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Die Logik des literarischen Einfalls

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Dorota Sonicka<br />

H. L.: Es ist eben so, dass der Blick von außen die Betrachtung der eigenen Realität<br />

ändert. So ist es auch in meinem ersten Buch Abwässer, in dem ein Inspektor<br />

die Gesellschaft von unten betrachtet, und das ist eine neue Perspektive. Wenn<br />

man von außen kommt, sieht alles, was man bisher gekannt hat, etwas anders<br />

aus. Es gibt weiterhin verschiedene Probleme, aber sie werden dann in ein anderes<br />

Licht gestellt. Das ist eben für mich ganz wichtig, auch im Journalismus, zu<br />

zeigen, dass wir nicht singularisch, also nicht nur für uns, leben, sondern dass<br />

wir Verschiedenes mit anderen teilen und dass man die eigenen Probleme unter<br />

einem anderen Gesichtspunkt sehen kann. Daher hat der Blick auf die Schweiz<br />

mit meinen Reisen und dem Zurückkommen sehr viel zu tun. Das ist eben die<br />

Veränderung der Perspektive.<br />

D. S.: Ein zentraler Begriff ihres Schreibens ist der Begriff der ‘Behaftbarkeit’.<br />

<strong>Die</strong>se ‘Behaftbarkeit’ sollte eine Grundforderung sein, die Sie an die Literatur<br />

stellen. Könnten Sie diese Wortbildung etwas genauer erklären<br />

H. L.: Ja, der Begriff taucht schon im Roman Abwässer auf, aber es kommt<br />

nicht so sehr auf die Literatur an, sondern wenn ein Mensch sagt: Ich möchte<br />

mein Leben so hinstellen, dass es behaftbar ist, das meine ich. Also das, was ich<br />

als Autor sage und schreibe, dazu möchte ich auch stehen können. Jetzt könnte<br />

ich ein brillantes Gegenbeispiel dazu geben: Also das Gegenteil von ‘behaftbar’<br />

ist, wenn Herr Grass ein Leben lang uns Moral predigt, uns sagt, wir hätten uns<br />

anders verhalten sollen, und dann zum Schluss zugibt, dass er als junger Mann<br />

bei der SS war. Doch das ist nicht das Problem, denn bei einem jungen Deutschen<br />

war es vielleicht verständlich. Jetzt kommt aber plötzlich das ‘Nicht-behaftbar-<br />

Sein’. Behaftbar heißt also, dass ich eben so lebe, dass ich mich eigentlich – sagen<br />

wir es so – immer mehr oder weniger zitieren kann und nicht Sachen wegschieben<br />

muss, bei denen ich mir denke, das sage ich lieber nicht. Das heißt jedoch<br />

nicht, dass ich meine Meinung nicht ändern kann, aber dann ändere ich meine<br />

Meinung und gebe damit klar, aus den und den Gründen. Wenn man also neue<br />

Erfahrungen macht und da seine Meinung ändert, dann soll man es eigentlich<br />

darlegen. Und zu dem Wort selber: Es ist ein schweizerisches Wort, im Deutschen<br />

heißt es eigentlich ‚‘haftbar’, es kommt von den Versicherungen her, dass<br />

ich für etwas haften muss, also ich muss auf mich die Konsequenzen nehmen.

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