GL 4/2012 - der Lorber-Gesellschaft eV
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<strong>GL</strong> 4/<strong>2012</strong> Kontemplation - was ist das<br />
31<br />
Festhalten, Gier, Zorn und Verblendung. Grundsätzlich scheint es so zu<br />
sein, dass unser Ich seine eigene Gier und den Hang zur Macht und<br />
Aggression gar nicht bewusst erkennen kann.<br />
Die Verblendung - die alte Sichtweise entstanden durch unser<br />
jeweiliges psychisches und physisches Muster - ist oft noch eng, einseitig,<br />
undurchlässig für Licht und Einsicht.<br />
Auf dem kontemplativen Weg praktizieren wir achtsames Atmen und<br />
kommen allmählich im gegenwärtigen Augenblick an. Indem wir immer<br />
wie<strong>der</strong> hartnäckige Gedanken und Gefühle mit dem Ausatmen loslassen<br />
und uns begleiten lassen von unserer Silbe - unserem Gebetswort -,<br />
konzentrieren wir uns auf das EINE, kehren immer neu - geduldig,<br />
ausdauernd zur Übung zurück: so entwickelt <strong>der</strong> innere Laut eine<br />
dynamische Kraft in unserem Bewusstsein.<br />
Wir spüren es oft: unser Ich, das es gewohnt ist, festzuhalten,<br />
anzuhaften, sich mit seinen Gedanken und Gefühlen, dem Wollen und<br />
Wünschen, zu identifizieren, verhin<strong>der</strong>t die Kraft des WEGES. Es<br />
verstrickt sich leicht und immer mehr, wenn es in <strong>der</strong> Fixierung auf <strong>der</strong><br />
psychischen Ebene beharrt. Das kann uns in körperliche und auch<br />
psychische Schmerzen führen, in eine dramatische Sichtweise <strong>der</strong><br />
Beurteilung unserer augenblicklichen Lebenssituationen, - wir hängen fest<br />
und leiden.<br />
Um im unumgänglichen Schmerz des Lebens Orientierung zu finden,<br />
darum praktizieren wir achtsames Atmen. Es geht um die Ernsthaftigkeit<br />
unserer Entscheidung: entwe<strong>der</strong> im Festhalten zu verharren o<strong>der</strong> mit jedem<br />
Atemzug loslassend in den Kontakt zu unserem Wesensgrund zu kommen.<br />
So entsteht <strong>der</strong> Weg in uns.<br />
Wenn wir uns entscheiden, Kontemplation zu praktizieren, und uns<br />
nach innen wenden, lassen wir uns ausatmend los (mit „Du“, „Shalom“,<br />
„Jesus“, o. a.), geben uns hin an das Wort. Innen und außen will das Ich<br />
nichts mehr, außer dem einen: EINS zu werden mit dieser einen Silbe im<br />
Atem, will nichts, als ankommen im Wesensgrund. O<strong>der</strong> wie es Meister<br />
Eckhart ausdrückt: „Nun wünscht das abgeschiedene Herz gar nichts<br />
weiter, als einförmig zu sein mit Gott, das macht sein ganzes Gebet aus.“<br />
In dieser tiefen Erfahrung verschwindet das Ich und wird neu<br />
aufgerichtet. Erschüttert und staunend schauen wir unseren großen<br />
Reichtum an, als Mensch in <strong>der</strong> Welt da zu sein. Die kontemplative Übung<br />
entfaltet alles Leben und eine neue Sichtweise.<br />
(Quelle: Kontemplation und Mystik 1/2001, Via Nova Verlag)