer<br />

sind nackt. Zeigen ganz offen<br />

ihre Geschlechtsteile. S<strong>it</strong>zen,<br />

stehen, liegen, hängen da, also<br />

ob sie alles rings um nichts<br />

anginge. Dieser Künstler gehört<br />

zu den wichtigsten Bildhauern<br />

unseres Landes. Seine Skulpturen<br />

sind unverkennbar: in ihrer<br />

Masse und Wucht halten sie<br />

den Betrachter an, stehen zu<br />

bleiben. Zu schauen, sie zu umschre<strong>it</strong>en,<br />

weil der öffentliche<br />

Raum ihre eigentliche Welt ist.<br />

Die fischförmigen, flossenartigen<br />

Gliedmaßen zu betrachten,<br />

die überdimensionalen Beine<br />

a<strong>bz</strong>utasten, die Verrenkungen<br />

der Körper genauer zu studieren.<br />

Masse und Volumen haben<br />

sich unter den Händen dieses<br />

außerordentlichen Künstlers<br />

verwandelt, sie zeigen Menschsein<br />

in unterschiedlichsten<br />

Facetten, entziehen der Bronze<br />

und dem Gips die Schwere,<br />

regen dazu an, sich heranzutasten,<br />

vielleicht m<strong>it</strong> den<br />

Händen kurz über diese Körper<br />

zu streichen. Es sind unsere<br />

Körper und dennoch haben sie<br />

nicht alles m<strong>it</strong> uns gemeinsam.<br />

Besonders die Köpfe sind es, an<br />

denen man auch den Künstler<br />

selbst wieder erkennt. Anviadalfarei,<br />

der so ganz einem<br />

Bauer ähnelt, bes<strong>it</strong>zt keine<br />

Starallüren. Er tr<strong>it</strong>t bescheiden<br />

und zurückhaltend auft, hat<br />

sein Werk über die Grenzen<br />

unseres Landes hinaus bekannt<br />

gemacht. Vier Plastiken fanden<br />

unlängst in den Nischen an der<br />

Fassade der Georgskapelle im<br />

Alten Landhaus in Innsbruck<br />

ihren Platz: auch dort sind<br />

diese nicht unumstr<strong>it</strong>ten. Der<br />

Künstler hat vier riesige Bronzen<br />

geschaffen: Bekehrung, das<br />

haltlose Böse, das Entsetzen<br />

über das Böse und die Segnung<br />

sind die Themen, die Bezug<br />

zum Martyrium des heiligen<br />

Georg nehmen. Auch hier stoßen<br />

sich viele an der Nackthe<strong>it</strong><br />

der Figuren – der Künstler<br />

aber wollte ganz bewusst „die<br />

barocke Trad<strong>it</strong>ion aufnehmen<br />

und eine Brücke in das<br />

Heute spannen“. Auch we<strong>it</strong>ere<br />

Großwerke haben ihren Platz<br />

im Freien gefunden. Metànoia“,<br />

ein großer Kopf m<strong>it</strong> Händen¸<br />

weist den Weg zur Landesfachhochschule<br />

für Gesundhe<strong>it</strong>sberufe<br />

Claudiana in Bozen.<br />

Lois Anvidalfarei stammt<br />

aus dem Gadertal. In Abtei<br />

bewirtschaftet er den von den<br />

Eltern ererbten Bauernhof und<br />

arbe<strong>it</strong>et als freischaffender<br />

Bildhauer. Von 1976 bis 1981<br />

besuchte er die Staatliche<br />

Kunstschule in St. Ulrich im<br />

Grödnertal. Ab 1983 folgte ein<br />

Studium an der Akademie der<br />

Bildenden Künste in Wien bei<br />

Prof. Joannis Avramidis.<br />

In der Goethegalerie in Bozen<br />

präsentiert er neue Werke<br />

und Zeichnungen. Auch diese<br />

beschäftigen sich m<strong>it</strong> der<br />

menschlichen Figur. Es sind<br />

Detailansichten von Händen,<br />

Körperteilen, Köpfen, sie zeigen<br />

Windungen und Drehungen<br />

des Körpers, schöpfen die Kraft<br />

aus der Bewegung. Gebündelte<br />

Striche und leerer Raum. Zwischen<br />

diesen Polen entfalten<br />

die Akte ihre Kraft. Durch die<br />

Nahsicht verändern sich die<br />

Körperteile, wir sehen oft nur<br />

die Wölbungen des Fleisches,<br />

müssen den gesamten Körper<br />

ergänzen. Ecce homo: Sieh, der<br />

Mensch: Der T<strong>it</strong>el dieser Schau<br />

widmet sich diesem in allen Facetten.<br />

Neu dabei, dass diesen<br />

zum Teil die anthropomorphen<br />

Glieder abhandengekommen<br />

sind. Es sind fast klassische<br />

Figuren, die ihre Kraft und<br />

Ausstrahlung aus der inneren<br />

Gelassenhe<strong>it</strong> beziehen. In einem<br />

einfachen Rahmen aus 18<br />

x 18 cm-Hölzern hängen drei<br />

Figuren. Was geschieht nun,<br />

wenn der Körper hängt? Anvidalfarei<br />

zeigt es uns, will uns<br />

klar machen, wohin sich dann<br />

die Körperkraft verschiebt.<br />

Nichts an diesen Figuren wirkt<br />

dabei als Anklage. Sie hängen<br />

da, selbst in sich versunken,<br />

so als ob man ein Kleid an den<br />

Haken gehängt hätte. Nur wenn<br />

sich die Arme über dem Kopf<br />

wölben, merkt man. Da ist<br />

auch noch ein Wille. Der Körper<br />

ist nicht ganz der Schwerkraft<br />

preisgegeben.<br />

Menschsein in der ursprünglichsten<br />

Form. Der Mensch<br />

hängt da, erwartungslos, den<br />

inneren Frieden auslebend.<br />

Trotz der angewinkelten Arme<br />

sind diese Körper in einem<br />

relativen Ruhepunkt erfasst.<br />

Sie wirken ausbalanciert und<br />

wir fühlen: so kann die Figur<br />

eine Weile verbleiben. Nur<br />

der T<strong>it</strong>el verweist auf einen<br />

religiösen Inhalt. Jesus wurde<br />

von Pilatus der Menge m<strong>it</strong> den<br />

Worten „ecce homo“ präsentiert.<br />

Hier allerdings geht es<br />

diesem Künstler wohl mehr um<br />

die Darstellung des Menschen<br />

allgemein. Ob hängend oder<br />

zusammengekauert: Anvidalfarei<br />

ringt diesem trad<strong>it</strong>ionsreichen<br />

Thema einen gänzlich<br />

eigenen Standpunkt ab. Er<br />

beschäftigt sich m<strong>it</strong> dem, was<br />

für den Menschen tatsächlich<br />

charakteristisch ist und<br />

individuell gültig erscheint.<br />

Das Geschichtenerzählen liegt<br />

ihm fern. Er arbe<strong>it</strong>et naturalistisch<br />

gleichnisartig. Denn der<br />

nackte, fleischliche, menschliche<br />

Körper ist auch Ausdruck<br />

von Leere. Der Künstler setzt<br />

diese Körper dem leeren Raum<br />

aus, gibt sie dem menschlichen<br />

Blick preis. Typisch dabei sind<br />

auch die wechselnden Stellungen,<br />

weil diesen „Körperkünstler“<br />

auch die Wendungen<br />

und Biegungen eines einzelnen<br />

Gliedes oder des gesamten<br />

Körpers interessieren. Ein<br />

hängender Arm, ein gestreckter,<br />

zwei Arme, die sich über<br />

dem Kopf verschränken, Beine<br />

angewinkelt, ein Rücken gekrümmt:<br />

Auch die Einzelteile<br />

sind es, die diesen Körpern<br />

einen hohen Erkennungsfaktor<br />

verleihen .Und so ist Anvidalfareis<br />

Kunst unverkennbar, ganz<br />

individuell und doch ze<strong>it</strong>los.<br />

Eva Gratl<br />

– 24 – – 25 –

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